Freiheit auf Zeit

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Freiheit auf Zeit
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KRISTINA MÜLLER

FREIHEIT AUF ZEIT
WELTUMSEGLER
ERZÄHLEN
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DELIUS KLASING VERLAG


Trudele durch die Welt, sie ist so schön.

Gib dich ihr hin und sie wird sich dir hingeben.

Kurt Tucholsky

Inhalt

Ein letztes großes Abenteuer

1 Durchatmen am Ende der Welt

Kap Hoorn und weiter: Tatjana Hartmann und Thomas Witt und ihr Traumtörn in eisige Breiten

2 Junge, komm heil wieder

Frei und weg: Der 25-jährige Martin Finkbeiner und seine Weltumsegelung mit Hindernis und Hilfsprojekt

3 Huckepack nach Hause

Schiffe bauen, Leinen lösen: Sabine und Heinz Solka und ihre ungewöhnlichen Reisen über Flüsse und Ozeane

4 Nach Westen mit der flotten Flotte

15 Monate, 30 Yachten, ein Ziel: Birgit und Uwe Strüwing und ihre weltumspannende Segelrallye

5 Michaels Mission

Aussteigen und Gutes tun: Dr. Michael Leppert und seine segelnde Zahnklinik auf zwei Rümpfen

6 Zwischen Hamburg und weit weg

Rekordverdächtig langsam: Ingrid und Jürgen Mohns und ihre 23 Jahre dauernde Reise

7 Chiemsee, Ostsee, Südsee

Ein junges Paar mit altem Boot: Christine und Christian Wagner und ihr spontaner Plan, zu den schönsten Orten der Welt zu segeln

8 Stradivari zur See

Handschmeichler aus Holz: Renate und Dieter Heller und ihr schwimmendes Schmuckstück

9 Pannen im Paradies

Von Schutzengeln und Schiffbruch: Moritz Herrmann und sein Einhandtörn bis zum bitteren Ende

10 Mit dem Traumschiff ins Blaue

Das Ziel ist alt, das Boot brandneu: Christine und Herbert Graßhoff und ihre Jungfernfahrt für Fortgeschrittene

11 Das segelnde Klassenzimmer

Ahoi, Herr Lehrer: Familie Winkelmann und ihre Weltumsegelung mit zwei schulpflichtigen Kindern

12 Dienstreise um die Welt

Doppelt hält besser: Wolfgang Weber und seine zwei Weltumsegelungen mit Gästen

Kleines nautisches Glossar


Ein letztes großes Abenteuer

Jede Weltumsegelung ist eine Liebesgeschichte. Sie erzählt von Männern und Meeren, von Frauen und Freiheit. Und von der Verwirklichung lang gehegter Träume. Vor diesen Geschichten sei gewarnt. Sie können akutes Fernweh auslösen und Reisefieber verursachen, bis hin zu dem drängenden Verlangen, jetzt gleich und hier alles stehen und liegen zu lassen, auf ein Boot zu steigen und davonzusegeln. Als Gegenmittel helfen vorübergehend nur das Stöbern in Gebrauchtbootanzeigen und das Verteilen von Kreuzchen auf dem Globus.

Zwölf Reisen deutscher Weltumsegler zeichnet dieses Buch nach, basierend auf zwölf Interviews mit Paaren, Soloseglern und einer Familie. Zwölf Träume, zwölf Entscheidungen des Loslassens, zwölfmal vollkommene Freiheit. Aber auch: Stürme, Kenterungen, Schlafmangel, leere Kassen und Bürokratie.

All diese Weltumsegelungen haben Menschen wie Sie und ich unternommen: keine Profisegler, keine Rekordjäger, keine Superreichen. Keine bärtigen »Salzbuckel«, keine Adrenalinjunkies. Sie alle teilen die Leidenschaft des Langfahrtsegelns, ohne dass sie zwangsläufig am Meer aufgewachsen, geschweige denn von klein auf Segler sind. Und sie alle haben vorgemacht, dass verdammt viel möglich ist, wenn man nur will.

Ähnlich, oft gar identisch, waren ihre Gründe, loszusegeln. Eines der »letzten großen Abenteuer« wollte Lars Winkelmann erleben. Die Welt zu sehen oder einfach mal weg zu sein sind weitere Motive, die regelmäßig auftauchen. Und dennoch hätten die folgenden Reisen und die Voraussetzungen dafür verschiedener kaum sein können. Genau das war der Grund, warum ich sie auswählte.

Von A bis Z durchgeplant und schnell wieder vorbei (zumindest aus Weltumsegler-Perspektive) war die Tour von Birgit und Uwe Strüwing. Sie schlossen sich einer Rallye um den Globus an. Gefühlt endlos ließen sich dagegen Ingrid und Jürgen Mohns über die Weltmeere treiben. An ihre große Runde hängten sie gleich eine zweite dran. Erst nach über zwei Jahrzehnten liefen sie wieder im Heimathafen ein.

Martin Finkbeiner zog als Mittzwanziger los, hungrig nach Abenteuern. Auf die Rente warten? Nein, danke. Auch andere wollten das nicht: Familie Winkelmann zum Beispiel, die sich von der Schulpflicht in Deutschland nicht abschrecken ließ und mit kleinen Kindern aufbrach. Oder Tatjana Hartmann und Thomas Witt: Sie kündigte, sein Chef genehmigte Urlaub, und sie waren fortan nicht mehr gesehen … So hätte die Geschichte zumindest weitergehen können, wäre es nach den beiden Seglern gegangen. Glücklicherweise wurden sie wiedergesehen. Doch die Abgeschiedenheit mancher Ankerplätze, das Fehlen von Zwängen und das langsame Leben an Bord hinterließen den nachhaltigen Gedanken an den ganz großen Ausstieg.

Dr. Michael Leppert ist diesen Schritt längst gegangen. Seine Weltumsegelung mit ärztlicher Mission ist (noch) nicht vollendet, sie wird es vielleicht niemals sein. Der Pazifik hält ihn fest, seit bald einem Jahrzehnt. Zum Geschäftsmodell hingegen hat Wolfgang Weber das Weltumsegeln ausgebaut: Als Gastgeber reiste er auf seiner Yacht um den Globus. Nicht einmal, gleich zweimal. Mit großem Erfolg.

Nicht allen Reisenden war Fortuna so wohlgesonnen. Eine der Weltumsegelungen endete dramatisch, eine andere löste Zweifel aus. Dies sind jedoch die Ausnahmen, der Großteil der Rückkehrer wäre am liebsten gleich wieder losgesegelt. Oder gar nicht erst zurückgekehrt. Gerade die jüngeren Crews wären wohl heute noch unterwegs, hätten leere Bordkassen sie nicht irgendwann in die Heimat geschickt.

Heimliche Hauptdarsteller der Geschichten sind die Segelyachten. Sie wurden zum Zuhause und zu Reisegefährten der Segler. Manche sind klein, alt und aus rostendem Stahl. Andere, wie die SCHÜSSEL von Christine und Herbert Graßhoff, brandneu und nach den Wünschen der Eigner in modernster Machart gebaut. Heinz Solka schweißte die Platten seines ersten Schiffes eigenhändig zusammen, das zweite konstruierte er selbst und spendierte ihm sogar eine Fahrt auf dem Frachtschiff. Renate und Dieter Heller brachen mit einem schmucken Klassiker zur Weltreise auf, einem Schiff mit hohem, pflegeintensivem Holzanteil.

Schließlich unterscheiden sich die Weltumsegelungen dieses Buches durch die gesegelten Routen, den »Fahrplan«. Viele führen entlang der Barfußroute, geschoben vom Passatwind. Doch nicht wenige Segler entfernten sich vom Strom, reisten abseits der Segelhighways: zu den abgelegenen Inseln des Nordpazifiks, auf Flüssen und Kanälen in Europa und Amerika, in den hohen Norden und tiefen Süden dieses Planeten. Zum Mythos Kap Hoorn und weiter.

Sie halten keinen Ratgeber für angehende Blauwassersegler in den Händen. Dennoch konnte ich es nicht lassen, die Weltumsegler um ihre besten Tipps, Tricks, Anekdoten und technischen Angaben zu ihrem Schiff zu bitten. Sie finden sich am Ende jedes Kapitels und vermitteln gemeinsam mit den Kurzporträts einen kompakten Eindruck davon, worauf es bei dem Unterfangen Weltumsegelung ankommt.

Was die Protagonisten der folgenden Seiten wohl erzählen würden, säßen sie alle in einer lockeren Runde versammelt? Vielleicht ginge es um die optimale Ausrüstung, die schönsten Ankerbuchten – oder um die Fragen, die ich ihnen gestellt habe: In welchem Moment war klar, dass ihr um die Welt segeln wollt? Was werdet ihr nie vergessen? Und wie war es, wieder zurückzukehren?

 

Für einige Stunden laden sie uns zu sich an Bord ein, um noch einmal, zwischen Seekarten und Konservendosen sitzend, zu planen und zu träumen, die Welt achteraus zu lassen und irgendwann wieder anzukommen.

Vielen Dank euch Weltumseglern. Für die Offenheit, mit der ihr über den Törn eures Lebens und den Weg dorthin berichtet habt – in Kajüten, Kaminzimmern, Kneipen oder über eine brüchige Skype-Verbindung. Ein Hoch auf eure Abenteuerlust, dank der zwischen den folgenden Zeilen die Erfahrung aus einer halben Million Meilen und rund 100 Jahren auf See fließt.

Kristina Müller, Hamburg 2017


Tatjana Hartmann und Thomas Witt mit SY BREAKPOINT, Mai 2004 bis Oktober 2009, Lübeck–Lübeck, 42.200 Seemeilen, 1984 Tage

1 Durchatmen am Ende der Welt
Kap Hoorn und weiter: Tatjana Hartmann und Thomas Witt und ihr Traumtörn in eisige Breiten


Thomas Witt, kurz Tom genannt, träumt davon, um die Welt zu segeln, ohne je einen Fuß auf ein Segelboot gesetzt zu haben. Er malt sich Kap Hoorn aus, den Ort, der mehr als jeder andere von Stürmen erzählt, von Schiffbruch und Abgeschiedenheit. Aber auch von Freiheit, grandioser Natur und Abenteuer. Von den Dingen eben, die der Meeresbiologe sein Leben lang gesucht hat. 1986 reist er mit dem VW Bus durch Afrika, arbeitet später als Tauchlehrer an entlegenen Winkeln der Welt. Für die Reise seiner Träume braucht er ein Schiff – und verliebt sich in die gutmütigen Aluminiumbauten aus der Feder Kurt Reinkes. Und schließlich in Tatjana Hartmann, die – welch Glück – segeln kann.

Hohe Breiten mit tiefen Temperaturen

Es bedarf keiner großen Überredungskunst, um Tatjana für seine Idee von der langen Reise zu begeistern. Zusammen suchen sie ein Schiff und finden in Emden eine Reinke 13M. Die Eisversion, mit Schotten und verstärkter Bodenplatte. Gerade fertig gebaut und von den Eignern nahezu perfekt für eben den Zweck ausgerüstet, der im Kopf des Paares spukt: weltweite Fahrt, in die hohen Breiten mit den niedrigen Temperaturen. Wie es der Zufall will, vereiteln Hund, Kind und Krankheit, dass die stolzen Erbauer selbst mit dem Schiff aufbrechen können. Ihr erster und einziger Törn ist der Testschlag mit Tatjana und Tom, bei dem der Funke endgültig überspringt. Tom verkauft einen Teil seines geerbten Grundstücks, um das Schiff zu kaufen. Eine Win-win-Situation, denn die Erbauer sind froh, dass wenigstens die Yacht die große Reise antreten wird.


Ihre BREAKPOINT legen die neuen Besitzer an einen Abschnitt der Trave, den Besucher nur finden, wenn sie ihr Ziel kennen. »Dort konnten wir auch sonntags flexen«, lacht Tatjana. In den folgenden vier Jahren verbringen die Hamburger jede freie Minute an Bord. Segeln, schrauben, planen. Sie arbeiten und legen jeden Euro, der nicht ins Schiff fließt, zur Seite. Kein Kino, kein Essengehen, keine neuen Klamotten. Im Alltag treffen sie die nötigen Vorbereitungen: Tom, der im Vertrieb eines Energieversorgungsunternehmens arbeitet, kann einen fünfjährigen unbezahlten Urlaub durchsetzen. Tatjana kündigt. Als Fachkrankenschwester für Anästhesie hat sie keine Sorge, später wieder eine Stelle zu finden. So bekommt der Plan vom Ausstieg auf Zeit konkrete Züge: Fünf Jahre, sie wollen nach Patagonien, in die chilenischen Gletscherkanäle. Rund Kap Hoorn. Danach? »Das war alles offen.«

Stürmischer Start

Das erste schwere Wetter hinterlässt einen salzigen Vorgeschmack auf das, was sie abseits der Barfußroute erwartet.

Disziplin und Tatendrang ermöglichen es dem Paar, im Mai 2004 den Liegeplatz an der Trave zu verlassen – nicht ohne zuvor zu heiraten. Tatjana ist 36, Tom 44 Jahre alt. Es werden stürmische Flitterwochen auf See: Das erste schwere Wetter erwischt sie schon auf der Nordsee und hinterlässt einen salzigen Vorgeschmack auf das, was sie abseits der Barfußroute erwartet. Denn dass sie die Segelhighways verlassen wollen, ist klar. In Schottland tanken sie Diesel und Kraft und entscheiden sich aus Zeitmangel gegen die Passage der irischen Westküste. Denn noch im August wollen sie über die Biskaya segeln, bevor die ersten Herbststürme die Querung der Atlantikbucht in einen rauen Endspurt entlang des europäischen Festlandes verwandeln. Der Plan geht auf, und Portugal sagt sachte Adieu.

Dann knarren zwei Fragen in gebrochenem Englisch aus dem Lautsprecher: Wer seid ihr und wie viele?

Erst der nächste lange Schlag auf dem Atlantik, rüber nach Madeira, bringt einen Zwischenfall mit sich, der bei Tatjana und Tom noch heute Gänsehaut erzeugt. Die Sonne hat sich gerade zurückgezogen und die Nacht stockdunkel ihren Dienst angetreten, als ein Motorboot sich unnatürlich nähert. Tom nimmt Funkkontakt auf – keine Reaktion. Dann erst knarren zwei Fragen in gebrochenem Englisch aus dem Lautsprecher: Wer seid ihr und wie viele? Auf dem Radarschirm verfolgen die beiden Segler, wie offensichtlich zwei Beiboote ausgesetzt werden. Piraten oder Polizei? Die drei Schiffe kreisen BREAKPOINT ein, kommen bis auf 200 Meter heran. Toms weitere Funksprüche bleiben unbeantwortet. Schließlich setzt Segelyacht BREAKPOINT einen Notruf ab, den Amateurfunker an die Einsatzzentrale in Bremen weiterleiten. Als ahnten die Unbekannten, welche Notfallstaffel gerade zu laufen begonnen hat, drehen sie ab und verschwinden vom Radar. Tatjana und Tom atmen auf. Für den Rest der Nacht schalten sie die Positionslichter aus.

Reisen, um zu segeln, und segeln, um zu reisen

Die Atlantik- und die Äquatorüberquerung mit Kurs Brasilien sind Premieren für Schiff und Crew, die nun richtiges Blauwasserleben kennenlernt – und sich dabei von vielen Paaren auf Langfahrt unterscheidet: Es ist Tatjana, die Ozeanpassagen mehr abgewinnt als Tom. Sie genießt das Segeln und das Leben an Bord. »Das ist für mich, im wahrsten Sinne des Wortes, Freiheit.« Für Tom hingegen »war Ankommen stets wichtiger und das Schiff eher Mittel zum Zweck, Orte dieses Planeten zu erreichen, an die sonst keiner kommt«. Es ist auch Tatjana, die auf größere Segelerfahrung zurückblickt und für den Feintrimm zuständig ist. Auch wenn dieser, zugegeben, auf einem 16 Tonnen schweren Kimmkieler keine allzu große Rolle spielt.

Dennoch ist die Rollenverteilung an Bord in vielerlei Hinsicht klassisch. Tatjana navigiert, Tom repariert, manövriert und pflegt die Maschine. Die Frage, wer denn eigentlich Skipper sei, drängt sich dennoch auf. »Ja, das ist immer so ein Thema«, sagt Tatjana und lacht. »So ganz geklärt haben wir das nie.« »Aber wenn die Behörden im Hafen an Bord kommen und einen Mann und eine Frau sehen, bin ich automatisch ihr Ansprechpartner«, ergänzt Tom. Auf See teilen sie die Verantwortung und wechseln sich nachts im Drei-Stunden-Rhythmus ab.

Ein Virus ohne Gegenmittel

Sie will nicht mehr zurück in gesellschaftliche Zwänge und schlägt vor, das Haus in Deutschland zu verkaufen. Auszusteigen.

Die Ankunft in Rio de Janeiro hat das Duo sich anders vorgestellt: Kaum ist der Anker unter dem Zuckerhut gefallen, rasen sie mit Schlauchboot und Taxi zum nächsten Krankenhaus. Bei einem Segelmanöver war Tatjanas linker Ringfinger zwischen Block und Schot geraten. Das Resultat: ein durchtrenntes Sehnenband im Finger und eine stark blutende Wunde. Eine Verletzung, die heilt und schnell vergessen ist. Doch etwas anderes, nur schwer Heilbares (»schlimmer als ein Bakterium, denn dagegen gäbe es wenigstens ein Antibiotikum«), befällt die Krankenschwester: Der Langfahrtvirus erwischt Tatjana in Brasilien mit Macht. Sie will nicht mehr zurück in gesellschaftliche Zwänge und schlägt vor, das Haus in Deutschland zu verkaufen. Auszusteigen.

Es ist ausgerechnet der Abenteurer Tom, der eigentlich erst so richtig glücklich ist, wenn der Adrenalinpegel im Blut auf Anschlag steht, der Einwände hat. Er antwortet: »Wenn du mir sagst, wie wir das finanzieren wollen, dann lass uns das machen.« Seine gesicherte Rückkehr an den Arbeitsplatz ist ein weiterer Grund, am Plan festzuhalten. »Damals wussten wir noch nicht«, so Tatjana heute, »dass sich unterwegs so viele Möglichkeiten zum Arbeiten ergeben würden. Als Tauchlehrer oder in der Vercharterung beispielsweise. Aus Deutschland zu kommen ist da von großem Vorteil.«


So aber, es ist Herbst 2006, nimmt eine neue Idee an Bord der BREAKPOINT Gestalt an: Im Anschluss an Kap Hoorn soll es um die Welt gehen. Tom beantragt ein weiteres Jahr Urlaub, da sie ahnen, dass die Zeit für die komplette Runde sonst knapp wird. Denn das oberste Ziel ist, das Schiff unversehrt nach Hause zu bringen. Um irgendwann, das steht schon fest, noch einmal aufzubrechen.

Kreise vor Kap Hoorn

Zunächst aber steht der raue Ritt gen Süden an, entlang der argentinischen Küste, wo Stürme und rasante Wetterumschwünge zum Alltag gehören. BREAKPOINT bewegt sich in einem losen Konvoi aus Segelyachten, die alle dasselbe unwirtliche Ziel haben. Außerdem kommt mit Walter, Rentner und Stegnachbar von der Trave, ein echter »Salzbuckel« an Bord. Zwei Hände mehr geben ein gutes Gefühl und für Walter geht ein Lebenstraum in Erfüllung.

Dorthin, wo es keine Marinas mehr gibt und keinen Mobilfunkempfang. Wo Retter weit weg sind und Ruhe den Weitgereisten belohnt.

Schon in Hamburg hat Tatjana die Navigation bis hierher geplant, nach Feierabend in der Bibliothek des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie gestöbert und Seite um Seite aus Fachbüchern studiert. Nun bekommen die Namen von einsamen Orten und abgelegenen Buchten endlich scharfe Konturen vor dem tiefblauen Südhimmel, nun ist Ushuaia endlich mehr als nur ein Sehnsuchtsziel. In Puerto Williams, auf der chilenischen Seite des Beagle-Kanals, beantragen sie die Weiterfahrt nach Süden. Dorthin, wo es keine Marinas mehr gibt und keinen Mobilfunkempfang. Wo Retter weit weg sind und Ruhe den Weitgereisten belohnt.

Für Teilnehmer einer Nonstop-Hochseeregatta markiert die Passage des zornigen Zipfels Südamerikas den Weg vom Pazifik in den Atlantik quasi im Vorbeifahren. Die Kap-Hoorn-Rundung eines Fahrtenseglers kommt dagegen meist einer gezielten Expedition gleich. So auch für Tatjana und Tom, die mit Walter und zwei dänischen Seglern an Bord in fünf Tagen von Puerto Williams zur Isla Hornos und zurück segeln. Während Walter mit BREAKPOINT Kreise vor dem legendären Felsen zieht, fährt der Rest der Crew abwechselnd mit dem Beiboot an Land. Ankern ist auf dem zerklüfteten Grund zu gefährlich, die See zu rau. Einen Besuchssteg gibt es am Ende der Welt noch nicht.

Die folgenden Monate zeigen, dass BREAKPOINT nicht ohne Grund eine autarke Aluminiumyacht mit einer sechs Zentimeter dicken Isolierung ist, einen Dieseltank für 1000 Liter und ein ausgeklügeltes Heizsystem hat: Ihren Eignern gefällt die südchilenische Einsamkeit so gut, dass aus den geplanten drei Monaten vor Ort fast ein ganzes Jahr wird. Durchatmen, Ski laufen, einsam ankern, Spanisch lernen. Nur gelegentlich steuern sie Ushuaia an, um die Vorräte aufzufüllen. Erst am Ende des südlichen Winters, im Oktober 2006, brechen sie nach Norden auf und genießen drei Monate lang die eisige Schönheit Patagoniens. Nicht ohne den Risiken des Reviers zu begegnen: Ein unberücksichtigter Winddreher treibt eines Nachts Eisschollen in die Bucht, in der die Reinke ankert. Nur mit der vollen Kraft der Maschine arbeiten sich die Hamburger Meter um Meter aus der Falle heraus.

Next Stop: Hongkong

Glasfassaden der Wolkenkratzer, grelle Werbebanner und übervolle Supermärkte lösen einen kleinen Kulturschock aus.

 

Im Januar 2007, nach knapp zwei Jahren in Südamerika, ist die Zeit für den Absprung über den Pazifik gekommen. Der Faserpelz verschwindet im Kleiderschapp, nun ist Adamskostüm angesagt. Auf dem Weg nach Nordwesten besuchen Tatjana und Tom Rapa Nui, die Osterinsel. An Pitcairn, rund 1000 Seemeilen im Westen, müssen sie vorbeisegeln. Die Wettersituation macht das Ankern vor der schroffen Felsküste zu gefährlich. Nach Monaten in der Südsee, als das Gros der Segler vor der Wirbelsturmsaison nach Süden ausweicht, ändert BREAKPOINT den Kurs nach Norden. Das Ziel: die Metropolen Hongkong, Singapur, Kuala Lumpur. Nach der Abgeschiedenheit und Armut vieler Pazifikinseln lösen die Glasfassaden der Wolkenkratzer, grelle Werbebanner und übervolle Supermärkte einen kleinen Kulturschock bei dem Paar aus. Doch eine Segelpause ist willkommen: An der Nordspitze der Philippinen waren sie in die Ausläufer eines Taifuns geraten. Drei Tage lang Windstärke zehn und Hiobsbotschaften von in der Nähe gesunkenen Schiffen sorgen dafür, dass »eine kleine Auszeit nötig war«, sagt Tom.

So trödeln sie durch Malaysia und tauchen in die südostasiatische Kultur ein. Überlegen sogar zu bleiben, ein Haus zu kaufen. Und halten am Ende doch wieder am Ursprungsplan fest. Inzwischen ist es August 2008, und angesichts der noch vor ihnen liegenden Tausenden von Seemeilen durch den Indischen Ozean und um Afrika herum wird die Zeit knapp. Zumal aus einem »kurzen Tankstopp« auf den Seychellen ein Aufenthalt von sechs Wochen wird. »Wir haben einfach unheimlich nette Menschen getroffen und sind nicht losgekommen«, erklärt Tatjana. Kurz erwägen sie die Abkürzung durch den Suezkanal. Aber die Warnung vor Piraten und der Wunsch, Südafrika zu bereisen, sind Gründe genug, die Inseln mit dem Bug in Richtung Tansania zu verlassen. Ein Garant, der Kriminalität auf See zu entgehen? Mitnichten: »Nur eine Woche nachdem wir von den Seychellen losgesegelt waren, wurden dort britische Segler entführt. Mitten im Indischen Ozean«, erinnert sich Tom.