Loe raamatut: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 7/III»
Impressum
© 1975/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-197-4
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
1.
Ben Brighton schrie sich die Kehle heiser. Er sah das kleine weiße Wölkchen am Bug der ersten spanischen Karavelle und wußte, daß die „Isabella“ es nicht mehr schaffen konnte, rechtzeitig herumzuschwenken, um den Feind mit der Steuerbordseite in Stücke zu blasen.
Die Eisenkugel aus dem Fünfpfünderbuggeschütz der spanischen Karavelle traf die Kante des Schanzkleides zwischen der zweiten und dritten Kanone. Holz splitterte. Ein armlanger Balken löste sich und hieb den Segelmacher Lewis Pattern von den Beinen.
Die Kugel war leicht abgelenkt worden. Sie riß einem von Norris’ Soldaten die rechte Schulter mitsamt dem Arm weg. Blut färbte die Jacke seiner entsetzten Kameraden rot.
„Hinlegen!“ brüllte Captain „Black“ John Norris.
Die Soldaten warfen sich auf die Decksplanken. Das Schreien des tödlich Verwundeten erstarb. Einer der Soldaten übergab sich.
Endlich hatten Jim Maloney und Carter es geschafft, das Großmarssegel zu setzen. Der Nordwind fing sich in dem Segeltuch und drückte die am Heckanker liegende „Isabella“ gegen das ablaufende Wasser quer zur Fahrrinne.
„Feuer!“ schrie Ben Brighton.
Ferris Tucker und Al Conroy hielten ihre Lunten in die Zündlöcher. Donnernd entluden sich die beiden ersten Geschütze. Die hölzernen Räder der Lafetten rumpelten über die Decksplanken, bis die Kanonen von den starken Brooktauen abgefangen wurden. Pulverqualm breitete sich in der Kuhl aus. Die Soldaten begannen zu husten und rieben sich die tränenden Augen.
Die Männer an den Geschützen schienen den Qualm nicht zu spüren. Smoky und Pete Ballie sprangen zur Seite, damit Ferris Tucker auch die nächsten Kanonen abfeuern konnte.
Sie hörten den Schrei von Ben Brighton. Ferris Tuckers Kopf ruckte herum. Er sah den Triumph in den Augen Bens. Er lief auf das Quarterdeck zu, weil es ihm zu lange dauerte, bis der Wind den Pulverdampf davongeweht hatte.
Ferris Tucker starrte zu den spanischen Karavellen hinüber. Der kleine Besanmast auf der Poop der ersten Karavelle war nach Lee über Bord gegangen. Die lange Rahe mit dem Lateinersegel schwamm auf der Wasseroberfläche und wirkte wie ein Treibanker.
Ferris kniff die Augen zusammen. Tatsächlich! Sie hatten dem Spanier außerdem zwei mächtige Löcher ins Achterschiff in Höhe der Wasserlinie geschlagen!
Auf der Poop der Karavelle wimmelte es plötzlich von Spaniern. Sie hieben wie die Irren auf die Wanten und Spieren ein, die ihrem Schiff die Bewegungsfreiheit raubten.
Ferris warf einen kurzen Blick zu Al Conroy hinüber, dessen Gesicht vom Pulverdampf geschwärzt war. Er nickte, als er Conroys fragenden Blick sah.
Sekunden später donnerten die letzten beiden Steuerbordkanonen der „Isabella“ auf. Diesmal konnte Ferris Tucker den Flug der Kugeln verfolgen. Al Conroy hatte eine flache Flugbahn gewählt. Das Ziel lag jetzt breit vor ihnen. Es war auf dreihundert Yards praktisch nicht zu verfehlen.
Beide Kugeln rasierten über das Vorderdeck. Eine von ihnen krachte gegen das Buggeschütz. Die Brooktaue brachen. Ferris konnte beobachten, wie die schwere Kanone alles aus dem Weg feuerte, was ihr im Weg stand. Drei Männer wurden mitgerissen und an der Bordwand zerquetscht. Der Wind trug ihre Todesschreie davon, als die Kanone die Bordwand durchbrach und ins Meer klatschte.
Die andere Kugel hatte den Großmast getroffen. Er wankte heftig, doch noch wurde er von den Wanten gehalten. Die mächtige Rah mit dem Dreieckssegel löste sich plötzlich vom Mast und blieb schlackernd und schlagend waagerecht stehen.
Die ersten Spanier sprangen einfach über Bord. Andere ließen die beiden Boote zu Wasser. Ferris hörte förmlich das Gurgeln, mit dem das Wasser der Dungarvanbai in das Achterschiff der Karavelle strömte. Sie lag schon ziemlich tief, und plötzlich neigte sie sich nach Lee.
Der Wind trieb abgerissene Schreie zur „Isabella“ herüber. Mit einem kurzen Blick vergewisserte sich Ferris Tucker, ob die Männer dabei waren, die Kanonen wieder zu laden. Der Kutscher, Pete Ballie, Smoky und Lewis Pattern hatten zwei der Geschütze schon wieder feuerbereit. Lewis Pattern, der Segelmacher, hatte noch etwas glasige Augen, aber er verrichtete seine Arbeit automatisch. Ab und zu strich seine fleischige Hand über den runden Bauch und über die Brust, wo ihn der Balken getroffen hatte, der von der Kugel des Spaniers aus dem Schanzkleid gebrochen worden war.
Ferris Tucker hörte die Stimme Ben Brightons über sich.
„Gut gemacht, Ferris“, sagte Ben zufrieden. „So werden wir einen nach dem anderen in die Hölle blasen, wenn sie es wagen sollten, an unseren Kanonen vorbeizusegeln.“
Ben wußte so gut wie Ferris Tucker, daß die Spanier nicht den Hauch einer Chance hatten, unversehrt aus der Dungarvanbai auszulaufen. Die Einfahrt in die Bai war längst nicht so breit, wie sie aussah. An der nördlichen Seite, an der die „Isabella“ Anker geworfen hatte, ragten bei Ebbe scharfkantige Klippen über die Wasseroberfläche. Jetzt waren sie noch fast ein Yard unter Wasser, aber an den Schaumkronen, die sich dort auf der Wasseroberfläche bildeten, war zu erkennen, daß es selbst für die Karavellen mit ihrem geringen Tiefgang unmöglich war, dort den Zugang zum offenen Meer zu suchen.
An der südlichen Seite lag dicht unter dem Wasser eine gefährliche Sandbank, die mit ihrem saugenden und treibenden Grund ein Schiff nicht mehr losließ, wenn es erst einmal aufgelaufen war.
Die Fahrrinne hatte höchstens eine Breite von hundert Yards, und die wurde von den Kanonen der drei englischen Galeonen abgedeckt. Noch hatten die „Santa Cruz“ von John Thomas und die „Marygold“ Francis Drakes nicht einzugreifen brauchen. Sie hatten wie die „Isabella“ an Bug- und Heckanker in der Strömung des auslaufenden Wassers in der Einfahrt der Dungarvanbai gelegen und auf die spanischen Karavellen gewartet, die ihre Waffen für die irischen Aufständischen geleichtert hatten.
Jetzt hatten die beiden Galeonen ihre Buganker ebenfalls aufgeholt und schwenkten, vom Nordwind getrieben, mit ihren Steuerbordbreitseiten zu den Karavellen herum.
„Alle Geschütze feuerbereit!“ rief Al Conroy zum Quarterdeck hinauf.
Ben Brighton schaute zur havarierten Karavelle hinüber. Noch zögerte er, den Feuerbefehl zu geben, denn er wartete, daß sich die zweite Karavelle an dem manövrierunfähigen Schiff vorbeischob.
Doch der Spanier schien es mit der Angst gekriegt zu haben. Er versuchte anzuluven, gab das Manöver aber wieder auf und fiel statt dessen ab.
Die Spanier waren viel zu langsam.
Ben Brighton konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er sah, wie der Bug der zweiten Karavelle auf das quer in der Fahrrinne treibende Schiff zusteuerte und sich mit einem fürchterlichen Bersten und Krachen mittschiffs in die erste Karavelle bohrte.
Die Männer auf der „Isabella“ brüllten vor Begeisterung.
„Der Captain scheint noch vor kurzem auf einer Galeere Dienst getan zu haben!“ rief Ferris Tucker zum Quarterdeck hinauf. „Das war ein blitzsauberer Rammstoß!“
Der Großmast des havarierten Schiffes knickte ab wie ein dürrer Zweig. Er krachte auf das Vorschiff der zweiten Karavelle und zerschmetterte den kleinen Fockmast, der Fock- und Focktoppsegel trug. Taue, Wanten, Fallen und Schoten samt den Spieren beider Masten bildeten ein undurchdringliches Knäuel. Ineinander verbissen wie zwei Bulldoggen trieben die Karavellen weiter – direkt auf die Sandbank am südlichen Ufer der Dungarvanbai zu.
Plötzlich hatte Ben Brighton den Blick frei auf die folgenden Karavellen, die in Kiellinie versucht hatten, das freie Meer zu erreichen. Er wollte gerade den Befehl zum Feuern geben, als die vorderste der letzten drei Karavellen eine wilde Halse fuhr und – gefolgt von den beiden anderen – zurück in die Bai lief.
Ben war nicht sicher, ob sie auf diese Entfernung einen sicheren Schuß würden anbringen können, und so verzichtete er darauf, Kugeln und Pulver zu vergeuden.
Immer schneller trieben die ineinander verzahnten Karavellen auf die Sandbank zu. Das Großsegel der ersten bedeckte das Durcheinander auf dem Vorschiff der zweiten Karavelle. Die Schreie verwundeter Spanier waren jetzt deutlich zu hören. Der Captain auf dem Achterschiff des zweiten Schiffes brüllte einen Befehl nach dem anderen. Seine Hand wies hinüber zur „Santa Cruz“, deren Kanonenschlünde nur darauf zu warten schienen, bis die Karavellen ihnen vor die Mündungen liefen.
Panik brach unter den Spaniern aus. Alles, was noch zwei gesunde Beine hatte, warf sich einfach über Bord. Einige schafften es nicht mehr.
Die Luft erzitterte, als die Culverinen und Demi-Culverinen der „Santa Cruz“ ihre tödlichen Grüße zu den havarierten Karavellen hinüber schickte. Nur die Hälfte des Eisens traf ins Ziel, doch die Wirkung war auch so ungeheuer. Wie von einer riesigen Faust waren plötzlich sämtliche noch stehenden Masten wegrasiert. Die Spieren und heruntersausenden Blöcke erschlugen die Seeleute, die es nicht mehr geschafft hatten, von Bord zu springen. Andere wurden von dem Musketenfeuer, das von der „Santa Cruz“ und der „Marygold“ über die Decks der Karavellen peitschte, umgerissen.
Mit einem Ruck kamen die ineinander verzahnten Schiffsrümpfe zum Stillstand. Sie waren auf die Sandbank aufgelaufen. Der Bug der zweiten Karavelle schob sich mit ungeheurer Gewalt weiter in den Rumpf der ersten. Holz knirschte und barst. Der voll Wasser gelaufene Rumpf der ersten Karavelle kenterte und brach in zwei Teile.
Im aufgewirbelten Wasser schwammen angsterfüllte Männer auf das Ufer zu. Ein Boot mit ein paar besonnenen Spaniern wurde zur zweiten Karavelle gepullt. Dort nahm es Verwundete auf und brachte sie ans Ufer.
Die Spanier gaben die beiden Wracks auf. Sie wußten, daß sich die Schiffsrümpfe mit dem ablaufenden Wasser tief in den Sand wühlen würden. Das Boot, in dem die Verwundeten transportiert worden waren, wurde noch einmal zur zweiten Karavelle zurückgepullt. Allem Anschein nach wollten die Spanier Waffen, Munition und Proviant bergen.
Ben Brighton blickte zur „Santa Cruz“ hinüber. Die Kanonen, die auf die beiden Wracks zeigten, waren sicher schon wieder geladen. Aber Kapitän Thomas feuerte nicht mehr. Auch die Soldaten auf der „Santa Cruz“ und der „Marygold“ hatten ihr Musketenfeuer eingestellt.
Ben Brighton tauchte in der Kuhl auf. Die Soldaten hatten sich um „Black“ John Norris geschart. Sie waren alle noch ziemlich blaß um die Nasen. Der Tod ihres Kameraden hatte sie ziemlich mitgenommen.
Mit knappen Befehlen setzte Norris seine Leute in Trab. Zwei von ihnen ließen sich von Lewis Pattern ein Stück Segeltuch geben, in das sie den Toten einwickelten.
„Ich wollte, es hätte diesen Hundesohn Burton erwischt“, murmelte Norris.
„Vielleicht ist Ihr Wunsch schon in Erfüllung gegangen“, erwiderte Ben Brighton leise. Er dachte an den Kanonendonner, der am Morgen vom untersten Zipfel der Bai zu ihnen herübergeschallt war. Wahrscheinlich hatten die Geschütze der spanischen Karavellen den Kampf eröffnet, als Burton mit seinen Leuten am Landeplatz erschienen war und angegriffen hatte.
Kurz darauf hatten sie die gewaltige Detonation in den Hügeln südlich von Dungarvan vernommen. Vermutlich war das der Seewolf gewesen. Ben hoffte, daß ihm sein Vorhaben, die Waffen und die Munition der Iren in die Luft zu sprengen, gelungen war.
Gegen Mitternacht waren Drake und Thomas mit ihren beiden Galeonen in die Bai eingelaufen.
Francis Drake und auch „Black“ John Norris hatten getobt, als Ben ihnen Burtons Alleingang berichtete. Hasards Entschluß, zu retten, was zu retten war und das Versteck der Iren zu finden und zu zerstören, fand ihre volle Zustimmung.
Noch vor dem Morgengrauen waren die drei Galeonen gefechtsklar gewesen und hatten die Einfahrt zur Bai blockiert. Sie hatten sich hintereinander gestaffelt in die Fahrrinne gelegt, und zwar mit dem Bug zur See, so daß die spanischen Karavellen – wenn überhaupt – nur hintereinander durchbrechen konnten.
Kurz bevor die Karavellen im Westen der Bai aufgetaucht waren, hatte Ben Brighton die Schüsse am südlichen Ufer gehört. Jim Maloney hatte vom Großmars aus erkennen können, daß ein paar Männer – vermutlich Hasard und die anderen von der „Isabella“ – in ein Scharmützel mit angreifenden Iren verwickelt waren. Ben hoffte, daß Hasard und die sieben Seeleute von der „Isabella“ den Kampf lebend überstanden hatten.
„Wenn ich diesen Burton zu fassen kriege, drehe ich ihm eigenhändig den Hals um!“ Captain Norris’ Wut war immer noch nicht verraucht. Mit zusammengepreßten Lippen beobachtete er die Seeleute, die das Deck der „Isabella“ vom Blut des gefallenen Soldaten säuberten, nachdem sie die Kanonen wieder feuerbereit gemacht hatten.
Ben Brighton war bereit, „Black“ John Norris bei diesem Unternehmen tatkräftig zur Seite zu stehen. Wenn er daran dachte, daß die Sturheit Burtons Hasard, Dan O’Flynn, Blacky, Batuti und die anderen in Lebensgefahr gebracht hatte, quoll ihm die Galle über. Sie hätten diesen Kerl schon in Plymouth über Bord werfen sollen, wie Batuti es vorgeschlagen hatte. Dann wäre ihnen allerhand Ärger erspart geblieben.
Die Soldaten hatten ihren Kameraden in die Leinwand eingewickelt. Mit ein paar Stichen hatte Lewis Pattern das Segeltuch zusammengenäht. Sicher würden sie bald Gelegenheit finden, den Toten irgendwo an Land zu begraben.
Ben Brighton ging mit Captain Norris aufs Quarterdeck. Der Captain war während der Nacht mit fünfundzwanzig Männern von der „Marygold“ und der „Santa Cruz“ auf die „Isabella“ übergewechselt, da Hasards Galeone durch den Landeinsatz von sieben Leuten der Besatzung sowieso schon genug geschwächt war.
Während Norris die Spanier beobachtete, die ihr Boot mit allen möglichen Sachen beluden, die sie aus dem Rumpf der zweiten Karavelle holten, glitt Ben Brightons Blick hinüber zur Südküste der Bai. Er wußte, daß so leicht niemand in der Lage war, den Seewolf im Kampf zu besiegen, aber er wäre bedeutend ruhiger gewesen, wenn er Hasard und die anderen erst wieder an Bord hatte.
2.
Philip Hasard Killigrew preßte die Lippen aufeinander. Der letzte Geschützdonner war verrollt, und die beiden ineinander verkeilten Rümpfe der zerschossenen Karavellen waren auf die Sandbank aufgelaufen.
Wenn Hasard sich zu diesem Zeitpunkt auf der „Isabella“ befunden hätte, wäre er jetzt genauso zufrieden gewesen, wie es Ben Brighton sicher war.
Für Hasard hatte sich die Lage indessen sehr zu seinen Ungunsten entwickelt. Eins war klar: Francis Drake konnte keine Rücksicht darauf nehmen, daß sich noch einige Männer der „Isabella“ an Land befanden. Er mußte seinen Auftrag, die Karavellen in der Dungarvanbai einzuschließen, ausführen – ganz gleich, ob ein paar Männer dabei ihr Leben ließen.
Hasards Blicke glitten zwischen der Sandbank, auf der die zerschossenen Karavellen festsaßen, und den restlichen drei spanischen Schiffen hin und her. Die drei Karavellen, die rechtzeitig gehalst hatten, um den tödlichen Kugeln der englischen Galeonen zu entgehen, kämpften sich mit halbem Wind gegen das ablaufende Wasser westwärts zurück in die Bai. Sie standen jetzt auf gleicher Höhe mit Hasard, und obwohl sie das Boot, das in einer Sandkuhle lag, nicht sehen konnten, hatte Hasard kein gutes Gefühl.
Er blickte wieder zur Sandbank hinüber.
Die Spanier hatten eine Menge Männer verloren, aber die, die sich an Land hatten retten können, genügten vollauf, um Hasard und seine sieben Männer in die Hölle zu jagen.
„Warum schießen sie die Kerle nicht zusammen?“ fragte Matt Davies wütend. „Die holen sich in aller Ruhe ihre Waffen von Bord, mit denen sie uns nachher massakrieren werden!“ Er spuckte in den Sand und hieb mit dem blitzenden Haken, der mit einer Ledermanschette am Stumpf seines rechten Unterarms befestigt war, durch die Luft.
„Vielleicht wissen sie nicht, daß wir noch hier hocken“, sagte Hasard ruhig. Sie durften nicht die Nerven verlieren. Irgendeine Möglichkeit mußte es geben, den Spaniern zu entgehen und zurück auf die „Isabella“ zu gelangen.
„Wenn die beiden Lecks im Boot dicht sind, segeln wir zur ‚Isabella‘ rüber“, sagte Dan O’Flynn. „Die Spanier haben die Hosen gestrichen voll. Die sind froh, wenn wir sie nicht angreifen.“
Die Männer begannen zu grinsen. Hasard war dem Bürschchen dankbar. Mit seiner großkotzigen Bemerkung hatte er die Männer beruhigt. Im Grunde hatte das Bürschchen ja auch recht. Wie oft waren sie in der letzten Zeit in brenzlige Situationen geraten! Und sie hatten noch jedesmal einen Ausweg gefunden.
Hasard sah, wie die ersten Spanier von den zusammengeschossenen Karavellen das Ufer erreichten und sich zusammenrotteten. Sie warteten auf das Boot, das zum zweitenmal von den Karavellen zurück zum Ufer gepullt wurde. Hasard konnte erkennen, wie die Spanier Waffen und Pulverfässer ausluden, und ein leichter Schauer kroch ihm über den Rücken, als er daran dachte, daß die Spanier diese Pulverfässer zu ihnen herüberschleudern konnten.
Die winzige Bucht, in der sie hockten, war von Felsen und Geröll umgeben. Die Stellung war gut, um ein paar mit Musketen und blanken Waffen angreifende Männer abzuwehren – gegen Pulverladungen waren sie hier nicht geschützt. Im Gegenteil. In der engen Bucht würde es sie alle erwischen. Und wenn es ihnen gelang, mit dem lecken Boot zu entfliehen, würden die Kanonen der spanischen Karavellen sie in Fetzen schießen.
Hasard sah, wie Gary Andrews, der hinter einem Felsen hockte und die Küste westwärts ihres Standpunktes beobachtete, zusammenzuckte. Bevor Andrews seinen Warnschrei ausstoßen konnte, wußte Hasard, was die Stunde geschlagen hatte.
Zuviel war an diesem Tag in der Dungarvanbai geschehen. Die Iren, die an dieser Ecke der grünen Insel schon immer rebellisch gewesen waren, fühlten sich bis aufs Blut gereizt.
Nachdem am Morgen ihr Waffenlager in die Luft gesprengt worden war, kochten sie vor Wut. Die Arbeit von drei Jahren war damit zum Teufel. Jetzt konnten sie wieder von vorn anfangen.
Außerdem hatten sie im Morgengrauen Blut geleckt, als es ihnen gelungen war, Burtons Truppe zu massakrieren.
„Wie viele sind es?“ fragte Hasard und packte seine Muskete fester.
„Mindestens zwei Dutzend“, sagte Gary Andrews schrill. „Sie rennen genau auf unsere Bucht zu. Sie müssen wissen, daß wir hier stecken.“
„Dreh nicht durch, Gary“, sagte Hasard. „Nimm deine Muskete und warte, bis ich den Befehl zum Schießen gebe. Und ziel ruhig, verstanden? Jeder Schuß muß sitzen!“
Alle nickten, obwohl Hasard nur Gary Andrews angesprochen hatte.
Hasard blickte auf die beiden gefesselten Männer, die unterhalb eines vorhängenden Felsens lagen. Einen Moment dachte er daran, Burton und seinen Profos loszubinden, damit sie an ihrer Seite gegen die Iren kämpfen konnten. Er schüttelte den Kopf. Das Risiko, daß Burton ihm in den Rücken schießen würde, war zu groß. Der Haß in den Augen des Gefesselten sagte Hasard genug.
Sie hörten schon das Gebrüll der heranlaufenden Iren.
Hasard warf noch schnell einen Blick zur Sandbank hinüber. Die Spanier von den zerstörten Karavellen hatten sich bereits auf den Weg gemacht, um über Land zu den anderen Karavellen zu gelangen.
Die drei restlichen Karavellen hatten beigedreht. Ein paar Männer auf den Achterdecks starrten herüber. Auf einer Karavelle wurde ein Boot zu Wasser gelassen.
Hasard fluchte leise. Das hatte ihnen noch gefehlt! Jetzt wurden sie von drei Seiten angegriffen. Und jede dieser Gruppen war ihnen überlegen!
Er fand keine Zeit mehr, sich einen Schlachtplan zu überlegen. Wie die Brandung von auflaufendem Wasser fielen die Iren über ihre Bucht her.
Hasard wartete, bis er das Weiße in den Augen der ersten Iren sehen konnte. Dann schrie er seinen Befehl zum Feuern hinaus.
Acht Musketen krachten auf einmal. Pulverdampf stieg auf und nahm den Männern der „Isabella“ für einen Moment die Sicht. Nur am Schreien der Verwundeten hörten sie, daß die meisten Kugeln getroffen hatten.
Sie bückten sich und rissen die anderen Musketen vom Boden hoch. Die Iren hatten den Schrecken über das erste, höllisch genau gezielte Feuer noch nicht überwunden, als die zweite Salve wieder sieben Männer von den Beinen riß.
Diesmal sah Hasard die Iren zusammenbrechen.
Ich möchte doch wissen, wer vorbeigeschossen hat, dachte er grimmig. Ein Grinsen verzog sein Gesicht, als der achte Mann in die Knie ging und langsam mit dem Gesicht in den hellen Sand fiel.
Die Verwirrung unter den Iren war vollkommen. Im Morgengrauen hatten sie einem Trupp Engländer das Fürchten beigebracht und anschließend einen nach dem anderen getötet, ohne selbst nennenswerte Verluste hinnehmen zu müssen. Jetzt lagen sechzehn von ihnen tot oder verwundet am Boden, ohne daß sie einen ihrer Gegner zu Gesicht gekriegt hatten.
Hasard erkannte seine Chance. Die Spanier waren noch weit entfernt. Das Boot hatte gerade erst abgelegt.
„Los, Männer!“ brüllte er aus Leibeskräften. „Zeigt es den rothaarigen Affen, wie ein Engländer kämpfen kann! Jagt sie in ihre Höhlen zurück!“
Stenmark, Batuti und Matt Davies schienen auf diesen Befehl nur gewartet zu haben. Sie sprangen hinter der Felsbarriere auf und hechteten mit einem Satz darüber. Hasard, Dan O’Flynn und Blacky waren nur einen halben Schritt hinter ihnen. Gary Andrews hatte seine Muskete am Lauf gepackt und schwenkte sie wild über dem Kopf. Seine Augen waren weit aufgerissen. Ein heiliger Zorn schien ihn gepackt zu haben. Er schwang sich von dem Felsen, hinter dem er gehockt hatte und griff die entsetzten Iren von der Seite an. Hinter sich hörte er Tom Smith keuchen, der mit weit vorgestrecktem Entermesser auf die Iren losstürmte.
Diese Crew war aus anderem Holz geschnitzt als die Engländer, die im Morgengrauen wie die Schafe zur Schlachtbank marschiert waren. Die Iren registrierten es in ihrer dumpfen Benommenheit. Aber Iren waren keine Feiglinge, und statt Fersengeld zu geben, wie es für sie am besten gewesen wäre, stellten sie sich dem fürchterlichen Feind entgegen und kämpften mit dem Mut der Verzweiflung.
Sie hatten den Ruf des jungen schwarzen Hünen vernommen, daß sie den Iren zeigen wollten, wie ein Engländer kämpft. Engländer? Dieses schwarze Ungeheuer mit den bleckenden Zähnen, das gutturale Schreie ausstieß, und dieser blonde Riese, der etwas brüllte, das sich wie „Heja“ anhörte, sollten Engländer sein?
Teufel waren das, die der finstersten Tiefe der Hölle entsprungen waren!
Die Iren warfen sich diesen Teufeln entgegen. Noch waren sie in der Übermacht. Sie wichen dem schwarzen Ungeheuer aus und warfen sich zu dritt auf Hasard, der einem von ihnen die Glocke seines Degens ins Gesicht stieß. Der Mann schrie auf. Aus einer klaffenden Wunde lief das Blut und verlieh seinem verzerrten Gesicht den Ausdruck eines Wahnsinnigen.
Hasard konnte den Messerstichen des zweiten Iren nur durch eine blitzschnelle Körperdrehung entgehen. Der Mann stolperte an ihm vorbei und lief genau in die vorgereckte Enterpike Dan O’Flynns. Der Ire krümmte sich zusammen. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei. Er brachte nur ein Gurgeln heraus, und als Dan die Waffe aus seinem Körper riß, fiel er zur Seite. In seinen Augen war schon kein Leben mehr.
Den dritten Iren schleuderte Hasard mit einem Fußtritt beiseite.
Neben sich hörte er einen wilden Schrei. Er drehte sich um. Trotz der bedrohlichen Situation konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Batutis Gesicht war vor Enttäuschung verzerrt. Die verdammten Iren, gegen die er kämpfen wollte, wichen ihm aus! Jetzt rannte er hinter zwei Kerlen her, die ihre Waffen weggeworfen hatten und ihr Heil in der Flucht suchten.
Plötzlich stand Gary Andrews vor ihnen. Die schwere Muskete sauste durch die Luft und mähte den einen Iren um. Der rothaarige Mann vollführte einen Salto, klatschte mit dem Bauch in den Sand und streckte alle viere von sich.
Gary wollte schon ausholen, um dem nächsten den Schaft der Muskete ebenfalls um die Ohren zu schlagen, doch da brüllte Batuti ihn wütend an: „Nix hauen! Das sein mein Mann! Du suchen dir selber einen!“
Mit offenem Mund stand Gary Andrews da und beobachtete, wie Batuti sich den zweiten Iren schnappte und ihn durch die Mangel drehte, bis er besinnungslos neben dem anderen lag.
Batuti rieb sich zufrieden die Hände. Seine Augen glänzten, als er sich umdrehte und auf das Getümmel blickte, das immer noch vor der kleinen Bucht tobte.
Stenmark hielt zwei Iren, die nicht viel kleiner waren als er selbst, am Genick und knallte ihre Köpfe zusammen. Mit einem Seufzer legten sich die beiden Männer schlafen.
„Vorsicht, Stenmark!“ die helle Stimme Dan O’Flynns kippte über.
Der blonde Schwede zuckte zusammen und wirbelte herum. Pfeifend zerteilte ein Säbel dicht neben seiner Schulter die Luft. Stenmark packte zu. Er kriegte den Säbelarm zu fassen und drehte ihn herum. Der Ire heulte auf. Er wollte mit der anderen Faust zuschlagen, doch Stenmark stieß ihm den Ellenbogen zwischen die Zähne. Der Säbel fiel in den Sand.
Der Schwede ließ den heulenden Iren los und bückte sich nach dem Säbel. Doch wenn er geglaubt hatte, der Ire würde sich jetzt zur Flucht wenden, hatte er sich getäuscht. Wie ein Berserker griff der gedrungene Mann an. Sein Gesicht war rot, vor Wut verzerrt. Seine Faust öffnete sich. Stenmark sah einen Schleier auf sich zufliegen, und zu spät erkannte er, daß der Ire ihm Sand entgegenschleuderte. Er wollte die Augen zukneifen, doch er schaffte es nicht mehr.
Wie Feuer begannen seine Augen zu brennen. Er sah nichts mehr. Instinktiv stieß er den Säbel vor, aber er traf nur Luft. Er hörte ein Keuchen und dann einen fürchterlichen Schrei. Wie ein Wilder hieb er weiter mit dem Säbel um sich. Nur langsam begann sich der Schleier vor seinen Augen auszulösen.
„Willst du mir unbedingt die Rübe absäbeln?“ schrie Dan O’Flynn. „Halt endlich das Brotmesser still, verdammt noch mal, damit ich mir meine Pike wiederholen kann!“
Stenmark erstarrte. Er wischte sich mit der linken Hand über die Augen. Verschwommen sah er den Iren vor sich im Sand liegen. In seiner Brust steckte die abgekürzte Pike Dan O’Flynns. Das Bürschchen mußte seine fürchterliche Waffe dem Iren entgegengeschleudert haben. Der eiserne Haken hatte sich tief in den Brustkorb des Mannes gebohrt. Blut sickerte in den Sand und färbte ihn dunkel.
Als Dan bemerkte, daß Stenmark wieder sehen konnte, ging er außerhalb der Reichweite des Säbels um den Schweden herum und holte sich seine Pike zurück. Dann blickte er sich nach dem nächsten Gegner um. Batuti hatte sich den letzten Iren geschnappt und schleuderte ihn gegen einen Felsen. Leblos sank der Mann zu Boden.
Matt Davies und Blacky hielten die Iren, die inzwischen wieder zur Besinnung gekommen waren, in Schach. Der blitzende Haken an Matts rechtem Arm schien die rothaarigen Kerle besonders zu beeindrucken. Obwohl ihnen die Wut über die Niederlage in den Gesichtern geschrieben stand, wagten sie nicht, sich zu rühren.
„Jagt die Kerle davon“, sagte Hasard gepreßt. „Sie sollen ihre Verwundeten mitnehmen.“ Er drehte sich um und schwang sich wieder über die Felsbarriere, hinter der immer noch Burton und sein Profos gefesselt lagen.
Isaac Henry Burton zitterte vor Wut. Über sein feistes Gesicht mit den fleischigen Wangen und dem gespaltenen Kinn rann der Schweiß in Strömen. Wahrscheinlich hatte er die ganze Zeit über versucht, seine Fesseln zu lösen. Die blaßblauen Augen funkelten mordlustig, als Hasard auf ihn zutrat, ihn kurz herumwälzte und die Fesseln prüfte, die sich nicht um einen Deut gelockert hatten.
Hasard ging zur Felsbarriere zurück, nachdem er einen kurzen Blick auf die Bai geworfen hatte. Das Boot mit den Spaniern hatte die Hälfte der Strecke bereits geschafft. Die drei Karavellen waren vor Anker gegangen. Sie befanden sich außerhalb der Geschütze der englischen Galeonen.
„Gary, Tom und Blacky bleiben draußen und beobachten die Iren“, sagte Hasard. „Ich kenne die sturen Hunde. Die geben noch nicht auf. Wenn sie merken, daß wir von den Spaniern angegriffen werden, kehren sie auf der Stelle um und fallen wieder über uns her. Nehmt euch jeder so viele Musketen und Pistolen, wie ihr tragen könnt, und sucht euch eine gute Deckung. Schießt das nächste Mal früher, damit sie nicht erst an unsere Bucht herankommen.“
Die drei Männer nickten, während die anderen zurück über die Felsbarriere kletterten und ihnen die Musketen hinüberreichten. Kugeln und Pulver standen ihnen in ausreichender Menge zur Verfügung. Sie hatten sich aus dem Lager in den Drum Hills zur Genüge eingedeckt.
„Binden Sie mich los, Killigrew!“ kreischte Isaac Henry Burton plötzlich los. „Sie werden noch bereuen, was Sie getan haben. Ich bin ein Offizier Ihrer Majestät! Sie werden für Ihr Verbrechen am Galgen …“
Er verstummte. Seine Augen quollen hervor, und er wagte kaum noch zu schlucken, denn dann hätte der spitzgefeilte Haken an der Hand von Matt Davies die Haut an seinem Hals geritzt.
„Halt endlich deine große Schnauze, du widerliche Ratte“, sagte Matt böse, „sonst legen wir dich und deinen Profos um und behaupten, die Iren hätten es getan.“
Burton wurde zuerst bleich, dann traten rote Flecken auf seine schwammigen Wangen.
„Die Idee ist gar nicht mal so schlecht, Matt“, sagte Dan O’Flynn. „Ich hätte nicht gedacht, daß dir so etwas einfallen würde …“
Hasard hörte nicht mehr auf das Gespräch der Männer. Er schob seinen Kopf über den Felsen, der sie gegen die Bai abdeckte. Die Spanier waren schon ziemlich nah. In dem Boot saßen sechzehn Männer. Zehn davon waren Soldaten. Sie trugen Helme und Brustpanzer. Jeder von ihnen hatte eine Muskete bei sich, an ihren Hüften hingen Degen, mit denen sie verdammt gut umgehen konnten.
Hasard wußte, daß diese Spanier allein keine besonders große Gefahr für ihn und seine Männer darstellten. Sie befanden sich hier in sicherer Deckung hinter Felsen und Sandwällen, während die Spanier in dem Boot wie auf einem Präsentierteller saßen. Die Musketenkugeln würden sogar die Bootswand durchschlagen.
Tasuta katkend on lõppenud.