Siebenkäs

Tekst
Autor:
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Siebenkäs
Siebenkäs
0,99
Lisateave
Siebenkäs
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa
Erstes Bändchen

Inhaltsverzeichnis

Erstes Bändchen

Vorrede zur zweiten Auflage

Vorrede

Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel

Ein treues Dornenstück

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Beilage zum zweiten Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

I. Pars

II. Pars

Nachschrift und Clausula Salutaris

Ende der Vorrede und des ersten Bändchens

Zweites Bändchen Vorrede zum zweiten, dritten und vierten Bändchen

Vorrede vom Verfasser des Hesperus

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Extrablättchen über das Recht der Weiber

Extrablättchen über den Trost

Fortsetzung und Beendigung des sechsten Kapitels

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Erstes Blumenstück

Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott seiWenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben wäre, daß in ihm alle Gefühle, die das Dasein Gottes bejahen, zerstöret wären; so würd' ich mich mit diesem meinem Aufsatz erschüttern und – er würde mich heilen und mir meine Gefühle wiedergeben.

Zweites Blumenstück

Der Traum im TraumWie die Griechen und Römer der Sonne ihre Träume erzählten, so sagt' ich den obigen einer katholischen Fürstin (Lichnowsky), die ihn veranlaßt hatte, da sie die Reise von Wien nach Baireuth machte, um ihren Sohn – der aus dem Boden seines Standes in die Gartenerde eines weisen und edlen Erziehers (Hofrat Schäfer) versetzt war – zu umarmen.

Drittes Bändchen

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Erstes Fruchtstück

Brief des Doktor Viktor an Kato den Ältern über die Verwandlung des Ich ins Du, Er, Ihr und Sie – oder das Fest der Sanftmut am 20ten März

Nachschreiben von Jean Paul

Viertes Bändchen

Intelligenzblatt der Blumenstücke

Funfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebenzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes und letztes Kapitel

Vorrede zur zweiten Auflage

Was hilft es mir, daß ich diese neue Auflage des Siebenkäs mit den größten Vergrößerungen und Verbesserungen, die nur in meiner Gewalt standen, ausgestattet herausgebe? Man wird sie wohl kaufen und lesen, aber nicht lange studieren und ausführlich genug beurteilen. Die kritische Pythia gab mir, wie die griechische andern Fragern, nicht gern Orakel und zerkäuete höchstens die Lorbeern, ohne sie aufzusetzen, und weissagte wenig oder nichts. So erinnert sich der Verfasser dieses noch recht gut, daß er sich z.B. über die zweite Auflage seines Hesperus gemacht mit der Baumsäge in der linken Hand und mit dem Okuliermesser in der rechten und damit außerordentlich gearbeitet am Werke; aber vergeblich sah er auf weitläuftige Anzeigen davon in gelehrten und ungelehrten Blättern auf. Und so kann er in seinen neuen Auflagen (Fixlein, die Herbstbluminen, die Vorschule, die Levana sind die Bürgen und Zeugen) wirtschaften, wie er will, neue Bilder aufhängen und alte umwenden – Gedanken ausquartieren und Gedanken einquartieren – Charaktere dort zu bessern Auftritten und Gesinnungen anhalten und hier zu schlimmern – kurz, er kann in der Auflage tausendmal gewalttätiger haushalten als wie ein Rezensent oder ein Teufel: keiner von beiden merkt es und sagt der Welt ein Wort davon; aber auf diese Weise lern' ich wenig, erfahre nicht, wo ichs recht oder schlecht gemacht habe, und büße etwaniges Lob ein.

So stehen die Sachen; inzwischen ist manches natürlich: Der allerkälteste Leser hält den Verfasser keiner kritischen Besserung für fähig, der allerwärmste keiner für bedürftig; beide kommen nur im Satze zusammen, daß ihm alles bloß so natürlich entfahre und entschieße wie den Blattläusen hinten der von Bienen so gesuchte Honigtau, daß er aber nicht wie die gedachten Bienen den Honig mit dem dazu gehörigen Wachse künstlich zubereite.

Manche wollen ordentlich, daß jede Zeile ein erster Erguß und Ausbruch bleibe – als ob die Verbesserung derselben nicht auch wieder ein erster Ausbruch wäre. Andere Kunstleser nehmen keine Partei, und daher lieber eine zweifache. Wollt' ich die Sache kurz ausdrücken: so braucht' ich bloß zu bemerken: sie fragen erstlich: warum läßt der Mann nicht lieber sein Herz allein reden? und setzen zweitens, wenn es einer getan, dazu: wie anders und reicher würde sich ein solches Herz vollends durch die Sprachlehre der Kunst und Kritik aussprechen! – Aber ich kann denselben Gedanken auch viel weitläuftiger, wie folgt, vortragen. Bändigt sich ein Dichter zu scharf, beherzigt er weniger sein vollschlagendes Herz als das feine Adergeflechte der Kunst und zerteilt er den vollen Strom in den feinsten kritischen Schweiß: so merken sie an: wahrlich, je dicker und härter der Wasserstrahl, desto höher treibt er sich auf und überwältigt und durchdringt die Luft, indes ein feiner auf halbem Wege zerflattert. Tut der Verfasser aber das Gegenteil, drückt er mit einem Drucke nichts aus als sein übervolles Herz und läßt die Blutwellen laufen, wie sie wollen: so schärfen die gedachten Kunstrichter den Satz – aber in einer andern Metapher, als ich von ihnen erwartet hätte – ein: mit dem Kunstwerke sei es wie mit einem papiernen Drachen, welcher nur höher steige, wenn ihn der Knabe an der Schnur ziehe und zügle, aber sofort sich senke, wenn ihn der Kleine nicht anhalte, sondern gehn lasse.

Wir kommen endlich auf unser Werk zurück. Die größten Verbesserungen darin sind wohl die historischen. Denn seit der ersten Ausgabe hatt' ich das Glück, teils den Schauplatz Kuhschnappel selber (wie in Jean Pauls Briefen längst berichtet worden) zu besuchen und zu besehen, teils durch den Briefwechsel mit dem Helden selber ungedruckte Familienbegebenheiten zu gewinnen, zu welchen wohl auf keinem andern Wege zu gelangen war, wenn man sie nicht geradezu erdichten wollte. Sogar neue Leibgeberiana hab' ich erbeutet, die mich jetzo unsäglich erfreuen, da ich sie mitteilen kann.

Gewonnen ferner hat die neue Ausgabe durch die Landes-Verweisung aller der Ausländer von Wörtern, welche den geschicktesten Eingebornen den Platz weggenommen.

 

Bereichert hat sich weiter die neue Ausgabe durch die kritische Ausleerung von allen Genitiv-End-S in den Samm- oder Gesamtwörtern. Freilich ungemein beschwerliche Ausfegungen von Buchstaben und Wörtern durch vier lange Bände hindurch kann wohl niemand so hoch ansetzen, nicht einmal die Nachwelt, als der Ausfeger selber.

Verbessert wurde ferner die neue Auflage dadurch, daß ich die beiden Blumenstücke an das Ende des zweiten Bandes stelle (denn in der alten standen sie ganz im Anfange des ersten), und daß ich mit dem ersten Fruchtstücke nicht den ersten Band, sondern viel zweckmäßiger den dritten abschließe; lauter Unterschiede, die früher nicht da gewesen.

Endlich mag es vielleicht als eine der kleinern Verbesserungen gelten, daß ich in den beiden Blumenstücken – besonders in dem des toten Christus – gar keine gemacht, sondern alles gelassen, wie es war, und den bunten goldnen Streusand, womit ich die Schriftzüge etwas unleserlich und höckerig gemacht, abzuschaben unterlassen.

Dies sind nun die vornehmsten Verbesserungen, über welche ich so gern ein Urteil von guten Kunstrichtern, welche die Auflage vergleichen wollten, zum Wachstume meiner Kenntnisse, ja vielleicht meines Ruhms zu erleben wünschte. Da aber nichts verdrüßlicher ist als das Gegeneinanderhalten des alten Buchs gegen das verbesserte: so hab' ich in der Realschulbuchhandlung das gedruckte Exemplar der alten Auflage niedergelegt, in welchem die ganze mit Dintenschwärze verbesserte Druckerschwärze, nämlich alle durchstrichenen Stellen leicht auf einmal zu übersehen sind, oft halbe und ganze totgemachte Seiten, so daß man erstaunt. Der entferntere Kunstrichter freilich müßte, da er vielleicht ebenso ungern als der benachbarte Berlins mit Korrektors-Schiffziehen Blatt für Blatt beider Auflagen gegeneinander abwägt, sich damit begnügen, daß er die Bände von beiden in zwei Gewürzkrämerschalen legte und dann zusähe; er wird aber finden, wie sehr die neue Auflage die alte überwiegt. Aus der Strenge gegen zweite Auflagen nun dürften dann leicht beide Männer ihre Schlüsse auf die Strenge gegen erste, und aus dem Ausstreichen des Gedruckten auf das frühere des Geschriebenen ziehen; – und dies wäre allerdings ein Fest für mich.

Baireuth, im Sept. 1817

Dr. Jean Paul Fr. Richter

Vorrede

womit ich den Kaufherrn Jakob Oehrmann einschläfern mußte, weil ich seiner Tochter die Hundposttage und gegenwärtige Blumenstücke etc. etc. erzählen wollte

Den hl. Weihnachtabend 1794, als ich aus der Verlaghandlung beider Werke und aus Berlin in der Stadt Scheerau ankam, trat ich sogleich vom Postwagen in das Haus des Herrn Jakob Oehrmann, meines vorigen Gerichtherrn, weil ich Wiener Briefe hatte, die er recht gut gebrauchen konnte. Ein Kind kann sich vorstellen, daß ich damals keinen Gedanken an eine Vorrede hatte: es war sehr kalt – schon der 24te Dezember – die Laternen brannten schon – und ich war so steif ausgefroren wie das Rehkalb, das als blinder Passagier mit mir auf dem Postwagen gesessen. Im Laden selber, der voll Zug- und anderen Windes war, konnte kein vernünftiger Vorredner wie ich arbeiten, weil da schon eine Vorrednerin – Oehrmanns Tochter und Ladendienerin – mit mündlichen Vorreden die besten Weihnachtalmanache, die man hat, begleitete und verkaufte, Duodez-Werkchen auf Löschpapier, aber mit echtem Inhalt aus dem goldenen und silbernen Zeitalter, ich meine die Phrases-Bücher voll Gold- und Silberschaum, womit der Hl. Christ wie der Herbst seine Geschenke vergoldet oder wie der Winter versilbert. Ich verdenk' es der armen Ladenzofe nicht, daß sie, von so vielen Einkäufern des Hl. Abends bestürmt, auf einen alten Verkäufer so vieler hl. Abende, auf mich alten Kundmann, kaum hinnickte und mich, ob ich gleich erst aus Berlin anlangte, sogleich zum Vater hineinwies.

Drinnen war alles in Glut, Jakob Oehrmann sowohl wie sein Schreibkontor: er saß auch über einem Buche, aber nicht als Vorredner, sondern als Registrator und Epitomator, er zog die Generalbilanz des libro maestro. Er hatte sie schon zweimal aufsummiert, aber die Kredit-Summa war und blieb um ein Schweizer-Örtlein, d. i. 13½ Xr. Zürcher Währung, zu seinem Schrecken größer als die Debet-Summa. Der Mann hatte mit sich und mit dem Triebel an der im Kopfe gehenden Rechnungmaschine zu tun: er sah mich kaum an, ob ich gleich sein Gerichthalter gewesen war und Wiener Briefe hatte. Für Kaufleute, die wie ihre Fuhrleute in der ganzen Welt zu Hause sind, und denen die entferntesten andern handelnden Mächte täglich Großbotschafter und Envoyés, nämlich Reisediener schicken, für diese ists nichts Großes, wenn man aus Berlin oder aus Boston oder Byzanz anlangt.

Ich stand, an diese kaufmännische Kälte gegen den Menschen gewöhnt, ruhig am Feuer und hatte meine Gedanken, die hier zu des Lesers seinen werden sollen.

Ich untersuchte nämlich am Ofen das Publikum und befand, daß ich solches wie den Menschen in drei Teile zerlegen konnte – ins Kauf-, ins Lese- und ins Kunst-Publikum, wie mehre Schwärmer den Menschen in Leib, Seele und Geist. Der Leib oder das Kaufpublikum, das aus Geschäftgelehrten und Geschäftmännern besteht, dieses wahre deutsche Reichs-corpus callosum braucht und kauft die größten und korpulentesten (körperhaftesten) Werke und behandelt sie wie die Weiber die Kochbücher, es schlägt sie nach, um darnach zu arbeiten. Für diese gibt es in der Welt zweierlei ausgemachte Narren, die sich nur in der Richtung ihrer tollgewordnen Ideen unterscheiden, wovon die der einen zu sehr in die Tiefe, die der andern in die Höhe geht – kurz die Philosophen und die Dichter. Schon Naudäus macht in der Aufzählung der Gelehrten, die man ihrer Kenntnisse wegen in den mittlern Zeiten für Zauberer gehalten, die schöne Bemerkung, es sei dieses nur Philosophen, nie Juristen und Theologen widerfahren. Noch geht es den Weltweisen so, nur daß, da der edle Begriff von Zauberer und Hexenmeister, dessen spiritus rector und schottischer Meister der Teufel selber gewesen, herabgesunken ist zu dem Namen eines starken oder weisen Mannes und Taschenspielers, der Weltweise sich die letzte Bedeutung muß gefallen lassen. Mit dem Poeten steht es noch erbärmlicher; der Philosoph ist doch ein vierter Fakultist, ein Amtinhaber, und kann über seine Sachen lesen; aber der Poet ist gar nichts und wird nichts im Staate – er wäre denn nicht geboren, sondern gemacht von der Reichshofkanzlei –, und Leute, die ihn beurteilen können, werfen ihm ohne Umstände vor, er bediene sich häufig solcher Ausdrücke, die weder im Handel und Wandel, noch in Synodalschreiben, noch in General-Reglements, noch in Reichshofratsconclusis, noch in medizinischen Bedenken und Krankheitsgeschichten gang und gäbe wären, und er gehe sichtbar auf Stelzen und sei schwülstig und nie ausführlich oder kurz genug. Gleichwohl bekenn' ich gern, daß man auf diese Weise den Dichter so richtig rangordnet, wie Linnäus die Nachtigallen, welcher diese mit Recht, weil er von ihrem Gesang absah, unter die närrischen eckigbeweglichen Bachstelzen einrechnete.

Der zweite Teil des Publikums, die Seele, das Lese-Publikum, besteht aus Mädchen, Jünglingen und Müßigen. Ich werd' es weiter unten loben; es lieset uns alle doch und überschlägt gern dunkle Blätter, worin bloß räsoniert und geschwatzt wird, und hält sich wie ein ehrlicher Richter und Geschichtforscher an Fakta.

Das Kunst-Publikum, den Geist, könnt' ich wohl weglassen; die wenigen, die nicht nur für alle Nationen und alle Arten des Geschmacks Geschmack haben, sondern auch für höhere, gleichsam kosmopolitische Schönheiten, solche wie Herder, Goethe, Lessing, Wieland und noch einige, kommen mit ihren Stimmen bei einem Autor auch außer der Minderzahl derselben schon darum, weil sie ihn nicht lesen, wenig in Betracht.

Wenigstens verdienen sie nicht die Zueignung, womit ich mir am Ofen vornahm, das große Kauf-Publikum zu bestechen, das eigentlich den Buchhandel erhält. Ich wollte nämlich den Hesperus oder den Kuhschnappler Siebenkäs dem Gericht- und Handelherrn Jakob Oehrmann ordentlich zueignen: das war die Maske. Nämlich so:

Jakob Oehrmann ist kein verächtlicher Mann: er hatte in Amsterdam vier Jahre als Börsenknecht gedient, d. h. er läutete als kaufmännischer Glöckner von 11¾ bis 12 Uhr die Börsenglocke. – Darauf wurd' er scharrend und schindend ein gutes Haus, indem er keines machte, und stieg zur Würde eines Siegelbewahrers von einem ganzen ritterschaftlichen Siegelkabinette, das auf den adligen Schuldscheinen zerstreuet aufgepappt saß. – Er nahm zwar wie berühmte Schriftsteller kein bürgerliches Amt an, sondern schrieb lieber, aber die gemeine Stadtmiliz von Scheerau, der das Herz am rechten Orte sitzt, nämlich am sichersten, und die sich kühn durchziehenden Truppen zeigt als ein aufmerksames Beobacht-corps, nötigte ihn, ihr Hauptmann zu werden, ob er gleich mit der Stelle ihres Tuchlieferers sich behelfen wollte. – Er ist ehrlich genug, besonders gegen Kaufleute, und weit entfernt, wie Luther das geistliche Recht zu verbrennen, äschert er im bürgerlichen kaum wenige Titel aus dem siebenten Gebote ein, ja er brennt sie nur an wie die Wiener Zensur halb verbotne Bücher; und das tut er nur gegen Fuhr-, Schuld- und Edelleute. Vor einem solchen Manne kann ich ohne Gewissensbisse einigen wohlriechenden Weihrauch machen und in dem aufziehenden Zauberdampf seine holländische Gestalt, wie die eines Schröpferischen Gespenstes, vergrößert erscheinen lassen.

Nun wollt' ich unter seinem Bilde einige Züge vom großen Kauf-Publikum einschwärzen; denn er ist ein tragbares im Kleinen – er achtet, wie das große, nur Brotstudien und Bierstudien, keine Reden als Tischreden, keine gelehrtern Zeitungen als politische – er weiß, der Magnet ist bloß erschaffen, um seine hinangeworfnen Ladenschlüssel zu tragen, der Aschenzieher, um seine Tabakasche zu sammeln, seine Tochter Pauline, um beide zu ersetzen, wiewohl sie stärkere Dinge und stärker zieht als beide – er kennt nichts Höheres in der Welt als Brot und verabscheuet den Stadtmaler, der damit die Pastell-Kleckse wegscheuert – er und seine in drei Hansestädte eingemauerten Söhne lesen und schreiben kein anderes und kein geringeres Buch als das Haupt- und das Schmierbuch...

»Ich will verloren sein«, dacht' ich in der Ofenhitze, »wenn ich das Kauf-Publikum feiner schildern kann als unter dem Namen Jakob Oehrmanns, der nur ein Ast oder eine Fiber von ihm ist; aber es könnte nicht wissen, was ich wollte«, fiel mir ein; und dieses Rechnungsverstoßes wegen wurde auf heute ein ganz neuer Plan gemacht.

Die Tochter kam gerade, als ich den Verstoß heraus hatte, hinein und brachte den von Oehrmann heraus samt der Generalbilanz... Jetzo sah der Vater mich an und machte etwas aus mir, und als ich die Wiener Briefe – er setzt sie paulinischen und poetischen gleich – als Kreditive vorzeigte, wurd' ich aus einer stummen Freskopartie an der Kontorwand etwas, das Geist und Magen hat, und wurde mit letztem zum Abendessen behalten.

Ich wills nur – und hetzten auch die Kunstrichter alle deutsche Kreise gegen mich auf und gössen eine neue Türkenglocke – ganz herausfahren lassen, daß ich bloß der Tochter wegen kam und blieb. Ich weiß, die Gute hätte meine neuern Werke sämtlich gelesen, hätte ihr der Alte Zeit dazu gelassen; und eben daher konnt' ich mir nicht verbergen, es sei meine Schuldigkeit, den Vater in Schlaf zu reden, wenn nicht zu singen und nachher der wachen Tochter alles zu erzählen, was ich der Welt erzähle durch den Preßbengel. Dies war ja eben bekanntlich die Ursache, daß ich gewöhnlich immer kam und sprach, wenn er Posttag hatte und leicht einschlief.

Am Hl. Abend sollten gar die 45 Hundposttage fast in ebensoviel Minuten ausgezogen werden; ein langes Werk, das keinen kurzen Schlaf verlangte.

Ich wünschte, die Hrn. Redakteure der Rezensenten und Rezensionen, die mir hierin vieles verdenken, wären nur ein einzigesmal auf dem Kanapee neben meiner Namenbase Johanne Pauline gesessen: sie hätten ihr meine meisten Lebensbeschreibungen und die halbe Blaue Bibliothek in solchen guten pragmatischen Auszügen erzählt, als sie in Rezensionen vor ganz andern Gesichtern tun; sie wären in Wonne geschwommen über die Wahrheit in Paulinens Worten, über die Naivetät ihrer Mienen und über die Einfachheit sowohl als Schalkhaftigkeit ihrer Handlungen und hätten sie bei der Hand erfaßt und gesagt. »Solche rührende Lustspiele, wie eines da neben uns sitzt, schaff' uns nur der Dichter, und dann ist er unser Mann.« – Ja wären die Redakteure vollends weiter gekommen im Bücherausziehen und hätten sich und Paulinen noch mehr gerührt, als ich von so strengen kritischen Gerichthaltern kaum erwartet hätte – und hätten sie dann die milde, in einen Tränennebel hintauende Gestalt gesehen oder eigentlich beinahe verloren (weil Mädchen und Gold desto weicher sind, je reiner sie sind), und hätten sie, wie natürlich, in einer himmlischen Wärme sich und den schnarchenden Vater fast völlig vergessen... Beim Himmel! ich bin jetzo selber in der größten, und die Vorrede will so bis morgen währen. Es muß offenbar gelassener fortgefahren werden...

 

– Ich darf es, glaub' ich, annehmen, daß der Kauf- und Gerichtherr sich durch Briefschreiben am Hl. Abende so entkräftet hatte, daß ihm zum Einschlafen nichts fehlte als ein Mann, ders beschleunigte durch langstilisiertes Redenhalten. Der war ich wohl. Aber anfangs unter dem Abendessen bracht' ich freilich nur Sachen auf die Bahn, die der Prinzipal begriff. Mit dem Löffel und der Gabel in der Hand und vor dem Tischgebet war er noch zu dauerhaftem Schlaf untüchtig; ich ergötzte ihn also mit muntern Sachen von Belang, mit dem erschossnen unausgeweideten Passagier (dem obigen Rehkalb) – mit einigen kleinen Krämer-Falliments unterweges – mit meinen Gedanken über den Frankreichischen Krieg und mit der Beteuerung, die Friedrichstraße in Berlin sei eine halbe Meile lang und die dasige Preß- und Handelsfreiheit groß – auch merkt' ich an, daß ich durch wenige deutsche Kreise gefahren sei, worin nicht die Betteljungen noch als die Revisionräte und Leuteranten der Zeitungschreiber dienten. Die Zeitungmacher nämlich flößen mit ihrer Dinte allen Toten auf dem Schlachtfelde Leben ein und können die Auferstandenen wieder in der nächsten Affäre gebrauchen; die Soldatenjungen hingegen machen gern ihre Eltern tot und betteln auf Sterbelisten; sie schießen für einen Pfennig ihren Vater nieder, den der Zeitevangelist für einen Groschen wiederaufstellt – und so sind beide Wesen durch gegenseitige Lügen auf eine schöne Art eines des andern Gegengift. Dies ist die Ursache, warum ein Zeitungschreiber so wenig als der Rechtschreiber sich an Klopstocks Rechtschreibregel binden kann, nichts zu schreiben, als was man hört.

Als das Tischtuch weggezogen wurde, sah ich, es sei Zeit, den Fuß auf die Wiege zu setzen, worin der Hauptmann Oehrmann lag. Der Hesperus ist zu dick. Zu andern Zeiten hatt' ich Zeit genug; sonst fing ich bloß, um diese große Tulpe zum Schlafe zuzuziehen, mit Krieg und Krieggeschrei an – trat darin mit dem Naturrecht ein, oder vielmehr mit den Naturrechten, deren jede Messe und jeder Krieg neue liefert – hatte darauf nur wenige Schritte zum höchsten Grundsatze der Moral und tauchte so den Handelmann unvermerkt mitten in den magnetischen Gesundbrunnen der Wahrheit ein – oder ich hielt ihm mehre von mir angezündete neue Systeme, die ich widerlegte, unter die Nase und betäubte ihn mit dem Rauche so lange, bis er kraftlos umfiel... Dann kam Friede, dann machten ich und die Tochter den Sternen und Blumen draußen die Fenster auf, und der armen darbenden Seele wurde von mir die schönste poetische Bienenflora vorgesetzt...

Das war sonst mein Gang.

Heute nahm ich einen kürzern. Ich näherte mich sogleich nach dem Tischgebete, so weit es tunlich war, der Unverständlichkeit und legte dem Handelhause der Oehrmannischen Seele, ihrem Körper, die Frage vor, ob es nicht mehr Cartesianer als Newtonianer unter den Fürsten gebe. »Ich meine gar nicht in betreff der Tiere – fuhr ich langsam und langweilig fort –, welche Cartesius für unempfindliche Maschinen hielt, worunter also das edelste Tier, der Mensch, auch mit käme unverschuldet – sondern meine Meinung und Frage soll die sein: setzen nicht mehre das Wesen eines Staats, wie der große Cartesius das der Materie, in Ausdehnung und wenigere dasselbe, wie der größere Newton das der Materie, in Solidität?«

Er erschreckte mich mit der lebhaften Antwort: nur der flachsenfingische und der **er Fürst wären solide Männer, welche zahlen.

Jetzo stellte die Tochter einen Wäschkorb neben den Tisch und ein Letternkästchen auf ihn, um in die Hemden ihrer brüderlichen Hanse die ganzen Namen abzudrucken. Da sie ihm eine hohe weiße Fest-Tiara aus jenem herauslangte und die niedrige Sonnabend-Kapuze zurückempfing: so wurd' ich aufgemuntert, so dunkel und langweilig zu werden, als die Schlafmütze und meine Absicht es begehrten.

Da er nun gegen nichts so herzlich kalt ist als gegen meine Bücher und gegen alle schön-wissenschaftlichen Fächer: so beschloß ich, ihn ganz mit diesem verhaßten Stoffe einzubauen und zu überschlichten. Es gelang mir, so auszuholen: »Ich sorge fast, Hr. Hauptmann, Sie werden sich am Ende wundern, daß ich Sie noch auf keine Art, die man ausführlich nennen kann, mit meinen zwei neuesten opusculis oder Werken in Bekanntschaft gebracht, worunter das ältere seltsam genug Hundposttage heißt und das frischere Blumenstücke. Bring' ich aber heute nur das Wesentlichste aus den fünfundvierzig Posttagen bei und hole erst über acht Tage die Blumenstücke nach: so hab' ich vielleicht einiges wieder gut gemacht. Ich hab' es allein zu verantworten, wenn Sie gar nicht sagen können, was das erste Opus ist, wenn Sie es für ein Wappen- oder für ein Insektenwerk ansehen – oder für ein Idiotikon – für einen alten Codex – oder für ein Lexicon homericum – oder für einen Bündel Inaugural-Disputationen – oder für einen allezeit fertigen Kontoristen – oder für Heldengedichte und Epose – oder für Mordpredigten... Es ist aber nichts als eine gute Geschichte, durchwürkt jedoch mit obigen Werken schichtweise. Ich wollte selber, es wäre etwas bessers, Hr. Hauptmann – besonders wünscht' ich es so deutlich abgefaßt zu haben, daß man es halb im Schlafe lesen könnte und halb darin machen. Ich kenne hierin, Hr. Hauptmann, Ihre kritischen Grundsätze noch wenig und kann also nicht sagen, ist Ihr Geschmack britisch oder griechisch; aber ich besorge, es tut dem Werke Abbruch, daß darin Stellen – ich hoffe, es sind deren nicht viele – nachzuweisen sind, worin mehr als ein Sinn steckt, oder allerlei Bildliches und Blumiges zugleich, oder ein anscheinender Ernst, hinter welchem gar keiner ist, sondern lauterer Spaß (der Deutsche aber fordert seinen Geschäftstil) – und daß auch, befürcht' ich am gewissesten, in dem sonst weiten Werke die jetzigen Ritterromane, welche so oft von den alten herrlichen kunstlosen, nicht der leichten Feder, sondern des schweren Eisens mächtigen Rittern selber geschrieben zu sein scheinen, kaum mit dem Erfolge von mir nachgeahmt und erreicht worden, nach welchem ich so oft gerungen. – Vielleicht hätt' ich im Buche auch die Sittsamkeit und die Ohren der Damen öfter beleidigen mögen, als mancher Weltmann gefunden; da Bücher, sobald sie keine hohen Ohren, sondern nur keusche, und nicht den Staat, sondern nur die Bibel verletzen, am wenigsten anstößig sind, ja vielmehr, wenn es recht zugeht, zum Nachttischgeräte und zur literarischen Gerade aus demselben Grunde geschlagen werden, warum der L. 25 § 10. de aur. arg. die Gefäße der Unehren zum mundo muliebri und mithin der sel. Hommel sie zur weiblichen Gerade rechnet.«

Ich ersah hier zu spät, daß ich ihn dadurch auf einen munter machenden Gedanken geführt. Ich tat zwar einen Sprung in eine andere Materie und merkte an: verbotne Bücher stelle man überhaupt am sichersten in öffentlichen Bibliotheken auf, die man mit den gewöhnlichen Bibliothekaren versehen, weil ihre verdrüßliche Miene besser als ein Zensuredikt das Lesen abwendet; aber Jakobus sagte doch seinen Gedanken heraus: »Pauline, erinnere mich morgen daran, die Stenzin ist die Huren-Gebühren noch schuldig.« Es war mir ungemein verdrüßlich, daß, wenn ich den Schlaf bis auf wenige Schritte herangekörnet hatte, der Hauptmann wieder mit etwas abdrückte und losplatzte, was das beste Schlafpulver sogleich in alle Lüfte blies. Keinem Menschen ist überhaupt schwerer Langeweile zu geben als einem, der sie selber immer austeilt; leichter getrau' ich mir in fünf Minuten einer vornehmen geschäftfreien Frau Langeweile zu machen als in ebenso vielen Stunden einem Geschäftmanne.

Die gute Pauline, die heute so gern die Historie hören wollte, die ich in Handschrift nach Berlin begleitet hatte, legte mir langsam folgende Buchstaben aus dem Hemde-Schriftkasten einzeln in der Hand herum: erzahlen, d. h. ich sollte dieser guten Hemd-Setzerin die Hundposttage heute erzählen.

Ich griffs von neuem an und begann seufzend dergestalt: »Hr. Gerichtprinzipal, berlinische Lettern dieser Art wird meine Wenigkeit nun auch durch ihr neuestes Werk in Bewegung setzen, und auf solche feine Hemden, wenn sie der Holländer als Posthadern unter sich gehabt, werden meine Posttage gesetzt wie jetzo die Namen von Ihren drei Hrn. Söhnen. In der Tat, muß ich bekennen, hatt' ich nichts, um mich zu trösten, als ich auf der Post hineinwärts saß und den rechten Fuß unter meine Handschrift und den linken unter einen Bittschriften-Ballen steckte, der dem Scheerauer Fürsten zur Armee nachreisete, ich hatte, sag' ich, weiter nichts, um mich zu trösten, als den natürlichen Gedanken: der Teufel mach' es anders. Nur tut dies niemand weniger als der. Denn, beim Himmel! in einem Zeitalter wie unserem, in einem, wo das Orchester die Instrumente der Weltgeschichte erst zu einem künftigen Konzerte stimmt, wo mithin noch alles unerhört ineinanderschnarrt und -pfeift (daher einmal das Stimmen einem marokkanischen Gesandten am Wiener Hofe noch besser als die Oper gefiel) – in einem solchen Zeitalter, wo es so schwer ist, den feigen Menschen vom mutigen, den lässigen vom tatendurstigen, den verdorrten vom grünenden zu unterscheiden, wie jetzo im Winter die fruchttragenden Bäume aussehen wie die verreckten – in einem solchen Zeitalter gibts für einen Autor keinen Trost als einen, dessen ich heute noch nicht gedacht habe, den nämlich: daß er doch ein Zeitalter, worin höhere Tugend, höhere Liebe und höhere Freiheit seltene Phönixe oder Sonnenvögel sind, recht gut mitnehmen und die sämtlichen Vögel so lange recht lebhaft malen kann, bis sie selber geflogen kommen; alsdann freilich, wenn sie in ihren Urbildern auf der Erde ansässig sind, ist wohl uns allen das Schildern und Preisen derselben größtenteils versalzen und zuwider gemacht und ein bloßes Dreschen leeren Strohs. – – Nur wer nicht handeln kann, arbeitet für Pressen.«

»- Die Arbeit ist nur darnach«, fiel der wache Handelmann ein, »der Handel ernährt seinen Mann; aber Bücherschreiben ist nicht viel besser als Baumwolle spinnen, und Spinnen ist das nächste am Betteln... ihnen nicht zu nahe geredet; aber alle verdorbene Buchhalter und fallite Kaufleute fallen zuletzt aufs Fabrizieren der Rechen- und andrer Bücher.«