Loe raamatut: «Traum oder wahres Leben»

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Joa­chim R. Steu­del

Traum oder wah­res Le­ben

Dao - Der Weg


In­halts­ver­zeich­nis

Ti­tel

Ver­zweif­lung

Er­wa­chen

Die Kraft des Geis­tes

Eine neue Freund­schaft

Er­fah­run­gen

Auf Wan­der­schaft

Yin und Yang

Der lan­ge Auf­ent­halt

Zu­rück nach Shao­lin

Die Er­kennt­nis

Ver­än­de­run­gen

Är­ger

Schlech­te Nach­rich­ten

Die Ge­sandt­schaft

Buch­lis­te

Impressum neobooks

Verzweiflung

Ein stei­ler, durch den an­hal­ten­den Nie­sel­re­gen schlüpf­ri­ger Weg führ­te in vie­len Win­dun­gen den Berg hi­n­auf. Mit zü­gi­gen und den­noch si­che­ren Schrit­ten streb­te ein etwa drei­ßig­jäh­ri­ger Mann auf die­sem dem Gip­fel ent­ge­gen. Nur noch we­ni­ge Me­ter trenn­ten ihn vom höchs­ten Punkt, als der schma­le Pfad um einen leicht vor­sprin­gen­den Fels­grat bog. Nach­dem er die­se nicht ganz un­ge­fähr­li­che Stel­le pas­siert hat­te, wur­de der Blick frei auf eine klei­ne Ter­ras­se. Bei schö­nem Wet­ter konn­te man von die­ser Stel­le aus weit ins Land schau­en, doch an die­sem Tag war durch das neb­li­ge und reg­ne­ri­sche Wet­ter die Sicht bis auf we­ni­ge Me­ter ein­ge­schränkt. Am Rand die­ses über­hän­gen­den Fels­stückes, nur eine Hand­breit vom Ab­grund, stand eine jun­ge Frau. Die nas­sen, ver­kleb­ten Haa­re hin­gen ihr ins Ge­sicht und an ih­rer durch­näss­ten Klei­dung konn­te man er­ken­nen, dass sie schon län­ger hier stand.

Un­ge­hört von der Frau ging der Mann zu der et­was über­hän­gen­den Fels­wand, die in ei­nem leich­ten Halb­kreis den hin­te­ren Teil die­ses Or­tes um­rahm­te. Nach­dem er sie eine Wei­le be­ob­ach­tet hat­te, durch­brach er die Stil­le.

»Warum wol­len Sie Ihr Le­ben weg­wer­fen, es hat doch ge­ra­de erst be­gon­nen?«

Er­schro­cken fuhr die Frau he­r­um und wäre da­bei bei­na­he ab­ge­rutscht. Das Gleich­ge­wicht wie­der er­lan­gend und einen Schritt vom Ab­grund zu­rück­wei­chend, schau­te sie den Mann mit weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen an.

Sein schon fast ganz er­grau­tes Haar schi­en selt­sa­mer­wei­se noch voll­kom­men tro­cken zu sein. Groß und schlank ge­wach­sen, strahl­te er eine Ruhe aus, wie sie es noch nie ge­spürt hat­te. Auf ei­nem Bein ste­hend, das an­de­re an­ge­win­kelt an der Fels­wand, schau­te er ihr freund­lich lä­chelnd in die Au­gen. Die­ser Blick hielt sie für kur­ze Zeit ge­fan­gen.

»Wer sind Sie? Wo kom­men Sie her? Wie lan­ge ste­hen Sie schon hier?«

Er lach­te fast un­hör­bar.

»Mein Name tut hier nichts zur Sa­che. Sie ken­nen mich ja doch nicht.«

»Noch nicht!«, füg­te er lä­chelnd hin­zu. Tief sog er die fri­sche, feuch­te Luft ein und sie hat­te den Ein­druck, dass er bis in ihr In­ners­tes se­hen konn­te.

»Ich ste­he schon lan­ge ge­nug hier, um Ihre Ab­sicht zu ken­nen. Ehr­lich ge­sagt ist es ge­nau das, was mich hier­her ge­führt hat.«

»Was wis­sen Sie schon von mei­nen Ab­sich­ten und was geht Sie das an?!«

Wü­tend dreh­te sie sich zum Ab­grund um, und ein we­nig lei­ser füg­te sie hin­zu: »Sie ha­ben doch kei­ne Ah­nung! Für Sie scheint das Le­ben in Ord­nung zu sein.«

Ihre Ge­dan­ken ras­ten und setz­ten fort, was sie laut aus­ge­spro­chen hat­te.

»Aber für mich ist es nicht mehr le­bens­wert. Ich habe al­les ver­lo­ren, selbst zer­stört! Ich habe ja selbst kei­ne Ach­tung mehr vor mir, wer soll­te mich denn noch mö­gen nach dem, was ich ge­tan habe!?«

Trä­nen misch­ten sich ins Re­gen­was­ser, das ihr im Ge­sicht he­r­un­ter­lief. Trau­rig und tief ver­letzt stand sie da und wag­te doch nicht, die­sen einen Schritt zu tun. Der Zwie­spalt in ih­rem In­ne­ren war rie­sig, sie schäm­te sich, fühl­te sich aus­ge­nutzt, ekel­te sich vor sich selbst. Und doch wehr­te sich ihr Ver­stand, ihre See­le ge­gen die Selbst­ver­nich­tung.

»Si­cher­lich sieht es so aus, als ob das Le­ben für mich in Ord­nung wäre, aber das war nicht im­mer so. Auch ich woll­te mei­nem Le­ben am liebs­ten ein Ende set­zen, und glau­ben Sie mir, es war zwar aus ei­nem an­de­ren Grund, aber für mich war in die­sem Mo­ment das Le­ben auch nicht mehr le­bens­wert. Doch nichts auf die­ser Welt kann recht­fer­ti­gen, dass je­mand sein Le­ben weg­wirft. Ich den­ke, ich weiß wo­von ich spre­che, denn ich habe ge­nug er­lebt. Und das, wes­we­gen Sie Ihr Le­ben weg­wer­fen wol­len, ist es nicht wert, die­sen Schritt zu tun! Nicht Sie müs­sen sich schä­men für das, was Sie ge­tan ha­ben, son­dern die, die Sie aus­ge­nutzt und be­nutzt ha­ben! Ei­gent­lich sind Sie doch ein Op­fer, das Op­fer des Be­darfs, der Wün­sche und Fan­tasi­en an­de­rer.«

Lang­sam, wie die Trop­fen des Re­gens, dran­gen die Wor­te in sie ein und nur zö­gernd wur­de ihr be­wusst, dass er sprach, als ob er all ihre Ge­dan­ken ken­nen wür­de. Sie dreh­te sich wie­der um, sah ihn mit ih­ren ver­wein­ten, tief­trau­ri­gen Au­gen an und ver­such­te zu er­grün­den was, wie viel und wo­her er es wuss­te.

»Ich ken­ne Sie nicht und doch spre­chen Sie so, als ob Sie alle mei­ne Ge­dan­ken ken­nen wür­den. Wo­her wol­len Sie wis­sen, warum ich hier ste­he, wes­halb ...«

Plötz­lich durch­zuck­te ein Ge­dan­ke ihr Ge­sicht, ihre Au­gen blitz­ten auf und zor­nig, ag­gres­siv, ja feind­se­lig fuhr sie ihn an.

»Au­ßer«, sie dehn­te die Wor­te und wirk­te wie ein Pan­ther vor dem Sprung, »au­ßer, Sie sind auch ei­ner von de­nen, die sich die­sen Dreck an­schau­en und sich dran auf­gei­len!«

Lau­ernd sah sie ihn an und war­te­te auf sei­ne Re­ak­ti­on. Doch die­se fiel ganz an­ders aus, als sie er­war­tet hat­te. »Eine lo­gi­sche Schluss­fol­ge­rung, doch weit da­ne­ben. So ohne Wei­te­res kön­nen Sie es doch nicht ver­ste­hen. Aber viel­leicht soll­te ich Ih­nen eine Ge­schich­te er­zäh­len, da­mit Sie das Le­ben, auch Ihr Le­ben, bes­ser ver­ste­hen. Ihr Zorn ist ver­ständ­lich, da Sie sich aus­ge­nutzt und miss­braucht füh­len und doch ha­ben Sie es frei­wil­lig und bei vol­lem Be­wusst­sein der Fol­gen ge­tan. Eine Zeit­lang hat es Ih­nen ja auch Freu­de be­rei­tet. In mei­nen Au­gen ist auch nichts Ver­werf­li­ches da­bei, so­lan­ge man sei­ner See­le kei­nen Scha­den da­mit zu­fügt. Viel schö­ner und er­fül­len­der ist es aber, wenn es aus Lie­be ge­schieht.«

»Wo­her …«, zö­gernd und im­mer noch ab­leh­nend ka­men die Wor­te über ihre Lip­pen, »wo­her wis­sen Sie das al­les, mit wem ha­ben Sie ge­spro­chen, wer hat Ih­nen das al­les über mich er­zählt?«

Halb­laut, mehr zu sich ge­spro­chen, füg­te sie noch hin­zu: »Aber ei­gent­lich, ei­gent­lich habe ich doch mit kei­nem dar­über ge­spro­chen?! Kei­ner weiß, wie ich mich füh­le, was mich be­wegt, wo­nach ich mich seh­ne.«

Ihre Au­gen wur­den wie­der feucht.

»Nein! Sie ha­ben mit kei­nem dar­über ge­spro­chen, ha­ben al­les in Ih­rer See­le ein­ge­schlos­sen! Sie schä­men sich. Se­hen in je­dem Blick Ab­leh­nung. Ha­ben das Ge­fühl, dass an­de­re Sie ver­ach­ten und sind ver­bit­tert, weil Sie den­ken, alle re­den schlecht von Ih­nen. Doch die, die am meis­ten mit dem Fin­ger auf Sie zei­gen und läs­tern sind viel­leicht die Schlimms­ten, und schau­en vol­ler Wol­lust, zwi­schen den Fin­gern, ge­nau hin. Ei­gent­lich soll­ten die Men­schen nur über an­de­re rich­ten, wenn sie es selbst bes­ser ma­chen, eine Lö­sung für einen Kon­flikt ha­ben oder ein leuch­ten­des Vor­bild sind. Doch lei­der ist das nicht so!«

Eine kur­ze Pau­se ent­stand, in der er sich an sol­che Ge­ge­ben­hei­ten er­in­ner­te.

»Sie quä­len sich und fin­den doch kei­nen Aus­weg. Doch so­lan­ge Sie sich so vor al­len an­de­ren ver­schlie­ßen, spü­ren die­se Ihre Ab­leh­nung, Ihre Di­stanz und die, die Sie mö­gen und Ih­nen hel­fen könn­ten, fin­den kei­nen Weg zu Ih­nen.«

Lang­sam lös­te er sich von der Fels­wand, ging zwei Schrit­te zur Sei­te und setz­te sich dort auf einen Fels­block.

»Kom­men Sie, set­zen Sie sich mit hier­her. Ich möch­te Ih­nen eine Ge­schich­te er­zäh­len. Ob die­se Ge­schich­te wahr ist und von ei­nem ge­leb­ten Le­ben han­delt oder ein Traum, spielt kei­ne Rol­le. Hö­ren Sie ein­fach nur zu und wenn Sie dann im­mer noch in Selbst­mit­leid ver­sin­ken möch­ten, wer­de ich Sie nicht mehr stö­ren. Dann kön­nen Sie sprin­gen oder auch ewig hier ste­hen blei­ben.« Sie zö­ger­te. »Bit­te, bit­te kom­men Sie.«

Im­mer noch ver­blüfft über das nach­den­kend, was sie so­eben ge­hört hat­te, ging sie lang­sam auf ihn zu. Sie konn­te es sich nicht er­klä­ren, wo­her wuss­te er das al­les, wie konn­te er so über sie und mit ihr spre­chen, ob­wohl sie sich nicht kann­ten. Und doch flöß­te er ihr fast un­ein­ge­schränk­tes Ver­trau­en ein. Sie fühl­te sich viel ru­hi­ger und ent­spann­ter. In sei­nen Wor­ten hat­te sie all ihr Leid und ihre Ver­zweif­lung wie­der­ge­fun­den, und wie von ei­ner un­sicht­ba­ren Macht ge­zo­gen setz­te sie sich ne­ben ihn auf den Fels­block.

Er­schro­cken sprang sie im nächs­ten Au­gen­blick wie­der auf. Der Stein hät­te nass und kalt sein müs­sen und doch war er tro­cken und an­ge­nehm warm, so, als hät­te die war­me Som­mer­son­ne ihn wun­der­schön auf­ge­heizt. Ver­blüfft schau­te sie zum Him­mel. Die Wol­ken­de­cke war auf­ge­ris­sen und aus ei­nem klei­nen Loch, nicht viel grö­ßer als die Son­nen­schei­be, lach­te sie die­se an. In ih­ren Kopf wir­bel­te al­les durch­ein­an­der. Es war doch ei­gent­lich gar nicht mög­lich, eben hat­te es noch ge­reg­net und al­les um sie he­r­um und an ihr trief­te nur so vor Näs­se, wie konn­te da die­ser Fels­block tro­cken und warm sein?! Ihr wur­de lang­sam un­heim­lich, und noch einen Schritt zu­rück­wei­chend, sah sie zu die­sem selt­sa­men Mann hi­n­un­ter. Doch er streck­te nur sei­ne Hand nach ihr aus und for­der­te sie noch­mals auf, sich zu set­zen. Sie konn­te nicht wi­der­ste­hen, nahm sei­ne Hand und ließ sich auf dem Stein nie­der. Eine an­ge­neh­me Wär­me durch­ström­te sie, ihr wur­de leicht ums Herz und sie spür­te, dass sie kei­ne Furcht vor ihm ha­ben muss­te.«

Lang­sam, in sei­nem Ge­dächt­nis al­les ord­nend, be­gann der Mann zu spre­chen.

»Es be­gann vor über ei­nem Jahr mit ei­nem rich­tig großen Fa­mi­li­en­krach. Ich hat­te ein gut­ge­hen­des Han­dels­ge­schäft mit über vier­zig An­ge­stell­ten auf­ge­baut und kurz zu­vor das große Po­ten­zi­al ent­deckt, das im Han­del mit den ehe­ma­li­gen Ost­block­län­dern, Po­len, Russ­land und der Ukrai­ne, steckt. Lei­der hat­te ich da­bei nicht be­dacht, dass es dort ei­ni­ge Or­ga­ni­sa­tio­nen gibt, die an je­dem Ge­schäft mit­ver­die­nen oder auch al­lein ver­die­nen wol­len. Kurz und gut, es dau­er­te nicht lan­ge und ich be­kam Be­such von ei­ni­gen un­sym­pa­thi­schen Män­nern. Die­se droh­ten mir und stell­ten mas­si­ve For­de­run­gen. Ich fühl­te mich im Recht, ließ mich nicht so leicht ein­schüch­tern und wies ih­nen, die Ge­fahr un­ter­schät­zend, die Tür. Als sie den Raum ver­lie­ßen, dreh­te sich ihr An­füh­rer um und sag­te zu mir, dass ich die­sen Feh­ler bald be­reu­en wür­de. Ich lach­te ihn aus und wies ihm zor­nig die Tür.«

Nach­denk­lich und kaum hör­bar füg­te er hin­zu: »Wie oft habe ich das be­reut, wie oft habe ich mich ge­fragt, was wäre, wenn ich da­mals nach­ge­ge­ben hät­te. Ja, was wäre, wenn?, wie oft habe ich mich das seit­dem ge­fragt.«

Er schüt­tel­te sich kurz und fuhr dann, die­sen Ge­dan­ken un­ter­drückend, mit sei­ner Ge­schich­te fort.

»Am sel­ben Abend habe ich mei­ner Frau da­von er­zählt. Er­schro­cken, ja pa­nisch vor Angst, hat sie mir Vor­wür­fe ge­macht, hat mich ein­dring­lich ge­be­ten nach­zu­ge­ben, das Ge­schäft mit die­sen Län­dern sein zu las­sen. Im­mer wie­der sag­te sie zu mir: ›Es reicht doch, was wir mit dem Han­del hier ver­die­nen, wir sind ver­mö­gend, ha­ben al­les was wir brau­chen, und es geht uns bes­ser als all un­se­ren Be­kann­ten, warum kannst du es nicht da­bei be­las­sen?‹ Ich habe all ihre Be­den­ken bei­sei­te­ge­scho­ben, hab sie aus­ge­lacht und auf mei­nem Stand­punkt be­harrt. An die­sem Abend ha­ben wir uns to­tal ver­strit­ten und sind ohne Ver­söh­nung schla­fen ge­gan­gen. Ich fühl­te mich im Recht und bin so­fort ru­hig und fest ein­ge­schla­fen, doch sie ...«

»Was ist? Was ha­ben Sie? Wes­halb schau­en Sie mich so an?«

Wie­der war die jun­ge Frau hoch­ge­sprun­gen, hat­te sich los­ge­ris­sen und schau­te sich er­schro­cken um. Die Wol­ken­de­cke über ih­nen war noch wei­ter auf­ge­ris­sen. Über dem Berg war ein großes Stück blau­er Him­mel zu se­hen und al­les um sie he­r­um mach­te einen freund­li­chen und fried­li­chen Ein­druck. Rund­he­r­um konn­te man in ei­ni­ger Ent­fer­nung se­hen, dass es dort im­mer noch neb­lig und reg­ne­risch war. Nur hier in ih­rer nä­he­ren Um­ge­bung schi­en ein wun­der­schö­ner Som­mer­tag zu sein. Zit­ternd vor Schreck sah sie den Mann wie­der an und sag­te: »Es ist al­les so selt­sam, die­ser Wet­ter­wech­sel um uns he­r­um, Ihr Auf­tre­ten, und dann, als ich die Au­gen ge­schlos­sen habe, ich ...«, sie stock­te kurz, »ich hab Ihre Frau ge­se­hen, ich war da­bei, als Sie sich ge­strit­ten ha­ben. Ich habe al­les ge­se­hen, den Zorn ge­spürt, Ihre Woh­nung ge­se­hen, alle De­tails. Es war … war, als ob ich ne­ben Ih­nen ge­stan­den hät­te. Es … es macht mir Angst, es war al­les so rea­lis­tisch!«

Wie­der lä­chel­te er sie an, streck­te sei­ne Hand nach ihr aus und sag­te: »Sie brau­chen kei­ne Angst zu ha­ben, es ge­schieht Ih­nen nichts. Wenn ich Ihre Hand hal­te, kön­nen Sie nur mei­ne Ge­dan­ken füh­len und da­durch al­les rich­tig mit­er­le­ben. Es hilft Ih­nen, das Ge­sche­hen bes­ser zu ver­ste­hen und Sie wer­den im Lau­fe der Ge­schich­te auch noch be­grei­fen, warum das so ist.«

Er mach­te wie­der eine ein­la­den­de Be­we­gung und zö­gernd, ihn ge­nau be­ob­ach­tend, griff sie zu. So­fort spür­te sie die Wär­me und Ruhe in sich ein­drin­gen und gab je­den Wi­der­stand auf. Er fuhr fort, sei­ne Ge­schich­te zu er­zäh­len, und aber­mals hat­te sie den Drang, ihre Au­gen zu schlie­ßen. Sie gab nach und au­gen­blick­lich war sie wie­der mit­ten im Ge­sche­hen. Sie hat­te das Ge­fühl, über ihm zu schwe­ben und gleich­zei­tig in ihm zu sein und all sei­ne Ge­füh­le zu tei­len.

»Der We­cker klin­gel­te, ich tas­te­te im Dunklen nach ihm und schal­te­te ihn aus. Zu­rück ins Bett sin­kend und lang­sam mun­ter wer­dend, wan­der­ten mei­ne Ge­dan­ken zu­rück zum Vor­abend. Der häss­li­che Streit und all die an­de­ren Er­leb­nis­se des Vor­ta­ges kehr­ten in mein Ge­dächt­nis zu­rück. Ich schau­te zu mei­ner Frau und lausch­te ih­ren Atem­zü­gen. Ihr Atem war ru­hig und gleich­mä­ßig, als ob sie noch tief schla­fen wür­de und doch hat­te ich das Ge­fühl, dass das nicht so war. Das schwa­che Licht der Stra­ßen­lam­pe, die noch durch ei­ni­ge Bäu­me ver­deckt wur­de, reich­te nicht aus, um mehr als ihre Um­ris­se zu er­ken­nen. Ich hob mei­nen Kopf, um ihr Ge­sicht bes­ser se­hen zu kön­nen, doch da­durch konn­te ich sie, da ich zwi­schen ihr und dem Fens­ter lag, nur noch schlech­ter er­ken­nen.

Frus­triert stand ich auf und ging ins Bad. Ich woll­te sie nicht we­cken und falls sie mun­ter war, woll­te sie an­schei­nend nicht ge­stört wer­den. Beim Zäh­ne­put­zen ging mir der Vor­tag noch ein­mal durch den Kopf. Der Streit mit mei­ner Frau lag mir schwer auf der See­le. Ich hät­te mich ger­ne mit ihr aus­ge­spro­chen, denn ich wuss­te, dass sie in vie­lem recht hat­te. Aber ich war auch nicht be­reit nach­zu­ge­ben, denn es war für mich eine Sa­che der Ehre und des Prin­zips, mich sol­chen Leu­ten nicht zu beu­gen. Wenn ich mich im Recht fühl­te, konn­te ich stur wie ein al­ter Esel sein, und ich wich um nichts von mei­nem Stand­punkt ab. Wir wa­ren lan­ge ge­nug zu­sam­men, so­dass sie das auch wuss­te und ihr war klar, dass sie mei­ne Mei­nung nicht ohne Wei­te­res än­dern konn­te.

Un­se­re Be­zie­hung war schon seit ei­ni­ger Zeit nicht mehr so har­mo­nisch wie frü­her. Sie warf mir vor, zu viel Zeit und zu vie­le Ge­dan­ken ans Ge­schäft zu ver­schwen­den und zu we­nig Zeit für sie zu ha­ben. Jetzt ist mir be­wusst, wie recht sie da­mit hat­te, denn al­les ist ver­gäng­lich, nur die Er­in­ne­run­gen blei­ben und so war es nur der Trop­fen, der das Fass zum Über­lau­fen brach­te.

Ich mach­te Früh­stück, las die Zei­tung und war in Ge­dan­ken schon wie­der im Ge­schäft, als mei­ne Frau die Kü­che be­trat. Man sah ihr an, dass sie nicht erst auf­ge­wacht und dass ihr Zorn noch nicht ver­raucht war. Schwei­gend setz­te sie sich an den Früh­stücks­tisch. Ich be­ob­ach­te­te sie und wuss­te im sel­ben Mo­ment, dass sie von al­lein be­gin­nen muss­te, dass ich es nur noch schlim­mer ma­chen wür­de, wenn ich sie be­drän­gen wür­de. Schwei­gend sa­ßen wir uns eine gan­ze Wei­le ge­gen­über und ich wur­de lang­sam un­ge­dul­dig, schau­te im­mer wie­der ver­stoh­len auf die Uhr, denn wenn ich pünkt­lich sein woll­te, muss­te ich nun bald ge­hen. Es ar­bei­te­te in ihr und sie war wahr­schein­lich kurz da­vor ih­rem Her­zen Luft zu ma­chen, als ich es nicht mehr aus­hielt und sie un­ge­dul­dig an­sprach: ›Gabi, ent­schul­di­ge bit­te, ich woll­te dich ges­tern Abend nicht ver­let­zen! Ich will auch kei­nen in Ge­fahr brin­gen und mir geht es im Prin­zip auch nicht so sehr um die Ge­win­ne aus die­sen Ge­schäf­ten. Aber wo kom­men wir denn hin, wenn man sich von je­dem er­pres­sen las­sen muss und ir­gend­wel­che Da­her­ge­lau­fe­ne ein­fach an un­se­rer Hän­de Ar­beit mit­ver­die­nen kön­nen, ohne einen Fin­ger krumm zu ma­chen! Ich sehe das nicht ein, und wer­de sol­chen Leu­ten auch nie­mals nach­ge­ben!‹

Ich hat­te mich wie­der in Zorn ge­re­det, hol­te tief Luft und füg­te dann et­was ru­hi­ger hin­zu: ›Na­tür­lich wer­de ich mich heu­te gleich noch mit der Po­li­zei in Ver­bin­dung set­zen, aber ich den­ke, dass die nur ge­blufft ha­ben und auf Dum­men­fang sind.‹

Ich ahn­te ja da­mals nicht, wie sehr ich mich ge­irrt hat­te. Und in der Hoff­nung, dass mit die­sen Wor­ten al­les wie­der in Ord­nung wäre, füg­te ich hin­zu: ›Bist du mir wie­der gut? Es macht mich krank, wenn ich nicht mit dir re­den kann! Ich möch­te doch nur, dass du mich ver­stehst. Ach Gabi, ich brauch dich und dein Ver­ständ­nis doch!‹

›Ach ja, du brauchst mein Ver­ständ­nis? Seit wann denn das? Du willst doch nur, dass ich zu al­lem schön Ja und Amen sage! Seit wann in­ter­es­siert es dich denn, was ich den­ke und füh­le? Du kommst nach Hau­se, er­zählst mir von dei­nem Stress­tag, was je­ner ge­sagt, der ge­tan hat, wel­che Pro­ble­me du hat­test und wie du sie ge­löst hast. Dann teilst du mir noch so ganz ne­ben­bei mit, dass du er­presst wirst und zwar mit mas­si­ven Dro­hun­gen auch ge­gen dei­ne Fa­mi­lie. Und dann, dann willst du das mit sol­chen Be­mer­kun­gen wie ‚Ich wer­de es der Po­li­zei mel­den.‘ oder ‚Ich wer­de mich sol­chen Leu­ten nicht beu­gen.‘ ab­tun!? Ein­fach weg­wi­schen und zur Ta­ges­ord­nung über­ge­hen?! Was glaubst du ei­gent­lich, wer oder was du bist, dass du ein­fach so über die­sen Din­gen ste­hen kannst? Ich je­den­falls füh­le mich be­droht und habe Angst!‹

Sie hol­te tief Luft.

›Ich möch­te, dass du mir jetzt ge­nau zu­hörst! Also, ent­we­der gibst du de­nen nach und be­zahlst, lässt die­se Ge­schäf­te sau­sen und gehst dem Gan­zen da­mit aus dem Weg, oder‹, sie hol­te tief Luft und fuhr mit be­drück­ter Stim­me fort, ›oder ich wer­de dich ver­las­sen!‹

Sie sah mir in die Au­gen, und an ih­rem Blick konn­te ich er­ken­nen, dass es ihr bit­ter ernst war mit die­sen Wor­ten. To­tal über­for­dert fing ich an nach Aus­flüch­ten zu su­chen.

›Gabi, bit­te, ich will euch, will uns nicht in Ge­fahr brin­gen! Ich den­ke ganz ein­fach nur, dass die­se Leu­te nur bluf­fen und ver­su­chen, auf eine ein­fa­che und leich­te Art und Wei­se ans Geld zu kom­men. Ich wer­de ...‹

Zor­nig un­ter­brach sie mich.

›Siehst du, du fängst schon wie­der an, das Gan­ze zu ver­harm­lo­sen! Aber so ein­fach kommst du mir dies­mal nicht da­von! Ich hab dir drei Mög­lich­kei­ten ge­nannt. Und glaub mir, ich habe die gan­ze Nacht lang gründ­lich dar­über nach­ge­dacht und ich möch­te jetzt eine Ant­wort und nicht erst, wenn es zu spät ist! Ich hof­fe, du hast das jetzt ver­stan­den!‹

Sie wur­de im­mer wü­ten­der, stand auf und lief, ohne mich da­bei aus den Au­gen zu las­sen, wie ein ge­fan­ge­ner Ti­ger am Tisch hin und her. Nach ein paar wei­te­ren, sinn­lo­sen Ver­su­chen sie zu be­ru­hi­gen und eine Ent­schei­dung zu ver­schie­ben trat ich, um Zeit zu ge­win­nen, die Flucht an.

›Bit­te, Gabi, kön­nen wir uns heu­te Abend noch mal in Ruhe dar­über un­ter­hal­ten? Ich muss jetzt weg, ich kom­me so­wie­so schon zu spät zur Ar­beit. Ich möch­te jetzt nicht so un­ter Zeit­druck dar­über re­den. Viel­leicht ist es auch bes­ser, wenn wir bei­de noch mal al­les in Ruhe über­den­ken. Ich wer­de noch mal ...‹

Sie war ste­hen ge­blie­ben und un­ter­brach mich mit ei­nem trau­ri­gen Un­ter­ton in der Stim­me: ›Heu­te Abend wer­de ich nicht mehr da sein! Ent­we­der du ent­schei­dest dich jetzt oder ich fah­re dann mit Ma­ria und Tors­ten zu mei­nen El­tern.‹

Fra­gend sah sie mich an und als ich nicht gleich ant­wor­te­te fuhr sie fort: ›Gut, du willst nicht nach­ge­ben. Aber ich gebe dies­mal auch nicht nach!‹

Ihre Au­gen be­ka­men einen feuch­ten Schim­mer.

›Okay, ich hab das Han­dy ja im­mer da­bei, soll­test du dir’s doch noch an­ders über­le­gen, kannst du mich ja an­ru­fen. An­sons­ten ist jetzt erst mal al­les ge­sagt.‹

Mit schnel­len, ener­gi­schen Schrit­ten ver­ließ sie den Raum. Ver­blüfft schau­te ich ihr nach. So hat­te ich sie ja noch nie er­lebt, aber ich nahm ihre Dro­hung, mich zu ver­las­sen, im­mer noch nicht ernst und so mach­te ich mich auf den Weg zur Ar­beit.

Dort an­ge­kom­men, emp­fing mich mei­ne Se­kre­tä­rin gleich mit den Wor­ten:

›Ein Herr Igor hat schon mehr­fach an­ge­ru­fen und nach Ih­nen ver­langt. Er hat sei­nen Nach­na­men trotz Nach­fra­ge nicht ge­nannt, aber ich ver­mu­te, dass es ei­ner der Her­ren war, mit de­nen Sie ges­tern ge­spro­chen ha­ben.‹

›Was woll­te er denn?‹

›Das hat er mir nicht ge­sagt. Er woll­te un­be­dingt mit Ih­nen selbst spre­chen. Er wird nach­her noch mal an­ru­fen.‹

›Dan­ke.‹

Ich be­trat mein Büro, ließ mich in mei­nen Ses­sel fal­len, und nach­denk­lich strich ich mir über die Stirn. Warum war bloß al­les so kom­pli­ziert? Ich war im­mer ehr­lich und zum bei­der­sei­ti­gen Vor­teil mit mei­nen Kun­den um­ge­gan­gen. Wes­halb ich mir auch einen sehr gu­ten Na­men in der Bran­che ge­macht hat­te. Vie­le mei­ner Kon­tak­te hat­te ich Emp­feh­lun­gen an­de­rer Kun­den zu ver­dan­ken, wor­auf ich auch sehr stolz war, und nun war ich plötz­lich mit ei­nem Pro­blem kon­fron­tiert, auf das ich über­haupt nicht vor­be­rei­tet war. Ich hat­te den Kopf im­mer noch in mei­nen Hän­den ver­gra­ben und grü­bel­te dar­über nach, wie ich mich aus der Af­fä­re zie­hen könn­te, als das Te­le­fon klin­gel­te. Ich rich­te­te mich auf, strich die zer­wühl­ten Haa­re glatt und mel­de­te mich be­tont forsch:

›Ja!‹

›Herr Kauf­mann, hier ist wie­der die­ser Herr Igor. Soll ich ihn durch­stel­len?‹

›Ja.‹

›In Ord­nung, hier ist er.‹

›Ja, Kauf­mann, was kann ich für Sie tun?‹

›Ooh, das wis­sen Sie ganz ge­nau, Herr Kauf­mann‹, sprach er mich in sei­nem har­ten, aber gu­ten Deutsch an.

›Ha­ben Sie noch ein­mal nach­ge­dacht über un­ser Ge­spräch von ges­tern? Ich hof­fe, Sie ha­ben Ihre Mei­nung ge­än­dert und wir kön­nen nun, wie sa­gen Sie hier so schön, ‚Nä­gel mit Köp­fen ma­chen‘!‹

›Ja, ich habe noch ein­mal dar­über nach­ge­dacht!‹

Ich spür­te wie der Zorn in mir auf­stieg und muss­te mich sehr zu­sam­men­neh­men, um ru­hig und über­legt zu ant­wor­ten.

›Aber an mei­ner Mei­nung hat sich nichts ge­än­dert. Ich las­se mich nicht er­pres­sen, we­der von Ih­nen noch von an­de­ren. Wenn Sie Geld ver­die­nen wol­len, su­chen Sie sich einen Job oder bau­en Sie sich selbst et­was auf, so wie ich, aber ver­su­chen Sie nicht, auf Kos­ten an­de­rer zu le­ben. Sie wer­den von mir nichts be­kom­men!! Und da­mit ist das Ge­spräch be­en­det!‹

Ich hat­te den Hö­rer schon vom Ohr weg­ge­nom­men, doch dann zog ich ihn zu­rück und füg­te noch hin­zu:

›Und be­läs­ti­gen Sie mich nicht wie­der, es wird sich nichts an mei­nem Stand­punkt än­dern.‹

Be­vor ich den Hö­rer wie­der weg­neh­men konn­te, hör­te ich ihn sa­gen: ›Gut, gut, ich habe es fast be­fürch­tet. Aber wir wer­den ja se­hen. Ich wer­de mich wie­der mel­den, mor­gen, oder – ich den­ke – spä­tes­tens über­mor­gen. Bis bald!‹

Und mit die­sen Wor­ten leg­te er auf. Wü­tend schlug ich mit der Faust auf den Schreib­tisch, knurr­te ei­ni­ge halb­lau­te Flü­che vor mich hin und be­gann dar­über nach­zu­grü­beln, auf wel­che Wei­se mich die­ser Igor dazu brin­gen woll­te, sei­ne Be­din­gun­gen zu er­fül­len. Doch ich soll­te nicht dazu kom­men, mei­ne Ge­dan­ken zu Ende zu brin­gen. Die täg­li­chen Ar­bei­ten stan­den an. Es kam ein An­ruf nach dem an­de­ren, der Ver­tre­ter ei­nes un­se­rer wich­tigs­ten Lie­fe­ran­ten hat­te einen Ter­min bei mir und mei­ne Se­kre­tä­rin er­in­ner­te mich an den Mit­tags­ter­min in der Bank. Über all die­sen Din­gen hat­te ich die­sen Igor und mein Ver­spre­chen, mich mit der Po­li­zei in Ver­bin­dung zu set­zen, schon fast ver­ges­sen. Wes­we­gen ich auch sehr er­staunt war, als ich beim Ver­las­sen des Bü­ros von mei­ner Se­kre­tä­rin mit den Wor­ten auf­ge­hal­ten wur­de: ›Herr Kauf­mann, die Po­li­zei ist am Ap­pa­rat und möch­te Sie drin­gend spre­chen.‹

Ich schau­te auf die Uhr und sag­te: ›Das passt mir jetzt ei­gent­lich über­haupt nicht! Las­sen Sie sich die Num­mer ge­ben und wenn ich wie­der da bin, rufe ich zu­rück.‹

›Hab ich schon vor­ge­schla­gen, doch sie be­haup­ten, es sei drin­gend und sie müss­ten so­fort mit Ih­nen spre­chen.‹

Wi­der­wil­lig vor mich hin knur­rend ging ich wie­der in mein Büro, nahm das Ge­spräch aus der Mu­sik und mel­de­te mich mit den knap­pen Wor­ten: ›Ja, Kauf­mann, was kann ich für Sie tun?‹

Eine leicht ver­un­si­cher­te Stim­me ant­wor­te­te: ›Ja, äh, Herr Kauf­mann, hier spricht Haupt­wacht­meis­ter Schlich­ter, äh, ich ...‹

Un­ge­dul­dig un­ter­brach ich ihn: ›Herr Schlich­ter, wenn es nicht sehr drin­gend ist, möch­te ich Sie bit­ten, das Ge­spräch viel­leicht auf vier­zehn Uhr zu ver­schie­ben, da­mit ich jetzt mei­nen Bank­ter­min wahr­neh­men kann.‹

Mei­ne bar­sche, un­ge­dul­di­ge Art nahm ihm jede Hem­mung und be­tont sach­lich er­wi­der­te er: ›Herr Kauf­mann, ich den­ke es wäre bes­ser, wenn Sie die­sen Ter­min ver­schie­ben und erst ein­mal das Son­ne­ber­ger Kran­ken­haus auf­su­chen wür­den¸ denn ich muss Ih­nen lei­der mit­tei­len, dass Ihre Frau und Ihre Kin­der einen schwe­ren Ver­kehrs­un­fall hat­ten. Der Ret­tungs­dienst müss­te mitt­ler­wei­le dort an­ge­kom­men sein und ich wer­de, wenn die Er­mitt­lun­gen hier vor Ort ab­ge­schlos­sen sind, auch hin­fah­ren.‹

Ich sank in mei­nen Bü­ro­ses­sel und frag­te ver­ständ­nis­los: ›Un­fall? Aber sie fährt doch im­mer so vor­sich­tig, bes­ser als ich! Wie konn­te das denn pas­sie­ren, und wie geht es ih­nen?‹

Ich schau­te mit lee­ren Au­gen durch die of­fe­ne Bü­ro­tür auf mei­ne Se­kre­tä­rin und nahm nur im Un­ter­be­wusst­sein wahr, dass die­se das Ge­spräch mit­ge­hört hat­te, denn erst in die­sem Mo­ment hat­te ich den Hö­rer ab­ge­nom­men und die Laut­spre­cher­funk­ti­on de­ak­ti­viert. Sie tat ge­nau das, wes­we­gen ich ihre Mit­ar­beit so schätz­te, denn sie rief so­fort die Bank an und ver­schob den Ter­min auf un­be­stimm­te Zeit.

Wäh­rend­des­sen hat­te mir der Po­li­zist be­greif­lich ge­macht, dass er am Te­le­fon kei­ne wei­te­ren Aus­künf­te ge­ben wür­de. Wie ge­lähmt be­merk­te ich erst nach ei­ner gan­zen Wei­le, dass das Ge­spräch schon be­en­det war. Ge­dan­ken­ver­lo­ren leg­te ich den Hö­rer auf und such­te nach dem Au­to­schlüs­sel. Ich zog die Ja­cke an, klopf­te die Ta­schen ab, sah dann den Schlüs­sel ne­ben dem Te­le­fon lie­gen, zog die Ja­cke wie­der aus, nahm den Schlüs­sel, mach­te ei­ni­ge Schrit­te in Rich­tung Tür, be­merk­te, dass ich nur im Hemd war und dreh­te brum­mend wie­der um. Als ich in den zwei­ten Är­mel fuhr, ver­hed­der­te ich mich im Fut­ter. Mei­ne Se­kre­tä­rin half mir und sag­te:

›Wäre es nicht bes­ser, wenn ich Sie fah­re oder einen an­de­ren Mit­ar­bei­ter da­mit be­auf­tra­ge?‹

Wi­der bes­se­res Wis­sen lehn­te ich ab.

›Geht schon wie­der. Dan­ke für das An­ge­bot, aber Sie wer­den hier ge­braucht. Bit­te sa­gen Sie alle wei­te­ren Ter­mi­ne für heu­te ab‹, ich stock­te kurz, ›und, viel­leicht auch für mor­gen. Sa­gen Sie ein­fach ... ach, Sie ma­chen das schon, Frau Wag­ner. Dan­ke!‹

Ihr zu­ni­ckend ver­ließ ich das Büro.

Die Fahrt nach Son­ne­berg ver­lief wie im Traum. Nur ein­mal fuhr ich zu­sam­men und kehr­te für ei­ni­ge Au­gen­bli­cke in mei­ne Um­welt zu­rück. Lau­tes Hu­pen und das Quiet­schen blo­ckie­ren­der Rei­fen auf dem As­phalt ris­sen mich aus mei­nen Ge­dan­ken. Ich hat­te ei­nem an­de­ren PKW die Vor­fahrt ge­nom­men. Schimp­fend und ges­ti­ku­lie­rend kam der Fah­rer die­ses Au­tos zum Ste­hen. Ich konn­te noch se­hen, wie sei­ne Bei­fah­re­rin mit schre­ckens­star­rem Blick die Hän­de vors Ge­sicht schlug. Als mir klar wur­de, dass ich ein Stop­schild über­fah­ren hat­te, trat ich kurz auf die Brem­se, doch da kein Scha­den ent­stan­den war, gab ich gleich wie­der Gas. Durch die­se Schreck­se­kun­den fuhr ich eine Wei­le auf­merk­sa­mer wei­ter, doch lan­ge hielt das nicht an. Als ich dann end­lich vor dem Kran­ken­haus einen frei­en Park­platz ge­fun­den hat­te, sprang ich aus dem Auto und lief has­tig zum Emp­fang.