Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 2

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Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 2
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre …..

Band 2

Neue Urlaubsabenteuer in Österreich

oder:

Auch diesmal wird kein Fettnäpfchen ausgelassen!

Copyright: © 2017 Jörn Kolder

published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

Urlaubsvorbereitungen oder Sport ist Mord

Abstimmungen

Der Van

Autokauf

Familienrat

Erster Anreisetag

Zweiter Reisetag

Die Bergbahn

Die Reittour

Sportgelegenheiten

Rafting

Die Modelleisenbahnanlage

Bilderstürmer

Die Bluse

Das Kaffeehaus

Der Staudamm

Afrikanischer Abend

Bogenschießen

Paragliding

Eine wissenschaftliche Prognose

Der 12. Tag

Werbekampagne für Frieder Bergmann

Stadtbummel

Die Kletterwand

Der große Tag

Besuch beim Autohändler

Ruhetag und Schachabend

Waldlauf

Letzter Urlaubstag

Urlaubsvorbereitungen oder Sport ist Mord

Frieder Bergmann hatte vehement darauf bestanden, sich diesmal an einen nach seinen Worten „abenteuerlicheren“ Urlaub heranzuwagen. Was er darunter verstand konnte er so genau selbst nicht erklären, jedenfalls schien es für ihn wichtig zu sein, sich mehr in bergische Gefilde zu begeben und offensichtlich wollte er auch mehr erleben als im vorigen Urlaub. Seit er vor einem halben Jahr überraschend Referatsleiter geworden war, saß er noch mehr als früher in Beratungen. Sein Bewegungsraum reichte vom Büro bis zur Raucherinsel und mittags bis zur Kantine. Dort wurde ganz hervorragend gekocht, und Bergmann stellte selber fest, dass er immer mehr aus dem Leim ging. Da er ständig teure Anzüge trug kaschierten diese seine über den Gürtel hängende Wampe gnädigerweise etwas. Dennoch war er mit seinem Aussehen und seiner miesen Kondition nicht zufrieden. Wenn er sich zu Hause, nur mit der Unterhose bekleidet, im bodentiefen Spiegel im Profil betrachtete, war über diesen Anblick nicht erbaut. Nicht nur seine unvorteilhafte Figur bedrückte ihn, sondern auch seine Kurzatmigkeit. Fest entschlossen, diese visuellen und körperlichen Schwachstellen zu beseitigen, betrat Bergmann eines Tages nach Feierabend ein Sportgeschäft. Er ließ sich eingehend beraten und verließ den Laden dann mit in einer Tüte befindlichen sehr angesagten Laufschuhen, einer gut aussehenden Trainingshose, und einer edlen Sportjacke. Er hatte dafür knapp 300 Euro hinlegen müssen, aber das war ihm seine Gesundheit locker wert. Sein Plan war, am Donnerstagabend den ersten Auslauf zu starten. So könnte er am Freitag einen eventuell vorhandenen Muskelkater auskurieren, und am Wochenende wieder Kondition auftanken. Bis zum Stadtpark waren es zu Fuß von seiner Wohnung aus keine 10 Minuten. Gut gelaunt und bester Dinge erreichte Frieder Bergmann das Gelände. Der Park war von schmalen Kanälen eingerahmt, und auf dem Areal gab es eine Vielzahl von mit feinkörnigem Schotter bestreuten Wegen. Bergmann wollte heute nur seine Möglichkeiten vorsichtig austesten und es nicht übertreiben. So begann er mit einem leichten Trab, den er nach 400 Metern wegen Atemnot erst einmal unterbrechen musste. Nach einer kurzen Pause setzte er sich wieder in Bewegung, und als der Weg eine Kurve machte, sah sich Bergmann plötzlich einem sich langsam nähernden großen Hund gegenüber. Ein Besitzer des Tieres war nicht sichtbar. Bergmann hatte Angst vor Hunden und machte auf dem Absatz kehrt. Diesmal war er deutlich schneller, den er hörte in seinem Rücken, dass der Hund seine Verfolgung aufgenommen hatte. Es dauerte nur kurze Zeit, dann hatte ihn das Vieh eingeholt und lief Drohgeräusche ausstoßend vorerst neben ihm her. Bergmann lief ein Angstschauer den Rücken herunter und er setzte darauf, möglichst schnell zum Ausgang des Parks zu gelangen. In seiner Panik bog er falsch ab, und bewegte sich wieder tiefer in den Park hinein. Mittlerweile hatte der Hund begonnen, nach Bergmanns Beinen zu schnappen. Im Laufen konnte er die Attacken der Töle nicht abwehren, also nahm er das Tempo raus, und sah sich angestrengt nach einem Gegenstand um, mit dem er das aufdringliche Vieh auf Distanz halten könnte. Ein am Weg liegender Knüppel erschien ihm geeignet. Er griff sich das Holzstück und blieb stehen. In 2 Meter Abstand umkreiste ihn der Hund mit geifernden Lefzen. Dazu kam ein grollendes Knurren aus seiner Kehle, das Bergmann an einen kurz vor dem Ausbruch stehenden Vulkan erinnerte. Die Bestie starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an, und Bergmann erwartete jetzt einen Angriff. Tatsächlich setzte der Höllenhund zur Attacke an, kam immer näher und wollte sein Opfer mit seinen furchterregenden Zähnen wieder am Bein packen. Mit dem Mut der Verzweiflung schwang Bergmann seinen Knüppel und traf das aggressive Vieh mit einem kräftigen Hieb auf den Rücken. Der Hund jaulte auf, und zog sich aufgrund der unerwarteten Gegenwehr ein Stück zurück, um Anlauf zu nehmen und den Mann anspringen zu können. Bergmann ahnte, was auf ihn zukommen würde, und nahm allen Mut zusammen. Als Zerberus zum Sprung ansetzte war Frieder Bergmann plötzlich eiskalt. Die auf ihn zufliegende gräßliche Fratze beeindruckte ihn nicht, und er drosch dem struppigen und ungepflegten Gesellen den Knüppel mit aller Wucht auf die empfindliche Nase. Die Flugbahn des Viehs endete nicht an Bergmanns Körper, sondern auf dem Boden. Winselnd schlich der Köter ein Stück weg. Plötzlich ertönte ein Pfiff, und der Hund trollte sich. Einen Moment später erschienen zwei junge Kerle und näherten sich Bergmann, der Hund hielt sich verschreckt hinter ihnen. Einem der beiden Typen war das Gesicht mit eitrigen Pickeln übersäht, er sah aus wie ein Streuselkuchen. Der andere war so breit wie hoch, er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift "Fit for fun".

„Jetzt mal langsam Alter“ blaffte ihn der Pickelige an „wie kommst du dazu, unseren Hund zu schlagen?“

„Er hat mich angegriffen“ keuchte Frieder Bergmann noch ohne Puste „Sie sollten das Tier besser an der Leine führen“ schlug er vor.

„Was wir machen geht nur uns alleine was an Opa“ erwiderte der andere „und dass du Franz Ferdinand geprügelt hast ist doch der Gipfel. Jetzt werden wir mit ihm zum Tierarzt gehen müssen und das kostest `n Haufen Kohle. 50 Euro und die Sache ist vergessen.“

„Wie Sie vielleicht festgestellt haben bin ich in Sportbekleidung unterwegs und habe demzufolge kein Geld dabei. Außerdem denke ich nicht daran Ihnen Geld zu geben, die Schuld an dem Vorfall liegt eindeutig bei Ihnen als Halter des Hundes“ argumentierte Frieder Bergmann.

„Hör` mal zu Vati“ wurde der andere jetzt lauter „wenn du weiter so rumzickst gibt es eine Abreibung, die du so schnell nicht wieder vergessen wirst.“

Frieder Bergmann versuchte einen Ausweg aus dieser äußerst unangenehmen Situation zu finden, und stellte nach einer kurzen Analyse fest, dass seine Chancen nicht so gut standen. Sich mit den beiden Typen und dem Hund anzulegen hielt er für aussichtslos, er würde mächtige Prügel beziehen und wenn sich der Hund noch in die Auseinandersetzung einmischte wäre er wohl vollends unterlegen. Er musste seine Widersacher mit einem Trick dazu bewegen, zunächst friedfertig zu bleiben, und selbst aus dem verdammten Stadtpark heraus zu kommen.

„Na gut“ gab er scheinbar kleinlaut zu „Sie bekommen das Geld. Dazu muss ich aber erst nach Hause gehen.“

„Und wir warten hier auf dich und du kommst wieder brav zurück“ höhnte der andere „für wie blöd hältst du uns eigentlich. Zieh‘ deinen Jogginganzug und die Schuhe aus, dann kannst du abhauen.“

Der Hund unterstrich diese Aussage mit einem giftigen Knurren und schlich in einem noch respektvollen Abstand um Frieder Bergmann herum. Dieser sah sich jetzt an drei Fronten bedrängt, denn die beiden Typen kamen zudem noch aus unterschiedlichen Richtungen auf ihn zu. Mehr der Form halber schwang er den Knüppel, was die Typen mit einem meckernden Lachen quittierten. In diesem Moment beschloss Frieder Bergmann das zu tun was sie ihm vorschrieben, denn man sah, hörte und las genug über dumpfe und brutale Gewalt, das wollte er für seinen Teil unbedingt vermeiden und an dieser abgelegenen Stelle im Stadtpark war Hilfe sehr unwahrscheinlich. Schnell schlüpfte er vor den Augen der feixenden Kerle aus Jogginganzug und Laufschuhen, und als sie ihm mit wegscheuchenden Handbewegungen bedeuteten, dass er verschwinden könne, lief er nur mit Unterwäsche und Socken bekleidet sofort und schnell los, denn sie machten sich noch den Spaß, Franz Ferdinand auf ihn zu hetzen, um ihn aber bald wieder zurückzupfeifen.

 

Ein neues Problem tat sich vor Frieder Bergmann auf. Der Stadtpark war von Kanälen umgeben und um diesen verlassen zu können, musste er zwangsläufig eine der vielen Brücken überqueren. Gerade an diesen Stellen hatten sich schon vor über hundert Jahren die ersten Gaststätten angesiedelt und die dazu gehörigen Biergärten waren aufgrund des schönen Wetters heute bis auf den letzten Platz besetzt. Bergmann drückte sich vorsichtig vorwärtsschleichend hinter den Bäumen herum und sondierte auf diese Weise mehrere Stellen, aber das Bild war überall das Gleiche. Menschen über Menschen, die aßen und tranken, oder über die Brücken zur Insel hin und zurück paradierten. Frieder Bergmann war in seiner Dienstgarderobe - er trug täglich einen Anzug - eigentlich immer an einem seriösen Auftritt interessiert und so bevorzugte er gedeckte Farben. Im Gegensatz dazu hatte er die Eigenart, sehr farbenfrohe Unterwäsche zu tragen und wollte damit seiner noch einigermaßen jugendlichen Erscheinung Rechnung tragen, Feinrippunterwäsche lehnte er strikt ab. Insgeheim betrachtete er diesen Kleidungsstil als Aufbegehren gegen das Establishment (obwohl er es ja selbst mit verkörperte), denn irgendwie war bei ihm immer die Sehnsucht hängengeblieben, aus dem Hamsterrad der beruflichen und sozialen Karriere auszubrechen. Da er das nicht konnte und auch nicht richtig wollte protestierte er eben mit seinem Schlüpfer dagegen, eine geheime Revolte im Untergrund also. Heute trug er eine schwarz gelb längsgestreifte Unterhose, denn im Herzen war er Dynamo Dresden Fan, auf dem Hinterteil des Kleidungsstückes war das Vereinslogo aufgedruckt. Sein Unterhemd war analog gestaltet und in seiner Verwirrung dachte er nicht daran, dass er noch ein Basecap trug, welches ebenfalls in diesem Muster gehalten war, so dass Frieder Bergmann jetzt einer überdimensionalen Hummel ähnelte. Er hätte viel darum gegeben, wenn er wie dieses Insekt in der Lage wäre, sich in die Luft zu erheben und so ganz einfach zu seiner Wohnung fliegen könnte. Da er aber aus vielerlei Gründen dazu eben nicht in der Lage war musste er den Weg zu seiner Behausung eben zu Fuß zurücklegen. Mithilfe seines analytischen Verstandes hatte der Mann seine Handlungsalternativen aufbereitet und kam auf drei.

Erstens: er überwand die Distanz zu seiner Wohnung, also ungefähr 800 Meter, im Dauerlauf. Diese Strecke würde aber immer wieder durch vielbefahrene Straßen unterbrochen werden an denen er zwangsläufig pausieren musste.

Zweitens: er gab sich lässig und schlenderte wie ein Freak durch die Straßen, zog das Basecap ins Gesicht und scherte sich nicht um die Blicke der Leute. Schließlich gab es ja sogar Typen, die splitternackt wandern gingen.

Drittens: er suchte sich eine Stelle an einem der Kanäle und durchwatete diesen und käme so möglicherweise relativ unbehelligt am größten Trubel vorbei.

Die Sache mit dem Kanal verwarf er schnell wieder, sie brachte eigentlich gar nichts. Auch war er von seinem vorherigen Training etwas ermattet und glaubte kaum, die 800 Meter in einem anspruchsvollen Tempo durchzustehen. Also holte er tief Atem, drückte seine Kopfbedeckung weit nach unten, trat hinter den Bäumen hervor und marschierte auf die Brücke zu. Anfangs konnte er recht ungefährdet in der Menschenmenge untertauchen aber nur solange, bis die ersten Kinder bei seinem Anblick aufschrien. Das waren keine ängstlichen Lautäußerungen, eher klangen sie begeistert. Im Nu war Frieder Bergmann von einer Traube von Zwergen umringt, die wild durcheinander plappernd von ihm wissen wollten, was er denn für ein komischer Onkel wäre. Jetzt war genau das eingetreten was Bergmann tunlichst vermeiden wollte: er stand im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. In dieser Stimmungslage tat er aus Verzweiflung genau das Falsche, denn er brüllte die Kinder an, dass sie verschwinden sollten. Erstes Heulen wurde laut und die besorgten Eltern näherten sich jetzt dem Ort an dem Bergmann sich aufhielt. Dieser war nun vollkommen durcheinander und bahnte sich ohne Rücksicht auf Verluste einen Weg durch die Menschen. Empörte Worte wurden laut und Frieder Bergmann verfiel jetzt in Trab, um diesen Ort schnell hinter sich lassen zu können. Bis zur ersten Ampelkreuzung ging alles ganz gut, dann musste er neben anderen Passanten warten. Verwunderte Blicke trafen ihn, manche schienen von seinem Anblick amüsiert zu sein, andere eher angewidert. Bei grün sprintete er los und kam ganz gut bis zur nächsten Ampel (die ebenfalls rot zeigte), jetzt musste er noch knapp 200 Meter schaffen und er entspannte sich etwas. Unsicher musterte er seine Umgebung und als er auf der anderen Straßenseite den Amtsleiter erkannte, der wohl auf dem Weg in einen der Biergärten war, brannten bei ihm alle Sicherungen durch. Ohne auf die Ampelfreigabe zu warten startete er mit gesenktem Kopf und dem Mut der Verzweiflung los und schlängelte sich zwischen den wild hupenden Autos durch, ohne Kollision kam er auf der anderen Seite an, aber die Autofahrer waren durch den hektisch durch die Lücken flutschenden und an eine Hummel erinnernden Mann dermaßen irritiert, dass zunächst vier Fahrzeuge ineinander krachten. Frieder Bergmann wurde durch diesen Vorfall angespornt jetzt höchstes Tempo vorzulegen und er konnte von Glück sagen, dass sich die Leute an der Kreuzung mehr für die verkeilten Autos interessierten, als für den Verursacher dieses Debakels. So kam er relativ unbehelligt (außer von verwunderten Blicken verfolgt) bis zur Haustür seines Hauses und realisierte in diesem Moment, dass sich sein Wohnungsschlüssel in der Gesäßtasche der Jogginghose befand. Hektisch drückte er die Klingel, aber niemand ging an die Sprechanlage. Seine Frau Petra war zum Nachtdienst im Krankenhaus, das wusste er. Claudia hatte sich mit Niels in Kino abgemeldet, aber sein Sohn Rüdiger musste doch da sein. Bergmann konnte in seinem Aufzug so nicht länger auf der Straße herum stehen und suchte panisch nach einem Versteck. Als er sich umblickte wurde ihm schmerzhaft bewusst, wie wenig Deckung er hier finden würde. Auf der anderen Seite musste er die Tür im Blick behalten, um Rüdiger abzupassen. So schlich er in die Umzäunung der Mülltonnen und hinter einer verborgen hatte er Sicht auf das Haus. Nach einer halben Stunde fragte er sich immer wütender wo sich sein Sohn rum trieb, aber dieser Gedanke verflog sofort wieder, denn jetzt öffnete sich die Haustür und Schulze, sein Nachbar, ein Rentner, erschien mit einem Mülleimer auf der Bildfläche. Der Mann war nicht unfreundlich aber extrem pingelig und Frieder Bergmann war schon das eine und andere Mal mit ihm aneinander geraten als es darum ging, welcher Müll denn nun in welche Tonne gehöre. Schulze hatte ihn einmal kurzerhand verdächtig, einen alten Reifen in den Behälter geworfen zu haben, was Bergmann nie im Leben tun würde. Allerdings lag der Schluss des anderen Mannes nicht außerhalb des Möglichen, denn es handelte sich um den Reifen eines kleinen Lastenanhängers, wie Bergmann einen besaß. Jedenfalls kam es zu einem erregten Disput und sobald einer aus der Bergmannschen Familie etwas in die Tonnen warf war Schulze von diesem Tag an wenige Augenblicke später vor Ort, um den Einwurf zu kontrollieren. Schulze hier und in diesem Aufzug zu begegnen war deshalb überhaupt keine Option für Bergmann, und so wuchtete er, noch außerhalb der Blickweite des Rentners befindlich, den Deckel des Wertstoffcontainers hoch und war mit einem eleganten Satz darin verschwunden. Den Deckel zog er von innen zu. Für den Fall der Fälle vergrub er sich noch unter den darin befindlichen Abfällen, das viele Styropor und etliche Plastikflaschen tarnten ihn gut und es fühlte sich alles in allen auch nicht sonderlich unbequem an. Dermaßen versteckt kam Frieder Bergmann nun in den Genuss eines Dialoges, den Schulze mit einem anderen Hausbewohner führte.

„Ich sage Ihnen, die Bergmanns sind nicht in der Lage, den Müll ordentlich zu trennen. Dass sie dazu zu blöd sind würde ich nicht behaupten, schließlich arbeitet der Mann ja in einer Behörde und seine Frau ist Ärztin. Sie wird ja wohl ordentlich zu tun haben, man hört doch schon einiges über die Arbeitsbelastung in den Krankenhäusern. Dass er aber ein Held der Arbeit ist, wage ich zu bezweifeln. Sehen Sie mal, der geht so 8 Uhr 30 außer Haus und ist 17 Uhr 30 wieder da, jedenfalls meistens. In dieser Zeit wird er wohl kaum die Welt einreißen, hier mal ein Papierchen vollschreiben, da einen scheinbar dienstlichen Schwatz tun, dann in aller Ruhe Beamtenschlaf halten, was denken Sie?“

„Das kann ich schlecht einschätzen“ ertönte eine andere Stimme (es war die von Frau Paul aus dem Erdgeschoss) „also ich halte Herrn Bergmann und seine Familie für sehr angenehme Nachbarn.“

„Die nicht einmal den Müll ordentlich trennen können“ erregte sich Schulze „ich sage Ihnen, die sind so arrogant, dass sie es absichtlich unterlassen. Dabei frage ich mich, wo sie die Berechtigung dafür hernehmen. Bloß weil die studiert haben sind sie nicht besser als Sie und ich. Wissen Sie wie mich das auf die Palme bringt, wenn das immer wieder passiert, dann geht mein Blutdruck ruck zuck in die Höhe.“

Schulze war schon wieder so geladen, dass er den Container verwechselte und seinen Eimer mit dem Biomüll in den Wertstoffcontainer entleerte. Da er den Blick wegen der schon stinkenden Abfälle abwandte und den Deckel schnell wieder schloss sah er Frieder Bergmann auch nicht. Dieser spürte, wie Eierschalen, Essenreste und andere Abfälle durch seine Sichttarnung rieselten und seinen Körper an etlichen Stellen und das Gesicht großflächig besprenkelten. Manches fühlte sich warm an, alles aber irgendwie schleimig. Schulze entfernte sich weiter auf Frau Paul einredend und Frieder Bergmann wagte jetzt, den Deckel des Containers einen Spalt weit zu öffnen. Die beiden verschwanden im Haus und Bergmann überdachte seine weitere Vorgehensweise. Da er jetzt auch noch mit Abfallresten überzogen war schied ganz klar aus, sich zu zeigen. Was auch immer geschah, er musste auf Rüdiger warten. Dieser tauchte nach einer Frieder Bergmann unendlich lang erscheinenden Zeit auf und zuckte erschrocken zusammen, als ihm ein Mann mit einem offensichtlich bereits durch eine tödliche Krankheit - denn seine Haut war überall grün und gelb gefärbt - in Auflösung befindlichem Gesicht mit harscher Stimme befahl, sofort die Tür zu öffnen. Von dem Kranken ging ein durchdringender Geruch aus, irgendeine Mischung aus Verwesung und Abfall.

„Mach` jetzt endlich hin“ herrschte ihn der Typ an, da erkannte Rüdiger Bergmann seinen Vater an der Stimme.

Als die Tür offen war riss ihm Frieder Bergmann den Schlüssel aus der Hand und stürmte nach oben, mit flatternden Händen bekam er die Tür auf und hetzte in die Wohnung, Rüdiger konnte ihm kaum folgen. Sein Vater war schon im Bad verschwunden und kurz darauf war das Geräusch der Dusche zu hören. Nach einer Weile erschien Frieder Bergmann mit einem um die Hüften geschlungenem Handtuch und steuerte die Küche an. Rüdiger hörte die Kühlschranktür klappen, dann wurde eine Bierflasche geöffnet und nach einem Moment ertönte ein erleichtertes Stöhnen.

„Was ist denn passiert Papa“ fragte er seinen Erzeuger.

„Im Stadtpark haben zwei Typen einen Hund auf mich gehetzt und mich gezwungen, meine Klamotten rauszurücken. Und in denen ist mein Schlüssel drin. Verdammter Mist, weißt du, was das bedeutet?“

„Klar, wenn die irgendwie rauskriegen wo du wohnst können die in Ruhe hier einsteigen und uns die Bude ausräumen.“

„Genau, ich rufe jetzt gleich den Schlüsseldienst an, wir brauchen neue Schlösser.“

Mit einem schiefen Grinsen zahlte Frieder Bergmann wenig später exakt 327,56 Euro für den Austausch des Schlosses und den Erhalt von vier Schlüsseln. Er berichtete Petra von dem Vorfall und legte seine Joggingrunden vorerst auf Eis. Am nächsten Tag las er in der Zeitung, dass ein Straßenflitzer einen schweren Auffahrunfall verursacht hatte in den sieben Fahrzeuge verwickelt worden waren, der Sachschaden betrug fast 45.000 Euro.

 

Dennoch war er gewillt sein Ertüchtigungsprogramm weiter fortzusetzen, eben bloß nicht mehr im Stadtpark. Er hörte sich ein bisschen um und nahm zur Kenntnis, dass das Hallenbad am Dienstag und Donnerstag ab 17 Uhr freies Schwimmen im Programm hatte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde es dort gesitteter zugehen und er vor Belästigungen sicher sein. Also packte er eine kleine Tasche mit seiner roten, eng anliegenden Badehose, einem Handtuch, Duschbad und Badelatschen und betrat das Gebäude durchaus erwartungsvoll. Das Foyer war ansprechend gestaltet und er kaufte sich optimistisch eine Nutzungszeit von 2 Stunden, das dürfte heute fürs erste reichen. Der gute Eindruck wurde leider auf dem Weg zu den Umkleidekabinen deutlich beeinträchtigt, denn das Gebäude hatte schon gut 3 Jahrzehnte auf dem Fundament und augenscheinlich war seit Jahren nichts mehr zu seinem Erhalt getan worden, es war in kommunalem Besitz. Frieder Bergmann ließ sich davon nicht von seiner leicht euphorischen Stimmung abbringen, er sah sich schon eine Bahn nach der anderen durch das Wasser ziehen. Vorerst war er aber dabei, den Verschlussmechanismus des Garderobenschrankes zu ergründen. Man hatte ihm ohne eine Erklärung einen kleinen Plastikchip in die Hand gedrückt und jetzt fragte er sich, was er damit anfangen sollte. Irgendwie musste er ihn in einen innen an der Tür angebrachten Schlitz einwerfen und dann würde er weitersehen. Schon in Badekleidung fummelte der Mann an dem Verschlussmechanismus herum und schließlich gelang es ihm, den Schlüssel, der an einem Band hing, zu drehen und den Schrank so zu sichern. Das Band schlang er um sein Handgelenk, da es aber anfangs zu straff saß, lockerte er es wieder etwas. Voller Tatendrang betrat er die Schwimmhalle und registrierte erfreut, dass sich nur wenige Leute in dem Becken befanden. Vorsichtig betrat er die Stufen zum Becken und erschauderte, das Wasser war für seine Begriffe eiskalt. Zwei jüngere Schwimmerinnen sahen ihn spöttisch an und so überwand er sich und tauchte ein. Durch die Temperatur schockiert gerieten seine ersten Schwimmbewegungen recht unbeholfen und er kam kaum voran. Schon nach der ersten Bahn musste er kräftig Luft pumpen, nach der vierten hatte er den Anflug eines Krampfes im Bein zu bekämpfen und nach der siebenten beschloss er, eine Pause einzulegen. Da eine Bahn 25 Meter lang war, waren das bis jetzt 175 Meter, er hatte sich mindestens einen Kilometer vorgenommen. Das Becken füllte sich und die Schwimmer sahen ihn verärgert an, denn er klammerte sich an eine Stange unterhalb des Startblocks und behinderte damit deren Wendemanöver. Also schob er sich wieder in die Bahn hinein und musste feststellen, dass der Andrang jetzt erheblich war und er von allen Schwimmern gnadenlos überholt wurde. Auch als er hektischer mit den Armen und Beinen ruderte erhöhte sich sein Tempo nicht, das führte aber dazu, dass er schon nach der elften Runde wieder pausieren musste. Er tat so, als ob er einen Wadenkrampf hätte, das konnte ja schließlich jedem einmal passieren. Wieder bei Puste startete er erneut und kollidierte mit einer dicken Frau, die ihn grimmig ansah. Um an ihr vorbei zu ziehen legte er alle Kraft in seine Kraulschläge und als er seinen linken Arm, an dem das Band mit dem Schlüssel festgemacht war, weit aus dem Wasser riss, machte sich dieses selbstständig und flog in hohem Bogen durch die Luft, um irgendwo zwischen den Schwimmern im Becken zu versinken. Frieder Bergmann erstarrte abrupt und bildete damit erneut ein Hindernis, an dem sich die ihm folgenden Sportler stauten. Benommen steuerte er auf die Stufen zu um das Becken zu verlassen, er wollte dem Bademeister das Problem schildern.

„Sie haben Ihr Schlüsselband verloren“ fragte ihn der Mann ungläubig.

Frieder Bergmann nickte bedrückt, denn er konnte sich vorstellen wie schwierig es sein würde, diesen Gegenstand im Becken aufzuspüren.

„Ich bin jetzt 17 Jahre hier“ fuhr der Bademeister fort „so etwas ist in all diesen Jahren noch nie vorgekommen. Keine Ahnung, was ich da machen soll.“

Er winkte einen Kollegen heran und tuschelte mit ihm, dann wandte er sich an Bergmann.

„Wir sehen drei Möglichkeiten. Man kann das Wasser ablasen, wie teuer es wird das Becken wieder aufzufüllen wissen wir nicht, dürfte aber eine Stange Geld kosten. Man kann den Garderobenschrank aufbrechen, das hatten wir schon mal, macht so um die 500 Euro mit Reparatur. Oder Sie tauchen und suchen selbst das Band. Das wäre in 5 Minuten möglich, kurz darauf beginnt dann das Damen-Seniorenschwimmen.“

Frieder Bergmann schluckte, er hatte keine andere Wahl und würde das Band suchen müssen.

Der Bademeister pfiff und die Schwimmer verließen das Becken, dann nickte er dem Unglücksraben zu und dieser warf einen Blick auf das Becken. Es war bekannter Weise 25 Meter lang und besaß 5 Bahnen, von denen jede gut 2 Meter breit war, diese wurden durch Leinen mit roten Korkbällen voneinander abgetrennt. Mithin musste er 250 Quadratmeter absuchen. Er trat unschlüssig an den Beckenrand und versuchte, sich eine Strategie zurecht zu zimmern. Beginnen wollte er am Einstieg und ließ sich langsam in das Wasser gleiten, dann holte er tief Luft und tauchte. In der klaren Flüssigkeit konnte er gut sehen und ging die erste Bahn an, nichts. In der Hälfte der Strecke musste er hoch, um Luft zu holen. Dann ging er wieder runter und schaffte den Rest der Bahn, auch kein Erfolg. Ausgepumpt kam er nach oben und nach der vierten Bahn war er der Verzweiflung nahe. Gott steh mir bei dachte er kurz vor dem erneuten Abtauchen und plötzlich sah er das Band auf dem Beckenboden liegen. Da ihm Luft fehlte tauchte er noch einmal auf und winkte dem Bademeister zu: er hatte es gefunden. Jetzt hieß es nur noch, das Band herauf zu holen. Freudig füllte er seine Lungen mit Sauerstoff und ließ sich nach unten sinken, keine 10 Zentimeter von ihm entfernt pendelte das Band im Wasser aber offensichtlich nicht frei, es hatte sich in einem Ablaufgitter am Boden verfangen. Bergmann packte es, aber es hatte sich um die Gitterstreben gewickelt und mit zittrigen Fingern versuchte er es los zu bekommen. Irgendwie gerieten die Finger seiner rechten Hand dabei zwischen die Streben und verkanteten sich so, dass er plötzlich gefangen war. So sehr er auch zog, er kam nicht frei und in Panik öffnete er seinen Mund, aus dem der verbliebene Luftvorrat blubbernd zur Oberfläche empor stieg. Verzweifelt zerrte er weiter aber musste schnell einsehen, dass er nicht freikam. Das war`s dachte er, dann schwanden ihm die Sinne.

Als Frieder Bergmann wieder die Augen öffnete sah er die besorgten Gesichter der noch nassen Bademeister über sich, er wollte sich aufrichten, aber seine rechte Hand war wie auf dem Boden fest genagelt.

„Bleiben Sie liegen“ sagte einer der Männer „der Kollege mit der Flex ist gleich da.“

„Wieso“ fragte Bergmann schwach.

„Sie hatten sich so in dem Gitter verklemmt, dass wir dieses mit einer Brechstange heraus wuchten mussten, die Hand wollten wir Ihnen nämlich nicht amputieren. Leider ist dabei einiges zu Bruch gegangen, die Sperre des Abflusses ist jetzt kaputt und das Wasser ist komplett aus dem Becken ausgelaufen. Das wird eine Menge Arbeit machen, das alles wieder hinzukriegen. Wie lange das dauern wird kann keiner sagen, aber der Ausfall der Eintrittsgelder dürfte recht hoch sein. Die Reparaturkosten sowie so. Wer das blechen muss wird nicht mehr froh. Wir hatten heute schon genug Ärger mit den Seniorinnen, ersatzweise mussten wir denen einen Saunabesuch anbieten.“

Frieder Bergmann bewegte sich schwach und blickte nach rechts, neben ihm lag das Ablaufgitter, seine Hand war darin gefangen.

Ein Mann in Handwerkerbekleidung betrat die Schwimmhalle, zeitgleich erschien ein Uniformierter, ein Polizist. Der Handwerker machte keine großen Sprüche sondern kniete sich neben Frieder Bergmann hin, betrachtete das Gitter von allen Seiten, und warf den Trennschleifer an. Kreischend fraß sich die Scheibe durch das Metall und Bergmann zitterte am ganzen Körper, dann gab es einen Ruck und das durchtrennte Metall ließ seine Hand frei. Er rappelte sich auf und wollte auf unsicheren Beinen die Schwimmhalle verlassen, da versperrte ihm der Polizist den Weg.

„Sie können jetzt nicht einfach abhauen, nach dem Flurschaden, den Sie hier angerichtet haben“ klärte er ihn auf.

„Ich“ fragte Frieder Bergmann erstaunt „ich habe nichts kaputt gemacht.“

„Na nicht direkt, aber Sie haben dieses Chaos hier verursacht.“

„Die Leute hier haben doch eine Aufsichtspflicht, die hätten eben besser aufpassen müssen“ versuchte Bergmann zu argumentieren.

„Kommen Sie mal her“ rief der Polizist die Bademeister heran.

„Dieser Herr hier behauptet, dass Sie Ihre Aufsichtspflicht nicht ausreichend wahrgenommen haben“ sagte er.

„Wieso“ fragte einer verwundert „der Mann ist ohne unser Wissen, als alle anderen schon aus dem Becken raus waren, wieder in die Halle gekommen und ist dort heimlich rumgetaucht.“