Der schottische Lord

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Der schottische Lord
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Kerstin Teschnigg

Der schottische Lord

Kein Himmel ohne dich - Erzählt von Lord Tavis Stewart

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3 – 20 Jahre später

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Epilog – 5 Jahre später

Danke…

Impressum neobooks

Prolog

Ich stehe nur da und sehe sie an. Mir fehlt die Fähigkeit zu sprechen oder auch nur irgendetwas zu tun. Sie wird gehen und nicht mehr zurückkommen. Peter hängt weinend an ihrem Bein. Ich fühle nichts. Da ist nur Leere in meinem Kopf. Vater steht abseits. Sein Blick ist gesenkt, auch er sagt nichts. Nichts mehr. Es wurde alles gesagt. Oft und laut. Lords gehören hierher. Nicht nach Amerika. Sie wachsen dort auf wo sie geboren wurden und werden nach Jahrhunderte alt bewehrtem schottischem Vorbild erzogen. Das sagt mein Vater. Er ist der Lord. Sein Wort steht über allen und allem. Mum streicht über meine Wange. Ich weiche zurück. Weil ich wütend bin. Weil ich es nicht akzeptieren will. Weil ich sie nicht verstehe.

„Ihr kommt mich ganz bald besuchen und ich rufe jeden Tag an“, lächelt sie mild, was mit ihren tränengefüllten Augen lächerlich und unglaubwürdig ist und trotzdem wirkt ihre Stimme warm und weich wie immer.

Ich bin alt genug um zu verstehen, dass ihre Versprechen nichts als hohle Worte sind. Warum geht sie überhaupt? Was fehlt ihr denn hier? Hier bei uns? Ich verstehe es nicht. Wir sind hier – Ihre Familie. Was hat dieser andere Mann was wir nicht haben? Darum wende ich mehr wütend als enttäuscht meinen Blick von ihr ab und sehe zu Vater. Er kommt auf mich zu und legt schützend seine Hände auf meine Schultern. Ich richte meine für einen Moment zusammengefallene Haltung auf. Lords. Wir sind Lords. Ich darf nicht einknicken. Peter weint immer noch. Sie umarmt ihn noch einmal und küsst mehrfach seine Wange. Dann verlässt sie das Haus mit unserem Verwalter James der sie zum Flughafen bringt. Vater verstärkt den Druck seiner Hände. Peter läuft davon, Eliza unsere Haushälterin stoppt ihn im letzten Moment bevor er aus dem Haus kann ab und hält ihn fest. Er lässt sich schmerzerfüllt in ihre Arme sinken, sie streicht liebevoll über seinen Rücken und flüstert etwas in sein Ohr. Das Weinen wirs leiser.

„Wir sind Stewarts.“ Vater nickt eindringlich mit ernster Stimme. „Du bist ein Stewart. Wenn sie gehen will, dann muss sie gehen“, sagt er ruhig.

Ich erwidere sein Nicken und senke meinen Blick. Wenn sie gehen will, dann muss sie gehen.

Kapitel 1

„Hat Kendra angerufen?“, frage ich Eliza und schnappe mir gleichzeitig meine Tasche mit der Sportausrüstung.

Sie reicht mir meine Jacke und schüttelt den Kopf. „Nein, heute nicht. Soll ich etwas ausrichten falls sie sich noch meldet?“

„Nein…Also ja…Ich rufe sie zurück, das kannst du ihr sagen.“

Sie nickt und lächelt mild. „Los jetzt, sonst kommst du noch zu spät. Bist du auch sicher, dass du fit bist? Deine Nase ist immer noch ganz rot von der Erkältung.“ Sie streicht über meine Wange. Wenn das keiner sieht, so wie jetzt gerade, finde ich es gut. Sie kümmert sich immer, aber ich bin erwachsen, sie muss mich nicht bemuttern, nur weil ich keine Mutter habe. Ich schließe kurz meine Augen. Keine Mutter. Ja…Natürlich habe ich eine Mutter, aber sie ist für mich nur noch eine Erinnerung. Sie ging mit einem anderen Mann weg und ließ alles hinter sich. Es macht mich wütend an sie zu denken, darum verdränge ich es schnell wieder und laufe durch den strömenden Regen nach draußen. Scheißwetter. Es regnet seit Tagen, dazu die Erkältung die mich nicht loslässt und Kendra die auch nichts von sich hören lässt. Scheißwetter – Scheißtag. James fährt mich zum Fechttraining. Ich fühle mich wirklich noch immer nicht richtig gut, aber ich muss heute hin um mich für den Kampf in zwei Wochen vorzubereiten. Im Moment bin ich wettkampfmäßig echt gut drauf und will unbedingt vorne dabei sein, das Training heute auszulassen ist also keine Option.

„Dein Vater holt dich ab, er hat etwas Geschäftliches in der Nähe zu tun“, meint James noch bevor ich aussteige was ich nickend zur Kenntnis nehme. Auch wenn es nur ein paar Meter bis zur Fechthalle sind, bin ich ziemlich durchnässt als ich durch die schwere Drehtür trete. Ich komme gerade noch rechtzeitig zur Auslosung meines Partners, heute bin ich echt spät dran.

„Tavis Stewart und Elliot Dunn“, höre ich unseren Trainer ausrufen. Toll. Ich mag ihn nicht. So ganz und gar nicht. Er ist ein kleiner wichtiger Schleimer. Oberflächlich, versessen auf Markenklamotten, schnelle Autos und Barbiepuppen Tussen. Ihn zu schlagen dürfte kein Problem werden, das nehme ich mir fest vor, Erkältung hin oder her. Er ist ein Gegner zum fertig machen. Vor dem Kampf haben wir wie immer Technik Training. Nach einer guten Stunde wird mir klar, dass dieser Kampf nicht so einfach wird wie ich es mir vorhin noch gedacht habe. Ich in jetzt schon erschöpft und meine Nase rinnt ständig, was unter der Maske die Hölle ist. Der Schweiß rinnt unbarmherzig meinen Rücken hinunter, ich kann mich nicht erinnern mich schon einmal so mies vor einem Kampf gefühlt zu haben. Meine Konzentration lässt auch zu wünschen übrig. Außerdem denke ich die ganze Zeit nach, warum sich Kendra seit dem Wochenende nicht gemeldet hat. Vielleicht habe ich etwas Falsches gesagt oder getan? Es ist nicht ihre Art sich nicht zu melden. Normalerweise ruft sie mindestens einmal täglich an. Freitag war noch alles wie immer. Sie hat bei mir übernachtet, die Erinnerung daran bringt mich zum Lächeln, alles war wie immer. Zumindest fällt mir kein Grund ein warum ich seither nichts mehr von ihr gehört habe.

 

„Stewart, worauf wartest du?“ Mein Trainer schüttelt genervt den Kopf. Ja…Ich bin unkonzentriert. Fuck. Vater hat mich gewarnt. „Bist du sicher, dass eine fixe Freundin dich nicht zu sehr von deinen Plänen ablenkt? Versteh mich nicht falsch, sie ist ein sehr hübsches und höfliches Mädchen, aber du hast doch noch Zeit und viel vor die nächsten Jahre.“ Irgendwie hat er ja auch recht, aber ich mag Kendra wirklich. Ja…Sogar mehr als ich anfangs erwartet hätte. Trotzdem: Ich muss mich konzentrieren. Genau jetzt. Darum reiße ich mich zusammen und stelle mich auf meinen Platz. Ich werde Dunn schlagen, ich werde einfach alles geben, dann ist es schnell vorbei und ich kann mich wieder hinlegen. Ich atme durch. Genau, aber zuvor muss ich Kendra erreichen, irgendwie baut sich ein ungutes Gefühl in mir auf. Wir sind jetzt seit ziemlich genau zwei Monaten zusammen. Sie ist toll. Hübsch und gebildet, tadellos erzogen und aus gutem Haus. Perfekt also. Wir lernten uns über einen gemeinsamen Freund kennen. Der gab am Samstag eine Party. Ich wollte so gerne mit ihr gemeinsam hingehen, aber dann lag ich mit Fieber flach. Womöglich ist sie deswegen beleidigt? Aber sie meinte es mache ihr nichts aus allein hinzugehen.

„Bist du soweit Stewart, oder willst du Tee trinken und plaudern?“, macht mich Dunn von der Seite an.

„Ich war schon bereit, da hast du noch in die Windeln geschissen“, fahre ich zurück. Er grinst und zieht sich seine Maske übers Gesicht. Normalerweise bin ich ihm weit überlegen, heute kostet mich jeder Schlag so viel Kraft, dass ich am liebsten alles hinschmeißen würde. Er erweist sich als ungewöhnlich zäh, ich konzentriere mich, der Schweiß rinnt in meinen Nacken und sucht sich seinen Weg den Rücken hinunter. Meine verstopfte Nase lässt mich kaum Luft bekommen, ich kämpfe im wahrsten Sinne des Wortes um mein Leben was meinem Gegner nicht zu entgehen scheint und ihn förmlich zu Höchstform auflaufen lässt. Ich atme durch und gebe noch einmal alles und gewinne um Haaresbreite. Diese Maske muss runter, sonst ersticke ich. Ich nehme sie ab und ziehe die Fechtjacke aus, weil mir so heiß ist. Erschöpft schnappe ich nach Luft. Dunn gibt mir nur widerwillig die Hand, aber es ist mir egal, Hauptsache es ist vorbei. Selbst wenn ich gewonnen habe, es war eine schwache Darstellung meiner selbst, darum bin ich nicht besonders stolz auf mich. Ich will einfach nur unter die Dusche und nach Hause. Ich gehe in den Mannschaftsraum, als er plötzlich hinter mir steht.

„Was willst du denn? Hast du noch nicht genug?“, frage ich patzig, auch wenn ich selbst schon mehr als genug habe.

„Bildest du dir jetzt etwas auf diesen Kampf ein? Du warst mies Stewart“, schüttelt er den Kopf.

„Trotzdem besser als du“, sage ich mit gemeinem Unterton. Mieser Schisser.

Er grinst und fährt sich durch seine blonde Haarpracht, auf die er wie es aussieht sehr viel Wert legt.

„Ja…Den Kampf habe ich vielleicht verloren, aber andere Trophäen sind mir sowieso lieber, vor allem wenn es ganz leicht ist sie zu erobern.“

„Was willst du Dunn? Ich habe keine Lust mit dir zu reden“, entgegne ich genervt.

„Kendra. Meine Trophäe ist Kendra.“ Seine Worte sind trocken, aber er grinst immer noch.

Ich sehe ihn vermutlich entsetzt an. Das ungute Gefühl ist wieder da. Es brennt seltsam in meinem Hals. „Was ist mit Kendra?“

Er lehnt sich an den Spinnt und nickt triumphierend. „Letzten Samstag. Auf der Party. Sie ist wirklich besonders. Ja…Und sie ist wesentlich einfacher zu haben als ich dachte. War gut…Aber keine Sorge…Ich will sie nicht nochmal. Einmal reicht mir.“ Er zuckt mit seiner rechten Augenbraue. „Du kannst sie gerne behalten.“

Mir reißt es den Boden unter den Füßen weg. Er lügt. Dieses Arschloch lügt! In meiner Stirn pocht es plötzlich. „Verschwinde und hör auf so über sie zu reden! So ist sie nicht! Was ist nur los mit dir? Kannst du nicht verlieren oder was und musst darum so einen Mist erzählen?“

„Verlieren? Doch das kann ich schon…Aber du nicht wie es scheint…“ Er beugt sich ein Stück zu mir. „Ich sage nur: Muttermal – rechts unter dem Nabel. Sehr weit unter dem Nabel.“ Dann dreht er sich um und will gehen, doch dazu kommt es nicht. Ich schnappe wutentbrannt nach Luft. Warum? Was?! Ohne nachzudenken und völlig außer mir schnappe ich mir meinen Degen. Ich kann nicht denken, alles dreht sich. Dieses Muttermal kann er nur kennen, wenn er sie nackt gesehen hat. Es ist an einer Stelle, die man nicht einfach mal so sieht. Ich bin außer mir und fühle mich plötzlich stark wie seit Tagen nicht mehr.

„Los! Zeig mir wie gut du kämpfst du Arschloch!“, brülle ich ihn an.

Er grinst wieder, fast als wolle er mich noch lächerlicher machen, doch dann schnappt er sich ebenfalls seinen Degen.

„Ach du willst ein Duell um die edle Lady Kendra?! Sehr gerne…Wirklich sehr gerne“, lacht er auf. Ein Kampf der schnell völlig außer Rand und Band gerät beginnt. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden was ohne Schutzbekleidung passieren kann setze ich wutentbrannt und voller Eifersucht einen Schlag nach dem anderen. Ein paar Kollegen wollen uns abhalten, aber ich bin so in Rage, dass ich nichts und niemanden mehr richtig wahrnehme. Ich werde nur noch aggressiver. Jeder Blick in seine Scheißfresse stachelt mich weiter an. Alles geht so schnell, ich fühle mich als wäre ich nicht mehr in meinem Körper. Ich spüre nur Wut und Hass, was mit jedem Schlag weiter aus mir brodelt. Ein brennender Schmerz auf meiner Brust lässt mich kurz innehalten. Er hat mich erwischt. Ich greife hin und sehe auf meine blutige Hand. Mein Blick verengt sich, ich hebe meinen Degen an. Er grinst immer noch. Dieses dreckige Schwein, ich werde ihm zeigen was er davon hat. Jeder weitere Schlag sitzt, auch wenn ich nicht nachdenke. Ich sehe nur noch Kendra. Wie sie lächelt. Wie sie mich küsst. Wie schön sie ist. Warum? Scheiße Warum? Sie gehört doch mir…Ich liebe sie…Alles dreht sich. Ich gehe zu Boden. Dunn sinkt ebenfalls nieder. Alles ist voller Blut. Mir ist schlecht. Jemand reißt mir den Degen aus der Hand. Es ist laut. Mein Trainer schreit. Alles klingt dumpf. Ich höre nur noch Notarzt…Rettungswagen…Hilfe…Dann verliere ich die Besinnung.

Bericht in einer schottischen Lokalzeitung:

Gestern Nachmittag ereignete sich ein schwerer Fechtunfall in der städtischen Sporthalle. Zwei junge Männer lieferten sich aus noch ungeklärter Ursache ein folgenschweres Duell ohne ausreichende Schutzausrüstung. Einer der beiden Männer erlag noch am Unfallort seinen schweren Verletzungen, der andere wurde mit lebensbedrohlichen Läsionen ins örtliche Krankenhaus gebracht. Nähere Details zum tragischen Unglück sind bislang nicht bekannt.

Kapitel 2

Der Prozess ist vorbei. Ich sollte erleichtert sein, doch ich weiß, dass die richtigen Probleme jetzt erst anfangen. Ich folge Vater ins Haus. Er hat seit Tagen nicht mit mir gesprochen, doch ich fürchte, heute wird er es tun. Der Kragen von meinem Hemd reibt fürchterlich an der noch immer nicht ordentlichen verheilten Narbe am Hals. Sie nässt und tut weh, auch wenn ich mich nur selten im Spiegel betrachte weiß ich, dass ich nun auch von außen für jedermann sichtbar das Monster bin das in mir schlummert. Ich löse die Krawatte, im Salon bleibt Vater vor mir stehen und sieht mich enttäuscht an. So ist das jetzt seit Wochen. Diese vorwurfsvollen Blicke seit dem Mittwochnachmittag der alles veränderte. Der Nachmittag der eine Seite in mir entfachte, die ich bislang nicht kannte. Der Nachmittag der einen Mörder aus mir machte. Unwiderruflich.

„Setz dich“, sagt er streng.

Ich befolge wortlos seine Anweisung, er stellt sich einschüchternd vor mich.

„Danke, dass du…“, fange ich an zu stottern, doch er schüttelt mahnend den Kopf und hebt die Hand.

„Wofür willst du dich bedanken? Wofür?“, seine Stimme ist laut, ich senke meinen Blick. „Schau mich an!“, fährt er mich dicht an meinem Gesicht an.

Ich halte die Luft an und sehe wieder auf. Auch wenn ich bisher niemals Angst vor meinem Vater hatte, es war in all den Jahren nicht nötig, jetzt spüre ich seine respekteinflößende Art in jeder Faser meines Körpers.

„Es hat mich ein Vermögen gekostet dich da rauszubekommen und damit meine ich nicht nur den Prozess. Aber darum geht es nicht, das Geld ist mir egal. Weißt du eigentlich was du der Familie von dem Burschen angetan hast? Sie haben einen Sohn verloren! Verdammt du hast den unschuldigen Sohn einer noch unschuldigeren Familie abgestochen! Du hast einen Menschen umgebracht! Aus Eifersucht, einfach so! Wegen einem Mädchen, dass du nicht einmal richtig kennst. Weißt du was du für ein Glück hast freigesprochen worden zu sein? Sonst würdest du jetzt im Gefängnis sitzen! Willst du das? Eingebuchtet, Tür an Tür mit Verbrechern?“

Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht wäre das besser…Ich…“

Wieder lässt er mich nicht weitersprechen. „Besser? BESSER!? Tavis! Willst du wegen einer Frau dein Leben wegschmeißen? Habe ich dir denn gar nichts beigebracht?“ Er schlägt unerwartet fest auf den Tisch, ich zucke zusammen. „Du hast doch alles! Oder nicht? Was fehlt dir?! Auf dieser Insel gibt es reihenweise Mädchen die den Boden auf dem du gehst küssen würden. Ach was rede ich, du kannst jede haben, egal woher, aber du hast nichts Besseres zu tun als ein Duell herausfordern! Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter!“

„Nichts. Mir fehlt nichts“, stammle ich kleinlaut. „Aber ich liebe sie…“

„Liebe?! Bist du übergeschnappt? Ein Mensch ist tot! Muss ich mir jetzt Sorgen machen, dass du gleich den nächsten niederstichst der dir in die Quere kommt? Du weißt doch gar nicht was Liebe ist.“ Er schüttelt ungläubig den Kopf.

„Ich wollte das nicht…Alles was ich bei Gericht gesagt habe stimmt. Es ist einfach passiert und ich weiß nicht einmal wie.“

Vater lässt sich nach Luft schnappend auf einen Stuhl sinken. „Du musst hier weg. Weit weg. Du brauchst Abstand. Ich will, dass du dich um deine Ausbildung kümmerst. London kannst du vergessen, dein Studienplatz dort ist kein Thema mehr, das ist dir hoffentlich klar. Du wirst in ganz Schottland und England keinen vernünftigen Ausbildungsplatz mehr bekommen.“

„Dann suche ich mir eben eine Arbeit…“, murmle ich.

Er beugt sich zu mir und schüttelt den Kopf. Seine Stimme ist wieder ruhig, auch wenn seine Körperhaltung signalisiert wie aufgebracht er immer noch ist. „Mein Gott Tavis…Du wirst hier der nächste Lord, ist dir das denn immer noch nicht bewusst? Was willst du machen? Als Stallbursche anheuern, oder in irgendeinem Büro Steuererklärungen machen?“

Seine Stimme ist leise und bedrohlich. Der nächste Lord. Ich bin kein Lord. Ich bin ein Mörder.

„Peter ist der nächste Lord. Nicht ich“, flüstere ich.

Er lehnt sich zurück und sieht mich lange wortlos an. Dann reibt er sich die Stirn. „Du bist der Erstgeborene. DU. Dafür wurdest du erzogen und ich werde alles tun damit es so ist. Mit ein bisschen Abstand und Zeit werden sich die Wogen wieder glätten.“

„Ich enttäusche dich doch nur“, entgegne ich und habe Angst vor seiner Reaktion, doch er bleibt weiterhin ruhig.

„Du wirst nach Amerika gehen, zu deiner Mutter. Dort interessiert deine Vorgeschichte niemanden. Ich habe schon mit ihr gesprochen. Du wirst studieren und alles tun um mich zufrieden zu stellen. Jeden einzelnen Tag wirst du kämpfen und mir zeigen, dass du es wert bist Lord zu sein. Keine Enttäuschungen mehr. Du hast es in der Hand.“

Ich sehe ihn entsetzt an. Amerika? Ich will da nicht hin und schon gar nicht zu meiner Mutter, aber sein Blick sagt mir, dass ich erst gar nicht versuchen brauche dagegen zu reden. Eigentlich ist es mir auch egal. Mein Leben ist nichts mehr wert. Dieses Gefühl jemanden auf dem Gewissen zu haben frisst mich täglich ein Stück weiter auf. Zeit und Abstand werden mir nicht helfen, so viel ist sicher.

„Geh jetzt auf dein Zimmer“, sagt er bestimmt und steht auf. „Und bis zu deiner Abreise hältst du dich auf dem Gut auf. Allein.“

Ich richte mich auf, als er mich am Arm packt. „Bis auf dieses eine Mal hast du mich nie enttäuscht. Nie. Du bist ein starker junger Mann, das warst du immer. Ich weiß, dass nicht immer alles einfach war. Für keinen von uns. Darum bin ich mir sicher, du wirst mich nicht noch einmal enttäuschen. Du hast von Emotionen getrieben gehandelt. Lerne diese Gefühle zu unterdrücken. Emotionen sind nichts für Männer und schon gar nichts für einen Lord.“ Er sieht mir tief in die Augen. „Du bist der Lord.“

 

Ich nicke wortlos. Keine Emotionen. Das Wort dreht sich seltsam in meinen Gehirnwindungen. Es brennt sich förmlich ein.

„Du bist der Lord Tavis!“, sagt er noch einmal lauter.

„Ja Vater. Ich weiß. Ich enttäusche dich nicht“, nicke ich mit gesenktem Blick.

In meinem Zimmer reiße ich mir das Hemd vom Oberkörper. Ich stelle mich vor den Spiegel und sehe mich an. Mit meinen dunklen Haaren und den blauen Augen sah ich bis vor kurzem noch ganz passabel aus. Jetzt bin ich ein Freak. Entstellt und wie es scheint zu allem fähig. Langsam fahre ich die Narbe von meiner Wange den Hals hinunter nach, dann die andere auf meiner Brust. Die rot entzündeten Striemen sehen aus wie aufgeplatzte Würste. Diese Narben werden mich immer daran erinnern was passiert ist. Jeden Tag für den Rest meines Lebens. Die Ärzte meinten es war pures Glück zu überleben, wäre der Hieb nur ein paar Zentimeter tiefer gesessen, wäre ich jetzt gleich wie Dunn tot. Ich schließe meine Augen und versuche ruhig zu atmen. Wäre vermutlich besser so. Vater hätte sich eine Menge Ärger erspart und Peter könnte das Gut übernehmen. Mit geschlossenen Augen atme ich tief durch. Ich weine nicht. Ich bin der Lord. Ein Lord ist stark. Ich bin stark. Ein leises Klopfen an meiner Tür lässt mich zusammenzucken.

„Tavis…Kendra ist am Telefon…Sie würde wirklich gerne mit dir sprechen glaube ich…“, sagt Eliza durch die geschlossene Tür. „Sie klingt schon ganz verzweifelt.“

Ich schüttle den Kopf. „Nein…Ich kann nicht mit ihr reden. Sag ihr irgendetwas…mir egal…“

„Ach Tavis…“, seufzt sie.

„Lass mich jetzt in Ruhe“, fahre ich etwas zu laut zurück, was mir gleich leidtut. Eliza ist die einzige in diesem Haus die mich nicht wie einen Mörder ansieht. Sie sieht mich aber auch nicht wie einen Lord an. Peter schaut sie ganz anders an. Wenn er in ihre Küche kommt, wird ihr Blick ganz warm und weich. Mich sieht hier keiner so an. Vermutlich hält sie mich für einen lächerlichen kleinen Wichser. Sie geht. Ich lasse mich auf mein Bett fallen. Auch wenn ich immer noch wütend auf Kendra bin, ich würde gerne mit ihr reden. Ich möchte verstehen warum alles so gekommen ist. Sie versucht mich seit Wochen zu sprechen. Doch ich bin der Meinung, sie ist ohne mich besser dran. Ich bin nicht zurechnungsfähig. Ich würde sie nicht glücklich machen. Und ich sehe aus wie ein Monster. Wer kann schon einen Typen der so entstellt ist lieben? Ich drehe mich zur Seite und atme durch. Amerika. Weg von hier. Selbst wenn es das Schlimmste ist, was ich mir vorstelle, so wird es doch das Beste sein. Lieber wäre ich ins Gefängnis gegangen als zu meiner Mutter und doch muss ich Vater beweisen, dass ich ihn nicht weiter enttäusche. Ich muss es einfach tun.