Loe raamatut: «Maß- und Formänderungen infolge von Wärmebehandlung von Stählen», lehekülg 3

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Vorwort zur 1. Auflage

Verzüge oder, anders ausgedrückt, Maß- und Formänderungen bei der Wärmebehandlung führen Jahr für Jahr zu beträchtlichen Kosten in der Fertigung durch Aus-schuss oder Nacharbeit. Ohne dass Summen exakt beziffert werden können, seien durch zwei Beispiele die wirtschaftlichen Auswirkungen verdeutlicht. Im einen Fall betragen die Kosten für eine Schleifbearbeitung nach der Wärmebehandlung etwa 30 % an den Fertigungskosten eines Großserienbauteils der Antriebstechnik. Ein Kunststoff-Spritzgießwerkzeug kann im zweiten Beispiel zum Zeitpunkt der Wärmebehandlung bereits den Wert eines Mittelklasse-Pkw darstellen; eine hohe Wertschöpfungsstufe, die bei unzulässig großen Verzügen zu nahezu untragbaren Ausschusskosten führt.

Der enormen wirtschaftlichen Bedeutung entsprechend, wurden stets große Anstrengungen unternommen, Verzüge entweder so klein wie möglich zu halten oder sie zumindest weitgehend vorhersagen zu können.

Mit dem Wissen über die Grundlagen der Wärmebehandlung wuchsen in den letzten Jahrzehnten auch die Kenntnisse über das Entstehen von Verzügen, und sie gehören heute zum festen Bestandteil in der Ausbildung von Wärmebehandlungsfachleuten.

Die Beherrschung der Verzüge gestaltet sich – wie die tägliche Praxis zeigt – mitunter äußerst schwierig, da das Verzugsphänomen als sog. Systemeigenschaft von einer Vielzahl sich z.T. gegenseitig beeinflussender Größen abhängt. Ausgehend von der konstruktiven Gestaltung über die Wahl des Werkstoffs, dessen umformtechnische oder spanende Verarbeitung bis zur Wärmebehandlung eines Bauteils, sind alle Bereiche der Entwicklung, Konstruktion und Fertigung am Entstehen des späteren Verzuges mitbeteiligt. Ein Beispiel aus der Produktion von Getriebekomponenten beziffert die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf die Maß- und Formänderungen zu 50–60 % (Bauteilform), 20–30 % (Werkstoffwahl) und nur zu 5–10 % für den eigentlichen Wärmebehandlungsprozess /Ber88/. Die bereichsübergreifende Verantwortung für den entstehenden Gesamtverzug kommt inzwischen immer häufiger darin zum Ausdruck, dass zur Lösung oder vorbeugenden Vermeidung von Verzugsproblemen die modernen Arbeitsformen wie Qualitätszirkel oder Simultaneous Engineering eingesetzt werden.

Als Hilfsmittel und Nachschlagewerk für Praktiker, aber auch als Informationsquelle für mit der Wärmebehandlung noch nicht so Vertraute, entstand als Gemeinschaftsarbeit des Fachausschusses 15 der AWT vorliegende Monographie. Nach einer grundlegenden Einführung in die Gesetzmäßigkeiten des Verzugs bis hin zu den Möglichkeiten seiner Vorausberechnung – diese Teile wurden mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlages /Hof96/ entnommen – werden in einer systematischen Zusammenstellung von Literaturdaten typische Beispiele für einzelne Verzugsursachen und deren Behebung beschrieben. Diese Arbeit entstand im Zusammenwirken von Hochschulinstituten und Industrie-Wärmebehandlungs-Fachleuten für tägliche Praxis und Weiterbildung.

Bildnachweis

Wir danken den nachfolgend aufgeführten Personen, Verlagen, Instituten und Verbänden für die Genehmigung zur Veröffentlichung von Bildmaterial:

 Herr Dr. Kyozo Arimoto

 Prof. Dr.-Ing. Christoph Broeckmann

 Frau Dr. R. Chatterjee-Fischer

 Herr Prof. Tatsuo Inoue

 Herr Maciej Korecki

 Herr Prof. Young-Kook Lee

 Herr Dr. Scott Mackenzie

 Herr Anders Olofsson

 Herr Dr. Rüdiger Rentsch

 Herr E. Schreiber

 Herr Pavel Šuchmann

 Herr Yuuki Tanaka

 Frau Eva Troell

 Herr Dr. W. Schützenhöfer

 Frau Eva Troell

 Herr Youichi Watanabe

 Herr Dr. Urs Wyss

 ASM International Materials Park, OH 44073–0002

 Carl Hanser Verlag GmbH & Co, Kolbergstraße 22, 81679 München

 DGM Informationsgesellschaft

 Edition Scriptar SA, Du Creux-De-Gyorsy, CH- 1093 La Conversion/Lausanne

 Springer Verlag, Postfach 311340, 10643 Berlin

 Springer Verlag New York, 175, 5. Avenue, NY 10010 (USA)

 Springer Verlag, Sachsenplatz 4–6, A – 1201 Vienna

 Veitsch-Radex Aktiengesellschaft, Magnesitstraße 2, A – 8700 Leoben

 Verlag Stahleisen GmbH, Postfach 105164, 40042 Düsseldorf

 Verlag Moderne Industrie, Justus von Liebig Straße 1, 86899 Landsberg

 Vulkan Verlag GmbH, Friedrich-Ebert-Straße 55, 45127 Essen

 Institutet för Metalforskning

 Institute of Materials, 1 Carlton House Terrace, London SW1 Y5DB (UK)

 Iron Steel Institute, 4 Grosvenor Gardens, London SW1 (UK)

 Technische Hochschule Magdeburg, Universitätsplatz 2, 39106 Magdeburg

 School of Materials Science & Engineering, Shanghai Jiao Tong University

 Wolfson Heat Treatment Center Aston University Birmingham, Aston Triangle Birmingham B47ET (United Kingdom)

 Associazione Italiana Di Metallurgia

 International Federation for Heat Treatment and Surface Engineering

 Austrian Society for Metallurgy and Materials

 Croatian Society for Heat Treatment and Surface Engineering

 Japanese Society for Heat Treatment

1 Grundlagen

Nach der Festlegung einiger zentraler Begriffe sollen im Folgenden die für die Entstehung von Maß- und Formänderungen verantwortlichen Mechanismen sowie das für einige Wärmebehandlungsverfahren typische Maß- und Formänderungsverhalten dargestellt werden.

1.1 Definitionen

In der Norm „Wärmebehandlung von Eisenwerkstoffen – Begriffe“ (DIN EN ISO 4885:2018-07) wird Verzug als „jede Änderung der Form oder der ursprünglichen Maße eines Eisenwerkstücks, die während einer Wärmebehandlung auftritt“, definiert. Die Begriffe Maß- und Formänderung hingegen sind nicht enthalten. Nach Einschätzung der Autoren kann aber eine Monographie, die sich mit dieser Thematik befasst, nicht auf eine Definition dieser Begriffe verzichten. Daher soll in dieser Arbeit unter „Maßänderung“ gemäß der DIN 17014 in der Ausgabe von 1975 „die Änderung der Maße eines Werkstückes ohne Formänderung“ verstanden werden. In Anlehnung an /Ber77/ soll unter Formänderung „die Veränderung von Winkelbeziehungen und Krümmungen am Bauteil“ verstanden werden. Der Begriff „Verzug“ soll hingegen rein umgangssprachlich verwendet werden, um anzudeuten, dass von Maß- und/oder Formänderungen die Rede ist. Dabei wird bewusst auf die in der DIN EN ISO 4885:2018-07 verwendeten Einschränkungen „Eisenwerkstück“ und „während einer Wärmebehandlung“ verzichtet.

Da in der Regel sowohl Änderungen in den Maßen als auch in Bezug auf Form, Richtung, Ort und Lauf auftreten, müssen die zugehörigen kennzeichnenden Größen ermittelt werden. Kriterien für die Beschreibung des Verzugs sind in DIN EN ISO 1101 zusammengefasst. Die Ermittlung der Geometrieelemente erfolgt durch geeignete Messvorschriften, die stark geometrieabhängig sind. Für die Innenbohrung von zylindrischen Ringen kann eine entsprechende Messvorschrift beispielsweise lauten:

Messe Kreise in verschiedenen Höhen. Ermittle einen mittleren Innenradius durch das Einpassen eines mittleren Zylinders unter Minimierung der Summe der Abweichungsquadrate zwischen Messung und dem Standardgeometrieelement Zylinder. Wiederhole diese Prozedur vor und nach der Wärmebehandlung. Die Differenz der Zylinderradien nach und vor der Wärmebehandlung ist dann die Änderung des Maßes „Innenradius“. Als Form kann in diesem Beispiel die Zylinderform herangezogen werden, dessen Toleranzzone durch zwei koaxiale Zylinder vom Abstand t begrenzt wird. Die Formänderung ergibt sich entsprechend aus der Differenz der Werte der Messungen nach und vor der Wärmebehandlung.

Bei der Ermittlung der Formabweichungen anhand der Kriterien nach DIN EN ISO 1101 ist zu beachten, dass die eigentliche Gestalt des Elementes nicht berücksichtigt wird. Dies kann zu Fehlinterpretationen des Verzugsverhaltens aus der Differenz der Formänderungen vor und nach der Wärmebehandlung führen, wenn der Verzug durch signifikante Änderungen der Gestalt bestimmt wird. Weiterführende Konzepte zur Analysen der Gestaltsänderung unter Berücksichtigung der Form und Richtung liegen vor /bspw. Sur08, Lüb12/.

1.2 Entstehung von Maß- und Formänderungen1

Als Ursache von Maß- und Formänderungen sind heute zwei Ursachen bekannt, die sich durch die Begriffe

 Volumenänderungen und

 Verformungen

Bild 1.1:

Ursachen für Maß- und Formänderungen

charakterisieren lassen (Bild 1.1). In den folgenden beiden Abschnitten werden die zugehörigen Zusammenhänge diskutiert.

1.2.1 Volumenänderungen

Volumenänderungen resultieren prinzipiell aus Dichte- und/oder Masseänderungen. Letzterer Fall tritt bei jeder thermochemischen Behandlung auf, da in deren Verlauf zusätzliche Atome in den oberflächennahen Bereich eingebracht werden. Natürlich tragen auch ungewollte Veränderungen wie bspw. eine Randschichtoxidation oder eine Entkohlung zu diesem Effekt bei. Diese gewollten oder ungewollten Randschichtmodifikationen führen neben der Masseänderung in der Regel auch zu Dichteänderungen.

Die Dichte wird aber auch durch Phasenumwandlungen und Ausscheidungsprozesse nachhaltig beeinflusst, die ihrerseits von der (lokalen) chemischen Zusammensetzung und dem prozessabhängigen Temperatur-Zeit-Pfad bestimmt werden. Weiterhin können Spannungen das Umwandlungsverhalten nachhaltig beeinflussen (bspw. /Ahr00/).

Bild 1.2 zeigt die Abhängigkeit der reziproken Dichte – dem spezifischen Volumen – vom Kohlenstoffgehalt /Lem59/. Diese Darstellung von Lement basiert auf röntgenographischen Messungen der Gitterkonstanten und enthält im Original eine Vielzahl weiterer Abschätzungen. An dieser Stelle wurde die Zahl der dargestellten Phasen bewusst begrenzt. So benötigt der Austenit das geringste Volumen pro Masseneinheit, er weist die höchste Dichte auf. Phasengemische aus Ferrit und Zementit und der Martensit benötigen mehr Volumen. Mit wachsendem Kohlenstoffgehalt steigt das spezifische Volumen für alle genannten Phasen näherungsweise linear an. Die Differenz zwischen den Geraden für Ferrit + Zementit und Martensit vergrößert sich dabei deutlich mit wachsendem C-Gehalt. Entsprechendes gilt für die Volumenänderung eines Bauteiles nach der martensitischen Härtung, das im Ausgangszustand aus Ferrit und Zementit bestand. Mit Hilfe von Bild 1.2 oder unter Verwendung der in /Lem59/ angegebenen Formeln können die resultierenden Volumenänderungen abgeschätzt werden.

Bild 1.2:

Der Einfluss des Gefügezustands auf das spezifische Volumen von Kohlenstoffstählen /Lem59/

Die Ursache für dieses Verhalten ist in der Atomanordnung im jeweiligen Elementargitter zu sehen. So sind die vier Atome/Elementarzelle im kubisch-flächenzentrierten Gitter des Austenits entsprechend dichter gepackt als die zwei Atome/Elementarzelle im kubisch-raumzentrierten Gitter.

1.2.1.1 Volumenänderungen durch Umwandlungen

Die im Detail ablaufenden Vorgänge bei der Erwärmung und Abkühlung können mit diesen Überlegungen natürlich nicht erfasst werden. Dafür ist der Einsatz eines Dilatometers hilfreich. Bild 1.3 zeigt einen vollständigen Wärmebehandlungszyklus für eine Probe aus 20MnCr5, die im Ausgangszustand FP-geglüht war. Die Umwandlung in Austenit zeigt die aus der Verringerung des spezifischen Volumens zu erwartende Verkürzung, während die Umwandlung zu Martensit mit einer Volumenvergrößerung einhergeht resultierende Längenänderung am Ende des Zyklus ist vergleichsweise gering, aber positiv und entspricht damit den in Bild 1.2 aufgezeigten Verhältnissen bei einem Kohlenstoffgehalt von 0,2 %.

Die Rückumwandlung von Austenit zu Martensit bringt drastisch größere Maßänderungen mit sich. Beispielhaft ist die Volumenänderung in Form einer Längenänderung in der in Bild 1.3 dargestellten Dilatometerkurve für einen 20MnCr5 zu sehen. Wertet man diese Kurve bei 50 °C aus, so stellt man in diesem Beispiel eine Längenzunahme von 0,9 % des martensitischen Gefüges verglichen zum ferritisch-perlitischen Ausgangszustand fest. Erkennbar sind auch die unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten von Ferrit-Perlit und Austenit.

Bild 1.3:

Längenänderungen beim Blindhärten des 20MnCr5 /Lüb12/

1.2.1.2 Volumenänderungen durch Ausscheidungen

Ausscheidungen verursachen kleinere Maßänderungen, die aber im Dilatometer noch gut nachweisbar sind. Bild 1.4 zeigt dies am Beispiel der Carbidausscheidungen beim ersten Anlassen des Stahls X155CrVMo12-1. Die Abweichung vom linearen Ausdehnungsverhalten bei ca. 260 °C ist auf diesen Vorgang zurückzuführen. Weiterhin sind die Bildung von kubischem Martensit und die erneute Martensitbildung am Ende der Abkühlung von Anlasstemperatur erkennbar.

Bild 1.4:

Längenänderungen beim ersten Anlassen des X155CrVMo12–1 nach einer Austenitisierung bei 1050 °C und Ölabschreckung /Lüb12/

1.2.2 Verformungen

Zur Verzugsentstehung beitragende Verformungen lassen sich in plastische und elastische Verformungen unterteilen. Die für die Maß- und Formänderungen infolge Wärmebehandlung relevanten elastischen Verformungen entstehen bei der Wärmebehandlung selbst und werden durch die Eigenspannungen des Bauteils hervorgerufen (s. Bild 1.1).

Jede Veränderung des am fertigen Bauteil vorliegenden Eigenspannungszustandes führt dann über plastische Verformungen unvermeidbar zu Änderungen in den elastischen Verformungen und damit zu Maß- und Formänderungen. Dies kann bspw. durch thermische oder mechanische Lasten im Einsatz des Bauteils erfolgen. Auch ein mechanischer Eingriff in das Spannungsgleichgewicht z.B. durch lokale Abtragprozesse führt zu Verformungen.

Zur Erzeugung von plastischen Verformungen sind Spannungen notwendig. Diese können mehrere Ursachen haben. Einerseits können es Wärme- und Umwandlungsspannungen sein, wie sie bei vielen Wärmebehandlungsprozessen aufgrund von thermischen bzw. thermischen und chemischen Gradienten entstehen. Diese werden im Detail im Abschnitt 1.3 diskutiert.

Andererseits können Lastspannungen zu Maß- und Formänderungen führen. Hier sei bspw. der Einsatz von Abschreckfixturen genannt, die zur gezielten Erzeugung von Richtkräften beim Abschrecken von bestimmten Bauteilgruppen wie bspw. Synchronringen, Schiebemuffen, Kupplungskörpern und Tellerrädern, eingesetzt werden /Hee99/. Aber auch durch Verspannen einer Gruppe von Führungsleisten werden Lastspannungen erzeugt, die die Einzelteile eines solchen Pakets in Form halten /Hub92/.

Nicht vergessen werden darf, dass das Eigengewicht des Bauteils als Lastspannung wirkt. Speziell für dünnwandige Teile können hier bei mangelnder mechanischer Unterstützung oder aber in Kombination mit Reibung zwischen Bauteil und Auflage, besonders bei mehrlagiger Chargierung, Lastspannungen in kritischer Höhe entstehen.

Letztendlich wirken Eigenspannungen, die aus den Prozessen vor der Wärmebehandlung stammen, genauso wie die oben erwähnten Eigenspannungen nach der Wärmebehandlung. Der Unterschied liegt darin, dass bei einer Wärmebehandlung die Temperaturen zwangsläufig höher sind als im Einsatz. Entsprechend können daraus deutlich größere Maß- und Formänderungen entstehen. Details zu diesem und dem vorangegangenen Aspekt werden in /Sur12/ am Beispiel der Produktion von Wälzlagerringen vorgestellt.

Aus den Spannungen können aber letztlich nur dann Maß- und Formänderungen resultieren, wenn sie zu plastischen Verformungen führen. Dies kann durch eine Überschreitung der Streckgrenze geschehen, durch Umwandlungsplastizität oder durch Kriechprozesse (Bild 1.1). Für jeden dieser Effekte ist die Ursache der Spannung unerheblich.

1.2.2.1 Plastische Deformationen durch Streckgrenzenüberschreitung

Beim erstgenannten Mechanismus bedarf es einer Mindestspannung, die größer als die lokale Streckgrenze ist. Diese Größe ist u.a. abhängig von der Temperatur (Bild 1.5, links). Bei niedrigen Temperaturen können vergleichsweise große Spannungen elastisch ertragen werden. Mit steigender Temperatur sinkt dieser Widerstand gegen eine plastische Deformation aber immer weiter ab, bis er bei üblichen Haltetemperaturen nur noch wenige zig MPa beträgt. Zudem tritt bei diesen Temperaturen nur noch eine geringe Verfestigung auf, so dass geringe Überschreitungen der Streckgrenze zu großen plastischen Deformationen führen können: 65 MPa reichen bei 700 °C aus, um eine plastische Deformation von 0,2 % zu erzeugen (Bild 1.5, rechts).

Bild 1.5:

Temperaturabhängigkeit der Streckgrenze des 100Cr6 im GKZ-geglühten Ausgangszustand (links) und zugehörige Spannungs-Dehnungskurven bei 20 und 700 °C gemessen mit einer Dehnrate von 40×10-4 1/s (rechts) /Lüb12/.

1.2.2.2 Plastische Deformationen durch Umwandlungsplastizität

Im Gegensatz zum gerade besprochenen Mechanismus benötigt die Umwandlungsplastizität keine Mindestspannung für plastische Deformationen. Das umwandlungsplastische Dehnungsinkrement ist proportional zum Spannungsdeviator (im einachsigen Lastfall proportional zur wirkenden Spannung) und tritt immer dann auf, wenn ein Umwandlungsprozess und eine Spannung zeitgleich auftreten /Bes93/. Dabei ist es gleichgültig, ob Austenit oder eine ferritische Phase gebildet wird. Die Proportionalitätskonstante zwischen der umwandlungsplastischen Dehnung und dem Spannungsdeviator hängt aber von der Art der Umwandlung ab /Dal06/.

In Bild 1.6 sind Dilatometerkurven für die Martensitbildung des 42CrMo4 dargestellt. Es zeigt sich, dass eine Spannung, die kurz vor Beginn der Umwandlung aufgebracht wird, die spannungsfreie Kurve deutlich verändert. Für die Martensitbildung beim 42CrMo4 ergab sich für die Proportionalitätskonstante ein Wert von 4,2×10-5 mm²/N. D.h. bei einer Spannung von 50 MPa resultiert in diesem Fall nach vollendeter Umwandlung eine umwandlungsplastische Deformation von 0,2 %.

Die Umwandlungsplastizität sorgt speziell bei zeiligem Gefüge für eine Anisotropie und Ortsabhängigkeit der Umwandlungsdehnung. Insbesondere beim Erwärmen von Bauteilen im FP-geglühten Zustand mit ausgeprägten Zeilen aus Ferrit und Perlit können durch diesen Effekt auf mesoskopischer Ebene deutliche Maß- und Formänderungen der Bauteile auf makroskopischer Ebene hervorgerufen werden. Details dazu werden in /Hun12, Ren12/ vorgestellt.

Bild 1.6:

Einfluss von Spannungen auf das Längenänderungsverhalten bei der martensitischen Umwandlung am Beispiel des Stahls 42CrMo4 /Bes95/

1.2.2.3 Plastische Deformationen durch Kriechen

Auch der dritte verzugsrelevante Plastizitätsmechanismus – das Kriechen – bedarf keiner Mindestspannung. Er wirkt speziell bei erhöhten Temperaturen und ist ein zeitabhängiger Effekt (s. Bild 1.7). Selbst bei einer sehr moderaten Spannung von 5 MPa resultiert bei einer beim Aufkohlen üblichen Temperatur von 940 °C bereits nach einer Stunde eine plastische Deformation von 0,2 %.

1.2.2.4 Relevanz der Mechanismen

 Die Umwandlungsplastizität ist sowohl beim Erwärmen als auch beim Abkühlen ein relevanter Verzugsmechanismus.

 Die Streckgrenzenüberschreitung ist primär beim Abschrecken von großer Bedeutung. Beim Erwärmen spielt sie dann eine Rolle, wenn sehr große Fertigungseigenspannungen im Teil vorliegen, die bereits bei geringen Temperaturen die Streckgrenze überschreiten.

 Das Kriechen spielt beim Abschrecken keine Rolle, da der für diesen Mechanismus notwendige Temperaturbereich recht schnell durchquert wird. Beim Erwärmen und Halten bzw. Aufkohlen hingegen darf dieser Mechanismus bei einer Bewertung möglicher Verzugsursachen nicht aus dem Auge verloren werden.

Bild 1.7:

Plastische Deformation durch Kriechen bei 940 °C am Beispiel des 20MCr5 /Lüb12/

Tasuta katkend on lõppenud.