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Loe raamatut: «Der Schut», lehekülg 23

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Nun sprach der Wirt von seinem längst gehegten Verdacht und brachte viele in der Umgegend geschehene Ereignisse mit demselben in Verbindung. Er machte das so gut, daß die Zuhörer sich wundern mußten, daß sie nicht auch so wie er gedacht hatten. Und als er endlich unser Eindringen in den Stollen und die Gefangennahme des Persers erzählte, konnte er vor Ausrufungen, die ihn unterbrachen, kaum zu Ende kommen.

Nur der Stareschin hatte wortlos bis zum Ende zugehört. Dann sagte er:

»Das beweist noch gar nichts! Der Perser wird den Schacht gesucht und zufälligerweise schnell gefunden haben. Er ist hinabgestiegen und auf euch getroffen. Da ihr ihm feindlich entgegentratet, hat er fliehen müssen, um sich vor euch zu retten. Also ist das, was ihr als seine Schuld auslegt, die eurige, und ich muß meinen Befehl . – «

»Schweig!« donnerte Halef ihn an. »Hat der Effendi dir jetzt erlaubt, zu sprechen? Es scheint mir ganz so, als ob du des Persers Spießgeselle seiest.«

Da trat ein Greis auf mich zu. Er verneigte sich höflich und sagte:

»Effendi, erzürne dich nicht über den Stareschin. Er ist einer der Geringsten des Ortes und hat das Amt nur erhalten, weil kein Anderer es mochte, denn es ist viel Störung dabei. Die Zahl meiner Jahre ist die höchste im Dorf, und alle diese Männer werden es bestätigen, daß ich auch der wohlhabendste bin. Ich wollte nicht Kiaja sein; aber jetzt, wo es sich um eine hochwichtige Angelegenheit handelt, werde ich die Stimme des Dorfes in den Mund nehmen und dir sagen, daß ich euch meinen Glauben und mein Vertrauen schenke. Ich werde jetzt hinausgehen, um der draußenstehenden Menge zu erzählen, was wir vernommen haben. Dann werden wir einige Männer wählen, welche du in den Stollen führst, um die Gefangenen zu befreien. Diese werden deine Aussagen bestätigen, und dann soll der Schut den Händen des Wali überliefert werden. Man hat Jahre hindurch getrachtet, ihn zu fangen. Nun er entdeckt ist, dürfen wir ihm nicht deshalb beistehen, weil er ein Einwohner unsers Ortes ist, sondern wir müssen die Schande, welche er über uns bringt, damit abwaschen, daß wir uns mit Abscheu von ihm wenden.«

Das war ein richtiges Wort zu rechter Zeit. Er ging hinaus. Wir hörten lange seine Stimme schallen; dann aber brach ein Lärm los, welcher mich zu der Befürchtung brachte, daß er gegen uns gerichtet sei. Aber ich hatte mich geirrt.

Als er dann zurückkehrte, wurden Diejenigen gewählt, welche mitgehen sollten. Es gab im ganzen fünf Kähne, die alle benutzt werden sollten.

Ich hatte Sorge, daß man während unserer Abwesenheit einen Versuch machen könne, den Schut zu befreien, darum fragte ich meine Gefährten, ob sie ihn bewachen wollten. Halef, Osko und Omar wollten aber unbedingt in den Stollen, und nur der Lord erklärte sich gern bereit zur Wache. Schließlich sagte mir der Wirt, daß er seinem Gesinde befehlen werde, niemand einzulassen. Das genügte. Der Schut wurde in eine Ecke gelegt, und der Engländer setzte sich bewaffnet zu ihm.

Draußen machte uns die Menge willig, ja beinahe ehrerbietig Platz. Da nur ein einziges Boot in dem Einfahrtsloch Platz hatte, ging das Ausschiffen sehr langsam vor sich. Jeder leere Kahn mußte zurückkehren, bevor ein besetzter ihm folgen konnte. Die zuerst Angekommenen mußten im Stollen auf die letzten warten. Der Khandschy, welcher die Einfahrt kannte, stieg aus einem Nachen in den andern, um den Steuermann zu machen, bis wir endlich alle beisammen waren, sechzehn Personen. Es gab eben sehr viele »Väter des Dorfes«.

Erwähnt muß werden, daß möglichst viele Laternen herbeigeschafft worden waren. Diese Leuchten der Nacht befanden sich ohne Ausnahmen in einem sehr traurigen Zustand. Die beste von ihnen hatte eine ganze und eine halbe Glasscheibe und war übrigens mit geöltem Papier verklebt. Lichter waren genug da, so daß jeder, der keine Laterne hatte, eine Talgkerze anzündete und in der Hand trug.

Ich schritt voran. Bevor wir die Spalte erreichten, sah ich mein Messer liegen. Ich hatte es also mit dem Revolver herausgerissen und steckte es nun wieder zu mir. Der über die Spalte führende Steg wurde, bevor die Andern ihn betraten, noch einmal sorgfältig untersucht, und endlich gelangten wir in den runden Raum. Noch stand die Türe offen, vor welcher ich gekniet hatte, als der Schut erschienen war. Jetzt rief uns die Stimme des Insassen entgegen:

»O Allah! Kommt ihr endlich wieder? Ich bin fast verzweifelt!«

»Du glaubst also jetzt, daß wir kamen, um dich zu retten?« fragte ich, mich wieder mit der Laterne zu ihm hineinbückend.

»Ja, denn ich vernahm es aus den Worten, welche von euch gesprochen wurden, als ihr dem Schut nachfolgtet. Dann verging eine so lange, lange Zeit, und ich mußte annehmen, daß ihr ihm zum Opfer gefallen wäret.«

»Wir haben ihn gefangen, und du wirst als Zeuge gegen ihn dienen.«

»Mein Zeugnis soll sein Verderben sein, auch das Verderben des Köhlers, welcher meinen Sohn ermordet hat.«

»So bist du also Stojko, der Besitzer des Goldfuchses?«

»Stojko ist mein Name. Woher kennst du mich?«

»Das wirst du nachher erfahren; jetzt müssen wir vor allem deine Füße aus den Ringen nehmen.«

Die Ringe bestanden aus zwei Hälften, welche unten durch ein Gelenk beweglich und oben mittels einer Schraube geschlossen waren. Der Schut hatte einen Schraubschlüssel bei sich gehabt, welchen er fallen ließ; wir suchten und fanden das Werkzeug. Als der Mann frei war und sich aufrichten wollte, vermochte er es nicht sogleich. Er hatte vierzehn Tage in derselben Lage zugebracht und mußte Zeit haben, die Glieder zu üben.

Er war eine hohe, ehrwürdige Gestalt. Jetzt freilich bot er keineswegs das Bild eines stolzen Skipetaren. Halef trat zu ihm, so daß die Lichter ihn beschienen, und fragte:

»Stojko, kennst du dieses Panzerhemd?«

»Allah! Es ist das meinige.«

»Wir haben es dem Köhler abgenommen, auch den Säbel, den Handschar und das Geld. Es befand sich in zwei Beuteln.«

»Es war mein Eigentum, wenn es nämlich achttausendsechshundert Piaster sind. Ich hatte dreißig silberne Medschidieh; das Uebrige bestand aus goldenen Pfund – und Halb-Pfund-Stücken.«

»Es ist gerettet, und du sollst alles wieder haben.«

»Was nützt mir das Geld, da mein Sohn nicht lebendig gemacht werden kann! Er ging, um sich die Blume seines Herzens zu holen, und wurde ermordet, ohne ihr Angesicht gesehen zu haben. Das Geld hatten wir bei uns, um Schafe zu kaufen, da über die Herden unserer Gegend ein großes Sterben gekommen war. Aber wie habt ihr die Untat des Köhlers entdecken und zugleich erfahren können, daß man mich zum Schut gebracht hat?«

»Wir werden es dir nachher erzählen,« antwortete ich. »Sage mir zunächst, ob du dich allein hier befindest.«

»Hier neben mir liegt Einer, welcher türkisch sprechen kann, aber doch auch ein Fremder sein muß, denn . – «

Er wurde durch ein heftiges Pochen unterbrochen, und hinter der nächsten Tür erscholl eine Stimme:

»Macht auf, macht auf!«

Wir schoben den Türriegel zurück und fanden den in derselben Weise wie Stojko in Ringe gelegten Gefangenen.

»Dem Himmel sei Dank!« rief er. »Endlich Rettung!«

»Warum waret Ihr bis jetzt still?«

»Ich habe alles gehört; aber ich glaubte nicht daran und hielt es für einen neuen Streich des Schut. Wie habe ich nach Befreiung geseufzt und gefleht, aber vergeblich!«

Es war Galingré, französischer Getreidehändler in Skutari. Er hatte nicht so lange wie Stojko in den Ringen gesteckt und konnte nach seiner Befreiung stehen und bald auch langsam gehen. Die andern beiden Gefängnislöcher waren leer.

Stojko und Galingré erzählten nun ihre Leidensgeschichte. Wer bisher noch gezweifelt hatte, daß Kara Nirwan der Schut sei, der mußte jetzt eine andere Meinung fassen. Der Anblick dieser beiden Mißhandelten empörte alle Anwesenden gegen den Verbrecher. Es wurden wilde Drohungen ausgestoßen, doch glaubte ich nicht an die Nachhaltigkeit dieser moralischen Entrüstung. Der Skipetar rächt nur das, was ihm selbst und den Gliedern seiner Familie oder seines Stammes geschehen ist. Hier aber handelte es sich um zwei fremde Menschen, an denen die Bewohner von Rugova kein wärmeres Interesse hatten. Auf ihre Hilfe durfte ich mich ja nicht allzu fest verlassen.

Zunächst galt es, die Oertlichkeit weiter zu untersuchen. Die schmale Türe, durch welche wir den Perser hatten kommen sehen, stand noch offen. Es handelte sich darum, zu sehen, wohin sie führte. Die abgebrannten Kerzen wurden durch neue ersetzt, und dann begannen wir die Untersuchung. Einige von den Dorfbewohnern blieben bei Galingré und Stojko zurück.

Durch die Türe gelangten wir in einen ziemlich hohen, aber schmalen Gang, dessen Wände aus Steinen gemauert waren. Er führte uns nach kurzer Zeit in ein viereckiges Gelaß, in welches zwei weitere Gänge mündeten. Eine Decke war nicht vorhanden; es stieg vielmehr eine Leiter empor, welche ähnlich gebaut war, wie die hölzernen Fahrten in unseren Schachten. Neben derselben hing eine ziemlich neue Schnur herab.

Welchen Zweck hatte diese Schnur?

Ich betrachtete sie sorgfältig. Sie war sehr dünn und von dunkler Farbe. Als ich sie zwischen den Fingern rieb, bröckelte ein feines, staubiges Pulver ab.

»Weg mit dem Licht!« rief ich dem Alten neben mir zu. »Das ist eine Zündschnur, welche nach oben in eine . – «

Ich kam nicht weiter. Der Mann hatte sich gebückt, um ganz unnötigerweise nachzusehen, ob der Faden bis zum Boden reiche, und war dabei demselben mit dem Licht zu nahe gekommen. Augenblicklich zuckte ein bläuliches Flämmchen über meine Finger hinweg, in denen ich die Schnur noch hielt.

»Zurück! Schnell zurück!« schrie ich schreckensbleich. »Es gibt eine Explosion!«

Die Dorfleute standen wie erstarrt. Meine drei Gefährten besaßen mehr Geistesgegenwart; sie verschwanden augenblicklich in dem Gang, durch welchen wir gekommen waren. Ich folgte ihnen, und nun rannten auch die Andern nach. Da ging es auch schon los, hinter und über uns.

Zuerst hörten wir einen dumpfen Krach. Die Wände des Ganges, in welchem wir vorwärts eilten, schienen zu wanken, und von der Decke fielen Steine herab. Dann folgte ein donnerartiges Rollen, von mehreren Schlägen unterbrochen, und endlich ein Knall, hoch über uns, bei welchem aber doch der Boden unter unsern Füßen zitterte. Wie verhallender Paukenwirbel tönte es noch eine Weile über uns fort; dann war es still. Wir befanden uns wieder in dem runden Raum, und keiner fehlte.

»Allah! Ne idi bu – Gott! Was war das?« fragte der Alte, welcher vor Schreck und Anstrengung keinen Atem fand.

»Ein Patlama (* Explosion.),« antwortete ich. »Du hast die Zündschnur angebrannt, und infolgedessen ist wohl der Schacht eingestürzt. Der Faden war mit Pulver eingerieben.«

»Das würde doch nicht brennen, da es feucht im Schacht ist. Sollte sich der Schut eines Fischek urumi (** Griechisches Feuerwerk.) bedient haben?«

»Das gibt es wohl nicht mehr.«

»Oh doch! Es sollen noch Leute das Geheimnis kennen, Feuer zu machen, welches selbst unter der Oberfläche des Wassers brennt. Allah sei Dank, daß wir mit dem Schreck davongekommen sind! Was tun wir nun?«

»Wir warten noch ein Weilchen und versuchen dann, ob es möglich ist, ohne Gefahr in den Schacht zu gelangen.«

Als einige Minuten verstrichen waren, ohne daß wir etwas weiteres gehört hatten, kehrte ich mit Halef in den Gang zurück. Viele Steine lagen auf dem Boden, ihrer wurden desto mehr, je weiter wir kamen. Die Wände hatten bedrohliche Risse; dennoch drangen wir behutsam vor, bis wir nicht weiter konnten. Wir hatten eine Stelle erreicht, an welcher der Gang vollständig verschüttet war, und kehrten nun wieder um. Warum sollten wir uns unnütz in Gefahr stürzen. Die Gefangenen waren befreit, und das Uebrige ging uns nichts an. Es blieb uns nur noch übrig, an die Oberwelt zurückzukehren.

Stojko mußte getragen werden, und auch Galingré beanspruchte unsere Unterstützung. Da sie der frischen Luft am meisten bedurften, sollten sie die Ersten sein, welche ausgeschifft würden. Am Wasser angekommen, hoben wir die Beiden in den Kahn. Ich stieg mit ein, um das Steuer zu nehmen, und der Khandschy folgte mit einem andern starken Mann, um zu rudern. Die Andern mußten warten, da ein zweites Boot erst Platz hatte, wenn wir hinausgefahren waren.

Als wir draußen anlangten und von den dort am Ufer stehenden Leuten gesehen wurden, erhoben dieselben ein lautes Geschrei. Viele von ihnen deuteten dabei nach der Felsenhöhe; Andere fragten, ob es uns gelungen sei, die Gesuchten zu finden, und als der Wirt diese Frage bejaht hatte, rannten sie in gleicher Richtung mit unserm Kahn am Ufer entlang, dem Dorf entgegen.

Die übrigen Kähne warteten im ruhigen Wasser auf uns. Der Wirt stieg mit dem andern Ruderer in ein anderes Boot über, um dasselbe nach dem Stollen zu bringen. Ich brauchte die Beiden nicht mehr, da der Kahn von dem Wasser getrieben wurde und es nur des Steuers bedurfte, ihn bei der Brücke landen zu lassen.

Dort wurden wir von den Leuten erwartet, welche sich so sehr beeilt hatten, daß sie uns zuvorgekommen waren.

Die beiden Befreiten wurden von ihnen aus dem Kahn genommen und im Triumph nach der Stube gebracht, in welcher der Engländer noch ebenso, wie wir ihn verlassen hatten, bei dem Schut saß.

»Da kommt Ihr, Master,« sagte er. »Hat sehr lange gedauert. Sind das die Beiden?«

»Ja, es sind Eure Schicksalsgenossen, mit denen Ihr im Schacht gesteckt habt.«

»Well! Sie mögen sich nun da den Kerl ansehen, dem sie das zu verdanken haben. Wahrscheinlich zahlen sie ihm eine Prämie dafür aus.«

Ich traute den Leuten trotz des Jubels nicht, mit welchem sie die Befreiten empfangen hatten. Damit sie sich nicht einmal durch Blicke mit dem Perser verständigen könnten, gestattete ich nur einem von ihnen, welcher Stojko führen mußte, uns in die Stube zu folgen. Galingré konnte die wenigen Schritte jetzt allein tun.

Es läßt sich denken, mit welchen Blicken und Worten sie ihren Peiniger begrüßten. Die Blicke sah er nicht, denn er hielt die Augen geschlossen, und die Worte beachtete er nicht. Es war, als ob der Haß dem ergrimmten Stojko die Gelenkigkeit seiner Füße zurückgegeben habe. Er riß sich von dem ihn unterstützenden Skipetaren los, eilte auf den Schut zu, versetzte ihm einen Fußtritt und rief:

»Ujuslu köpek – Hund, räudiger! Allah hat mich aus deiner Mördergrube entkommen lassen. Dafür aber ist nun deine Stunde da. Du sollst heulen unter den Qualen, welche ich dir bereiten werde!«

»Ja,« fiel Galingré ein, »er soll hundertfach büßen, was er an uns und an so vielen Andern begangen hat.«

Beide versetzten dem Regungslosen solche Fußtritte, daß ich ihnen Einhalt tun mußte:

»Laßt ihn! Er ist ja gar nicht wert, daß ihr ihn auch nur mit den Füßen berührt. Es gibt Andere, welche das Amt des Henkers übernehmen werden.«

»Andere?« rief Stojko, indem sein Auge grimmig aufleuchtete. »Was brauche ich Andere! Mir ist er verfallen, mir! Also will ich es auch selbst sein, der die Rache übernimmt!«

»Davon sprechen wir später. Er ist nicht dir allein, sondern ebenso jedem von uns verfallen. Begnüge dich jetzt daran, daß du gerettet bist. Siehe zu, daß du dich erholst. Laß dir Raki geben, um deine Füße einzureiben, denn ich denke, du wirst sie bald brauchen müssen.«

Und mich an den Mann wendend, welcher ihn geführt hatte, fügte ich bei:

»Warum zeigtet ihr, als ihr uns aus dem Stollen kommen sahet, nach der Felsenhöhe empor?«

»Weil da oben etwas passiert ist,« antwortete er. »Der Karaul muß eingestürzt sein; er ist nicht mehr zu sehen. Als wir bereits eine lange Zeit auf euch gewartet hatten, tat es einen entsetzlichen Krach da oben. Wir sahen Staub, Steine und Feuer fliegen. Einige rannten fort, am Fluß entlang bis dahin, von wo aus man den Turm sehen kann. Als sie zurückkehrten, sagten sie, daß er verschwunden sei.«

»Er ist wahrscheinlich zerstört, und mit ihm der Schacht. Der Schut hat eine Mine oder auch einige Minen angebracht, um den Zugang von oben nötigenfalls unmöglich zu machen. Einer von uns kam unvorsichtigerweise mit dem Licht der Zündschnur zu nahe, worauf die Explosion erfolgte.«

»So ist alles zerstört, und man kann nichts mehr von dem Innern des Berges sehen?«

»Diesen Vorteil hat der Schut doch nicht davongetragen. Nur der Schacht ist verstopft. Durch den Stollen aber kann man hinein. Es ist sehr leicht, die Marterkammern zu erreichen, in denen er seine Opfer quälte.«

Jetzt kamen allmählich alle »Ehrwürdigen des Ortes« wieder zusammen.

Wie mochte es dem Schut zu Mut sein! Dieser Mensch zuckte mit keiner Miene, nicht mit den Spitzen des Schnurrbartes. Er befolgte das Verhalten eines Käfers, welcher sich in der Nähe seiner Feinde tot stellt. Beim Käfer geschieht dies aus Todesangst; beim Menschen aber ist jedenfalls die Scham eine der Ursachen, und dies ließ mich von dem Schut nicht mehr gar so schlecht denken wie vorher. Freilich war es nicht das richtige Scham – und Ehrgefühl, welches ihm die Augen schloß.

Die Männer umringten und betrachteten ihn. Der ehrwürdige Alte fragte:

»Was ist mit ihm? Er bewegt sich nicht, und seine Augen sind geschlossen. Ist etwas mit ihm geschehen?«

»Jok, jok!« antwortete Halef schnell. »Nein, nein! Er schämt sich.«

Selbst diese laut und höhnisch gesprochenen Worte brachten keine Bewegung in den Mienen des Schut hervor.

»Er schämt sich? Das ist unmöglich! Schämen kann sich nur jemand, der etwas Lächerliches begangen hat. Die Taten dieses Mannes sind nicht lächerlich, sondern grauenhaft. Ein Teufel kann keine Scham empfinden. Er hat sich hier bei uns eingeschlichen und uns während langer Jahre getäuscht. Die letzten Tage und Stunden seines Lebens müssen ihm den Vorhof der Hölle bieten. Herr, du bist es, der ihm die Maskera (* Larve, Maske.) abgerissen hat; du sollst nun auch bestimmen, was mit ihm zu geschehen hat.«

Da drängte sich der Stareschin an uns heran und sagte:

»Du erlaubst wohl, daß ich dir darauf die Antwort gebe. Freilich sagtest du, ich hätte das Amt des Muchtahr (** Dorfschulze.) erhalten, weil kein Anderer es haben wollte; wir wollen auch gar nicht darüber streiten, ob dies wahr ist; aber da ich es nun einmal habe, so muß ich auch die Pflichten desselben erfüllen. Darum hat darüber, was jetzt mit Kara Nirwan geschehen soll, kein Anderer zu bestimmen, als nur ich allein. Wer mir das abspricht, der handelt gegen das Gesetz.«

»Deine Worte klingen gut,« meinte der Alte. »Wir wollen aber sehen, ob der Effendi damit zufrieden ist.«

»Ich werde zufrieden sein, wenn der Muchtahr nach dem Gesetze handelt, auf welches er sich stützt,« antwortete ich.

»Ich werde ganz genau nach demselben handeln,« versicherte der Genannte.

»Nun, so laß hören, was du beschlossen hast!«

»Zunächst müssen dem Perser die Fesseln abgenommen werden.«

»Ah! Warum?«

»Weil er als der Reichste und Vornehmste des Dorfes eine solche Behandlung nicht gewöhnt ist.«

»Diese Behandlung widerfährt ihm als Mörder und Räuber, nicht aber als dem angesehensten Mann von Rugova!«

»Es ist noch keineswegs erwiesen, daß er das getan hat, wessen du ihn beschuldigst.«

»Nicht? – Wirklich nicht?«

»Nein, denn daß ihr ihn in dem Schacht getroffen habt, das beweist gar nichts.«

»Aber hier stehen drei Zeugen, drei Männer, welche beschwören können, daß er sie eingekerkert hat!«

»So ist erst nach ihrem Schwur seine Schuld bewiesen; ich aber bin nur ein einfacher Muchtahr und darf ihnen diesen Schwur nicht abnehmen. Bis dahin hat der Perser als unschuldig zu gelten, und ich verlange, daß er von seinen Fesseln befreit wird.«

»Wann und vor wem das Zeugnis abgelegt werden muß, das ist mir ganz gleichgültig. Ich bin von seiner Schuld überzeugt. Uebrigens bist du als Muchtahr für alles, was auf deinem Gebiet geschieht, verantwortlich. Wenn du nicht weißt, wen die Schuld trifft, so werde ich dich selbst binden und zu dem Mutessarif nach Prisrendi schaffen lassen.«

»Herr!« rief er erschrocken.

»Ja, das werde ich tun! Ich will Sühne für die begangenen Verbrechen haben, und wenn du dich weigerst, dich des Schuldigen zu bemächtigen, so bist du mit ihm einverstanden und wirst als sein Genosse und Hehler behandelt werden. Du wirst bereits bemerkt haben, daß wir nicht mit uns spaßen lassen. Hüte dich also, meinen Verdacht zu erwecken!«

Er war verlegen geworden, denn ich hatte wohl das Richtige getroffen. Aber wenn er auch nicht ein Verbündeter des Schut war, so mußte er doch wohl der Ansicht sein, daß es ihm mehr Nutzen bringen werde, wenn er sich auf die Seite des reichen Persers lege. Von mir als Fremden hatte er gar nichts zu erwarten. Meine Drohung hatte aber doch ihre Wirkung nicht verfehlt, denn er fragte ziemlich kleinlaut:

»Nun, was forderst du denn, was geschehen soll?«

»Ich fordere, daß sofort ein Bote nach Prisrendi abgeschickt werde, um zu melden, der Schut sei gefangen. Dort befinden sich die Dragoner des Großherrn. Der Mutessarif mag schleunigst einen Offizier mit der nötigen Mannschaft senden, um den Gefangenen und dessen hiesige Mitschuldigen abholen zu lassen. Die Untersuchung muß in Prisrendi stattfinden.«

»Wie kommst du auf den Gedanken, daß der Schut hier Mitschuldige hat?«

»Ich vermute es mit großer Bestimmtheit; ich vermute sogar, daß du auch zu ihnen gehörst, und ich werde mich dir gegenüber danach verhalten.«

»Herr, diese Beleidigung muß ich mir auf das strengste verbitten! Wie sollen überhaupt diese Mitschuldigen entdeckt werden?«

»Das mußt du wissen als Vertreter der obersten Polizeigewalt in Rugova. Daß du eine solche Frage aussprechen kannst, ist ein sicherer Beweis, daß dir die Fähigkeiten abgehen, dein Amt richtig und gerecht zu verwalten. Auch das werde ich dem Mutessarif melden. Wenn der Muchtahr dieses Ortes seinen Pflichten nicht gewachsen ist; wenn er noch dazu, anstatt nach der Anklage zu handeln, den Beschuldigten verteidigt und beschützt, so darf er sich nicht wundern, daß ich nicht gewillt bin, ihm zu gehorchen. Ich verlange also einen zuverlässigen Boten. Wenn er jetzt fortreitet, so ist er in fünf oder sechs Stunden in Prisrendi. Während der Nacht können die Dragoner also hier eintreffen.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Einen Boten zu senden, ist verboten. Ich werde unter den hiesigen Bürgern einige Begleiter auswählen, welche Kara Nirwan und meinen Bericht nach Prisrendi schaffen werden.«

»So! Das ist allerliebst. Sie werden dir den Bericht sehr bald zurückbringen.«

»Wieso? – Warum?«

»Weil ihnen der Schut entsprungen ist, oder vielmehr weil sie ihn freigelassen haben. Nein, mein Lieber, so habe ich es nicht gemeint. Ich lese dir deine Gedanken von deinem Gesicht ab. Es geht ein Bote fort, und bis die Dragoner kommen, wird der Schut sich in sehr guter Verwahrung befinden.«

»Wer soll ihn bewachen? Doch ich und mein Khawaß?«

»Nein. Dieser Mühe sollt ihr überhoben sein. Wir selbst werden die Bewachung übernehmen. Du kannst ruhig heimkehren und deinen Kef halten. Ich werde sehr bald einen Ort finden, an welchem der Gefangene sicher unterzubringen ist.«

»Das dulde ich nicht!« sagte er trotzig.

»Oho! Sprich höflicher, sonst lasse ich dir die Bastonnade geben! Vergiß nicht, daß ich selbst mit dem Mutessarif sprechen und ihm erzählen werde, wie sehr du dich geweigert hast, der Gerechtigkeit zu dienen. Wir werden jetzt aufbrechen, um nach dem Khan des Kara Nirwan zu gehen. Sorge dafür, daß wir von dem draußen stehenden Volk nicht belästigt werden. Sollten mir diese Leute nicht die Hochachtung erweisen, welche ich zu fordern habe, so lasse ich dich in dein eigenes Gefängnis sperren und dir dabei die Fußsohlen peitschen, daß du monatelang nicht zu stehen vermagst!«

Ich sprach diese Drohung aus, um mich in Respekt zu setzen. Die Bevölkerung war dem Perser hold. Gaben wir nur ein kleines Zeichen von Schwäche, so konnte dies die schwersten Folgen nach sich ziehen. Aber meine Worte brachten die beabsichtigte Wirkung nicht hervor. Der Kiaja antwortete:

»Solche Worte hast du nicht zu sprechen! Ich habe nun genug von dir angehört. Wenn du noch eine solche Unhöflichkeit sagst, so bist du es, welcher Schläge bekommt!«

Er hatte kaum ausgesprochen, so flog ihm meine Peitsche vier-, fünfmal so um die Beine, daß er, laut schreiend, ebenso viele Male in die Höhe sprang. Zugleich wurde er von Osko und Omar gepackt. Halef zog auch seine Peitsche aus dem Gürtel und fragte:

»Sihdi, soll ich?«

»Ja, zunächst zehn tüchtige Hiebe auf die Schalwars. Wer euch daran hindern will, bekommt auch zehn.«

Bei diesen letzten Worten blickte ich drohend im Kreise umher. Keiner sagte ein Wort, obgleich sie einander fragend ansahen.

Osko und Omar hielten den Kiaja so fest auf dem Boden, daß sein Sträuben vergeblich war.

»Herr, Effendi, laß mich nicht schlagen!« rief er jetzt in bittendem Ton. »Ich weiß ja, daß ich dir gehorchen muß!«

»Weißt du das?«

»Ja, gewiß!«

»Und wirst du von jetzt an gehorchen?«

»Ich werde alles tun, was du von mir verlangst.«

»So will ich dir die zehn Hiebe erlassen, aber nicht etwa aus Rücksicht auf dich, sondern aus Achtung für die Männer, welche zugegen sind. Sie sind die Aeltesten des Ortes, und ihre Augen sollen nicht durch den Anblick der Peitsche beleidigt werden. Erhebe dich, und bitte mich um Verzeihung!«

Er wurde losgelassen, stand auf, verbeugte sich und sagte:

»Verzeihe mir, Effendi! Es wird nicht wieder geschehen.«

Dabei aber sah ich es seinem heimtückischen Blick an, daß er die erste Gelegenheit ergreifen würde, sich an mir zu rächen. Doch antwortete ich in mildem Ton:

»Ich hoffe es! Solltest du dieses Versprechen vergessen, so würde es zu deinem eigenen Nachteil sein. Also sorge dafür, daß wir nicht belästigt werden. Wir müssen aufbrechen – erst nach dem Hause des Schut und sodann nach dem Karaul, um die Verwüstung anzusehen, welche dort angerichtet worden ist «

»Effendi, da muß ich natürlich auch dabei sein; aber ich kann noch nicht so weit gehen,« sagte Stojko.

»So setzest du dich auf dein Pferd. Wir haben dir ja deinen Goldfuchs mitgebracht.«

»Ihr habt – — ?«

Er sprach nicht weiter. Sein Blick war hinaus auf den Platz gefallen, und ich bemerkte, daß sein Gesicht den Ausdruck freudiger Ueberraschung annahm. Er eilte an das Fenster und rief hinaus:

»Ranko! Kommt ihr, mich zu suchen? Hier bin ich! Herein, herein mit euch!«

Draußen hielten sechs bis an die Zähne bewaffnete Reiter auf prächtigen Pferden. Auf den Ruf ihres Stammesanführers drängten sie ihre Tiere durch die Menge, stiegen ab und kamen herein. Ohne zunächst auf etwas anderes zu achten, eilten sie auf Stojko zu, um denselben herzlichst zu begrüßen. Dann sagte der jüngste von ihnen im Ton größter Ueberraschung:

»Du bist hier in Rugova? Seid ihr nicht weiter gekommen? Was ist geschehen? Wo ist Ljubinko?«

»Frage nicht! Denn wenn ich dir antworte, so wird die Rache dir den Dolch in die Hand drücken.«

»Die Rache? Was sagst du? Wäre er tot?«

»Ja, tot, ermordet!«

Da trat der junge Mann einen Schritt zurück, riß das Messer aus dem Gürtel und rief:

»Ljubinko, den ich liebte, dein Sohn, der Sohn meines Vatersbruders wurde ermordet? Sage mir, wo der Mörder ist, daß meine Klinge ihn augenblicklich treffe! Ah, jener Mann hat seinen Panzer an – er ist der Mörder!«

»Halt!« gebot Stojko, den Zornigen, welcher sich auf Halef werfen wollte, am Arm fassend. »Tue diesem Mann nichts Böses, denn er ist mein Retter. Der Mörder ist nicht hier!«

»Wo denn? Sage es schnell, damit ich hinreite und ihn niederstoße!«

Dieser noch nicht ganz dreißigjährige junge Mann bot das Bild eines echten Skipetaren. Seine hohe, sehnige Gestalt war in roten, mit goldenen Tressen und Schnüren verzierten Stoff gekleidet. Die Füße steckten in Opanken, welche aus einem einzigen Stück Leder bestanden und mit silbernen Ketten um den untern Saum der Hosen festgehalten wurden. Sein farbloses Gesicht war scharf geschnitten. Die Oberlippe bedeckte ein starker Schnurrbart, dessen Spitzen er bis hinter die Ohren hätte ziehen können. Seine dunklen Augen hatten den Blick des Adlers. Wehe dem, über welchen der Racheruf dieses Mannes erschallte!

Stojko erzählte, was ihm geschehen war, hier und bei dem Köhler. Der junge Mann hörte schweigend zu. Wer nun einen Ausbruch seines Zornes erwartet hatte, der war im Irrtum. Er trat, als sein Oheim mit dem Bericht zu Ende war, zu mir, zu Halef, Osko, Omar und zu dem Engländer, reichte uns die Hand und sagte:

»Szluga pokoran – ich bin euer ergebener Diener. Erst der Dank und dann die Rache. Ihr habt die Mörder unschädlich gemacht und dann meinen Oheim befreit. Verlangt alles von mir, was mir möglich ist, ich werde es tun; aber verlangt nicht Gnade für diejenigen, welche unser Stahl treffen muß. Der Oheim war zwei volle Wochen fort und kehrte nicht wieder heim. Darum wurden wir besorgt um ihn und um Ljubinko. Wir brachen auf, um zu ihnen nach Batera zu reiten. Wir kamen über Prisrendi hierher und wollten über Fandina und Orossi weiter. Hier sollte ein Krug Milch getrunken werden. Da rief uns der Oheim herein. Wir werden nun nicht nach Batera reiten, sondern nach der Höhle des Köhlers. Er und seine Knechte, die Mörder, sollen mit uns heim nach Slokuczie, damit die Männer und Frauen unsers Stammes sehen, wie wir den Tod desjenigen rächen, den wir liebten und der einst unser Oberhaupt werden sollte.«

»Ja, wir werden nach dem Teufelsfelsen reiten,« stimmte sein Oheim bei. »Mein Sohn ist tot, und nun bist du der Erbe und hast als solcher die Pflicht, mir bei der Bestrafung der Bluttat beizustehen. Vorher aber müssen wir hier unseren Obliegenheiten nachkommen. Es ist gut, daß ihr bei uns eingetroffen seid; dadurch haben wir sechs tapfere Männer erhalten, welche den Wünschen des Effendi Nachdruck verleihen werden.«

Damit hatte er freilich vollkommen recht. Die Beihilfe von sechs solchen Männern kam mir sehr willkommen. Wir zählten mit Galingré jetzt dreizehn Mann, ein kleines Häuflein zwar, aber doch immerhin genug, um den Bewohnern des Ortes Respekt einzuflößen.

Der Kiaja war beim Erscheinen der sechs Skipetaren hinausgegangen. Wir hörten, daß er zu den draußen versammelten Leuten sprach; seine Worte aber konnten wir nicht verstehen, da er mit gedämpfter Stimme redete. Das kam mir verdächtig vor. Wenn er gerechte Sache hatte, konnte er laut sprechen. Ich teilte dieses Bedenken dem Alten mit, welcher sich so freiwillig auf unsere Seite gestellt hatte, und er ging hinaus, um eine etwaige Aufreizung der Leute zu verhindern.

Vanusepiirang:
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30 august 2016
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