Officer Hot Cop

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OFFICER HOT COP

Laurelin Paige
Sierra Simone


© 2020 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Umschlaggestaltung Andrea Gunschera

© Englische Originalausgabe Laurelin Paige, Sierra Simone 2017

© Übersetzt von Corinna Bürkner

ISBN Taschenbuch: 9783864439476

ISBN eBook-mobi: 9783864439483

ISBN eBook-epub: 9783864439490

www.sieben-verlag.de

Für Kiawah und einen Alligator namens Clive.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Danksagungen

Kapitel 1
Livia

Dreihundertvierundsechzig Tage.

Das ist mein erster Gedanke, als ich aufwache. Ich habe noch nicht einmal die Augen geöffnet. Es liegen noch dreihundertvierundsechzig Tage vor mir, bevor Untergang und Zerstörung in Gestalt meines dreißigsten Geburtstags über mich hereinbrechen.

Dreihundertvierundsechzig erbärmliche Tage.

Das ist nicht annähernd lange genug. Ich befinde mich praktisch schon auf dem Totenbett. Ich kann fühlen, wie meine Haut trocken und faltig wird, während ich hier liege. Wie meine Knochen spröde werden. Wenn ich hinfiele, würde ich mir wahrscheinlich den Oberschenkelhals brechen. Vorbei sind die Tage, an denen ich am Eingang von Clubs und Bars meinen Führerschein vorzeigen musste. Es ist für jeden ersichtlich, dass ich nur noch einen Steinwurf vom Grab entfernt bin. Stöhnend ziehe ich mir die Decke über den Kopf. Ich bin neunundzwanzig und habe in meinem Leben nichts erreicht. Das Ende zieht herauf.

Ich bin fast dreißig.

Bevor ich wieder einschlummern kann, klingelt das Telefon. Die Neugier treibt mich an, danach zu greifen. Nur zwei Menschen rufen mich jemals an. Meine Mom und mein Bruder. Und keiner von beiden würde es wagen, mich so früh am Tag zu stören.

Ich sehe den Namen auf dem Bildschirm und seufze. Wenn ich sie ignoriere, ruft mich Megan einfach noch mal an. Also gehe ich dran.

„Echt jetzt? Ein Anruf? Ist deine Tastatur kaputt oder so was?“

Weil, ernsthaft. Wer ruft schon an, statt einfach eine Nachricht zu tippen?

„Was?“, fragt sie, verwirrt von meiner Begrüßung.

Vielleicht kennt sie mich noch nicht lange genug, um meine Pedanterie reizend zu finden. „Ach nichts. Was gibt’s?“

„Nicht viel. Ich muss heute nicht arbeiten und wollte mal nach dir hören.“

Ich bin erst seit zwei Monaten in der Corinth Bibliothek. Das reichte für Megan Carter, der extrem fürsorglichen und extrem aufgeschlossenen Informationsfachfrau für Kinder, mich unter ihre Fittiche zu nehmen. Obwohl ihre Art manchmal beinah erdrückend sein kann, muss ich feststellen, dass ich sie sehr mag.

„Du hast ein bisschen niedergeschlagen ausgesehen, als du gestern Abend die Bar verlassen hast. Ist alles in Ordnung?“

„Außer, dass mich bald der Tod heimsuchen wird, geht es mir echt gut.“

„Au weia. Bisschen Drama-Queen-mäßig drauf oder wie?“

Ich werfe die Decke von mir und klettere aus dem Bett. „Bin ich das? Oder bin ich Realistin? Stelle ich mich meiner unausweichlichen Vernichtung?“

„Klingt nicht so, als würdest du dich irgendwas stellen. Du jammerst. Bist dramatisch. Jeder wird älter. Jeder wird mal dreißig. Außerdem liegt noch ein komplettes Jahr vor dir. Willkommen im Leben, Schwester.“

Ich schlurfe zur Küche und zu meiner Keurig Kaffeekapsel Maschine, die ich mir zum Geburtstag geschenkt habe. Ich habe sie erst einen Tag, bin ihr aber schon für immer verfallen. „Meinst du nicht eher Willkommen im Tod?“ Ich wähle die Sorte Southern Pekannuss, drücke den Knopf und warte auf die Freude in meinem Humpen mit der Aufschrift Ich würde sterben für eine gute Tasse Kaffee. Das scheint zu meinem Sterblichkeitsthema zu passen.

Megan findet meinen Witz nicht lustig. „Das macht dir wirklich zu schaffen, oder? Warum glaubst du das?“

Oh Gott. Ich wollte wirklich nicht über meine Gefühle reden. Ich seufze. Das mache ich gern. „Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl mir fehlt irgendetwas. Da muss es noch mehr geben, als das hier.“ Von der Küche aus blicke ich mich in meiner Zweizimmerwohnung um. Mit dem Rest vom Erbe meiner Großmutter konnte ich mir die Abzahlung leisten. Der andere Teil ging in die Finanzierung meines Studiums für Humanwissenschaften und abendländische Kultur an der Universität von Kansas. Meine Büchersammlung sprengt bereits fast meinen vorhandenen Platz, aber sie ist alles, was ich jemals gebraucht habe. Und genau das, was ich immer haben wollte. Warum also fühle ich diese innere Leere?

„Du brauchst einen Kerl“, entscheidet Megan.

„Tue ich nicht. Das ist es nicht, was ich brauche.“ Und das meine ich auch so. Aber ich brauche … irgendwas. Mit dem Finger berühre ich den Prospekt, der hinter der Rainbow China Restaurant Karte am Kühlschrank klemmt, seit ich die Kinderwunschklinik letzten Monat aufgesucht hatte.

Ist es das, was ich brauche? Die Kosten für eine künstliche Befruchtung sind nicht so hoch, wie ich erwartet hatte. Wenn ich es wirklich versuche, könnte ich mir das leisten, auch bei dem Gehalt einer Bibliothekarin. Aber ein unbekannter Vater … meine Mutter würde durchdrehen. Dennoch denke ich darüber nach. Jetzt, wo mein Tod auf mich zurast, sollte ich vielleicht schneller nachdenken.

„Vermisst du denn nicht einmal den Sex?“

Das scheint eine harmlose Frage zu sein, aber von Megan kommend bin ich mir sicher, dass ihre Frage zu einem Blind Date führt, wenn ich nicht aufpasse.

„Mein Vibrator funktioniert einwandfrei“, erkläre ich ihr. „Und dabei ist er weder großspurig noch selbstgefällig und verlässt mich nicht.“

„Stimmt, aber die Batterien halten nicht ewig.“

„Sie sind wiederaufladbar.“

„Das ist nicht dasselbe. Hör zu, Livia. Ich werde jetzt ganz ehrlich zu dir sein.“

Doch ich verstehe nicht, was sie sagt, denn eine Reihe von Brummgeräuschen überlagert ihre Rede. Ich habe Nachrichten erhalten. Einige.

Ich nehme das Handy vom Ohr und lese.

Ich glaube, ich stecke in mächtigen Schwierigkeiten. So wirklich. Also richtig große Schwierigkeiten, und jetzt sind die Cops hier und du musst vielleicht Kautionsgeld mitbringen, denn Mom steht im OP und Dad ist bei einer Geburt dabei, also können sie mir nicht helfen kommen, aber ich habe was gemacht.

LIVIA!

ERINNER DICH AN MICH, wenn ich im Knast vergehe. Was, wenn ich die nächste Staffel von SKAM verpasse?

Die Nachrichten sind von Ryan, einem Mädchen, mit dem ich in der Bibliothek oft zusammenarbeite. Also, sie ist eine richtige Drama-Queen. Ich halte mir das Handy wieder ans Ohr. „Bleib mal kurz dran, Megan.“ Dann tippe ich Ryan schnell eine Antwort.

Ich: Was ist los? Fasse dich kurz!

Sie antwortet in Form eines Panoramafotos. Es sieht aus wie der Parkplatz ihrer Highschool. Ich kann nicht viel erkennen, nur dass da viele Autos hinter ihr stehen und ein Polizeibeamter. Und es sieht so aus, als ob Ryan sich zwischen zwei Bäumen angekettet hat und somit eine Barrikade zwischen der Schule und der Zufahrt darstellt.

Drama ist heute wohl das Thema des Tages.

Nach einer schnellen Verabschiedung von Megan, schreibe ich Ryan eine kurze Antwort.

Ich: Bin gleich da.

Ich werfe mich in eine Leggings und ein übergroßes T-Shirt, das vielleicht schon in die Wäsche gehört, statt auf meinem Stuhl im Schlafzimmer rumzuliegen. Dann verknote ich mir die Haare zu einem unordentlichen Dutt und lese Ryans Antwort.

 

Ryan: Du bist die Beste! Bringst du mir einen kalten Karamell-Latte von unterwegs mit? Danke!


Ich hole ihr keinen Latte.

Der Verkehr scheint ganz gut zu rollen, als ich an der Shawnee Mission East, Ryans Highschool, ankomme. Ich parke auf dem, des Aufruhrs nächstgelegenen, freien Parkplatz und betrachte mir die Situation, bevor ich aussteige. Wie das Foto nahelegt, hält Ryans Blockade die Autos davon ab, auf die Runde Zufahrt zu fahren, wo man die Kinder ein- und aussteigen lassen kann. Die Ketten sind verschwunden, aber der Verkehr wurde zu einer anderen Einfahrt umgeleitet, weil sie noch immer mitten auf der Straße steht. Sie trägt eine goldene und lila Cheerleader-Uniform und hält ein Plakat hoch. Die Buchstaben sind so fett, dass ich sie von hier lesen kann.

Eure schmutzigen Gedanken sind nicht mein Problem.

Langsam dämmert es mir.

Ryan ist erst vierzehn, aber bereits eine Aktivistin. Sie nutzt jede Gelegenheit, um zu protestieren, wenn sie das Gefühl hat, eine Person oder eine Gruppe wird ungerecht behandelt. Einmal marschierte sie vor der Bibliothek auf und ab, um für das Recht von Müttern zu protestieren, in der Öffentlichkeit zu stillen. Ein andermal schloss sie sich der Jugendgruppe in der Stadthalle an, um gegen die Steuern auf Lebensmittel zu protestieren. Sie hat auch schon Infobroschüren über die Notlage der Zwergpottwale verteilt. Vielleicht liegt es daran, dass Kansas City im Inland liegt, aber es hat sich herausgestellt, dass den Menschen im mittleren Westen die Gefühle von großen Meerestieren nicht sehr am Herzen liegen.

Vielleicht sehe aber auch nur ich es so. Allerdings liegen mir die Gefühle dieser so leidenschaftlichen jungen Dame sehr am Herzen. Sie meint es gut und hat ein großes Herz. In welche Schwierigkeiten auch immer sie sich gebracht haben mag, ich hoffe, ich kann ihr raushelfen.

Ich trinke meinen letzten Schluck mitgebrachten Pekannuss Kaffee und bin froh, ihn mitgenommen zu haben, denn das Koffein werde ich brauchen. Ich steige aus und höre Ryan sofort.

„Bekommt ihr bei meinem Anblick schmutzige Gedanken?“, schreit sie einer Gruppe verspäteten Schülern zu, die in Richtung Schule eilen. „Und? Ist das so?“

Oje.

Obwohl der Unterricht sicher schon angefangen hat, hat sich in ihrer Nähe eine kleine Menschenmenge zusammengerottet. Ein paar erwachsene Frauen befinden sich darunter, wahrscheinlich Aufsichtspersonen, einige Schülerinnen und ein Polizist.

Ich gehe auf sie zu. Der Cop spricht mit einer der Erwachsenen, als ich näher komme. Er hat mir den Rücken zugewandt.

„Sie sind sicher stark genug, sie hochzuheben“, sagt die Frau zu ihm. „Man sieht, dass sie trainieren.“ Sie flirtet so heftig, dass ich es von hier aus höre.

„CrossFit“, sagt der Cop mit einem Schulterzucken. „Fünf Tage die Woche.“

Gott, einer von denen. Großspurig. Selbstgefällig. Copmäßig. Solche Typen kenne ich. Ich wappne mich für die mir bevorstehende Interaktion mit ihm.

„Das ist ja total offensichtlich“, sagt die Flirtende. „Warum schnappen Sie sie sich nicht einfach selbst? Im Feuerwehrgriff.“

Sie ist gut. Sie hat schwarzes Haar, weiße Haut, dass es so unnatürlich aussieht, als hätte sie sich angemalt. Und sie hat sehr, sehr rote Lippen. Ich habe den Eindruck, dass Verführung eins ihrer Hobbys ist, wenn nicht sogar ihr Nebenjob.

„Das verstößt gegen die Vorschriften, ich darf keine Minderjährige anfassen. Wir müssen auf die Polizistin warten, die ich angefordert habe. Aber ich weiß das zur Verfügung stellen des Bolzenschneiders sehr zu schätzen.“

Bolzenschneider. So sind sie also mit den Ketten fertig geworden. Jetzt, wo ich genauer hinsehe, kann ich einen Berg silberner Ketten erkennen, die an dem Baum neben der Straße liegen.

Ryan, Ryan, Ryan, was hast du getan?

Geduldig stehe ich hinter dem Polizisten und warte auf einen geeigneten Moment, um zu unterbrechen.

„Ich bin keine Minderjährige“, sagt eine der Teenagerinnen und zwirbelt dabei eine dunkelblonde Haarsträhne zwischen den Fingern. „Ich bin achtzehn. Mich könnten Sie berühren, Officer Kelly.“

Und schon ist der Moment gekommen. „Entschuldigung“, sage ich mit meiner Bibliothekarinnenstimme. Freundlich, aber bestimmt. „Was geht hier vor?“

Als sie mich hört, wirbelt Ryan herum und sieht mich an. „Livia!“ Sie ist dabei, zu mir zu laufen, doch scheint sich dann daran zu erinnern, dass sie sich absichtlich dort befindet. „Hey, wo ist mein Starbucks Latte?“

Ich werfe ihr einen strengen Blick zu und sehe dann wieder nach vorn, genau in dem Augenblick, in dem sich der Cop zu mir umdreht. Und jetzt verstehe ich auch, was das ganze Aufhebens soll. Er ist heiß.

Ungefähr Ich-vergesse-was-ich-sagen-will-heiß.

Ich-hätte-mir-die-Beine-rasieren-sollen-heiß.

Hier-ist-mein-Höschen-entschuldigung-dass-es-so-nass-ist-heiß.

Ich kann nicht einmal genau festmachen, was genau es ist. Sein Körper? Sein kurzrasierter Bart? Sein sachlicher Gesichtsausdruck? Das sexbesessene Schneewittchen hat nicht übertrieben. Ganz offensichtlich trainiert er. Seine breiten Oberarme füllen die Hemdsärmel aus und sogar in kompletter Polizeimontur sieht man, dass seine Schultern breit sind und seine Taille schlank. Er ist nicht nur fit, er ist megafit. Er ist darf-ich-deine-Waffen-anfassenfit und ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich einmal das Wort Waffen für Muskeln einsetzen würde, aber es ist passend. Aber so heiß sein Körper auch aussieht, es ist sein Gesicht, das meinen Herzschlag stolpern lässt. Wangen und Kinnpartie sind wie gemeißelt. Das Grübchen in seinem Kinn wird von dem Bart beinah verborgen. Die Nase ist gerade und stark und dann, verflucht, die Krönung des Ganzen ist die Pilotensonnenbrille, mit der er aussieht wie Sex in einer blauen Uniform.

Es ist gut möglich, dass ich mich mal kurz ablegen muss.

„Und Sie sind?“, fragt Officer zu heiß um sich an den Namen zu erinnern mit dem er gerade angesprochen wurde.

„Ich bin … hier“, sage ich, weil ich irgendwie keine Antwort auf seine Frage finden kann, wenn er mich so ansieht. Und ich kann fühlen, dass er das tut, sogar verdeckt von dieser Brille.

„Ja. Das sind Sie.“

Er lächelt fast und ich habe das Gefühl, dass er das in seinem Job nicht allzu oft tut. Er sieht zu ernsthaft dafür aus. Zu professionell. Zu sehr sich an die Fakten haltend und nichts als die Fakten. Und lieber Himmel, ich wäre froh, ihm welche zu liefern, egal welche Fakten er sich wünscht. Sobald ich mich an die Fakten wieder erinnere.

„Das ist Livia“, ertönt Ryan hinter uns und erinnert mich an diesen spezifischen Fakt. „Sie ist wegen mir hier.“

Von diesem Stückchen Information gestärkt, das ich mit Sicherheit geben kann, sage ich stolz: „Das ist korrekt. Ich bin Livia. Livia Ward.“

Mit beiden Händen an seinem Gürtel sieht der Cop von mir zu Ryan und wieder zu mir. „Und Sie sind ihre … Mutter?“

„Nein!“ Entsetzt keuche ich auf. „Oh Gott, sehe ich alt genug aus, um ihre Mutter zu sein?“ Ich wusste, ich hätte mit der Faltencreme anfangen sollen, als ich fünfundzwanzig war. „Sie ist vierzehn. Ich bin nicht alt genug, eine vierzehnjährige Tochter zu haben.“

„Ihre Mutter wurde angerufen“, sagt eine der Frauen hinter ihm. „Und ihr Vater. Beide waren nicht erreichbar.“

Ich verziehe die Lippen, als ob ich damit irgendein Argument unterstrichen hätte.

Der Cop, der seine Aufmerksamkeit nicht von mir ablenken lässt, sagt: „Es ist mein Job zu fragen, Ma’am.“

Mich schüttelt es. „Nennen Sie mich nicht Ma’am.“ Und schnell füge ich hinzu: „Bitte.“

Keine Reaktion von Officer Ernsthaft. Still grummele ich vor mich hin. Der einzig gute Nebeneffekt dieser demütigen Erinnerung daran, dass ich altere – und das offensichtlich nicht sonderlich anmutig – ist, dass es mich aus der Dieser-Cop-ist-zu-heiß-ich-kann-nicht-mehr-denken-Benommenheit katapultiert.

„Ich bin eine Freundin“, erkläre ich ihm. „Ich arbeite mit ihr in der Bibliothek. Sie hat mir eine Nachricht zukommen lassen, als sie dachte, sie wäre in Schwierigkeiten.“

Der Cop – Officer Kelly, wie ich mich wieder erinnere – sieht mich ernst an. Sein Ausdruck verrät nichts. „Können Sie sich ausweisen?“

„Sehe ich so aus?“ Ich habe keine Taschen und ich habe keine Geldbörse in der Hand. Tatsächlich glaube ich sogar, dass ich so schnell aus dem Haus gelaufen bin, dass ich sie nicht einmal ins Auto geworfen habe. Mist. Das hat mir noch gefehlt. Ein Strafzettel, weil ich ohne mitgeführten Führerschein gefahren bin. „Muss ich das denn?“

Er sieht mich von oben bis unten an. Ich wünschte, ich könnte seine Augen sehen, damit ich eine Ahnung hätte, was in seinem Kopf vorgeht. „Nein, ich schätze nicht.“

„Gut.“ Ich entspanne mich soweit, dass ich ordentlich Luft holen kann. „Dann können wir uns ja um das vorliegende Problem kümmern. Was genau ist passiert?“

„Nun, Sie sehen, die Minderjährige …“

„Ryan Alley. Sie hat einen Namen.“ Ich merke schon, dass Ryan Probleme bekommt. Officer Kelly sieht nicht so aus, als ob er irgendetwas durchgehen lässt. Wenn er sie vielleicht als eine Person wahrnimmt, statt einfach nur einer Minderjährigen, wird er sie möglicherweise verschonen.

„Die Minderjährige“, fährt er fort, als ob ich nichts gesagt hätte, „hat sich zwischen diese beiden Bäume links und rechts der Schuleinfahrt gekettet und damit einen Stau bei der morgendlichen Anfahrt der Eltern ausgelöst. Wir haben die Ketten mithilfe eines Bolzenschneiders aus dem Schulsekretariat von der Sekretärin …“

„Das bin ich, ich hab ihn gefunden!“

Großartig. Das sexbesessene Schneewittchen ist eine Heldin.

Er dreht sich zu der Frau und nickt ihr anerkennend zu, dabei lächelt er genau so viel, dass sie errötet. Sein Lächeln ist tatsächlich der Wahnsinn. Ich wünsche mir fast, ich hätte ihm den Bolzenschneider gebracht, nur damit er es mir schenkt.

Officer Kelly legt seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. „Aber die Minderjährige weigerte sich, ihren Platz zu verlassen. Wir warten auf Unterstützung, um weitermachen zu können.“

Ich werfe einen Blick auf Ryan. Sie weigerte sich, ihren Platz zu verlassen? Ich glaub, ich spinne. Natürlich kann sie meine Gedanken nicht lesen, aber sie ahnt, was ich denke und zuckt mit den Schultern.

„Wie groß sind die Schwierigkeiten, in denen sie steckt?“, frage ich den Cop und bin etwas sanfter, weil ich weiß, dass ich keinen Verhandlungsspielraum habe.

„Darüber können wir reden, sobald wir die Situation gelöst haben.“

Ich verlagere mein Gewicht auf ein Bein und rede während ich nachdenke. „Wenn ich sie überreden kann aufzugeben, und sie in die Schule kriege, bevor weitere Leute hier eintreffen, wäre das von Vorteil für sie?“

„Das liegt nicht nur an mir.“

Er dreht sich um und sieht zu der Gruppe hinter sich. Als ob er sie gerufen hätte, kommt eine der Frauen zu uns herüber. Nicht die flirtende Sekretärin, sondern die, die versucht hat, Ryans Eltern zu erreichen.

„Hallo. Ich bin Sharie Holden, die Direktorin. Danke, dass Sie gekommen sind. Wir würden es begrüßen, wenn wir das Ganze mit so wenig Aufregung wie möglich auflösen könnten.“ Den letzten Teil ihres Satzes hat sie geflüstert, als ob das Drama somit weniger groß ist.

Wenigstens scheint man sie leichter bequatschen zu können, als Officer Sachlich hier. „Wird es für sie irgendwelche Konsequenzen haben, wenn ich es hinbekomme?“, frage ich.

„Ich kann die Geschichte nicht komplett ungestraft lassen. Die halbe Schule hat gesehen, was sie hier heute getan hat. Das kann ich nicht durchgehen lassen.“

„Da haben Sie recht“, sage ich mit einem Tonfall, der durchblicken lässt, dass ich eindeutig nicht ihrer Meinung bin. „Was halten Sie davon, wenn ich Channel Nine anrufe, damit sie über den Protest berichten? Wenn ich dafür sorge, dass es auch alle mitbekommen, wenn sie nachher mit Handschellen abgeführt wird? Ryan könnte sogar eine Stellungnahme abgeben. Klingt das gut, Ryan?“

„Ja! Eine Stellungnahme!“ Sie hopst auf und ab. „Ich habe schon eine vorbereitet!“

Sharie Holden wird leichenblass. „Bei näherer Überlegung denke ich, wir könnten es bei einer Verwarnung belassen. Sofern Sie sie in ihren Unterricht kriegen, ohne dass die Presse involviert wird.“

„Okay, okay.“ Ich habe ein gutes Gefühl dabei. Ryan und ich haben eine Verbindung. Sie mag vielleicht nicht auf die Stimme der Vernunft hören, aber sie hört auf mich. „Gegen was protestiert sie?“

 

Ryans Antwort ertönt: „Diese dumme Schule hat die Cheerleader-Uniformen an den Spieltagen verboten. Cheerleader-Uniformen! Weil irgendein Junge sich beschwert hat, sie würden ihn zu schmutzigen Gedanken animieren. Als ob Frauen schuld wären, an was Männer denken. Es ist lächerlich und unfair. Ich sage, das ist Vergewaltigungskultur! Ich sage, das ist Unrecht!“

„Was kümmert sie das überhaupt?“, sagt die blonde Teenagerin.

„Oder?“, sagt eine ihrer Freundinnen. „Sie ist nicht mal ein Cheerleader.“

„Ich bin ein Cheerleader, Officer Kelly“, ruft die Erste.

„Natürlich bist du das“, murmelt er sich in den Bart und tut mir beinah leid. Beinah.

„Das ist nur an Schultagen, Ryan“, erklärt die Direktorin. „Sie können sie bei den Spielen immer noch tragen.“

„Darum geht es doch überhaupt nicht.“ Ryan stöhnt.

Ich muss mich zurückhalten, um nicht mit ihr zu stöhnen. „Haben Sie die Cheerleader-Uniformen wirklich verboten, weil sich ein Junge schmutzige Gedanken gemacht hat?“, frage ich ungläubig. „Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Teenie-Jungs haben schmutzige Gedanken, egal, was Mädchen anhaben.“

„Da hat sie nicht unrecht“, gibt Officer Kelly zu.

„Sicherlich.“ Sie lächelt knapp. Gespielt. Es ist die Art von Lächeln, die immer mit einer Belehrung einhergeht. „Wir glauben an unserer Schule an respektvolles Verhalten, Ms. Ward. Ganz sicher werden wir nicht die Objektivierung von Frauen unterstützen.“

In meiner Brust blubbert Verärgerung hoch.

Tu es nicht, Liv. Lass es bleiben.

Aber ich tue es dennoch. Ich fange ein Streitgespräch an. „Objektivierung ist ein komplett anderes Thema. Im Augenblick schieben Sie die Schuld an dem, was Männer denken, auf die Kleidung, die Frauen tragen, und somit auch auf das, was Männer tun. Das ist eine längst überholte Ansicht, Ms. Holden. Sind wir nicht schon einen Schritt weiter?“

Das gespielte Lächeln ist verschwunden. Sie versucht kaum noch, nett zu sein. „Ich weiß Ihre Meinung zu schätzen, aber da Sie kein Kind an unserer Schule haben, zählt sie nicht wirklich.“

Das reicht. Ich bin über meine Verärgerung hinaus. Jetzt bin ich stinkwütend. „Da es sich hier um eine öffentliche Schule handelt und ich ein Steuerzahler bin, zählt meine Meinung sehr wohl. Und weil wir in den USA leben, wo wir das Recht auf freie Meinungsäußerung haben …“ Da Taten mehr sagen als Worte, beende ich meine Tirade abrupt an diesem Punkt und marschiere hinüber zu Ryan. Ich schnappe mir ihr Plakat und halte es stolz in die Höhe.

Ryan grinst breit und macht mit ihrem Protest weiter. „Bekommst du bei meinem Anblick schmutzige Gedanken?“, brüllt sie jemandem zu, der gerade mit seinem Hund am Rande des Schulgeländes Gassi geht.

„Ach, komm schon“, jammert die Direktorin laut.

Officer Kelly seufzt und kommt auf uns zu.

„Bekommst du bei meinem Anblick schmutzige Gedanken?“, schreit Ryan in seine Richtung.

Er ignoriert sie und ist unbeeindruckt. Als er nah bei mir angekommen ist, sehr nah, so nah, dass ich die Wärme spüre, die sein Körper abstrahlt, hält er an und sagt in einem leisen Tonfall, sodass nur ich es hören kann: „Also wenn du dieses Outfit tragen würdest, wäre die Antwort definitiv ein Ja.“

Ich sehe ihn an. „Was haben Sie gerade gesagt?“

„Sie helfen der Sache nicht wirklich“, sagt er lauter.

„Das ist nicht das, was Sie gesagt haben“, sage ich leiser. Denn ich will das andere noch mal hören. Will die Gänsehaut entlang meiner Wirbelsäule noch einmal fühlen, bei dem Gedanken, dass er solche Sachen denkt. Schmutzige Sachen. Über mich.

Er wiederholt es nicht. Geht nicht darauf ein. Er hält mir die Hand entgegen und sagt: „Geben Sie mir das Plakat.“

Ich umfasse die Stange fester. „Ich helfe ihr.“

„Tun Sie das? Ich habe den Eindruck, dass Ihnen etwas daran liegt, dass die ganze Sache mit dem geringstmöglichen Schaden in ihrer Schulakte verzeichnet wird. Oder nicht?“

Oh Gott, sein süffisantes Lächeln ist der Wahnsinn. Ich kann gar nicht direkt hinsehen.

„Fahren Sie fort“, sage ich, aber er hat schon genug gesagt. Ich weiß, was ich tun muss. Ich mag einfach nur, wie seine Stimme klingt. Wie sie in seinem Brustkorb rumpelt, wenn er so leise wird, dass Ryan nicht hört, was wir reden.

„Bringen Sie sie in ihren Unterricht und ich sorge dafür, dass es keine Konsequenzen für ihren Eingriff in den Straßenverkehr gibt.“

Er scheint mir nicht der Typ Cop zu sein, der Anklagen fallen lässt, also ist das hier untypisch für ihn. Ich weiß es einfach. Er ist ein Mensch, der auf die Vorschriften achtet. Warum also tut er das? Es macht mich skeptisch. Gleichzeitig kann ich nicht den Blick von ihm reißen. Ich bin wie gelähmt. In seinem Bann.

Ich gebe ihm das Plakat.

Er zeigt mir einen Hauch seines wahren Lächelns, dieses Mal ist es nur für mich. Meine Knie knicken praktisch ein. Wenn ich noch einen Moment länger hinsehe, falle ich vielleicht wirklich in Ohnmacht. Ich drehe mich um, schnappe mir Ryans Arm, um mich auf sie zu stützen, während ich vorgebe, auf diese Weise ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

„Ryan …“

„Du willst mir sagen, ich soll aufhören, oder?“ Sie zieht sich weg und ich halte mich gerade so auf den Beinen. „Das werde ich aber nicht. Ich werde meinen Kampf für die Frauen nicht aufgeben. Ich werde nicht aufhören, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.“

Ich sehe sie direkt an. „Ich werde dir selbstverständlich nicht sagen, dass du aufhören sollst zu kämpfen. Das würde ich nie machen. Habe ich dich nicht immer bestärkt zu sagen, was du auf dem Herzen hast, egal ob mit Worten oder Taten?“

Sie verengt den Blick, unsicher, ob sie mir trauen soll oder nicht. „Vielleicht.“

„Ich bestärke dich jetzt auch genau das zu tun. Nur gibt es manchmal bessere Wege, sich Gehör zu verschaffen. Sieh mal.“ Ich zeige auf die Leute, die sich um sie versammelt haben. „Das hier ist eine sehr kleine Gruppe. Du könntest dir sehr viel mehr Gehör verschaffen, wenn du das Problem bei der nächsten Schulversammlung ansprichst, wo du tatsächlich eine Veränderung bewirken kannst. Glaubst du nicht auch?“

Sie verzieht die Lippen und denkt darüber nach.

„Das ist noch nicht einmal unsere Cheerleader-Uniform“, ruft eine der Cheerleaderinnen einfach so von der Seite der Auffahrt.

Ich lehne mich zu Ryan und wispere: „Außerdem sieht es nicht so aus, als wüssten die Frauen, für die du kämpfst, deinen Einsatz zu schätzen.“

Sie legt mir einen Arm um die Schultern. „Sie sind nur noch nicht aufgewacht, Liv.“

„Ich bezweifele, dass sie durch das hier aufwachen.“

Sie wirft den Kopf in den Nacken und stöhnt. Dann, ganz plötzlich, als ob sie nicht gerade total bereit gewesen wäre für ihr Anliegen Richtung Washington zu marschieren, zuckt sie mit den Schultern und sagt: „Okay. Ich sollte eh zur zweiten Stunde im Unterricht sein. Ist amerikanische Geschichte. Wir sehen uns eine Doku über die Suffragetten an.“

Sie legt die restlichen Ketten ab, die ich erst jetzt an ihren Armen und Händen bemerke, und gibt sie mir. Dann schlendert sie zum Schulgebäude.

„Wo geht sie hin?“, fragt Direktorin Holden bangend.

„Zum Unterricht“, verkünde ich selbstzufrieden.

„Nicht in diesem Aufzug! Keine Cheerleader-Uniformen auf dem Schulgelände!“ Sie stapft Ryan hinterher, wobei sie den Rest der Gruppe anweist, ihr zu folgen.

„Sie wird sich umziehen“, sage ich zu niemandem im Speziellen. „Hoffe ich jedenfalls.“

Mannomann, jemandes Mentor zu sein ist ein harter Job. Das ruft eventuell nach mehr Koffein, als nur einer Keurig Tasse voll.

„Officer Kelly, ich bin erst sechzehn“, ruft die Freundin von der Cheerleaderin zu ihm herüber. „Aber in Kansas ist das legal bei Einvernehmlichkeit.“

„Es macht mir Angst, dass du das weißt“, sage ich.

„Ab in den Unterricht, bevor ich euch noch eine Strafe wegen Schwänzen aufdrücke“, sagt Officer Kelly, aber nicht bevor ich sein leises Lachen über meinen Kommentar gehört habe.

„Was ist denn Schwänzen?“, fragen beide im Chor.

„Oh mein Gott“, rufe ich, „ihr müsst unbedingt in die Schule.“

Sie marschieren davon und auch wenn ich gern die Lorbeeren dafür ernten würde, tun sie es wahrscheinlich nur, weil es gerade klingelt. Und jetzt sind alle weg, bis auf mich. Und dem Cop.

Dem sehr heißen Cop.

Auf einmal fühlt es sich schwieriger an, Luft in die Lungen zu kriegen, als gerade noch eben noch.

„Gut gemacht“, sagt der Cop und nickt anerkennend. „Vielleicht kannst du sie ab jetzt aus Schwierigkeiten heraushalten.“

Da sträuben sich mir die Haare. „Nur weil jemand leidenschaftlich ist, bedeutet das nicht, dass sie noch mal in Schwierigkeiten geraten wird.“ Tatsächlich ist es das Kompliment, an dem ich mich störe. Es stört mich, wie ich mich dabei fühle. Was ich dabei empfinde.

„Richtig“, sagt er und ich schwöre, er denkt Dinge über mich, bei denen ich tausend Tode sterben würde, wenn ich sie jemals herausbekäme.

Ich runzele die Stirn und fühle mich unbehaglich. „Gut, na dann.“

Ich sollte ihm danken, aber er spricht zuerst. „Geh mit mir Abendessen.“

„Was? Abendessen? Warum?“ Das waren überhaupt nicht die Dinge, von denen ich hoffte, dass er sie über mich denkt. Überhaupt nicht die Dinge, von denen ich wollte, dass er sie über mich denkt. Und doch flattert es in meinem Bauch, als wäre das eine gute Sache. Dummer Bauch.

„Weil ich abends hungrig bin und ich finde, wenn man ein Essen zu sich nimmt, geht der Hunger weg.“ Er ist total ernst und das ist so sexy, ich bin mir nicht sicher, ob ich es ertrage.