Loe raamatut: «Unterirdisches Österreich», lehekülg 4

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Die aktuelle Aufgabe heißt befunden und betreuen

Auch wenn die aufregende, von Entdeckungen und Überraschungen geprägte „Pionierzeit“ für das BIG-Underground-Team nun vorbei – Karl Lehner wechselt 201 in die wohlverdiente Pension – und man in eine ruhigere Phase eingetreten ist, so gilt es doch auch weiterhin, ein wachsames Auge auf die unterirdischen Anlagen zu haben. „Stollen“, so erklärt uns Leopold Weber im Gespräch, „sind etwas Dynamisches.“ Die ungesicherten, nicht ausgebauten Abschnitte mancher Stollen verfallen weiter, es kann zu Nachbrüchen kommen und zur Bildung neuer Hohlräume. Regelmäßige Sicherheitsbefahrungen und Inspektionen sind daher unumgänglich, eine Aufgabe, der sich Martin Scheiber, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Tunnel/​Stollenbau, als Partner der BIG mit großem Engagement widmet. Von einem „reinen Verwalten“, wie wir Laien vermuten, könne daher, so schärft uns Martin Scheiber ein, beileibe keine Rede sein, da jede Stollenanlage ihre Besonderheiten habe und individuell zu betreuen sei. Aufmerksame Kontrolle sei daher das oberste Gebot, um eventuelle Schäden durch rasche Reaktion hintanzuhalten. Daneben bestehe sein Alltag aus einer Fülle von anderen Tätigkeiten, wie z. B. Fragen zur Nachnutzung von Stollenanlagen zu klären oder Anfragen von Grundstückseigentümern betreffend Änderungen der Überbauung zu prüfen – damit verbunden sei wiederum eine „gebirgsmechanische“ Beurteilung der Stollenanlage. Vor allem seine Rolle im Zusammenspiel von Grundeigentümer und Eigentümer des Superädifikats sei nicht immer frei von Spannungen.


Ein wachsames Auge ist notwendig: Sicherheitsbefahrung in St. Georgen an der Gusen.


Für den Besucher nicht zugänglicher Gangabschnitt in St. Georgen an der Gusen.


Heimatforscher Rudolf Haunschmied bei einer Führung durch „Bergkristall“.

Das ist die technische Seite der NS-Stollenwelt heute – eine vielfältige Herausforderung. Ihr gegenüber steht ein mächtiges „Narrativ“: Mythen und Erzählungen, Geschichten, Gerüchte und Spekulationen, die sich um die Erbauung und Zweckbestimmung dieser Bauwerke, um das Schicksal der hier arbeitenden Menschen ranken. Erinnerungen und Zeitzeugenberichte, engagierte Forschungsarbeiten und Dokumentationen haben in jüngster Zeit einige Stollen in helles Licht getaucht; so manche Frage ist jedoch noch unbeantwortet, so manches Rätsel bleibt noch zu lösen …


Amerikanischer B-17-Bomber „Flying Fortress“ im Einsatz über dem „Reich“.

II . Kapitel:
Die große Flucht vor den Bombern

„Die Stollen“, so schreibt der tschechische KZ-Häftling Drahomír Bárta, der im KZ Ebensee als Lagerschreiber überlebt, „wurden für die Häftlinge zu einem verfluchten Ort, vor dem jeder Angst hatte.“ Das Wort „Stollen“, so Barta, habe bei ihnen ein „größeres Unbehagen“ ausgelöst als das Wort „Steinbruch“; die SS habe um diese Angst gewusst und Häftlinge gezielt terrorisiert. Und diese gefürchteten Stollen, so hat man das Gefühl, sind spätestens ab dem Winter 1943/​44 überall – in der ganzen „Ostmark“ beginnt in fieberhafter, ja verzweifelter Eile und unter Einsatz aller Kräfte, vor allem mit KZ-Häftlingen, die Arbeit an unterirdischen Anlagen: in Klagenfurt und Villach, in einem Kalksteinbruch bei Aflenz und in Peggau ebenso wie in Kapfenberg und in Ternitz, in Krems und Steyr, in Hallein und Innsbruck und auch in Bregenz. Wo nur irgendwie möglich, werden Berge und Hügel durchlöchert, Höhlen ausgebaut, Bunker betoniert, man sucht Schutz, will sich verkriechen vor den Bomben, nur unter Tage fühlt man sich noch sicher. Der Tod vieler Menschen wird dafür kaltblütig in Kauf genommen.

Wie kam es dazu? Schon 1943 ist die deutsche Luftwaffe nicht mehr in der Lage, die Angriffe der alliierten Bomberverbände entscheidend zu stören, geschweige denn zu verhindern. Dazu kommt, dass auch die deutsche Flugzeugindustrie in einer Krise steckt – man hat zum Teil auf falsche Flugzeugtypen gesetzt und ist mit der laufenden Produktion ins Hintertreffen geraten; gezielte Angriffe der Alliierten auf die wichtigsten Flugzeugwerke – etwa im August 1943 auf die Messerschmitt-Werke in Regensburg und die Wiener Neustädter Flugzeugwerke (Operation „Juggler“) – tun ein Übriges.

Nach der massiven alliierten Luftoffensive vom Februar 1944, der Big Week, in der 6.000 britische und amerikanische Bomber und 3.670 Jäger zum Einsatz kommen, verschärft sich die Situation weiter: 75 Prozent der Flugzeugzellen- und -endmontagewerke sind zerstört; das Reichsluftfahrtministerium ist nicht mehr in der Lage, die nun anfallenden Aufgaben – Wiederaufbau der zerstörten Anlagen, Steigerung der Produktion von Jagdflugzeugen und Untertagverlagerung der Flugzeugindustrie – alleine zu bewältigen: Reichsluftfahrtminister Hermann Göring, der einst großspurig verkündet hat, dass er „Maier“ heißen wolle, sollte sich ein alliierter Bomber über dem Reichsgebiet zeigen, braucht nun Hilfe und tatsächlich stehen zwei Helfer bereit, die allerdings auch ihren eigenen Vorteil suchen: Reichsführer-SS Heinrich Himmler, der mit den KZ-Häftlingen über ein Heer von Arbeitskräften verfügt, und Albert Speer, der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion. Rasch zeigt sich, dass die Initiative an den dynamischen Planer und Organisator Speer übergehen wird. Am 1. März 1944 wird per Erlass Görings ein Krisenstab eingesetzt, der sogenannte „Jägerstab“; sein Vorsitzender wird Albert Speer. Ziel des Jägerstabs, der von Vertretern der beiden Ministerien, der SS und der Industrie gebildet und mit 1. August 1944 befristet wird, ist die Steigerung der Produktion von Jagdflugzeugen, nicht zuletzt möglich gemacht durch den Bau unterirdischer Fabriken. Speziell mit dieser Aufgabe betraut Speer den SS-Obergruppenführer Hans Kammler, der sich bereits beim Ausbau des „Mittelwerkes“ im Kohnstein für die V2-Raketenproduktion bewährt hat. Kammler soll einerseits die KZ-Häftlinge in den Produktionsprozess einbinden, andererseits in allen bautechnischen Fragen den Kontakt mit dem Rüstungsministerium halten – so will Speer verhindern, dass zu viel Macht und Einfluss im Flugzeugbau an die SS wandert. Die effiziente Arbeitsweise des Jägerstabs soll durch einen neuen Stil garantiert werden: „Ohne bürokratische Hemmungen“, nur durch „unmittelbare Befehlsgebung“ sollen die notwendigen Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. Der Technokrat Hans Kammler ist der geeignete Mann dafür.


Rüstungsbetriebe werden unter Tag verlegt: Stollenanlage des Geheimprojekts „Syenit“ in Kapfenberg.

Geplant werden riesige „Großbunker“, auch „Jägerfabriken“ genannt, so das „Projekt Ringeltaube“, das den Bau von drei gigantischen unterirdischen Fabriken im Frauenwald bei Landsberg am Lech vorsieht. In die Planung des Jägerstabs fallen schließlich auch die Errichtung der unterirdischen Produktionsanlage „B8 Bergkristall“ in St. Georgen an der Gusen und der Bau von „Zement“ in Ebensee für die Raketenrüstung.

Die treibende Kraft ist Hitler persönlich, er drängt weiter energisch auf die Verlagerung der Rüstungsindustrie in Höhlen und „Großbunker“; Rüstungsminister Albert Speer ist lange skeptisch, denn Bomber, so sein Argument, könnten nicht mit Beton bekämpft werden, auch in „vieljähriger Arbeit“ könne man die Rüstung „nicht unter die Erde oder unter Beton“ bringen. Als Hitler auf dem Bau von „Großbunkeranlagen“ beharrt, schreibt ihm der gekränkte Speer, gegen den die Parteigrößen Göring, Bormann und Himmler heftig intrigieren, am 19. April 1944 einen Brief, in dem er noch einmal darauf hinweist, dass es „illusorisch“ sei, angesichts der allgemeinen Lage derart große Bauvorhaben zu beginnen, denn „nur mit Mühe“ könne „den primitivsten Anforderungen auf Unterbringung der deutschen werktätigen Bevölkerung, der ausländischen Arbeitskräfte und der Wiederherstellung unserer Rüstungsfabriken gleichzeitig entsprochen werden“. Für den Fall, dass Hitler nicht seiner Meinung sei, bitte er um seinen Rücktritt. Der „Führer“ zeigt sich zwar ungehalten über dieses Schreiben, spricht jedoch Speer sein Vertrauen aus, auch die Vertreter der Industrie drängen diesen zu bleiben – Speer bleibt Rüstungsminister und kehrt zurück in den engen Kreis um Hitler. In seinen Erinnerungen wird er später gestehen: „Trotz aller Bereitschaft zu resignieren, hätte ich nur ungern auf die Stimulans eines jeden Führungsrausches verzichtet.“ Hitler zeigt sich versöhnlich und akzeptiert auch die Ernennung von Speers Mitarbeiter Franz Xaver Dorsch (1899 – 1986) zum Leiter des Bausektors und zum Chef der „Organisation Todt“. Der schwäbische Bauingenieur Dorsch, ein Parteigenosse der ersten Stunde, ist damit auch für den Einsatz von Zwangsarbeitern im gesamten Reichsgebiet verantwortlich.


Konnte von den Häftlingen nicht mehr abgebaut werden: der stehen gebliebene Kern eines Gangabschnitts im Loosdorfer Fabriksstollen.

Insgesamt 20 Projekte des Jägerstabs werden der SS übertragen, es sind dies aufwändige Großbauvorhaben, für die SS-Obergruppenführer Hans Kammler eine eigene Organisation einrichtet, den „SS-Sonderstab Kammler“ mit Sitz in Berlin. Die 20 Bauvorhaben werden als A- oder B-Projekte definiert, wobei die Bauten der A-Gruppe bereits nach acht Wochen bezugsfertig sein sollen, bei den Projekten der Gruppe B handelt es sich um Bauten, die bis Ende 1944 fertiggestellt sein sollen. Dem „Sonderstab Kammler“ unterstehen vier regionale „Sonderinspektionen“, darunter auch die „Sonderinspektion IV Wien“, die für die Projekte B7 (= „Esche II“), B8 (= „Bergkristall“), B9 (= „Quarz“), B10 (= „Quarz II“) und „Zement“ in Ebensee zuständig ist. Jedes einzelne Projekt wird von einem „SS-Führungsstab“ betreut; das Gesamtvolumen ist gigantisch: Die Pläne des Jägerstabs von Ende Mai 1944 sehen die Schaffung von etwa 980.000 m2 bombensicherer Fertigungsfläche vor. Hans Kammlers ursprünglicher Plan, angesichts des extremen Zeitdrucks auch die zivilen Arbeitskräfte einer gleichsam militärischen Disziplin zu unterwerfen und eigene, für den Sonderstab Kammler tätige „Baukompanien“ zu schaffen, scheitert jedoch am Widerstand der Baufirmen, die befürchten, ihr Personal an die SS-Bauleitungen zu verlieren. So bleibt auch Kammler auf private Baufirmen und die Unterstützung der Bergbaubehörden angewiesen; zusätzlichen Handlungsspielraum bietet ihm einzig die Verfügungsgewalt über die KZ-Häftlinge, die er auch skrupellos ausnützt.

Der SS-Rüstungsmanager: Hans Kammler

Als „Technokrat der Vernichtung“ wurde er bezeichnet und als Handlanger Heinrich Himmlers, als „rücksichtsloser, kalter Rechner“ und „Fanatiker in der Verfolgung eines Zieles, das er so sorgfältig wie skrupellos zu kalkulieren wusste“ (Albert Speer): SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Kammler. Ein Mann, der lange Zeit im Schatten anderer steht, doch dann, in der Krise des Dritten Reiches, gelingt ihm ein phänomenaler Aufstieg: Er wird zur Schlüsselfigur im Wettlauf um die „Wunderwaffen“, ja, als „Generalbevollmächtigter“ des Führers für die Flug- und Raketenproduktion ist er in den letzten Kriegswochen so etwas wie „Hitlers graue Eminenz“ – vom ehemaligen Flugzeugkonstrukteur wird er zum letzten Vollstrecker des Willens des „Führers“.

Hans Kammler, 1901 in Stettin geboren, Sohn eines Offiziers, ist Architekt und Doktor der Ingenieurwissenschaften, noch vor seiner Promotion an der TH Hannover im November 1932 tritt er der NSDAP bei; wenig später, im Mai 1933, schließt er sich der SS an und startet seine Karriere als Leiter der Abteilung für Wohnungs- und Siedlungswesen in der Gauleitung Groß-Berlin; 1936 wird er Referent für Bauangelegenheiten im Reichsluftfahrtministerium; 1940 wechselt er zum „SS-Hauptamt Verwaltung und Wirtschaft“ und damit „hauptberuflich“ in die Dienste der SS. Sein außergewöhnliches Organisationstalent und seine Energie beeindrucken Himmler, am 1. Juni 1941 wird Kammler Chef des „SS-Hauptamtes Haushalt und Bauten“, im Februar 1942 überträgt ihm Himmler die Leitung der für das Bauwesen zuständigen „Amtsgruppe C“ im SS-Hauptamt für Verwaltung und Wirtschaft. Damit ist er nun für alle Bauvorhaben in den Konzentrationslagern zuständig; auch die Errichtung von Krematorien und Gaskammern wird von ihm überwacht. Unzufrieden mit der geplanten „Kremierungsleistung“ von 2.650 Leichen am Tag in den neuen Krematorien von Auschwitz-Birkenau, ordnet er im Herbst 1942 an, die Pläne noch einmal zu überarbeiten.

Kammler ist ein SS-Offizier, wie er im Buche steht: „Blond, blauäugig, mit langem Schädel, immer gut gekleidet“, umgibt ihn, wie Albert Speer später schreibt, jene „Kälte“, die auch Heinrich Himmler auszeichnet; als Rüstungsminister sieht sich Speer plötzlich mit einem Rivalen konfrontiert, der die stärkste Trumpfkarte der SS – die beinahe grenzenlos scheinende Verfügbarkeit von „billigen“ Arbeitskräften – geschickt auszuspielen weiß. Himmler erkennt dies und forciert seinen Vertrauensmann beim „Führer“; bald tauchen Gerüchte auf, dass der Reichsführer-SS Kammler als Nachfolger Speers aufbauen wolle.


Die Schlüsselfigur im Wettlauf um die „Wunderwaffen“: SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Kammler.

Obwohl von ihm zunehmend unter Druck gesetzt, gefällt Speer die „sachliche Kühle“, mit der Kammler agiert; ganz richtig erkennt er im fulminanten Aufstieg des SS-Ingenieurs zu einem der mächtigsten Männer des Dritten Reiches ein Spiegelbild seiner eigenen Karriere. Mit der Entscheidung zur Verlagerung der Rüstungsindustrie unter Tag schlägt für Kammler die große Stunde: In atemberaubendem Tempo zaubert der „Sonderbeauftragte des Reichsführers-SS für das A 4-Programm“ – so ab 1. September 1943 seine offizielle Funktion – Ersatzstandorte für die Waffenschmieden mit Spitzentechnologie aus dem Hut: das „Mittelwerk“ im Kohnstein, Redl-Zipf, Ebensee, St. Georgen an der Gusen. In Kammlers Hand konzentriert sich die Macht über diese unterirdischen Rüstungsbetriebe und in seinem Blickpunkt stehen auch revolutionär neue Technologien wie etwa die Nutzung der Atomkraft für den Antrieb von Flugzeugen und Lenkwaffen – ein Aspekt, der fantasievollen Spekulationen Tür und Tor geöffnet hat: Und angeblich gibt es auch Dokumente, die Beweise in diese Richtung liefern …

Was den Bau der unterirdischen Anlagen betrifft, so hat Kammler mit dem jungen Wiener Ingenieur Karl Fiebinger einen zuverlässigen Planer und Partner gefunden; auch den letzten großen Auftrag, das geheimnisumwitterte Sonderbauvorhaben „S III“ im Jonastal, vergibt er an das Büro Fiebinger.

Zwischen Jänner und März 1945 hält sich Kammler häufig in Ebensee und St. Georgen an der Gusen auf; am 3. April spricht er in Berlin ein letztes Mal mit Hitler und offenbar gelingt es ihm, beim „Führer“ für bessere Stimmung zu sorgen – „Kammler macht sich ausgezeichnet, und man setzt auf ihn große Hoffnungen“, notiert Goebbels in seinem Tagebuch. Am 23. April 1945 findet in Ebensee ein letztes Treffen Kammlers mit SS-Offizieren statt, bereits zuvor hat er Speer bei einem Gespräch in Berlin erklärt, dass der Krieg verloren sei und es besser wäre sich abzusetzen. Am 9. Mai begeht Hans Kammler in der Nähe von Prag angeblich Selbstmord – unterschiedliche Versionen dieses Suizids wecken jedoch bald Zweifel, es taucht die Vermutung auf, dass der „kühle Planer und Rechner“ (Reiner Merkel) seinen Tod nur vorgetäuscht haben könnte. 1948 lässt ihn seine Frau Jutta für tot erklären, danach verschwindet auch sie spurlos …

Das unterirdische Amphitheater
Geheimprojekt „Zement“ in Ebensee

„Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“ singt der Kellner Leopold in Ralph Benatzkys berühmtem Singspiel Im weißen Rößl. Am 8. November 1930 wird das Stück, das auf einer Vorlage von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg aus dem Jahre 1896 basiert, im Großen Schauspielhaus in Berlin uraufgeführt und beginnt von hier aus seinen Siegeszug um die Welt; die Salzkammergut-Klischeebilder werden von nun an von den Evergreens aus dem Weißen Rößl unterfüttert, daran ändert auch der Krieg nichts: Johannes Hesters und Peter Alexander, Johanna Matz und Waltraut Haas trällern die Erfolgsmelodien in den 1950er Jahren fröhlich weiter; vergessen scheint, dass die Nazis auch das Salzkammergut in ihre „ostmärkische“ Todeslandschaft rund um Mauthausen einbezogen hatten. Aus der heiter-idyllischen Welt mit blaugrünen Seen und firngleißenden Bergen war eine düster-bedrohliche Kulisse für das große Sterben geworden. Im Brennpunkt: der alte „Salzflecken“ Ebensee am Südufer des Traunsees, in der Monarchie Knotenpunkt des Sommerfrischeverkehrs nach Bad Ischl, nun auserkoren zum Standort für eine geheime Waffenschmiede.

Als am 13. März 1938 die ersten deutschen Wagen in Ebensee eintreffen, so vermerkt die Ortschronik, bricht die Menge in jubelnde „Heil Hitler!“-Rufe aus – sieben Jahre später stehen die Ebenseer Parteigenossen fassungslos vor den Leichenbergen vor ihrer Haustür: Die US-Befreier zwingen sie, dem Grauen, das mit ihrer Unterstützung möglich geworden ist, ins Auge zu sehen und beim Begraben der Toten in den Massengräbern zu helfen. Eine, wie die GIs meinen, pädagogisch richtige „Erziehungsmaßnahme“, heute betrachten wir die Fotos, die dieses Vorgehen dokumentieren, mit gemischten Gefühlen.


Eines der mächtigen Eingangstore zur Stollenanlage in Ebensee.

Auf der Liste „Anhang 1.2.1“ zum Bundesimmobiliengesetz 2000 erscheint Ebensee so wie viele andere Orte unter einer unscheinbaren Nummer; mit der 1. Novelle 2003 wird das „Objekt“ am Traunsee wieder von der BIG-Liste gestrichen – Martin Hübner gelingt es zu zeigen, dass die Bestimmung „Deutsches Eigentum“ hier nicht zutrifft: Aufgrund eines Rückstellungsvergleiches aus dem Jahre 1951, in dem auch die errichteten Stollen an die Firma „Hatschek Zementwerke“ mitübertragen werden, stellt die Anlage eindeutig keinen Anwendungsfall für den Erwerb durch die Republik, wie im Staatsvertrag bzw. Staatsvertragsdurchführungsgesetz 1955 definiert, dar.

Eine Rakete für das Reich

Im Sommer 1943 hoffen Hitler und sein Rüstungsminister Albert Speer noch immer auf eine Wende durch die „Wunderwaffen“ – dazu zählt vor allem die A4-Rakete, auch „V2“ genannt, die in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom von Wernher von Braun und seinen Ingenieuren entwickelt wird. Am 3. Oktober 1942 gelingt erstmals ein erfolgreicher Start, die Rakete erreicht eine Geschwindigkeit von 4.824 km/​h und fliegt immerhin 190 km in Richtung Ziel; der Durchbruch scheint endlich geschafft. Ursprünglich von den Peenemünder „Monsterraketen“ nicht sonderlich begeistert, setzt nun auch der „Führer“ auf die revolutionäre Technik, die Dringlichkeitsstufe eins (DE 1) zugesprochen erhält. Die Vision einer „Fernbombardierung“ Londons oder vielleicht sogar New Yorks lässt ihn nicht mehr los. Es ist die Rakete, die ihn und seine Herrschaft retten soll. Und die Pläne stimmen ihn optimistisch: Bereits im Oktober 1943, so die kühne Prognose des „Sonderausschusses A4“, sollen 900 Raketen die Montagewerke in Peenemünde, Friedrichshafen und den Wiener Neustädter Rax-Werken verlassen, im Jänner 1944 soll die Produktionsziffer auf monatlich 1.500 Raketen steigen, im April 1944 auf 1.800. Noch im Herbst 1943 soll die „Raketenoffensive“ gegen England gestartet werden.

Der große Rückschlag erfolgt in der Nacht vom 17. zum 18. August 1943 : 433 britische Bomber greifen im Rahmen des Unternehmens „Hydra“ die Anlagen in Peenemünde an, über 800 Menschen, unter ihnen auch Walter Thiel, der Leiter der Triebwerkentwicklung, kommen ums Leben, die Zerstörungen sind schwerwiegend. Jetzt gilt es zu handeln, will man die neue Hochtechnologie nicht weiterhin den Alliierten schutzlos ausgeliefert sehen. Die grundsätzliche Entscheidung für die Errichtung eines unterirdischen Werkes zur Raketenforschung fällt daher schon in einer „streng geheimen“ Besprechung am 26. August 1943 in Berlin: Rüstungsminister Albert Speer, SS-General Hans Kammler, Direktor Gerhard Degenkolb vom Sonderausschuss A4 und Hauptdienstleiter Karl Otto Saur von Speers Ministerium beschließen die Trennung von Serienfertigung und Forschung; die Massenproduktion der Rakete soll in einem Stollensystem im Kohnstein in der Nähe von Nordhausen in Thüringen, später „Mittelwerk“ genannt, erfolgen; aber auch die weitere Entwicklungsarbeit soll unter Tag verlagert werden. Zuständig für das Bauprogramm ist grundsätzlich das Amt Bau im Rüstungsministerium, 20 der größten und arbeitsintensivsten Projekte werden jedoch der SS übertragen; Reichsführer-SS Himmler beauftragt Kammler, seinen besten Mann, mit der operativen Umsetzung, am 1. September 1943 ernennt er ihn zum „Sonderbeauftragten des Reichsführers-SS für das A 4-Programm“. Im März 1944 wächst die Macht des SS-Technokraten weiter: Ein „Sonderstab Kammler“ wird gebildet. Der skrupellose 42-Jährige aus Stettin, Leiter der Amtsgruppe C im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, hat sich bei der Organisation von „Arbeitsabläufen“ bereits einen Namen gemacht; für Himmler ist Kammler der Mann, der der SS den Weg zur Rüstungsindustrie bahnen soll, die stärkste „Waffe“ gegen den verhassten Rivalen Albert Speer.


Hans Kammler lanciert Ebensee als Ersatz für Peenemünde: in einem der Hauptstollen der Anlage A.

Kammler enttäuscht seinen Chef nicht. Bereits im Herbst 1943 hat er erste Lösungen für Wernher von Braun und seine Ingenieure parat: Die anstehenden Tests der A4-Triebwerke, so sein Vorschlag, könne man mit relativ wenig Aufwand in die Keller einer Brauerei im „Gau Oberdonau“ verlagern; als neuen Standort für die Raketenversuchsanstalt Peenemünde schlägt er die geplante Stollenanlage von Ebensee im Salzkammergut vor, mit dem Einsatz von KZ-Häftlingen verspricht er den Ausbau in fünf Monaten fertigzustellen. Am 20. September 1943 fällt – gegen den Widerstand Wernher von Brauns – die endgültige Entscheidung: Peenemünde soll zumindest in Teilen durch Ebensee ersetzt werden, daran ändert auch eine Denkschrift von Brauns vom 2. Oktober 1943 nichts, in der er sich entschieden gegen den Standort Salzkammergut ausspricht. Das Entwicklungsprogramm für Ebensee steht jedoch fest: Geplant wird die Fertigstellung der Interkontinentalrakete A9 und der visionären Flakrakete „Wasserfall“, einer auf dem Reißbrett bereits existierenden Flugabwehrrakete, auch „C2“ genannt.

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