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Loe raamatut: «Winnetou 4», lehekülg 18

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»Ah! So betrifft es meine Frau?«

»Ja! Natürlich! Eure Frau!«

»Gott sei Dank!«

Ich holte tief Atem. Der alte, brave Jäger sah so aus, als ob es sich wirklich um ein sehr böses, nie wieder gut zu machendes Ereignis handle. Vielleicht gar um ein Ereignis, durch welches unsere guten Pläne vernichtet würden. Darum hatte er mir, dem sonst so ruhigen, denn doch eine Art Schreck eingejagt. Nun er aber von dem Herzle sprach, war ich sofort beruhigt.

»Gott sei Dank?« fragte er. »Ihr habt Gott gar nicht zu danken!«

»Ist ihr ein Unglück geschehen?«

»Hm, wie man es nimmt! Vielleicht ihr nicht, aber Euch! Ihr werdet mit Händen und Füßen dreinschlagen!«

»Das glaube ich nicht.«

»Oho! Ich bin zwar niemals verheiratet gewesen, aber ich kann mir trotzdem denken, wie es einem zumute ist, wenn so etwas geschieht. Ich würde den Kerl zerreißen!«

»Welchen Kerl?«

»Welchen? Ihr ahnt also immer noch nichts?«

»Nichts! Rein gar nichts!«

»So muß ich es Euch sagen, wirklich sagen! Aber verspreche mir vorher, nicht umzufallen!«

»Gut! Also, ich falle nicht um!«

»Und nicht sofort zuzuschlagen, besonders auf mich!«

»Auch das; ich schlage nicht zu!«

»Well, so will ich es wagen. Also hört!«

Anstatt noch näher an mich heranzutreten, wie man es bei intimen Mitteilungen zuweilen zu machen pflegt, trat er zwei Schritte zurück und sagte:

»Sie ist Euch untreu!«

»Wer?«

»Welch eine Frage! Wer! Natürlich Eure Frau! Das Herzle, wie Ihr sie nennt, wenn Ihr deutsch mit ihr sprecht!«

»Gott sei Dank!« wiederholte ich. »Nun wird mir das Herz vollends leicht! Ich dachte wunder was für ein Unheil Ihr mir zu beichten hättet!«

»All devils! Mir bleibt der Verstand stehen! Ich sage diesem Mann da, daß ihm seine Frau untreu geworden ist, und da schreit er zum zweiten Male: ,Gott sei Dank!‘ Und da versichert er allen Ernstes, daß ihm das Herz vollends leicht geworden sei! Begreife, wer das kann! Ich nicht!«

Und wieder näher zu mir herantretend, fuhr er in sehr ernstem Ton fort:

»Auch ich habe sie lieb gehabt, sehr lieb, euer Herzle. Ich habe sie geachtet und verehrt. Ich habe sie für die beste, die liebste, die vernünftigste und die vortrefflichste Frau der ganzen Welt gehalten. Ich wäre für sie in das Feuer und in das Wasser gesprungen. Ich hätte für sie mein altes Leben gelassen, zehnmal, hundertmal und tausendmal! Das ist nun vorbei, vollständig vorbei! Es kann mir nicht einfallen, für sie auch nur in ein kleines Streichholzflämmchen oder in einen Kaffeelöffel voll Wasser zu springen. Sie ist es nicht wert, nicht wert! So einen Mann zu haben, so einen! Und ihm dennoch untreu zu werden! Und zwar mit was für einem, mit was für einem!«

»Wer ist denn dieser eine? Oder vielmehr dieser andere?«

»Erratet Ihr das nicht?«

»Nein.«

»Ja, begreiflich! Es ist auch wirklich gar nicht zu erraten. Wenn nur wenigstens ich es wäre! Oder irgendein anderer Weißer! Aber Euch um einer Rothaut willen untreu zu werden, das ist stark, das ist sogar noch stärker als stark! Das ist einfach niederträchtig!«

»Rothaut sagt Ihr? Der ,junge Adler‘ liegt noch dort an seiner Stelle; der Kiowa aber ist nicht mehr da; er ist fort. Ihr meint also den?«

»Ja, den! Eure Frau ist nämlich auch fort!«

»Ist das alles?«

»Nein, sondern es kommt noch viel, sehr viel dazu. Soll ich es Euch erzählen?«

»Ja, bitte!«

»Das kam so: Ich war wütend auf den Kerl, weil er gestern am Nachmittag so lange und so unausgesetzt mit ihr gesprochen hatte. Ich habe Euch schon gesagt, daß dies meinen Verdacht erregte. Ich nahm an, daß er Eure Frau aushorchen wollte, um uns alle dann an die Indianer da unten zu verraten. Ich beschloß, ihn zu beobachten, und ich tat es. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Am frühen Morgen erwachte er sehr zeitig. Eure Frau trat aus ihrem Zelt. Sie pflegt des Morgens und des Abends zu beten; das weiß ich nun. Sie tut das nie im Zelt, sondern stets unter freiem Himmel. Sie geht dabei zur Seite, damit man es nicht sehe. So auch heute. Als sie sich entfernt hatte, stand der Kiowa auf und folgte ihr. Das kam mir verdächtig vor. Ich ließ eine Zeit vergehen, und als weder sie noch er zurückkehrte, schlich ich mich ihnen nach. Was denkt Ihr, was ich sah?«

»Nun, was?«

»Sie saßen auf einem Stein!«

»Weiter nichts?«

»Nebeneinander!«

»Weiter nichts?«

Er sah mich verwundert an und fuhr in erhöhtem Ton fort: »In inniger Umarmung!«

»Weiter nichts?«

Da rief er mich an:

»Sie schnäbelten miteinander!«

»Weiter nichts?«

»Der Rote gab Eurem Herzle einen Kuß!« schrie er mir zu. »Weiter nichts?«

»Und Euer Herzle küßte ihn wieder!« brüllte er mir in das Gesicht.

»Weiter nichts? Weiter gar nichts?« fragte ich sehr freundlich und ruhig.

Da wich er von mir zurück, schlug die Hände zusammen und jammerte:

»Hab mir‘s gedacht – hab mir‘s gedacht! Nun ist das Unglück da! Wenn auch in anderer Gestalt als ich mir dachte! Er fällt nicht um, und er schlägt nicht zu; aber er ist verrückt geworden vor Schreck! Er ist übergeschnappt, vollständig übergeschnappt! Er sagt weiter nichts als weiter, immer weiter!«

»O, ich kann auch noch anderes sagen«, lachte ich. »Sitzen sie denn noch dort – auf dem Stein?«

»Ich hoffe es!«

»Was? Ihr hofft es?«

»Ja! Ich hoffe es sogar sehr! Um sie überführen zu können! Um sie mit Euch zu überraschen!«

»Das wollen wir tun!«

»Wirklich?«

»Ja, und zwar sofort!«

»So kommt! Ich führe Euch!«

»Wartet nur noch einen einzigen Augenblick! Ich muß Euch nämlich vorher sagen, daß ich mit diesem Kiowa nicht so streng verfahren werde, wie Ihr wahrscheinlich erwartet. Wir haben in den letzten Tagen verschiedene Male über die Kiowa gesprochen. Ihr wißt, was ich bei ihnen erlebte, als ich zum letzten Mal dort war?«

»Ja. Jedermann weiß es. Und Eure Frau hat es mir unterwegs noch einmal ganz ausführlich erzählt. Daß Ihr zu Tode geschunden werden solltet und nur durch die Tochter eines berühmten Kriegers, welcher ,Eine Feder‘ hieß, gerettet wurdet.«

»Richtig! Diese Tochter hieß Kakho-Oto. Ihr habe ich mein Leben zu verdanken.«

»Wollt Ihr um ihretwillen etwa diesem Kiowa verzeihen, der Euch um Eure Frau betrügt?«

»Ja.«

»Hört! Das geht nicht! Das wäre Schwäche, unverzeihliche Schwäche!«

»Das bestreite ich. Nun kommt!«

»So wollt Ihr wirklich nichts tun, wirklich gar nichts?«

»Gar nichts!«

»Auch Eurer Frau nicht?«

»Nein.«

Da fuhr er auf:

»Herr – – —! Mr. Burton! Ich muß Euch sagen, daß – daß – – – daß ich eine Bitte, eine sehr, sehr große Bitte habe.«

»Welche?«

»Erlaubt wenigstens mir, diesen roten Halunken bei der Parabel zu nehmen und ihm ein Dutzend Ohrfeigen herunter zu hauen!«

»Würde Euch das ein Vergnügen machen?«

»Ein großes, ein ganz unbändiges!«

»So tut es!«

»Ihr habt nichts dagegen?«

»Ganz und gar nichts. Schlagt zu, so viel und so kräftig lhr wollt!«

»So rufe nun jetzt ich: Gott sei Dank! Das sollen Ohrfeigen sein, wie es nicht gleich wieder welche gibt! Nun kommt! Schnell, schnell!«

Er schritt voran, und ich folgte. Er führte mich durch das Gebüsch nach einer kleinen Blöße, die er aber nicht sofort betrat, sondern er blieb zwischen den beiden letzten Sträuchern stehen, deutete hindurch und sagte leise:

»Da schaut! Dort sitzen sie noch! Wie gefällt Euch das?«

Das Herzle saß mit dem Kiowa auf einem niedrigen Felsstück, welches einen sehr bequemen Sitz bildete. Sie hatte den rechten Arm um seine Schulter geschlungen und hielt mit der linken Hand seine beiden Hände fest. Er war etwas kürzer als sie. Sein Kopf lehnte zärtlich an ihrer Seite. Pappermann sah mich an, als ob er einen gewaltigen Zornesausbruch erwarte. Ich lächelte aber. Das regte ihn auf.

»Ihr lacht?« fragte er, zwar leise, aber doch sehr eindringlich. »Ich frage Euch allen Ernstes, wie Ihr das findet?«

»Etwas intim, weiter nichts«, antwortete ich.

»Etwas intim – – —! Weiter nichts —!« wiederholte er. » Nun, ich finde es weit mehr als nur intim von diesem Halunken; ich finde es verbrecherisch! Und da Ihr mir gestattet habt, ihm ein Dutzend MauIschellen herunter zu hauen, so werde ich ihn keinen Augenblick länger, als nötig ist, darauf warten lassen! Also paßt auf! Es geht los! Sofort – sofort!«

Er drang zwischen den beiden Büschen durch und eilte auf die Gruppe zu. Ich folgte ihm mit derselben Schnelligkeit. Die beiden vermeintlichen Inkulpaten standen auf, sobald sie uns erblickten. Pappermann schien sein Rächeramt ausüben zu wollen, ohne dabei ein einziges Wort zu sagen. Er packte den Kiowa mit der Linken bei der Brust und holte mit der Rechten aus, um zuzuschlagen. Da griff ich rasch zu, hielt ihm diese Rechte fest und sagte:

»Halt, lieber Freund! Lassen wir ja keine der Vorschriften außer acht, die einem jeden Gentleman für solche Fälle gegeben sind!«

»Welche Vorschriften?« fragte er, indem er sich bemühte, mir seinen Arm zu entziehen.

»Wenn zwei Gentlemen die Absicht haben, einander zu beohrfeigen, so sind sie unbedingt verpflichtet, vorher sich einander vorzustellen!«

»Was heißt das, sich einander vorzustellen?«

»Einander zu sagen, wer und was sie sind.«

»Das ist hier unnötig, denn wir kennen uns ja schon. Dieser rote Halunke, den Ihr einen Gentleman nennt, weiß, daß ich Maksch Pappermann bin, und ich weiß, daß er kein Gentleman, sondern eben ein roter Schurke ist. Darum kann ich – – —.«

»Aber seinen Namen habt Ihr noch nicht beachtet. Dieser Gentleman ist nämlich eigentlich eine Lady und wird, solange ich es weiß, Kakho-Oto genannt. So! Nun schlagt zu!«

Ich gab ihm seinen Arm frei. Aber er bewegte ihn nicht. Er schaute mir wortlos in das Gesicht, als ob er verstummt sei.

»Ka-kho-O-to?« fragte er endlich wie geistesabwesend.

»Ja«, nickte ich.

»Kein – – Gentleman – – – sondern eine Lady!«

»Ganz so, wie ich sagte!«

»Also wohl gar die Tochter von ,Eine Feder‘, die Euch damals das Leben gerettet hat?«

»Ja, dieselbe!«

Da holte er tief, tief Atem, machte ein äußerst verzweifeltes Gesicht und rief aus:

»Alle guten Geister! Das kann nur mir passieren, mir, der ich Maksch Pappermann heiße! 0 dieser unglückselige Name, dieser unglückselige Name! Wo hat sich jemals, wenn irgendeiner einen anderen ohrfeigen wollte, herausgestellt, daß dieser andere eine Lady ist! Und nun ich so selig war, einmal so aus ganzem Herzen zuhauen zu können, muß das mir, grad mir passieren! Ich bin blamiert für alle Zeit! Sogar für alle Ewigkeit! Ich trete ab! Ich werde unsichtbar! Ich verschwinde!«

Er drehte sich um und rannte fort. Doch, an den Büschen angekommen, blieb er für einen Augenblick stehen und rief zurück:

»Aber, Mr. Burton, ein Freundschaftsstreich war das ganz und gar nicht von Euch!«

»Wieso?« fragte ich.

»Ihr hättet mir diese Blamage sehr wohl ersparen können! Brauchtet mir nur zu sagen, daß diese Lady kein Mann, sondern ein Frauenzimmer ist!«

»Euch dieses Geheimnis zu verraten, dazu war ich nicht befugt. Ich hatte Euch nicht verschwiegen, daß der

Kiowa Vertrauen verdient. Das war genug. Warum habt Ihr mir nicht geglaubt?«

»Weil ich ein Esel bin! Ein kompletter Esel! Mit allem möglichen,. was zu einem wirklichen Esel gehört! Ich Schaf!«

Nun verschwand er. Kakho-Oto stand mit gesenkten Augen vor mir. Ihre Wangen waren vor Verlegenheit tief gerötet. Ich zog sie an mich, küßte sie auf die Stirn und sagte in ihrer Muttersprache:

»Ich danke dir! Ich habe dein gedacht, bis ich dich wiedersah. Willst du uns Schwester sein? Uns beiden?«

»Wie gern! Dir und ihr!« antwortete sie. Dann eilte sie in tiefer Bewegung fort.

Das Herzle fragte mich zunächst, warum Pappermann ausgeholt habe, um zuzuschlagen. Einige Worte genügten, sie hierüber zu verständigen. Sie lachte herzlich. Dann bedankte sie sich bei mir dafür, daß ich ihr nicht mitgeteilt hatte, wer der Kiowa eigentlich sei. Hätte ich das getan, so wäre ihr die köstliche Überraschung des heutigen Morgens verloren gewesen. Dann kehrten wir zum Zelt zurück, wo ich ein kleines Feuer machte, an dem sie den Kaffee bereitete. Zu diesem stellten sich Pappermann und Kakho-Oto ein. Beide bemühten sich, möglichst gleichgültig zu erscheinen. Aber dem alten, braven Westmann ging der Pudel, den er geschossen hatte, doch zu nahe. Er betrachtete die Indianerin immerwährend von der Seite her. Als »Frauenzimmer« schien sie ihm ausnehmend zu gefallen. Plötzlich griff er nach ihrer Hand, zog sie an seine Lippen und knurrte reumütig:

»Und so etwas habe ich beohrfeigen wollen! Bin ich da nicht selbst Maulschellen wert?«

Damit war die Sache zwischen beiden abgemacht; sie wurden die besten Freunde.

Nach dem Frühstück wurde das Zelt abgebrochen. Wir sattelten die Stangen desselben lang anstatt quer, weil Kakho-Oto sagte, daß der Weg nach dem »Haus des Todes« ein sehr schmaler sei. Er führte zuweilen so steil bergab, daß wir bald nicht mehr reiten konnten, sondern absteigen mußten. Wir folgten einem schmalen, aber sehr reißenden Bach, welcher eine tiefe Schlucht gegraben hatte, die in zahlreichen Windungen zur Tiefe ging. Eine Aussicht gab es da nicht. So waren wir weit über eine halbe Stunde lang abwärts geklettert, da sahen wir plötzlich eine hohe, fast vollständig nackte Schutthalde vor uns liegen, die aber nicht aus gewöhnlichem, kleinem Schutt, sondern aus großen Felsstücken bestand, welche den Anschein hatten, als ob vor vielen Jahrhunderten hier ein gewaltiger Bergsturz stattgefunden habe.

»Wir sind beim ,Haus des Todes‘ angekommen«, sagte Kakho-Oto, indem sie auf diese Felsentrümmer deutete.

»Das ist es?« fragte ich. »So sind die Felsen hohl?«

»Ja. Sie sind nicht von oben herabgefallen, sondern künstlich aufgebaut. Kommt!«

Sie führte uns um eine Ecke der Felsenstätte, und da standen wir vor einem massiven, mehr breiten als hohen Tor, welches keine bogenförmige, sondern eine gerade Schließung hatte. Die beiden Seitensteine hatten eine Breite von über zwei Metern. Sie zeigten gut erhaltene Relieffiguren von Häuptlingen, welche im Begriff standen, durch das Tor in das Innere des Tempels zu treten. Die Häuptlinge waren charakterisiert durch ein, zwei oder drei Adlerfedern, die sie im Kopfhaar trugen. Auch der Oberstein war mehrere Meter hoch. Er zeigte die Figur eines Beratungsaltars, auf welchem Häuptlinge ihre ,Medizinen‘ opferten.

»Aber das ist ja gar kein ,Haus des Todes‘, gar keine Begräbnisstätte sagte ich, »sondern ein Beratungstempel in dessen Altar die Medizinen aufbewahrt werden, bis das, was man beraten hat, ausgeführt worden ist!«

Kakho-Oto lächelte

»Das weiß ich wohl«, sagte sie, »aber wir dürfen das dem gewöhnlichen Volk nicht sagen, sonst würde die Stätte nicht so heilig gehalten, wie die Häuptlinge es wünschen. übrigens gibt es so viele Leichen hier, daß der Ausdruck ,Haus des Todes‘ gar wohl auch berechtigt ist. Gehen wir sogleich hinein?«

»Wie weit ist es von hier bis zum See?«

»Bis zum Wasser nur zweihundert Schritte.«

»So müssen wir vorsichtig sein. Es kommen nicht nur einheimische, sondern auch fremde Indianer her, welche das Verbot, diesen Ort hier zu betreten, wohl kaum beachten werden. Wir müssen also vor allen Dingen unsere Pferde verbergen und uns Mühe geben, keine Spuren zu verursachen. Erst wenn das geschehen ist, betreten wir den Tempel. Suchen wir also nach einer Stelle, die sich zum Versteck für uns und die Pferde eignet!«

»Die ist bereits gefunden«, sagte Kakho-Oto. »Ich habe gesucht, noch ehe ich den See verließ, um euch entgegenzureiten. Kommt!«

Sie führte uns eine kurze Strecke zurück und dann in eine Seitenschlucht hinein, aus welcher wieder eine dritte Vertiefung abzweigte, die grad groß genug war, sich für unsere Zwecke ganz vortrefflich zu eignen. Es gab da Wasser und Grünfutter mehr als genug. Wir sattelten ab, hobbelten die Pferde und die Maultiere an und gaben ihnen unsern alten Pappermann als Wächter. Er war ganz damit einverstanden, nicht »überall mit herumkriechen zu müssen«; so drückte er sich aus. Wir andern aber kehrten nach dem »Haus des Todes« zurück.

Dort wieder angekommen, schritten wir zunächst die Umgebung ab. Es war die Spur weder eines Menschen noch eines Tieres zu sehen. Wir verwischten mit Hilfe von Zweigen unsere Fährte sofort hinter uns her. Als wir vorhin von der Höhe unseres gestrigen Lagers herabkamen, waren wir an die Rückseite des Baues gelangt. An dieser Seite befand sich, wie bereits beschrieben, das Tor. Dies war hinter Büschen und Bäumen derart verborgen gewesen, daß kein Mensch geahnt hätte, daß hier ein Tempel stehe. Erst als zufällig ein verlassenes, aber nicht ausgelöschtes Lagerfeuer weiter um sich gefressen und das Gebüsch zerstört hatte, war das Tor sichtbar und das Geheimnis verraten worden. Man sah die Spuren des Feuers noch jetzt am verräucherten Gestein. Als wir von der Hinter- nach der Vorderseite des vermeintlichen natürlichen Felsensturzes gelangten, sahen wir das Wasser des Sees in der bereits angegebenen Entfernung vor uns liegen. Die an- und übereinandergehäuften Quader und Steinbrocken waren also vom See aus sehr deutlich und auch weithin zu sehen, machten aber einen so natürlichen Eindruck, daß gewiß kein Mensch von selbst auf den Gedanken gekommen wäre, daß es sich um ein künstliches Bauwerk handle. Der Felsenabsturz war so steil und derart angeordnet, daß man ihn unmöglich ersteigen konnte. Nur in den Winkeln, wo sich im Lauf der Zeit der Staub der Lüfte angesammelt hatte, gab es ein wenig Grün, sonst aber war alles nur glatter, lebloser Stein.

Hierauf konnten wir zur Betrachtung des Innern gehen. Durch das Tor eingetreten, befanden wir uns in einem nicht allzu weiten, aber sehr hohen Raum, dessen Bau ein ganz eigentümlicher war. Man denke sich einen auseinandergeschnittenen, also halben Zuckerhut, der mit seiner geraden, senkrechten Schnittfläche am Felsen lehnt, während seine gebogene, halbkegelförmige Wand von den Felsenstücken gebildet wurde, aus denen der vermeintliche Bergsturz bestand. Diese Wand ging also nicht senkrecht, sondern schief nach innen empor. Sie bildete keine glatte Fläche, sondern ihre riesigen Quader lagen derart neben- und übereinander, daß immer auf einen vorstehenden ein zurückliegender folgte. Hierdurch wurden Nischen gebildet, die zur Aufbewahrung von Mumien, Skeletten oder einzelnen Knochenteilen dienten.

Am Boden, genau auf der Mitte desselben, stand ein steinerner Altar. Er besaß, wie wir erst später bemerkten, im Innern eine Höhlung, auf welcher eine schwere, glatte Platte lag. Die Seitenflächen dieses Altars zeigten vierundzwanzig Relieffiguren, nämlich zwölf Adlerfedern und zwölf festgeschlossene Hände. Es wechselte je eine Hand mit einer Feder ab. Die geschlossene Hand ist das Zeichen der Verschwiegenheit. Die Figuren sagten also, daß nur Häuptlinge sich diesem Altar nahen durften und daß über alles, was da beraten und vorgenommen wurde, die Geheimhaltung zu beobachten sei. Die Platte sah in ihrer Mitte schwarz aus. Es hatte bei jeder Beratung ein Feuer auf ihr gebrannt. Besondere Sitze, wenn auch nur aus Stein, sah man nirgends.

Die Beleuchtung dieses fremdartigen Raumes war, fast möchte ich sagen, eine magische. Es herrschte, genau abgemessen, ein Zweidritteldunkel. Das wenige Licht, was es gab, kam durch die Quadermauer. Man hatte von Stelle zu Stelle in ihr einen Quader ausgelassen, so daß entstanden waren, durch welche der Schein des Tages Zutritt finden konnte. Aber die Mauer war außerordentlich dick, so daß eine jede dieser Oeffnungen schon mehr einen tiefen Gang nach außen bildete, dessen Ende von unten aus nicht zu ersehen war. Zudem waren die Oeffnungen von draußen sehr fürsorglich verkleidet worden, damit man sie nicht etwa vom See aus bemerken möge. Es ging also von dem hereinbrechenden Lichte der größte Teil verloren, noch ehe es das Innere des Tempels erreichte. Ich habe eine ähnliche geheimnisvolle Beleuchtung in einigen ägyptischen Königsgräbern gefunden, die allerdings sehr niedrig sind. Dieser Tempel am »See des Todes« hatte aber eine solche Höhe, daß die Wirkung sich unendlich steigerte. In jeder Nische eine dunkle, hockende Mumie, die kaum zu erkennen war, oder ein helleres Skelett in kauender Stellung, oder eine Sortierung von Schädeln, Arm- oder Beinknochen, die keinen Zusammenhang besaßen. Das alles Ueberreste einstiger Existenzen! Denn über jeder Nische war eine Adlerfeder eingehauen, zum Zeichen, daß diese Körperteile einst Häuptlingen gehörten.

Die Luft, in der wir uns befanden, war gut, denn die Oeffnungen waren zahlreich. Sie gingen bis hinauf an die Spitze. Es war also genug Zusammenhang mit der äußeren Atmosphäre vorhanden. Und, was mir besonders als wichtig erschien, man konnte von Oeffnung zu Oeffnung, also, um mich so auszudrücken, von Fenster zu Fenster gelangen. Oder vielmehr, man hatte das früher gekonnt, denn es führten von Fenster zu Fenster und von Nische zu Nische freie, aus der Mauer ragende Stufensteine empor, die bis zum Boden hinabgereicht hatten. Jetzt aber fehlten die untersten dieser Stufen. Man hatte sie abgehauen. Daß dies erst vor kurzer Zeit geschehen war, sah man an der zurückgebliebenen Fläche, die von ihrer dunkleren Umgebung hell abstach.

»Schade, daß diese Stufen jetzt nun fehlen‘ , sagte das Herzle.

»Warum?« fragte ich.

»Weil ich gern da einmal hinauf möchte.«

»Klettergemse!« scherzte ich.

Sie klettert nämlich gern. Ich muß bei Gebirgswanderungen sie immer besonders abhalten, gefährliche Stellen zu betreten.

»Tyrannisiere mich nicht!« antwortete sie. »Ich kenne dich genau; niemand wünscht so sehnlichst wie du, da hinaufzusteigen. Du mußt in alle Nischen gucken. Und du mußt durch jedes Fenster hinausteigen, um zu wissen, was draußen zu sehen ist. Willst du das leugnen?«

»Nein. Zwar, daß ich in jede Nische gucken will, ist übertrieben. Aber daß ich unbedingt einmal zu irgendeinem Fenster hinaussteige, dazu fühle ich mich geradezu verpflichtet. Es ist unerläßlich, von da oben aus Umschau zu halten. Ich muß wissen, wie weit man von da aus den See überschaut. Vielleicht sieht man von hier oben aus etwas, was man sonst nicht sehen würde.«

»Aber wie kommst du bis da hinauf, wo die Stufen beginnen?«

»Sehr einfach: Wir bauen eine Leiter.«

»Sehr richtig, sehr richtig!« spendete sie mir Beifall. »Wir bauen eine Leiter, und zwar sofort. Komm, schnell!«

Wir gingen hinaus. Ich fand sehr leicht zwei lang aufgeschossene Stangenhölzer und schnitt die nötigen Quersprossen dazu. Riemen waren genug da. Bald war die Leiter fertig. Wir gingen wieder hinein, legten sie an und stiegen hinauf. Sie reichte grad bis zu der niedersten der noch vorhandenen Stufen. Von dieser aus stiegen wir weiter nach oben, ohne Geländer, auf frei aus der Mauer ragenden Steinen, die als Stufen galten. Das war nicht ungefährlich. Ein jeder dieser Steine mußte geprüft werden, bevor man sich ihm anvertraute. So kamen wir an vielen Nischen vorüber, deren Inhalt wir untersuchten.

Ich sehe davon ab, diese Mumien und Skelette zu beschreiben. Ich liebe es nicht, als Schriftsteller zu gelten, der seine Erfolge im Sensationellen, Blutigen oder Schaudererweckenden sucht.

Als wir hoch genug gekommen waren, stiegen wir in eine der obersten Fensteröffnungen. Sie war so groß, daß wir aufrecht in ihr stehen konnten, ja sogar noch bedeutend größer. Sie glich einem Gang. Wir hatten neun Schritte zu tun, ehe wir aus ihr in das Freie traten. Da standen wir hoch oben auf dem künstlich aufgeführten Bergsturz und überschauten einen großen Teil des Sees. Aber wir waren vorsichtig; wir blieben nicht aufrecht, sondern wir setzten uns. Wie leicht konnte ein Kiowa oder ein Komantsche in der Nähe sein, der uns sofort bemerken mußte, wenn wir so gedankenlos waren, uns in ganzer Figur zu zeigen. Und richtig! Es war nicht nur einer da, sondern wir sahen viele, sogar sehr viele. Sie ritten zweihundert Schritte entfernt am Ufer des Sees an uns vorüber, langsam, müd und still, im Gänsemarsch, immer einer hinter dem andern.

»Das sind die Sioux des alten Kiktahan Schonka«, sagte ich. »Die Utahs sind entweder schon vorüber, oder sie kommen erst hinter ihnen her.«

»So sind wir gerade zur rechten Zeit gekommen«, sagte das Herzle. »Nun gibt es wohl Gefahr?«

»Für sie, ja, aber nicht für uns«, antwortete ich.

Der ,junge Adler‘ war still; aber Kakho-Oto meinte:

»So muß ich euch verlassen. Werdet ihr mir aber vertrauen? Werdet ihr mir zutrauen, daß ich nichts tue, was euch schaden könnte?«

»Wir glauben an dich«, antwortete ich ihr in ihrer Muttersprache. »Wann dürfen wir dich wieder erwarten?«

»Das weiß ich nicht. Ich gehe, um zu beobachten, was geschieht, um es euch dann zu sagen. Habe ich euch nichts zu berichten, so komme ich nicht. Erfahre ich aber Wichtiges, so kehre ich sehr schnell zurück. Wo treffe ich euch?«

»Da, wo du willst.«

»So bitte ich dich, möglichst dort, wo jetzt die Pferde stehen, zu bleiben. Begib dich nicht unnötig in Gefahr! Unternimm es vor allen Dingen nicht, uns zu beschleichen! Ich wache für euch. Meine Augen sind eure Augen! Ihr werdet alles erfahren, was ich selbst erfahren kann.«

Ich versprach, ihr diesen Wunsch zu erfüllen; dann entfernte sie sich. Wir aber blieben noch hier oben, um die vorüberziehenden Roten zu beobachten. Es dauerte lange Zeit, ehe die Sioux passiert waren. Dann kamen die Utahs. Es tat mir innerlich wehe, diese kurzsichtigen, haßerfüllten Leute so daherschleichen zu sehen.

»Wer wird gewinnen?« fragte das Herzle; »sie oder wir?«

»Wir!« antwortete ich zuversichtlich. »Siehst du nicht ganz deutlich, daß es nicht unser Verderben ist, welches da an uns vorüberzieht, sondern unser Sieg?«

»Woran soll ich das merken?«

»An ihrer Langsamkeit, ihrer Haltung, ihrer Gleichgültigkeit und, vor allen Dingen, an ihren leeren Futterbeuteln und Satteltaschen?«

»Wieso?«

Auch der ,junge Adler‘ sah mich fragend an

Ich fuhr fort: »Sie haben keinen Proviant, weder für sich, noch für ihre Pferde.«

»Den bekommen sie doch jedenfalls von ihren jetzigen Verbündeten, den Kiowas und Komantschen.«

»Das ändert nichts, denn das ist nur für einstweilen. Diese alten Indianer sind leichtsinniger, viel leichtsinniger, als früher die jungen jemals waren. Sie denken nur an die Vergangenheit und sind unfähig, die Gegenwart zu begreifen. Zog man früher in den Krieg, so tat man das in einzelnen Trupps, nicht aber gleich in der Stärke von tausend Mann. Und diese Trupps waren leicht zu erhalten und zu pflegen. Es gab Büffel zur Jagd, und der Weg wurde möglichst über die grasigsten Prärien genommen, die den Pferden das nötige Futter spendeten. Der Indianer machte im Frühling Fleisch für sechs Monate und im Herbst wieder Fleisch für sechs Monate. Da gab es so große Vorräte von geriebenem und getrocknetem Fleisch, daß es zu jeder Zeit leicht war, sich für lange Kriegszüge zu verproviantieren. Wo sind jetzt die Büffel? Wo die anderen jagdbaren Tiere? Wo gibt es jetzt einen Indianer, der in seinem Zelt Fleischvorräte für Monate hat? Wo sind die Pferde, die es früher gab? Auf die man sich in Hunger und Durst, in Frost und Hitze, in Wind und Wetter, in jeder Gefahr und selbst beim schwersten, verwegensten Todesritt verlassen konnte? Das gab es früher; jetzt aber ist alles anders. Wer da glaubt, in der alten Weise verfahren zu können, der ist verloren. Mein Bärentöter hängt daheim. Mein Henrystutzen und meine Revolver stecken im Koffer. Sie haben sich überlebt. Was aber tun Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch? Sie sind ausgezogen mit tausend Sioux und tausend Utahs. Mit Leuten und mit Pferden, die keine Spur von Kriegsgewohnheit besitzen. Und, vor allen Dingen, ohne den nötigen Proviant! Nun sind sie gezwungen, bei den Kiowas und Komantschen zu betteln. Wo aber haben die ihre Fleisch- und Brotvorräte? Sie haben nichts! Auch sie werden ausziehen zu zwei Tausenden, zusammen also wahrscheinlich viertausend Mann und viertausend Pferde, ohne den mitzuschleppenden Troß! Woher den täglichen Proviant, das Futter, das Wasser für so unvernünftig viele nehmen? Es braucht kein einziger von ihnen erschossen oder erstochen zu werden. Sie kommen vor Hunger um, vor Hunger und Durst, alle, alle! Indem ich sie hier an uns vorbeireiten sehe, ist es mir, als ob sie nicht Körper seien, sondern verschmachtete Seelen, die nach dem Jenseits ziehen, um dort in ihren leeren, ewigen Jagdgründen vollends zu verhungern!«

»Uff, uff!« rief der ,junge Adler‘, dem meine Darstellung sofort einleuchtete.

Das Herzle aber war still. Auch sie sah ein, daß ich recht hatte; aber diese Einsicht erhob sie nicht, sondern sie drückte sie nieder. Ihr gutes Herz sah sofort viertausend untergehende Menschen vor sich, und daß es unsere Aufgabe war, an diesem Untergang mitzuwirken, das tat ihr leid und wehe.

Als der letzte der Utahs vorüber war, stiegen wir wieder hinab, versteckten die Leiter sehr sorgfältig, so daß sie selbst von einem scharfen Auge nicht entdeckt werden konnte, und kehrten dann zu Pappermann und unseren Pferden zurück.

»Kakho-Oto war hier«, meldete er. »Sie sattelte sehr eilig und ritt dann fort. Sie sagte, Ihr wüßtet schon, wohin.«

Nun schlugen wir das Zelt auf und machten es uns bequem. Ich war entschlossen, dem Wunsche unserer Freundin gehorsam zu sein und uns keiner Gefahr auszusetzen. Es war auf alle Fälle am besten, wir blieben hier still verborgen, ohne uns zu regen. So gab es also Zeit und Gelegenheit, das Vermächtnis meines Winnetou vorzunehmen und durchzusehen. Ich öffnete die Pakete, und dann waren wir beide, sowohl das Herzle als auch ich, für den ganzen Vor- und Nachmittag in ihren Inhalt vertieft. Ueber diesen Inhalt habe ich an anderer Stelle zu sprechen; für jetzt will ich nur sagen, daß wir noch nie etwas ähnliches gelesen hatten, und daß der Schatz, der sich uns hier auf tat, unendlich größer war, als wenn er Geld und Edelsteine im Gewicht von vielen Zentnern enthalten hätte.

Gegen Abend stellte sich Kakho-Oto ein. Sie meldete uns, daß die Kiowas, Komantschen, Utahs und Sioux nun alle versammelt seien, und zwar über viertausend Mann stark, von jedem Stamm etwas über tausend Krieger. Also genauso, wie ich es vermutet hatte. Am Vormittage hatte man gegessen. Am Nachmittage waren die verschiedensten Vorberatungen abgehalten worden. Es hatte sich nach langen Widersprüchen endlich Einigkeit ergeben, so das eine nachträgliche Hauptberatung eigentlich überflüssig gewesen wäre, wenn sie nicht als Schlußzeremonie alles Vorhergehende zu krönen gehabt hätte.

»Also diese Hauptberatung findet statt?« fragte ich.

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30 august 2016
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