Loe raamatut: «Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur», lehekülg 9

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Klassische Lateinische Epoche
I. Ovid

Ovid ist der wichtigste lateinische Autor für unseren Mythos. In drei seiner Werke, Metamorphosen, Fasten und Ibis, gibt es wichtige Belege über Athamas’ Sage. In den Metamorphosen jedoch findet man die unfangreichste Quelle der lateinischen Literatur für die Rekonstruktion der römischen Sichtweise des Aioliden.

Bevor diese Textstellen ausführlich analysiert werden, sollten einige Punkte erörtert und erklärt werden. Die Metamorphosen werden als erstes Werk untersucht.

Das erste Thema dieser kleinen Einleitung zu Ovid ist die Zuverlässigkeit des Textes dieses Dichters: Inwiefern sollen die von Ovid präsentierten Überlieferungen in Erwägung gezogen werden? Lafaye stellt eine offensichtliche Tatsache fest: „Si nous comparons Ovide à certaines œuvres étendues, que nous possédons dans leur intégrité, les différences nous sautent aux yeux, et nous en relevons un grand nombre“1. Selbstverständlich geschieht es nicht in den Textstellen der Grammatiker2, die eher Übereinstimmungs- als Unstimmigskeitspunkte mit der üblichen Version des Mythos von Athamas darbieten. Das ist nicht erstaunlich, denn diese Texte sind normalerweise kürzer als die literarischen und konzentrieren sich infolgedessen auf das Wichtigste, wobei alle Traditionen im Standardfall übereinstimmen, indem sie die Abweichungen der Einzelheiten beiseite lassen. In den umfangreichen Erzählungen, wie z.B. der von Apollodor und Nonnos im Griechischen oder Hygin im Lateinischen, sind die Unterschiede ja offenkundiger.

Es scheint, dass die Erzählungen bei Ovid, Lafaye zufolge, oft eine Mischung des Materials von drei oder vier früheren Autoren sind: Beos, Nikandros, Parthenios und Theodoros. Es ist ganz klar, dass Ovid nichts ex nihilo geschaffen hat, sondern dass er sich in eine bestehende literarische Tradition eingefügt hat; Lafaye geht weiter: „Ovide n’a pas pu ignorer les poèmes où les Alexandrins avaient chanté des métamorphoses“3. In der Tat kann man diese Vorliebe von Ovid für die Alexandrinischen Dichter in der Detailliertheit der ovidischen Beschreibungen, die die Verwandlung in eine Person, in ein Tier oder in einen Felsen schildern4, bestätigen. Im Mythos von Athamas gibt es ein Paradoxon: Einerseits hält sich Ovid nicht bei der Metamorphose der Sidonien in Vögel auf, andererseits aber beschreibt er bis ins kleinste Detail ihre Umgestaltung in Felsen.

Lafaye glaubt, „il est probable que des épopées anciennes, telles que le Catalogue des femmes, ou les Théogonies heroïques, ou les Chants de Naupacte, ont exercé une certaine influence sur l’auteur des Métamorphoses“5. Jedenfalls warnt er m.E. treffend vor all den Gelehrten, die bei den lateinischen Autoren ständig einen Imitationsfall des griechischen Musters sehen wollen; gewiss beeinflusste die griechische Literatur stark die lateinische – wer kann das leugnen? –, aber es ist auch richtig, dass diese Literatur unabhängig aufblühte und sich im Laufe der Zeit selbstständig entwickelte; mit anderen Worten, man kann nicht – und darf auch nicht – die lateinische Literatur durch die griechische exklusiv erklären und erläutern.

Galinsky geht in seinen Behauptungen weiter: „Ovid uses the tradition of most myths only as a framework for his own inventions and elaborations which are determined, besides the principle of reterre idem aliter, by ad hoc purposes without any regard for overall consistency“6. Galinsky rechtfertigt seine These über den Mythos von Athamas in den Metamorphosen folgendermaßen: Der Kern der in diesem Buch genannten I-L-M-Version ist Athamas’ WahnsinnWahnsinn und Inos SprungSprung; „Ovid spends nineteen lines on telling these events (4512–30) and five times as many on telling their antecedents (4416–511), especially Juno’s visit to the underworld“7. Nach dieser Meinung gilt Ovid eher als ein Erfinder als ein treuer Befolger der Tradition; Bernbeck ist auch dieser Ansicht: „Ovid hat in den meisten Fällen den Stoff frei behandelt und sich weit von seinen Vorbildern entfernt“8. Bömer behauptet sogar, „die klassische SageSage interessiere ihn weniger als frei gestaltete Szenen, für die die klassische Sage nur Hintergrund und Motivation abgibt“9.

Meiner Meinung nach gibt es ja einen Wechsel des Blickpunkts in der Erzählung von Ovid, aber das ist kein ausreichender Grund zu der These, dass Ovid die Tradition für seine eigenen Erfindungen verwendet. Ovid entwickelt einen bis dahin nicht genug vertieften Aspekt, erfindet aber weder Junos ZornZorn noch ihre Rache noch das Zutun der Erinnyen im Mythos von Athamas10. Es ist eigentlich die zweite Kategorie, mit der Castiglioni Ovids persönliche Eigenart in einigen Erzählungen der Metamorphosen erklären will: „Con accenni ad abitudini e particolari di vita romana e con bizzarri scherzi del poeta, oppure con l’aggiunta d’intere parti importanti, che sembrano non essere state trattate affatto dai poeti a lui precedenti“11. Die Hauptkennzeichen der LegendeLegende sind aber ohne relevante Wechsel erhalten; er bricht nicht mit der Tradition, sondern er entwickelt einige Zweige desselben Baumes weiter. Ferner weist Bernbeck auf Folgendes hin: „Aus diesem vielfältigen Material hat Ovid herausgegriffen, was am besten in seinen Zusammenhang paßte und die Verbindung zu den umgebenden Erzählungen verstärkte“12. Dies gilt aber für jeden literarischen Autor.

Andererseits ist oft nicht klar, was bei einem Autor Erfindung ist oder nur die Aufnahme einer uns unbekannten Tradition oder Quelle. Richtig ist, dass die Autoren innovieren und erfinden sollen, aber es ist auch sinnvoll, dass sie zumindest am Startpunkt von einer dem Publikum (auch dem gebildeten Publikum seiner Epoche) vielleicht weniger bekannten Tradition ausgehen. Darüber hinaus muss man beachten, was der Kernpunkt des Mythos und was ein späterer Zusatz ist, wie Castiglioni hinweist: „Si può ragionevolmente credere che la situazione prima della leggenda di Ino e Atamante non si restringesse, in una trattazione più ampia, al nudo cenno consueto dei mitografi, come Apollodoro (III, 28 W.) ἀγανακτήσασα δὲ Ἥρα μανίαν αὐτοῖς ἐνέβαλε“13.

Schließlich muss man m.E. den starken innovativen Anteil Ovids betonen14, er sollte aber nicht als ein Schriftsteller angesehen werden, der total mit der Tradition bricht oder sie für seine eigenen Ziele benutzt. Dieser Meinung ist auch Castiglioni in seinem Kommentar zu den Metamorphosen: „Conviene riconoscere che Ovidio, pure ampliando di tanto l’episodio di InoIno e Atamante, non si metteva in contrasto stridente, nè con l’indole della leggenda nè con le sue possibili trattazioni letterarie“15. Obwohl man zugeben könnte, dass alle Erneuerungen auf Ovids Erfindung zurückgeführt werden können, bleibt diese Innovation doch auf das innere Schema der Erzählung beschränkt. Mit Anderson kann man behaupten, „Ovid tells a story that he has selectively organized from traditional details and personal improvements, to carry his unique stamp“16.

Interessant ist meiner Meinung nach Galinskys Darlegung, wie Ovid eine Sammlung von Erzählungen vereint; ein Beispiel kann man in Cadmos’ Zyklus sehen: „He states a theme – in this case, the evils befalling Cadmus’ family (3135–9)– and then makes it recur often enough, like a leitmotif, to suggest the underlying unity“17. Nicht alle Geschichten sollten mit diesem ‚leitmotif‘ verbunden werden, auch andere Erzählungen können absichtlich hinzugefügt werden, um die Aufmerksamkeit des Lesers abzulenken18.

Ein weiteres wichtiges Thema ist, inwiefern Ovid andere Autoren nachahmt. Vergil ist selbstverständlich der Autor par excellence, der als Inspirationsquelle gilt. Der stärkste Einfluss wird in Junos Abstieg zur Unterwelt offenbar. Galinsky zufolge setzt Ovid als Ziel, „to play with motifs from Vergil’s underworld description“19. Bernberck meint, bei der Beschreibung des Tartaros „bildete das VI. Buch der Aeneis den literaturgeschichtlichen Hindergrund“20. Noch kühner formuliert Bömer: „Im Detail ist natürlich der Descensus des Aeneas im VI. Buche Vergils von so bestimmendem Einfluß gewesen, daß bei aller Freiheit, die sich Ovid der klassischen Schilderung Vergils gegenüber wahrt, sowohl der Descensus als auch die Tisiphone-Szene (IV 473ff.) ohne die Bücher VI und VII der Aeneis nicht vorstellbar sind“21. Derselben Meinung ist Castiglioni, der über diese Szene rigoros sagt: „Notevole in lui è l’imitazione da Vergilio“22. Der italienischer Forscher bemerkt diesen Einfluss ganz besonders in Junos Rede vor Tisiphone, die die Göttin, seiner Ansicht nach, sehr ähnlich wie in Verg. Aen. VII 286–322VergilAen. VII 286–322, vortrug: Genauso wie JunoJuno Turnus und seine ganze Familie ruiniert hat, wird diese Göttin Athamas und Inos Haus ins Unglück stürzen; und genauso wie Jupiters Frau Allektos Beihilfe in Aen. VII 323–326VergilAen. VII 323–326 fordert, um Amatas’ (341ff) und Turnus’ (415ff) Sinne zu verwirren, wird sie in Ovids Gedicht zur Unterwelt hinabsteigen, um von Tisiphone zu verlangen, Athamas’ Sinn zu zerstören (Met. IV 471OvidMet. IV 471).

Es bestehen auch andere Motive, wie z.B. Junos Selbstgespräch. Bernbeck meint, dass es „den beiden Monologen entspricht, die bei Vergil Aeneas’ Irrfahrten und Kämpfe eröffnen (AenVergilAen. I 37. I 37ff. und VII 293ff.)“23. Aber wie Castiglione richtig bemerkt, „metafore di questo genere nella poesia ellenistica avevano il merito facile di dar luogo ad un ampio sviluppo nelle rispettive imitazioni dei romani, amanti di tali esercizi retorici“24. Zweifellos bereitete das hellenistische Gedicht den Boden für diese Art von Komposition in der römischen Literatur.

Ein Beispiel des hellenistischen Einflusses ist Junos Titel βαρύμηνις, der je nach den Umständen in den Gedichten modifiziert wird. Mit einem Wort: Juno wird als Urbild aller eifersüchtigen Ehefrauen angesehen. Der ZornZorn der Göttin über die häufige Untreue ihres Mannes und dessen zahlreiche unehelich gezeugten Kinder ist Inhalt vieler Erzählungen hellenistischer Dichter, wie z.B. in der Fabel von Ganymedes, Io oder Kallisto25; vor allem Kallimachos zeichnet für dieses Bild von Jupiters Frau verantwortlich.

Crusius denkt, dass Ovid dem hellenistischen Dichter in der Einleitung von Junos Rache sehr nahe bleibt: „Quare Callimachum Alexandrinum communem istum fontem esse haud inepte poteris conicere, ubi Isthmia ab eo celebrata esse Inois et Melicertae fabula narrata satis certo demonstraveris“26. Castiglione glaubt sogar, es sei denkbar, „che alla poesia ellenistica non fosse estraneo lo sviluppo degli accenni omerici relativi alle personificazioni, come non era ad essa estranea una discreta elaborazione di discorsi e di colloqui di divinità“27. Viele Einzelheiten der ovidischen Szenen könnten ein Spiegel der griechischen Gedichte im Hellenismus sein. Aber nicht nur Vergil und das Alexandrinische Gedicht beeinflussten Ovid stark, sondern auch die TragödieTragödie selbst spielte in den Gedichten des römischen Dichters eine herausragende Rolle: „Da scene di drammi, sia da prologhi che da soliloqui, chi ignora quanto poteva derivare ai poeti più tardi e come materia e come disposizione di essa?“28.

Ovid entwickelt in seinen Metamorphosen die I-L-M-Version29; „dadurch ergab sich eine Vereinfachung: alle Einzelheiten, die sich aus dem Problem der Doppelehe und des StiefmutterStiefmutterverhältnisses ergaben, konnten wegfallen“30. Interessant sind auch die Fragen: „Quale è il grado di unità dell’insieme (o degli ‘insiemi’) narrativo delle Metamorfosi? Quali i rapporti fra i diversi livelli narrativi, fra il narratore autore e i tanti altri ipostatici che si susseguono?“31. Man sollte sich auch fragen, ob die Textstelle über Athamas mit dem Rest des ovidischen Werkes harmonisch verbunden ist.

Seit dem Beginn des 3. Buches mit der Geschichte von KadmosKadmos führt Ovid den Leser zur Familie des Gründers von ThebenTheben und berichtet von seiner Ankunft in BöotienBöotien (Met. III 1–137OvidMet. III 1–137) bis zu seiner Vertreibung samt seiner Frau Harmonia und die Verwandlung von beiden in Schlangen (Met. IV 563–603OvidMet. IV 563–603). Daraufhin erzählt er das Unglück von zweien seiner Töchter, nämlich von Autonoë und SemeleSemele. Bernbeck32 sieht einen starken Gegensatz zwischen Kadmos’ Neffen und dem Gründer von Theben: „Das unglückliche Schicksal von Actaeon, Semele, Pentheus usw. soll einen Kontrast zum glücklichen Ausgang von Cadmus’ ersten Abenteuern (Drachenkampf, Saat der Drachenzähne, Erbauung Thebens) bilden“33.

Das 4. Buch, das mit der Erzählung von den Minyaden anfängt, könnte durch zwei mythische, finstere und eigentlich kadmeische Episoden begrenzt gesehen werden: „quello di Penteo che chiude il III libro e quello di Atamante a metà del IV“34. Pentheus’ Fall (3. Buch) weist auf Inos Unglück noch deutlicher hin als der von Autonoë; denn Pentheus wird von seiner Mutter Agave auf DionysosDionysos’ Veranlassung hin mit einem Eber verwechselt und Athamas wird InoIno und ihre zwei Kinder auf Junos Veranlassung hin mit einer Löwin und ihren Jungen verwechseln; JunoJuno lässt sich eigentlich von Dionysos’ Vorgehensweise inspirieren (ipse docet, Met. IV 427OvidMet. IV 427).

In KadmosKadmos’ Familie finden sich folglich zwei Beispiele eines von Göttern geschickten WahnsinnWahnsinns, um über die Sterblichen eine große StrafeStrafe zu verhängen. Das bedeutet nicht, dass es nicht parallele und widersprüchliche Linienführungen zwischen Ino und ihren übrigen Schwestern gibt. Diana verhindert z.B., dass Aktaion reden kann, wenn er in einen Hirsch verwandelt wird; Ino ist übermäßig stolz und spricht zu viel: magnasque nam matertera uires | narrat ubique dei (Met. IV 417–418OvidMet. IV 417–418). Auf jeden Fall bricht Ino – und deswegen hat Ovid sie wahrscheinlich als letzte in die Reihe der unglücklichen Töchter Kadmos’ gesetzt – mit dem glücklosen Ende der übrigen Geschichten, weil Neptun sie auf VenusVenus’ Fürbitte hin in eine Seegöttin verwandelt. Ovid bemerkt, dass dieses besondere Ende Inos Geschichte von den Unglücksfällen des thebanischen Königshaus ausschließt35. Das ist auch wichtig für den kadmeischen Zyklus: Obwohl alle Töchter des Gründers von ThebenTheben ein unseliges Ende haben, ist es klar, dass „die Inosage aber nach dem grausigen Anfang schließlich mit der Vergöttlichung von Ino und Melicertes versöhnlich endet“36.

Ludwig sieht aber eine andere Gliederung in Kadmos’ Erzählung. Aktaion, Autonoës Sohn, und MelikertesMelikertes, Inos Sohn, rahmen den Kernpunkt der Geschichte37 ein, und zwar die Geburt von Semeles Sohn, BacchusBacchus, und die Erscheinung seines großen Gegners, Pentheus, Agaves Sohn. „Ovid scheint auf diese Weise absichtlich die Gestalt des Bacchus dominierend ins Zentrum gesetzt und seine Geschichten dort zusammenhängend erzählt zu haben“38.

Bernberk schlägt eine andere, eigentlich doppelte Verbindung für Inos und Athamas’ Erzählung vor: „durch die Beziehung zu BacchusBacchus mit den Minyaden und den andern vorangehenden Sagen, durch ihre Stellung vor der Metamorphose des Cadmus mit dem übergeordneten Thema der Trauerfälle im Cadmidengeschlecht“39. Dieser Gelehrte erläutert40, dass Ovid einen anderen möglichen Verbindungspunkt mit den Minyaden außer Acht gelassen hat, denn diese wohnten nach der Tradition41 in OrchomenosOrchomenos, wo Athamas, Hellanikos (FGrHist.HellanikosFGrHist. 4 F 126 4 F 126) zufolge, ebenfalls gewohnt hat. „Doch Ovid bevorzugt gegenüber der unwesentlichen geographischen Übereinstimmung die Verknüpfung der beiden Geschichten durch ihre innere Beziehung zu Bacchus“42. Die Minyaden lehnen tatsächlich den neuen Gott ab, Athamas und Ino aber nehmen ihn als Kind auf und erziehen ihn wie einen eigenen Sohn.

Es gibt also eine gewisse Einheit, die unter dem Dreisatz verstanden werden kann: DionysosDionysos – Übertretung – WahnsinnWahnsinn. Diese Tatsache verhindert z.B., dass sich Ovid mit der späteren DivinisierungDivnisierung von Ino und MelikertesMelikertes beschäftigt. Gewagt ist aber m.E. Fornaros Behauptung, wenn er sagt, „le Metamorfosi sono, ex obiecto, di per sé poema, in senso lato, dionisiaco: l’ordine della natura è postulato, ma non assicurato né amato, spesso è contraddetto“43. Wenn sich diese Meinung aber auf das dritte und vierte Buch beschränkt, gilt seine Behauptung als richtig. In der Tat kann Junos Verhalten in der Geschichte von Athamas für ein wenig ‚dionysisch‘ gehalten werden: JunoJuno wird von einem maßlosen und zerstörerischen Zorn bewegt, der die kosmische Ordung bricht (eine olympische Göttin betritt z.B. die Unterwelt). Dionysos, der diese Unordnung repräsentiert44, eröffnet das vierte Buch mit dem den Minyeaden geschickten Wahnsinn, der derselbe ist, der Agave und Athamas dazu antreibt, ihre Verbrechen durchzuführen. Letztendlich kennzeichnet dieser Irrsinn – eine unerbittliche Bestrafung durch die Götter – das Ende des dritten Buches, einen großen Teil des vierten Buches und verknüpft alle unglücklichen Erlebnisse der Töchter von Kadmos.

Die Kohärenz all dieser Erzählungen „n’est pas uniquement assurée par le principe généalogique (comme chez Apollodore, qui raconte certaines de ces anecdotes au livre III de sa Bibliothèque), mais par la récurrence d’un motif: la transgression“45. Derselben Ansicht ist Galinsky, wenn er erläutert, „the Cadmean cycle, the reader’s sense of the Cadmeans’ misfortunes is only heightened by this break with the chronological order: no matter what generation Ovid mentions, misfortune was their common lot“46. Wahrscheinlich hat Ovid einen strikten Zeitablauf47 für zu wenig kunstvoll gehalten, weswegen er Aktaion, Semeles Neffe, vor derselben SemeleSemele, oder Pentheus, Inos Neffe, vor Athamas’ Frau präsentiert.

Ein anderer Aspekt, der in dieser kleinen Einführung zu erklären ist, ist der furor in Bezug auf die Liebe, das heißt, der furor eroticus. Der WahnsinnWahnsinn von Athamas und Ino ist nicht der furor einer unerwiderten Liebe48. Es scheint, dass Catull der erste war, der diesen Terminus in einem lieblichen Kontext verwandte49. Auch Properz benutzte diesen Begriff in seiner Dichtung. Allerdings sind die Metamorphosen – darum wird dieses Thema in diesem Moment erwähnt –, „qui offrent le plus grand nombre d’emplois du mot furor ou de ses dérivés“50: Narziss (zweimal), Tereus, Medea, Scylla (je einmal), Biblis (viermal ist es nötig, Biblis’ Inzest mit dem WahnsinnWahnsinn zu erklären!), usw.

Das letzte Thema dieser Einleitung ist die Magie in den Metamorphosen. Sehr bekannt ist, dass die zauberkräftige Gegend in Griechenland eigentlich ThessalienThessalien war51. Diese Gegend wird in den Metamorphosen am häufigsten genannt. Andererseits verbanden Asien und Babylonien in ihren Mythologien sehr deutlich Metamorphose und Magie. Viarre meint, es gibt „au livre IV des Métamorphoses toute une série de légendes babyloniennes qui nous semblent avoir retenu l’attention d’Ovide … parce qu’elles se rattachaient à la magie“52. Er glaubt, dass die mit Ino und Mater MatutaMatuta identizifierte LeukotheaLeukothea mit der assyrischen Mutter- und MeerMeergöttin Atargatis gleichgesetzt werden könne.

Ein wenig übertrieben ist m.E. zu denken, dass Athamas’ Mythos aus einer magischen Perspektive zu erklären ist, obwohl sich natürlich einige Punkte dieses Mythos in Verbindung mit Magie bringen lassen. Viarre ist der Meinung, „Athamas, lié déjà à la magie par sa première femme Néphélé et par la toison d’or de Colchide, y voit sa seconde femme sombrer dans la folie sous l’effet de la magie de Tisiphone“53; aber weder NepheleNepheles Gabe des Goldenen Vlieses noch Tisiphones Macht sollten als magisch betrachten werden. Es gibt bestimmt magische Elemente, aber diese Macht liegt primär in der Natur der Götter, auch wenn sie kleine Götter sind, und nicht bei den Menschen.

Da Metamorphosen und Fasten so wichtig sind, werden diese Werke – in Widerspruch zu einer chronologischen Reihenfolge – zunächst analysiert.