Loe raamatut: «Cyber Courts»

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Karl-Heinz Ladeur

Cyber Courts

Private Rechtsprechung in den neuen Medien

Kollision von Öffentlichem und Privatem

Privates und Öffentliches waren auch in der Vergangenheit nicht einfach ein Gegensatzpaar. Ihr Verhältnis war geprägt von einer komplexen »Infrastruktur« in Form von sozialen und rechtlichen Normen sowie dazwischen vermittelnden »Kollisionsnormen«, die zum Teil explizit formuliert waren, zum Teil über die Praxis implizit kommuniziert wurden. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein ausdifferenziertes, auf die (klassischen) Medien bezogenes Äußerungsrecht zu den Grenzen der öffentlichen Kommunikation in Fallgruppen (Verdachtsberichterstattung, Verhältnis von Meinung und Tatsache, Satire, Übernahme von Äußerungen Dritter etc.) entwickelt. Daneben existierte allerdings im oralen Medium des »Gerüchts« die schon immer frei von rechtlichen Grenzen betriebene Verbreitung von Behauptungen und Bewertungen durch Personen.

Regeln zur Diskretion und zur Trennung von Persönlichem und Beruflichem beziehungsweise Persönlichem und Politischem wie auch die räumlich begrenzte und in unterschiedlichen Foren sich vollziehende Ausbreitung von Gerüchten, aber auch die Hypokrisie (der Beachtung und heimlichen Verletzung einer sozialen »Ehrenordnung« durch die Klatschkommunikation) sowie die Wahrung des »Scheins« als kulturelle Errungenschaft haben zu einem komplizierten Ineinandergreifen unterschiedlicher Koordinations-, Subordinations- und Abgrenzungsregeln geführt, das die Privatheit selbst zu einem sozialen und stets prekären Konstrukt gemacht hat.1 Gerade in dieses komplexe Konglomerat von sozialen und (sehr allgemein gefassten) rechtlichen Normen hat die Rechtsprechung nur vereinzelt durch Irritation von Selbstorganisation professioneller journalistischer Standards interveniert, um auf die Entwicklung solcher Standards hinzuwirken. Daran kann die Rechtsprechung in der Urteilspraxis wieder anknüpfen. Professionelle Standards in der Berichterstattung kommen durch den Effekt der Zentralisierung der Normbildung auch dem Rechtsschutz Dritter zugute.

Letztlich geht es dabei um die dem historischen Wandel unterliegende Institutionalisierung der Paradoxie des »Individuums der Gesellschaft« (Markus Schroer) nach gesellschaftlichen Normen. Beobachtung und (mündliche) Bewertung »privaten« Verhaltens in räumlich überschaubaren Gemeinschaften dienten der Bewährung und Bestätigung sozialer Normen.

Als soziales Konstrukt ist auch die Öffentlichkeit zu verstehen, die als solches in der Erzeugung und Reflexion kollektiver kultureller Erinnerung, dem Prozessieren von gemeinsamen Themen im Hinblick auf ein bestimmtes (staatliches) Entscheidungsforum, der öffentlichen Bildung durch die Schule, der Teilnahme an Vereinen, der Lektüre kanonisierter Schriften etc. ebenfalls ständigem Wandel unterlag. Über die komplexen und höchst differenzierten Formen der Institutionalisierung des Privaten und des Öffentlichen wird ein »kollektives Gedächtnis« (Maurice Halbwachs) generiert, das auf transsubjektiven unpersönlichen Regeln der »Wissensteilung« (Dan Wielsch) basiert.

Hybride Formen privat-öffentlicher Internetkommunikation

Es ist nicht ohne Weiteres ein Zeichen größerer Liberalität, wenn – wie in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beobachten – die Meinungsfreiheit ganz auf den freien Willen des einzelnen Individuums zurückgeführt wird und die funktionale Seite einer multidimensionalen Öffentlichkeit (common knowledge) und der Institutionalisierung des politischen oder gesellschaftlichen Konflikts dahinter zurücktritt.

Heute genießt das Private außerhalb einer Intimsphäre praktisch keinen Schutz mehr, auch nicht gegenüber rein expressiven Formen der Meinungsäußerung, die eigentlich außer Unmut, Ressentiment, Gedankenlosigkeit nichts mitteilen und damit selbst paradoxerweise eine private Äußerung darstellen. Im Internet gilt nicht einmal diese Einschränkung. Hier ist die differenzierte Architektur des Privaten weitgehend zusammengebrochen.

Es ist symptomatisch, dass zum Beispiel die American Civil Liberties Union (ACLU) selbst bei milden schulischen Sanktionen menschenverachtender Varianten des Cyberbullying (realistische Fotomontagen von Enthauptungen etc.) vor Gericht als »amicus curiae« (eine Art Streithelfer) immer auf der Seite des Urhebers gegen den »chilling effect« auf praktizierte Meinungsfreiheit kämpft – und fast immer mit Erfolg. Die Meinungsfreiheit scheint keinerlei institutionelle Einbettung, keine Schranken mehr zu ertragen. Offenbar gilt auch hier: »Alles muss raus!« Die »Bullies« sehen sich übrigens häufig selbst in ihrem Recht auf »Privacy« verletzt, wenn sie sanktioniert werden sollen. Hinter der Beschwörung von Privacy2 verbirgt sich dann nichts anderes als eine regressive Orientierung an der Peer Group. Psychoanalytiker beobachten das Schwinden der Autorität von Regeln, das des Realitätsprinzips zugunsten des Erlebens der »Gemeinschaft der Online-Brüder« (»communauté des frères branchés«3), die mit der Realität jenseits der Grenzen ihrer Gruppe nichts zu tun haben will.

Gerade die Schule ist im Zeitalter der »Gesellschaft der Netzwerke« und des Lehrer- und Schüler-Ratings ein Beispiel für die Hybridisierung von Öffentlichem und Privatem. Die sogenannte Schulöffentlichkeit könnte man mit Jonathan Zittrain4 in einer paradoxen Formulierung als »private Öffentlichkeit« bezeichnen, weil diese wiederum eng verknüpft ist mit den klassischen Institutionen der Privatheit wie der Familie und den Regeln für die Bildung des Einzelnen. Das Ausagieren von Aggressionen gegen öffentlich nicht bekannte Einzelpersonen erfolgt heute in privat-öffentlichen Internetforen, die praktisch für alle zugänglich sind.

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Žanrid ja sildid

Vanusepiirang:
0+
Objętość:
20 lk 2 illustratsiooni
ISBN:
9783867743679
Õiguste omanik:
Bookwire
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