Loe raamatut: «Bruder Tier», lehekülg 4

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Fisch oder Vogel?

Warum fühlen wir uns, wenn immer wir den Pinguinen begegnen, ein wenig über sie erhaben und drücken das in einem leisen Lächeln aus? Auch wenn wir an diese kleinen, sich aufrecht haltenden Tiere denken, empfinden wir eine Art tragikomischen Mitgefühls für sie. Ist es die Karikatur des Vogels, die uns veranlasst, den Pinguin zu belächeln? Er ist ein Vogel und ist wieder keiner; denn fliegen kann er nicht und die beiden Flügel sind verkümmerte Stummel, die gleich missgebildeten Armen mit Schuppenfedern bedeckt, hilflos auf und ab bewegt werden. Streckt der Pinguin diese Arme aus, dann wird es eine kümmerliche Geste; denn niemals – das sieht man ihnen an – könnten die Stummelglieder den runden Leib in die Luft hinaufheben. Dass dieser Vogel nicht fliegen kann, macht ihn aber nicht zur lächerlichen, sondern zur tragischen Gestalt.

Die Komik, die von ihm ausgeht, hat eine andere Wurzel. Liegt sie nicht dort, wo der Pinguin versucht den Menschen nachzuahmen? Statt zu fliegen, stellt er sich, wenn er an Land geht, aufrecht hin, fängt zu schnattern und zu schreien an und nimmt sich so wichtig, als wäre er wirklich jemand. So erscheint es uns; und deshalb verzieht sich unser Mund zum Lächeln. Es ist, als würde ein Fisch, dem die Bauchflossen zu Füßen geworden sind, an Land steigen und aufrecht dort herumstolzieren. Der Pinguin ist eigentlich ein zum Fisch umgewandelter Vogel. Sein Reich ist das Wasser; und dort ist er ganz zu Hause. In Brehms Tierleben heißt es:

Meist schwimmen sie unter Wasser etwa 30 m weit, dann springen sie, vermutlich um Luft zu holen, wie kleine Delphine bis 30 cm über die Oberfläche empor und verschwinden nach einem 60 bis 80 cm weiten Satz wieder im Wasser. Bei dieser Bewegungsart bedienen sie sich nur der Flügel; sie fliegen gleichsam im Wasser … Dabei bewegen sie sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit durch die Flut, nach Chun so rasch, dass sie den in Fahrt begriffenen Dampfer mit spielender Leichtigkeit überholen.5

Bei Gerlach lesen wir:

Mit ihren Flügeln können sie nicht mehr fliegen: dafür führen sie die Flugbewegung mit ihnen unter Wasser aus. Die Flossenflügel drehen sich in geschwinder und weiter Schwingung und machen bis zu zweihundert Schläge in der Minute. Die Pinguine sausen wie im Fluge unter Wasser dahin und legen zehn Meter in der Sekunde zurück.6

Sie können also leicht in zwei Minuten einen Kilometer und in einer Stunde 30 Kilometer schwimmend zurücklegen. Ist es dann zu verwundern, dass es noch immer nicht zu ergründen ist, wohin sie ziehen, wenn sie mit ihren herangewachsenen Jungen die Inseln verlassen und ins Meer hinein verschwinden? Vielleicht sind alle südlichen Meere bis zum Äquator hinauf ihr Lebensgebiet. Wir wissen es nicht; aber das Wasser ist ihre rechte Heimat.

Kommen sie an Land, um ihre Eier zu legen und auszubrüten, dann beginnen wir erst sie komisch zu finden. Denn nun nehmen sie, wie in der Rückerinnerung, das Vogelleben an; Männchen und Weibchen finden einander, bauen Nester, und ein ehrbares Familienleben beginnt. Aus einem ziehenden Jäger ist ein gesetzter Bürger geworden. Ein Fisch verwandelt sich in einen Vogel.

Durch den aufrechten Gang, die seltsame Zeichnung und Färbung des Federkleides, mit weißer, über den Bauch reichender Hemdbrust und schwarzem, frackähnlichem Rücken, wird diese Bürgerlichkeit noch deutlich unterstrichen. Dazu stehen sie zu Tausenden zusammen, schwätzen, schnattern, stoßen einander, nehmen sich gegenseitig die Steine, die sie zum Nestbau nötig haben, fort; rauben sich auch gelegentlich die Gattin und das wohlbehütete Ei, sind aber trotzdem gute Eheleute und treubesorgte Eltern. Diese heute schon genau beobachteten und ausführlich beschriebenen Eigenschaften machen den am Land weilenden Pinguin zur komischen Figur. Er muss ein Vogel sein und kann es doch nicht; denn es fehlen ihm die Flügel, und er ist deshalb an die Erde gebunden. Um diesen Mangel zu überkommen, versucht er menschenähnlich zu sein. Dieses Wagnis jedoch ist kläglich gescheitert. So lebt der Pinguin ein missglücktes Dasein, verurteilt dazu, die Hälfte des Jahres die Heimstatt der Meere zu verlassen, an Land zu steigen und eine Zwischenform darzustellen, sich seines einstmaligen Vogellebens zu erinnern und es zu wiederholen und gleichzeitig aufrecht wie ein Mensch herumzustehen und doch keiner sein zu können. Wer erinnerte sich da nicht an Fluch- und Zaubersprüche, die Menschen in Tierleiber hineinbannen oder Wesen dazu verurteilen, einen Teil ihres Daseins an Orten zu verbringen, die ihnen zur Qual werden? Wie Demeters Tochter einst ins Reich der Unterwelt beschieden wurde und nur für wenige Monate ans Licht kommen darf! Ähnliches liegt im Leben der Pinguine verborgen und wird mit der Maske der Unvollkommenheit und Komik verdeckt. Hat Kirke, die zaubermächtige Tochter des Helios, hier ihre Hand im Spiel gehabt?


Fluglose Vögel

Auf den Ufern und Inseln der Arktis gibt es keine Pinguine. Und doch hat bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts eine besondere Art von Vögeln dort gelebt, die den Pinguinen durchaus vergleichbar ist: der Riesenalk. Obwohl einem ganz anderen Zweig des ganzen Vogelgeschlechtes zugehörig, sind sie einer ähnlichen Umbildung unterworfen worden. Auch beim Riesenalk wurde der Flügel zu einer verkümmerten Gliedmaße und die Fähigkeit des Fliegens ging verloren. In der Größe war er den größeren Pinguinarten gleich; er maß etwa 80 cm. Auch er war aufrecht, hatte einen weißen Bauch und einen schwarzen Rücken. Seine nächsten Verwandten sind Tordalk und Trottellumme der nordischen Vogelfelsen. Er bewohnte in früheren Zeiten nicht nur die Inseln der nördlichen Meere, sondern seine Reste aus vorgeschichtlicher Zeit wurden an den Küsten Dänemarks, Irlands und sogar in südlichen Gebieten Nordamerikas gefunden.7 Die letzten lebenden Exemplare wurden noch um 1820 in und um Grönland gesichtet. Seither ist dieser Vogel – der ähnlich zahlreich gewesen sein muss, wie es heute noch der Pinguin ist – von der Erde verschwunden.8 Er war in geschichtlichen Zeiten auf Neufundland, Grönland und Island besonders häufig anzutreffen.

Alle Beobachter erwähnen, dass sie (die Riesenalken) mit hoch erhobenem Kopf, aber eingezogenem Nacken zu schwimmen pflegten und, beunruhigt, stets untertauchten. Auf den Felsen saßen sie gerade aufgerichtet, steiler als Lummen und Tordalken. Sie gingen oder liefen mit kleinen, kurzen Schritten aufrecht einher wie ein Mensch und tauchten bei Gefahr vier bis fünf Meter hinab in die See.9

Auch dieser Riesenalk brütete im Sommer und legte ein einziges Ei; über die Art und Zeit des Brütens bestehen nur Vermutungen. Jedenfalls waren im arktischen Gebiet ähnliche Lebensformen zur Entstehung gekommen, wie wir ihnen heute noch in den Pinguinen begegnen. Beide verloren ihr Vogeltum dadurch, dass sie das Fliegen aufgaben und das Schwimmen dafür erwarben. Riesenalken und Pinguine, wohl stammesgeschichtlich nicht verwandt, unterlagen der gleichen Bestimmung und mussten dem Fliegen entraten. Gibt es auch andere Vögel, die ein ähnliches Schicksal hatten? Wir kennen eine ganze Reihe, von denen einige noch leben, andere schon ausgestorben sind. Allen voran die Familie der Strauße. Ihre Flügel sind verkümmert und tragen so weiche Federn, dass sie zum Fliegen unbrauchbar sind. Dafür aber werden Hals und Beine kräftig entwickelt, und ein richtiger Strauß erreicht oft eine Höhe von über zwei Metern. Ähnliche Gestalt haben die australischen Emus, die südamerikanischen Nandus und die seit vielen hundert Jahren ausgestorbenen Moas aus Neuseeland. Die Letzteren erreichten eine Größe von dreieinhalb bis vier Meter, mit mächtigen Oberschenkeln und gewaltigen Hälsen. Dort lebt jetzt noch ganz vereinzelt und selten der flugunfähige Kiwi, der neuseeländische Schnepfenstrauß.

Alle diese Vögel haben ihr Flugvermögen eingebüßt. Sie haben dafür, mit Ausnahme der Kiwis, mächtige Beine und ellenlange Hälse entwickelt. Es ist, als hätten sie den Verlust der Flügel an diesen Stellen wettgemacht. Man denkt unmittelbar an Goethes Darlegungen in dem Gedicht über die «Metamorphose der Tiere»:

Doch im Innern scheint ein Geist gewaltig zu ringen,

Wie er durchbräche den Kreis, Willkür zu schaffen den Formen

Wie dem Wollen; doch was er beginnt, beginnt er vergebens.

Denn zwar drängt er sich vor, zu diesen Gliedern, zu jenen,

Stattet mächtig sie aus, jedoch schon darben dagegen

Andere Glieder, die Last des Übergewichtes vernichtet

Alles Schöne der Form und alle reine Bewegung.

Von den jungen Straußen und Kasuaren wird erzählt, wie anmutig sie sich noch bewegen. Je älter und größer die Tiere werden, je mehr «die Last des Übergewichtes» von Hals und Beinen hervortritt, umso gröber und plumper wird ihr Verhalten. Die Flügel und der Flug wurden von den Beinen und dem Laufen aufgezehrt. Um der Ausbildung der mächtigen Untergliedmaßen das Gleichgewicht zu halten, schob sich der Hals aus dem Leib heraus; und so entstand die jetzige Form. Diese Laufvögel leben (mit Ausnahme der Kiwis wieder und der in den Regenwäldern Nord-Guineas und Nordost-Australiens lebenden Kasuare) in der weiten Steppe. Sand, Sonne, kurzes Gras und Trockenheit sind ihre Umwelt. Die gewaltigen Madagaskar-Strauße (Aepyornithes) wurden, so meint Portmann, dadurch allmählich vernichtet, dass

die fortschreitende Rodung des lichten, savannenartigen Waldes vieler Teile von Madagaskar die Tierwelt dieser Wälder immer mehr in die sumpfigeren, unzugänglicheren Urwaldgebiete verdrängt habe. Und: Die Riesenstrauße fielen in diesen sumpfigen Waldungen den Krokodilen zum Opfer.10

Nicht nur das; das Lebensgebiet dieser Tiere war die Steppe und nicht der sumpfige Wald; deshalb starben sie dahin.

Bei allen diesen Vögeln überwogen die Kräfte der trockenen Erde. Sie dörrten ihren Leib aus, verfeinerten das Federkleid, schlissen es auf, und der Flieger wurde zum Läufer. (Beim Kiwi ging die Kraft der Flügel in den überlangen, gebogenen Schnabel hinein.) Es ist bezeichnend, dass diese Tiere hauptsächlich auf der südlichen Erdhälfte leben. Sind sie aber nicht die richtigen Gegensätze zu den Pinguinen? Beiden Gruppen wurden die Flügel vom Schicksal gestutzt. Bei den Letzteren aber wurden Hals und Beine nicht ausgestreckt, sondern eingezogen. Jedem Pinguin sitzt der Kopf direkt auf der Brust und die Füße ragen wie kurze, törichte Stummel unter dem Bauch hervor. Hier dörrte nicht die Luft den Leib aus; im Gegenteil: Die Feuchte und die Dunkelheit füllte den Körper so aus, dass Beine und Hals in ihm verschwanden. Diese Gestalt erinnert an Walfisch, Seehund und Delphine. Die Glieder werden zu flossenartigen Anhängseln, weil die Rundung der Leiber, vom Fett geformt, ballonartig aufquillt.

Im Norden sowohl als im Süden, wo Kälte, Dunkelheit und Wasser zu überwältigenden Kräften werden, entstehen Riesenalk und Pinguin als Gegenbild zu Strauß und Kasuar. Ist es uns heute noch möglich, das verborgene Rätsel in dieser Existenz zu erkennen?

Der Jahreskreislauf

In den letzten Jahrzehnten ist das Verhalten großer Pinguin-Kolonien sehr eingehend studiert worden. Dabei ergab sich, dass der Rhythmus des Kommens und Gehens für die einzelnen Arten verschieden ist. So kehren z. B. die von Kearton studierten Eselspinguine auf der Dassen-Insel, nördlich von Kapstadt, zweimal im Jahr ein, im März und im September; und beide Male kommt es zur Eiablage, zur Bebrütung und zum Auskriechen von Jungen. Diese Pinguine legen auch meistens zwei Eier, was im Gegensatz zu den anderen Arten steht, die gewöhnlich nur ein einziges Ei produzieren.

Die neuerdings von einer französischen Forschergruppe11 studierten Kaiserpinguine wählen gerade den antarktischen Winter, die mörderischste Jahreszeit, die es gibt, zur Brutpflege und Aufzucht der Jungen. Man kann hier kaum mehr von einem Instinkt sprechen, welcher der Erhaltung der Art zu dienen scheint. Die Männchen und Weibchen beginnen im April und Mai auf den Eishochflächen der Antarktis zu erscheinen. Die Zeit der völligen Polarnacht, die Periode der schlimmsten Orkane und der eisigsten Kälte wird ohne jegliche Nahrungsaufnahme, in rührender Hingabe an die eben geborenen Kleinsten hingebracht.

Die meisten anderen Arten brüten, soweit es uns bekannt ist, während des antarktischen Frühjahrs und Sommers. Es lässt sich daher kein einheitlicher Lebensrhythmus für das Pinguingeschlecht nachweisen. Die verschiedenen Arten haben ihre individuellen Perioden des Wanderns. Es ist aber zweifellos, dass das Auftauchen der Pinguine auf ihren Brutplätzen mit der Rückkehr aller anderen Zugvögel in die Heimat zu vergleichen ist. Das Brüten ist für die Pinguine die Zeit der Arbeit und des Wachens. Es ist Liebe, Geburt und Kampf, die sie in diesen Monaten durchleiden; und erst wenn sie wieder in die wässerigen Traumlande des Meeres zurückkehren, beginnt die Freude und das Spiel. Was für die Vögel unserer Regionen «der Süden», das ist für die Pinguine «das Meer». Sie sind Vögel, die nicht nur ins Wasser gefallen sind, sondern die sich das Wasser als ihr Paradies erkoren haben. Sie streben so nach dem Wasser, wie die anderen Vögel ihr fernes Traumland zu erreichen trachten. Auf dem Lande aber versuchen sie, obwohl sie nicht fliegen können, sich wie alle anderen Vögel zu verhalten. Sie zeigen vogelartige Gesten und Gebräuche der vorhochzeitlichen Zeit. Sie bauen die verschiedensten Nester, sind durch Jahre hindurch monogam und auf die Brutpflege besonders bedacht. Diese Vogel-Verhaltensweisen sind bei den Pinguinen noch gesteigert, oft sogar karikiert und ins Bizarre verzogen. Da sie aufrecht gehen, kommt es in der Werbe- und Brautzeit zu richtigen Kussszenen, bei denen das Paar die Schnäbel aneinanderreibt und auch die Köpfe aneinanderschmiegt. Das junge Männchen breitet oft die Flügelstummel aus und versucht, sein Weibchen zu umarmen. Dabei werden alle möglichen Laute, Schreie und bellende Töne ausgestoßen.

Der Nestbau wird von beiden Partnern gemeinsam durchgeführt. Erst arbeitet der eine, und wenn er müde ist, kommt der andere daran, bis nach Tagen das Gehege (meistens eine Vertiefung im Boden, die einer kleinen Höhle gleicht) fertig ist. Dann steigen nach getaner Arbeit Mann und Frau gemeinsam zum Strand herunter und haben dort ihr Bad und ihre Abendmahlzeit. Dann trifft man sich zu einer Plauderstunde mit seinen Bekannten, flaniert die Hauptstraßen entlang, um endlich ins neugebaute Haus zurückzukehren.

Das nach drei bis vier Wochen gelegte Ei wird mit Erstaunen und Freude begrüßt, und wieder sind es beide Eltern, die das Geschäft des Brütens abwechselnd miteinander besorgen. Es ist eine Zeit der Gefahr und Bedrohung. Räuberische Möwen lauern überall darauf, die kostbaren Eier zu stehlen und zu verspeisen. Nur etwa die Hälfte aller Küken kriechen aus, und auch diese werden in großer Zahl noch Opfer der Feinde und unwirtlichen Lebensbedingungen. Für die Kleinen der Kaiserpinguine gibt es kein Nest. Das Ei wird in einer Bauchfalte aufgehoben und ausgebrütet, und das Pinguinkind hockt durch Wochen auf den Füßen des Vaters, von dessen Bauch überwölbt, geschützt und gewärmt. Die Mutter ist fern, irgendwo in den Gewässern, um sich neue Kräfte anzuessen. Die Väter aber stehen zu Hunderten und Tausenden in der eisigen Polarnacht dicht aneinandergedrängt, um den vernichtenden Todesstürmen standzuhalten. Sie bilden ganze Trauben von Pinguinen, die sich gegenseitig das letzte Maß an Wärme, das ihnen geblieben ist, zuführen. Wenn die Jungen schlüpfen, kehren die Mütter vom Meer zurück, während die abgemagerten Väter jetzt dorthin gehen, um sich erneut Kräfte anzuessen. Am Boden dieser Vogel-Traube hocken die kleinen, fast federlosen Pinguinkinder und warten auf den Strahl der nach Wochen wiederkehrenden Sonne. Das Leben der Pinguine ist nicht nur Spiel und Lust. Wenn sie an Land sind, dann tragen sie ihr Vogelschicksal gleich einer schmerzlich lastenden Erinnerung mit sich, und Qual und Not sind ihr Teil.

Sie müssen einmal ihr Vogel-Dasein fortgeworfen haben, um ein anderes, ein besseres Leben vielleicht, zu erwerben. So tauchen sie ins Meer, müssen dafür aber ein- oder gar zweimal im Jahr ihrer Verzauberung entraten, um sich ihrer Vogel-Existenz schmerzlich zu erinnern. Kearton beschreibt, dass die einige Wochen alten Pinguine noch große Scheu vor dem Wasser hätten und nur mit der größten Mühe und Geduld der Eltern dazu gebracht werden, die ersten Tauch- und Schwimmversuche zu machen. Er fügt aber noch etwas hinzu:

Manchmal scheinen sie merkwürdigerweise das Gefühl zu haben, ihre Flossen wären Flügel und mit ein wenig Übung könnten sie sicher fliegen. Jedenfalls habe ich oft beobachten können, wie junge Vögel in deutlichem Bemühen mit den Flossen schlugen, als wären sie überzeugt, dass man es so machen müsste … Diese Versuche sieht man so häufig, dass es sich meiner Meinung nach nicht nur um Entspannung der Muskeln handeln kann. Vielleicht ist es ein Vermächtnis aus früheren Erdaltern … als die Pinguine wirklich fliegen konnten.12

Es ist sehr wahrscheinlich, dass das einmal wirklich der Fall war und dass eine Reihe von Ereignissen oder eines in der Erdvergangenheit den Verlust des Fliegens herbeigeführt hat. Nachdem der Pinguin nicht mehr fliegen konnte, schrumpften die Flügel und wurden zu Flossen, die ihm das Leben im Wasser ermöglichten.13 Die antarktischen Kräfte der Inselbildung, der Dunkelheit und der mächtigen Wasserwüsten trieben ihm den Leib auf, der Beine und Arme in sich hereinnahm. So wurde aus einem Vogel ein Fisch, der aber jährlich einmal ein Vogel sein muss, obwohl das schwer und mühsam ist. Das Geschlecht könnte nicht weiterleben, würde dieser jährliche Opfergang ans Land nicht angetreten.

Die beiden Höhepunkte des Pinguindaseins

Während dieser Periode an Land wird der Pinguin zur Menschenkarikatur. Er verfällt sogar einer regelmäßig auftretenden Erkrankung: Der Mauserung. Diese ist zwar ein Charakteristikum des gesamten Vogelgeschlechts, tritt aber meist nur bei Wasservögeln so auf, dass während einiger Wochen eine völlige Flugunsicherheit vorhanden ist. Schwäne, Enten und Gänse werfen alle Schwungfedern gleichzeitig ab. Sie verbergen sich im Dickicht der Ufer und Sümpfe, bis ihnen die Körperbedeckung, die ihnen das Fliegen zurückgibt, wieder nachgewachsen ist. Die meisten anderen Vögel mausern in einer weniger drastischen Form. Die alten Federn werden allmählich abgeworfen und schrittweise durch die neuen ersetzt. Die davon Ergriffenen schauen dann oft armselig aus, können aber fliegen und fressen.

Der Pinguin jedoch wird bei der Mauserang richtig krank. Er kann dann für mehrere Wochen keinerlei Nahrung zu sich nehmen. Denn wie andere Vögel das Fliegen, so verliert er durch den Wechsel des Federkleides die Fähigkeit zu schwimmen. Kearton erzählt, dass die Pinguine, die er beobachten konnte, regelmäßig im Dezember mausern. Sie spüren das Herankommen dieser Erkrankung; denn in den vorhergehenden Tagen fressen sie besonders viel, um ein wenig Vorrat zu haben:

Sie gleichen Weihnachtsmastgänsen … werden fetter und fetter, bis eines Tages das erste, unverkennbare Zeichen des Mauserns eintritt. Von diesem Augenblick an ist alles mindestens sechs Wochen lang grauestes Elend.14

Die Kraft zum Tauchen und Schwimmen ist verloren gegangen. Die Nahrungssuche hört auf, der Vogel verlässt seinen Nistplatz und kampiert irgendwo im Freien. Fleckenweise fallen über den ganzen Körper hin die Federn aus:

Tausende von Pinguinen kann man so auf einem dieser freien Plätze engversammelt stehen sehen und einer sieht immer kläglicher aus als der andere.

Die ganze Insel ist dann bald fußtief mit Federn bedeckt und dazwischen stehen die hungernden Jammergestalten.

Am Ende der Mauserkrankheit sind die Pinguine so mager geworden, dass sie zu leicht zum Tauchen sind. Und nun beginnen sie die Kiesel des Strandes zu verschlucken, um die nötige «Tauchschwere» zu erreichen:

Man kann sie nun die Küste entlang wandern und einen Kiesel nach dem anderen prüfen sehen, wobei sie manche liegen lassen (die wahrscheinlich zu groß sind oder nicht glatt genug, um sich schlucken zu lassen), während sie andere hinunterschlingen, bis sie genügend Ballast an Bord genommen zu haben glauben. (Kearton)

Jetzt fängt der Pinguin wieder an, ein Fisch zu werden. Er muss Steine essen, um das zu erreichen. Denn als Vogel, der er nach der Mauserung geworden ist, fehlt ihm die genügende Erdendichte, um ins Wasser tauchen zu können. Deshalb verschluckt er die Kiesel, verhärtet und beschwert sich und wird zum Wassertier. Die Zeit der Mauserung gab ihn, der dabei fasten und leiden musste, dem Vogelgeschlecht wieder zurück. Die harten Steine ziehen ihn hinein ins Wasser.

Fragt man nach den Höhepunkten des Pinguinlebens und nach den markanten Symptomen seiner Existenz, dann sind es zwei besondere Erlebnisse, die jedem Pinguin beschert sind. Das eine hängt wohl mit der eben beschriebenen Mauserung zusammen. Der Zustand der Not, des Unwohlseins und des Fastens gemahnen ihn an jene dunklen Zeiten, in welchen er sein Vogelsein vertan hat und zum Fisch geworden ist. Dafür ist ihm eine jährliche Buße auferlegt, die alle Wasservögel tragen müssen. Ist es nicht bemerkenswert, dass der Pinguin sich gerade dann nicht zurückzieht und im Dunkel seiner Nesthöhle diese Zeit übersteht? Er sucht die Gemeinschaft seiner Genossen, als spürte er, dass geteiltes Leid nur halbes Leid sei.

Bald darauf aber isst er Steine und tritt dadurch wieder in die «Pinguin-Sünde» ein, wird ein Fisch, beginnt zu träumen und zieht hinaus in die Wasser des Meeres.

Der andere Höhepunkt ist der Anblick des neu gelegten Eies. Alle Beobachter erzählen, mit welcher Erregung und welchem Erstaunen beide Eltern das Ei begrüßen; wie sie es hin- und herrollen und von allen Seiten betrachten und sich gar nicht genug daran tun können. Keimt in ihnen etwas herauf, das sich ahnend mit dem vergleichen lässt, was Rudolf Steiner einmal über die Gestalt des Eies geäußert hat? Er sagte:

Das Ei ist nichts anderes, als das wirkliche Abbild des Kosmos … und die Philosophen sollten nicht spekulieren, wie die drei Dimensionen des Raumes sind, denn wenn man nur richtig weiß, wo man hinzuschauen hat, so kann man überall die Weltenrätsel anschaulich dargestellt finden. Dass die eine Weltenachse länger ist als die beiden anderen, dafür ist ein anschaulicher Beweis das Hühnerei; seine Grenzen, die Eierschalen, sind ein wirkliches Bild unseres Raumes.15

Vielleicht wacht eine Ahnung dieses Wissens im Empfinden der Pinguin-Eltern auf. Sie erdämmern sich diese Anschauung. Dadurch aber entzündet sich in ihnen die Kraft, dieses Ei nun mit aller Hinneigung und instinktiver Pflege auszubrüten, da es ihnen dieses tiefe Erlebnis vermittelt hat. Obwohl sie so bedauernswert und lächerlich aussehen, verbirgt sich die Größe und Tragik allen Daseins unter diesem Narrenkleid. Sie sind schon Menschenvorfahren, die Pinguine, nur ist bei ihnen alles verzerrt und verschoben. Denn jede Tragödie hat auch ihr Satyrspiel; und so hat das Menschenwerden im Pinguindasein seine Clownerie.

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