Tennis oder Liebe

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Tennis oder Liebe
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Lucy van Geldern

Tennis oder Liebe

- das ist die Frage

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Leseprobe von »Traumtänzer – Liebe auf den falschen Schritt«

Impressum neobooks

Kapitel

Dunkle Gewitterwolken zogen über die nahen Hügeln herauf. Ein erstes, leises Grummeln drang zu den Anlagen des Tennisclubs Südermark. Die beiden Spieler auf dem Centre-Court hielten einen Augenblick lang inne.

»Keine Bange«, rief Jürgen ihnen vom Schiedsrichterstuhl aus zu. »Das schafft ihr, bevor das Unwetter über uns hereinbricht. Also, ein bisschen Beeilung, meine Herrschaften. Michael, du hast Aufschlag.«

Michael kramte gelassen einen Tennisball aus der Hosentasche. Ein selbstgefälliges Lächeln lag auf seinen Lippen. Zwei, drei Mal ließ er den Ball auf den Boden hüpfen, dann warf er ihn in die Luft. Mit Wucht schmetterte er die Filzkugel über das Netz.

Lauernd wie ein Habicht stand Patrick da und beobachtete den Aufschlag. Als der Ball diagonal in die linke äußere Ecke flog, spurtete er los. Mit einem kräftigen Schlag aus der Rückhand schickte er die Filzkugel zurück zum Absender.

Meike rutschte unruhig auf ihrem Plastiksitz hin und her. Als einzige Zuschauerin des Matches kam sie sich sehr verloren vor. Mechanisch folgten ihre Augen dem Ballwechsel von links nach rechts. Als Michael den Punkt machte, atmete sie erleichtert auf.

»Ja, gut so«, murmelte sie halblaut vor sich hin. »Nicht nachlassen.«

Sie bewunderte seinen Instinkt. Er wusste schon den Bruchteil einer Sekunde vorher, wo der Ball im nächsten Augenblick aufschlagen würde.

Patrick blickte überrascht auf, als Michael plötzlich an der richtigen Stelle auftauchte und ihm den Ball als Volley über das Netz zurückschickte. Patrick musste sich weit von der Grundlinie entfernen, um das filzige Etwas zu erreichen.

Erneut donnerte es, und Jürgen musterte besorgt den wolkenverhangenen Himmel.

»Das wird nichts mehr«, meinte er und drehte sich zu Meike um. »Michael ist ein guter Spieler und Patrick ihm ebenbürtig. Bevor die beiden ein Ende finden, ist das Gewitter vorüber.«

»Michael schafft das schon.« Begeistert blickte sie ihn an.

Jürgen, von ihren schönen Augen verzaubert, vernachlässigte seinen Job als Punktrichter über alle Maßen und sah überall hin, nur nicht auf das Spielfeld. Ein weiterer Donnerschlag ließ seinen metallenen Hochsitz erzittern. Er klammerte sich fest und schielte zur nahenden Unwetterfront.

»He Jürgen. Wer hat den Punkt gemacht?« Anklagend sah Patrick ihn an und deutete mit dem Schläger zur Linie. Der Ball rollte außerhalb des Feldes an der Bande entlang und tat unbeteiligt. Erste Windböen spielten mit ihm. Meike grinste. Kaum lenkte sie den Punktrichter ab, gab es schon Ärger. Aber Jürgen war dieser Herausforderung gewachsen. Wieselflink kletterte er vom gefährlichen Blitzableiter-Gestänge und trat an die Seitenlinie.

»Das haben wir gleich.« Er stemmte die Fäuste in die Hüften und inspizierte das Umfeld des weißen Kreidestreifens. »Der Abdruck ist ja so was von frisch.« Nachdenklich kratze er sich am Kinn. »Ich würde sagen, der Ball ist im Aus.«

Ein kräftiger Windstoß unterstrich seine Aussage.

Empört schrie Michael auf, und joggte heran.Verärgerte deutete auf eine markante Vertiefung im roten Sand. »Das ist der Abdruck.«

»Okay, dieser Punkt geht an Michael.« Patrick murrte, aber Jürgen kümmerte sich nicht darum. »Darf ich um zügigen Fortgang des Spiels bitten? Zeigt endlich, was in euch steckt. Bringt den Satz innerhalb der nächsten drei Minuten zu Ende.«

»An mir soll's nicht liegen«, meinte Patrick siegesgewiss.

»Angeber. Meine Gewinnchancen sind besser.« Michael spurtete an seine Grundlinie zurück.

Meike zog ihren Blazerkragen dichter um den Hals. Die Luft war in den vergangenen Minuten deutlich abgekühlt. Nachdenklich sah sie dem Match zu. Natürlich musste Michael es wieder auf die Spitze treiben. Er war ein guter Spieler, da gab es keine Zweifel, doch diese Art von Selbstdarstellung ging ihr gegen den Strich.

Leise Schritte erklangen. Herr Evers, der Vorsitzende des Clubs, erschien im Tribünenaufgang.

»Habt ihr das Gewitter noch nicht bemerkt?«, rief er, und strich sein vom Wind zerzaustes Haar glatt. Er hielt sich am Geländer fest und stieg zu Meike hinauf.

»Doch, doch«, sagte sie schulterzuckend. »Michael möchte noch unbedingt den Satz gewinnen. Aber Patrick ist eine harte Nuss für ihn.«

Herr Evers nickte Meike freundlich zu und ließ sich neben ihr nieder.

Patrick provozierte Michael mit einem Schmetterball. Verbissen hechtete dieser dem Filz hinterher und versuchte, mit der Rückhand einen Stoppball zu schlagen. Es gelang ihm nicht. Der Wind trieb die Kugel über seinen Schlägerrand. Die straff gespannten Saiten erzeugten ein jaulendes Geräusch.

»Da soll doch der Teufel dreinschlagen«, schimpfte Michael und sprintete dem Ball hinterher. »Das ist nicht fair. Sabotage auf ganzer Linie.«

»Einstand«, verkündete Jürgen. »Wenn ihr euch jetzt nicht entscheidet, dann brechen wir ab.«

»Ja, ja«, maulten beide einstimmig.

Michael hatte Aufschlag und legte seine ganze Kraft hinein. Der Wind trieb den Ball weit nach rechts hinaus. Er traf die Linie, und Patrick hatte keine Chance, an ihn heranzukommen.

»Es gibt eine ausgleichende Gerechtigkeit«, hörte Meike ihn murmeln.

Herr Evers erhob sich. »Ich gehe wieder rein. Mir wird es hier zu ungemütlich.«

Er nickte Meike kurz zu und eilte in das Clubgebäude zurück.

Immer heftigere Windstöße kamen auf und störten das Spiel. Keiner der beiden auf dem Centre-Court sah sich noch in der Lage, einen Ball sinnvoll zu platzieren.

Bei den Hügeln fuhr ein gleißend heller Blitz nieder und schlug in den Boden ein. Meike zuckte unwillkürlich zusammen. Sie hängte sich die Handtasche um und erhob sich. Als sei es ein Zeichen für Jürgen, klatschte dieser in die Hände.

»Schluss für heute. Feierabend. Ihr kommt über den Einstand nicht mehr hinaus. Das Spiel wird unterbrochen. Wir verschieben diese Begegnung zwischen zwei Titanen auf ein anderes Mal.«

Patrick nickte und beachtete den Schlag von Michael nicht mehr. Er lief vom Spielfeld in Richtung Ausgang.

»Ich protestiere«, rief Michael. »Das ist nicht fair. Ich hätte dieses Spiel gewonnen.«

Jürgen blieb unerbittlich und eilte zum schützenden Eingang. »Das Gewitter ist gleich über uns.«

Meike wartete unten am Spielfeld auf Michael. Sie hatte kein Verständnis für seinen Starrsinn. Es handelte sich um ein hundsgewöhnliches Trainingsmatch. Es ging um nichts und nochmals nichts. Aber ihr Freund tat, als sei der Abbruch eine Katastrophe.

Ein ausgewachsener Sturm brach los. Die Bäume schüttelten sich und rauschten unheilvoll. Die Werbetafeln an der Bande knatterten protestierend.

»Komm jetzt endlich«, rief sie ihm zu und sah zu, wie hielt Patrick und Jürgen zum schützenden Gebäude eilten. Anders Michael - betont gelangweilt strich er mit seinem Schuh Abdrücke auf dem Platz glatt.

Meike hatte es satt. Sie rannte los. Begleitet von einem weiteren Blitz und einem gewaltigen Donnerschlag, öffnete der Himmel seine Schleusen zu einem Wolkenbruch. Fast übergangslos wurde es finster. Der Sand spritzte an Meikes Hosenbeinen empor und verwandelte ihre blütenweißen Turnschuhe innerhalb von ein, zwei Atemzügen in unansehnliche Latschen. Von oben stürzte das Wasser auf sie herab, als habe jemand absichtlich mehrere Badewannen voll aus dem Fenster geschüttet.

»Puh«, machte sie, als sie kurz darauf im schützenden Flur stand. Sie wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Ihre Klamotten tropften, und ehe sie sich versah, bildete sich um ihre Füße eine ansehnliche Pfütze. Ihre Haare hingen, strähnig wie nasse Wollfäden, herab.

Endlich tauchte Michael auf. Betont langsam schritt er durch die tobenden Naturgewalten und blieb unter der Tür stehen.

»Hier seid ihr«, grinste er. »Ich wollte schon glauben, dass ich das alles nur geträumt hätte. Es war ein Fehler, das Match abzubrechen.«

»Tut mir leid«, empörte sich Jürgen, und trat einen Schritt auf ihn zu. »Du hättest mir das vorher sagen sollen, dass du dich mit Selbstmordabsichten trägst. Da hätte sich was einrichten lassen. Jetzt ist es zu spät.«

 

»Ist schon gut«, Meike ging dazwischen und legte Jürgen besänftigend ihre Hand auf den Unterarm. Auf einen absolut unnötigen Streit konnte sie jetzt wirklich verzichten.

»Ich gehe mich mal umziehen.« Hoheitsvoll nickte er Patrick und Jürgen zu. »Wir treffen uns gleich an der Bar. Dort können wir dieses Spiel zumindest theoretisch zu Ende bringen.«

Meike folgte Michael bis zum Eingang in die Umkleiden.

»Und war ich gut?« Er blickte sie mit treuen Augen an, und Meike fühlte, wie ihre Knie weich wurden. Ehrgeiz hin oder her, sie liebte diesen Kerl über alle Maßen.

»Du hast wirklich ganz toll gespielt«, sagte Meike und fiel ihm um den Hals. Sein eindringlicher Duft nach Schweiß und Deo empfing sie.

Ungewohnt sanft legte er seinen Arm um ihre Taille, und ihre Lippen fanden sich zum Kuss. Es war ein einziges Feuerwerk der Gefühle, das in ihr explodierte. Sie spürte seinen kräftigen Herzschlag. Sein Kuss war so drängend und fordernd, dass ihr der Atem wegblieb. Als sie sich voneinander lösten, schnappten sie beide nach Luft.

»Gibst du mir ein Handtuch?«, fragte Meike. »Ich muss mich zumindest ein wenig trocken rubbeln.«

»Klar.« Er holte aus seiner Sporttasche ein flauschiges Sporttuch und reichte es ihr mit einem liebevollen Lächeln.

*

In ihren klammen Sachen saß Meike an einem der zierlichen Tische im Club-Restaurant. Der heiße Kaffee wärmte sie nicht nur von innen. Nachdenklich hielt sie die Tasse mit beiden Händen und nippte daran. Das Spiel und der übertriebene Ehrgeiz Michaels gingen ihr nicht aus dem Sinn.

Endlich öffnete sich die Tür von den Umkleiden. Ihr Freund stürmte, als ob er immer noch auf dem Spielfeld wäre, in das Restaurant und warf die Sporttasche auf den Fußboden.

»Da bin ich«, sagte er grinsend und plumpste auf einen der Rattan-Stühle.

»Wird aber auch Zeit. Du warst schon schneller.«

Wohlweislich überhörte er die Anspielung und drehte sich zur Theke. »Holger, für mich bitte eine Apfelsaft-Schorle.«

Der Barkeeper nickte zustimmend und begab sich gewohnt gemächlich zum Kühlschrank. Mit seiner Leibesfülle stand er in krassem Gegensatz zu den Spielern des Clubs. Kurz darauf brachte er den Saft und setzte das Glas vor Michael ab. »Darf es noch was sein? Ich hätte da ein paar leckere Kleinigkeiten im Angebot.«

»Nein, danke. Im Moment nicht.« Meike schenkte ihm ein freundliches Lächeln. Holger verschwand in der Küche, und Michael nutzte die Gelegenheit und beugte sich zu seiner Freundin herüber.

»Das war doch ein spitzenmäßiges Match. Ein richtiges Duell, oder?«

Wie zufällig berührten sich ihre Hände auf dem Tisch. Liebevoll streichelte Meike über die kräftigen Finger und zeichnete die Form seiner Fingernägel nach. Erwartungsvoll spitze sie die Lippen. Michael wusste genau, wonach ihr der Sinn stand. Sie versanken in einer innigen Liebkosung.

»Na ja«, meinte Meike, als sie sich voneinander lösten. »Ja, das Spiel hat mir gefallen. Das weißt du doch. Aber wenn du nur nicht immer so übertreiben würdest. Um zu gewinnen, hättest du dich vom Blitz erschlagen lassen.«

»Unsinn. Ich weiß selbst gut genug, wann es Zeit ist, aufzuhören.«

Patrick und Jürgen erschienen und setzten sich zu ihnen.

»Wer ist jetzt Aufschlagkönig?«, fragte Michael Jürgen. Der blätterte nachdenklich in seiner Liste. »So leid es mir tut. Es ist eindeutig Patrick!«

»Na gut. Du hast also einen Wahnsinnsaufschlag«, gestand Michael seinem Gegner zu. »Aber du vergisst dabei alles andere. Deine Schwäche ist zweifelslos die rechte, hintere Ecke. Ich brauche dich nur nach vorn ans Netz zu locken, und schon ...« er grinste vielsagend. »Deine Technik ist bescheiden.«

»Von wegen«, polterte Patrick. »Du willst doch nur von deinen eigenen Schwächen ablenken. Ohne das Gewitter hätte ich dir gezeigt, wer der Bessere von uns ist.«

»Wenn ihr meine Meinung hören wollt ...« Jürgen legte eine Pause ein. »Ihr seid gute Spieler. Michael hätte den Satz lässig gewonnen, wenn er nicht so ungeduldig wäre. Er kann seine Chance nicht abwarten und begeht dadurch Fehler. Und Patrick wirkt manchmal, als sei er an der Grundlinie festgefroren. Beinarbeit, Junge. Das ist wichtiger als viele anderen Sachen. Wisst ihr, was für ein Geheimrezept ich habe, um beweglich und elastisch zu bleiben?«

Gelangweilt rührte Meike ihren Kaffee um. Wie so oft bissen sie sich an ihrem Lieblingsthema fest. Erst verdroschen sie stundenlang unschuldige Filzkugeln, und hinterher kamen sie sich vor wie die Athener nach der listenreichen Eroberung Trojas. Michaels Mundwerk lief heiß, und er bestellte sich eine zweite Apfelsaftschorle.

Draußen goss es immer noch wie aus Kübeln. Der Regen peitschte unablässig gegen die Panoramascheiben. Das Gewitter entlud sich mit aller Macht.

»Du trinkst bestimmt noch einen Kaffee, Meike. Unser Gespräch dauert eine Weile.«

Täuschte sie sich, oder zeichneten sich unter ihren nassen Sachen mehr Details ab, als ihr lieb war? Der dunkle, starrende Blick von Patrick, mit dem er sie musterte, irritierte sie sehr. Sie schüttelte unbewusst mit dem Kopf und zog den nassen Blazer dichter um die Schultern. »Danke, mir reicht eine Tasse. Wir müssen gleich aufbrechen. Du weißt doch.«

Verwundert sah Michael sie an. »Wieso brechen wir auf?«

»Der Regen schadet offensichtlich deinem Verstand. Hast du es vergessen? Um zwanzig Uhr beginnt die Vernissage. Wir haben uns mehrfach darüber unterhalten. Und du hattest mir versprochen, mitzukommen.«

Ihr Freund krauste unwillig die Nase und stellte das Glas so schwungvoll ab, dass unzählige Tropfen auf der polierten Glasfläche landeten.

»Stimmt, erzählt hast du mir davon. Aber das ist doch unwichtig. Solche Veranstaltungen gibt es immer wieder. Wollen wir nicht hierbleiben? Diese bunten Bilder interessieren doch keinen. Hier ist es viel gemütlicher.«

Meike schluckte. Sie wollte ihm eine geharnischte Antwort geben, doch in ihrem Hals steckte ein dicker Kloß. Enttäuscht und sprachlos starrte sie ihn an. Seine Ablehnung tat ihr fast körperlich weh.

»Also hör mal«, rief Patrick und blickte sie vieldeutig an. »Das ist ja ein Ding. Du sagst deiner süßen Freundin ab? So ein Abend in netter Gesellschaft, das würde ich mir nicht entgehen lassen.«

Michael sah ihn wütend an. »Halt du dich da raus, ja?«

»O.k., o.k.« Beschwichtigend hob Patrick die Hände. »War ja nicht so gemeint.«

»Das will ich auch hoffen.« Michael nahm das Glas und trank in wenigen Schlucken aus.

Erneut öffnete sich die Glastür am Eingang des Restaurants. Herr Evers trat ein, blickte sich flüchtig um und kam an den Tisch.

»Hallo, darf ich kurz stören?« Er sah Michael an. »Herr Steiner haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.«

Meike sackte regelrecht auf ihrem Stuhl zusammen. Noch einer, der ganz versessen aufs Tennisspiel war. Den geplanten Besuch der Vernissage konnte sie langsam abschreiben.

Jürgen grinste vielsagend. »Etwas ausgefressen, Kollege? Ja, ja, wenn die Götter zürnen ...«

Michael wusste selbst nicht genau, was los war.

»Hier?«, fragte er verwundert.

»In meinem Büro, wenn es recht ist.«

»Natürlich. Sofort.« Er erhob sich und riss dabei fast den Stuhl um.

Meike überlegte fieberhaft, was Michael angestellt wohl hatte. Garantiert wollte Herr Evers ihn wegen seines unverantwortlichen Verhaltens beim Gewitter zur Rede stellen.

Sie griff nach Michaels Arm. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich muss mich noch umziehen. Und wenn ich mich richtig erinnere, sind wir mit deinem Wagen da.«

»Sorry. Ich weiß zwar nicht, was los ist, aber es kann ein paar Minuten dauern.«

»Ich nehme dich gern mit in die Stadt.« Überraschend bot Patrick seine Hilfe an.

»Ja, genau. Das ist doch die Idee.« Kumpelhaft schlug Michael ihm auf die Schulter.

»Danke, das ist sehr nett von dir.« Meike versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Doch ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus.

»Dann ist ja alles geklärt«, meinte Michael zufrieden und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Bis nachher, mein Schatz.«

*

In rasanter Fahrt schoss der weinrote Wagen die Landstraße entlang. Viel zu flott, wie Meike fand. Vorsichtshalber vergewisserte sie sich noch einmal, dass der Gurt stramm saß.

»Von Null auf Hundert in zehn Sekunden. Spitzen Wert - oder?« Verliebt streichelte Patrick das Lenkrad. »Der Wagen liegt wie eine Eins auf der Straße.«

»Ah ja?« Meike starrte gebannt auf den regennassen Asphalt. »So eilig habe ich es auch wieder nicht.«

»Das beruhigt mich. Hat dir jemals einer gesagt, was für traumhafte Augen du hast? Wenn du wütend bist, tanzen Tausende kleiner Teufelchen darin.«

»Hast du mich überhaupt schon einmal wütend erlebt?« Meike vermied es, auf das Kompliment einzugehen. Für Typen, die jede Minute mit einer Frau benutzten, um billige Sprüche zu klopfen, hatte sie nicht viel übrig. Beim Tennisspiel, da hatte er ihr noch imponiert. Aber jetzt?

»Ja, vorhin, als du Michael an die Vernissage erinnert hast.« Er nahm die rechte Hand vom Lenkrad und schaltete. »Wo findet sie eigentlich statt?«

»In einer entzückenden Galerie im Zentrum«, antwortete sie ausweichend. Patrick sollte gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen.

Er tat nicht, als bemerkte er ihre Ablehnung. Seine Hand kehrte nicht zum Lenker zurück, sondern näherte sich ihr langsam und scheinbar unabsichtlich. Und plötzlich lag sie auf ihrem Oberschenkel.

»He, spinnst du?«, verärgert schubste Meike die Hand herunter. »Benimm dich, ich bin kein Freiwild.«

»Hat auch keiner behauptet. Also reg dich wieder ab.« Seine Hand kam erneut herüber und lag schwer auf ihrem Schenkel. Dieses Mal versuchte sie vergeblich, seine Pfote wegzuschieben. Seine Finger krallten sich schmerzhaft in den Oberschenkel.

Entschlossen packte sie den Mittelfinger und bog ihn nach oben.

»Ich werde das nicht auf sich beruhen lassen«, zischte sie wütend. »Du wirst aus dem Club fliegen und bekommst obendrein noch eine Anzeige von mir.«

Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Sie kannte Patrick nicht gut genug, um ihn einschätzen zu können. Auf keinen Fall durfte sie sich eine Blöße geben.

»Aua.« Er zog die Hand weg und pfiff anerkennend durch die Zähne. »He, unser braunhaariger Engel zeigt Temperament.« Übermütig fuhr er ein paar Schlangenlinien. »Es stimmt also, Brünette sind voller Pfeffer!«

Ein entgegenkommendes Fahrzeug hupte. Der Fahrer gestikulierte heftig. Vergnügt lachte Patrick auf und riss erneut am Lenker, sodass Meike unsanft gegen die Tür geschleudert wurde.

»Hör auf. Du bist ja betrunken.«

Noch immer ging ein kräftiger Regen nieder. Die Büsche und Bäume am Wegesrand tropften und glitzerten. Ein romantischer Anblick, den sie sicher genossen hätte, wenn sie nicht in dieser brenzligen Lage gewesen wäre.

»Ich bin nüchtern und weiß genau, was ich tue.«

Wie ein unersättliches Monster glitt die Hand erneut nach rechts, diesmal deutlich höher. Meike schnappte nach Luft.

»Blöder Grapscher. Ich wusste gar nicht, dass du so primitiv bist.«

Das grenzte eindeutig an Nötigung. Ohne zu zögern, holte sie mit der Handtasche aus und schlug auf Patrick ein.

Die Attacke brachte ihn aus dem Konzept. Einen Augenblick lang verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug. Er trat auf die Bremse. Der Wagen rutschte über den nassen Asphalt, brach einen Leitpfosten ab und schlitterte auf dem Gras neben der Straße weiter.

Meike hielt sich krampfhaft am Türgriff fest. Patrick kuppelte und schaltete. Mit einem hässlichen Ratschen legte er den zweiten Gang ein und trat das Gaspedal durch.

Meike bemerkte seinen verkrampften Gesichtsausdruck und die zusammengepressten Lippen. Sie fasste einen Entschluss. Bevor Patrick völlig durchdrehte, musste sie hier raus. Egal, ob es draußen in Strömen goss oder nicht.

Sie griff nach der Handbremse und zog den Griff ganz nach oben. Patrick wollte beschleunigen, aber der Wagen setzte sich zur Wehr. Der Straßengraben tat ein Übriges. Die Räder drehten durch und gruben sich in den matschigen Boden. Statt schneller wurde der Wagen rasch langsamer und kam zum Stehen.

Den Gurt öffnen und die Tür aufstoßen, war eins. Die Handtasche fest in der linken Hand, sprang Meike hinaus in den Regen.

 

»He, was soll das?«, brüllte Patrick. »Bleib doch hier. War doch alles nur ein Scherz. Ich tu dir doch nichts.«

Aber Meike hörte nicht auf ihn. Wie von Furien gehetzt, rannte sie davon. Nach zwanzig Metern warf sie einen Blick zurück. Was, wenn er ausstieg und ihr folgte?

Zu ihrer Erleichterung sah sie, dass der Wagen langsam auf die Straße kroch und dann rasch beschleunigte. Das Blut pochte in ihrem Hals, und sie atmete hektisch. Erst jetzt wurde ihr bewusst, was sich überhaupt abgespielt hatte. Der Kerl konnte sich auf etwas gefasst machen.

Meike schulterte ihre Handtasche und machte sich auf den Weg. Drei Kilometer im Regen war immer noch besser als fünf Minuten im Wagen dieses Lüstlings.