Stolz und Vorurteil

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5. KAPITEL

Nur einen kur­z­en Weg von Long­bourn ent­fernt wohn­te eine Fa­mi­lie, die zu den en­ge­ren Freun­den der Ben­nets zähl­te. Sir Wil­liam Lu­cas hat­te frü­her ein Ge­schäft in Me­ry­ton ge­führt, das ihm zu ei­nem an­nehm­ba­ren Ver­mö­gen ver­hol­fen hat­te. Eine An­spra­che an den Kö­nig wäh­rend sei­ner Bür­ger­meis­ter­zeit hat­te ihm den Ti­tel »Sir« ein­ge­bracht. Die Ehrung war ihm ein we­nig zu Kop­fe ge­stie­gen; er fass­te eine plötz­li­che Ab­nei­gung ge­gen das Ge­schäft und ge­gen sein Haus in dem klei­nen Markt­fle­cken, gab bei­des auf und be­zog mit sei­ner Fa­mi­lie et­was au­ßer­halb Me­ry­tons ein Land­haus, das von da an Lu­cas Lod­ge hieß. Hier konn­te er zu sei­nem stän­di­gen Ver­gnü­gen über sei­ne ei­ge­ne Be­deut­sam­keit Be­trach­tun­gen an­stel­len und, un­ge­hin­dert von jed­we­der Ar­beit, sich da­mit be­schäf­ti­gen, ge­gen die gan­ze Welt höf­lich zu sein. Denn wenn sein Ti­tel ihn auch er­höht hat­te, er mach­te ihn nicht hoch­fah­rend; im Ge­gen­teil, er war mehr denn je ei­nes je­den ge­hor­sa­mer Die­ner. Von Na­tur aus schon lie­bens­wür­dig, freund­lich und ge­fäl­lig, hat­te sei­ne Vor­stel­lung bei Hofe ihn nur noch höf­li­cher ge­macht.

Lady Lu­cas war eine sehr gute Frau und nicht klug ge­nug, um eine schlech­te Nach­ba­rin für Mrs. Ben­net ab­zu­ge­ben. Die äl­tes­te von den Lu­cas-Kin­dern, Char­lot­te, eine ru­hi­ge, ver­nünf­ti­ge jun­ge Dame von sie­ben­und­zwan­zig, war Eli­sa­beths bes­te Freun­din.

Es war na­tür­lich un­um­gäng­lich not­wen­dig, dass die Schwes­tern Lu­cas und die Schwes­tern Ben­net den Ball ge­mein­sam durch­spra­chen. Am Mor­gen nach dem Fest er­schie­nen jene in Long­bourn, um zu hö­ren und ge­hört zu wer­den.

»Du hast aber den Abend gut be­gon­nen, Char­lot­te«, sag­te Mrs. Ben­net mit höf­li­cher Selbst­be­herr­schung zu Miss Lu­cas. »Dich hat ja Mr. Bingley sich zu­erst aus­ge­sucht.«

»Ja, aber sei­ne zwei­te Wahl schi­en ihm bes­ser zu ge­fal­len.«

»Ach so, du meinst Jane – weil er zwei­mal mit ihr ge­tanzt hat; du hast recht, das mach­te al­ler­dings den Ein­druck, als ob er sie be­vor­zug­te. Hm, weißt du, ich glau­be, er zog sie den an­de­ren tat­säch­lich vor; ja, ja, ich hör­te so et­was, ich weiß nicht mehr ge­nau was… ir­gen­det­was von Mr. Ro­bin­son –«

»Sie mei­nen wahr­schein­lich das Ge­spräch zwi­schen ihm und Mr. Bingley, das ich zu­fäl­li­ger­wei­se mit an­hör­te; hab’ ich Ih­nen noch nicht da­von er­zählt? Mr. Ro­bin­son frag­te ihn, wie ihm un­ser Ball in Me­ry­ton ge­fal­le und ob er nicht auch der Mei­nung sei, dass eine un­ge­wöhn­lich große An­zahl schö­ner Da­men an­we­send wäre; und dann frag­te Mr. Ro­bin­son ihn noch, wel­che er denn am schöns­ten fin­de? Worauf er so­gleich er­wi­der­te: aber da gibt es doch gar kei­nen Zwei­fel, die äl­tes­te Schwes­ter Ben­net na­tür­lich!«

»Was du nicht sagst! Das ist al­ler­dings sehr deut­lich.«

»Ich hab’ we­nigs­tens et­was Net­tes zu hö­ren be­kom­men, Liz­zy, wenn auch nur über an­de­re«, sag­te Char­lot­te zu ih­rer Freun­din. »Mr. Dar­cy zu­zu­hö­ren lohnt sich nicht so sehr wie sei­nem Freund. Arme Liz­zy, nur ge­ra­de noch er­träg­lich zu sein!«

»Ich bit­te dich, Char­lot­te, ver­such nicht, Liz­zy auch noch mit sei­ner Un­höf­lich­keit zu är­gern; er ist ein so scheuß­li­cher Mensch, dass es ge­ra­de­zu ein Un­glück wäre, ihm zu ge­fal­len. Mrs. Long er­zähl­te mir, er habe eine hal­be Stun­de ne­ben ihr ge­ses­sen, ohne ein ein­zi­ges Mal den Mund auf­zu­ma­chen.«

»Hat sie das ge­sagt, Mut­ter? Hat sie sich nicht viel­leicht ge­irrt?« frag­te Jane. »Ich sah ge­nau, wie er zu ihr sprach.«

»Ja, da hat­te sie ihn ge­ra­de ge­fragt, wie ihm Ne­ther­field ge­fal­le, und dar­auf muss­te er ja­wohl oder übel et­was sa­gen; aber sie sagt, er sei rich­tig wü­tend ge­we­sen, an­ge­spro­chen zu wer­den.«

»Miss Bingley er­zähl­te mir«, sag­te Jane, »dass er nie sehr viel re­det au­ßer im engs­ten Freun­des­kreis. Dann kann er ganz un­ge­wöhn­lich sym­pa­thisch und freund­lich sein.«

»Ich glau­be nicht ein Wort da­von, mei­ne Lie­be. Wenn er das wäre, dann hät­te er mit Mrs. Long ge­spro­chen. Ich kann mir schon den­ken, was los war: alle Welt weiß, dass er vor Hoch­mut bei­na­he er­stickt, und er hat wahr­schein­lich von ir­gend­je­mand er­fah­ren, dass Mrs. Long sich kei­nen ei­ge­nen Wa­gen hal­ten kann und in ei­ner Miets­kut­sche zum Ball ge­kom­men war.«

»Dass er nicht mit Mrs. Long ge­re­det hat, stört mich nicht wei­ter«, mein­te Char­lot­te, »aber ich wünsch­te, er hät­te mit Liz­zy ge­tanzt.«

»Ein an­de­res Mal, Liz­zy«, sag­te Mrs. Ben­net, »wür­de ich nicht mit ihm tan­zen, wenn ich du wäre.«

»Ich glau­be, ich kann dir ziem­lich fest ver­spre­chen, über­haupt nie mit ihm zu tan­zen, Mut­ter.«

»Sein Hoch­mut ver­letzt mich nicht ein­mal so sehr, wie es sonst der Fall wäre«, sag­te Char­lot­te, »denn er hat doch eine Art Ent­schul­di­gung da­für. Man kann sich ei­gent­lich nicht dar­über wun­dern, dass ein so statt­li­cher jun­ger Mann von so vor­neh­mer Fa­mi­lie und so großem Ver­mö­gen sich selbst sehr hoch ein­schätzt. Ich fin­de, er hat ge­wis­ser­ma­ßen ein Recht zum Hoch­mut.«

»Ganz rich­tig«, er­wi­der­te Eli­sa­beth, »ich könn­te ihm sei­nen Hoch­mut auch leicht ver­zei­hen, wenn er nicht mei­nen Stolz ge­kränkt hät­te.«

»Stolz«, sag­te Mary, die auf die Tief­sin­nig­keit ih­rer Ge­dan­ken stolz war, »ge­hört zu den ver­brei­tets­ten un­ter al­len mensch­li­chen Schwä­chen, wenn ich mich nicht irre. Denn nach al­lem, was ich bis­her ge­le­sen habe, bin ich zu der Über­zeu­gung ge­kom­men, dass es so ist: Die mensch­li­che Na­tur neigt über­aus leicht dazu, die­sem Übel zu ver­fal­len, und es gibt nur we­ni­ge Men­schen, die frei da­von sind, aus die­sem oder je­nem, tat­säch­li­chen oder ein­ge­bil­de­ten Grun­de ein Ge­fühl von Selbst­ge­fäl­lig­keit zu ver­spü­ren. Man muss auch Stolz und Ei­tel­keit aus­ein­an­der­hal­ten, wenn die bei­den Wor­te auch oft für ein und die­sel­be Sa­che ge­braucht wer­den: man kann stolz sein, ohne ei­tel zu sein. Der Stolz be­zieht sich mehr auf un­se­re ei­ge­ne Mei­nung von uns selbst, die Ei­tel­keit je­doch auf die Mei­nung, die wir gern von an­de­ren über uns hö­ren möch­ten.«

»Wenn ich so reich wäre wie Mr. Dar­cy«, rief der jun­ge Lu­cas, der sei­ne äl­te­re Schwes­ter be­glei­tet hat­te, in die ach­tungs­vol­le Stil­le, die nach Ma­rys Al­ler­welts­weis­heit ein­ge­tre­ten war, »wenn ich so reich wäre, dann könn­te ich gar nicht stolz ge­nug sein! Ich wür­de Fuchs­jag­den rei­ten und je­den Abend eine Fla­sche Wein trin­ken.«

»Das wäre viel zu viel für dein Al­ter«, mein­te Mrs. Ben­net, »und wenn ich dich da­bei trä­fe, wür­de ich dir die Fla­sche so­fort weg­neh­men.«

Der Jun­ge trumpf­te auf, das dür­fe sie ja gar nicht; und sie be­stand dar­auf, sie wür­de es doch tun, und das Hin und Her fand erst mit dem Be­such sein Ende.

6. KAPITEL

Die Da­men von Long­bourn mach­ten bald dar­auf de­nen von Ne­ther­field ihre Auf­war­tung, und der Be­such wur­de in al­ler Form er­wi­dert. Ja­nes na­tür­li­ches und freund­li­ches We­sen ge­wann ihr schnell die Zu­nei­gung von Mrs. Hurst und de­ren Schwes­ter Ca­ro­li­ne. Die Mut­ter Ben­net war ja zwar kaum zu er­tra­gen, und zu den bei­den jün­ge­ren Mäd­chen auch nur höf­lich zu sein, lohn­te sich ei­gent­lich nicht; aber mit den bei­den äl­te­ren Freund­schaft zu schlie­ßen, er­schi­en ih­nen wün­schens­wert. Jane er­wi­der­te die­sen Wunsch vol­ler Dank­bar­keit und aus gan­zem Her­zen; aber Eli­sa­beth er­kann­te die An­ma­ßung, die al­len Äu­ße­run­gen der Da­men in Ne­ther­field zu Grun­de lag, nicht zum we­nigs­ten Jane ge­gen­über, und sie konn­te es nicht über sich brin­gen, ihr an­fäng­li­ches Miss­trau­en fal­len zu las­sen; moch­te ihre Freund­lich­keit ge­gen Jane, wenn man es schon so nen­nen woll­te, auch da­durch einen ge­wis­sen Wert an­neh­men, dass sie ih­ren Ur­sprung in der Be­wun­de­rung des Bru­ders, Mr. Bingley, hat­te.

Dass eine sol­che Be­wun­de­rung wirk­lich be­stand, war ganz un­ver­kenn­bar, so oft sie zu­sam­men­ka­men. Und für Eli­sa­beth war es eben­so un­ver­kenn­bar, dass Jane der Nei­gung, die sie von An­fang an für ihn emp­fun­den hat­te, nach­zu­ge­ben be­gann und auf dem bes­ten Wege war, sich gründ­lich zu ver­lie­ben. Der Ge­dan­ke, dass die an­de­ren die­sen Zu­stand nicht so bald wür­den ent­de­cken kön­nen, war ihr eine große Be­ru­hi­gung; denn Jane ver­band mit der Fä­hig­keit ei­nes tie­fen Ge­fühls eine Gleich­mä­ßig­keit und stän­di­ge Hei­ter­keit, die sie vor Ver­däch­ti­gun­gen und üb­len Nach­re­den bö­ser Zun­gen be­wahr­te. Sie sprach dar­über mit ih­rer Freun­din Char­lot­te.

»Es mag schon nütz­lich sein«, mein­te die­se, »in sol­chen Fäl­len der Um­welt et­was vor­ma­chen zu kön­nen; aber es kann ei­nem auch scha­den, wenn man zu be­herrscht ist. Wenn eine Frau dem Ge­gen­stand ih­rer Nei­gung ihre Ge­füh­le eben­so ge­schickt ver­birgt, wird sie sich leicht um die Ge­le­gen­heit brin­gen, die­se Ge­füh­le ei­nes Ta­ges aus­drücken zu dür­fen; und der Trost, dass die Welt ja nichts da­von er­fah­ren hat, scheint mir sehr schwach zu sein. In fast je­der Lie­be steckt ein klei­ner Kern von Ei­tel­keit oder Dank­bar­keit, und den soll­te man nicht sich selbst über­las­sen. Wir ma­chen alle den ers­ten Schritt ganz un­be­fan­gen – dass man einen Men­schen ei­nem an­de­ren vor­zieht, ist meist selbst­ver­ständ­lich; aber nur die we­nigs­ten von uns ha­ben ein Herz, das groß ge­nug ist, um ohne Er­mun­te­rung und Nach­hil­fe zu lie­ben. In neun von zehn Fäl­len ist es rat­sam für eine Frau, eher mehr zu zei­gen, als sie fühlt. Bingley mag dei­ne Schwes­ter ganz ohne Zwei­fel; doch wenn sie ihm nicht wei­ter­hilft, wird er viel­leicht nie et­was an­de­res tun, als sie nur mö­gen.«

 

»Aber sie tut ja schon so viel, wie ihre Na­tur es ihr er­laubt. Wenn ich ihre Zu­nei­gung ent­de­cken kann, dann muss er schon sehr dumm sein, wenn er nicht das­sel­be ent­deckt.«

»Ver­giss nicht, Liz­zy, dass er Ja­nes Art nicht so gut kennt wie du.«

»Wenn eine Frau einen Mann be­wun­dert und ihre Be­wun­de­rung nicht be­wusst ver­birgt, dann muss er es schon selbst mer­ken.«

»Vi­el­leicht ja, wenn er sie oft ge­nug zu se­hen be­kommt. Bingley und Jane kom­men ja recht häu­fig zu­sam­men, aber ers­tens nie­mals sehr lan­ge auf ein­mal und dann auch nur auf großen Ge­sell­schaf­ten, und da kannst du nicht ver­lan­gen, dass sie je­den Au­gen­blick nur mit­ein­an­der re­den. Jane soll­te da­her jede Vier­tel­stun­de aus­nut­zen, in der sie ein we­nig un­ge­stört sind. Ist sie sei­ner erst si­cher, dann ist im­mer noch Zeit ge­nug, um sich gründ­lich zu ver­lie­ben.«

»Der Plan ist nicht schlecht«, er­wi­der­te Eli­sa­beth, »aber nur für den Fall ei­ner Hei­rat um je­den Preis; han­del­te es sich bloß dar­um, einen rei­chen Mann oder über­haupt einen Mann zu be­kom­men, dann wür­de ich wahr­schein­lich auch nicht an­ders vor­ge­hen. Aber so et­was steckt nicht hin­ter Ja­nes Ge­füh­len; sie ver­folgt kei­nen Zweck und kei­ne Ab­sicht. Bis jetzt weiß sie selbst wahr­schein­lich nicht, wie weit ihre Nei­gung geht, und noch we­ni­ger hat sie über Ver­nunft oder Un­ver­nunft nach­ge­dacht. Sie kennt ihn erst seit zwei Wo­chen; sie hat vier­mal mit ihm in Me­ry­ton ge­tanzt; sie war ein­mal bei ihm zu Hau­se und hat auf vier Abend­ge­sell­schaf­ten mit ihm an ei­nem Tisch ge­ses­sen. Das dürf­te kaum ge­nü­gen, um ihn nä­her ken­nen­zu­ler­nen.«

»Nein; we­nigs­tens nicht, wenn es sich so ver­hiel­te, wie du eben sag­test. Hät­te sie nur mit ihm zu­sam­men ge­ges­sen, dann könn­te sie heu­te bes­ten­falls et­was über sei­nen Ap­pe­tit er­fah­ren ha­ben; aber sie ha­ben ja vier gan­ze Aben­de mit­ein­an­der in Ge­sell­schaft ver­bracht – und vier lan­ge Aben­de kön­nen man­ches zu­we­ge brin­gen!«

»Si­cher; die vier Aben­de ha­ben ih­nen Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, ihre ge­gen­sei­ti­ge Vor­lie­be für ein be­stimm­tes Kar­ten­spiel fest­zu­stel­len. Aber was ihre sons­ti­gen Cha­rak­ter­merk­ma­le an­langt, glau­be ich nicht, dass sich sehr viel ge­klärt hat.«

»Nun, ei­ner­lei«, mein­te Char­lot­te, »ich wün­sche Jane von gan­zem Her­zen Er­folg; und ich glau­be nicht, dass sie eine ge­rin­ge­re Aus­sicht hat, glück­lich zu wer­den, wenn sie ihn mor­gen hei­ra­ten soll­te, als wenn sie sei­nen Cha­rak­ter erst ein Jahr lang stu­die­ren woll­te. Glück in der Ehe ist so­wie­so nur von Zu­fäl­lig­kei­ten ab­hän­gig. Zwei Leu­te kön­nen sich noch so gut ge­kannt ha­ben, kön­nen noch so viel mit­ein­an­der ge­mein ge­habt ha­ben, auf das Glück­lich­wer­den hat das nicht den ge­rings­ten Ein­fluss. Der eine oder an­de­re von ih­nen wird sich im­mer ge­nü­gend ver­än­dern, um bei­den ihr Teil Kum­mer und Är­ger zu si­chern; und da zie­he ich es doch vor, von vorn­her­ein mög­lichst we­nig über die schlech­ten Ei­gen­schaf­ten des Man­nes zu er­fah­ren, mit dem ich mein gan­zes Le­ben ver­brin­gen muss.«

»Das ist ein gu­ter Scherz, Char­lot­te; aber ernst kann ich das nicht neh­men. Du kannst das doch sel­ber nicht, und du weißt, dass du nie nach sol­chen Grund­sät­zen han­deln wür­dest.«

Eli­sa­beth war so eif­rig da­mit be­schäf­tigt, Mr. Bingley’s Auf­merk­sam­kei­ten ge­gen Jane zu be­ob­ach­ten, dass ihr das In­ter­es­se voll­kom­men ent­ging, das sein Freund für sie zu emp­fin­den be­gann. An­fangs woll­te Dar­cy sie nicht ein­mal als hübsch gel­ten las­sen; auf dem Ball hat­te er sie voll Gleich­gül­tig­keit an­ge­schaut; und als sie sich da­nach wie­der tra­fen, hat­ten sei­ne Au­gen sie höchs­tens kri­tisch ge­streift. Aber kaum war er sich dar­über im Kla­ren – und hat­te er es sei­nen Freun­den klar­ge­macht –, dass sie ein fast völ­lig un­in­ter­essan­tes Ge­sicht be­saß, als er ent­deck­te, dass die­ses Ge­sicht un­ge­wöhn­lich in­tel­li­gen­te Züge trug, die von dem wun­der­ba­ren Aus­druck der dunklen Au­gen noch un­ter­stri­chen wur­den. Die­ser Ent­de­ckung folg­ten an­de­re, ähn­lich ver­drieß­li­che. Ob­gleich sein kri­ti­sches Auge mehr als ein Merk­mal ver­misst zu ha­ben glaub­te, das für eine voll­kom­me­ne Kör­per­har­mo­nie un­er­läss­lich war, muss­te er sich jetzt ein­ge­ste­hen, dass ihre Fi­gur schlank und an­spre­chend war; und wo er frü­her ihr un­ge­wand­tes Auf­tre­ten be­tont hat­te, wur­de er jetzt durch die na­tür­li­che Hei­ter­keit ih­res We­sens an­ge­zo­gen. Aber hier­von wuss­te sie nichts; für sie war er ein Mann, der sich über­all un­be­liebt mach­te und der sie nicht für hübsch ge­nug er­ach­tet hat­te, um mit ihr zu tan­zen.

Er ver­spür­te den Wunsch, sie nä­her ken­nen­zu­ler­nen, und gleich­sam als Vor­stu­fe zu ei­ner ei­ge­nen Un­ter­hal­tung mit ihr, fing er an, ih­ren Ge­sprä­chen mit an­de­ren zu­zu­hö­ren. Erst da­durch wur­de ihre Auf­merk­sam­keit wach.

Das war auf ei­ner großen Ge­sell­schaft bei Sir Wil­liam Lu­cas. »Was denkt sich denn die­ser Mr. Dar­cy«, frag­te Eli­sa­beth ihre Freun­din, »dass er sich her­stellt und mei­ner Un­ter­hal­tung mit Oberst Fors­ter zu­hört?«

»Auf die­se Fra­ge wird dir wohl nur Mr. Dar­cy selbst ant­wor­ten kön­nen.«

»Wenn er es wie­der tun soll­te, dann wer­de ich ihm zei­gen, dass ich weiß, wo­für ich ihn zu hal­ten habe. Er hat einen schreck­lich zy­ni­schen Aus­druck in den Au­gen, und wenn ich ihm nicht selbst zu­erst mei­ne Mei­nung sage, be­kom­me ich noch Angst vor ihm.«

Als er sich ih­nen bald dar­auf nä­her­te, ohne an­schei­nend je­doch et­was sa­gen zu wol­len, for­der­te Char­lot­te ihre Freun­din her­aus, ihr Wort zu hal­ten, und es be­durf­te nur die­ser Er­mun­te­rung, dass Eli­sa­beth sich an ihn wand­te und sag­te:

»Fan­den Sie nicht auch, Mr. Dar­cy, dass ich mich so­eben recht ge­schickt aus­ge­drückt habe, als ich Co­lo­nel Fors­ter da­mit neck­te, er müs­se doch einen Ball bei sich ver­an­stal­ten?«

»Nun, min­des­tens sehr deut­lich – aber bei dem The­ma wer­den Da­men ja im­mer sehr deut­lich.«

»Sie sind sehr bos­haft ge­gen uns.«

»Jetzt bist du an der Rei­he, gen­eckt zu wer­den«, un­ter­brach ihre Freun­din. »Ich wer­de das Kla­vier auf­ma­chen, und du weißt, was du dann zu tun hast.«

»Für eine Freun­din bist du ein ko­mi­sches Ge­schöpf – im­mer willst du, dass ich vor al­len Leu­ten und bei je­der Ge­le­gen­heit sin­ge und spie­le! Wenn mei­ne Ei­tel­keit mu­si­ka­lisch wäre, könn­te ich ohne dich nicht aus­kom­men; aber da sie es nun ein­mal nicht ist, wür­de ich mich wirk­lich viel lie­ber nicht vor eine Ge­sell­schaft hin­stel­len, die nur den bes­ten Künst­lern zu lau­schen ge­wohnt ist.« Da aber Char­lot­te dar­auf be­stand, füg­te sie hin­zu: »Nun gut, wenn es sein muss, dann muss es wohl sein.« Und in­dem sie Dar­cy ernst­haft an­sah: »Es gibt ein schö­nes al­tes Sprich­wort, das Sie si­cher­lich gut ken­nen: Spar dei­nen Atem, um dei­ne Sup­pe zu küh­len – ich muss mei­nen jetzt lei­der auf Ge­sang ver­schwen­den.«

Ihre Kunst war an­nehm­bar, aber kei­nes­wegs über­ra­gend. Nach ein, zwei Lie­dern und be­vor sie den Bit­ten ih­rer Zu­hö­rer um eine Zu­ga­be nach­kom­men konn­te, lös­te ihre Schwes­ter Mary sie et­was vor­ei­lig am Kla­vier ab.

Mary, die ein­zi­ge von den Schwes­tern, die nicht gut aus­sah, hat­te sich als Ge­gen­ge­wicht hier­für ein ge­wis­ses Kön­nen und Wis­sen sau­er er­ar­bei­tet und war nun stets eif­rig dar­auf be­dacht, ihre Er­run­gen­schaf­ten zur Schau zu stel­len. Lei­der be­saß sie we­der Ta­lent noch Ge­schmack; und ob­gleich Ei­tel­keit und Ehr­geiz ihr zu ei­ner nicht ge­rin­gen Fer­tig­keit ver­hol­fen hat­ten, spra­chen die­se bei­den Ei­gen­schaf­ten so stark aus ih­rer schul­meis­ter­li­chen Mie­ne und ih­rem ein­ge­bil­de­ten Ge­ba­ren, dass selbst ein weit hö­he­rer Grad von Kön­nen, als sie ihn er­reicht hat­te, ihre Feh­ler nicht auf­ge­wo­gen hät­te. Dem an­spruchs­lo­sen, un­ge­küns­tel­ten Spiel Eli­sa­beths hat­te man mit viel mehr Ver­gnü­gen zu­ge­hört als dem sehr viel bes­se­ren Ma­rys. Sie konn­te zu­frie­den sein, dass sie nach ei­nem lan­gen, schwie­ri­gen Kla­vier­kon­zert doch noch Lob und Dank­bar­keit mit ei­ni­gen schot­ti­schen und iri­schen Wei­sen ern­ten durf­te, die ihre jün­ge­ren Schwes­tern und ein paar tanz­lus­ti­ge Of­fi­zie­re von ihr er­ba­ten und dann auch eif­rig am einen Ende des Saa­l­es aus­nutz­ten.

Mr. Dar­cy hat­te sich in der Nähe der Tan­zen­den auf­ge­stellt und schau­te ih­nen vol­ler Ge­ring­schät­zung zu. Wie tö­richt, dach­te er, den Abend in ei­ner Wei­se zu ver­brin­gen, die von vorn­her­ein jede Mög­lich­keit ei­ner ver­nünf­ti­gen Un­ter­hal­tung aus­schließt. Er war so sehr in sei­ne är­ger­li­che Be­trach­tung ver­tieft, dass er es nicht be­merk­te, wie Sir Wil­liam Lu­cas zu ihm ge­tre­ten war, bis die­ser ihn an­sprach.

»Eine ent­zücken­de und harm­lo­se Be­schäf­ti­gung für jun­ge Leu­te, fin­den Sie nicht auch, Mr. Dar­cy? Es geht doch nichts übers Tan­zen; ich be­trach­te es im­mer als eine der vor­nehms­ten Er­run­gen­schaf­ten ei­nes wirk­lich kul­ti­vier­ten Vol­kes.«

»Ge­wiss, Sir Wil­liam – und au­ßer­dem hat es noch den Vor­zug, auch bei we­ni­ger kul­ti­vier­ten Völ­ker­schaf­ten äu­ßerst be­liebt zu sein. Je­der Wil­de kann tan­zen.«

Sir Wil­liam lä­chel­te nur hier­zu. »Ihr Freund ist ein ganz her­vor­ra­gen­der Tän­zer«, fuhr er nach ei­ner Wei­le fort, als er sah, dass Bingley sich un­ter die Tan­zen­den be­ge­ben hat­te, »und ich irre mich wohl nicht, wenn ich in Ih­nen eben­falls einen Meis­ter die­ser Kunst ver­mu­te, Mr. Dar­cy?«

»Sie ha­ben mich ja in Me­ry­ton tan­zen se­hen, Sir Wil­liam.« »Das habe ich, und der An­blick hat mir nicht ge­rin­ges Ver­gnü­gen be­rei­tet. Tan­zen Sie häu­fig bei Hofe?«

»Nie.«

»Wäre das nicht eine pas­sen­de Ehrung für den ho­hen Ort?« »Es ist eine Ehrung, die ich kei­nem Ort er­wei­se, wenn ich es ir­gend ver­mei­den kann.«

»Ich neh­me an, Sie be­sit­zen ein Haus in Lon­don?«

Dar­cy nick­te be­ja­hend.

»Ich trug mich sei­ner­zeit selbst mit dem Ge­dan­ken, mei­nen Wohn­sitz in Lon­don auf­zu­schla­gen, denn ich schät­ze den Um­gang mit der gu­ten Ge­sell­schaft sehr. Aber ich konn­te dann doch nicht mei­ne Zwei­fel un­ter­drücken, ob die Lon­do­ner Luft auch mei­ner Frau be­kom­men wür­de.«

Er sah sei­nen Gast er­war­tungs­voll an; aber Dar­cy schi­en nicht die Ab­sicht zu ha­ben, das Ge­spräch fort­zu­set­zen. Wäh­rend Sir Wil­liam noch über eine neue An­knüp­fung nach­grü­bel­te, ent­deck­te er Eli­sa­beth nicht weit von ih­nen ent­fernt, und er zö­ger­te nicht einen Au­gen­blick, sich als über­le­ge­nen Welt­mann zu zei­gen.

»Mei­ne lie­be Eli­sa­beth«, rief er hin­über, »warum sehe ich Sie nicht un­ter den Tan­zen­den? Mr. Dar­cy, Sie müs­sen mir er­lau­ben, Sie mit ei­ner ganz rei­zen­den Dame be­kanntz­u­ma­chen. Selbst Sie wer­den sich mit so viel Schön­heit vor Au­gen nicht mehr sträu­ben kön­nen zu tan­zen.«

Und da­mit er­griff er Eli­sa­beths Hand, um sie Dar­cy zu­zu­füh­ren, der zwar et­was er­staunt über den plötz­li­chen Über­fall war, aber durch­aus nicht ab­ge­neigt schi­en. Eli­sa­beth je­doch mach­te sich hef­tig frei und sag­te in ei­ni­gem Un­wil­len zu Sir Wil­liam: »Ich bit­te Sie, ich habe nicht die ge­rings­te Lust zu tan­zen. Sie mein­ten doch hof­fent­lich nicht, ich sei auf dem Wege, um einen Tän­zer zu su­chen?«

Mr. Dar­cy bat sie in al­ler Form und mit größ­ter Höf­lich­keit, ihm einen Tanz zu ge­wäh­ren, aber um­sonst, Eli­sa­beth ließ sich nicht be­we­gen; auch Sir Wil­liams Ver­su­che, sie doch noch zu über­re­den, blie­ben er­folg­los.

»Sie wer­den doch nicht so grau­sam sein, Eli­sa­beth, mich um den Ge­nuss zu brin­gen, Sie tan­zen zu se­hen; und wenn Mr. Dar­cy auch im All­ge­mei­nen die­ses Ver­gnü­gen nicht sehr schätzt, er wird uns jetzt be­stimmt nicht den Ge­fal­len ver­sa­gen kön­nen.«

»Mr. Dar­cy ist ein Vor­bild der Höf­lich­keit«, sag­te Eli­sa­beth lä­chelnd.

»Das ist er wohl; aber wer wäre es nicht bei ei­ner sol­chen Ver­an­las­sung?«

Eli­sa­beth sah Dar­cy spöt­tisch an und wand­te sich zum Ge­hen. Ihr Wi­der­stand hat­te ihn je­doch in kei­ner Wei­se zu krän­ken ver­mocht, und er er­tapp­te sich da­bei, dass der Ge­dan­ke an sie ihm eine ge­wis­se Freu­de mach­te, als er sich plötz­lich von Miss Bingley an­ge­re­det fand.

 

»Ich kann den Grund Ih­rer Nach­denk­lich­keit er­ra­ten.«

»Das möch­te ich be­zwei­feln.«

»Sie ha­ben sich eben über­legt, wie un­er­träg­lich es sein müss­te, noch vie­le Aben­de auf die­se Wei­se zu ver­brin­gen – in sol­cher Ge­sell­schaft! Ich muss ge­ste­hen, Sie ha­ben recht. Ich habe mich noch nie so ge­lang­weilt: die­se Flach­heit bei all dem Lärm, die­se Hohl­heit der Leu­te bei all ih­rer Wich­tig­tue­rei! Ich gäbe was drum, Ihre Mei­nung hö­ren zu dür­fen.«

»Ihre An­nah­me ist durch­aus ir­rig, kann ich Ih­nen ver­si­chern. Mei­ne Ge­dan­ken wa­ren sehr viel an­ge­neh­mer be­schäf­tigt. Ich dach­te ge­ra­de dar­über nach, wie viel Ver­gnü­gen ei­nem ein paar dunkle Au­gen in ei­nem schö­nen Frau­en­ant­litz be­rei­ten kön­nen.«

Miss Bingley sah ihn mit ei­nem for­schen­den Blick an und woll­te wis­sen, wel­che Dame sich rüh­men dür­fe, sol­che Ge­dan­ken er­weckt zu ha­ben.

Dar­cy er­wi­der­te ge­ra­de­her­aus:

»Miss Eli­sa­beth Ben­net.«

»Eli­sa­beth Ben­net?« wie­der­hol­te Miss Bingley. »Ich stau­ne. Seit wann da­tiert die­se Vor­lie­be? Darf ich viel­leicht schon bald Glück wün­schen?«

»Die Fra­ge hat­te ich er­war­tet. Die Fan­ta­sie ei­ner Frau kennt kei­ne Hin­der­nis­se: aus Be­wun­de­rung macht sie Lie­be und aus Lie­be gleich Ehe. Ich wuss­te, dass Sie mich be­glück­wün­schen woll­ten!«

»Aha, Sie ver­ste­hen schon kei­nen Spaß mehr; dann ist es ja so gut wie ab­ge­macht. Sie wer­den eine ent­zücken­de Schwie­ger­mut­ter mit in die Ehe be­kom­men, und ich bin über­zeugt, Sie wer­den sich nicht dar­über zu be­kla­gen brau­chen, dass Sie sie zu sel­ten se­hen.«

Er hör­te ihr in völ­li­ger Gleich­gül­tig­keit zu, wäh­rend sie sich noch des län­ge­ren und höchst geist­reich über die­ses The­ma ver­brei­te­te; und da sein Ver­hal­ten ihr die Ver­si­che­rung gab, dass al­les in Ord­nung war, ließ sie ih­ren Geist im­mer wit­zi­ger sprü­hen.