Lugege ainult LitRes'is

Raamatut ei saa failina alla laadida, kuid seda saab lugeda meie rakenduses või veebis.

Loe raamatut: «Winnetou 4», lehekülg 25

Font:

Sofort nach dem Essen bereiteten wir uns zur Durchforschung der Höhle vor. Wir selbst hatten Fackeln und Lichter mitgebracht, und als wir die Pakete der beiden Gefangenen öffneten, sahen wir, daß auch sie sehr reichlich damit versehen waren. Der Feuchtigkeit und Kühle wegen hatten wir uns große, dünne, aber wasserfeste indianische Decken mitgenommen, die wir wie Mäntel um uns legen konnten. Die Pferde wurden wieder gesattelt, die Medizinmänner auf die ihrigen festgebunden, einige Fackeln angebrannt, und dann begannen wir den unterirdischen Ritt, von dem ich mir so gute Erfolge versprach, obgleich ich gar nicht wußte, woher sie kommen sollten.

Ich würde mehrere Druckbogen brauchen, um das Innere dieser wunderbaren Höhle auch nur einigermaßen zu beschreiben, doch kann ich dies einstweilen unterlassen, da sich mir später reichlich Gelegenheit geben wird, sie so zu schildern, wie sie es verdient. Sie kommt in Winnetous Testament des öfteren vor und ist dort der Schauplatz von Begebenheiten, über die ich jetzt noch schweigen muß. Wir ritten durch eine geradezu herrliche Unterwelt. Voran Intschu-inta mit einem Winnetou als Fackelträger, hinter ihnen ich mit dem Herzle, hierauf die Gefangenen, dann Pappermann mit den übrigen Winnetous, von denen einer die zweite Fackel trug. Wo es nötig war, zündeten wir uns zu den Fackeln auch noch Lichter an.

Der Weg ging unausgesetzt aufwärts, und zwar oft ziemlich steil. Die Höhle war sogar an ihren niedrigsten Stellen so hoch, daß wir nirgends von den Pferden zu steigen brauchten. Kein einziger der unterirdischen Räume, durch die wir kamen, glich einem anderen. Es folgte Abwechslung auf Abwechslung, Ueberraschung auf Ueberraschung. Oft war die Ueberraschung so groß, daß wir uns lauter Ausrufe der Bewunderung nicht enthalten konnten. Es war ein Reich der herrlichsten Tropfsteinmärchen, welches wir da kennenlernten. Die köstlichen Gedanken, zu Spat, Aragonit und Sinter erstarrt, wuchsen als Stalaktiten von oben herab. Ebenso köstliche Stalagmiten stiegen ihnen von unten aus entgegen, um sich mit ihnen zu Pfeifen, Säulen, Orgeln und anderen Gebilden zu vereinigen, von denen man kaum glauben konnte, daß sie der Erde angehörten. Wir aber hatten leider nicht Zeit zu eingehender Betrachtung, die wir uns für später aufheben mußten. Es drängte uns vorwärts, vorwärts, hinauf nach der Stelle, wo es sich zu entscheiden hatte, ob wir weiter konnten oder nicht. So ritten wir durch Gänge und Tunnels, durch kleine Kammern und riesige Säle, durch Refektorien und Kirchen, durch Vorhöfe und weite Säulenhalle, durch Veranden und Korridore. Wir kamen an Abgründen vorüber, in deren Tiefe der Fluß rauschte. Wir schlüpften zwischen dünnen Wasserfäden hindurch, die wie aus unsichtbaren Gartenschläuchen spritzten. Wir kamen über Stellen, wo es zu regnen schien. Wir sahen Kaskaden springen und Wasserstrahlen aus unsichtbaren Dachtraufen stürzen. Aber wir verweilten uns nicht: weiter ging es, immer weiter, bis endlich der breite Weg zu Ende war. Er wurde mit einem Male so schmal und so unbequem, daß nur noch Fußgänger vorwärts konnten.

»Du siehst, daß ich recht hatte«, sagte Intschu-inta. »Der Weg für Pferde ist zu Ende. Er führt nicht weiter. Es gibt keine Mündung, die hinter dem Schleierfall einen Ausgang bildet.«

Er schien recht zu haben. Wir befanden uns in einem breiten Gang, der vor einer Doppelgruppe von Stalaktiten und Stalagmiten haltmachte und sich dann als sehr schmaler Weg von dieser Gruppe nach rechts wendete. Nach der Karte aber machte er diese Wendung nicht, sondern er ging geradeaus, nachdem er den schmalen Pfad von sich abgezweigt hatte. Das war der entscheidende Punkt! Jetzt mußte es sich zeigen, ob ich mich auf meine Augen und auf mein Kombinationsvermögen verlassen konnte oder nicht! Ich begann, die Tropfsteingruppe zu untersuchen, und sah sehr bald daß es gar keiner großen Klugheit bedurfte, das Richtige zu entdecken.

Stalaktiten sind nämlich Tropfsteine, die sich von oben, also von der Decke herab, bilden. Unter Stalagmiten aber versteht man die Tropfsteine, die aus dem Boden in die Höhe wachsen. Treffen beide in der Mitte zusammen, so bilden sich nach und nach Säulen und Säulengruppen. Die Stalagmiten entstehen anders als die Stalaktiten. Beide sind sehr leicht voneinander zu unterscheiden, weil sie nicht dieselbe Struktur besitzen. Hier nun sah ich sogleich; daß die von oben herabhängenden Tropfsteine echt waren; die von unten emporragenden aber waren nicht echt; sie waren Stalaktiten, keine Stalagmiten. Sie waren nicht an dieser Stelle entstanden, sondern man hatte sie hergeschafft und hier zusammengestellt. Warum und wozu? Sehr einfach: Um den breiten Pfad abzuschneiden, um ihn zu maskieren, zu verbergen, ganz genauso, wie ich vermutet hatte.

Ich rüttelte an dem äußersten dieser Steine; er ließ sich bewegen. Ich schaffte ihn zur Seite. Um das zu tun, war ich vom Pferde gestiegen. Die anderen folgten diesem Beispiele und halfen, auch die nächsten Steine zu entfernen. Dadurch wurde schon nach kurzer Zeit der breite Weg wenigstens so weit frei, daß wir uns von seiner Fortsetzung überzeugen konnten. Wir vergrößerten die Bresche, bis ein Mann hindurch konnte. Da forderte ich Pappermann und einen der fackeltragenden Winnetous auf, mir in die Lücke zu folgen. Ich wollte sehen, was dahinter lag. Die anderen sollten warten und inzwischen noch so viele Steine zur Seite schaffen, bis auch die Pferde passieren konnten.

Wir drei nahmen zu der einen, brennenden Fackel noch eine zweite als Reserve mit und drangen dann weiter vor, natürlich zu Fuße. Es ging jetzt noch steiler empor als vorher. Bald hörten wir es vor uns rauschen, dann brausen, dann donnern, ganz wie in der unmittelbaren Nähe des Niagarafalles. Dieses Brausen und Tosen wurde so stark, daß wir unsere eigenen Worte nicht mehr hörten. Die Wand zu unserer Rechten sank in die Tiefe; die zu unserer Linken blieb. Von oben dämmerte es, als ob der Tag durch eine starke Milchglasscheibe zu uns herniederschaue. Und plötzlich, nach einer Biegung des Weges, sahen wir ihn stürzend herniederbrausen, den Schleierfall, in die Unterwelt, in der er sich zu dem Flüßchen bildete, an dem wir vorhin nach der Höhle geritten waren. Es wehte ein so scharfer Wind, daß wir die Hüte festhalten mußten. Wir schritten wie auf einer Felsenstraße der Schweiz. Auf der einen Seite die Felswand, auf der anderen der gähnende Abgrund, in dem der Wasserfall verschwand. Keine Barriere schützte uns. Aber der Weg war fest und so breit, daß vier Pferde nebeneinander gehen konnten. So passierten wir den Wasserfall in seiner ganzen Breite, bis wir an ihm vorüber waren, das Oberlicht verschwand und wir uns wieder nur auf das Licht unserer Fackel verlassen mußten. Hierauf ging es durch einen sehr aufwärts strebenden Stollen, der nicht geraden Laufes, sondern gebogen war. Hier ließ sich das Geräusch des Wasserfalles wieder vernehmen. Es wurde immer stärker und stärker, und als es so stark geworden war, daß es uns beinahe betäubte, sahen wir wieder den Schein des Tages, doch nicht von oben, sondern von vorn. Wir gingen darauf zu und befanden uns wenige Augenblicke später im Freien. Oder vielmehr nicht eigentlich im Freien, sondern zwischen der tosenden Masse des Schleierfalles und dem hochaufstrebenden Felsen, von dem sie sich, herunterstürzte. Wir standen hart an dem Abgrund, in dem sie verschwand. Da unten waren wir soeben vorbeigekommen. Wir befanden uns genau in derselben Lage, wie die Besucher des Niagarafalles, die sich hinter die herniederschmetternde Wogenwand bringen lassen, um dann später davon erzählen zu können. Man brauchte nur zwischen Wasser und Felsen nach dem äußersten Ende des Falles zu gehen, um durch ein dort befindliches Pflanzengestrüpp hinaus auf die feste, trockene Erde zu gelangen.

Ich wußte nun genug. Wir kehrten also nach der Stelle zurück, an der sich unsere Begleiter befanden. Als wir dort ankamen, waren sie mit ihrer Arbeit noch nicht fertig. Die fortzuschaffenden Steine besaßen ein derartiges Gewicht, daß lange Zeit dazu gehörte, sie entfernen. Das benutzte ich zu einer weiteren Exkursion. Ich wollte nun auch wissen, wohin der schmale Weg uns führte. Hierzu ließ ich mich aber nicht von Pappermann, sondern von Intschu-inta und einem Fackelträger begleiten. Das Herzle bat, mitgehen zu dürfen, und ich willigte ein, obgleich ihre Gegenwart uns das Suchen nicht erleichtern, sondern nur erschweren konnte.

Ich rechnete, daß wir uns hier fast genau unter der Stelle befanden, auf welcher da oben die gewichtige Winnetoustatue sich im Bau zu erheben begann. Von hier aus bis zu der Stelle, wo der schmale Weg sich nach der Karte in zwei noch schmälere Wege teilte, war gar nicht weit. Als wir hingelangten, sah ich augenblicklich, daß hier wieder Stalaktiten anstatt Stalagmiten lagen. Man hatte also auch da maskiert. Intschu-inta merkte nichts. Er blieb nicht stehen. Er ahnte nicht, daß sich hier einer der schmalen Wege abzweigte, und ging mit dem Fackelträger weiter. Ich folgte ihnen, ohne etwas zu sagen. Der Weg, den sie versäumten, war jedenfalls derjenige, der bei den Teufelskanzeln mündete. Den wollte ich mir aber für mich allein aufheben. Der weitere Weg führte nach der Karte hinauf zum Schloß, und den hätte ich sehr gern heute noch kennengelernt. Wir folgten darum dem schmalen Weg so weit, bis er zu enden schien.

»Da hört er auf«, sagte Intschu-inta, indem er stehenblieb.

»Und geht nicht weiter?« fragte ich.

»Nein. Genau wie vorhin!«

»Ja, genau wie vorhin! Nimmt man die Steine weg, die ihn verhüllen, so sieht man sofort, daß er nicht alle ist, sondern sich hinter den Steinen fortsetzt. Fort mit ihnen!«

Diese Stalaktiten waren nicht schwer. Ich hob einige zur Seite. Intschu-inta half. Was ich gedacht hatte, das zeigte sich: der Weg ging weiter. Hier war es gar nicht nötig, alle Steine zu entfernen. Es genügte, über sie hinwegzusteigen. Dann hinderte uns nichts mehr, weiterzugehen. Wir taten es. Aber von hier an hörten die Tropfsteine auf. Es gab nur noch Höhlen ohne Sinterbildung. Und sie lagen immer eine höher als die andere. Man hatte zu steigen. Schließlich hörte diese Bildung natürlicher Hohlräume ganz auf, und es ging zwischen Felsenspalten empor, auf künstlichen Stufen und Gängen, die übermauert waren. Dabei war die Luft außerordentlich trocken und rein. Ich hatte nicht nach der Uhr gesehen und auch weder die Stufen noch unsere Schritte gezählt; aber es war mir, als ob wir schon weit über eine Viertelstunde emporgestiegen seien; da hörten die Stufen plötzlich auf. Wir konnten nicht weiter. Wir befanden uns auf einer schmalen steinernen Treppe. Unter uns die Stufen, rechts Mauer, links Mauer, über uns Mauer. Nirgends eine Tür, ein Fenster, eine Oeffnung oder sonst etwas dem ähnliches! Wie da hinauskommen?

Grad über der letzten, also obersten Stufe war eine Steinplatte angebracht. Sie konnte nicht schwer sein, denn sie war höchstens drei Spannen im Geviert. Ich versuchte, sie zu heben. Es ging nicht. Sie hatte zwei Vertiefungen, die jedenfalls nicht ohne Absicht angebracht worden waren. Ich konnte das Heft meines Messers hineinstecken. Dadurch gewann ich einen Griff, die Platte zu verschieben. Ich versuchte dies nach vorn, nach hinten, nach rechts – – vergeblich. Aber nach links bewegte sie sich endlich. Ich hatte das Gefühl, als ob sie auf einer Rolle laufe. Es entstand über mir eine viereckige Oeffnung, durch welche ich steigen konnte. Ich tat dies aber nicht sofort, sondern ich war so vorsichtig, meinen Kopf nur erst bis zu den Augen hineinzustecken. Was sah ich?

Einen sehr hohen, achteckigen, gemauerten Raum mit zwei Türen. Die Wände waren vollständig mit Passifloren überwachsen, deren Ranken bis hinauf an die Decke reichten, wo es rundurn zahlreiche Oeffnungen gab, das nötige Licht hereinzulassen. Die Ranken waren so dicht, daß man von der darunterliegenden Mauer nichts sehen konnte. Sie grünten und blühten, und zwar fast überreich. Daß dies noch jetzt in der ziemlich späten Jahreszeit geschah, war wohl eine Folge der Höhenlage und auch des Umstandes, daß die Vegetation nicht im Freien stattfand, sondern auf das Innere eines geschlossenen Raumes angewiesen war. Die Passionsblume hat bekanntlich über zweihundert Arten; hier aber waren nur zwei derselben vertreten. Die eigentliche Flächenbekleidung wurde von Passiflora quadrangularis gebildet, deren Prachtblumen, innen rosenrot angehaucht, einen Durchmesser von zehn Zentimeter besaßen. Das ergab rundum eine Blütenpracht sondergleichen. Von diesem Untergrund stach an der einen Wand eine vollständig weiß blühende Passiflora incarnata ab, die so gezogen und beschnitten war, daß sie ein vier Meter hohes, aufrechtstehendes Kreuz bildete, ein ganz auffälliges Zeichen des Christentums hier an diesem mir fremden, geheimnisvollen Orte. Mir gegenüber gab es eine Tür, welche nicht geöffnet war. Und da, wo ich mich befand, schien auch eine zu sein, nur konnte ich sie nicht eher sehen, als bis ich höher stieg und dann aus der Oeffnung heraustrat. Da stellte es sich denn heraus, daß hier auf unserer Seite des Passiflorenraumes mehrere Stufen zu einem Ausgange emporführten, welcher verriegelt war. Ich stieg hinauf, schob den Riegel zurück und öffnete. Da stand ich draußen im Freien, nahm mir aber nicht Zeit, die Stelle zu bestimmen, an der ich mich befand, sondern machte die Tür wieder zu, ging die Stufen wieder hinab und forderte Intschu-inta auf, heraufzukommen und mir zu sagen, ob er wohl wisse, wo wir seien. Er tat es. Kaum sah er den Raum, so rief er verwundert aus:

»Uff! Das ist die Blumenkapelle, in welcher Tatellah-Satah zu beten pflegt!«

»Zu wem betet er da?« fragte ich.

»Zum großen, guten Manitou. Zu wem sonst?«

»Aber da ist doch das Kreuz, das Sinnbild des Christentums?«

»Das stammt von Winnetou. Er hat es gepflanzt. Er sagte, das sei das Zeichen seines Bruders Old Shatterhand. Er verstehe es noch nicht, aber er werde es verstehen lernen, je höher es hier wachse. Er hatte dich so lieb, so unendlich lieb!«

Man kann sich wohl denken, wie tief mich das ergriff! Aber ich mußte diese Rührung schnell überwinden und fragte weiter:

»Wohin führt die Tür, die uns da gegenüberliegt?«

»Nach Tatellah-Satahs Schlafgemach.«

»Und die hier über den Stufen?«

»Hinaus auf den Berg. Niemand hat geahnt, daß es außerdem eine Falltür gibt, durch die wir jetzt gekommen sind!«

Der Verschluß dieser Falltüre bestand in der Platte, welche ich von ihrem Platze entfernt hatte. Sie war unter den Fußbodensteinen derjenige, welcher von der Seite her direkt an die unterste Stufe stieß, in die er, weil sie hohl war, hineingeschoben werden konnte. Indem ich das getan hatte, war die Falltüre geöffnet worden. Ich brauchte ihn nur in seine vorige Lage zurückzuschieben, so war sie wieder zu.

Nun stieg auch das Herzle mit dem Fackelträger herauf. Sie brach beim Anblick der unzähligen Leidensblumen in einen Ausruf der Bewunderung aus. Sie hatte da unten im Gange nicht gehört, was mir von Intschu-inta gesagt worden war. Dennoch erriet sie sofort den Zweck dieses Raumes.

»Das ist ein Zimmer zum Gebet!«

Mit diesen Worten schritt sie nach der Mitte der Stube. Dort stand eine Bank, die mit einem Fell überkleidet war. Sie setzte sich darauf, dem Kreuz grad gegenüber, und sprach weiter:

»Hier sitzt Tatellah-Satah, um mit Gott, seinem einzigen Herrn, zu sprechen. Er hat das Kreuz vor sich, das Erdenleid, welches den einzelnen Menschen und ganze Völker erlöst. Da betet er für die Erlösung seiner Rasse. Hier möchte ich sitzen und mit ihm beten, daß ihn der Herrgott erhöre!«

»Tue es!« antwortete ich. »Wir gehen jetzt fort, doch nur, um wiederzukommen.«

»Hierher?« fragte sie.

»Ja, hierher.«

»Wann?«

»Vielleicht schon in einer halben Stunde. Ich kehre in die Unterwelt zurück, um die beiden Gefangenen zu holen und auf diesem verborgenen Weg in das Schloß zu bringen. Da sieht sie kein Mensch außer uns. Ich wünsche, daß niemand von ihren Angehörigen und Genossen erfahre, wo sie sich befinden. Es hat keinen Zweck, daß du uns in die Höhle zurückbegleitest. Du müßtest doch mit uns wieder hier herauf.«

»Gut, so bleibe ich. Aber was tue ich, wenn mich jemand hier erwischt?«

»Du würdest als Freundin behandelt werden, sei es, wer es sei. Uebrigens ist es gar nicht nötig, daß du dich erwischen läßt. Du brauchst nur hier die Stufen hinauf und in das Freie zu gehen, so bleibst du ungesehen. Es würde wohl niemandem einfallen, nachzusehen, ob die Tür angelehnt ist oder nicht.«

»Ja, richtig! Also, ich warte hier.«

Sie setzte sich wieder auf die Bank. Wir anderen aber stiegen wieder in den Gang hinab. Wir Iießen ihn nicht offen, sondern ich schob die Steinplatte wieder vor. Dann kehrten wir nach der Stelle zurück, wo unsere Gefährten auf uns warteten. Sie waren mit ihrer Arbeit, die Stalaktiten wegzuräumen, fast zu Ende. Ich setzte mich nieder, um die wenigen Minuten zu warten. Als ich still saß, fühlte ich, daß es von der Decke auf mich niedertropfte. Aber es war nicht Wasser, sondern zerriebenes Gestein. Es streute wie Mehl oder Sand auf mich herab. Zuweilen war auch ein erbsen-, bohnen- oder nußgroßes Stück dabei. Ich schaute empor. Das Licht unserer Fackeln reichte nicht bis ganz hinauf, trotzdem sah ich grad über mir einen schmalen Riß, aus dem es bröckelte. Das war in einer solchen Höhle nichts Auffälliges. Darum kam ich gar nicht auf den Gedanken, nach den Ursachen dieses Risses zu fragen. Und doch war es, wir sich später zeigte, von außerordentlicher Wichtigkeit für uns.

Als der breite Weg freigeworden war, sagte ich, daß wir uns hier zu trennen hätten. Die beiden Medizinmänner hatten mit mir, Intschuinta und einem Fackelträger zu Fuß nach oben zu steigen. Die andern aber ritten, indem sie unsere ledigen Pferde mitnahmen, unter Pappermanns Führung den vorhin von uns entdeckten Weg empor, der hinter dem Schleierfall mündete. Von dort aus hatten sie sich sogleich nach dem Schloß zu wenden. Wir warteten, bis sie fort waren. Dann verband ich den Medizinmännern die Augen und verbat mir alles Widerstreben. Hierauf nahm ich den Komantschen und Intschu-inta den Kiowa beim Arm. Der Fackelträger schritt voran. So stiegen wir den schon einmal gemachten Weg nach dem Passiflorenraum empor. Das ging, weil die Augen der Gefangenen verbunden waren, so langsam, daß wir nicht, wie ich gesagt hatte, nach einer halben Stunde, sondern erst nach über einer ganzen Stunde droben bei den letzten Stufen ankamen. Da machte ich mich daran, die Platte auf die Seite zu schieben. Indem ich dies tat, hörte ich Stimmen. Es schien jemand bei meiner Frau zu sein. Ich öffnete die Falltür so geräuschlos wie möglich. Dann schob ich vorsichtig nur den oberen Teil meines Kopfes, bis an die Augen, hinaus, um zu sehen, wer da sprach. Das Herzle war verschwunden, jedenfalls durch die Treppentür hinaus, in das Freie. jetzt saß Tatellah-Satah auf der Bank, dem Kreuz gegenüber. Bei ihm standen zwölf Apatschenhäuptlinge, jüngeren Alters, von denen ich keinen kannte. Der Älteste von ihnen war nicht über fünfzig Jahre alt. Der alte »Bewahrer der großen Medizin« sprach mit sehr bewegter Stimme zu ihnen. Ich hörte die Fortsetzung des angefangenen Satzes:

»Unser guter Manitou ist größer, millionenmal größer, als die roten Männer bisher glaubten. Sie nahmen an, er sei nur ihr Gott, nicht aber auch der Gott aller anderen, die da leben. Falls dies auf Wahrheit beruhte, wie klein wäre er da, wie klein! Der Gott einiger armen Indianerscharen, die von den Bleichgesichtern zermalmt, zerquetscht und zertreten werden Wie groß und wie mächtig müßte dagegen der Gott der Weißen sein! Und wie sehr müßten wir da wünschen, daß dieser Gott der Weißen an Stelle des ohnmächtigen Manitou der Indianer trete! Doch dieser Wunsch wurde uns erfüllt, noch ehe wir ihn empfanden. Schaut hin auf das Kreuz! Es blüht, um uns zu Erlösen. Es nimmt uns Manitou, um Manitou uns zu geben. Es sagt uns, daß es nur einen einzigen gibt, den Allmächtigen, den Allweisen, den Allstarken, den Allgütigen, und daß wir ihn seiner Allstärke und seiner Alliebe berauben, indem wir ihn nur für uns haben wollen, für uns allein, die wir die unglücklichste aller Nationen sind und die schwächste aller Rassen. Das Kreuz ruht in der Erde und ragt zu Gott empor. Das ist das eine, was es bedeutet. Aber es breitet seine beiden Arme aus, um jedermann und alle Welt zu umfangen. Das ist das andere, was es bedeutet. Niemand von uns hat das gewußt. Old Shatterhand war es, der uns dieses Wissen brachte. Wir aber nahmen es nicht an. Ein einziger nur bewegte diese Kunde in seinem Herzen. Dieser einzige war Winnetou. Er beobachtete; er prüfte. Er begann zu glauben. Und je fester dieser sein Glaube wurde, desto öfter kam er zu mir, um mich zu bitten, diese Leidensblumen und dieses Kreuz an die Lieblingsstätte meiner Gebete pflanzen zu dürfen. Es war sein inniger Wunsch, Old Shatterhand zu mir zu bringen. Sein weißer Bruder sollte hier, an dieser Stelle, sehen, wie der Kreuzesgedanke und die Überzeugung von einem einzigen, großen Manitou im Herzen seines roten Bruders Wurzel gefaßt und sich zur Blüte und Frucht entwickelt habe. Ich aber war dagegen. Ich haßte Old Shatterhand. Da ging Winnetou, der Herrliche, der Unvergleichliche, hin und kam nicht wieder. Doch was in seinem Herzen lebte, das kehrte zurück. Das kam zu mir. Das trieb mich tagtäglich hierher, in diesen Raum. Das lehrte mich nachdenken. Das brachte mir Licht. Das lehrte mich beten, nicht zu dem schwachen, kleinen Manitou der roten Männer, sondern zu dem gewaltigen, unendlichen, erhabenen Manitou Old Shatterhands, der allein imstande ist, uns, seine roten Kinder, neu zu beseelen, damit wir endlich werden, was wir werden sollten, aber nicht geworden sind. Heut ist er da, Old Shatterhand, dem ich mein Haus und mein Herz versagte. Heut liebe ich ihn. Heut weiß ich es, daß ich nichts vermag ohne ihn, ganz ebenso, wie die rote Rasse ohne die weiße nichts vermag. Er wird das Bleichgesicht sein, welches die uns verlorengegangenen Medizinen zurückzubringen hat. Wißt ihr, was das bedeutet? Er wird es sein, der uns in Liebe vereint, obgleich wir uns im Haß zerstören wollen. Und während wir – —«

Er hielt mitten im Satz inne. Unsere Fackel, die wir noch nicht hatten auslöschen können, begann sehr laut zu knistern. Sie sprühte Funken. Sie gab Rauch, der neben mir aus der Oeffnung stieg und von den Indianern sofort gerochen und gesehen wurde. Sie schauten alle zu mir her. Tatellah-Satah stand überrascht von seinem Sitze auf. So blieb mir nichts anderes übrig, als, um mich sehen zu lassen, aus der Bodenöffnung zu steigen.

»Old Shatterhand!« rief er aus. »Old Shatterhand, von dem ich spreche!«

»Old Shatterhand! Er ist‘s? Er ist‘s?« wurde er von den Häuptlingen gefragt.

»Ja; er ist es!« antwortete er. »Ein Loch im Boden! Wo führt es hin? Wo kommst du her?«

Diese letzteren Worte waren an mich gerichtet. ich ging auf ihn zu, zog die Karte, die ich dem Medizinmann der Komantschen abgenommen hatte, aus der Tasche, faltete sie auseinander, gab sie ihm und antwortete:

»Schau hier nach! So wirst du sehen, woher ich komme.«

Er sah die Ueberschrift, und er sah die Zahl, da rief er auch schon aus:

»Aus der geheimen Bibliothek! Die hochwichtige Karte, die einem meiner Ahnen gestohlen worden ist! Nach deren Dieb wir bisher vergeblich forschten! Im Verdacht stand der damalige Medizinmann der Komantschen, der mehrere Wochen lang hier Gast gewesen war und die Bibliothek sehr oft betreten hatte. Und jetzt bringt Old Shatterhand sie mir! Welch ein Wunder, welch ein großes Wunder! Von wem hast du sie?«

»Von dem Urenkel des Diebes. Ich zeige dir ihn.«

Es genügte ein Ruf von mir, so kamen Intschu-inta und der Fackelträger zu uns heraufgestiegen und brachten die beiden Gefangenen mit. Sie wurden von den Apatschenhäuptlingen sofort erkannt. Diese letzteren wollten in laute Ausrufe der Verwunderung ausbrechen, ich aber wehrte ihnen durch eine Handbewegung ab und sagte leise:

»Still! Sie dürfen nicht sehen und hören, wo sie sind! Ich erzähle nachher. Gibt es hier im Schlosse einen Ort, wo es möglich ist, Gefangene derart aufzubewahren, daß sie weder entfliehen noch von anderen Leuten gesehen werden können?«

»Wir haben sehr gute und sehr sichere Gefängnisse hier«, antwortete Tatellah-Satah.

»So mag Intschu-inta sie dort unterbringen und dann wiederkommen. Ich brauche ihn noch.«

Tatellah-Satah gab seinem riesigen Diener mit unterdrückter Stimme die nötigen Befehle, worauf dieser sich mit den beiden Medizinmännern und dem Fackelträger entfernte, um sie nach dem Verließ zu schaffen. Da wurde über den Treppenstufen die Tür geöffnet, die ins Freie führte, und das Herzle ließ sich sehen. Es war ihr gelungen, sich rechtzeitig zurückzuziehen. Nun, da sie durch die angelehnte Tür sah, daß ich wieder da war, glaubte sie, sich auch mit sehen lassen zu dürfen. Man kann sich denken, daß dies das Erstaunen der Häuptlinge nicht verringerte.

Ich erzählte ihnen, so viel ich zu erzählen für nötig hielt, denn zum vollständigen Mitwisser meiner Ansichten und Pläne wollte ich keinen von ihnen machen. Grad als ich fertig war, kehrte Intschu-inta zurück. Er meldete, daß die Gefangenen fest eingeschlossen und daß Pappermann und seine Begleiter vom Wasserfall her auf dem Schloß eingetroffen seien. Ich teilte ihm mit, daß er mich jetzt noch einmal hinunter in die Höhle zu begleiten und zu diesem Zweck zwei neue Fackeln zu besorgen habe. Das Herzle fragte, ob auch sie dabei sein rnüsse. Als ich das verneinte, bat mich TatelIah-Satah, ihm meine Squaw anzuvertrauen. Er erwarte den Besuch von Kolma Putschi und werde sich sehr freuen, die beiden Frauen miteinander bekannt zu machen. Ich hatte natürlich nicht das geringste dagegen und stieg, als Intschu-inta mit den Fackeln kam, mit ihm wieder in die Höhle hinunter.

Es sei bemerkt, daß die zwölf Apatschenhäuptlinge erst heut während unserer Abwesenheit hier angekommen waren und ihre Zelte in der Oberstadt aufgeschlagen hatten. Sie bildeten den Stab sämtlicher Apatschenstämme, auf welche Tatellah-Satah sich verlassen konnte.

Ich hatte meinen ganz besonderen Grund, noch einmal hinunter in die Höhle zu steigen. Da ich einmal darüber war, sie kennenzulernen, wollte ich sie auch gleich ganz kennenlernen; denn es gab einen kleinen Teil, den ich noch nicht kannte. Ich erinnere daran, daß der breite, reitbare Weg, der vom »Tal der Höhle« aus durch die letztere führte, droben hinter dem Schleierfall in das Freie mündete. An der Stelle, wo er mit Stalaktiten versetzt worden war, die wir entfernt hatten, zweigte von ihm ein schmaler Weg nach rechts, der nur für Fußgänger zur Höhe führte. Sein eigentliches Ende fand dieser schmale Weg ganz oben im Passiflorenraum. Bis dorthin waren wir ihn gegangen. Aber schon unten in der Höhle zweigte von ihm ein zweiter, schmaler Weg ab, an dem wir vorbeigekommen waren, ohne daß meine Begleiter etwas von ihm bemerkten. Nur mir allein war die Stelle aufgefallen, an welcher die als Stalagmiten verwendeten Stalaktiten andeuteten, daß auch hier ein früher gangbarer Weg mit Steinen versetzt und maskiert worden sei. Nach dieser Stelle kehrten wir jetzt zurück. Ich hatte nur Intschu-inta mitgenommen, weil er der Vertraute des Medizinmannes war, denn um eine sehr vertrauliche Sache handelte es sich jetzt bei der neuen Entdeckung, die ich machen wollte. Nämlich wenn ich die oberirdischen und die unterirdischen Oertlichkeiten miteinander in Verbindung brachte, so ergab sich für mich folgendes: Der breite Weg mündete im Bergtal, hinter dem Wasserfalle. Der schmale Weg mündete in seinem letzten, höchsten Ende droben im Schlosse. Die zwischen beiden liegende Abzweigung dieses schmalen Weges, die ich jetzt suchte, mußte also zwischen dem Wasserfall und dem Schloß münden. Und wenn ich mich da fragte, welcher Ort hierzu wohl am geeignetsten sei, so stieß meine Vermutung immer nur auf die Teufelskanzel, oder, wie sie hier genannt wurde, auf das »Ohr des Teufels«, an dem wir vorbeigekommen waren, als der Medizinmann uns den Schleierfall zeigte. Es stimmte in jeder Beziehung, daß dieser Ort mit der geheimnisvollen, großen Höhle in Verbindung stand. Wer weiß, was für wichtige Zusammenhänge vor Jahrtausenden hier oben und da unten stattgefunden hatten. Darum war es jetzt für mich, der ich diesen Zusammenhängen nachspürte, sehr wohl geraten, dies so diskret wie möglich zu tun und keinen Menschen in das Vertrauen zu ziehen, der dieses Vertrauen nicht verdiente. Dies war der Grund, weshalb ich nur den altbewährten, treuen Intschu-inta mitgenommen hatte.

Als wir die betreffende Stelle erreichten, an der ich eine Abzweigung des schmalen Weges vermutete, blieben wir stehen, um die am Boden liegenden Steine zu untersuchen. Auch sie waren nicht Stalagmiten, sondern Stalaktiten, also nicht hier an Ort und Stelle entstanden, sondern zu irgendeinem Zweck hergeschafft. Wir beseitigten so viele von ihnen, wie nötig war, um Einsicht zu gewinnen, und entdeckten da nun allerdings sehr bald den offenen Pfad, der hinter ihnen aufwärts führte. Meine Vermutung hatte mich also nicht getäuscht. Es fragte sich nur noch, wo er oben mündete. Wir mußten ihm folgen.

Wir ruhten zunächst einige Augenblicke von der Anstrengung aus, welche uns das Beiseiteschaffen der schweren Steine verursacht hatte. Es war für diese kurze Zeit still, vollständig still um uns, und so hörten wir ein eigenartiges, prasselndes Geräusch, welches aus der Ferne zu uns drang, wahrscheinlich aus der Gegend, in welcher unser schmaler Weg vom breiten abzweigte. Was war das, oder wer war das? Befand sich jemand dort? Unsere Sicherheit erforderte, dies schleunigst zu erfahren. Wir nahmen also die Fackeln hoch und eilten nach der Richtung, aus welcher der Schall zu uns gedrungen war. Dort sahen wir, daß es sich nicht um die Anwesenheit von Menschen handelte, sondern um ein Herabbröckeln des Deckengesteines, und zwar genau an derselben Stelle, an welcher ich gesessen und den beginnenden Spalt über mir bemerkt hatte. Dieser Spalt war jetzt breiter und größer als vorher. Es waren ganz beträchtliche Sinterstücke herabgefallen. jedenfalls lockerte sich etwas da oben. Wer hier vorüber wollte, der hatte von jetzt an vorsichtig zu sein. Doch nahm ich diesen Gedanken sehr gleichgültig auf, denn ich hatte nicht die geringste Ahnung von der eigentlichen Ursache dieses Phänomens.

Vanusepiirang:
12+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
30 august 2016
Objętość:
610 lk 1 illustratsioon
Õiguste omanik:
Public Domain

Selle raamatuga loetakse