Loe raamatut: «Mein Garten(buch)»
Jamaica Kincaid
Mein Garten(buch)
Aus dem amerikanischen Englisch von Renate Orth-Guttmann
Kampa
In blinder, gefühlsmäßiger und hilfloser Liebe
für Annie & für Harold,
die manchmal der zornigen Überzeugung sind,
dass nur der Garten zwischen ihnen und einem
vollkommenen Einssein mit ihrer Mutter steht,
und manchmal recht damit haben.
Dass ich als Erwachsene eine Neigung zum Garten fasste, kam so: Kurz nachdem ich zum ersten Mal Mutter geworden war, schenkte mir mein Mann zum sogenannten Muttertag eine Hacke, einen Rechen, einen Spaten, eine Grabgabel und Blumensamen. Es war mein zweiter Muttertag; zum ersten hatte er mir Ohrringe geschenkt, die hatte ich in der Küche auf einen Tisch gelegt, von wo sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden; weder ich noch sonst jemand, nicht die Putzfrau, nicht die Frauen, die mir halfen, mein Kind zu hüten, nicht mein Mann, nicht mein Kind – niemand hat sie angeblich je wiedergesehen. Ich kann mich nicht erinnern, ob die Samen und die Werkzeuge eingepackt waren, aber ich kann mich erinnern, dass ich sofort damit nach draußen ging und einen großen Teil des kleinen Gartens umgrub, einen Flecken Erde, der noch nie bestellt worden war, und dass ich alle Samen aus den Tütchen in die Erde brachte. Und dabei blieb es, denn nichts ging auf, der Boden war nicht ordentlich vorbereitet, er lag im Schatten einer mächtigen Eiche und eines mächtigen Ahorns (ja, diese beiden Bäume standen tatsächlich in unmittelbarer Nachbarschaft, und ich wusste nicht, was ich an ihnen hatte; zu ärgerlich, dass sie im Herbst ihre Blätter verloren und den ganzen Garten verschmutzten (dachte ich damals)).
Nebenan wohnte ein Mann namens Chet, der nur richtig atmen konnte, wenn er an eine Sauerstoffflasche angeschlossen war; hin und wieder kam er heraus, rauchte eine Zigarette und kümmerte sich um seine riesigen Tomaten, die dicht am Haus wuchsen. Die Tomaten waren dort der vollen Sonne ausgesetzt, und ihm war einerlei, ob aus dem Baumaterial seines Hauses womöglich Gifte in den Boden gelangt waren, in dem seine Tomaten wuchsen. Seine Tomaten gediehen und schmeckten köstlich; mein Gartenstück, das ich um den Preis von Blasen und schmutzigen Händen umgegraben hatte, sah aus, als hätte ein Tier dort irgendetwas Interessantes vermutet und vergeblich danach gewühlt; kein Mensch hätte beim Anblick dieses Durcheinanders, das ich angerichtet hatte, auf den Fundort eines verloren geglaubten Schatzes getippt.
Ich zog in ein anderes Haus, das gar nicht weit weg war und einen größeren Garten hatte. Chet starb, und ich schäme mich noch heute, dass ich ihn nach meinem Umzug nie mehr besuchte, ich war auch nicht auf seiner Beerdigung, obwohl ich davon wusste, und wenn ich heute seiner Frau Millie begegne, geht sie mir aus dem Weg (und ich mache es gewiss genauso, aber ich denke doch, dass eher sie es ist, die mir aus dem Weg geht). Das Haus, in das ich zog, hatte einer Mrs. McGovern gehört, und auch sie war gerade gestorben, aber ich hatte sie nicht gekannt und vorher auch noch nie von ihr gehört, deshalb brachte ich das Haus vom Gefühl her nicht mit ihr in Verbindung, bis eines Tages in meinem ersten Frühjahr in diesem neuen Haus und auf dem neuen Grundstück Folgendes geschah: Im Herbst hatten wir jemanden teuer dafür bezahlt, dass er den Rasen hinter dem Haus neu anlegte; der Rasen war auch sehr schön geworden, doch im Frühjahr schoben sich an vielen Stellen rötlich-braune Triebe durch die schöne neue grüne Fläche. Ich ärgerte mich so sehr, dass ich gerade kurz davor stand, den Rasenmenschen anzurufen und mich bitter zu beklagen, als meine neue Nachbarin, Beth Winter, mich besuchen kam und mir erzählte, wie schön es für sie sei, mit ihrer Familie – ihrem Mann und drei Kindern – in demselben Haus zu leben, in dem sie aufgewachsen war; als sie meine Klagen über den Rasenmenschen hörte und die rötlichbraunen Triebe sah, sagte sie: »Aber Mrs. McGovern hatte doch ein Päonienbeet!« Und so lernte ich, wie junge Päonientriebe aussahen, und auch, wie ein Ahorn aussieht, aber nicht, dass er auf Lateinisch Acer heißt; die lateinischen Namen lernte ich später, mit Widerstand.
In jenem ersten Frühjahr im Haus der alten Mrs. McGovern (da war sie schon lange tot) entdeckte ich ihr großes altes Taglilienbeet (Hemerocallis fulva), das direkt unter dem südwestlichen Küchenfenster wuchs, und Rob (Woolmington) kam mit seinem bescheidenen Rototiller und fräste ein schönes großes Rechteck für meinen Gemüsegarten und lief dann mit diesem bescheidenen Rototiller hinter mir her einmal um das Haus herum und legte auf mein Geheiß wunderlich geformte Beete an, sodass es schließlich aussah, als sei um das Haus ein schützender Wassergraben gezogen, aber es war kein richtiger Graben mit Wasser darin, sondern das Ergebnis einer ersten begeisterten Annäherung an die Gartenkunst.
So fing mein Garten an; es wäre aber auch nicht falsch zu erwähnen, dass ich damals gerade ein Buch las (von dem Historiker William Prescott), und dass es in diesem Buch um die Eroberung Mexikos oder – wie man damals sagte – Neuspaniens ging, und ich darin auf Blumen stieß, die Tagetes hießen und Dahlie und Zinnie; danach war der Garten für mich mehr als der Garten, den ich vorher im Kopf gehabt hatte. Danach war auch der Garten selbst etwas anderes.
Als ich mich endgültig in Mrs. McGoverns Haus eingelebt hatte (oder dem »Gelben Haus«, wie die Kinder es nannten, denn es war gelb angestrichen), hatte ich schon Teile des Rasens hinter dem Haus und Teile des Rasens vor dem Haus zu sehr wunderlichen, gartenunüblichen Formen umgegraben oder umgraben lassen. Diese Beete – denn ich versuchte, so etwas wie Blumenbeete zustande zu bringen – waren von eigentümlicher Gestalt, eigentümlich im Vergleich zu Blumenbeeten, wie sie im Garten üblich sind; mir war klar, dass sie eigentümlich waren und dass sie nicht so aussahen wie die Blumenbeete in von mir bewunderten Gärten, den Gärten meiner Freunde, in Gartenbüchern beschriebenen Gärten, aber das war nun nicht zu ändern; ich wünschte mir einen Garten, der so aussah wie etwas, was ich im Geiste zu sehen meinte, aber was genau das war, wusste ich damals nicht und weiß es bis heute nicht. Und ich glaube auch zu wissen, warum das so war: Der Garten ist für mich so eng mit Worten über den Garten und mit Worten an sich verknüpft, dass jede feste Vorstellung von Garten, jedes feste Bild für mich eine Provokation darstellt.
Erst als ich ein paar Jahre später in dem Haus von Dr. Woodworth lebte (dem braun verschindelten Haus mit den roten Fensterläden), durchschaute ich die Form dieser Beete. Dort hatte ich viel mehr Platz; ich hatte einen Rasen und hinter dem Rasen noch mehrere Morgen Land. Der Rasen hinter diesem Haus war größer als der Rasen hinter dem Haus der alten Mrs. McGovern, und deshalb waren auch meine Beete größer und wunderlicher, den in einem richtigen Garten üblichen Beeten noch unähnlicher, und es wurde immer schwieriger, sie anderen Gärtnern zu erklären, die mehr Erfahrung mit dem Garten und einen herkömmlicheren Schönheitsbegriff von Gärten hatten als ich. »Was ist denn das?«, wurde ich gefragt. »Was denkst du dir dabei?«, wurde ich gefragt. Manchmal antwortete ich dann: »Ich weiß es selbst nicht«, manchmal auch » …« (mit tiefem Schweigen). Als mir dämmerte, dass der Garten, den ich schuf (und immer noch schaffe und in Zukunft schaffen werde) so ähnlich aussah wie eine Landkarte der karibischen Inseln und des Meeres darum herum, erzählte ich es nicht den Gärtnern, die mich gefragt hatten, was das sei oder was ich mir dabei gedacht hatte; ich konnte nur staunen, wie sehr doch der Garten für mich eine Übung des Erinnerns ist, eine Möglichkeit, zu einer Vergangenheit zu finden, die meine eigene ist (die Karibik), und einer Vergangenheit, die indirekt zu mir in Beziehung steht (die Eroberung Mexikos und der umliegenden Gebiete).
Teil I
Blauregen
An wen könnte ich mich wohl mit folgender Frage wenden: Warum blüht meine Wisteria floribunda, auf Stamm gezogen, weil sie später einmal wie ein Bäumchen aussehen soll, Ende Juli, fast schon im August, statt im Mai, wie es sich für einen Blauregen gehört? Dieser zur Unzeit blühende Blauregen ist blau. Ich habe noch einen anderen, ganz ähnlichen, der weiß blühen müsste, stattdessen aber gar nicht blüht, sondern nur lange Ranken aussendet, die sich in die Zweige der in einiger Entfernung stehenden Rosa ›Alchymist‹ schlingen, sich in ein Geißblatt (Lonicera) drängen und lange Wege in Kauf nehmen, um eine rote Rose (Rosa ›Henry Kelsey‹) zu umranken. Was tun? Das ist eine Frage, die ich mir gern stelle, besonders dann, wenn ich selbst keine Antwort weiß. Wenn sich die Frage »Was tun?« stellt (Schnecken, wohin man sieht!) und ich eine gebrauchsfertige Lösung bei der Hand habe, fühle ich mich sicher und geborgen in der Welt (meiner Welt), und auch wenn es sich um ein anderes Problem handelt (der Blauregen blüht zur Unzeit), fühle ich mich immer noch sicher und geborgen, weil ich denke, dass irgendwer irgendwo genauso ratlos ist wie ich (denn bestimmt bin ich doch nicht die Erste, die so etwas erlebt) und dass sie/er mir das Phänomen erklären kann: Mein Blauregen, auf Stamm gezogen (weil er später einmal wie ein Bäumchen aussehen soll), blüht zwei Monate nach seiner normalen Blütezeit. Machen das Stämmchen manchmal in ihrer Jugend, weil der Übergang von einer Form (Ranken) zu einer anderen (Strauch, Bäumchen) so heikel und unüblich ist und sich der Versuch, diesen Prozess zu bewältigen, als so schwierig erweist, dass dabei die korrekte Blütezeit geopfert wird – wie bei einem Termin mit der Schulleiterin, um deine Haare begutachten zu lassen, zu dem du zwar pünktlich erscheinst, aber mit Haaren, die nicht so sind, wie sie sein sollten, nicht so frisiert, wie es ihr gefällt oder wie sie es versteht? Was mache ich mit dem Blauregen? Lasse ich ihn blühen, wie er will? Die neuen Knospen, die er unermüdlich produziert, sehen authentisch aus, wirken aber trotzdem nicht ganz überzeugend, wie Mutproben, mit denen der Blauregen sogar sich selbst überrascht, als sei seine Unzeitigkeit eine schüchterne, versuchsweise Frage.
Aber was tun mit diesen schlappen Hängeranken mitten im Sommer, mit diesen traurigen Farben und Formen, die auch im Frühjahr etwas Trauriges an sich haben, aber Trauer um den Tod von etwas, das lange vorbei ist (im Frühjahr ist der Winter tot, und nicht nur das, es gibt nicht die geringsten Anzeichen, dass er je wiederkommen wird). Im Sommer gibt es diesen Purpurton, der Eisenhut hat ihn, er fängt Ende Juli an zu blühen, und ich habe so viele verschiedene Sorten, dass irgendeiner bis in den Oktober hinein blüht, aber Eisenhut sieht nicht traurig aus, sondern giftig (was er auch ist) und böse oder von etwas Bösem beseelt wie alles, was sich unter einem Hut, einer Kapuze verbirgt. Ich mag den Eisenhut eigentlich vor allem deshalb, weil Freunde, die ich durch den Garten lieben gelernt habe (Dan Hinkley, Annie Woodhull) Eisenhut ziehen, bildschönen Eisenhut, und immer wieder sagen, wie wunderbar es ist, diese Farbe (tiefes Blaulila) um diese Jahreszeit (Hochsommer, Spätsommer) im Garten zu haben, und ich weiß natürlich, wie sie es meinen, aber insgeheim frage ich mich, warum es nicht eine Blume geben kann, die so schön anzusehen ist wie der Eisenhut, aber in einer meiner Lieblingsfarben blüht: gelb oder etwas im gelben Bereich. Was tun?
Der angeblich weiß blühende Blauregen hat nie geblüht. Eines Tages fand ich beim Jäten in seiner Nähe zwei lange Triebe, die aus dem Wurzelstock wuchsen, und schnitt sie so ingrimmig ab, als hätten sie etwas angestellt und müssten dafür bestraft werden. Wird er je blühen, frage ich mich, und was tue ich, wenn er es nicht tut? Werde ich mich mit seiner breiten Form zufriedengeben, seinem üppigen Laub, seiner Blütenlosigkeit, und werde ich dann etwas dazusetzen, was zu ihm passt? Was tun?
Und überhaupt: Mittsommer … Was mache ich damit? An einem einundzwanzigsten Juni, dem sogenannten Mittsommertag, war ich einmal zu Besuch in Finnland, und zusammen mit ein paar Finnen blieb ich die ganze Nacht auf, wir gingen in die Sauna und von der Sauna in den See – die Sauna stand am Ufer des Sees –, und danach zum Tanzen und trafen dort Menschen, die nicht wie meine finnischen Gastgeber aussahen und die die Finnen Zigeuner nannten. Das ist unsere Art, Mittsommer zu feiern, sagten meine Finnen, hinein in die Sauna und wieder heraus, und hinein in den See und wieder heraus und dann in einen Saal zum Tanzen in Gesellschaft von Menschen, die Zigeuner genannt werden. Der Schmetterlingsstrauch ›African Queen‹ soll (so steht es in Dan Hinkleys Katalog) zum Mittsommer blühen, aber er blühte vor dem spät (und falsch) blühenden Blauregen und gleich nach dem Tag, an dem sie in Finnland Mittsommer feiern; der Schmetterlingsstrauch ›Potter’s Purple‹ blüht jetzt, Ende Juli, gekauft aber hatte ich ihn, weil ich gedacht hatte, er würde von Ende August bis Anfang September blühen; und was tue ich jetzt, wenn der August zu Ende geht (und damit muss ich leider rechnen, denn ich mag den August, während ich den Winter ganz und gar nicht mag, weshalb ich nie so recht glauben kann, dass er tatsächlich wiederkommt), worauf soll ich mich dann freuen? Die Aster ›Little Carlow‹, fraglos die schönste Aster der Welt, hat jetzt Knospen, die aussehen, als könnten sie jederzeit aufgehen, gewöhnlich aber blüht sie Ende September bis Anfang Oktober in einem bläulichen Purpurton, bei dem einen nicht Traurigkeit erfasst, sondern ein großes Staunen: Wie kann es so eine Farbe geben, und was für eine Farbe ist das genau? Was tun? Auch der Mauerpfeffer begann Ende Juli/Anfang August zu blühen, und von dem Schmetterlingsstrauch ›Pink Delight‹, der Anfang September blühen soll und speziell deswegen gepflanzt wurde, aber Ende Juli/Anfang August in Blüte steht, will ich gar nicht erst reden. Was tun?
Diese Aufregung, wenn ich im Garten bin, und dieses Glück, dass ich mich so aufregen kann! Dieser Ärger, den ich oft im Garten empfinde, und dieses Glück, dass ich mich so ärgern kann. Was tun? Nichts läuft so, wie ich es mir gedacht, nichts sieht ganz so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte, und wenn es manchmal doch so aussieht (was gottlob selten ist), erschrecke ich über meine hausbackene Phantasie. Warum passt dieser wunderbare Hängeblauregen (jedenfalls sah er in einem Katalog so aus – wunderbar, einladend, geradezu vollkommen) nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, an die beiden Enden einer Terrasse aus einem Patchwork aus einheimischem Vermonter Stein? Bisher habe ich das Element Wasser noch nicht richtig verstanden und konnte mir eigentlich auch nicht leisten, es in meinen Garten einzubeziehen. Ein Teich war mir zu teuer, und im Gesamtplan meines Gartens konnte ich mir einen Platz für einen Teich auch nicht so recht vorstellen. Im Grunde mag ich keine Teiche. Aus dem Teil der Welt, in dem ich als Kind gelebt habe, der dem, in dem ich jetzt lebe (und in dem ich einen Garten angelegt habe), diametral entgegengesetzt ist, kannte ich Teiche als kleine, wirklich kleine Wasserflächen, die von selbst entstanden waren (ich wüsste von keiner Menschenhand, die sie in diese Form gezwungen hätte), und die schön, aber keineswegs harmlos waren: Sie waren voller Blumen; Wasserlilien, deren Früchte geröstet sehr süß waren und die zu ernten sehr gefährlich war, denn von denen, die sie so gern aßen (die Kinder), konnte so gut wie niemand schwimmen, und deshalb war die Frucht der Wasserlilie zu ernten eine gefahrvolle Angelegenheit. Ich meine mich zu erinnern, dass Menschen (Kinder) bei dem Versuch, an die Wasserlilien heranzukommen, ums Leben kamen, aber vielleicht stimmt das nicht, vielleicht fürchtete ich nur, es könnte dazu kommen, vielleicht dachte ich auch, ich würde bei dem Versuch, die Frucht der Wasserlilie zu ernten, ums Leben kommen. Ich habe die Frucht der Wasserlilie gegessen, sie ist köstlich, aber wie sie schmeckte, weiß ich nicht mehr, nur eben köstlich, über alle Maßen köstlich, und auch wenn ich mich an den Geschmack nicht mehr genau erinnern kann – ihre Köstlichkeit ist mir unvergessen.
In meinen Garten müsste es eigentlich einen Teich geben. In jeden Garten mit ernsthaften Absichten (was immer das auch bedeuten mag) gehört auch das Element Wasser. Mein Garten hat keine ernsten Absichten, mein Garten hat nur Zweifel über Zweifel. Was mache ich mit dem Blauregen, der zur Unzeit blüht (wobei Unzeit bedeutet, dass er sich nicht an die Saison hält)? Und gerade jetzt fällt mir ein, dass ich auch die weiße Spinnenlilie, die dicht neben dem (inzwischen) verwunderlichen Blauregen, praktisch zu dessen Füßen wuchs, Ende Juli habe blühen sehen; aber sie sah kränklich aus, der kahle Stängel war gebeugt und schlaff, die Blüten hatten sich halb geöffnet und waren dann zum Stillstand gekommen. Was tun? Im Frühjahr hatte die Spinnenlilie einen so gesunden Schopf grüner Blätter hervorgebracht, er sah aus wie das Ding, das der Rektor morgens in der Hand hatte, ehe er es auf eine Handfläche oder einen Po klatschen ließ (keinen nackten Po, er war durch Khaki geschützt); im Frühjahr war die Spinnenlilie so üppig, dass ich mir Sorgen machte, ob die Küchenschelle, hinter der ich so verzweifelt her gewesen war, sich gegen sie würde durchsetzen können (ich liebte ihre Blüten, ich liebte auch das, was danach kam, die Samenstände, die man vielleicht nur dann zu schätzen weiß, wenn man generell mag, was danach kommt, gewissermaßen das dicke Ende von dem, worüber man sich gerade noch gefreut hat). Und wieder die Frage: Was tun? Wen könnte ich fragen? Gibt es einen Menschen, dem ich eine solche Frage stellen könnte, und hätte dieser Mensch eine Antwort, die für mich auf rationale Weise einen Sinn ergibt (so, wie sogar ich inzwischen etwas als rational akzeptiere), und brächte dieser Mensch es fertig, mir im Rationalen das Verehrungswürdige nahezubringen und nicht nur das Zweckmäßige? Ich kenne das Zweckmäßige, es hält uns am Atmen; das Verehrungswürdige aber ist es, wofür es sich für uns (für mich) weiterzuleben lohnt.
Nur: Was tun? In dem Jahr, als der Blauregen sich nicht so benahm, wie er sollte, nicht so, wie ich es von ihm erwartet hatte, nachdem ich ihn aufgrund der glanzvollen Beschreibung in einem Katalog gekauft hatte, geschah noch anderes. Und wieder die Frage: Was tun? An einem Nachmittag, wie er sein sollte, die Sonne stand klar an dem ihr zugewiesenen Platz am Himmel, tauchte ein Fuchs aus meinem Wäldchen auf (es ist tatsächlich mein Wäldchen, denn ich habe aus einem Gewirr von Bäumen und Dornengestrüpp etwas gemacht, das wie ein Gewirr aus Bäumen und Dorngestrüpp aussieht, habe aber sorgsam und absichtsvoll all das ausgespart, was mir nicht gefällt, nämlich das, was ich noch nicht verstehe). Ich hatte um diese Tageszeit noch nie einen Fuchs so nah gesehen; ich erschrak (es machte mir Angst, in meinem Alltag etwas zu sehen, was so außerhalb meines Alltags lag), ich schrie auf, kann sein, dass ich rief: »Es ist ein Fuchs!« Die Haushälterin Mary Jean und Vrinda, die im Haus gewesen waren, kamen heraus und sahen ihn auch. Als der Fuchs merkte, dass wir ihn oder sie ansahen (wir konnten nicht erkennen, ob es ein männliches Tier war, das nach einer Partnerin Ausschau hielt, oder eine Mutter auf Nahrungssuche), blieb er im Schatten der Hecke stehen (ein ungeplanter, aber gern gesehener Spindelstrauch) und sah uns an, vielleicht hatte er Angst, weil wir da waren, vielleicht war er auch neugierig auf uns, nachdem er uns vielleicht schon früher unbemerkt beobachtet hatte. Der Fuchs stand da, vielleicht gebannt von meinem Aufschrei, vielleicht hatte er noch nie einen Schrei jener Spezies vernommen, zu der ich gehöre (ich denke, dass ich zur menschlichen Spezies gehöre, ich habe, was das angeht, meist ambivalente Gefühle, aber als ich den Fuchs sah, hoffte ich, er würde meinen Schrei als etwas Vertrautes empfinden, als etwas Menschliches). Was tun, als der Fuchs mich ansah, als interessierte er sich für mich ebenso, wie ich mich für ihn interessierte (wer ist er, was macht er hier, nur ein paar Schritte von meiner Haustür entfernt, die nur einen Steinwurf von der Stelle entfernt ist, wo er/sie möglicherweise einen Bau angelegt hat?). Nachdem der Fuchs mich eine Weile angesehen hatte (aber was heißt schon eine Weile?), entfernte er sich so elegant wie alle Geschöpfe, die sich sicher sind, dass der Boden, über den sie schreiten, nicht weichen und nicht wanken wird. Der Fuchs schlich durch den Beerengarten, jenen Teil des Gartens, der (eine Laune von mir) Früchten vorbehalten ist, deren Kerne im Ganzen verzehrt werden können mit einem Nutzen, den Adele Davis (sie ist inzwischen tot) vermutlich gebilligt hätte.
Was tun mit dem Fuchs? Als der Fuchs auftauchte, machte ich mir gerade keine Gedanken um den Blauregen. Im Schatten des Spindelstrauchs sah der Fuchs grau aus, sein Fell wirkte wie schmückendes Beiwerk, wie der Mantelkragen einer Person, die sich so etwas leisten kann, die Handtaschenverbrämung einer Person, die sich so etwas leisten kann, ein Wandbehang einer Person, die sich so etwas leisten kann und wider alle Vernunft dazu nicht hatte Nein sagen können; als er (der Fuchs) in jenen Teil des Gartens spazierte, der nicht im Schatten, sondern in voller Sonne lag, war sein Fell gar nicht mehr grau, sondern wirkte wie angestrahlt, wie eine Lohe. Der Fuchs flüchtete nicht vor mir, er rückte, als ich mich vorsichtig näherte, nur Stück für Stück von mir ab. Wie er mir dabei den Kopf zuwandte und mich beobachtete, während er von mir wegstrebte, war beängstigend: Ich kann so etwas nicht. Und dann verschwand er in einem Stück Wildnis, in das ich ihm nicht folgen konnte.
Was tun mit dem Fuchs? Denn in jenem Frühjahr, in dem ich besorgt den Blauregen im Auge behielt und zusah, wie die Knubbel an den hängenden Ranken dicker wurden und kleine grüne Triebe freigaben, sah ich etwas Kleines, Rundes hinter den Rosenbüschen (Rosa ›Stanwell Perpetual‹) herumhopsen und dann hinter ein paar Töpfen verschwinden, in denen ich Wicken ziehen wollte. Das kleine runde Etwas bewegte sich schneller als ein Erdhörnchen, es hatte keinen langen Schwanz und war deshalb hübscher als eine Ratte; es kam langsam hinter den Töpfen hervor und riskierte einen Blick, dann kam es vollends heraus und sah mich groß an. Es war ein junges Kaninchen, und ich merkte (ich spürte, ich meinte zu merken), dass es noch nicht wusste, was Gefahr bedeutete, es war nicht unnütz und fraß (soweit ich sehen konnte) nichts, was (als Zierde oder in anderer Beziehung) einen Wert für mich hatte; es war nur insofern lästig, als es manchmal unerwartet auftauchte und mich aus irgendwelchen sorgenvollen Gedanken aufschreckte (meist mache ich mir sorgenvolle Gedanken im Garten, meist ärgere ich mich im Garten). Seine Mutter muss sich Sorgen um den kleinen Kerl gemacht haben, denn einmal sah ich, wie sie (ich denke mir, dass es seine Mutter war, ich hatte das Gefühl, es müsse seine Mutter sein) nach ihm suchte. Einmal sah ich sie aus dem Wäldchen herauskommen, ein andermal in Gesellschaft anderer Karnickel, und ich konnte sie von den anderen Karnickeln unterscheiden, denn keins der anderen war so groß wie die Mutter oder so klein wie das Junge. Und dann sah ich sie nicht mehr und dachte auch nicht mehr an sie, bis ich an jenem Tag den Fuchs aus dem Wäldchen auftauchen sah. Seither habe ich sie nicht mehr gesehen, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht mehr an sie denke. Erst vor einer Stunde habe ich an sie gedacht, als ich drei lebende Hummer in einen Topf mit kochendem Wasser legte, und es ist möglich, dass ich morgen an sie denke, wenn ich im Lauf des Tages die Hummer esse. Kann man Hummerscheren kompostieren? Ich werde es nachschlagen, ich habe ein Buch, in dem steht, was man mit all dem machen soll, was im Garten anfällt, und manchmal beherzige ich seine Ratschläge und manchmal nicht; manchmal tue ich, was mir passt, manchmal tue ich im Garten nur das, was mir gefällt.
Was tun? Denn dieser Sommer war wie kein anderer, und dieser Sommer war wie alle anderen. Es war mein erster Blauregen; zumindest war es mein erster Blauregen, der im Sommer blühte, davon hatte ich noch nie gehört. In diesem Sommer des blühenden Blauregens trugen die Tomaten (alles alte Sorten) nicht üppig, aber das tun sie ja nie (üppig tragen, meine ich), und erst wenn ich sie probiere (›Prudens Purple‹, ›Striped German‹, ›Green Zebra‹, ›Radiator Charlie‹), erst ich andere Leute besuche, die gegen Ende der Saison überall auf dem Fußboden Tomaten auf Zeitungspapier liegen haben, Tomaten, für die nichts spricht als ›die habe ich selbst gezogen‹, sind alle Klagen vergessen. In diesem Sommer (der inzwischen jener Sommer ist) pflückte ich eine erste Portion Erbsen (›British Knight‹) und legte kurz darauf eine zweite Partie (auch die ging auf), und Gurken gab es mehr, als ich verarbeiten konnten, aber die Kartoffeln, die frühen wie die späten, bekamen alle die Braunfäule, so ist das immer mit den Kartoffeln in meinem Gemüsegarten, wo immer ich sie pflanze, wann immer ich sie ernte – sie haben unweigerlich einen Schorf, diesen oder jenen Makel, sodass sie, frisch aus der Erde geholt und in einen Korb gelegt, wenig verlockend aussehen, aber gekocht und in Butter und Petersilie geschwenkt sind sie großartig. Die Roten Bete wuchsen langsam, die Möhren wuchsen langsam, es regnete zu viel und dann wieder nicht genug.
Im Zuchtbeet blühte eine junge Magnolia ashei, eine große weiße duftende Blüte saß inmitten einiger größerer Blätter, aber das fiel mir nur auf, weil … ja weil ich so gern gehabt hätte, dass der Blauregen blüht; ich sah ihn vor mir, den Blauregen, in Gesellschaft der späten Frühlingsblüher, hörte das Lied jenes Vogels, das man sogar noch weiter im Norden hört, das einem mit seiner Süße durch und durch geht, als könnte Lust auch Schmerz sein (als wäre Lust nicht auch Schmerz), sah das Blau des Blauregens (in Blüte damals) auf der einen Seite des Patio, sein weißes Gegenstück auf der anderen mit einer Unterpflanzung gelber Tulpen (›Mrs. J.T. Scheepers‹) und daneben einen fast voll erblühten Erlenblättrigen Federbuschstrauch und Fritillaria persica. Und als ich so unvermutet die Magnolia ashei blühen sah, dachte ich sehnsüchtig an den Blauregen und fragte mich, ob ich etwas falsch gemacht hatte (vom Gärtnerischen her, meine ich, obgleich das für mich meist keine Frage ist, weil ich genau weiß, dass ich etwas falsch gemacht habe); aber M. Ashei blüht schon sehr jung, das habe ich aus einem Buch, in dem es nur um Magnolien geht, The World of Magnolias von Dorothy J. Callaway.
Jener Sommer, dieser Sommer! Der Blauregen blühte im Sommer, als ich mir nicht vorstellen konnte, dass es so etwas wie Winter geben könnte, zu einer Zeit, da das Faktum Winter mich amüsierte, gerade so, als würde jemandem, den ich auf irrationale Weise nicht mag, ein boshafter (aber nicht lebensbedrohlicher) Streich gespielt. Winter, was ist das überhaupt? Dieser komische Zustand, wenn die Luft kalt und kein Laub an den Bäumen ist und alle Kreaturen – Mensch wie Tier – einen hungrigen Blick haben, als sei von allem nicht genug da, als würde nie wieder genug da sein. Gerade dann, gerade jetzt (in jenem Sommer, in diesem Sommer! als der Blauregen zur Unzeit blühte) war das Laub der Bäume so grün, dass es grüner nicht mehr werden konnte, von jetzt an würde Grün nur Grün sein und nicht mehr, und der Rasen würde nicht mehr satt und saftig dastehen, sondern nur noch unordentlich und verfilzt und reif für den Rasenmäher, und … und … und. Wie schön, wenn man über Nichtigkeiten jammern kann, besonders in einem Garten. Denn jener zur Unzeit blühende Blauregen und der Schmetterlingsstrauch, der seinerseits nicht allzu weit von dem Staudenphlox ›Nora Leigh‹ entfernt ist, der wiederum mitten im Staudenphlox ›David‹ wächst – all das war damals (jetzt) meinem Auge wohlgefällig; wenn ich mich nach links oder rechts drehte (gegen den Uhrzeigersinn oder im Uhrzeigersinn), sah ich vor mir das, was ich als den Höhepunkt dieses (meines) Gartenjahres bezeichnen möchte: Die mehrjährige Wicke (Lathyrus latifolius), die auf ihre gierige Art blühte (allen Platz um sich herum und noch ein wenig mehr verschlingend); mehrere Kultivare der blauen Kardinals-Lobelie (gekauft bei Dan Hinkley, weil mir seine Beschreibung so gut gefiel, und ich behalte mir vor, diese Lobelie genauso zu sehen, wie Dan sie beschrieben hat), die kurz vor der Blüte stehen; eine zufällige Zusammenstellung großblütiger Ballonblumen in Blau und Pink; eine große Menge hoher Eisenhüte, die ich nicht hochgebunden habe, sodass sie sich vornübergebeugt und mit den mehrjährigen Wicken vermischt haben, die ihrerseits einen Satz reinweißer Blüten in das trockene Braun hinaufschickten, das einmal die Riesenblüte des Meerkohls war (eine ideale Lösung, denn Weiß mit Weiß zu ersetzen wäre mir absichtlich nie gelungen); und die Ranken der Clematis paniculata, deren angenehm penetrant riechende Blüten Anfang September erscheinen werden (was ich in diesem Sommer des wunderlich blühenden Blauregens allerdings nur vermuten kann); die sehr spät blühenden Eisenhüte, der abblühende Rittersporn (einige von Dan Hinkleys Sorte ›Melissa’s Hope‹, andere von Bob Stewards empfohlenen McClegnan’s Hybriden), die Malven (alcea und moschata), die ich erst nicht mochte und ohne die ich jetzt (damals) nicht glaube leben zu können, weshalb ich sie, wenn sie üppig blühend in fremder Leute Gärten stehen, neidisch und mit pflichtschuldiger Bewunderung betrachte; die Tigerglocke, die verlangt, dass man sich vorbeugt – verbeugt –, wenn man sie sehen will, und das sollte man tun, denn es lohnt sich. Und den Kopf von rechts nach links drehend, überquere ich den Weg, der diesen Teil des Gartens abtrennt (eine Annehmlichkeit) – und auf der anderen Seite herrscht, schiere Scheußlichkeit, ein paar Becherpflanzen, Federmohn und anderes (eine Gruppe gelber Stockrosen, gelber Calla, gelb und fast gelb blühender Fackellilien, aber mir gefallen sie); ein hochgeschätzter Strauchtabak (Nicotiana glauca, glaube ich, nicht Nicotiana tomentosa, allerdings weiß ich nicht, wie sie sich voneinander unterscheiden, und im Grunde ist es mir auch nicht wichtig); ein Bananenbaum (Musa ›Lord Cavendish‹) im Kübel, der sich vor dem Hintergrund ihm fremder Pflanzen (Immergrüne, Eisenhut) wohlzufühlen scheint; in zwei Töpfen die dunkelrote Dahlie ›Bishop of Llandaff‹ (gekauft bei Dan H.), die mit den glänzenden Blättern; der gelb blühende Schmetterlingsstrauch; die immerblühende Rose ›Pristine‹, die einmal blühenden Rosen ›Henry Kelsey‹ und ›Alchymist‹ und die für mich hin und wieder blühende ›Stanwell Perpetual‹; zwei Clematis aus dem Himalaya von Dan H. (deren Namen ich mir nicht merken kann, von denen ich nur noch weiß, dass er ihre Qualitäten in den höchsten Tönen lobte, und auch die kann ich mir nicht merken, ich weiß nur, dass ich sie sehr liebe und dass sie meines Wissens von keinem anderen Gärtner gezüchtet werden); der weiße Blauregen, der nicht geblüht hat, was mich aber nicht weiter beunruhigt (er hat gerade viele Triebe nachgeschoben, und ich möchte annehmen, dass daraus einmal Zweige werden und dass aus den Zweigen Stängel wachsen und an den Stängeln … Blüten?); und dann die Lilium oriental ›Black Beauty‹, die aber zu meinem Leidwesen nicht schwarz ist – eine Blume, die schwarz ist, schwarz wie die Nacht oder wie etwas, das man sofort als schwarz erkennt, ist so selten in einem Garten, bei einer Blume, dass ich sie mir sehnlichst wünsche; und dann bleibe ich in dieser Momentaufnahme des Gartens da stehen, wo der Agapanthus ›Blue‹ des großen Züchters Eric Smith in einem Tonkübel in voller Blüte steht. Ich liebe Eric Smith, zumal ich ihn nur auf sehr unpersönliche Art kenne: Ich weiß nicht, ob er Fleisch lieber mag als Gemüse oder Wolle lieber als Baumwolle, ich weiß nur, dass wir die meisten kleinblättrigen blauen Funkien (besonders ›Halcyon‹) seinem Interesse und seinen Bemühungen zu verdanken haben.