Loe raamatut: «Wie Kinder sprechen lernen», lehekülg 8

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Hörverstehen: ein Verlaufsmodell

Welche Leistungen müssen zusammen kommen, damit wir Zugesprochenes verstehen? Hier ein Überblick:


Beim Sprachverstehen verschwinden gleichsam die unteren Ebenen in den höheren, und am Ende halten wir den Sinn fest, auf den es ja ankommt, und haben den Wortlaut schon vergessen. Dabei fließen auch Informationen von den höheren zu unteren Ebenen zurück. Besonders die oberste Ebene, unser sinngebender Verstand, mischt immer schon mit und sagt uns, was wir gehört haben müssten.

Zum Verstehen gehört also stets das Ineinandergreifen auf- und absteigender Prozesse.

Normalerweise erarbeitet sich das Kind die sprachlich wirklich schwierigen Dinge – hörendes Erfassen der Laute, ihre Artikulationen und Verschleifungen sowie die Grammatik – eher unbewußt, so daß es hier mit allzu direkten Korrekturen zumeist nichts anfangen kann. Gerade das sprachauffällige Kind ist schnell verunsichert und braucht das Zutrauen zu sich selbst. »Nimm dich doch mal zusammen! Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester! Die andern lachen ja über dich, willst du das denn eigentlich?« Hier machen Eltern ihrem Ärger Luft, laden ihre Sorge ab und erweisen sich selbst und ihrem Kind einen Bärendienst. Liegen Mängel bei der Sprachwahrnehmung zugrunde, die wir – mit tüchtigen Sinnen ausgestattet – gar nicht nachempfinden können, kann man das Kind nur noch tiefer verstören. Aber auch Kindern mit gesunden Sinnen kann man mit solchen Ermahnungen nicht helfen. Statt dessen gilt: Einander die Freude am Tausch der Wörter und Ideen erhalten; zuhören, Anteil nehmen, ausreden lassen, das Kind ins Gespräch ziehen und mit ihm im Gespräch bleiben. Dabei schult sich das Gehirn von selbst. Aber es braucht eben sehr früh die richtigen Anregungen. Ohne sie werden Kinder nicht das, was sie hätten sein können.

Unterwegs zur Sprache: das erste Jahr und darüber hinaus

Nie ist Sprache gewesen, ehe Ansprache war. Monolog konnte sie immer erst werden, nachdem der Dialog abbrach oder zerbrach.

(Martin BuberBuber, Martin)

Das Baby entdeckt seine StimmeStimme

Ein Orchester wird gestimmt. So umschreibt Desmond MorrisMorris, Desmond die Zeit, bis die ersten Wörter auftauchen.1 Das Baby will lernen, dabei sein, mitmischen. Die Mutter will verstehen und helfen. Natürlich will sie keinen Unterricht geben. Aber sie will mit ihrem Kind kommunizieren. Und diese Bereitschaft erweist sich für das Baby als ungeheuer lehrreich.

Wenn das Baby seine Stimme entdeckt, so geschieht das unter Führung der Eltern, die bereit sind, den Schwankungen der kindlichen Aufmerksamkeit zu folgen, und mit der Empfindlichkeit eines Seismographen auf jeden Fortschritt zu reagieren.

Was passiert auf dem Weg vom ersten Schrei zum ersten sinntragenden Wort? Neben dem Schreien, seinem Alarmruf, verfügt der Säugling nach HassensteinHassenstein, Bernard über weitere, vermutlich angeborene Lautsignale, die als Vorstufen der weiteren Lautentwicklung gelten.2 Sprechen entwickelt sich allerdings nicht direkt aus Schreien und Weinen, sondern aus der Technik, den Atem mit Stimme zu füllen. Doch ist auch das Schreien eine Art Training, das sich schrittweise zu komplizierten Melodiebögen entfaltet. In Wechselwirkung von Ausreifung und Einübung muß das Baby lernen, seine Atmung zu steuern, um seine Stimme zu entwickeln. Es dauert seine Zeit, bis es überhaupt wohlgeformte Sprachlaute hervorbringen kann. Dazu muß sich beim Neugeborenen auch noch anatomisch etwas verändern: zwischen dem dritten und sechsten Monat wird sich sein Kehlkopf absenken und der obere Stimmtrakt so ausgestalten, daß allmählich die notwendigen Resonanzbedingungen (Hohlräume) für die Bildung von Vokalen und Konsonanten entstehen. Anfangs sitzt der Kehlkopf noch so hoch im Rachen des Säuglings, daß der Nahrungsbrei seitlich daran vorbei in die Speiseröhre gelangen und er somit gleichzeitig saugen und atmen kann, ohne sich zu verschlucken. Nach dem Umbau zugunsten der Sprache muß er in Kauf nehmen, auch einmal Nahrung in die Luftröhre zu bekommen. Erst gegen Ende des ersten Lebensjahres ist dieser Umbau abgeschlossen und sind die Voraussetzungen für differenzierte sprachliche Artikulationen geschaffen.

Auf diese Weise ist ein in der Natur einzigartiges, vollkommenes Instrument entstanden, das unter Kontrolle des Zentralnervensystems so vielgestaltige Lautkombinationen ermöglicht, daß es nicht nur als das höchstentwickelte Kommunikationsmittel, sondern auch als ausdrucksreiches Musikinstrument und – nicht zu vergessen – als ein erstes, biologisch entworfenes Spielzeug des Kindes zur Geltung kommt.3

Alles Leben ist allerdings nur insoweit vollkommen, wie es das große Überlebensspiel der Natur verlangt.

Vom Gurren und Lallen zum SilbenplappernSilbenplappern

Man unterscheidet zwei große Etappen von Lautierungen:

1 Das Vorsilbenalter: Gurren und Lallen (0–5 Monate)

2 Das Silbenalter: Silbenplappern (6–12 Monate), die eigentliche Lallphase

Achtung: Die Streubreite des ersten Auftretens regulärer Silben ist hoch und liegt zwischen 5 und 11 Monaten. Sie hängt wahrscheinlich mit einer unterschiedlichen Hirnreifung zusammen. Hat das Kleinkind dann noch nicht mit dem Silbenplappern angefangen, sollte man fachlichen Beistand suchen – ebenso, wenn es keinen Blickkontakt sucht oder mit dem Lallen plötzlich wieder aufhört.

Der Säugling beginnt zu quietschen und zu brummen, zu gurgeln und zu schnalzen, zu krähen und zu flüstern, zu prusten und Spuckebläschen zu formen. Er versucht, akustische Augenblickserzeugnisse wiederaufzugreifen und erneut hervorzubringen. Bei dem Spiel mit der Stimme entstehen Laute wie zufällig und werden dann mit einigem Eifer ausprobiert. Deutlich zeigt er seine Freude über die eigenen Hervorbringungen. Es ist, als ob er die wachsenden Möglichkeiten seines Stimmapparats auslotet und unter Kontrolle zu bringen versucht: Atemmuskulatur, Stimmbänder, Feinmotorik des Kehlkopfs, des Rachen- und Mundraums, besonders von Zunge und Lippen. Das alles gilt es zu koordinieren: Welche Muskelgefühle gehen mit welchen Tönen einher? Dies ist die »doppelte Gegebenheit des LautesRückbezüglichkeit, der ebenso motorischer Vollzug des Sprechwerkzeuges wie selbstgehörter, zurückgegebener Klang ist. Wir verhalten uns dem selbst produzierten Laut gegenüber sowohl aktiv, ihn eben artikulierend, wie passiv, nämlich das Produkt unserer Tätigkeit fällt mühelos in das Ohr zurück.«1

Das Baby hat Spaß daran, seinen Bewegungsapparat auszuprobieren und sich selbst zuzuhören. Es animiert sich selbst. Der Psychologe und Sprachtheoretiker Karl BühlerBühler, Karl (seine Frau Charlotte wurde nach der gemeinsamen Auswanderung in die USA Begründerin der »humanistischen Psychologie«) prägte hierfür den Ausdruck FunktionslustFunktionslust.2 Arbeit und Üben, Spiel und Spaß sind eins. Das gilt fürs Gehenlernen ebenso wie fürs Sprechenlernen. Dabei gehen das Strampeln, Kriechen und Krabbeln dem Gehenlernen voraus wie die Spuckebläschen den regulären Sprachsilben. Diese Vitalität des Kleinkindes, seine Sinnes- und Muskelfröhlichkeit, ist vielleicht die schönste Mitgift der Natur. Sie macht nach HerderHerder, Johann Gottfried den Menschen zum »Lehrling aller Sinne«, zum »Lehrling der ganzen Welt«3. Wo sie fehlt, sind die Aussichten trüb, und der Spracherwerb entpuppt sich als äußerst mühseliges, langwieriges und schwieriges Geschäft, das von geschulten Therapeuten angekurbelt werden muß.

Das gesunde Baby übt oder spielt mit seiner Stimme nicht nur im Dialog, zu dem es die Eltern ermuntern, sondern auch im Monolog, vor allem in entspannten Perioden kurz vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen, wenn es sich wohl fühlt. Hier nimmt stimmliches Lernen einen breiten Raum ein. In diesen Perioden wird die StimmeStimme zum liebsten Spielzeug des Kindes.4 Allmählich wird sie ihm immer besser verfügbar: Sie wird melodischer, einzelne Laute erhalten festere Konturen, die Geräuschbeimengungen nehmen ab. Dieses Spiel mit der Stimme erreicht einen ersten Höhepunkt gegen Ende des ersten Halbjahres, wird jedoch noch weit in das zweite Lebensjahr hinein fortgesetzt. Wir werden diesen Einschlaf- und Aufwachmonologen später wieder begegnen, wenn das Kleinkind nicht mehr mit seiner Stimme, sondern mit Sätzen jongliert.

Mit dem Lallen baut das Kind sein Sprechvermögen auf eine Weise aus, die es befriedigt und genießt. Eltern unterstützen es dabei. Denn wir sprechen ihm in diesem Zeitraum außerordentlich deutlich und sorgfältig zu und grenzen die Laute klar voneinander ab. Zwischen dem zweiten und fünften Monat sind es besonders die Vokale, die aus dem Sprachfluß hervorgehoben und den Kindern geradezu vorgekaut werden. Sie werden in ihrem Eigenklang übertrieben lang gezogen und prägnant dem Baby zugesprochen: Ach, was bist du süüüß! Siehst du das Vöööglein da? Nicht ohne Effekt; etwa eine Terz höher tauchen dann die gleichen Vokale ab dem 5. Monat vermehrt im Babbeln der Kinder wieder auf.5

Ein deutlicher Schritt in Richtung Sprache ist getan, wenn das Baby zwischendurch echte Sprachsilben formt. Dieselbe Silbe wird mehrfach wiederholt, denn der Säugling freut sich, sie wiederzuerkennen und zielgenau zu produzieren. Diese Silbenketten bestimmen immer mehr seine Einschlaf- und Aufwachmonologe. Ein Verschlußlaut wird mit einem Vokal gepaart, z.B.:

bababababababa

mamamamamama

dädädädädädädä

Zugleich oder etwas später treten aber auch Silbenkombinationen auf:

mamemame

däläjäjäjä

und manchmal etwas, das man als Jargon bezeichnet hat: ein sprachähnlicher Singsang aus verwaschenen Silbenkombinationen, die aber schon muttersprachen-typische satzähnliche Rhythmen und Melodien aufweisen. Astor presst eine Tonbandkassette ans Ohr und »spricht« in sein Telefon, im Tonfall der Muttersprache, aber in völlig unverständlichem Kauderwelsch. Kinder brabbeln vor sich hin, nehmen aber auch auf diese Weise regelrecht an Gesprächen teil, wie die mundfreudige Tabea, die noch kein Jahr alt ist und ihr erstes Wort noch nicht gesprochen hat. Als sie bei Tisch dabei sitzt, wirkt das Gespräch der Erwachsenen so ansteckend auf sie, daß sie sich plötzlich einmischt und etwas daher sabbelt, was wie Sprache klingt, aber keine ist. Solches KauderwelschKauderwelsch produzieren sie auch noch später, im Stadium der Mehrwortsätze, mitunter mit richtigen Wörtern vermischt, etwa wenn sie so tun, als läsen sie vor. Der eineinhalbjährige Axel Preyer holt sich eine Zeitung aus dem Papierkorb, breitet sie auf dem Boden aus, legt sich platt darauf, hält das Gesicht dicht über die Druckschrift und »liest« vor:

»E-ja-e-e-ja nanana ana nana atta ana aje ja sa.«6

Wenn etwas Neues beginnt, ist das Alte nicht zwangsläufig abgelegt. In den Plappermonologen (ab 8. Lebensmonat) beginnt das Baby, artikulatorisch auf die besondere Klanggestalt der Muttersprache zu zielen, die es ja schon bei der Geburt hörend wiedererkennen konnte. Es hat sich nicht nur die Melodie der Muttersprache gemerkt, sondern sich inzwischen auch in die der Muttersprache eigenen Lautkontraste eingehört und lernt sie schließlich stimmlich zu bewältigen. Wie beim Hören geht dieses Sich-Einstimmen auf die muttersprachliche Klangwelt mit einem Verlust einher: Es produziert keine Laute mehr, die nicht zum Repertoire der Muttersprache gehören. Das eigentliche Lallen ist also nicht mehr vorsprachliche Stimmübung, sondern zielt auf den Erwerb der Muttersprache. Chinesische Babys lallen anders als deutsche. Kurz: Das Klangmaterial, aus dem Wörter und Sätze gebaut werden, wird bereitgestellt. Es treten Protowörter auf, wortähnliche Gebilde, die wie Wörter klingen, bei denen aber unklar ist, ob und was sie bedeuten. Protowörter und erste Wörter können schon ab dem fünften, aber auch erst im fünfzehnten Monat auftreten. Die Spannweite einer normalen Entwicklung ist groß!

Sind acht Monate nicht eine lange Zeit, um so etwas wie ein schönes, sauberes da da oder daba hervorzubringen? Weil es uns so wenig bewußte Anstrengung gekostet hat und es auch schon so lange zurückliegt, ist uns gar nicht bewußt, welch großartige Stimm-Virtuosen wir alle sind. Im Grunde ist der Lauterwerb ein hartes Stück Arbeit. Aber eben Arbeit, die allen Beteiligten Spaß macht.

Routinen: Wiederkehr des Gleichen

Wichtig sind die alltäglichen RoutinenRoutinen des Waschens, Badens, Wickelns, Füttern usw. Das Baby baut ein Episodengedächtnis auf. Es entsteht ein stabiles Erwartungsgitter. So durchschaut das Baby diese Situationen, kennt ihren Anfang, ihre Mitte und ihr Ende. Was Mama vorhat, wird ihm sozusagen evident, ja, was beide tun, ist füreinander voraussagbar. Die Dinge bekommen ihren Platz in der Welt des Kindes. Es gibt kleine Veränderungen, aber es gilt das durchgängig Gleiche: Die Welt wird sinnvoll.

Selbstverständlich gehört die begleitende Sprache als Gratisbeigabe immer dazu. Wenn das Kind dann bereit für die Sprache ist, kann es das Gesagte verstehen, weil es die Situation und den Sprecher schon längst verstanden hat.Hörmann, Hans1 Die schon bekannte, darum sinnfällige Situation macht die Sprache transparent, die das Kind nun innerlich verarbeiten und auf ihre Grammatik abklopfen kann. Die erlebte Ordnung wird wieder auffindbar in der Ordnung des Gesagten. Wir nannten es die »BodenhaftungSpracheBodenhaftung der Sprache« der Sprache.

Wie sehr Kinder auch später noch feste Strukturen lieben und einfordern, zeigt folgende Erinnerung Willy Kramps: »Abends, wenn sie zu Bett gebracht worden war, rief sie von jenseits der Stubenwand: ›Bist du da?‹ Dann mußte ich gemäß strengem Zeremoniell antworten: ›Ja, ich bin da.‹ Hierauf sie, befriedigt: ›Dann gut.‹ Und ich, abschließend (aber der Abschluß durfte nicht fehlen): ›Gut.‹ Ich muß lächeln, als ich daran zurückdenke.« Viele Eltern mögen sich an Ähnliches erinnern.

Sprache trifft somit auf ein Vor-VerständigtseinVor-Verständigtsein des Kindes. Geglückte vorsprachliche und emotional durchtönte Kommunikation ist das Nest, in dem grammatische Sprache aufgezogen wird. Blicke, Gestik, Gesichtsausdruck, Stimme und Tonlage, Körperhaltung, d.h. die ganze Palette der Möglichkeiten, die Menschen zur Kommunikation einsetzen, gehen dem Sprechen voraus. Obwohl die Sprache selbst ein neuartiges, mächtiges Verständigungssystem darstellt, werden die älteren Signale immer mitbenutzt: ein schmeichelnder oder gehetzter Ton, ein fragender Blicke, eine wegwerfende Geste, eben Körpersprache. Erst mit der SchriftSchrift verläßt die Sprache das Nest, in dem sie geboren wurde. In Texten – seien es Romane oder Gesetzbücher – hat Sprache schließlich das Monopol. Doch wenn wir wirklich Trost und Geborgenheit suchen, sehnen wir uns nach der Nestwärme der Körpersprache und ihrer täuschungslosen Unmißverständlichkeit zurück. Im Vergleich dazu bleibt das Wort merkwürdig matt.

Die elterliche Suggestionsmethodikelterliche DidaktikSuggestionsmethodik, Soufflierkunst

Wodurch wird ein Schrei, wodurch werden absichtslose, spielerische Lautungen des Kindes kommunikativ? Indem Eltern so tun, als ob ihnen ihr Kind damit etwas sagen wollte. Sie machen aus dem ungerichteten Ausdruck einer Befindlichkeit eine MitteilungsabsichtMitteilungsabsicht. Sie machen aus einem Unlustschrei den Ruf nach Abhilfe und selbst noch aus einem Hust- oder Prustlaut einen absichtgetragenen Akt. Sie unterstellen quasi dem Kind eine Mitteilungsabsicht, geben ihm ein Ziel und zeigen ihm so, wie es seine Stimmproben oder auch eine Geste als Kommunikationsmittel einsetzen kann.


Vater: Na, wollen wir denn gar nicht lachen? (kitzelt Kind; Kind verzieht das Gesicht)
Vater: (verzieht ebenfalls das Gesicht) Oh, wir sind ungnädig heute. (Kind guckt zur Tür.)
Vater: (guckt ebenfalls zur Tür) Ja, Mutti kommt gleich.
Kind: Wawawa.
Vater: Meinst du, es wäre schon Essenszeit?
Kind: Wawa.
Vater: Ja, du hast recht, wir warten auf Mama.

Hier wird ein DialogDialog durchgespielt und quasi vorexerziert, der eigentlich noch gar keiner ist. Das Lautgebaren des Säuglings ist ja erst dann Kommunikation, wenn er es bewußt und willentlich einsetzt, um den Partner zu dirigieren. Aus einem bloßen Anzeichen muß ein Zeichen werden, hinter dem ein Wille, eine Intention steht.

Indem aber schon ein Anzeichen als Dialogbeitrag bestätigt wird, entsteht eine Zweieinigkeit im Wechsel, und Kinder lernen, noch bevor sie ein Wort sagen können, wozu Sprache eigentlich da ist: ein Stück des eigenen in ein fremdes Bewußtsein einpflanzen. Es lernt auch schon »antworten«, es genügt gewissermaßen seiner Antwortpflicht. Später erst merkt es, daß man noch mehr tun muß, weil in einer Frage noch mehr steckt, als es bisher in seiner Antwort zurückgegeben hat.

Noch vor wenigen Jahrzehnten galt die Aufmerksamkeit der Forscher ganz dem Kinde, dessen Äußerungen sorgfältig in Tagebüchern notiert wurden. Man betrieb »Kindersprachforschung« und übersah dabei den Part, den die Eltern spielten. Beim Studium moderner Tonband- und Videoaufnahmen, die das Gesamtereignis festhalten, war die Mitwirkung der Eltern jedoch nicht mehr zu übersehen.

Am auffälligsten ist, daß die Mutter in das Konzert des Kindes einstimmt und seine Lautgebilde nachahmt, bevor das Kind seinerseits die Mutter nachahmt. Dabei

 versetzt sie sich in die Gefühlslage des Babys, d.h. sie reagiert jeweils anders auf Äußerungen des Wohlbehagens und des Mißbehagens,

 zeigt sie ihm, wie man gemeinsam etwas (mit der Stimme) tut,

 bestärkt sie das Kind in seinen Vokalisationen,

 gibt sie ihm Vergleichsmöglichkeiten des Hörens, liefert also akustische Modelle,

 zeigt sie ihm zugleich, wie das aussieht; z.B. was man mit den Lippen macht, ob man sie schließt, ganz wenig oder weit öffnet, rundet oder spreizt.

Voraussetzung für gelingende vorsprachliche Kommunikation ist somit das seelische Einsseinseelisches Einssein von Mutter und Kind, die intime seelische Symbiose, die bei der stillenden Mutter auch eine körperliche ist. Eltern spiegeln dem Kind bis in feine Nuancen hinein seine eigenen Stimmungen wider. Wie genau sich die Eltern dabei auf die Lallgebilde ihrer Säuglinge einstimmen und sie dabei fortentwickeln, haben erst neueste Forschungsmethoden zutage gebracht, die sich Videotechnik (Wiederholung in Zeitlupe), Sonagramme und akustische Analyseprogramme, d.h. Computeranalysen von Grundfrequenz, Intensität und Zeitstruktur, zunutze machen. Mit solchen Instrumentarien haben die Münchner Pädiater und Kindersprachforscher Mechthild und Hanus PapousekPapousek, Mechthild und Hanus u.a. interaktive Lautspielchen beschrieben, in denen die Eltern signalisieren: Jetzt bin ich dran und jetzt bist du dran. Sie haben auch die Asymmetrie in der Steuerung der frühen Dialoge hervorgehoben.1

Wie sehr unsere Babys auf die gemeinsamen Lautspielchen eingestellt sind, zeigt eindrucksvoll das sog. »still face« Experimentstill face-Experiment des amerikanischen Entwicklungspsychologen E. Tronick, das wie folgt abläuft: Das Einjährige sitzt der Mutter in einem Kindersitz gegenüber. Die beiden »unterhalten« sich stimmlich, mimisch, gestisch. Dann wendet sich die Mutter kurz ab. Wenn sie sich danach dem Baby wieder zuwendet, schaut sie das Baby ruhig an, bleibt aber völlig still, ausdrucks- und bewegungslos. Das Baby versucht sofort, die Mutter wieder ins »Gespräch« zu ziehen, lächelt sie an, zeigt auf etwas: »da«; doch die Mutter guckt nicht hin (Was ist denn da los?). Es klatscht in die Hände, kreischt kurz auf, versucht dann der Situation zu entkommen, indem es sich wegwendet, blickt dann wieder zurück und fängt schließlich an zu schreien, verstört und frustriert. Bis die Mutter endlich wieder mitmacht und seine Welt wieder in Ordnung ist.2

Eltern machen also weit mehr als ein Sprachangebot. Gelernt wird der Dialog, wie man sich dabei abwechselt: daß erst der eine das Wort (genauer: die Stimme) führt, dann der andere; daß man sich möglichst nicht ins Wort oder in die Stimme fällt; daß und wie man sich darüber abstimmt, ob man weitermacht oder Schluß macht. Das alles hört sich so einfach an und ist doch komplizierter, als man denkt. Es kommt natürlich ebenso vor, daß beide vor freudiger Erregung gemeinsam babbeln, gewissermaßen im Duett vokalisieren. Das Baby lernt schnell, seinen Part richtig mitzuspielen, und wird seinerseits initiativ. Das Animieren, das frühe Andichten oder Suggerieren einer AbsichtAbsicht, Redeabsicht, Sprechintention, das gezielte Abwarten einer Antwort, die prompte Reaktion (wegen der kurzen Aufmerksamkeitsspanne des Säuglings sehr wichtig) und die Einübung des Wechselns gehen jedoch anfangs von den Eltern aus.