Schneewittchen

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Schneewittchen
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eISBN 978-3-945163-52-8

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Inhalt

Schneewittchen

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Schneewittchen

Die Gänge des Schlosses lagen still, waren die meisten Bewohner doch damit beschäftigt, sich für den abendlichen Festakt auszustaffieren. Die prächtigsten Kleider und schönsten Anzüge würde man heute, zum Höhepunkt der Woche, tragen und Königin Sophia die Ehre anlässlich ihres Geburtstages erweisen. Wie alt sie war, das wusste niemand, nicht einmal ihre Stieftochter, für die Sophia damals so jung und schön ausgesehen hatte, wie sie es heute tat.

Schneewittchen zog die Tür des Gemaches, in dem ein Graf für die Festwoche untergebracht war, hinter sich zu und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer. Die Enttäuschung hätte sie gern beiseite geschoben, doch kam nicht recht dagegen an. So lange hatte sie die Mägde und Zofen tuscheln hören und geglaubt, dass diese Sache etwas Unvergleichbares, etwas Fantastisches war. So neugierig war sie gewesen und aufgeregt, als sie beschlossen hatte, es endlich auszuprobieren.

Im letzten Moment hatte sie einen Rückzieher gemacht. Nicht ein Augenblick war lustvoll gewesen, sondern viel eher langweilig, unangenehm sogar und irgendwie peinlich. Der Graf hatte dümmlich gesäuselt, sie hier und da betatscht und lüstern gegrinst. Von Begierde hatte er gesprochen, von Verlangen und einem schier unstillbaren Drang. Ahnliches hatte Schneewittchen von den Mägden und Zofen gehört, doch in ihr hatte sich absolut nichts dergleichen geregt. Willkürlich hatte sie den Grafen freilich nicht ausgewählt. Er hatte ihr gefallen, sie gewissermaßen amüsiert und gut unterhalten – bevor er in seinem Zimmer die Hüllen fallen gelassen und sie mit sich ins Bett gezogen hatte.

Bedachte Schneewittchen es recht, dann machte sie ein Spaziergang durch den Garten oder ein gutes Schauspiel glücklicher als dieses nackende Herumalbern mit einem Hampelmann, dieses unbeholfene Aufeinander-Rumrutschen und Grabschen.

Sie war beinahe bei ihren Gemächern angelangt, da entdeckte sie jemanden am anderen Ende des Ganges und versteckte sich im nächsten Türbogen. Um die Ecke linsend, erspähte sie Königin Sophia, die für ihr Fest bereits in ein beeindruckendes Gewand gekleidet war. Immer wieder über die Schulter zurück- und sich umschauend ging sie zur Treppe, die in den Turm führte. Schneewittchen wusste, wohin die Königin wollte. An jedem siebten Tag der Woche begab sie sich dorthin. Zahlreiche Male war sie ihr heimlich gefolgt, hatte sie beobachtet und gelauscht und sich gefragt, ob der unheimliche Spiegel jemals etwas anderes sagen würde. Zu hoffen war, dass dies nicht geschah.

Schneewittchen mochte Königin Sophia nicht als eitel bezeichnen, denn damit würde sie maßlos untertreiben. Die Überheblichkeit, der Egoismus und die Kaltherzigkeit der Frau, die ihr Vater nach dem Tod ihrer Mutter geheiratet hatte, waren schier grenzenlos. Konnte sich Schneewittchen an ihre leibliche Mutter auch nicht erinnern, so war es ihr doch nie eingefallen, Sophia ihre Mutter oder auch nur Stiefmutter zu nennen. Diese Frau war und blieb die Königin, vor der sich alle fürchteten und die für niemanden ein warmes Wort übrig hatte, außer, sie versprach sich etwas davon. Einst hatte sie ihrem Vater gegenüber ausreichend warme Worte gefunden und sich auf diese Weise den Platz an seiner Seite erschlichen. Dahingegen hatte sie über seinen Tod nicht eine Träne vergossen und das Trauergewand abgeworfen, sobald er begraben war. Für Schneewittchen, die das Verblassen ihres Vaters lange beweinte, hatte sie nur Grimassen der Abscheu übrig gehabt und in diesen Momenten ihr wahres, alles andere als schönes Gesicht gezeigt.

Dabei lag Sophia doch so viel daran, schön zu sein. Ihre Schönheit schien die Basis ihres Glücks, ihres Reichtums und letzten Endes ihrer Macht zu sein. Es war die eine Sache, um die sie sich sorgte, die sie lächeln ließ und die es mit Sorgfalt zu überwachen galt – wobei ihr der Spiegel half.

Schneewittchen lauschte, bis die Schritte der Königin verklungen waren, dann schlich sie ebenfalls hinauf in den Turm und zur letzten Tür, hinter welcher der Spiegel aufbewahrt wurde. Durch einen Spalt beobachtete sie, wie Sophia sich davor aufstellte, die Hände vor dem Bauch faltete, die Schultern straffte und die bekannte Frage formulierte: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«

Wann immer Schneewittchen diese Worte hörte, bekam sie eine Gänsehaut, doch ertönte erst das gläserne Summen des Spiegels, zitterte sie gar. Auch heute summte das Ding, das nur verhext sein konnte, in diesem fremdartigen Ton. Ein Blitzen sauste über die Oberfläche und das Bild der Königin erschien im Spiegelglas: Strahlend schön das Antlitz, das blonde Haar aufwendig frisiert, die Haut makellos.

»Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier«, lautete des Spiegels gleichermaßen bekannte Antwort und Schneewittchen wollte sich auf den Rückweg machen, um nicht von Sophia entdeckt zu werden, da wurde das Surren lauter. Nie zuvor war das geschehen, und tatsächlich sprach der Spiegel weiter. Was er jedoch sagte, ließ das Herz der Prinzessin ein paar Takte aussetzen.

»Aber Schneewittchen ist noch tausendmal schöner als Ihr.«

Hierzu zeigte er ihr Bild. Ihr Haar, schwarz wie Ebenholz, war im Rücken zu einem Zopf geflochten und mit vielen kleinen weißen Blüten geschmückt. Ihre Haut, weiß wie Schnee, war beinahe so hell wie ihr Lieblingskleid – das weiße mit den schwarzen Säumen. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, rot wie Blut, und spiegelte sich im tiefen Blau ihrer Augen wieder. Es war traurig, dieses Lächeln – und Schneewittchen fragte sich, wie es dem Spiegel möglich war, sogar aus der Ferne nicht nur ihr Äußeres, sondern auch ihr Inneres wiederzugeben.

Da sich der Schreck in ihren Gliedern festigte, musste sie sich einen Ruck geben, um sich abzuwenden. In ihrem Zimmer angelangt, war Schneewittchen froh, ihre Zofe vorm Badezuber warten zu sehen, denn nach dem eben Erlebten, würde Sophia nicht lange auf sich warten lassen. Kaum war sie aus dem Kleid geschlüpft und ins Badewasser gestiegen, da flog die Tür schon auf und die Königin betrat den Raum.

»Ich wünsche dich nicht auf meiner Feier zu sehen«, verkündete sie mit einer Stimme, die vor Kälte klirrte. »Du wirst auf deinem Zimmer bleiben.«

Schneewittchen wagte kein Wort der Widerrede und gab ihr stummes Einverständnis. Als die Königin fort war, erboste sich die Zofe über deren schreckliches Wesen, doch Schneewittchen bat sie zu schweigen. Sie fürchtete sich vor Sophias weiteren Reaktionen und wollte nachdenken.

Die Stunde der Feierlichkeit war angebrochen. Die Beine an den Körper gezogen, die Arme darum geschlungen, saß Schneewittchen auf der Fensterbank und träumte sich fort. Von fern klangen die Musik und das Gelächter an ihr Ohr, doch sie war nicht traurig, nicht an der Feier teilnehmen zu dürfen. Sie wollte niemanden sehen, nicht die ganzen Hampelmänner und erst recht nicht die Königin.

Plötzlich vernahm sie Schritte auf dem Gang und hob den Kopf, um zu lauschen. Sie erschrak, als die Tür aufgestoßen wurde und mehrere Soldaten hereinstürmten. Masken trugen sie und sagten keinen Ton, wie um sie ihre Stimmen nicht hören zu lassen, an denen sie sie vermutlich erkannt hätte. Zwei von ihnen ergriffen Schneewittchen, stoppten ihre erschrockenen Ausrufe, indem sie ihr ein Tuch vor den Mund banden, und schleppten sie aus dem Zimmer. Sie nahmen nicht die Hauptwege durch das Schloss, sondern liefen durch kaum benutzte dunkle Gänge, über schmale Stufen bis hinab ins Gewölbe. Schneewittchen kannte alle Wege, die aus dem Schloss und hinein führten, so auch den einen, den man sie jetzt entlang zerrte. Er unterquerte die Schlossmauer und mündete in einem zwischen Felsen verborgenen Ausgang im Wald.

Wie stumme Riesen ragten die Bäume in den Nachthimmel. Steine und Wurzeln erhoben sich aus dem Grund und drohten Schneewittchen zu Fall zu bringen. Weiter und weiter schleppten sie die Soldaten, machten erst auf einer Lichtung Halt und ließen sie los. An den konstant hastigen Schritt gewöhnt, stolperte sie, fing sich jedoch und fuhr herum. Einer der Soldaten richtete eine Armbrust auf sie, doch die Hand am Abzug zitterte. Schneewittchen fiel auf die Knie und zerrte sich das Tuch vom Mund.

»Bitte!«, flehte sie und weinte erste Tränen. »Lasst mir mein Leben! Ich habe Euch kein Leid getan.«

Er zögerte und ließ die Armbrust sinken. »Lauft!«, befahl er. »Lauft und kehrt niemals zum Schloss zurück. Wir töten ein Reh an Eurer statt und bringen der Bestie das Herz dieses Tieres.«

Fassungslos starrte Schneewittchen ihn und die anderen an. Einiges hätte sie Königin Sophia zugetraut, doch niemals, dass sie sie wegen der Worte eines verhexten Spiegels töten lassen würde.

»Lauft!«, wiederholte der Soldat. »Bevor ich es überdenke.«

Schneewittchen rappelte sich auf und rannte los, von Panik und wirren Gedanken getrieben. In welche Richtung ihre bald schmerzenden Füße sie trugen und wo sie ankommen würde, wusste sie nicht, sondern lief nur und lief. Zweige peitschten über ihre Haut, rissen Fetzen aus ihrem Kleid, doch sie hielt nicht an.

 

Als die Morgendämmerung einsetzte, lichtete sich der Wald im Westen. Ein Rauschen, das Schneewittchen zuerst für das Flüstern der Blätter im Wind hielt, wurde lauter und schwoll zum unverkennbaren Lied der Wellen eines Ozeans an.

Wenig später fiel sie in weichen, von der Nacht noch kühlen Sand, krümmte sich und keuchte. Ihre Lunge schien in ihrer Brust explodieren zu wollen, ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren, und ihre Beine zitterten, nun da sie Ruhe fanden. Beim Aufblicken entdeckte sie ein Schiff, das in Strandnähe ankerte. Es war nicht sonderlich groß, maß vielleicht sechzig Fuß, hatte aber dennoch etwas Bedrohliches an sich, wie es da so still auf den Wellen schaukelte. Mit einem Blick auf die Flagge kroch ein Schauder über ihre Haut. Piraten waren es, die dieses Schiff steuerten.

Schon wollte Schneewittchen umkehren und abermals im Wald verschwinden, da blitzte eine Idee in ihren Gedanken auf. Sie musste und wollte fort von hier, weit fort. Irgendwohin. Und dieses Schiff konnte sie irgendwohin bringen. Weder am Strand noch an Deck waren Piraten zu sehen, und es blieb zu vermuten, dass sie den Rausch des in der Nacht getrunkenen Weines ausschliefen.

Bevor sie den eben gewonnenen Mut wieder verlor, eilte sie über den schmalen Strand. Kalt umspülte das Wasser ihre Füße und Waden, aber sie lief tiefer hinein, versuchte dabei so leise wie möglich zu sein und lauschte immer wieder. Die letzten Meter zur Ankerkette legte sie schwimmend zurück, zog sich mit letzten Kräften daran hoch und hiefte sich an Deck. Hinter einem mit Seilen umwickelten Metallbock Deckung suchend, verschaffte sie sich einen Überblick und erschrak, als sie den Wachhabenden entdeckte. Er grunzte im Schlaf, murmelte etwas, doch wachte nicht auf. Schneewittchen schlich zu einer Luke, unter der sie den Laderaum vermutete, hob sie an und horchte. Da Schnarchen heraufdrang, schloss sie sie wieder und huschte zur nächsten Luke, hinter der es still war.

Bebend vor Aufregung machte sie sich an den Abstieg über die Leiter und tastete sich in völliger Dunkelheit zwischen in der Enge zusammengeschobenen Kisten, Truhen und anderer Beute voran. Hinter Weinfässern fand sie einen Stapel Felle, sank völlig erschöpft darauf, rollte sich zusammen und versuchte das von Angst und der Nässe ihrer Kleidung verursachte Schlottern zu unterdrücken. Die seelischen und körperlichen Strapazen des Tages ermüdeten sie schneller als gedacht. Nicht lange und ihre Glieder entspannten sich, ihre Sorgen verloren an Last und wurden leicht wie Nebel. Schneewittchen schlummerte ein.

Das Erwachen kam prompt und unsanft. Man riss sie hoch, wirbelte sie herum und packte sie im Nacken.

»Wen haben wir hier?«, dröhnte ein grobschlächtiger Kerl und funkelte sie aus einem eisgrauen Auge an. Dort wo sein anderes Auge hätte sein sollen, befand sich eine schwarze Klappe. »Hat sich ein Vögelchen auf unser Schiff verirrt? Und so ein hübsches noch dazu.«

Sein Griff in Schneewittchens Nacken wurde so fest, dass sie schrie. Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, doch hatte keine Chance. Er drehte sie herum, brachte ihre Arme in den Rücken und drängte sie vornüber. Ehe sie sich versah, hatte er ihr den Rock hochgeschoben.

»Was für ein toller Arsch«, hörte sie ihn sagen und biss die Zähne zusammen. »So wunderbar rund!«

Als sie seine Hände auf ihrer Haut spürte, stieß sie einen wütenden Laut aus, befreite sich und fuhr herum. Diesmal war er es, der nicht schnell genug reagierte. Schneewittchen verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.

»Betrachtet gefälligst Euren eigenen Arsch!« Mit einem Blick über seinen dicken Leib fügte sie an: »Der ist gewiss runder.«

Einen Moment lang rieb er sich verwundert die Wange, dann wollte er sich abermals über sie hermachen, da zischelte jemand mit der Stimme einer Schlange: »Lass das lieber!«

Schneewittchens Blick fiel auf einen zweiten Mann, der viel kleiner war und eine listige Miene hatte. Sein rotes Haar stand wild von seinem Kopf ab.

»Bringen wir sie zu LaCrux«, sagte er weiter. »Er wird entscheiden, was mit ihr geschieht.«

Der Dicke mit der Augenklappe sah das ein, warf sie kurzerhand über seine Schulter und trug sie zur Leiter. Dass Schneewittchen ihn boxte und schlug, hielt ihn nicht auf und so schleppte er sie mühelos, Sprosse für Sprosse an Deck.

Oben angelangt stellte er sie auf die Füße und schob sie, ihre Arme abermals festhaltend, vor sich her. Nur am Rande ihres Bewusstseins nahm Schneewittchen wahr, dass die Sonne bereits wieder sank und das Schiff auf hoher See fuhr, denn der Großteil ihrer Aufmerksamkeit galt den anderen Piraten, die sich um sie scharten und begleiteten. Sechs zählte sie, einschließlich des Dicken und des Rotschopfes.

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