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Loe raamatut: «Melusine: Ein Liebesroman», lehekülg 9

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Einige Tage darauf ging Falk in Melys Zimmer. „Ich bitte dich, was hast du gegen mich?“ begann er sogleich. „Sag mir alles, ich bin auf alles gefaßt.“

Sie lag in ihrem hyacinthenfarbnen Schlafrock auf der Ottomane und schaute unbeweglich zur Decke. „Ach, das ist doch sehr einfach,“ sagte sie langsam, als er nicht aufhörte, sie zu bedrängen.

„Nun?“

Sie schwieg, sie schien sich zu besinnen. Dann erwiderte sie so weich, daß er den Inhalt ihrer Worte kaum begriff: „Ach, ich mag dich halt nimmer.“

Falk trat zurück und schlug erschüttert die Hände zusammen. „Das also!“ – „Warum?“ fragte er nach schier endlosem Schweigen.

„Mein Gott, da kommt so vieles zusammen,“ sagte sie immer noch weich, gleichsam flehend. „Deinetwegen und meinetwegen.“

„Du hast also dein Herz von mir abkommandirt? – Ja, du hast mit mir gespielt,“ murmelte Falk, ohne Hoffnung, dies ertragen zu können. „Wie dumm war ich doch! Wie ein Hündchen hing ich an dir. Ich habe dir meine Liebe stets auf dem Servirbrett zugetragen.“

„Das war das Unglück, ja. Übrigens, was hat es für einen Zweck? Es ist doch hoffnungslos. Bis es einmal soweit käme, bin ich eine alte Schachtel.“

„O ich könnte treu sein. Ich habe das Zeug dazu. Selbst die alte Schachtel könnte mich nicht hindern, treu zu sein. Aber du hast nur gespielt, das ist klar … Alles hab ich auf dich gesetzt, die Zukunft, das ganze Leben. Und nun hast du mich zerstört. Du betrachtest mich nie mit deinen eigenen Augen, sondern immer mit denen anderer Leute, mit Helenes Augen oder so. Du hast mich nie geliebt, nie geliebt.“ Der Schmerz verschloß ihm die Kehle. Immer noch ausgestreckt lag Mely da und rührte sich nicht.

„Wirklich? Ist es denn wirklich wahr?“ begann Falk wieder und näherte sich ihr. „Sag doch! Ich will ja gehn, wenn du es jetzt wiederholst. Ist es denn wirklich wahr?“ Er redete mit heiserer, trauriger Stimme, aber keine Silbe war mehr aus ihr herauszubringen. „Sag, soll ich gehn?“ fragte Falk. „Sprich nur ein Wort und ich bleibe. Sag ja, und ich bleibe. Willst du? Willst du?“ Aber sie blieb stumm und nagte bloß an ihrer Unterlippe. Da ging er.

Als er draußen war, erhob sich Mely und wanderte mehr als zwei Stunden lang auf und ab. Oft standen ihre Augen voll Thränen. Sie blieb an diesem Abend in ihrem Zimmer.

Falk besuchte das Fräulein von Erdmann und führte mit ihr tiefsinnige Gespräche über den Wert des Lebens, wobei er zur absoluten Verneinung gelangte, wie Viele vor ihm. Aber die Dame, die jetzt in ihrem Äußern wie in ihrer Umgebung die Spuren eines immer größeren Verfalls zeigte, wollte davon nichts hören. Sie stritt für die Lebensfreude und für die Liebe und ließ den jungen Mann merken, daß er alle Gluten jungfräulicher Leidenschaft bei ihr finden könne, wenn er nur zu begehren verstehe. Sie versperrte sogar die Thüre, um ihn zum Dableiben zu zwingen. Ihr Feuer berührte Falk sehr peinlich. Aber er und alle, die in diesem Hause wohnten, sahen sie versinken in Armut und Erbärmlichkeit und es hatte Scenen gegeben, wo sie von Fremden gar sehr gedemütigt worden war. Deshalb bemitleidete er sie und benahm sich rücksichtsvoll. Zum Schluß allerdings tischte sie ihm ein paar Anekdoten auf, die Zeugnis ablegen sollten von dem lockern Leben, das im Hause des Obersts Thewalt geführt wurde.

Frau Bender traf er an diesem Tag in großer Niedergeschlagenheit. Ihr Sohn hatte aus Chicago geschrieben, daß der Vater mit einer fremden Frau lebe. Das hätte sie an sich nicht zu Boden gedrückt, aber er schickte auch kein Geld mehr. Sie war in Not. Fräulein von Erdmann konnte nicht zahlen, auch Falk war im Rückstand. Das ganze Hauswesen war zerrüttet. Frau Kremer war abgereist und mit ihr war der letzte Rest von Heiterkeit fortgezogen.

„Lottelotts kommen auch nicht mehr,“ sagte Frau Bender beim Thee. „Sie haben mich durch Helene wissen lassen, sie könnten nicht mit einer Person wie Fräulein Mirbeth an einem Tisch sitzen.“

Falk brauste auf.

„Ja sehen Sie, man erzählt sich eben sehr viel,“ fuhr die Hausfrau bedauernd fort. „Auch Fräulein von Erdmann hat verzichtet, beim Mittagstisch zu erscheinen. Und warum ist Fräulein von Mahnke ausgezogen? Nur deswegen. Ich muß ihr kündigen, ich bin es meinen Kindern schuldig.“

Falk erbleichte bis in die Lippen. „Das werden Sie aber unterlassen, Frau Bender –! So viel Zartheit, – um Gottes willen!“

Frau Bender versuchte einzulenken. „Ich glaube ja alles Gute von ihr, obwohl – – Persönlich ist sie mir ja lieb und Helene hat sie sehr gern, – aber urteilen Sie doch selbst. Früher, – was für Zwistigkeiten waren das stets zwischen ihr und dem Oberst. Er hat ihr Dinge gesagt und geschrieben, daß sie zu stolz sein müßte, ihn anzureden, – und nun, mit welcher Andacht spricht sie von ihm. Welche Fülle von Geschenken –“

„Lassen Sie uns eine Partie Halma spielen, Frau Bender,“ unterbrach sie Falk, bis in die tiefste Seele erzitternd. Helene summte jenen bekannten Gassenhauer aus Rigoletto vor sich hin, der von der Unverläßlichkeit des Frauenherzens handelt.

Heute gewann Frau Bender.

Ich muß handeln, dachte Falk, ich muß mir Beweise verschaffen und dann, – Gott sei mir gnädig. Er wollte sich nicht eingestehn, daß er sich fürchtete vor Beweisen. Alles zitterte an ihm, beständig tastete er mit der Hand an die Schläfe und schloß die Augen, wie um nicht sehen zu müssen, was er so sehr zu sehen wünschte. Was hilft es auch, grübelte er; ich bin ihr gleichgültig, sie hat es selbst gesagt. Und dieser Gedanke überwog alle andern.

„Sie haben sich wohl verfeindet mit Fräulein Mirbeth?“ fragte Frau Bender und als Falk bejahte, setzte sie hinzu: „Seien Sie doch stark und lassen Sie sich nicht so sehr niederdrücken.“

„O sie ist falsch,“ flüsterte er. Es drängte ihn nach Mitteilung seiner Leiden. Aber plötzlich stand er auf, wie von Ekel erfaßt und verabschiedete sich.

Mely schloß sich von allen ab, auch von Helene. Dies Mädchen war ihr in letzter Zeit verhaßt geworden, obwohl sie sich zwang, freundlich zu sein, wenn sie mit ihr sprach. Ein ganz harmloser Vorfall war die Ursache und der Anfang dieses Hasses gewesen. Eines Abends, als Mely noch im Wohnzimmer war, hörte man draußen an der Treppe ein Geflüster. Frau Bender vermutete, daß die Magd von ihrem Kammerfenster aus sich mit einem Mann unterhielte. Helene entledigte sich blitzschnell der Schuhe, öffnete geräuschlos die Thüre, huschte ebenso lautlos hinaus und horchte draußen. Alle ihre Bewegungen dabei waren schlangenhaft.

Seitdem haßte sie Mely. Sie war ihr genau wie eine junge Katze erschienen. Auch fürchtete sie, die kleine, listige Person möchte das Geheimnis ihrer Liebe ausplaudern, obwohl sie wußte, daß Helene die Gabe des Verschweigens in hohem Grade besaß. Sie fühlte wohl, daß Alle gegen sie waren, wie gegen den bösen Feind, aber sie lächelte dazu. Innerlich verwundet, vereinsamt und die Einsamkeit suchend, schloß sie sich ab von den Leuten, die so viel redeten, als sie reden hörten, ohne das Gewicht der Worte zu bemessen. Ein finsterer Menschenhaß beherrschte sie einige Tage lang durchaus. Nur die kleine Dele kam täglich zu ihr und bei diesem Kind konnte sie sich selbst vergessen. Sie liebte das Mädchen mit jener Leidenschaft, die oft an ihr hervorbrach, wie das Wasser einer unterirdischen Leitung, das einen falschen Ausweg gefunden hat. Und doch witterte sie schon bei dem Kind Eigennutz: weil sie es beschenkte, darum war es lieb und heiter, und nur in der Erwartung der Geschenke schien es zutraulich zu sein. Und als Frau Bender in einer boshaften Aufwallung über Melys Abschluß von ihrer Familie dem Kinde verbot, das junge Mädchen ferner zu besuchen, glaubte Mely, daß sie „eigentlich“ froh darüber sei.

– Frau Bender lag krank im Bett. Kummer und Sorgen hatten sie niedergedrückt. Der Termin nahte heran, ohne daß sie wußte, wie sie die Miete bezahlen sollte. Die Magd erzählte es Mely und dann kam auch Helene und weinte. Da ging Mely zum Oberst und schon am Abend brachte sie Frau Bender vierhundert Mark und entfloh ängstlich den stürmischen Danksagungen der gedemütigten Frau.

Falk vernahm das mit den Empfindungen, die Einer im fernen Land den Nachrichten aus der Heimat entgegenbringt. Als er eines Nachts spät heimkam, schlich er wieder in Melys Zimmer. Er sah sie schlafend, beim matten Schein des nächtlichen Lichts. Und er küßte sie mit der ganzen Trauer des Verlustes. Dann ging er wieder. Und so die nächste Nacht und die folgenden Nächte. Am Tag sehnte er die Nacht herbei, den Genuß jener schnellen Minuten. Ihm war, als spüre sie seine Nähe im Traum und lächle ihm zu im Traum und erkläre sich einig mit ihm. Und einmal geschah es, daß sie erwachte. Sie schlug die Augen auf und lächelte sanft. Sie schlang ihren Arm um seinen Hals und zog sein Haupt seufzend herab und drückte es an ihre Brust. Stumm und beglückt ließ er es geschehn. Es war ein Traum für sie und für mich, dachte er beim Hinausgehen. Aber von da an erwachte sie in jeder Nacht und liebkoste ihn schüchtern, wie es ihre Art war. Bei Tag sprachen sie nicht miteinander und gingen gleichgültig eines am andern vorüber.

Eines Sonntags im Februar beschloß die Familie Bender einen Ausflug zu machen. Doktor Brosam hatte sich sehr genähert und dieser Ausflug war sein Plan. Da es aber nur drei Personen waren und Frau Bender den beiden jungen Leuten Gelegenheit geben wollte, allein zu sein, – der Doktor war reich – so suchte sie nach einem vierten Teilnehmer. Rosine Malz hatte ein verschwollenes Gesicht und Falk gab einen Korb. Er stand im Korridor, als er Frau Bender sagen hörte: „Nun bleibt Fräulein Mirbeth unsre letzte Hoffnung.“ Der Doktor erwiderte: „Ja, wenn wir sie nur als stumme Person mitnehmen könnten!“ Helene lachte hölzern und auch Frau Bender lachte aus Artigkeit mit.

Eine wilde Angst erwachte in Falk, daß Mely zusagen könnte. Er wußte, daß sie schwach genug war, die Beleidigung zu vergessen, die ihr Doktor Brosam zugefügt hatte und von der sie ihm selbst mit Entrüstung erzählt hatte. Schon aus Gefälligkeit gegen Frau Bender würde sie mitgehen. Es gab nichts, womit sie sich nicht das Wohlwollen der Leute erkaufte, die um ihre Liebe zu ihm wußten oder sie nur ahnten. So groß war ihre Furcht. Aber Falk wollte auch allein sein mit ihr. Er hoffte nichts von diesem Alleinsein, aber er wünschte es heiß. In brennender Erregung wanderte er im Korridor umher, durch die Küche auf den Balkon, dann wieder horchend an der Thür, dann wieder durch das Entree gegen die Treppe hinaus. Er war völlig besinnungslos und murmelte beständig abgerissene Sätze vor sich hin. „Ich werde sie verlieren,“ sagte er, „und alles ist aus. O jetzt macht man doch keine Ausflüge, im Februar, – lächerlich. Wie hab ich mich gefreut – – – das Wetter wird ja doch schlecht werden – Mely – Mely – bleib!“

„Nun Herr Falk?“ hörte er die Stimme Helenes, deren Gesicht in Heiterkeit glänzte.

Falk streckte ihr bittend die Hände entgegen. „Helene, wenn ich Ihnen irgend etwas bin, etwas mehr als ein Hund, dann verhindern Sie, daß Mely mitgeht.“

Helene machte ein mürrisches Gesicht. „Ach gehn Sie doch! Sie sollten vernünftiger sein. Haben Sie denn gar keine Augen im Kopf?“

Falk stierte wie geistesabwesend in das frische Gesicht Helenes. Eine schwere Dumpfheit lag in seiner Brust. Er hatte die Empfindung, als schmiede man im Wohnzimmer ein Komplott gegen seine Liebe und als könne er dies durch seine Anwesenheit verhindern. Darum ging er hinein ohne zu grüßen und lachte dem erstaunten Doktor gerade ins Gesicht. Frau Bender kam freudestrahlend von Mely zurück und verkündete, daß die Vierzahl nun voll sei.

Falk lachte wieder, und die glückliche Frau Bender stimmte unbefangen mit ein. Dann stürzte er hinaus und betrat Melys Zimmer. Sie kämmte vor dem Spiegel das Haar und sah sich scheu nach ihm um. „Mely!“ brachte Falk mühsam heraus, „wenn du gehst, ist alles vorbei zwischen uns.“

Sie blickte erschreckt zu Boden und der Kamm fiel auf die Erde. Falk wandte sich zum Gehen, überzeugt, daß sie bleiben werde.

Aber eine halbe Stunde später hörte er die Vier in scherzenden Gesprächen die Treppe hinabsteigen, und als er sich zum Fenster hinausbeugte, saßen sie schon in der Droschke. Mely unterhielt sich mit Doktor Brosam und sie war fröhlich. Die Sonne schien hell, und der Schnee war geschmolzen.

Falk warf sich aufs Bett und schluchzte wie ein Kind.

XIV
Aus dem Tagebuch Vidl Falks

23. Februar.

Nun habe ich auch die Liebe überstanden. Es ist eine entsetzliche, giftige, furchteinflößende Krankheit. Dies Fräulein Mirbeth ist in meinen Weg getreten, hat ihre falschen Augen aufgeschlagen und mit Inbrunst, mit ganzer Seele und ganzem Vermögen bin ich hineingestürzt in diese Augen. Ach, man wird da gedreht und gerädert, und was noch heil davonkommt, trieft von Erfahrungen und Weisheit. Ich bin noch zu voll von diesem Weib, um ein freies, gutes, erlösendes Wort niederschreiben zu können. Die Liebe ist eine Folter, grausam und nachhaltig. „Dies Fräulein Mirbeth“ ist ein Wunder an Charakterlosigkeit, Treulosigkeit und jener echt weiblichen Verschlagenheit, die den Mann nie zur Ruhe kommen läßt. – Ich bin erlöst!

Aber wer weiß, vielleicht liebe ich sie noch. Wie schön war es auch in diesen stillen, stürmischen Liebesnächten!

25. Februar.

Es gelingt mir nichts Rechtes mehr. Was ich angreife, bleibt auf halbem Weg liegen. Ich bin wie betäubt; ich bin verdummt. Stets brennt mich etwas im Innern, stets scheucht mich etwas auf. Stets muß ich nachdenken ins Bodenlose hinein. Ich kann nicht schlafen, und ich liege des Nachts stundenlang am Fenster. Dem Wandel der Sterne schau ich zu, und dem Rauschen des Windes lausch ich. Es geht eine leise Frühlingsahnung durch die finstern Straßen. Die Natur, das ganze Universum erscheint mir wie eine Brust voll Leiden und Leidenschaften und voll Sehnsucht und sie will den Tod nicht kennen, der ihr zur Seite steht.

Ich kann nicht schlafen. Es ist vier Uhr nachts. Soeben ist Mely heimgekommen; beim Oberst war Gesellschaft, wie mir Frau Bender sagte. Es friert mich vor der Zukunft. O könnt ich einen hundertjährigen Schlaf thun. Aufwachend erblickt ich die Welt verschönt und die Nationen versöhnt, und ich brauchte nimmer auf den Präparirboden, um übelriechende Leichen zu zergliedern und zu zerlegen. Wie erfinderisch ist die Natur in den Krankheiten, mit denen sie uns heimsucht. Jeder Kuß, den wir erhalten, muß bezahlt werden mit einem Übel an Leib oder Seele, und über unser Glück eilt die Zeit hinweg und hinterläßt uns blasse Bilder, blasse Schemen.

26. Februar.

Ich träume seltsam. Ich träume z. B. vor mir stünde eine große Blume. Und ich bilde mir ein, das müsse eine Lotosblume sein, obwohl ich noch nie eine solche gesehen habe. Dann fließt Blut aus dem Kelch und ich kniee davor und trinke es. Oder ich träumte, Mely sei bei mir und sie ruft mich zu kommen. Aber ich kann mich nicht bewegen, ich bin nicht Herr meines Körpers, wie erstarrt stehe ich da und kann weder vorwärts noch rückwärts.

27. Februar.

Sie geht an mir vorbei, – fremd und ohne Gruß. Wenn sie im Wohnzimmer ist, so thue ich gegen die Damen sehr heiter und sorglos, und bin so galant als möglich. Warum das aber? Würde ich es thun, wenn sie mir gleichgültig wäre? Ich liebe sie noch, das ist alles. Oder nein, ich liebe sie mit verzehnfachter Liebe, mit brennender, schmerzhafter, zitternder Liebe. Aber ich darf nicht nachgeben. Wenn ich mich wieder schwach zeige, ist alles verloren. Es giebt nichts Dümmeres, als einen Mann, der konsequent sein will.

1. März.

Einmal sagte sie zu mir: Wenn wir beide glücklich sein wollen, müssen wir allein sein. Aber wie sollt ich sie gewinnen? Wie kann sie je mein eigen werden? Sie macht Ansprüche an das Leben, und sie will es hübsch bequem haben. Wie könnte sie den Kampf des Mannes gegen das Schicksal mitkämpfen!

Trauer erfüllt mich ganz. Meine Kraft ist aufgelöst und meine Freudigkeit ist dahin. Wenn ich mir ein Bild ihres Wesens zu machen suche, so zerfließt alles vor meinen Augen. Ist sie gut oder böse? weichmütig oder boshaft? störrisch oder hingebend? Ach, am Morgen ist sie willig und des Abends trotzig; am Mittag herausfordernd und spöttisch und des Nachts dem Weinen nahe in grundloser Verstimmung.

Ich sehne mich nach ihr und mir schmeckt weder Arbeit noch Essen.

4. März.

Da liegt sie neben mir und schläft. Die zwei Fauteuils sind zusammengerückt, so daß sie eine Art Divan bilden und darauf schlummert sie. Das Wasser zum Kaffee wird bald zu kochen beginnen. Sie hat meinen Mantel um den Körper und über ihren Füßen liegt das weiße Deckbett. Die Haare hängen aufgelöst bis auf den Boden. Um uns ist die stille, tiefe Nacht. Bisweilen wird die Ruhe von fernem Wagengerassel gestört.

Ich finde, dies ist so sehr charakteristisch. Wenn ich frage: Mely friert dich? Willst du meinen Mantel? so schüttelt sie den Kopf. Aber bald darauf erhebt sie sich und holt sich den Mantel selbst.

5. März:fünf Uhr morgens.

Soeben ist sie schlafen gegangen. Wie wild, wie toll war diese Nacht wieder! In solchen Stunden, wo sie erfüllt ist von einer fast ingrimmigen, verhaltenen Leidenschaft, ist sie nicht mehr sie selbst. Sie hat sich vergessen, sich ihres Selbst beraubt, sie schmilzt hin in weicher Ergebung, in seufzender, matt abwehrender Begierde. So ist sie schön und auch überaus begehrenswert. Ich möchte die Feder, mit der ich schreibe, ganz in den wunder-wundervollen Duft tauchen, womit in solcher Nacht ihr Wesen umschleiert ist. Unvergeßlich ist es und herrlich. Stumm ist die Nacht und die Zeit hat kein Maß mehr den Sinnen. Alle Organe sind ins Krankhafte verfeinert, und wenn sie seufzt, so vermute ich einen tiefen Schmerz in ihr, und höre nicht auf zu fragen. Aber unbewußt frage ich, nur um sie zu liebkosen mit der Stimme, um sie zu trösten, um ihr zu versichern, daß sie beschützt sei. Alles was sie denkt, errate ich, und sie nimmt es mit einem halb verwunderten, halb dankbaren Lächeln auf. Nichts Verborgenes ist mehr in ihrer Seele und ich bin beruhigt.

Ich weiß gewiß, daß ich nicht schlafen werde. Ich werde noch lange dasitzen und über jede ihrer Gebärden, jedes ihrer Worte sinniren. Wie ein schweres Gewicht liegt die Liebe auf meinem Herzen, aber ich trage es willig. Gleich der Blume eines kostbaren Weins, so berauschend ist dies Gefühl. Aber der Vergleich ist von geringer Güte. Schwach sind die Worte und hinfällig jedes Bild. „O du,“ flüsterte sie beim Hinausgehen, „du hast mich leergetrunken mit Küssen.“

7. März.

Wer vermöchte das zu glauben: Ein junges Weib besucht allnächtlich den Geliebten, der sie bestürmt, sich ihm hinzugeben, – völlig und unwiderruflich. Er taucht sie unter in eine schwüle Flut von Liebe, – und sie widersteht! Sie ist voll Furcht gegenüber diesem Letzten, und sie trauert, wenn ich sie bestürme. „Schau, warum willst du das? Du willst mich erniedrigen, du willst mich unglücklich machen. Muß es denn sein? Du sagst, das sei der Inhalt des Lebens? Das ist nicht wahr. Denn was wird nachher sein?“ – So spricht sie. Und dies ist das Mädchen, das bis zu seinem zwanzigsten Jahre glaubte, vom bloßen Küssen bekäme man ein Kind. Ich kann mir nicht helfen, diese Beweisführung macht mich krank vor Mißtrauen. Es klingt so elegisch, so unjugendlich. – Aber ich prüfte mich genau: Ich selbst fürchte jenen Schritt. Weshalb? Der Himmel mag es wissen.

10. März.

Sie fragte mich, ob sie meine erste Liebe sei. Ich erwiderte ihr, daß ein Mann heutzutage allzuviel Gelegenheit habe, sein Herz zu verschenken, wie man poetisch sagt. Sie verstand mich. Aber ich sagte ihr auch, daß eine Liebe, wie die, welche ich jetzt empfinde, nicht zum zweiten Mal wiederkommen könne im Leben. Man kann nur ein Mal lieben, aber verliebt sein kann man in jedem Frühling aufs neue. Sie sah mich ungläubig und zärtlich an. Sie schmiegte sich an mich und verbarg ihr Gesicht.

Wie sehr quälen wir uns beide, indem wir uns die letzte, reife Frucht der Liebe vorenthalten! Bisweilen legt sich eine geheimnisvolle Verbitterung zwischen uns, dann wieder ein absichtliches Mißverstehenwollen. Ich lese dann in ihren Augen einen heißen Wunsch, aber auch die Starrheit eines festen Entschlusses. Und ich kann ihr nicht grollen. Ich möchte sie oft um Verzeihung bitten, wenn meine stürmische Leidenschaftlichkeit sie zu überwältigen droht. Wie viel sagen mir ihre Augen! Du bist mir alles, reden sie; Ziel und Ende des Lebens, und in dir kann ich vergehen. Ich bete täglich – scheinen sie oft zu sagen – daß du mich erwerben mögest, aber ich verdiene deine große Liebe gar nicht. Ich habe Sehnsucht nach dir, wenngleich du bei mir bist. Ich liebe dich mit aller Kraft meiner Seele … So wortarm ihre Zunge ist, so reich an Ausdruck sind diese schwarzen, herrlichen Augen. Und wenn ich hineinsehe in diesen leuchtenden Abgrund, so muß ich mir sagen: Unmöglich ist es, daß dieses stolze, zarte Weib sich jemals einem ungeliebten Mann hingebe. Ich bitte ihr im Herzen all meine Zweifel ab.

13. März.

Ich erhielt Nachricht, daß der einzige Oheim, den ich noch mütterlicherseits besitze, in Biarritz schwer erkrankt sei. Wenn er stirbt, so erbe ich etwa achtzigtausend Mark, falls nicht auch er mich mit dem Anathem belegt hat.

Ich kam zu Mely ins Zimmer, als sie gerade mit dem Ausräumen ihres Schranks beschäftigt war. Heiter sah ich ihr zu, und ich war beglückt, wenn sie sich mir auf einige Schritte nahte, und ich erschrak und sehnte mich nach ihr, wenn sie in eine Ecke des Zimmers ging. Wir sprachen nicht, aber sie empfand meine Gegenwart, und in jeder Bewegung drückte sich das Bewußtsein aus, mich nahe zu wissen. Plötzlich fiel ein schwerer Gegenstand zu Boden. Ich blickte hin und gewahrte einen Revolver. Lächelnd fragte ich, was sie denn mit der Waffe anfangen wolle. Mely war jedoch totenbleich geworden. Zitternd schaute sie auf den Revolver hinab und ihre blutleeren Lippen suchten vergebens nach Worten. Da ward mir heiß. Ich sprang auf und trat zu ihr hin. „Was hat es für eine Bewandtnis mit dem Ding?“ fragte ich erregt. Sie sah mich wie geistesabwesend an und flüsterte: „Ich weiß nicht.“

Kurze Zeit darnach, als sie sich wieder gefaßt hatte, erzählte sie mir eine Geschichte; daß ihr der Oberst den Revolver zur Jagdausrüstung geschenkt habe, daß man einst drüben nach Karten geschossen und daß sie unvorsichtigerweise den Oberst mit einem Schuß am Arm gestreift habe. Aber ich fühlte es deutlich in meinem Herzen: es war nur eine Geschichte, schnell erfunden und nicht einmal gut erfunden. Wie sehr empfand sie, daß ich die Lüge ahnte! Sie wagte nicht mehr, mir frei ins Auge zu sehn. Das brennt mich wie Feuer.

14. März.

Ich erhielt den Besuch des Fräuleins von Erdmann. Sie schilderte mir in tragischer Deklamation ihre bittere Lage und ich muß gestehn, daß ich großes Mitleid mit ihr hatte. Zum Schluß fragte sie, ob ich ihr nicht zweihundert Mark leihen könne. Ich mußte lachen, so sehr ich mir auch Zwang anthat. Ich armer Teufel habe also doch verstanden, den Schein einer sicheren Existenz aufrecht zu erhalten. Das erfüllt mich beinahe mit Stolz und ich bin zufrieden mit mir. Aber ich wurde traurig über dies zerstörte Leben, welches da vor mir saß; und so bombastisch und so monumental die beleibte Dame auch ihre Rolle der Erniedrigten und Elenden spielte, ich begriff doch, daß hier das Schicksal einen wuchtigen Faustschlag geführt haben müsse, um so viel Herrischkeit, Eigenliebe und Stolz zur Pose einer Bittstellerin herabzuzwingen. Ich suchte zu trösten und zu ermutigen.

Alles in diesem Hause geht seinem Ruin entgegen. Die „Pension“ ist nur noch ein frommer Titel. Frau Bender ist beim Fleischer, beim Bäcker, beim Krämer so tief verschuldet, daß sie nichts mehr kreditirt erhält. Ich sehe nur gesenkte Köpfe und gerötete Lider. Die Pension war zum Verkauf ausgeschrieben, aber Niemand hat sich beworben. Jetzt sollen die Möbel veräußert werden. Die Familie will auswandern.

Die Einzige, die herumgeht, heiter und guter Dinge, ist Helene. Sie thut, als ginge sie das alles gar nicht an. Sie lächelt, als ob sie sagen wollte: die Mutter ist ja da, sie muß nun einmal dafür sorgen, daß wir genug zu essen haben.

17. März.

Fräulein von Erdmann ist ausgezogen, Niemand weiß, wohin. –

Mely kam zu mir ins Zimmer und weinte. Sie redete nichts, sie gab auf mein Fragen keine Antwort: sie weinte und ging wieder. Es legt sich wie ein nasser Dunst um meine Augen und mir bangt vor Kommendem. – Dann am Abend sagte sie mir, daß sie oftmals in der Nacht aufwache und weinen müsse. Sie wisse nicht warum, aber die Thränen überwältigten sie.

„Was wirst du thun,“ fragte ich sie, „wenn ich dich verlasse, wenn ich eine Andere liebe –?“ Sie zuckte die Achseln. „Nichts. Ich werde vielleicht traurig sein, aber ich werde mich trösten.“ – „Nein, nein, das ist nicht wahr. Du wirst nicht länger leben mögen, –“ – „O, wie sehr täuschst du dich! So viel Kummer warst du doch dann nicht wert.“ – „Ja, du hast recht. Aber ich könnte niemals von dir lassen.“ – „Geh, geh.“ – „Ich wollte, es wäre nicht so. Doch lieb ich dich mit allem was ich bin und thu und denke. Du bist ein Bestandteil meines Körpers geworden, und wenn wir uns trennten, wärs, wie wenn man mir einen Arm amputirte.“ Sie lächelte seltsam und seufzte. „Und du,“ fuhr ich fort, „du entziehst dich mir, und du zeigst nur dadurch, daß du mir nicht vertraust. Hast du nicht einmal gesagt, du könntest mich lieben wie Julia?“ – Sie schwieg und schloß die Lider ganz. „Ich kann es nicht,“ flüsterte sie endlich beengt. – „Wenn ich dich aber nun so flehte, daß du nicht anders könntest, wenn ich weinte, wenn ich alles davon abhängig machen würde, – Schatz, du guter, könntest du dich dann immer noch weigern?“ – Sie sah mich traurig an und schüttelte den Kopf. – „Du würdest nachgeben –?“ – „Ja.“ – „Aber dann, was dann?“ fragte ich leise, erschrocken von dem Ausdruck ihres Gesichts. – „Dann würde ich mir das Leben nehmen.“ – Ich fühlte, wie in mir etwas erstarrte. Aber sie blickte mich furchtlos an; nur ihre Finger zerrten krampfhaft an dem Saum meines Rocks. Und plötzlich fiel ihr Kopf auf die Lehne des Fauteuils zurück. Sie war ohnmächtig geworden.

21. März.

In den letzten Nachmittagen treffe ich regelmäßig Doktor Wendland. Ich unterhalte mich vortrefflich mit ihm. Er ist durchaus kein Arzt gewöhnlichen Schlages. Er weiß viel und bringt seinem Beruf eine bedeutende Persönlichkeit als Mitgift. Jene große Güte, die mich schon beim ersten Eindruck so sehr bestach, vereinigt sich mit einer schönen Freiheit des Urteils, und er prüft Herz und Nieren seiner Patienten nicht nur im medizinischen Sinn; er will wissen, was auch in der Seele Derer vorgeht, die sich ihm und seiner Wissenschaft anvertrauen. Der Mann wird es noch weit bringen.

(Später.)

Ich habe mich ein wenig mit Melys Schwester unterhalten. Ich war ganz allein im Hause als sie kam; denn Benders sind spaziren gegangen … Ich bin nicht fähig, dieses Gespräch niederzuschreiben. Das Weib hat mein Herz schwer gemacht. Wie ein Wandrer die Nacht nahen sieht, ohne Hoffnung, das Ziel zu erreichen, so steh ich hülflos und verlassen auf ungebahnten Wegen und weiß nicht aus noch ein. Die Zweifel schrecken mich und quälen. Lange schon haben sie sich eingenistet in mir, und wenn ich ihnen jetzt nachspüre, muß ich sehen, wie die Schatten fester werden, lebendiger, überzeugender, bedrückender. O Mely komm! Deine Gegenwart nur, dein schmerzlich-inniges Lächeln kann die Gespenster vertreiben.

23. März.

Der Frühling ist da. Kühl war der Tag und die Sonne sinkt mit einem Strahlenfeuerwerk in die Tiefen des Westens. Die glänzenden Augen der Kinder rufen: Frühling! Die festlich glühenden Wangen der Jünglinge und Mädchen sprechen davon. Dichtes Gedränge erfüllt die Promenaden. Smaragdgrün leuchtet der Himmel herüber, am Horizont in ein tiefes, schwüles Rot übergehend. Den Fluß, den ich entlang wandelte, zog eine endlose Rauchwolke von zartem Braun wie der machtvolle Arm eines Riesen. Leiser Wind hub zahllose, kleine Wellen aus dem Wasser empor.

Ich bin krank. Fieber auf Fieber läuft in hastigen, kurzen Stößen durch meinen Körper. Brutal und herausfordernd starrten mir die Leute ins Gesicht. Und mir war, als seien sie alle frei, als sei die Seele aller voll Frühlingsglück und Festlichkeit, nur ich allein trug eine schwere Last auf dem Rücken, nur ich allein mußte leiden.

O, was ist vorgegangen mit mir!

(Nachts.)

Ein Mann wie Doktor Wendland lügt nicht. Das ist unmöglich. Weshalb sollte er auch. Er konnte ja gar nicht vermuten, daß dies „Fräulein Mirbeth“ die Inkarnation meiner Lebensfreude bildete. Er wußte ja gar nicht, daß ich sie überhaupt kenne …

Habe ich recht gehört? Oder habe ich nur vernommen was ich zu hören wünschte und zu hören fürchtete? Habe ich eine ahnungslos hingeworfene Bemerkung gewaltsam mißverstanden? ein harmloses Gespräch böswillig nach einem gewollten Punkt geleitet? Nein und abernein. Das alles kam von selbst. Es ist das Schicksal, das mich packt und mir einen Stoß versetzt, daß ich zum Abgrund taumelnd, allen Halt verliere. Und daß dieses Schicksal die freundlichen und mitleidenden Züge des Doktor Wendland annahm, – welche Ironie! –

Das war keine von den dunklen Andeutungen. Er ist ihr Arzt und muß es wissen. Er hat mich auch zweifellos verstanden. Nachdem er es gesagt, ergriff er meine Hände und schaute mich stumm an. Sein Blick ging mir durch und durch.

24. März.

Habe ich denn um Gottes willen recht gehört? Ist es möglich? ist es möglich? Bin ich belogen worden, hintergangen worden? Wo ist mein Schlaf hin, wo ist meine Ruhe? Was kümmert mich der Frühling, was schert mich die Sonne, die Blumen, die lachenden Kinder –! Dunkelheit liegt in meinem Herzen schwer und dicht. Melusine! – Sie hat diese an Güte so unerschöpflichen Augen, und sie hat mich betrogen. Sie hat diese Augen, strahlend in rührender Kindlichkeit, und sie lügt. Aber nein, ich habe mich getäuscht, ich habe den Doktor nicht verstanden. Ich will ihn wieder fragen. Ich will ihn beschwören um die Wahrheit. Wenn er seine Seele rein von Flecken halten will, möge er mir die Wahrheit sagen.

Thor! – Noch immer zweifelst du. Und zweifelst an der Gewißheit, nach der du vordem in zitternder Ungeduld haschtest. Warum weine ich nicht? Warum vergrabe ich den Kopf nicht in die Kissen und suche den Schlaf, den ewigen? Was will ich noch? Will ich die Bestätigung aus ihrem eignen Munde hören? Ich müßte mich schämen, so lange vertraut zu haben. Will ich mich rächen und zur Schußwaffe greifen, wie ich einst so pathetisch versprochen? Ist es möglich, daß die Sonne scheint, daß der Himmel so blau ist und daß es noch Dinge in der Welt gibt, worüber fröhliche Menschen sich freuen? Aber woher kommt es, daß ich schreiben kann, daß ich wohlgefügte Worte aufs Papier zu bringen noch fähig bin?