Loe raamatut: «Dolomitenladinisch - Sprachgeschichte und hochschuldidaktische Aspekte»

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Sprachgeschichte

1.1 Der Sprachname und die Sprachgeschichte des Ladinischen in der Antike und im Mittelalter

1.1.1 Die Eigenbezeichnung ladino

1.1.2 Die vorlateinischen Sprachen im heutigen Südtirol

1.1.3 Der lateinische Kern des Ladinischen

1.1.4 Die Christianisierung des Lateins in der Spätantike

1.1.5 Romanisch und Germanisch im Mittelalter

1.1.6 Die Gestalt der deutschen Lehnwörter als Quelle für die ladinische Sprachgeschichte

1.1.7 Die „questione ladina“

1.1.8 Entwicklungen am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit

1.2 Die Frühe Neuzeit

1.3 Die Auswirkungen des Nationalismus auf die Ladiner

1.4 Der Erste Weltkrieg und der Faschismus

1.4.1 Die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs

1.4.2 Der Krieg zwischen Österreich und Italien

1.4.3 Propagandaschlachten im Ersten Weltkrieg

1.4.4 Kriegsende und italienische Besetzung Südtirols

1.4.5 Die faschistische Herrschaft in Südtirol

1.4.6 Die Italianisierung der Namen

1.5 Faschismus und Nationalsozialismus in Südtirol

1.5.1 Die Annäherung von Faschisten und Nationalsozialisten

1.5.2 Die Option

1.5.3 Die Auswirkungen des Weltkrieges auf Südtirol

1.5.4 Die sogenannte Operationszone Alpenvorland

1.6 Die Stellung der Ladiner im Nachkriegsitalien

1.6.1 Die Neuordnung Italiens in der Nachkriegszeit

1.6.2 Die Entwicklung von Südtirol nach 1945

1.6.3 Das Gruber-De Gasperi-Abkommen

1.6.4 Das Erste Autonomiestatut von 1948

1.6.5 Die mehrsprachige Schule in Gröden und im Gadertal

1.6.6 Die Wahlen von 1948 in Italien und in Südtirol

1.6.7 Die SVP radikalisiert sich

1.6.8 Die Neuordnung der Diözesanstruktur

1.6.9 Die „Feuernacht“ und die Sprengstoffanschläge

1.6.10 Das Südtirol-Paket

1.6.11 Südtirol am Anfang des 21. Jahrhunderts

1.7 Bibliographie zur Sprachgeschichte

2 Zum Spracherwerb des Ladinischen ‒ ausgewählte hochschuldidaktische Aspekte

2.1 Zur Aussprache des Dolomitenladinischen

2.2 Grammatische Basisstrukturen des Gadertalischen entdecken

2.3 Typologische Betrachtungen zum Gadertalischen

2.4 Ausgewählte Anmerkungen zur Typologie gadertalischer und grödnerischer Klitika aus gesamtromanischer Sicht

2.4.1 Besonderheiten beim Pronominalgebrauch: Die Veränderlichkeit des Partizips bei vorangehendem direkten Objekt

2.4.2 Obligatorische pronominale Subjektzeichen

2.4.2.1 Zum Subjektpronomen

2.4.2.2 Zur unpersönlichen Konstruktion: dolomitenladinische, friaulische und romanische Möglichkeiten der Wiedergabe des deutschen unpersönlichen ‚es‘.

2.5 Ergebnisse

2.6 Interkomprehension

2.6.1 Interkomprehension 1: Tera y munts y liëndes

2.6.2 Interkomprehension 2: Flus de munt – Colfosch

2.6.3 Mittels Weltwissen bekannte Texte wiedererkennen: Aesop

2.6.4 Beschilderungen, Sprichwörter und idiomatische Wendungen vergleichen

2.6.5 Analyse einer Karikatur

2.7 Textproduktions- und -analyseaufgaben

2.7.1 Legenden

2.7.2 Ladinische Kultur

2.7.3 Olympische Spiele

2.8 Bibliographie zum Spracherwerb des Ladinischen

2.8.1 Quellen für Unterrichtsmaterialien

2.8.3 Weiterführende Literatur

2.8.3.1 Dolomitenladinisch

2.8.3.2 Mehrsprachigkeitsdidaktik (Literatur in Auswahl zur Einführung)

Vorwort

Wer sich mit romanischen Sprachen beschäftigt, wendet sich im Normalfall den Großsprachen zu, die in der Welt eine numerisch wichtige Rolle spielen und die auch in der Literatur eine herausragende Stellung einnehmen. Das ist natürlich traditionellerweise das Französische, das in Europa in Frankreich einzige Staatssprache ist und in Belgien, in Luxemburg, in der Schweiz, im Aosta-Tal und in Andorra eine der anerkannten heimischen Sprachen darstellt. Anerkannte Volkssprache ist das Französische auch in Kanada in der Provinz Québec und in angrenzenden Gebieten. Die herausragende Stellung des Französischen in der Literatur braucht nicht unterstrichen zu werden; ihre Geschichte beginnt mit altfranzösischen Texten vor der Jahrtausendwende.

Neben dem Französischen, das lange sozusagen als Inkarnation der romanischen Kulturtradition galt, wird in jüngerer Zeit das Spanische immer wichtiger. Es wird von etwa 47 Millionen Menschen in Spanien als nationale Amtssprache benutzt, wobei man berücksichtigen muss, dass für etwa sieben Millionen Sprecher und Sprecherinnen daneben das Katalanische und für drei Millionen Menschen das Galizische (und für eine halbe Million Menschen das Baskische) eine wichtige Funktion einnehmen. Eine herausragende Wichtigkeit hat das Spanische aber als Sprache kolonialer Tradition, die sich nach 1492 in der Neuen Welt Amerikas ausgebreitet hat. Es ist in 19 Ländern Mittel- und Südamerikas Amtssprache (auch in dem zu den USA gehörigen Territorium Puerto Rico mit über drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern), und in Staaten der USA ist es mit 25 bis 30 Millionen „Hispanics“ durchaus im Aufwind. Die herausragende Position, die das Spanische als Literatursprache hat und die in stetigem Ausbau begriffen ist, macht es zu einem wichtigen Faktor für Lernende von Fremdsprachen, wobei freilich darauf hinzuweisen ist, dass es ein regionales Übergewicht in Amerika gibt; Französisch ist in der ganzen Welt ein Bildungsfaktor, Spanisch nur im Westen im weiteren Sinne. Als Schulsprache ist das Spanische zunehmend ein Konkurrenzfaktor für das Französische.

Das Portugiesische wird von etwa zehn Millionen Menschen in Portugal gesprochen, und es ist für über 200 Millionen Menschen in Brasilien die Hauptsprache. Wie viele Menschen sich im alten portugiesischen Kolonialreich für das Portugiesische als Alltagssprache entschieden haben, ist schwer auszumachen; im Rahmen der Urbanisierung, wo für Menschen unterschiedlichster Herkunft das Portugiesische in den expandierenden Großstädten das einzige mögliche Verständigungsmittel ist, ist diese Sprache im Aufwind, und für viele junge Leute ist es die Alltagssprache (in Angola leben 32.522.339, in Moçambique 30.098.197 Menschen, vgl. https://geoplay.de/rankings/einwohner.aspx, Zugriff im Juni 2020). Eine wirkliche Bildungssprache wie das Französische oder das Spanische ist das Portugiesische trotz der Menge seiner Sprecherinnen und Sprecher (es ist die am zweitmeisten verwendete romanische Sprache nach dem Spanischen) aber nicht, denn es ist an die jeweilige koloniale Vergangenheit einer Zone gebunden, und es kommt als Literatursprache nicht wirklich über den Kreis derer hinaus, die es als Alltagssprache verwenden.

Eine typische Bildungssprache ist von jeher das Italienische. Es wird seit dem 12. Jahrhundert als Fremdsprache gelernt, und die Kenntnis der Sprache geht erheblich über die ungefähr 65 Millionen Muttersprachlerinnen und Muttersprachler in Italien und in der Südschweiz (Tessin, Graubünden) hinaus. In bestimmten Berufssparten (Opernsängerinnen und Opernsänger, höherer Klerus) gehören gute Kenntnisse des Italienischen zu den Grundvoraussetzungen.

Die hier genannten ‚großen‘ romanischen Sprachen, vielleicht mit Ausnahme des ‚exotischen‘ Portugiesischen, gehören sozusagen zum Repertoire der Fächer, für die sich Abiturientinnen und Abiturienten zu Beginn ihres Studiums entscheiden, nachdem in den oberen Klassen der weiterführenden Schulen ihr Interesse dafür geweckt worden war. Was dann konkret im Sprachstudium behandelt werden wird, hat nicht immer etwas mit den Vorstellungen der Abiturientinnen und Abiturienten in der Übergangsphase von der Schulzeit zur Studienzeit zu tun, aber der wichtigste Punkt bleibt: „Ich interessiere mich brennend für das Französische /Italienische/Spanische, also studiere ich das Fach und bin gespannt auf das, was dort geboten wird“.

Am Anfang des Studiums erfährt man dann, dass das Fach, das man sich erwählt hat, zur Familie der romanischen Sprachen gehört, und man ist vielleicht erstaunt, dass das Rumänische, obwohl es in Südosteuropa in der Nachbarschaft slavischer Sprachen wie Russisch, Bulgarisch oder Serbisch gesprochen wird, eine romanische Sprache wie das Italienische ist oder dass in Barcelona jeder spanisch sprechen kann und versteht, dass aber die eigentliche Sprache Katalanisch heißt, das oft in Opposition zum Spanischen gesehen wird. Zum Katalog der romanischen Sprachen gehören aber nicht nur Idiome, von denen man schon mal schemenhaft etwas gehört hat, sondern auch kleinere Sprachen, über die man vielleicht noch nie etwas erfahren hat wie beispielsweise das Galizische in Nordwestspanien oder das Friaulische in Nordostitalien.

Zu den Sprachen, die neu in den Gesichtskreis der frischen Studierenden der Romanistik treten, gehört auch das Ladinische, eine romanische Sprachform, die im Nordosten der Italoromania gesprochen wird, genauer gesagt an der Sprachgrenze zwischen Deutsch und Italienisch im Nordosten der Provinz Bozen und im alpinen Teil der Provinz Trient und der Provinz Belluno. Vielleicht sind die Studierenden im Sommerurlaub oder in den Winterferien einmal in den ladinischen Gebieten gewesen, und u.a. Alta Badia, Wolkenstein, Carezza und die Marmolada gehören inzwischen zu den angesagtesten Tourismusgebieten, die oft mit Hotelnamen wie Ladinia oder Tre Cime werben. Cortina d’Ampezzo ist 2021 Gastgeberin der alpinen Skiweltmeisterschaft sowie nach 70 Jahren erneut – diesmal gemeinsam mit Milano – 2026 Austragungsort verschiedener Disziplinen der Olympischen Winterspiele. Was die touristischen Reiseführer außerhalb des Sports und der Kulinarik über das Ladinische zu berichten wissen, gehört oft in den Bereich der interessanten Erzählungen über Merkwürdigkeiten (Typ: ‚älteste Sprache Südtirols‘), aber es kann doch oft Neugier wecken.

Auch das Interesse des Autorenteams dieses Werks ist auf dem Wege über zufällige Begegnungen mit dem Ladinischen geweckt worden. Bei mir, Johannes Kramer, ist die Begeisterung für die ladinische Sprache zunächst einmal ein „Beiprodukt“ für das Interesse an der Italianistik gewesen. In den sechziger Jahren war zumindest in Nordrhein-Westfalen die Stunde des Schulfaches Italienisch noch längst nicht gekommen, und wenn man sich für die Sprache und die Kultur Italiens interessierte, war der einzige Weg, sich über Volkshochschulkurse damit zu beschäftigen. Für Fortgeschrittene gab es dann die Beschäftigung mit den Texten von Dante Alighieri: Dafür kamen einmal in der Woche meist ältere Damen des Bildungsbürgertums zusammen, um in gemächlichem Tempo bei einer Lectura Dantis bei einer italienisch-deutschen Übersetzung unter Leitung eines betagten Studienrates den Charme der Canti zu genießen. Für die wenigen Schüler des Gymnasiums, die in ihrer Italien-Begeisterung den Weg zu diesen Dante-Feiern fanden, war ein Anreiz auf jeden Fall ein Monatsstipendium in den Sommerferien, das einem tägliche italienische Unterrichtsstunden in einem der damals noch zahlreichen Orte Italiens verschaffte, wo es ein Comitato der Società Dante Alighieri gab. Die Wahl fiel auf Bressanone/Brixen, wo die Universität Padua Sprachkurse für Ausländerinnen und Ausländer anbot, wo aber gleichzeitig für die regulären italienischen Studierenden Wiederholungskurse veranstaltet wurden, die ihnen ermöglichten, eine Veranstaltung aufzuholen, die sie im Studienverlauf nicht bestanden hatten. Der Zufall wollte es, dass einer dieser Kurse eine gedrängte Einführung in die Romanistik war, wo es um die Ausgliederung der romanischen Sprachen ging. Die Veranstaltung wurde von Carlo Tagliavini geleitet, wobei den sehr wenigen aus dem Ausland stammenden Besuchern absolut nicht klar war, was für eine Größe der Romanistik der Kursleiter wirklich war. Die wichtigste Erfahrung bestand darin, dass das Spektrum der romanischen Sprachen gegenüber dem bescheidenen Gepäck, das man von zu Hause mitbrachte, erheblich erweitert wurde – und eine der Sprachen, deren Behandlung natürlich dem genius loci geschuldet war, war das Ladinische, das ja etwa dreißig Kilometer von Brixen entfernt begann. Was tun wissbegierige Studierende, die von einer bis dahin nicht zum normalen Spektrum gehörenden Sprache hören? Sie kaufen ein einschlägiges Buch. Das war, wieder ein Zufall, die Überarbeitung der „Formenlehre“ aus dem grundlegenden Werk von Johann (Baptist) Alton, Die ladinischen Idiome in Ladinien, Gröden, Fassa, Buchenstein, Ampezzo, Innsbruck, Wagner’sche Universitäts-Buchhandlung 1879, 81–126. Die Überarbeitung wurde im „aurì 1968“ abgeschlossen und lag seit Juli 1968 in der Wegerschen Buchhandlung in Brixen zum Verkauf bereit: J. B. Alton, L ladin dla Val Badia. Beitrag zu einer Grammatik des Dolomitenladinischen, neu bearbeitet und ergänzt von Franz Vittur, unter Mitarbeit von Guntram Plangg mit Anmerkungen für das Marebanische von Alex Baldissera, Druck und Auslieferung A. Weger, Brixen 1968. Freilich, eine Neubearbeitung im engeren Sinne des Wortes war das nicht: 1879 hatte J. B. Alton versucht, eine „Formenlehre“ für die fünf Dialekte zu erstellen, die er zu den „ladinischen Idiomen“ rechnete, 1968 wurde daraus eine kleinräumigere Grammatik für das Abteitalische (l Ladin dla Val Badia) mit Bemerkungen zu Sonderformen in Marebbe (Enneberg) und im unteren Gadertal.

Für den Wortschatz verweist die „Formenlehre“ auf die Behandlung in der Publikation von J. B. Alton von 1879, auf das Vocabolarietto badiotto-italiano von G. S. Martini von 1950 und auf die Parores ladines von Antone Pizzinini, die 1966 im Druck erschienen, aber auf ein Manuskript aus den vierziger Jahren zurückgehen. Ein zuverlässiges etymologisches Wörterbuch war am Ende der sechziger Jahre ein wirkliches Desiderat, zumindest wenn man das Ladinische als echte romanische Sprache mit dem Lateinischen verbinden wollte. Ein etymologisches Wörterbuch, dem noch in mancherlei Hinsicht die Schwächen einer Anfängerarbeit anhaften, habe ich in acht Faszikeln im selbst finanzierten Privatdruck (beim Dissertationsdruck R. J. Hundt) herausgebracht: Etymologisches Wörterbuch des Gadertalischen, Fasz. 1 (A), Köln 1970; Fasz. 2 (B), Köln 1971; Fasz. 3 (C–D–E), Köln 1971; Fasz. 4 (F–G-I), Köln 1971; Fasz. 5 (K–L–M), Köln 1972; Fasz. 6 (N–O–P–R), Köln 1973; Fasz. 7 (S–T), Köln 1974; Fasz. 8 (U–V–Z), Köln 1975.

Eine gründliche Überarbeitung auf dem aktuellen Diskussionsstand der etymologischen Forschung erschien dann in acht Lexikonbänden zwischen 1988 und 1998 im Helmut-Buske-Verlag Hamburg, durch die Bereitstellung von Mitarbeiterstellen gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von der Universität Siegen: Etymologisches Wörterbuch des Dolomitenladinischen (EWD), Band I (A–B), unter Mitarbeit von Ruth Homge, Sabine Kowallik, Hamburg 1988; Band II (C), unter Mitarbeit von Rainer Schlösser, Hamburg 1989; Band III (D–H), unter Mitarbeit von Klaus-Jürgen Fiacre, Brigitte Flick, Sabine Kowallik, Ruth Homge, Hamburg 1990; Band IV (I–M), unter Mitarbeit von Klaus-Jürgen Fiacre, Rainer Schlösser, Eva-Maria Thybussek, Hamburg 1991; Band V (N–R), unter Mitarbeit von Ute Mehren, Klaus-Jürgen Fiacre, Rainer Schlösser, Eva-Maria Thybussek, Hamburg 1993; Band VI (S), unter Mitarbeit von Rainer Schlösser, Hamburg 1995; Band VII (T–Z), unter Mitarbeit von Klaus-Jürgen Fiacre, Ruth (Homge-)Boketta, Ute Mehren, Hamburg 1996; Band VIII, Indizes, unter Mitarbeit von Birgit Arendt, Hamburg 1998. Ausführliche und umsichtige Rezensionen zu den aufeinanderfolgenden Bänden des Etymologischen Wörterbuchs des Dolomitenladinischen sind regelmäßig von Otto Gsell in der Zeitschrift Ladina veröffentlicht worden: 13, 1989, 143–162 und 278–286; 14, 1990, 351–369; 17, 1993, 117–124 und 172–188; 18, 1994, 325–341; 20, 1996, 225–260.

Aus der langen Beschäftigung mit etymologischen Problemen des dolomitenladinischen Wortschatzes entstand bei mir eine allgemeine Begeisterung für die Beschäftigung mit Problemen des Ladinischen, und so sind im Laufe der Jahre allerlei Aufsätze entstanden, die im engeren und weiteren Sinne mit dem Ladinischen zu tun haben. Dabei kamen natürlich Kontakte zu anderen Forscherinnen und Forschern zu Stande, die sich ebenfalls mit dem Ladinischen beschäftigten, und da in einer alten Tradition der Romanistik seit einem Buch von Theodor Gartner (Raetoromanische Grammatik, Heilbronn, Henninger, 1883) die Bezeichnung „Rätoromanisch“ für romanische Varietäten des Zentralalpenraums und des Vorlandes, genauer gesagt für das Bündnerromanische, das Dolomitenladinische und das Friaulische, geläufig war, richteten sich die Interessen auch auf diese sprachlichen Varietäten. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhundert betrieb man Forschungen zum „Rätoromanischen“ an deutschsprachigen Bildungsinstitutionen in Göttingen, in Mainz, in Erlangen, in Innsbruck, in Zürich und in Chur, in Italien waren die Kristallisationspunkte die Universitäten in Padua und Udine, und logischerweise lagen die Akzente nördlich der Alpen eher auf dem Bündnerromanischen, südlich der Alpen auf dem Friaulischen, und das Dolomitenladinische war sozusagen die Klammer zwischen den beiden Gebieten. Natürlich treten die allgemeinen Probleme der Romanistik sozusagen wie unter einem Brennglas auch in der Rätoromanistik auf, und so führt die wissenschaftliche Durchdringung eines, wenn man so will, wissenschaftlichen ‚Randgebietes‘ immer wieder zu den ‚Hauptproblemen‘ des Gesamtfaches Romanistik und damit zu den zentralen Problemen zurück, aber das große persönliche Vergnügen, das man beim Kontakt mit einem noch nicht abgegrasten Territorium in einem an sich unendlich großen Fach hat, ist durch keine Erfahrung in den durch und durch erforschten Standardsprachen zu ersetzen.

In den frühen 70er Jahren hat es mich, Sylvia Thiele, urlaubsbedingt mit meinen Eltern nach Alta Badia verschlagen. Aus einer zunächst touristisch motivierten Begeisterung für ein Gebiet der Alpen hat sich eine in der Tat außergewöhnliche Verbundenheit entwickelt, die ich oft als ‚mein zweites Zuhause‘ umschreibe, das ich seither regelmäßig aufsuche.

Kinder finden im Urlaub bekanntlich schnell Kontakte zu Gleichaltrigen, in diesem Fall zu ladinischen Kindern. Im Alter von 14 Jahren habe ich gefragt, was die Jugendlichen da eigentlich untereinander sprächen. Die Antwort war: Ladinisch. Wenn man Deutsch und Italienisch könne – kein Problem, auch diese Sprache zu verstehen. Ich habe also beschlossen, Italienisch zu lernen und bin im darauffolgenden Sommer mit dem Lehrbuch „Ciao 1“ (vgl. Vella, Carlo & Hunziker, James. 1980. Ciao 1. München: bsv) aus dem Volkshochschulkurs, den ich infolge beharrlicher Nachfragen meiner Mutter als Minderjährige in der damaligen Institution für ‚Erwachsenenbildung‘ schließlich doch besuchen durfte, angereist und habe um die ladinische Übersetzung diverser Sätze gebeten, die ich dann für das Ende des Dialogs der ersten Lektion wie folgt notiert habe – ohne IPA-Kenntnisse:

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Vgl. Vella, Carlo & Hunziker, James. 1980. Ciao 1. München: bsv, S. 12

Es war offenkundig: Deutsch und Italienisch helfen beim Verständnis von Al vëgn incö? (notiert als „vagn“ mit darüber befindlichem ë für Torna oggi? / Kehrt er heute zurück?) nur bedingt weiter… Deutlich erfolgreicher gelang die Einarbeitung in meine Wunschfremdsprache mit Hilfe der Ladinia, die im Keller der damaligen Bereichsbibliothek des Romanischen Seminars der Universität Göttingen im Nikolausberger Weg 23 zu finden war, und vor allem dank Lois Craffonara, bei dem ich den Curs de ladin por nia ladins im Istitut Ladin Micurà de Rü besucht habe. Die Beschäftigung mit Pronomialsyntax in der Staatsexamensarbeit, die einen Exkurs zum Dolomitenladinischen aufweist, hat den Gutachter Gustav Ineichen bewogen, die Analyse der gadertalischen und grödnerischen Klitika als Dissertationsthema vorzuschlagen. Das Textkorpus bildeten die Übersetzungen des Kleinen Prinzen und die Usc di Ladins. Nach der Dissertation (Gadertalische und grödnerische Pronominalsyntax. 2001. Münster: Nodus) habe ich die neu geknüpften Forschungskontakte, u.a. mit Giovanni Mischì und Paul Videsott, weiter gepflegt und hatte die Chance, Daria Valentins Lehrwerksredaktion (Cufer de Ladin. Önesc leziuns por imparè le ladin dla Val Badia, 2008, San Martin: Istitut Ladin Micurà de Rü) u.a. mit fachdidaktischen Überlegungen zu unterstützen, die im Zentrum des aktuellen, gemeinsam mit Ruth Videsott geplanten Forschungsprojekts zu Text- und Medienkompetenz für die ladinischen Schulsprachen stehen. Ich fahre also weiter regelmäßig ‚nach Hause‘.

Unter den persönlichen Kontakten, die für uns prägend gewesen sind, waren die Begegnungen mit Gustav Ineichen entscheidend. Unsere Wege haben sich erst relativ spät gekreuzt, bei der Übergabe der Festschrift zum 75. Geburtstag zu „Sprachkontakten in der Romania“, die, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, in einem gemütlichen Zusammensein, in der Schweiz ‚Hock‘ genannt, gipfelte, und es stellte sich heraus, dass Beschäftigung mit dem Ladinischen zu unserer Prägung gehört.

Wir sind inzwischen beide im Lande Rheinland-Pfalz tätig, an den Universitäten Mainz und Trier, und dieses Bundesland ist wahrlich klein genug, um sich über gemeinsame Interessen und Forschungsgebiete auszutauschen. Die Vertreterinnen und Vertreter der Romanistik treffen sich qua Amt zu manchen Gelegenheiten, um der Romanistik südlich des Limes neue Impulse zu geben: So haben wir uns beispielsweise auf den Abendprogrammen der Lehrerfortbildungsreihe in Boppard getroffen, um das Ladinische als „Kontrastsprache“ in den Unterricht im normalen Fremdsprachenunterricht zu implementieren und um an Kochrezepten herauszufinden, wie man einen Zugang zu unbekannten romanischen Texten gewinnen kann. Beim Colloquium Retoromanistich im Mai 2017 haben wir einen im Romanischen Seminar Mainz aufgefundenen Text aus Bravuogn nebst Vertonung auf einer Schelllackplatte vorgestellt. Und nicht zuletzt ist das vorliegende Buch ein Resultat unserer Kontakte. Wir möchten es dem Gedächtnis von Gustav Ineichen widmen.

Der vorliegende Band umfasst zwei Teile: Der erste enthält eine ladinische Sprachgeschichte. Hier liegt der Schwerpunkt weniger auf der Entwicklung der ‚Faktengeschichte‘, die vielmehr der Schwerpunkt der materialreichen, reichlich illustrierten Darstellung von Werner Pescosta ist, der ja eine Geschichte der Dolomitenladiner, nicht aber eine Geschichte des Dolomitenladinischen bieten will. Im vorliegenden Band geht es aber vielmehr um die kulturelle Sprachgeschichte, die natürlich immer in Verbindung mit den Gegebenheiten der äußeren Geschichte gesehen werden muss. Beides, Faktengeschichte und Kulturgeschichte, hängen eng miteinander zusammen und können nicht voneinander getrennt werden, aber es geht darum, wo der primäre Schwerpunkt liegen soll. Im ersten Teil der Sprachgeschichte geht es zunächst um den Sprachnamen und damit verbunden um die Vorgeschichte des Ladinischen in der Antike und im Mittelalter. Das folgende zweite Kapitel widmet sich der frühen Neuzeit bei den Ladinerinnen und Ladinern. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Nationalismus auf diese Volksgruppe, der vierte beschreibt die Situation der ladinischen Sprache während des Ersten Weltkriegs und des Faschismus. Die folgenden Ausführungen im fünften Unterkapitel betrachten den Faschismus und den Nationalsozialismus in Südtirol im Detail, bevor im sechsten Abschnitt die Stellung der Ladinerinnen und Ladiner und ihrer Sprache im Nachkriegsitalien bis heute beleuchtet wird.

Anschließend entdecken interessierte Leserinnen und Leser hochschuldidaktische Vorschläge für eine Lehrveranstaltung, die sich an fortgeschrittene Romanistik-Studierende wendet, die einen Erwerb von Basiskenntnissen der ladinischen Sprache anstreben.

Es geht dabei in erster Linie um die Vermittlung von Grundstrukturen und um einen überschaubaren (passiven) Wortschatz der gadertalischen Variante des Ladinischen unter Einbeziehung kultureller Faktoren.


Dieser didaktische Teil stellt auch Materialien bereit, die entweder einzeln in Veranstaltungen zur diachronen Romanistik, zu Minderheitensprachen der Romania, zur Sprachpolitik Italiens, zur Mehrsprachigkeit und ihrer Didaktik oder in größerem Umfang etwa im Rahmen einer Summer School eingesetzt werden können. Im Sinne einer erweiterten Text- und Medienkompetenz wurden über das gedruckte Wort hinaus unterschiedliche Dokumente mit einem Aufgabenapparat versehen.


Es muss betont werden, dass beide Teile von einem romanistischen Sprachwissenschaftlerteam und nicht von einem Berufshistoriker bzw. einer -historikerin verfasst wurden. Das persönliche Interesse richtet sich also vor allem auf den kulturellen Bereich, in dem sich ein sprachliches Mittel herausgebildet hat, das im Laufe der Entwicklung ein ausdrucksfähiges Mittel ergab, das den Anforderungen einer kleinen Gemeinschaft von etwa 30.000 Menschen gut gewachsen ist.

JOHANNES KRAMER (Trier) &

SYLVIA THIELE (Mainz)