Loe raamatut: «Klassiker der Erotik - Fanny Hill 2 - 12 Kapitel», lehekülg 2

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Schließlich standen zwei mächtige Truhen mit Kleidung, Geschäftspapieren und zwei großen Lederbeuteln mit Goldmünzen abholbereit. Sie wurden von Bediensteten zur „Old Bottle“ geschafft; für dieses Schiff hatte sich Charles entschieden.

Er nahm Abschied von seinen Kindern. Die Herzlichkeit tat dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie Burton alle Ehre an. Audi Mrs. Cole gab dem Scheidenden alle guten Wünsche mit auf den Weg. Fanny begleitete ihn zum Hafen.

Ein Wald von Masten über dunklen Schiffsrümpfen — auf den Quais schreiende, gestikulierende, hastende Menschen: Seeleute, Hafenarbeiter, herumlungerndes Volk und Neugierige. Dazwischen leichte Mädchen, die den Männern auffordernde Blicke zuwarfen. Ballen und Lasten schwebten an kreischenden Ladegeschirren durch die Luft. Schauerleute buckelten des Landes Reichtum über schwankende Laufplanken. Englands Herz, sein kommerzielles Leben, pulsierte hier am stärksten.

Auf den Schiffen, die von langer Seereise zurückgekehrt waren oder zu neuer Fahrt rüsteten, scheuerten Matrosen und Schiffsjungen die Decks. An Bordwänden hingen Arbeiter in

Strickleitern und teerten die Schiffsrümpfe. Über allem Lärm und aller hektischen Geschäftigkeit lag ein durchdringender Gestank von Fisch, Teer, Wasser und fauligen Abfällen. Fanny hielt sich die Nase zu, als sie die Kutsche verließ. Wie gräßlich! Wie konnte man nur in diesem Milieu atmen und leben?!

Dann aber gingen ihre Gedanken siebzehn Jahre zurück. Hätte es das Schicksal nicht gut mit ihr gemeint, was wäre aus der mittellosen Fanny Hill von damals geworden?! Eine Dirne, die sie ohnehin — wenn auch auf einer anderen Ebene — gewesen war. Ein Straßenmädchen vielleicht, wie diese armseligen, aufgeputzten Geschöpfe hier am Hafen. Es schauderte sie.

Die „Old Bottle“ war ein schönes, ungewöhnlich schnelles Schiff. Ein Viermastschoner, dessen weit vorgebauter Bug verriet, daß es zu den Schnell-Seglern zählte. Man wartete nur noch auf Charles. Der Kapitän auf der Kommandobrücke erteilte seine Befehle — die Matrosen kletterten in die Wanten.

Es war an der Zeit, Abschied zu nehmen. Fanny preßte Charles’ Arm, drängte sich an ihn, bot ihren Mund zum Kuß. Erst der Ruf des Steuermanns: „Mr. Burton, wir warten auf Sie!“ brachte beide zur Besinnung. Eine letzte Zärtlichkeit — Charles löste sich aus den Armen seiner Frau. Dann ging er schweren Schrittes an Bord.

Die Ankerketten rasselten — rauschend entfalteten sich die Segel. Das schwere Schiff legte vom Quai ab. Hastige, törichte Worte des Abschieds, bis das Schiff außer Rufweite war. Seidene Tüchlein hüben wie drüben — Zeugen flatternder Gedanken, die nichts mehr fassen konnten, als den Schmerz des Abschieds. Auf wie lange?

Bedrückt bestieg Fanny die Kutsche.

Kapitel 2

„Liebe Mrs. Cole, ich langweile mich zu Tode!“ Fanny hatte trotz der vielen Jahre, die ihre mütterliche Freundin nun schon bei ihr war, trotz der weiten Kluft, die gesellschaftlich zwischen ihnen lag, nicht daran gedacht, sie wie eine Angestellte zu behandeln. Und für Mrs. Cole war Fanny immer noch das kleine, bezaubernde Mädchen, das sie einst in ihr „Haus“ genommen und am reichlich fließenden Quell getränkt hatte, den weiberlustige, finanzkräftige Kavaliere nie versiegen ließen.

„Hmm,“ nickte die Cole, „Charles ist jetzt über ein halbes Jahr fort, und sein letzter Brief erreichte uns vor zwei Monaten. Aber — Sie haben doch die Kinder!“

„Wer hat die Kinder?!“ Fanny brauste auf. „Sie haben sie doch! Dorothee und Edward hängen mehr an Ihnen als an mir!“

„Nur Frances nicht!“ maulte die Cole. „Für die haben Sie immer Zeit.“

„Na und??“ Kam die Rede auf Frances, kehrte Fanny ihre Stacheln wie ein Igel heraus. Ihre Augen begannen zu flackern, die Unterlippe schob sich vor. Mrs. Cole kannte diese Sturmzeichen. Sie lenkte ein. Wegen Frances hatte es schon genug Streit gegeben. „Sie haben recht! Charles fehlt an allen Ecken und Enden. Aber gewiß wird er bald zurückkehren.“

Fanny war davon nicht überzeugt: „Es kann unter Umständen noch Monate dauern, bis die Geschäfte in Montreal abgewickelt sind. Und die Rückreise nimmt auch einige Wochen in Anspruch.“

Wirtschaftliche Not litt sie nicht. Charles hatte das Vermögen, das sie in die Ehe eingebracht hatte, gut verwaltet und um über die Hälfte vermehrt. Aber es ärgerte sie, während der Abwesenheit ihres Mannes von der Substanz zehren zu müssen, da laufende Einnahmen ausblieben. Fanny war überdies eine Frau, die sich gern bewundern ließ, die bestätigt wissen wollte, daß sie schön, begehrenswert, reich und glücklich sei. Charles hatte mit dererlei Vorstellungen nie gegeizt.

Mrs. Cole kannte den Grund der Unzufriedenheit. So beschloß sie eines Tages, Fanny vorzuschlagen, eine Gesellschaft zu geben. Auch ihr ging die Zurückgezogenheit auf die Nerven. Außer Lord Douglas und dem Juwelier Mr. Whitman, der das Vermögen der Burtons verwaltete, empfing Fanny kaum Besuch.

„Fannykind,“ flötete die Cole anderntags am Frühstückstisch, „Sie sollten etwas für Ihre Gesundheit tun!“

Fanny blickte auf. Da war etwas im Unterton der Cole, das sie an längst vergangene Zeiten erinnerte.

„Wenn ich so bedenke, was Sie früher für ein lebenslustiges, unbekümmertes Weibsbild . . . — sie sagte mit voller Absicht „Weibsbild“ — „waren, dann erscheint mir Ihr jetziger Zustand beklagenswert!“ Sie machte eine Pause und fuhr fort: „Sie sollten wieder einmal Menschen um sich sammeln!“

Fanny verschluckte sich und hustete, bis die Tränen kamen, die von einem Lachen abgelöst wurden. Konnte die Cole Gedanken lesen?

Mrs. Cole lief um den Tisch herum und klopfte der Hausherrin den Rücken. Als der Anfall vorüber war, protestierte Fanny zum Schein gegen einen solchen „unmöglichen“ Vorschlag.

Die Cole gab diesem „Protest“ die richtige Deutung.

Beim Tee stellten beide Frauen bereits Überlegungen an, wie diese Soiree zu gestalten sei und unter welchem Vorwand. „Ist es notwendig, sich durch irgendeinen äußeren Anlaß für eine Einladung zu rechtfertigen, die in Abwesenheit des Hausherrn gegeben wird? Ich glaube nicht!“, beschwichtigte die Cole ihre jüngere Freundin.

„Und wenn,“ trumpfte Fanny auf, „dann sollen sie sich die Mäuler zerreißen; ich pfeife darauf!“ So war die Soiree beschlossene Sache.

Lohndiener wurden engagiert, Essen und Getränke bestellt. Einladungen gingen hinaus. Am wichtigsten aber war die Frage, was Fanny anziehen sollte. Nichts unter zahlreichen Roben schien ihr geeignet. Also mußte innerhalb von zehn Tagen ein neues Kleid geschneidert werden. Selbstverständlich vom ersten Taylor Londons.

Das war zur Zeit Monsieur Legrand, der sich seit kurzem in London niedergelassen hatte, um, wie er sagte, den Damen der Gesellschaft Pariser Eleganz zu bringen. Er war überbeschäftigt und sündhaft teuer. Zudem war es schwer, ihn zur Einhaltung eines Termins zu bewegen. Er brauche Zeit zur Inspiration — begründete er.

Fanny blieb es ein Rätsel, wie Mrs. Cole es zuwege brachte, den Meister zu überreden, sie aufzusuchen und zu versprechen, das Kleid in der kurzen Frist anzufertigen. Jedenfalls — Monsieur Legrand erschien!

Er machte seinem Ruf alle Ehre: er stolzierte einher wie ein gespreizter Pfau. Zum vollendeten Stutzer fehlte ihm lediglich der Degen. Mit Grandezza verbeugte er sich vor Fanny, brach in entzückte Rufe über ihre Schönheit, ihren Charme und — „mon Dieu“ — über ihre

bezaubernde Figur aus. „Magnifique!“.

Mit spitzen Fingern wühlte er in Stoffballen, die überall auf Stühlen, Tischen und Kommoden ausgebreitet lagen. Stoffe, die Fanny bevorzugte, und aus denen Monsieur seine Wahl für das Kleid treffen sollte. Er entschloß sich für einen königsblauen Samt. Dazu kamen Bordüren aus geflochtenem Silber und hochhackige Schuhe aus silberdurchwirkter Seide.

Als Clou dieser „robe magnifique“ wollte er auf den üblichen Kragen aus Brüsseler Spitze verzichten und stattdessen etwas Einmaliges, Besonderes und Aufregendes applizieren: einen Kragen aus Leopard! Er sollte rundherum laufen und Schultern und Busen — „tres magnifique!“ — weitgehend entblößt lassen. Madame könne es sich leisten. Dann hörte man nichts mehr von Monsieur Legrand. Der Tag, an dem Fanny das Kleid tragen wollte, rückte näher. Zweimal schon war Mrs. Cole in der Werkstatt des Meisters gewesen, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Monsieur sei angestrengt bei der Arbeit und dürfe auf keinen Fall gestört werden, wies man sie ab.

Am Tage der Soiree erschien Monsieur Legrand gegen elf Uhr. Affektiert und gespreizt wie ein Lustknabe. Langsam und betont sorgfältig breitete er seine Schöpfung aus, streifte sie der Trägerin über. Das Kleid saß wie angegossen. Zwar schien Fanny das Leopardenfell recht ungewöhnlich — aber Monsieur Legrand diktierte die Mode. Seine Creationen, mochten sie noch so ausgefallen sein, machten Furore. Nicht weniger aber auch die Damen der Gesellschaft, die dieser allzu weibische Mann kleidete. Diese Robe zeichnete Fannys Kurven raffiniert nach, betonte sie und verriet mit der Andeutung interessanter Details einen vollendeten, begehrenswerten Körper. Sie betrachtete wohlgefällig ihr Spiegelbild, strich über den Samt, der den Busen gerade noch bedeckte, fühlte und sah die Spitzen der sanften, festen Rundungen wachsen — eine Regung, die sie verschüttet glaubte. Sie war’s zufrieden.

Lord Douglas war einer der ersten Gäste. Er brachte einen Freund mit, der seit einiger Zeit von sich reden gemacht hatte: den Maler Thomas Gainsborough. Galante Portraits, die er von den Damen des Hofes und der Gesellschaft malte, hatten ihm seinen Ruf eingetragen. Man buhlte um seine Gunst — galt es doch als besondere Ehre, von Gainsborough gemalt zu werden. Auch Fanny hatte von ihm gehört.

Allmählich füllte sich die Halle. Prominentester Gast war der Herzog D * * *. Mrs. Cole blieb es nicht verborgen, daß der Herzog Feuer fing, als er der schönen Gastgeberin gegenüberstand. Kann das ein Vorteil für Fanny sein oder das Gegenteil? fragte sie sich.

Es wurde ein reizender Abend. Für Fanny umso mehr, als sie wieder einmal die

Gesellschaft genoß. Und die Gäste genossen sie — ihre Schönheit, ihr Kleid, ihre Liebenswürdigkeit. Unbestritten war sie der Mittelpunkt. So viele Komplimente hatte sie lange nicht mehr gehört, so glitzernde Augenpaare seit Monaten nicht mehr auf sich ruhen lassen. Es war ein Vergnügen, begehrt zu werden. Fanny blühte sichtlich auf und schwärmte noch tagelang von dem Glanz, der sie wieder umgeben hatte.

Nicht lange, und Fannys Gesellschaften bildeten das Stadtgespräch. Die Gäste mehrten sich — Adel, Künstler, Müßiggänger, Söhne reicher Eltern und Opportunisten jeglicher Art bevölkerten das Haus. Allmählich entwickelten sich diese Besuche zu einer ständigen Einrichtung an bestimmten Tagen. Nach dem „en vogue“ befindlichen Vorbild Frankreichs nannte sie die Empfänge ihre „Jours“.

Es war ein zwangloses Kommen und Gehen innerhalb der ebenfalls nach französischem Vorbild festgesetzten Zeit.

Einmal in der Woche, donnerstags, empfing Fanny in ihrem Boudoir, wobei sie darauf achtete, daß die Zofe Nancy anwesend war.

Lebhafte Diskussionen über Tagesthemata wechselten mit künstlerischen Vorträgen. Und manche politische Intrige wurde hier gesponnen.

Der Herzog von D*** fand sich regelmäßig ein und machte Fanny den Hof. Mrs. Cole empfand eine Aversion gegen den eleganten, allzu glatten und, wie ihr schien, berechnenden Vertreter des Hochadels. Sie witterte Schwierigkeiten, die sich aus den häufigen Besuchen des Herzogs ergeben könnten.

„Lady Douglas, Sie sind gänzlich zerstreut!“ Die Königin, äußerst ungehalten, rügte die Hofdame, die ihr schon zum zweiten Male den falschen Schmuck reichte.

Ihre Majestät war aufbrausender und mürrischer denn je. Des Königs Gesundheitszustand und die Intrigen, die um Georg gesponnen wurden, ohne daß sie helfend einspringen konnte, zerrten an ihren Nerven.

Nicht weniger belastet von der Konspiration bei Hof war Lady Douglas. Sie, die Vertraute der Gemahlin Georgs III., trieb ein übles Doppelspiel, das Nervenkraft kostete und die Hofdame in Gewissenskonflikte trieb. Immer häufiger geschah es, daß Mylady außerhalb ihrer Zimmer ihr Wesen trieb. Die Königin ahnte allerdings nichts davon. Noch weniger, daß sie in solchen Fällen mit Herzog von D*** konspirierte. Gegen seine Majestät. Aber zu ihrem Vorteil? Der Hofklatsch blühte. Den Gräfinnen Learncall, Cavendish und Droughgate war „die Douglas“ schon längst ein Dorn im Auge. Neulich hatte die Herzogin von D * * * eine abfällige Bemerkung über ihre

Cousine gemacht. Damit schien in den Augen der übrigen Hofdamen das Urteil über Lady Douglas gesprochen.

Tatsächlich aber vermutete die Herzogin in Lady Douglas eine Rivalin, die versuchte, den Earl of Chatham, einen Liebhaber der Herzogin, für sich zu gewinnen. Daß Myladys Ambitionen ganz auf den Herzog von D * * * gerichtet waren, wußte dessen Gattin nicht, noch ahnte sie es. Die Herzogin hätte das auch wenig berührt.

Anläßlich einer großen Gesellschaft sollte Frances den Freunden und Bekannten des Hauses vorgestellt werden. Ihre Mutter hatte dem Drängen der jetzt Vierzehnjährigen, an einem der nächsten „Jours“ teilnehmen zu dürfen, nachgegeben. Dieses für sie bisher größte Ereignis versetzte Frances schon Tage vorher in helle Aufregung. Stundenlang wühlte sie in ihrem Kleiderschrank — nichts gefiel ihr. Nicht einmal die modernen Kleider schienen ihr gut genug, von denen sie schließlich vier in die engere Wahl zog. Vor dem Spiegel prüfte und verwarf sie, begann von neuem und kam zu keinem Entschluß.

Dorothee beobachtete die hektische Geschäftigkeit ihrer Schwester. Sie stichelte und ließ sich zu hämischen, bissigen

Bemerkungen über ihre Putzsucht, ihre Eitelkeit, ihr albernes, dummes Getue hinreißen. Wer schon in der Gesellschaft werde auf sie aufmerksam werden, ihr Beachtung schenken — einem Mädchen, das noch grün hinter den Ohren sei. „Wenn Du trotzdem Aufsehen erregen willst, steck’ Dir doch eine Pfauenfeder in den Popo ...

Schwupps — flog ein Schuh in Richtung Dorothee. Er traf auch — allerdings nicht die Schwester, sondern Mrs. Cole, die eben das Zimmer betrat.

Frances biß sich in den Knöchel des Zeigefingers — aber das Mißgeschick steigerte ihre Erregung noch. Und während sie ein hastiges „Vergebung, Madame!“ hervorstieß, angelte sie schon nach dem zweiten Schuh . . .

Mrs. Cole griff ein, schlichtete den Streit, wie sie es oft tun mußte, und riet Frances dann zu einem dunkelgrünen Satinkleid, das besonders gut zu ihrem vollen, rotblonden Haar paßte.

Der große Tag lag hinter Frances. Ihr zu Ehren war das Buffet reichhaltiger als sonst gewesen; der Champagner floß in Strömen. Mrs. Cole fand das entsetzlich verschwenderisch, aber Fanny wußte sie zu beschwichtigen.

Frances war bewundert und umschwärmt worden. Nicht wie ein Nestjunges, das flügge geworden war und dessen Gesellschaftsfähigkeit nun dokumentiert werden sollte. Man hatte sie akzeptiert.

Gesichter und Namen, Komplimente und Elogen, offene

und versteckte Zärtlichkeiten waren als physische und sinnenhafte Wahrnehmungen auf sie eingeströmt. Ein wirres Kaleidoskop sich jagender Bilder haftete noch anderntags in ihrem Köpfchen, das sie seitdem ein wenig höher trug.

Der Herzog von D * * * war auch für Frances die imponierendste Erscheinung gewesen. Seine Gnaden hatte sich betont geneigt gezeigt — sie wie eine Dame behandelt. Ihr Puls beschleunigte sich, wenn sie an ihn dachte.

In einer Woche würde sie ihn Wiedersehen ...

Schon am übernächsten Tag erschien er mit dem Maler Gainsborough, um ein Porträt Fannys in Auftrag zu geben, das in Whitehall ausgestellt werden sollte.

Frances stand auf der kleinen Balustrade, die einen Teil der Halle umgab. Der Herzog sah sie und winkte ihr, vertraut lächelnd, zu.

Frances stand wie angewurzelt. Vor Überraschung und Entzücken vergaß sie den obligatorischen Knicks. Dann verschwand sie mit glühenden Wangen im nächsten Zimmer.

Mrs. Cole machte Fanny ernsthafte Vorhaltungen über die Verschwendungssucht, die im Hause eingerissen sei: Die „Jours“ und Soireen verschlängen Unsummen.

Fanny nickte nur — in Gedanken war sie schon auf dem Wege zu Gainsborough; ihr Porträt ging seiner Vollendung entgegen. Noch zwei oder drei Sitzungen, dann würde ihr

Konterfei einen Platz in Whitehall — unter den Vornehmen des Landes — haben. Fanny, als Dame der Gesellschaft, hatte eine weitere Stufe auf der Leiter zu den „uper ten“ erklommen — Fanny, das Freudenmädchen von ehedem.

Was hatte die Cole gesagt? Verschwendung — der Etat! Sie stand auf und wandte sich zum Gehen. „Liebe Mrs. Cole,“ warf sie gleichgültig hin, „das arrangieren Sie schon! Denken Sie sich was aus!“ Und draußen war sie.

Frances lag im Bett und starrte gegen die Decke ihres Zimmers. Maman, die eben bei ihr gewesen war, hatte ihre Hand gestreichelt, als sie von dem Herzog schwärmte, und ihr bestätigte, daß er ein schöner Mann sei. „Was Wunder, wenn Du sogar einem Herzog gefällst! Du bist hübsch und jung ...“

War sie wirklich hübsch? Die Kerze brannte noch — Frances sprang aus dem Bett und stellte sich vor den großen Spiegel. Prüfend betrachtete sie sich. Sie hatte die gleichen, regelmäßigen Gesichtszüge wie ihre Mutter, nur glatter und runder. Ihre grüngrauen Augen leuchteten. Ein wohliges, prickelndes Gefühl spielte auf der Oberfläche des Nackens und der

Brüste ...

Langsam ließ sie das Nachthemd hinabgleiten und stieß es mit dem Fuß beiseite — ein Häufchen Nichts, nachdem es der Formen eines ebenmäßigen, jungfräulichen Körpers entbehrte.

Zwei Schritte weg vom Spiegel erfaßte Frances ihr Ebenbild von Kopf bis Fuß. Mit beiden Händen durchwühlte sie vom Nacken her ihr volles, weiches Haar, das im Schein der Kerze rotgolden schimmerte.

Nach einigen leichten Links- und Rechtsdrehungen, die Arme nach oben angewinkelt, daß die festen Hügelchen der Brüste von allen Seiten sichtbar wurden, fragte sie ihr Spiegelbild: „Bin ich wirklich schön und begehrenswert?“ Mit der Antwort war sie nicht ganz zufrieden.

Sie ließ die Arme schlaff nach unten fallen und zuckte ein-, zweimal mit den Schultern. Den Kopf zur Seite geneigt, fuhr sie mit den Händen den Körper entlang, abwärts bis zu den Hüften. Zwischen ihre weißen, regelmäßigen Zähne schob sich eine rosige Zungenspitze. Sie betrachtete, prüfte ...

Dann rückte sie den Leuchter etwas zur Seite, um günstigeres Licht zu haben. Die rechte Hand betastete die festen Bäckchen eines süßen Popos mit je einem Grübchen auf der Hüftseite — die Linke ruhte auf der schmalen Schulter. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Von welcher Seite sie sich auch betrachtete — das Ergebnis war „mager“. Um schön nach den Begriffen ihrer Zeit zu sein, fehlten die abgerundeten, fraulichen Formen. Das gestand sie sich selbstkritisch und durchaus objektiv ein. Eckige Schultern, ein zu schlanker Hals und kleine Brüste, in deren Zentrum rosa Tupfen blühten, — all das war noch kindlich akzentuiert. Ihre Hüften und ihr Hinterteil waren dagegen ausgeprägt, die Beine schlank, lang und formschön. Aus zierlichen Füßen aufstrebend deuteten sie den Wuchs eines mit allen Gaben der Natur ausgerüsteten Gebäudes kommender körperlicher Schönheit an.

Dieses Geschöpf, das die zwielichtige Periode der Halbheiten durchlebte, nicht mehr Kind noch schon erwachsen war, aber das Tor zur Welt mit allen Verlockungen des Lebens geöffnet sah, empfand die Albernheit des Posierens vor dem Spiegel. Sie streckte sich die Zunge heraus, setzte sich auf den Bettrand, griff nach einer Bürste und strich minutenlang durch ihr Haar. Sie wickelte es um den Zeigefinger, um Locken zu formen, fing wieder zu bürsten an, bis sie des Spiels müde wurde. Sie blies die Kerze aus. Nackt schob sie sich unter die Bettdecke. Bisweilen schlief sie ohne Nachtgewand — aus Selbstliebe zum eigenen Körper. Oder weil die kühle, weiche Bettdecke ihrer Haut schmeichelte.

Lang ausgestreckt lag sie auf dem Rücken, die Arme im Nacken verschränkt. Sie fühlte

ihren ganzen Körper. Mit klopfenden Pulsen genoß sie die Intensität des Seins — ihre Nacktheit. Ein Prickeln, das die Haut leicht sträubte, durchflutete sie in weichen Wellen. Zärtlich glitten ihre Hände von den Schultern über die Brüste, den Leib und die Hüften bis zu den Schenkeln hinab. Von deren Innenflächen aus betastete sie die glühende Mitte des Leibes — verharrten, liebkosten und erhitzten die Glut des jungfräulichen Schoßes, bis zuckende Blitze den Körper aufbäumen ließen und Elementares in konvulsiven Bewegungen erstarb.

Eine Zeitlang noch lauschte sie dem verklingenden Rauschen des Blutes — dann wickelte sie sich, wohlige Laute von sich gebend, fest in die Decke und schlief Sekunden später den tiefen Schlaf der Jugend.

Mrs. Cole hatte sich etwas ausgedacht. Zur Aufbesserung der Finanzen des Hauses. Vor Tagen schon wollte sie ihren Plan auf tischen, aber Fanny war geistesabwesend, nicht zugänglich gewesen. „Wo bleiben Ihre Prinzipien, Fanny?!“ leitete sie ihr Gespräch ein. „Wenn Sie so weiter wirtschaften, wird Ihr Vermögen schnell schwinden! Denken Sie an Charles und die Kinder!“

Fanny, kleinlaut wie selten, wußte nichts zu erwidern. Diesmal kam sie der Cole nicht aus, die, wenn es um ernste Fragen ging, die Frühstückszeit nutzte, Rede und Antwort zu erzwingen. Fanny hatte sich einen Lebensstil angewöhnt, der auf die Dauer ihre Verhältnisse überstieg — das wußte sie. „Sie haben recht, Mrs. Cole. Aber jetzt weiß ich erst wieder, daß ich lebe. Geben wir denn wirklich so viel Geld aus?“ „In jedem Fall zu viel! Wenn sich nicht bald etwas ändert, kommen Sie in Teufels Küche!“ Sie zögerte einen Moment, dann fuhr sie flüsternd fort: „Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder Ihre Empfänge in wesentlich kleinerem Rahmen zu halten, oder ...“ Mrs. Cole stand die List im Gesicht geschrieben; sie traute sich aber nicht, mit ihrem Vorschlag unverblümt herauszurücken.

„Na und??“ Fanny war gespannt, zu erfahren, was die

Cole ausgeheckt hatte. Es konnte kaum etwas Gutes sein. „Schließlich handelt es sich bei Ihren Besuchern durchweg um reiche Leute. Der größte Teil von Ihnen verehrt Sie, um es vorsichtig auszudrücken.“

Fanny wurde hellhörig. Ihre Stirn zog sich in Falten. Sie ahnte, was die Alte ihr vorschlagen wollte. Instinktiv wehrte sie sich gegen das noch nicht ausgesprochene Ansinnen. Die Cole blieb jedoch hart: „Es muß etwas geschehen, wenn wir nicht wieder in Mittelmäßigkeit zurückfallen wollen. Lassen Sie doch Ihren Charme spielen! Ich kann mir denken, daß Sie die Herren schon durch ein Lächeln bezaubern können.“ Mehr wagte die Cole zunächst nicht auszusprechen.

Fanny wußte genau, was die alte Vettel, ihre Freundin, der gute Geist des Hauses — alles in einer Person — im Schilde führte. Sie wurde nachdenklich und ihre Stirn glättete sich wieder. Vielsagend sah sie die Cole an, die in ihren Augen Zustimmung las. Frauen ihrer Art bedurften der Sprache nicht, wenn sie „galante“ Komplotte schmiedeten.

Fanny stand vor ihrem Kleiderschrank. Ein Kleid nach dem anderen flog auf den Frisier-Sessel. Nichts war mehr geeignet. Die neueste Pariser Mode schrieb kürzere Röcke vor, ein noch offenherzigeres Dekollete. Was sollte sie tun? Entweder alle Kleider ändern lassen oder neue in Auftrag geben. Keinesfalls konnte sie sich bei kommenden, großen Gesellschaftsabenden in einer dieser „altmodischen“ Roben sehen lassen. Man würde sie auslachen — ja bemitleiden. Sie öffnete die Tür zur Halle: „Mrs. Cole!!!“ Wie ein Hilferuf hörte sich das an.

Außer Atem stürzte die Cole die Treppe hinauf. „Ist was passiert?“

„Ach, Cole’chen — geben Sie mir einen Rat! Wie soll ich mich verhalten?" Fanny war ganz geknicktes, junges Mädchen. „Meine Gesellschaftskleider sind veraltet. Und Lady Douglas kommt zum ersten Mal. Da muß ich doch ungezogen sein!“

„Kind,“ Mrs. Cole gab sich mütterlich, „ich habe Ihnen schon mal gesagt, wie Sie es anstellen sollen.“ Sie spielte auf das Gespräch am Frühstückstisch an, hielt aber inne, als sie Fannys Mienenspiel gewahrte. „Natürlich müssen Sie für diese Gelegenheit etwas Neues haben!“ Und etwas leiser setzte sie hinzu: „Ich glaube, die Kosten werden schon irgendwie wieder hereinkommen.“

Fanny nickte nur. Die Freude an der neuen Garderobe schien ihr vergällt. Aber hatte sie eine andere Wahl als...

Lady Douglas erschien in Begleitung des Herzogs von D***, den es einige Mühe gekostet hatte, Mylady diesen Abend

für ein paar Stunden vom Dienst bei Hofe zu befreien. Lady Douglas aber war glücklich, außer Reichweite der Königin einmal nicht Versteck spielen zu müssen. Sie rauschte herein wie Ihre Majestät persönlich. Hunderte von Perlen schimmerten auf dem weißen Satinkleid mit dem kühnen Dekollete. Offenbar bezog Mylady ihre Garderobe auch von Monsieur Legrand. Drei Schönheitspflästerchen unterstrichen die Blässe ihres Gesichts. Die kunstvolle, silberweiße Perücke türmte sich in zwei Stufen, dazwischen ein schmales, funkelndes Diadem.

Fanny schritt auf den Herzog und Lady Douglas zu; sie zelebrierte einen tiefen Knicks. Während der Herzog sie burschikos-freundschaftlich begrüßte, lächelte Lady Douglas huldvoll.

Mit dem Besuch der Lady verband Fanny geheime Wünsche. Sie wußte, daß Lord

Douglas bei Hofe interveniert hatte, Charles auf Grund seiner Verdienste um die überseeischen Handelsbeziehungen in den Adelsstand zu erheben. Das würde für Fanny die Einführung bei Hofe bedeuten. Damit wäre sie eine Dame von Rang und Stand. Das Erscheinen der Lady konnte der Hinweis sein, daß diese Intervention zumindest erfolgversprechend war.

Frances stand im Hintergrund, die wachen Augen auf den Herzog gerichtet. Sie wartete auf den Augenblick, vorgestellt zu werden. Artig und formvollendet, wie gut erzogene Mädchen ihres Alters, beugten sich ihre Knie vor Lady Douglas und dem Herzog. Dann trat sie, wie es die Etikette vorschrieb, wieder zurück.

Fanny reichte Lady Douglas den Arm und machte sie mit den übrigen Gästen bekannt.

Unschlüssig sah sich der Herzog in der Halle um. Diesen Augenblick nutzte Frances, sich ihm wieder zu nähern. Voller Anmut verneigte sie sich.

Der Herzog mußte lächeln und nahm sie bei der Hand. Das verwirrte und beglückte sie zugleich. Strahlend sah sie zu ihm auf. D*** führte seine junge Begleiterin galant zu einem breiten Sofa abseits in einer Ecke.

Frances hatte das Gefühl, daß alle Augen auf sie schauten. Sie genoß es, an der Seite dieses viel bewunderten Mannes zu gehen und gesehen zu werden. Als sie sich gesetzt hatte, glättete sie sorgfältig ihr Kleid und sah den Herzog neben ihr glücklich und erwartungsvoll an.

Als wäre sie seinesgleichen, plauderte er in vertraut-lässigem Ton. Frances geriet in Verlegenheit, da sie nur einiges von dem begriff, was die gewählte Art seiner Sprache bisweilen lediglich andeutete.

D * * * bemerkte ihre Hilflosigkeit. Als lebenserfahrener Mann wußte er, daß Frances ihn verehrte. Das schmeichelte seiner Eitelkeit. Er war aber Kavalier genug, einem so jungen Mädchen gegenüber nicht, auch nicht andeutungsweise, lockere Redensarten zu gebrauchen, die sonst in der Gesellschaft durchaus üblich waren.

Allmählich überwand Frances ihre Scheu und bemühte sich, hinter den Sinn der Worte zu kommen, die ihr fremd waren. Dann griff sie, auch ohne gefragt zu sein, in das Gespräch ein.

Während sie munter drauflos plapperte, überlegte sich der Herzog, ob und was ihm eine nähere Beziehung zu Frances nutzen könnte. Sachlich und kühl wog er das Für und Wider ab, ohne zu einem Schluß zu kommen. So plätscherte das Gespräch über belanglose Dinge dahin. Nebenher ließ der Herzog einfließen, daß er in nächster Zeit nach Paris fahren werde. Er habe am französischen Hofe eine Mission zu erfüllen und bleibe für längere Zeit von London fort. Frances’ Augen verrieten Enttäuschung. Das bewies dem Herzog, wie es um das Mädchen stand.

Und er erwog abermals, wie Frances ihm bei der Verwirklichung seiner Pläne nützlich sein könnte. Dann kam ihm ein Gedanke. Er schlug Frances vor, ihn doch zu begleiten.

Um den Schein der Etikette zu wahren, meinte er, daß es für sie nur von Vorteil sein könnte, ein fremdes Land kennenzulernen und dort ihre Sprachkenntnisse zu vervollkommnen. Er werde dafür sorgen, daß ihr nichts zustoße. Mit ihrer Mutter werde er sprechen und sie sicher zu überzeugen wissen.

Frances war Feuer und Flamme. Soviel Glück! Kaum faßbar! Ihre Phantasie beflügelte sich. Sie malte sich aus, wie sie in Paris, an der Seite des Herzogs, in einer offenen Kutsche durch die Straßen fahren würde. Durch die Stadt mit den eleganten Geschäften, den bestgekleideten Frauen der Welt, den berühmten Vergnügungs-Etablissements. Sie sah sich bereits am Hofe des Königs von Frankreich, bewundert und beneidet.

„Ich werde Maman fragen ...“ „Eben das werden Sie nicht!“ fuhr der Herzog dazwischen. „Der Plan bleibt unser Geheimnis. Sie werden mit niemandem darüber reden — auch nicht mit Ihrer Mutter. Das besorge ich zu gegebener Zeit.“ Und mit einem Lächeln setzte er hinzu: „Sie können doch verschwiegen sein!?“

„Ja, das kann ich!“

Lady Douglas eilte durch die weitläufigen Gänge des Schlosses zu ihren Gemächern. Die Soiree bei den Burtons war amüsant gewesen. Später als vorgesehen, war sie zurückgekehrt. Atemlos betrat sie das Schlafzimmer. Während sie noch Hut und Muff achtlos auf den Frisier-Sessel warf, hörte sie das Glockenzeichen der Königin. Lady Douglas schüttelte den Kopf. Was konnte Ihre Majestät zu so ungewöhnlicher Stunde noch von ihr wünschen? Sie eilte ins Boudoir der Königin, die völlig aufgelöst vor ihrem kleinen Sekretär saß.

„Wo bleiben Sie nur?! Man hat mich bestohlen! Man hat Papiere gestohlen!“ jammerte sie.

„Was denn für Papiere?“ Lady Douglas wußte nicht, worum es sich handelte.

„Es waren ein paar ganz wichtige Briefe, die Seine Majestät mir zur Aufbewahrung gegeben hatte. Und jetzt sind sie verschwunden!“ Die Königin war verzweifelt.

Lady Douglas bot alles auf, um ihre Herrin zu trösten und zu beruhigen. „Wenn nur Seine Majestät nichts davon erfährt!“ schluchzte die Königin. „Liebe Douglas, helfen Sie mit bitte, diese Briefe wiederzufinden!“ Die Tränen rannen. Die Hofdame war von dem flehentlichen Ton in der Stimme der Königin gerührt. Aber sie wußte keinen Rat. Wie sollte sie Briefe wiederfinden, deren Inhalt sie nicht kannte, von denen sie nicht ahnte, wer daran interessiert sein

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