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Loe raamatut: «Eine gefährliche Unschuld», lehekülg 3

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Vielleicht wagte sie auch in der Stille dieses, für jeden Neugierigen so fest, als ihr eigenes Gewissen verschlossenen Heiligthums, einmal nachzusehen, ob ihr Hals, ihre Schultern und ihr Busen nicht auch die feinen Linien und das schneeige Colorit besäßen, wie es von allen Müttern und noch mehr von deren Söhnen laut an Fräulein von Albingen gepriesen ward. Lucie prüfte ihren Arm in verschiedenen Stellungen und fand ihn durchaus nicht röther oder dunkler, oder magerer, als den ihrer Freundin, und nach dieser Untersuchung, die wir uns nur gestatten dürfen zu ahnen, kniete sie, selbstzufrieden und mit ihrem Entschluß im Reinen, am Bettende nieder und verrichtete mit größter Andacht ihr Abendgebet. Wenige Augenblicke später lag sie auf ihrem Lager ausgestreckt und erwartete den Schlummer. Sie hatte die Hände auf der Brust gefaltet, und ihre Lippen hauchten leise, wie küssend, den Namen, der bald der ihrige werden sollte.

III.
Myrten und Lorbeeren

Wir haben zu erwähnen vergessen, daß in dieser denkwürdigen Nacht auch Herr und Madame Germanet nur eines äußerst mangelhaften Schlafs genossen. Doch muß hinzugefügt werden, daß diese Schlaflosigkeit der beiden Ehegatten lediglich in den Sorgen für eine auf den folgenden Abend anberaumte Gesellschaft begründet war. Der Notar fühlte die Verpflichtung, Clara von Albingen’s Verlobung gleichfalls festlich zu begehen, theils aus Rücksicht auf die Stellung seiner Clienten, theils aus wirklichem Freundschaftsgefühl. Lucie von Beaulieu war auch eingeladen, sie mußte also erwarten, dem Obersten wieder zu begegnen. Aber Morgens beim Erwachen erklärte sie, eine entsetzliche Migräne mache ihr den Gedanken des Ballvergnügens zur Unmöglichkeit. Sie führte der erschrockenen Mutter Hand an ihre brennende Stirn und schrieb dann, mit Aufgebot aller Kräfte, ein paar Worte an ihre Freundin, um diese von dem unangenehmen Zufall in Kenntniß zu sehen. Fing hiermit der erste Act der Komödie an? Wir wissen es nicht. Lucie betrieb ihre Angelegenheiten mit soviel Gewissenhaftigkeit, daß die Möglichkeit eines wirklichen Unwohlseins nicht ausgeschlossen ist.

Clara sprang vor Freude hoch auf, als sie das Billet gelesen hatte.

Desto besser! sagte sie, er wird sie also nicht sehen! Wenn der leiseste Verdacht gegen Lucie ihre Seele gestreift hattet so mußte er jetzt völlig schwinden. Eine Kokette würde sich durch keine Migräne am Balltage verhindern lassen, eine so schöne Gelegenheit zu benutzen. Nein gewiß, Lucie von Beaulieu war ein Engel an Reinheit und der Oberst allein der Schuldige.

Clara zog sich rasch an und eilte zu der Kranken. Sie überhäufte sie mit Zärtlichkeiten und hatte in ihrem ganzen Wesen etwas so Sanftes und Einschmeichelndes, als wolle sie stillschweigend um Verzeihung bitten. Lucie gab sich bereitwillig diesen Ausbrüchen eines ehrlichen Reuegefühls hin; sie kostete dabei ganz im Geheimen die erste Freude und trug ihrem schönen Besuch tausend bedauernde Entschuldigungen an den Notar und Herrn Julius auf.

Clara versprach, Alles gewissenhaft zu bestellen, und that dies am Abend so liebenswürdig als möglich. Sie trieb sogar die Großmuth so weit, dem Obersten eine feurige und dankbare Lobrede auf ihre arme Lucie zu halten.

Dieser konnte also wiederum nur die Freundschaft der beiden jungen Mädchen bewundern, und da Clara’s Lobeserhebungen so vollständig mit seiner eigenen Erinnerung übereinstimmten, gestand er sich selbst zu wiederholten Malen, daß, wenn er nicht der Bräutigam des Fräuleins von Albingen wäre, er wohl derjenige des Fräuleins von Beaulieu sein möchte.

Diese so zeitgemäße Migräne hatte also in Wirklichkeit folgende Resultate gehabt: Clara war getröstet und mehr als je Luciens Freundin, diese behielt freie Hand für weitere vertrauliche Mittheilungen, der Oberst hatte einiges Bedauern empfunden, sein Mitleid und Interesse waren erweckt worden, und beim nächsten Wiedersehen bot sich ihm ein Vorwand zu theilnahmsvollen Reden und Erkundigungen.

Man sieht wohl: war die Migräne erfunden, so hätte sie es nicht besser sein können; war sie dagegen echt, so nahm der Himmel selbst Antheil am Complot.

Am Morgen nach diesem Unwohlsein betraute sich der Oberst mit der galanten Mission, nach Luciens Befinden zu fragen, um die Nachricht seiner Braut mittheilen zu können. Lucie lächelte unter Thränen über so viel Güte und dankte Herrn von Corval mit der schüchternen Zurückhaltung, welche den Andern viel betretener macht, als der größte Redefluß, Man geräth unwillkürlich selbst in Verwirrung über die Verlegenheit, welche man einflößt. Arthur entfernte sich, innerlich wie bethaut von dem Weihwasserregen, der von Luciens langen Augenwimpern über ihn nieder gesprüht war. Clara hatte sich inzwischen auch die Sache überlegt und schien von der Liebenswürdigkeit ihres Bräutigams entzückt. Sie verschloß jede Eifersuchtsregung in sich, und als der Oberst merkte, daß er für eine Handlung, die einem geheimen und neuen Bedürfniß seines Herzens entsprach, noch obendrein belohnt wurde, erschien er aufs Neue im Hause Beaulieu, zur höheren Ehre der Institutsfreundschaft, und um auch zugleich auf diese Weise den ferneren Verkehr mit der zukünftigen Gräfin Corval sicher zu stellen.

Es würde uns zu weit führen, wollten wir dem begonnenen Werk des schüchternen Wesens, dessen Geheimniß wir belauscht haben, in allen kleinen Details folgen.

Der Oberst war bald gewohnt, ohne im Geringsten seine zarte Sorgfalt für Clara zu vermindern oder die von ihm wie eine militärische Pflicht geübte Galanterie außer Augen zu lassen, sein tägliches vermehrtes Weihrauch-Opfer halb zu Luciens Füßen darzubringen.

Dabei konnte man sich aber keine keuschere, weniger herausfordernde, einfachere Haltung denken, als die ihrige. Selbst die argwöhnischste Eifersucht hätte ihre niedergeschlagenen Augen, den übereinfachen Anzug, diesen bescheiden lächelnden, wenig sprechenden Mund nicht verdächtigen können. Wollte man jemals eine kurze Rede von ihr erhaschen, so mußte man anfangen, Clara zu loben, und Arthur schwamm dann in einem Meer von Glückseligkeit, denn sowohl die Aussicht in seine Zukunft beglückte ihn, als die schmeichelnde Süßigkeit der Reden, welche er mit wahrer Soldaten-Gourmandise einschlürfte. Gerade der große Contrast zwischen Lucie und seiner Braut wirkte so lebhaft auf den leichtentzündbaren Oberst. Der Gedanke, daß er hier in Gefahr einer Untreue schwebe, kam ihm nicht in den Sinn, eben weil seine Liebe aus zwei ganz unähnlichen Hälften bestand, und weil sich die Anbetung Luciens ganz wohl mit der Liebe für Clara vereinigen ließ. Sie waren so grundverschieden! Die Eine stellte die lebendige, aufgeblühte, irdische Schönheit dar, die Andere das Bild der träumerischen Schwärmerei.

Für einen Garnisons-Verführer, wie ihn, war dieses vom Himmels-Azur erfüllte Herz ein unerhörtes Eroberungsziel: er konnte hier geradezu ins Paradies hineinmarodiren, und in der poetischen Stimmung, die seit seiner Verlobung durch vieles Gedichtelesen über ihn gekommen war, bestrebte sich unser Kriegsmann andachtsvoll, die Schwingen des Engels zu küssen, der ihn zu so hohem Flug mit empor nahm.

Mancher Leser, der sich eine Kokette nicht ohne Augensprache und Witzraketen vorstellen kann, wird hier zweifelnd fragen, ob dieses ganze unschuldige Manöver nicht auf einer Täuschung beruhte, und ob Fräulein von Beaulieu auch ohne Rachepläne und Vorsätze um ein Haar würde anders gehandelt haben?

Kann man einem jungen Mädchen aus seiner bescheidenen Zurückhaltung ein Verbrechen machen, und konnte der Oberst nicht im Unrecht sein, ohne daß sich Lucie den geringsten Vorwurf zu machen brauchte?

Wir erwidern darauf, daß eben in jener vollkommenen Kunst, die scheinbar gar kein Geheimniß verbirgt; die Ursache eines so unfehlbaren Einflusses zu suchen ist.

Worin besteht denn das Genie, wenn nicht in der zur höchsten Macht gesteigerten Natur?

Lucie brauchte nur das zu bleiben, was sie war, um ihren Zauber zu üben; sie war von der Natur gut bedacht, sie brauchte ihre Gaben nur nach den Gesetzen ihres eigenen Genius anzuwenden. Dies stellte sie vor jedem Vorwurf sicher, und eben deßhalb fühlte sie auch niemals die geringsten Gewissensbisse.

Die arme Clara bemerkte wohl, welch kirchenräuberische Theilung der Oberst mit seinem Herzen vornahm, aber sie fühlte ihre Position nicht fest genug, um nochmals die Eifersucht hervorzukehren, Der erste Versuch dazu am Ballabend hatte sie entmuthigt, und sie wagte nicht, ihn zu erneuern, aus Furcht; der Rest ihres Glückes möchte darüber noch vollends zu Grunde gehen.

Arthur dagegen fuhr aufs Unschuldigste fort, bei Tag den Hof zu machen und des Nachts Bigamie zu träumen. Er kam dadurch aber allmählich zu gefährlichen Vergleichen zwischen der leise schmollenden Miene seiner Verlobten und Luciens unveränderlich heiterem Angesicht.

Eines Tages saß der Oberst im Salon der Frau von Albingen zwischen beiden Mädchen. Clara arbeitete an einem Straminmuster, Lucie an einer Weißstickerei. Unser Held spielte mit einem Wollknäuel, den er seiner Braut entwandt hatte, aber nicht ohne gleichzeitig auch ein kleines Nadelbüchschen von Elfenbein aufzuheben, das von Luciens Knie herabgeglitten war. Er hielt die beiden Gegenstände, bald zusammen, bald einzeln in der Hand, versuchte jetzt den Knäuel auf der Elfenbeinspitze zu balanciren und dann, dieselbe in die weiche Wolle hineinzubohren, als ob er sich durch dies, flüchtige Spiel die unbestimmten Vorstellungen vertreiben wollte, die sein Gehirn erfüllten und seine Schläfen pochen machten, ohne daß er doch etwas davon äußern konnte.

Clara sah ein wenig blaß aus, sie wagte nicht, darüber nachzudenken, ob ihr Sieger wohl ihrethalben seine Anwesenheit verlängere; und so zog sie schweigend ihre Nadel aus und ein, zählte mit größter Genauigkeit die Stiche und that zu sehr dergleichen, gar nicht an den Obersten zu denken, als daß es nicht sichtbar gewesen wäre, wie er allein sie ganz beschäftigte.

Lucie betrachtete zwischen ihren langen Augenschleiern hindurch lächelnd ihre beiden Opfer. Sie spielte mit diesen zwei Seelen, wie der Oberst mit dem Knäuel und dem Nadelbehälter. Er selbst war der dichte Ball, den sie nach Belieben wegschleudern konnte, um ihn stets wieder zu ihren Füßen zurückkehren zu sehen; Clara stellte das zarte durchsichtige Etui vor, in dessen Innerem sich tausend scharfe, funkelnde Nadeln bewegten. Weil sie es gewollt hatte, durch eine Einzige Anstrengung ihrer Willenskraft fingen diese beiden vor acht Tagen noch so glücklichen Liebenden an, mit einander zu schmollen. Aus dem hochmüthigen Glück, womit ihre Freundin sie unvorsichtig verletzt hatte, war unter ihren Händen in einer Woche ein sehr schüchternes und zaghaftes Glück geworden, das sich selbst nicht mehr traute und vor jedem Hauch auf immer zerstieben konnte.

Wie genoß sie ihren Triumph! Mit welcher katzenartigen Lüsternheit zog sie leise die Zunge zwischen den Lippen durch, als ob sie den süßesten Honig koste und kein Tröpfchen davon verlieren wolle. In ihrem Herzen erklangen Siegesfanfaren, und es dehnte sich im Bewußtsein seiner Stärke weit aus. Während sie so, dem äußern Anschein nach, mit vollster Aufmerksamkeit die Fäden um ihre Stickereifiguren zog und dabei aussah, wie die fromme Züchtigkeit mit dem reinsten Schleiergewebe in Händen, flogen ihre Gedanken mit weg zu ihrem künftigen Gatten. Und doch, hätte man ihr jetzt die Hand aufs Herz gelegt, so würde man keine heftigeren Schläge gefühlt haben, vielleicht, wenn man ihre Stirn berührt, kaum bemerkt haben, daß sie ein wenig feucht war.

Aber wer hätte sich wohl einer solchen Probe unterstehen wollen? Lucie gehörte zu den unnahbaren Wesen, die von einem steten Nimbus umgeben sind, die das Essen kaum berühren, oder eine Art von Abendmahlshandlung daraus machen, deren gewöhnlichste Lebensthätigkeiten sich zu mystischen Vorgängen gestalten. Ihr Arbeiten machte den Eindruck, wie wenn Andere beten und der Oberst, der mit seinen Soldaten auch schon in Klöstern bivouakirt hatte, wäre sich wie ein Kirchenschänder vorgekommen bei dem Gedanken, dieses Himmelsbild berühren zu wollen.

Indessen dauerte das Schweigen schon sehr lange und fing an, für beide Verlobte drückend zu werden. Zuletzt konnte es Clara nicht mehr aushalten, sie faßte einen tapferen Entschluß und nahm das Gespräch wieder auf.

Oberst, sagte sie, indem sie ihm mit etwas erzwungener Heiterkeit den Wollknäuel entriß, ist eine Kanonenkugel so groß, wie dies da?

Die Frage traf Arthur völlig unerwartet. Seine Seele träumte gerade von einem stillen See, an dessen Ufer er Vergißmeinnicht pflückte, während ihm jede Welle die holden Gesichter der beiden Freundinnen abspiegelte. Er brauchte eine volle Minute, um zur Wirklichkeit zurückzukehren. Dann sagte er:

Eine Kanonenkugel ist etwas größer; und fing wieder an, das Nadelbüchschen zwischen den Fingern zu drehen.

Lucie fühlte ein spöttisches Lächeln um ihre Lippen zucken, unterdrückte es aber auf der Stelle. Sie stickte, ohne den Kopf zu heben, ruhig weiter, verfolgte indessen dabei aufmerksam das kleine Duell.

Clara ließ sich noch nicht entmuthigen.

Werden wir bald wieder Krieg bekommen, Oberst?

Wir haben immer Krieg, in Afrika, Fräulein.

Und man schwieg von Neuem. Lucie hatte an dem stattfindenden Kampf zu viel Vergnügen, um ihn nicht noch ein wenig weiter zu entflammen.

Sie hielt im Arbeiten inne, erhob den Kopf und sagte, Clara mitleidsvoll anblickend:

Wenn wir wirklich Krieg bekämen, was würdest du anfangen, du Aermste?

Clara bildete sich in ihrer Unschuld ein, Lucie bereite ihr hier eine Gelegenheit, ihren Muth zu zeigen; sie hob tapfer ihren Kopf, schloß die schönen Hände energisch um die zusammengerollte Straminarbeit, wie etwa die Jungfrau von Orleans ehemals ihr Banner gefaßt haben mochte, und sagte herausfordernd, während Lieber Erregung und Furcht zusammen ihrer Stimme einen heroischen Klang verliehen:

Wenn es Krieg gäbe, würde ich den Obersten zur Armee begleiten.

Arthur lächelte, ohne zu antworten. Lucie sagte in bewunderndem Tone, aus dem nicht die leiseste Ironie klang:

Du bist stärker als ich, und für mich ist es wirklich gut, daß ich einen Advocaten bekomme. Im Justizpalast giebt es keine Lebensgefahren.

Dies Geständniß entzückte Clara, denn naturgemäß mußte sich die Freundin dadurch in der Achtung, des Soldaten plötzlich bedeutend herabsetzen, während sie selbst zu steigen hoffte. Darum fuhr sie fort:

Mir würde das Geräusch und die Bewegung des Lagerlebens Freude machen, würde auch den Pulvergeruch nicht scheuen, und wenn mein Held verwundet zurückkehrte, müßte er mir von seinen ausgestandenen Mühen und Gefahren erzählen, und ich würde mich über seinen Ruhm glücklich fühlen.

In Arthur’s Herzen ging etwas Seltsames vor. Statt vor dem hochherzigen, tapferen jungen Geschöpf niederzuknieen, das so entschlossen im Voraus seinen Theil an einem mühevollen Leben übernahm, wandte er sich an Lucie und sagte mit einer Stimme, die einige innere Angst verrieth:

Und Sie, mein Fräulein, was würden Sie thun?

Lucie schien über das, was sie sagen wollte, schon im Voraus verwirrt und befangen. Das Gefühl ihrer Kleinmüthigkeit färbte ihre Stirn und Wangen. Clara betrachtete sie mit stolzen Blicken, in der Ueberzeugung, daß der Oberst doch keinen Augenblick mehr zwischen der Frau mit dem männlich entschlossenen Herzen und der zitternden Vestalin schwanken konnte.

Ach, ich! – murmelte die gefährliche Unschuld mit ihrer zum Herzen dringenden süßen Stimme, ich würde mich vor alle dem Lärm und Blut und Gewehrfeuer entsetzen. Ich glaube, ich würde allein zurückbleiben und für Den beten, der vielleicht während des Kampfes meiner gedächte. Ich möchte ihn nicht durch meine Gegenwart hindern oder mit meiner Liebe in Verlegenheit bringen. Das Opfer, das er dem Vaterlande zu bringen hätte, sollte nicht durch den Anblick eines solchen Entsetzens gestört werden. Ich würde seine Rückkehr erwarten.

Und wenn er nun allein und fern von dir verwundet, wenn er getödtet würde? fragte Clara mit erhabenem Feuer und von freudigem Triumph verklärt.

Lucie erwiderte mit ihrer unveränderlichen Sanftmuth, ohne auf den etwas spöttischen Ton der Frage zu achten:

Wäre er verwundet, so würden wohl geschicktere Hände, als die meinigen, mir ihn zu erhalten wissen; wäre er todt – und die Sirene tremulirte diesen Ton – wäre er todt, so stürbe ich auch!

Der Oberst erblaßte. Die Wahl zwischen der schlachtenfrohen Heldin und der schüchternen Jungfrau entschied sich auf eine scheinbar unlogische Weise, die indessen in den gewöhnlichsten Widersprüchen des menschlichen Herzens tief begründet ist. Clara schien ihm etwas zu viel sich anzumaßen, dagegen entzückte ihn dies Bild der rührenden naiven Zaghaftigkeit, die sich vor dem Lagerlärm zitternd zu ihrer Liebe und ihrem Gebet flüchtet, eben durch ihre Unterwürfigkeit, durch den himmelweiten Abstand, welchen sie mit Einem Wort zwischen männlichem Muth und demüthiger weiblicher Schüchternheit feststellte. Er dachte sich mit sehr mittelmäßiger Genugthuung seine Frau, sein Ideal, im Bivouak zwischen Tabakspfeife und Gewehr, während die Vorstellung einer fernen Einsamen, die liebend und zitternd für ihn die Hände zum Gebet ausstreckte, die bei seinem Tode ihm nachsterben würde, ihm außerordentlich schmeichelte. Besonders dieser letzte Zug entzückte seine Eitelkeit. Die Liebenden vom Schlage unseres Obersten sind so egoistisch wie die indischen Ehemänner, sie möchten am liebsten ihre Gräber als die Scheiterhaufen ihrer Wittwen ansehen. Clara’s erste Worte, aus welchen das warme, opferfreudige junge Herz sprach, waren durchaus nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben, sie schmeichelten seiner Eitelkeit hinlänglich; aber bei näherem Nachdenken schien ihm Luciens kindliche Furcht weit vorzuziehen. Er war in den verschiedenen Garnisonen oft genug Frauen von Clara’s Art begegnet, und alle diese waren schließlich trocken, braun und sonneverbrannt wie die Marketenderinnen geworden, aber eine Soldatenfrau, wie Lucie sie ihm zeigte, war ihm noch nicht vorgekommen. Der Gedanke, wie reizend, wie zart und weiß man eine solche Frau bei der Rückkehr aus dem Felde finden müsse, wie glühend von ausgestandener Angst und von warmen Thränen überströmt, öffnete ihm eine Aussicht, deren Glanz ihn förmlich blendete.

Clara’s Seele ahnte nicht, in welche Tiefen ihre engelhafte Freundin sie hinabstoßen sollte, sie saß mit der stolzen Ruhe einer Pallas Athene da. Aber wie wurde ihr, als der Oberst, einem unbezwinglichen Triebe folgend, zu Lucien sagte:

Sie haben Recht, mein Fräulein, der Platz einer Frau ist allerdings nicht hinter den Pulverwagen. Wir haben vor dem Feinde unsre ganze Freiheit nöthig und sind dankbarer für ein von den Thränen zweier schöner Augen begleitetes Gebet aus der Ferne, als für alle neben der Lagerschenke gespendeten Zärtlichkeitsbeweise. Sie haben das richtige Verständniß für die Würde Ihrer und unserer Aufgabe; ich danke Ihnen.

Die arme Clara fühlte eine Ohnmachtsanwandlung; vor ihren Ohren klang es wie die Posaunen des jüngsten Gerichts, und ein herber Schmerz durchschnitt ihren Busen. Sie warf einen zornerfüllten Blick auf Lucie, aber beim Anblick der klaren Stirn, die sich von Neuem über ihre Stickerei gebeugt hatte, klagte sie doch wieder nur die entsetzliche Unbeständigkeit ihres Bräutigams an und fühlte sich um so unglücklicher, als sie der Ursache ihrer Schmerzen, ihrer unschuldigen Freundin, keinen Vorwurf machen konnte.

Ist es möglich! sagte sie zu sich selbst, ich bin es, die Jugend und Leben für ihn opfern will, und ihr gilt sein Dank!

Das gute Kind war, wie man sieht, am Vorabend der Vermählung noch weit davon entfernt, die Welt zu kennen. Wie eine angeschossene Taube, die matt ihre Flügel hängen läßt, neigte sie sich über ihre Stickerei und sog verzweiflungsvoll zwei schwere Thränen ein, die von ihren schönen Augen zu den Lippen hinabrannen.

Lucie hatte genug, es schien ihr unnütz, den Kampf fortzusetzen. Die Wunde der Freundin sollte sich über dem hineingeträufelten Gifttropfen schließen, darum sagte sie mild, wie eine barmherzige Schwester, zu dem Obersten:

Da sehen Sie, Herr Graf, Clara ist nicht so tapfer, als sie scheinen möchte, und Sie haben sie mit Ihren Kriegs- und Schlachtengesprächen traurig gemacht.

Und sie umarmte Clara, die ihr in überströmender Dankbarkeit die Hände drückte. Der Oberst, der sich auch wieder in das Gefühl seiner Rolle zurückfand, stammelte einige nichtssagende Worte, aber in dem unangenehmen Gefühl, sich bloßgestellt zu haben, und von den widersprechendsten Gedanken bewegt, ergriff er seinen Hut, empfahl sich den beiden Mädchen und entfernte sich in einer Verwirrung, die er nur sehr mühsam zu bemeistern vermochte.

Kaum hatte sich die Salonthüre hinter ihm geschlossen, als Clara ganz außer sich auffuhr und sich schluchzend in Luciens Arme stürzte.

Er liebt mich nicht mehr, rief sie, und du bist’s, die er liebt!

Eine Purpurröthe, die ebensowohl der Freude, als der Verwirrung entstammen konnte, verbreitete sich über Lucie von Beaulieu’s Gesicht.