Der Raum, in dem alles geschah

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Der Raum, in dem alles geschah
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa


Impressum

Aus dem Amerikanischen übersetzt von einem Übersetzerteam

unter Leitung von Shaya Zarrin und Patrick Baumgärtel.

Copyright © 2020 by John Bolton

All rights reserved, including the right to reproduce this book or portions thereof

in any form whatsoever. For information, address Simon & Schuster Subsidiary Rights Department,

1230 Avenue of the Americas, New York, NY 10020.

This translation was published by arrangement

with Javelin Group LLC, Washington, and Arrowsmith, Hamburg.

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages

ist nicht gestattet, dieses Werk oder Teile daraus auf fotomechanischem Weg

zu vervielfältigen oder in Datenbanken aufzunehmen.

Das Neue Berlin –

eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

ISBN E-Book 978-3-360-50176-9

ISBN Print 978-3-360-01371-2

1. Auflage 2020

© für die deutsche Ausgabe: Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin,

unter Verwendung eines Fotos von picture alliance / Doug Mills

www.eulenspiegel.com


Titel der Originalausgabe:

»The Room Where It Happened:

A White House Memoir«

Für Gretchen und Jennifer Sarah

»Hier wird hart gehämmert, meine Herren.

Mal sehen, wer am längsten hämmert.«

Der Herzog von Wellington,

als er seine Truppen bei Waterloo versammelte, 1815

INHALT

Kapitel 1

DER LANGE MARSCH ZU EINEM ECKBÜRO IM WEST WING

Kapitel 2

MORD RUFEN UND DES KRIEGES HUND’ ENTFESSELN

Kapitel 3

AMERIKA BEFREIT SICH

Kapitel 4

DIE SCHLINGE VON SINGAPUR

Kapitel 5

EINE GESCHICHTE AUS DREI STÄDTEN – GIPFEL IN BRÜSSEL, LONDON UND HELSINKI

KAPITEL 6

RUSSLANDS PLÄNE DURCHKREUZEN

Kapitel 7

TRUMP SUCHT IN SYRIEN UND AFGHANISTAN VERGEBLICH NACH DEM AUSGANG

Kapitel 8

CHAOS ALS LEBENSSTIL

Kapitel 9

VENEZUELA LIBRE

Kapitel 10

DONNER AUS CHINA

Kapitel 11

EIN- UND AUSCHECKEN IM HILTON HANOI UND ZEIT FÜR SPIELCHEN IN DER DEMILITARISIERTEN ZONE

Kapitel 12

TRUMP VERLIERT DIE ORIENTIERUNG UND DANN DIE NERVEN

Kapitel 13

VON DER ANTI-TERROR-MISSION IN AFGHANISTAN ZUM BEINAHE-DESASTER VON CAMP DAVID

Kapitel 14

DAS ENDE DER IDYLLE

Kapitel 15

EPILOG

Kapitel 1

DER LANGE MARSCH ZU EINEM ECKBÜRO IM WEST WING

Was das Amt des Nationalen Sicherheitsberaters unter anderem so reizvoll macht, ist die Vielfalt und Menge der Herausforderungen, mit denen man konfrontiert wird. Wer Trubel, Ungewissheit und Risiko nicht mag – während man ohne Unterlass mit Informationen, ausstehenden Entscheidungen und der schieren Menge an Arbeit überhäuft wird, und gleichzeitig noch internationale und heimische Persönlichkeits- und Ego-Konflikte, die kaum auszumalen sind, belebend auf einen einwirken –, der sollte es mit etwas anderem versuchen. Die Arbeit ist ungemein anregend, aber es ist fast unmöglich, Außenstehenden zu erklären, wie eins zum anderen passt, was oft nicht in schlüssiger Weise der Fall ist.

Ich kann keine umfassende Theorie über die Transformation der Trump-Regierung darlegen, weil das nicht möglich ist. Washingtons herkömmliche Meinung über Trumps Entwicklung ist jedoch falsch. Diese allgemein akzeptierte Meinung, die für die intellektuell Faulen attraktiv ist, besagt, dass Trump immer bizarr gewesen sei, in seinen ersten fünfzehn Monaten jedoch, in denen er unsicher in seiner neuen Stellung war und von einer »Achse der Erwachsenen« in Schach gehalten wurde, gezögert habe zu handeln. Mit der Zeit sei Trump jedoch immer selbstsicherer geworden, die Achse der Erwachsenen habe sich entfernt, so manches sei auseinander gebrochen und Trump sei nur noch von »Jasagern« umgeben.

Teile dieser Hypothese sind zutreffend, aber das Gesamtbild ist zu vereinfachend. Die Achse der Erwachsenen verursachte in vielerlei Hinsicht anhaltende Probleme, nicht weil deren Angehörige Trump erfolgreich im Griff hatten, wie die Hochgesinnten (eine treffende Beschreibung, die ich aus dem Französischen für jene übernommen habe, die sich selbst für moralisch überlegen halten) meinen, sondern weil genau das Gegenteil der Fall war. Sie taten nicht annähernd genug, um Ordnung zu schaffen, und was sie taten, war so offensichtlich eigennützig und auf so öffentliche Art abschätzig gegenüber vielen von Trumps sehr klaren Zielen (ob würdig oder unwürdig), dass sie Trumps ohnehin schon argwöhnische Mentalität noch nährten und es für diejenigen, die später kamen, schwieriger machten, in legitimen politischen Austausch mit dem Präsidenten zu treten. Ich hatte lange Zeit den Eindruck, dass die Rolle des Nationalen Sicherheitsberaters darin besteht, dafür zu sorgen, dass ein Präsident weiß, welche Optionen ihm für eine bestimmte Entscheidung, die er zu treffen hat, offenstehen, und dann dafür zu sorgen, dass diese Entscheidung von den entsprechenden Behörden umgesetzt wird. Das Vorgehen im Nationalen Sicherheitsrat (National Security Council, NSC) war sicherlich bei verschiedenen Präsidenten unterschiedlich, aber dies waren die entscheidenden Ziele, die in diesem Prozess erreicht werden sollten.

Weil jedoch die Achse der Erwachsenen Trump einen so schlechten Dienst erwiesen hatte, stellte er die Motive der Menschen infrage, sah Verschwörungen hinter jeder Ecke lauern und blieb erstaunlich uninformiert darüber, wie man das Weiße Haus leitet, ganz zu schweigen von der riesigen Bundesregierung. Die Achse der Erwachsenen ist für diese Mentalität nicht allein verantwortlich. Trump ist Trump. Mir ist klar geworden, dass er glaubte, er könne durch reine Instinkt-Entscheidungen die Exekutive leiten und die nationale Sicherheitspolitik festlegen, und indem er sich auf persönliche Beziehungen zu ausländischen Staatsoberhäuptern verlässt, wobei seine auf das Fernsehen ausgelegte Selbstdarstellung immer im Vordergrund steht. Nun gehören Instinkt, persönliche Beziehungen und Selbstdarstellung zum Repertoire eines jeden Präsidenten. Aber sie sind eben nicht alles, bei weitem nicht. Analyse, Planung, intellektuelle Disziplin und Genauigkeit, Auswertung von Ergebnissen, Kurskorrekturen und dergleichen sind die Grundlagen für die Entscheidungsfindung eines Präsidenten, die weniger glanzvolle Seite dieses Jobs. Äußerlichkeiten sind nur ein Teil des Ganzen.

In institutioneller Hinsicht ist es daher unbestreitbar, dass Trumps Präsidentschaftsübergang und Eröffnungsjahr (und etwas darüber hinaus) unwiderruflich verpfuscht worden sind. Vorgänge, die sofort in Fleisch und Blut hätten übergehen sollen, insbesondere für die vielen Trump-Berater, die zuvor nicht einmal als Nachwuchsführungskräfte tätig gewesen waren, haben nie stattgefunden. Trump und die meisten seiner Mitarbeiter haben nie das »Bedienungshandbuch« der Regierung gelesen, wobei ihnen vielleicht nicht klar war, dass sie dadurch nicht automatisch zu Angehörigen des »deep state« werden würden. Ich geriet in dieses Chaos und sah Probleme, die in den ersten hundert Tagen der Regierung hätten gelöst werden können, wenn nicht schon vorher.

Die ständige Personalfluktuation hat offensichtlich nicht geholfen, ebenso wenig wie der Hobbessche bellum omnium contra omnes (»Krieg aller gegen alle«) des Weißen Hauses. Es mag ein bisschen zu viel gesagt sein, dass Hobbes’ Beschreibung der menschlichen Existenz als »einsam, arm, böse, brutal und kurz« das Leben im Weißen Haus zutreffend schilderte, aber am Ende ihrer Amtszeit hätten viele wichtige Berater zu ihr tendiert. Wie ich in meinem Buch »Surrender Is Not An Option« (dt.: »Kapitulation ist keine Option«)1 dargelegt habe, bestand mein Ansatz, Dinge in der Regierung zu erreichen, immer darin, so viel Wissen wie möglich über die Behörden aufzunehmen, in denen ich diente (Außenministerium, Justiz, die Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung), damit ich meine Ziele leichter erreichen konnte.

 

Mein Ziel war nicht, einen Mitgliedsausweis, sondern einen Führerschein zu bekommen. Dieses Denken war in Trumps Weißem Haus nicht üblich. Bei frühen Besuchen im West Wing2 waren die Unterschiede zwischen dieser Präsidentschaft und den früheren, denen ich gedient hatte, überwältigend. Was an einem Tag zu einem bestimmten Thema geschah, hatte oft wenig mit dem zu tun, was am nächsten oder übernächsten Tag geschah. Nur wenige schienen sich dessen bewusst zu sein, sich darüber Gedanken zu machen oder Interesse daran zu haben, es in Ordnung zu bringen. Und es sollte nicht viel besser werden – zu dieser deprimierenden, aber unvermeidlichen Schlussfolgerung gelangte ich erst, nachdem ich der Regierung beigetreten war.

Der ehemalige Senator von Nevada, Paul Laxalt, ein Mentor von mir, pflegte zu sagen: »In der Politik gibt es keine unbefleckte Empfängnis.« Diese Erkenntnis gibt eine eindringliche Erklärung für die Besetzung sehr hoher Positionen in der Exekutive. Trotz der Häufigkeit von Pressezeilen wie »Ich war sehr überrascht, als Präsident Smith mich anrief …« haben derartige Unschuldsbekundungen immer nur lose mit der Wahrheit zu tun. Und zu keinem Zeitpunkt ist der Wettbewerb um hochrangige Positionen intensiver als während des »Präsidentschaftsübergangs«, einer US-Erfindung, die in den letzten Jahrzehnten immer ausgefeilter geworden ist. Übergangs-Teams würden Wirtschaftshochschulen gute Fallstudien darüber liefern, wie man keine Geschäfte machen sollte. Sie existieren für einen festen, flüchtigen Zeitraum (von der Wahl bis zur Amtseinführung) und verschwinden dann für immer. Sie werden überwältigt von Wirbelstürmen eingehender Informationen (und Desinformationen), komplexen, oft konkurrierenden Strategie- und Politikanalysen, vielen daraus resultierenden Personalentscheidungen für die eigentliche Regierung sowie von der Kontrolle und dem Druck der Medien und Interessengruppen.

Unbestreitbar sind einige Übergänge besser als andere. Wie sie vonstattengehen, verrät viel über die kommende Regierung. Richard Nixons Übergang 1968–69 war das erste Beispiel für zeitgenössische Übergänge mit sorgfältigen Analysen aller wichtigen Exekutivorgane; Ronald Reagans Übergang 1980–81 war ein Meilenstein bei der Umsetzung der Maxime »Personal ist Politik« und konzentrierte sich intensiv auf die Auswahl von Personen, die sich an Reagans Programm halten würden; und Donald Trumps Übergang 2016–17 war … Donald Trumps.

Ich verbrachte die Wahlnacht vom 8. auf den 9. November in den Studios von Fox News in Manhattan und wartete darauf, live im Fernsehen über die außenpolitischen Prioritäten »des nächsten Präsidenten« zu sprechen, und alle gingen davon aus, dass dies zwischen 22 und 23 Uhr geschehen würde, kurz nachdem Hillary Clinton zur Siegerin erklärt worden wäre. Schließlich ging ich gegen drei Uhr am nächsten Morgen auf Sendung – so viel zum Thema Vorausplanung, nicht nur bei Fox, sondern auch im Lager des gewählten Präsidenten. Nur wenige Beobachter glaubten, dass Trump gewinnen würde, und wie bei der gescheiterten Kampagne von Robert Dole im Jahr 1996 gegen Bill Clinton waren auch bei Trump die Vorbereitungen im Vorfeld der Wahlen bescheiden und spiegelten den bevorstehenden Untergang wider. Im Vergleich zu Hillarys Unternehmen, das einer großen Armee auf einem sicheren Marsch zur Macht glich, schien Trumps mit einigen wenigen robusten Seelen besetzt zu sein, die viel freie Zeit zur Verfügung hatten. Sein unerwarteter Sieg hat seine Kampagne daher kalt erwischt, was zu sofortigen Revierkämpfen mit den Übergangs-Freiwilligen und zur Verschrottung fast aller ihrer Vorwahlergebnisse führte. Der Neuanfang am 9. November war kaum vielversprechend, vor allem da der Großteil des Übergangspersonals in Washington war und Trump und seine engsten Mitarbeiter im Trump Tower in Manhattan. Trump verstand vor seinem Sieg nicht viel von dem, was das riesige föderale Ungetüm so tut, und er erlangte auch während des Übergangs, wenn überhaupt, kein größeres Bewusstsein, was nichts Gutes für seine Leistung im Amt erwarten ließ.

Ich spielte eine unbedeutende Rolle in Trumps Kampagne, abgesehen von einem Treffen mit dem Kandidaten am Freitagmorgen, dem 23. September, im Trump Tower, drei Tage vor seiner ersten Debatte mit Clinton. Hillary und Bill waren an der juristischen Fakultät von Yale ein Jahr über mir, also habe ich mit Trump nicht nur über nationale Sicherheitsfragen gesprochen, sondern ihm auch meine Meinung darüber dargelegt, wie Hillary sich verhalten würde: gut vorbereitet und mit Drehbuch, ihrem Plan folgend, egal was passiert. Sie hatte sich in über vierzig Jahren nicht verändert. Trump war es, der am meisten redete, wie bei unserem ersten Treffen 2014, vor seiner Kandidatur. Als wir zum Ende kamen, sagte er: »Wissen Sie, Ihre und meine Ansichten liegen eigentlich sehr nahe beieinander. Sehr nahe.«

Zu jener Zeit war ich viel beschäftigt: Senior Fellow am American Enterprise Institute, Kommentator bei Fox News, regelmäßiger Redner, Rechtsberater in einer großen Anwaltskanzlei, Mitglied von Unternehmensvorständen, leitender Berater einer globalen Private-Equity-Firma und Autor von Meinungsartikeln mit einer Häufigkeit von etwa einem pro Woche. Ende 2013 bildete ich ein PAC und ein Super-PAC3, um Kandidaten für das Repräsentantenhaus und den Senat zu unterstützen, die an eine starke nationale Sicherheitspolitik der USA glaubten, indem ich Hunderttausende von Dollar direkt an Kandidaten verteilte und in die Wahlkampagnen 2014 und 2016 Millionen an unabhängigen Ausgaben steckte und mich darauf vorbereitete, dies 2018 erneut zu tun. Ich hatte viel zu tun. Aber ich hatte auch in den letzten drei republikanischen Regierungen gedient,4 und internationale Beziehungen hatten mich seit meiner Zeit am Yale College fasziniert. Ich war bereit, mich wieder hineinzustürzen.

Neue Gefahren und Chancen kamen schnell auf uns zu, und acht Jahre Barack Obama bedeuteten, dass es viel zu reparieren gab. Ich hatte lange und intensiv über die nationale Sicherheit Amerikas in einer stürmischen Welt nachgedacht: Russland und China auf strategischer Ebene; Iran, Nordkorea und andere schurkische Atomwaffen-Aspiranten; die brodelnden Gefahren des radikal-islamistischen Terrorismus im turbulenten Nahen Osten (Syrien, Libanon, Irak und Jemen), in Afghanistan und darüber hinaus; und die Bedrohungen in unserer eigenen Hemisphäre wie Kuba, Venezuela und Nicaragua. Auch wenn außenpolitische Labels wenig hilfreich sind, außer für die intellektuell Faulen, bezeichnete ich meine Politik, wenn ich dazu gedrängt wurde, als »pro-amerikanisch«. Ich folgte Adam Smith im Bereich Wirtschaft, Edmund Burke im Bereich Gesellschaft, den »Federalist Papers« zum Thema Regierung und einer Kombination aus Dean Acheson und John Foster Dulles, wo es um nationale Sicherheit ging. Meinen ersten politischen Wahlkampf führte ich 1964 im Namen von Barry Goldwater.

Ich kannte leitende Funktionäre der Trump-Kampagne wie Steve Bannon, Dave Bossie und Kellyanne Conway von früheren Verbindungen her und hatte mit ihnen darüber gesprochen, der Trump-Regierung beizutreten, falls es dazu kommen sollte. Als der Übergang begann, hielt ich es für vernünftig, meine Dienste als Außenminister anzubieten, so wie andere auch. Als Chris Wallace am Morgen des 9. November, nachdem das Rennen entschieden war, vom Fox-Set kam, schüttelte er mir die Hand und sagte mit einem breiten Lächeln: »Herzlichen Glückwunsch, Herr Minister.« Natürlich mangelte es nicht an Bewerbern für die Leitung des Außenministeriums, was endlose Spekulationen in den Medien darüber auslöste, wer der »Spitzenreiter« war, angefangen bei Newt Gingrich, über Rudy Giuliani, dann zu Mitt Romney und wieder zurück zu Rudy. Ich hatte mit jedem von ihnen zusammengearbeitet und respektierte jeden von ihnen, und jeder war auf seine Weise glaubwürdig. Ich schenkte dem Thema besondere Aufmerksamkeit, weil es ständig Gerede gab (ganz zu schweigen von Drängen), dass ich mich damit zufriedengeben sollte, stellvertretender Minister zu werden, was natürlich nicht meine Präferenz war. Was als Nächstes kam, demonstrierte Trumpsche Entscheidungsfindung und war für mich eine warnende Lehre (oder hätte eine sein sollen).

Während alle frühen »Anwärter« in philosophischer Hinsicht weitgehend konservativ waren, brachten sie unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliche Perspektiven, unterschiedliche Stile, unterschiedliche Vor- und Nachteile mit. Gab es unter diesen Kandidaten (und weiteren, wie dem Senator von Tennessee Bob Corker und dem ehemaligen Gouverneur von Utah Jon Huntsman) gemeinsame, konsistente Eigenschaften und Errungenschaften, nach denen Trump suchte? Offensichtlich nicht. Beobachter hätten fragen sollen: Welches ist das wahre Prinzip, das Trumps Personalauswahlverfahren bestimmt? Warum nicht Giuliani als Justizminister, ein Posten, für den er wie geschaffen war? Romney als Stabschef des Weißen Hauses, der seine unbestreitbaren strategischen Planungs- und Führungsfähigkeiten mitbrächte? Und Gingrich, der seit Jahrzehnten kreativ theoretisiert, als Innenpolitik-Zar des Weißen Hauses?

War Trump nur auf der Suche nach austauschbaren Jedermännern? Es wurde viel aus seiner angeblichen Abneigung gegen meinen Schnurrbart gemacht. In Wahrheit hat er mir gesagt, dass das nie ein Faktor war, und erwähnte, dass sein Vater auch einen hatte. Anders als Seelenklempner und Menschen, die sich zutiefst für Sigmund Freud interessieren, zu denen ich sicher nicht gehöre, glaube ich nicht wirklich, dass mein Aussehen in Trumps Denken eine Rolle gespielt hat. Und wenn es das tat, dann sei Gott unserem Land gnädig. Attraktive Frauen fallen dagegen in eine andere Kategorie, wenn es um Trump geht. Loyalität war der Schlüsselfaktor, was Giuliani in den Tagen nach der Veröffentlichung des »Access Hollywood«-Videos5 Anfang Oktober zweifelsfrei bewiesen hatte. Lyndon Johnson soll einmal von einem seiner Berater gesagt haben: »Ich will echte Loyalität. Ich will, dass er mir mittags am Fenster von Macy’s in den Arsch kriecht und mir sagt, dass er nach Rosen riecht.« Wer hätte gedacht, dass Trump so viel Geschichte studierte? Giuliani war später äußerst gnädig zu mir und sagte, nachdem er sich aus dem Gerangel über das Außenministeramt zurückgezogen hatte: »John wäre wahrscheinlich meine Wahl. Ich finde John großartig.«6

Der designierte Präsident rief mich am 17. November an, und ich gratulierte ihm zu seinem Sieg. Er erzählte von seinen jüngsten Gesprächen mit Wladimir Putin und Xi Jinping und hatte ein Treffen mit dem japanischen Premierminister Shinzo Abe am Nachmittag vor sich. »Wir werden Sie in den nächsten Tagen hier bei uns haben«, versprach Trump, »und wir ziehen Sie für eine Reihe von Möglichkeiten in Betracht.« Einige der ersten personellen Ankündigungen des neuen Präsidenten erfolgten am nächsten Tag: Jeff Sessions wurde als Justizminister ausgewählt (wodurch diese Option für Giuliani wegfiel), Mike Flynn als Nationaler Sicherheitsberater (wodurch Flynns unermüdlicher Dienst während des Wahlkampfs angemessen belohnt wurde) und Mike Pompeo als CIA-Direktor. (Einige Wochen nach Flynns Ernennung sagte Henry Kissinger zu mir: »Innerhalb eines Jahres ist er weg vom Fenster.« Obwohl er nicht wissen konnte, was passieren würde, wusste Kissinger, dass Flynn den falschen Job hatte.) Im Laufe der Tage wurden immer mehr Kabinetts- und leitende Positionen im Weißen Haus öffentlich gemacht, darunter am 23. November South Carolinas Gouverneurin Nikki Haley als UN-Botschafterin mit Kabinettsrang – ein bizarrer Schritt, wo doch der Posten des Außenministers noch nicht besetzt war. Haley hatte keine Qualifikationen für diesen Job, aber er war ideal für eine Person mit Präsidentschaftsambitionen, der es bei einem späteren Wahlkampf nützen würde, in ihrem Lebenslauf bei »Außenpolitik« ein Häkchen setzen zu können. Kabinettsrang oder nicht, die UN-Botschafterin war Teil des Außenministeriums, und eine kohärente US-Außenpolitik kann nur einen Außenminister haben. Doch hier war Trump, der untergeordnete Positionen im Universum des Außenministeriums besetzte, ohne dass ein Außenminister in Sicht war. Es musste per Definition zu Schwierigkeiten kommen, vor allem als ich von einem von Haleys Mitarbeitern hörte, dass Trump sie als Ministerin in Betracht gezogen hatte. Haley, so ihr Mitarbeiter, lehnte das Angebot wegen mangelnder Erfahrung ab, die sie offensichtlich als UN-Botschafterin zu erwerben hoffte.7

 

Jared Kushner, dem mich Paul Manafort während des Wahlkampfs vorgestellt hatte, rief mich an Thanksgiving an. Er versicherte mir, dass ich »noch durchaus im Rennen« für den Außenministerposten sei und »in einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Kontexten. Donald ist ein großer Fan von Ihnen, wie wir alle.« Unterdessen berichtete die New York Post über die Entscheidungsfindung in Mar-a-Lago an Thanksgiving und zitierte eine Quelle: »Donald lief umher und fragte jeden, den er traf, danach, wer sein Außenminister sein sollte. Es gab eine Menge Kritik an Romney, und viele Leute mögen Rudy. Es gibt auch viele Leute, die für John Bolton plädieren.«8 Ich wusste, ich hätte mich bei der Vorwahl in Mar-a-Lago stärker einsetzen sollen! Natürlich war ich dankbar für die beträchtliche Unterstützung, die ich unter israelfreundlichen Amerikanern (Juden und Evangelikalen gleichermaßen), Anhängern des Zweiten Verfassungszusatzes, kubanischen, venezolanischen, taiwanesischen Amerikanern und Konservativen im Allgemeinen hatte. Viele Leute setzten sich bei Trump und seinen Beratern für mich ein, als Teil des ehrwürdigen Übergangs-Lobbyings.

Die sich ausbreitende Unordnung der Übergangsphase spiegelte zunehmend nicht nur organisatorische Misserfolge wider, sondern auch den grundlegenden Entscheidungsstil Trumps. Charles Krauthammer, ein scharfer Kritiker Trumps, sagte mir, dass es falsch von ihm gewesen sei, Trumps Verhalten einmal als das eines elfjährigen Jungen bezeichnet zu haben. »Ich lag um zehn Jahre daneben«, bemerkte Krauthammer. »Er ist wie ein Einjähriger. Alles wird durch das Prisma gesehen, ob es Donald Trump nützt.« So sah der Personalauswahlprozess von außen sicherlich aus. Wie mir ein republikanischer Stratege sagte, war der beste Weg, Außenminister zu werden, »zu versuchen, der letzte Mann zu sein, der noch steht«.

Der gewählte Vizepräsident Pence rief am 29. November an und bat um ein Treffen in Washington am nächsten Tag. Ich kannte Pence von seiner Tätigkeit im Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses her; er war ein solider Verfechter einer starken nationalen Sicherheitspolitik. Wir führten eine leichte Unterhaltung über eine Reihe von außen- und verteidigungspolitischen Themen, aber ich war erstaunt, als er über die Außenministerfrage sagte: »Ich würde diese Entscheidung nicht als unmittelbar bevorstehend bezeichnen.« Angesichts späterer Presseberichte, wonach Giuliani etwa zu diesem Zeitpunkt seine Kandidatur für das Amt des Ministers zurückzog, könnte es sein, dass da der gesamte Auswahlprozess für das Amt des Außenministers von vorn begann, eine sicherlich beispiellose Entwicklung so spät in der Übergangsphase.

Als ich am nächsten Tag in den Übergangsbüros eintraf, kam der Abgeordnete Jeb Hensarling gerade von einem Treffen mit Pence. Hensarling, so wurde berichtet, war so sicher, das Finanzministerium zu bekommen, dass er seinen Mitarbeitern sagte, sie sollten mit der Planung beginnen. Dass er nicht ernannt wurde, erinnert an die Bemerkung der Abgeordneten Cathy Rodgers, dass sie nicht Innenministerin werden sollte, nachdem man ihr den Posten zugesagt hatte, und auch der ehemalige Senator Scott Brown erfuhr, dass er nicht Minister für Veteranenangelegenheiten werden würde. Das Muster war klar. Pence und ich führten ein freundschaftliches halbstündiges Gespräch, bei dem ich, wie schon mehrmals Trump gegenüber, Achesons berühmten Ausspruch zitierte, als er gefragt wurde, warum er und Präsident Truman eine so ausgezeichnete Arbeitsbeziehung hatten: »Ich habe nie vergessen, wer Präsident und wer Außenminister war. Und er auch nicht.«

Trump gab am 1. Dezember Jim Mattis als Verteidigungsminister bekannt, aber die Ungewissheit über das Außenministerium hielt an. Ich traf am nächsten Tag im Trump Tower zu meinem Vorstellungsgespräch ein und wartete in der Lobby der Trump Organization, gemeinsam mit dem Justizminister eines Bundesstaates und einem US-Senator. Wie üblich war der designierte Präsident in Verzug, und wer sollte aus seinem Büro treten, wenn nicht der ehemalige Verteidigungsminister Bob Gates. Ich vermutete später, dass Gates dort war, um für Rex Tillerson als Energie- oder Außenminister zu lobbyieren, aber Gates gab keinen Hinweis auf seine Mission, sondern tauschte auf dem Weg nach draußen nur Höflichkeiten aus. Schließlich betrat ich Trumps Büro für eine etwas mehr als einstündige Besprechung, an der auch Reince Priebus (bald Stabschef des Weißen Hauses) und Bannon (später Chefstratege der Regierung) teilnahmen. Wir sprachen über die Brennpunkte der Welt, über strategische Bedrohungen im weiteren Sinne wie Russland und China, Terrorismus und die Verbreitung von Atomwaffen. Ich begann mit meiner Anekdote über Dean Acheson, und im Gegensatz zu meinen früheren Treffen mit Trump habe ich die meiste Zeit geredet und auf Fragen der anderen geantwortet. Ich war der Meinung, dass Trump aufmerksam zuhörte; er machte keine Telefonanrufe und nahm auch keine entgegen, und wir wurden nicht unterbrochen, bis Ivanka Trump hereinkam, um über Familienangelegenheiten zu sprechen oder vielleicht zu versuchen, Trump zumindest wieder annähernd auf den Zeitplan zu bringen.

Ich erläuterte gerade, warum das Außenministerium eine Kulturrevolution brauchte, um ein wirksames Instrument der Politik zu sein, als Trump fragte: »Nun, wir sprechen hier über den Außenminister, aber würden Sie auch den Posten des stellvertretenden Ministers in Betracht ziehen?« Ich sagte, das würde ich nicht, und erklärte, dass das Außenministerium von dieser Ebene aus nicht erfolgreich geführt werden könne. Darüber hinaus war es mir unangenehm, für jemanden zu arbeiten, der wusste, dass ich um seinen Job konkurriert hatte und der sich vielleicht ständig fragen würde, ob er nicht einen Vorkoster brauchte. Als das Treffen endete, nahm Trump meine Hand in beide Hände und sagte: »Ich bin sicher, dass wir zusammenarbeiten werden.«

Danach kamen Priebus, Bannon und ich in einem kleinen Konferenzraum zusammen. Beide sagten, das Treffen sei »extrem gut« verlaufen, und Bannon meinte, Trump habe »so etwas noch nie zuvor gehört«, was den Umfang und die Einzelheiten der Diskussion betraf. Dennoch drängten sie mich, den Posten des stellvertretenden Ministers zu übernehmen, was mir verdeutlichte, dass sie nicht optimistisch waren, dass ich den Spitzenposten bekommen würde. Ich erklärte noch einmal, warum der Stellvertreter für mich nicht infrage kam. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass Trump mit Tillerson ein Gespräch über den Posten des Außenministers führen würde. Das war das erste Mal, dass jemand Tillersons Namen nannte, was wahrscheinlich erklärt, warum Priebus und Bannon mich nach der Nominierung zum Stellvertreter fragten. Weder Trump noch die anderen brachten die Frage der Bestätigung durch den Senat zur Sprache. Die meisten Trump-Kandidaten konnten mit einer bedeutenden oder sogar einstimmigen demokratischen Opposition rechnen. Rand Pauls bekannte isolationistische Ansichten bedeuteten, dass er für mich ein Problem darstellen würde, aber mehrere republikanische Senatoren (darunter John McCain, Lindsey Graham und Cory Gardner) sagten mir, dass seine Opposition überwunden werden würde. Dennoch kam nach diesem Treffen kein Wort aus dem Trump Tower, was mich davon überzeugte, dass ich Privatmann bleiben würde.

Die Nominierung Tillersons am 13. Dezember löste jedoch nur eine weitere Welle von Spekulationen (dafür und dagegen) über meine Ernennung zum Stellvertreter aus. Ein Trump-Berater ermutigte mich mit den Worten: »In fünfzehn Monaten werden Sie Minister sein. Sie kennen seine Grenzen.« Eine dieser Grenzen war Tillersons Beziehung zu Wladimir Putin und Russland aus seiner Zeit bei ExxonMobil, genau in der Phase, als Trump früher, aber stetig zunehmender Kritik ausgesetzt war, weil er mit Moskau »konspirierte«, um Clinton zu besiegen. Während Trump letztlich vom Vorwurf der Verdunkelung freigesprochen wurde, ignorierte oder leugnete seine abwehrende Reaktion vorsätzlich, dass Russland sich in US- und vielen anderen Wahlen weltweit sowie in die öffentlich-politische Debatte im weiteren Sinne einmischte. Andere Gegner, wie China, Iran und Nordkorea, mischten sich ebenfalls ein. In meinen damaligen Kommentaren betonte ich das ernste Ausmaß der ausländischen Einmischung in unsere Politik. McCain dankte mir Anfang Januar und sagte, ich sei ein »Mann mit Prinzipien«, was mich wahrscheinlich bei Trump nicht beliebt gemacht hätte, wenn er das gewusst hätte.

Im Verteidigungsministerium gab es auch Aufruhr um den Posten des stellvertretenden Ministers, da Mattis auf die Obama-Beamtin Michèle Flournoy drängte. Flournoy, eine Demokratin, hätte selbst Verteidigungsministerin werden können, wenn Clinton gewonnen hätte, aber warum Mattis sie in einer republikanischen Regierung haben wollte, war schwer zu ergründen.9 In der Folge drängte Mattis auch darauf, dass Anne Patterson, Beamte im Auswärtigen Dienst, den entscheidenden Posten der Staatssekretärin für Politik im Verteidigungsministerium besetzen sollte. Ich hatte mehrere Male mit Patterson zusammengearbeitet und wusste, dass sie für eine leitende politische Position in einer liberalen demokratischen Regierung philosophisch kompatibel war, aber kaum in einer republikanischen. Senator Ted Cruz befragte Mattis zu Patterson, aber Mattis war nicht in der Lage oder nicht willens, seine Gründe zu erläutern, und die Nominierung brach schließlich unter zunehmendem Widerstand republikanischer Senatoren und anderer zusammen. Dieser ganze Aufruhr veranlasste Graham und andere zu der Empfehlung, dass ich mich in der frühen Phase aus der Regierung heraushalten und warten sollte, um später beizutreten, was mich überzeugte.