Loe raamatut: «Skizzenbuch», lehekülg 4

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Staatswirtschaft.

»Die Staatswirtschaft,« schrieb ich, »ist die Grundlage einer jeden guten Regierung. Die weisesten Männer aller Jahrhunderte haben diesem Gegenstand stets –«

Hier wurde ich durch die Meldung unterbrochen, daß ein Fremder unten sei, der mich zu sprechen wünsche. Ich folgte dem Ruf, trat vor ihn hin und fragte nach seinem Begehr. Dabei war ich aus allen Kräften bemüht, die in mir gärenden staatswirtschaftlichen Gedanken festzuhalten und ihnen weder die Zügel schießen zu lassen noch zu dulden, daß sie sich im Geschirr verwickelten. Heimlich wünschte ich jedoch, der Fremde läge auf dem Grunde des Meeres und auf ihm eine Ladung Getreide. Ich war wie im Fieber; er blieb völlig kühl. Es thue ihm leid mich zu stören, sagte er, aber er habe im Vorbeigehen bemerkt, daß ich auf meinem Haus ein Paar Blitzableiter brauchen könne. »Nun – und –« sagte ich, »was weiter, was wollen Sie?« Er entgegnete, er wolle nichts weiter, nur würde er die Blitzableiter gern bei mir anbringen.

Es ist noch nicht lange, daß ich einen eigenen Haushalt führe, bisher habe ich immer in Hotels und Kosthäusern gewohnt. Natürlich wollte ich aber vor einem Fremden von meiner Unerfahrenheit nichts merken lassen und als gewiegter Hausbesitzer auftreten; das wird jedermann begreiflich finden. Ich sagte daher mit ernster Miene, es sei schon längst meine Absicht gewesen, sechs oder acht Blitzableiter bei mir anbringen zu lassen, allein – der Fremde fuhr zusammen und sah mich fragend an, aber ich verlor die Fassung nicht. Wenn ich Fehler machte, sollte er mir meine Unkenntnis wenigstens nicht im Gesicht lesen. Er sagte, es würde ihm lieber sein, mich zum Kunden zu haben, als irgend einen andern in der ganzen Stadt. »Schon gut,« versetzte ich und stand eben im Begriff mich wieder an die Verfolgung meines großen Gegenstands zu begeben, als er mich zurückrief und erklärte, erst müsse er genau wissen, wie viele Spitzen ich zu haben wünsche, an welchen Teilen des Hauses er sie anbringen solle und welcher Art von Stangen ich den Vorzug gäbe. Das war eine schöne Klemme für jemand, der erst so kurze Zeit verantwortlicher Hausbesitzer ist; aber ich hielt mich wacker, und er merkte mir höchst wahrscheinlich nicht einmal an, daß ich ein Neuling sei. Er solle acht Spitzen anbringen, sagte ich, sämtlich auf dem Dach, und Stangen von der besten Qualität nehmen. Die gewöhnliche Ware, lautete seine Antwort, könne er für zwanzig Cents liefern, gekupferte für fünfundzwanzig, mit Zink plattierte und spiralförmig gebogene für dreißig Cents den Fuß. Letztere würden jedem Blitzstrahl Halt gebieten, wohin er auch unterwegs sei, »seine Wirkung unschädlich machen und seinen weiteren Fortgang apokryph.« Ich sagte, »apokryph« wäre kein schlechtes Wort, da es aus heiliger Quelle stamme, aber, ohne der Philologie zu nahe zu treten, zöge ich die spiralförmig gebogenen Blitzableiter vor, und würde diese Sorte nehmen. Hierauf erwiderte er, man könne zwar im Notfall mit zweihundertfünfzig Fuß auskommen; wenn die Arbeit aber ordentlich gemacht werden solle, so daß sie als die beste in der Stadt gelten, Gerechte und Ungerechte befriedigen werde und jedermann zwingen, einzugestehen, er habe noch nie eine symmetrischere und hypothetischere Aufstellung von Blitzableitern gesehen, seit er das Licht der Welt erblickt – dann würde er, um diesen Zweck zu erreichen, sicherlich vierhundert Fuß verbrauchen müssen. Doch wolle er nicht auf seinem Kopf bestehen und gewiß sein Möglichstes thun. »So nehmen Sie denn vierhundert,« sagte ich, »und machen Sie die Arbeit wie Sie wollen, nur halten Sie mich nicht länger auf.« Nachdem ich ihn glücklich los geworden, brauchte ich eine halbe Stunde, um meine staatswirtschaftlichen Gedanken wieder da anzuknüpfen, wo ich sie gelassen hatte und sie weiter zu spinnen, wie folgt:

»nicht nur die reichsten Schätze ihres Geistes zugewandt, sondern auch ihre Lebenserfahrung und ihre Kenntnisse. Die großen Lichter der Handelsgesetzgebung, der Völkerverbrüderung und der verschiedensten Lebensordnungen in allen Jahrhunderten, allen Kulturen, allen Nationen, von Zoroaster bis auf Horace Greeley, sind bemüht gewesen –«

Hier wurde ich wieder unterbrochen und gebeten, hinunterzukommen, weil der Blitzableitermann noch ein Anliegen habe. Ich eilte zu ihm, während in mir die mächtigsten Gedanken wogten und wallten und sich in so majestätische Worte kleideten, daß jedes derselben in einer langen Prozession von Silben einherzog, die schwerlich in weniger als fünfzehn Minuten vorüber sein konnte. Wieder befand ich mich in fieberhafter Aufregung ihm gegenüber, während er sanft und ruhig blieb. Er hatte die beschauliche Stellung des Kolosses von Rhodus angenommen; mit einem Fuß stand er auf meiner umgepflanzten Tuberose, mit dem andern auf dem Stiefmütterchenbeet, die Hände in die Hüften gestemmt, die Hutkrempe ins Gesicht gezogen, ein Auge zugekniffen und das andere mit kritischem und bewunderndem Blick auf meinen größten Schornstein gerichtet. Ein solches Schauspiel zu betrachten, sagte er, sei die höchste Lebenslust. »Gestehen Sie selbst«, wandte er sich zu mir, »haben Sie je etwas von so entzückendem landschaftlichem Reiz gesehen, als acht Blitzableiter auf einem einzigen Schornstein?« Ich erwiderte, ich könne mich nicht gerade auf einen Anblick besinnen, der diesen überträfe, worauf er bemerkte, daß es nach seiner Ansicht auf Erden nichts gäbe, was sich an Naturschönheit damit vergleichen ließe – ausgenommen der Niagarafall. Um mein Haus zu einer vollkommenen Augenweide zu machen, brauche man nur noch die andern Schornsteine etwas auszuschmücken, damit der ganze coup d'oeil sich zu einer Harmonie entwickele, die geeignet sei, die Aufregung, in welche man durch den ersten coup d'état versetzt werde, einigermaßen zu mildern.

Als ich ihn fragte, ob er seine Art sich auszudrücken aus Büchern habe, die ich mir vielleicht irgendwo aus einer Leihbibliothek verschaffen könne, lächelte er wohlgefällig und meinte, solche Redeweise lasse sich nicht aus Büchern lernen. Nur wer mit dem Blitz vertraut sei, dürfe es wagen, sich ungestraft seiner Unterhaltungsform zu bedienen. Dann machte er einen ungefähren Anschlag und versicherte, wenn noch acht Blitzableiter über das Dach verteilt würden, so ließe sich mein Zweck wohl erreichen; mit fünfhundert Fuß des Leitungsmaterials dächte er auszukommen. Bei den ersten acht hätte er sich nämlich etwas verrechnet – nur um eine Kleinigkeit, etwa um hundert Fuß, genau könne er es noch nicht angeben. Ich sagte ihm, ich sei in schrecklicher Eile und wünsche das Geschäft schnell abzumachen, um wieder an meine Arbeit zu kommen. Da entgegnete er: »Einen Augenblick habe ich wohl daran gedacht, die acht Blitzableiter aufzubringen und dann ruhig meiner Wege zu gehen. Mancher würde vielleicht an meiner Stelle so gehandelt haben, aber ich sagte mir: »Nein, ich kenne den Mann nicht und lieber möchte ich sterben, als einen Fremdling ins Unglück stürzen. Auf dem Haus sind noch nicht genug Blitzableiter und ich rühre mich nicht vom Platz, bis ich ihm das gesagt habe und also gethan, was ich wünschte, daß man mir in demselben Falle thäte. – Fremdling meine Pflicht ist erfüllt! Wenn der recalcitrante und dephlogistische Himmelsbote Ihr Haus trifft, so – –«

»Schon gut, schon gut,« rief ich; »pflanzen Sie die andern acht auch auf – verwenden Sie meinetwegen noch fünfhundert Fuß spiralförmig gebogene Leitungsstangen; thun Sie, was Sie nicht lassen können; stillen Sie Ihr Sehnen, aber gestatten Sie Ihren Gefühlen nur so weit freien Lauf, als Sie mit dem Wörterbuch reichen können. Wenn wir uns jetzt genügend verständigt haben, möchte ich wieder an meine Arbeit gehen.«

Nun sitze ich schon seit einer vollen Stunde hier und versuche meinen Gedankengang da wieder aufzunehmen, wo ich zuletzt unterbrochen wurde; jetzt endlich ist es mir gelungen, ich fahre also fort:

»diesen großen Gegenstand zu bezwingen, aber selbst die Geistesmächtigsten unter ihnen, haben einen würdigen Gegner an ihm gefunden, der sich nach jeder Niederlage nur um so mutiger erhebt. Der berühmte Confucius sagte, lieber wollte er ein tüchtiger Staatsmann sein, als Polizeipräsident. Cicero hat häufig den Ausspruch gethan, daß die Staatswirtschaft die größte Wirtschaft sei, welche der Mensch imstande sei zu betreiben, und selbst unser Greeley hat im allgemeinen mit Nachdruck angedeutet, daß »Staats –«

Hier ließ mich der Blitzableitermann wieder abrufen und ich ging in einem Gemütszustand hinunter, der an Ungeduld grenzte. Er sagte, daß er untröstlich sei, mich noch einmal stören zu müssen – weit lieber wäre er gestorben. Aber, wenn ihm eine Arbeit übertragen sei, von der man erwarte, daß er sie ordentlich und kunstgerecht ausführe und er nach Vollendung des Werkes, im Begriff sich seiner so wohl verdienten Ruhe und Erholung hinzugeben, noch einen betrachtenden Blick darauf werfe und zu seinem Schrecken gewahr werde, daß alle Berechnungen nicht genau genug gewesen seien und daß das Haus, für welches er ein persönliches Interesse fühle, falls ein Gewitter losbrechen sollte, dastehen werde, ohne auf der Welt einen andern Schutz zu haben als sechzehn Blitzableiter auf dem Dach, ja dann – –

»Kein Wort mehr,« schrie ich in wahnsinniger Erregung, »warum pflanzen Sie nicht hundertfünfzig auf? Zehn Stück auf die Küche, ein Dutzend auf die Scheune, ein paar auf die Kuh, einen auf die Köchin! Spicken Sie das ganze unselige Gebäude damit, bis es aussieht wie ein großes, zinkplattiertes, spiralförmig gewundenes, an den Spitzen versilbertes Stachelschwein. Fort ans Werk! Verbrauchen Sie das sämtliche verfügbare Material und wenn Sie keine Blitzableiter mehr haben, stecken Sie Kolbenstangen auf, Ladestöcke, Wagendeichseln, Meßstangen – kurz alles, was Ihren schrecklichen Hunger nach künstlichen Landschaftsbildern zu stillen vermag, damit mein tobendes Gehirn und meine gemarterte Seele endlich Ruhe und Erlösung finden.«

Völlig ungerührt, lächelte das eiserne Geschöpf nur freundlich, streifte sich die Manschetten vorsorglich zurück und sagte, jetzt wolle er sich dahinter machen, daß es eine Art habe.

Seitdem sind drei Stunden vergangen und mir scheint, ich habe mich noch immer nicht genügend beruhigt, um mich aufs neue der Staatswirtschaft, meinem hohen Thema, wieder zuzuwenden. Ich kann jedoch dem Wunsch nicht widerstehen, wenigstens einen Versuch zu machen, denn von der ganzen Weisheit der Welt liegt meinem Herzen nichts so nahe und nichts beschäftigt meinen Verstand so sehr.

»– wirtschaft des Himmels beste Gabe für die Menschheit sei. Als der lockere aber begabte Byron zu Venedig im Exil war, soll er die Bemerkung gemacht haben, daß, wenn ihm gestattet wäre zurückzukehren und sein vergeudetes Leben von vorn anzufangen, er seine klaren und nüchternen Stunden nicht dazu verwenden wolle, leichtsinnige Reime zu schmieden, sondern Aufsätze über Staatswirtschaft zu schreiben. Washington liebte diese herrliche Wissenschaft, Namen wie Baker, Beckwith, Judson, Smith sind auf ewige Zeiten damit verbunden. Sogar der unsterbliche Homer sagt in dem neunten Buch seiner Iliade:

Fiat justitia, ruat coelum

Post mortem unum, ante bellum

Hic jacet hoc, ex-parte res

Politicum e-conomico est.

Der Gedankenreichtum des alten Dichters, verbunden mit der glücklichen Wahl der Worte, in die er seine erhabenen Bilder kleidet, haben diese Verse vor allen andern berühmt gemacht, welche jemals –«

»Schweigen Sie, sage ich – kein Wort weiter!« – Her mit Ihrer Rechnung und dann verschwinden Sie auf ewige Zeiten aus meinem Gesichtskreis. – Neunhundert Dollars? – Ist das alles? – Nun gut, auf diese Anweisung hier wird jedes achtbare Bankhaus in Amerika Ihnen Zahlung leisten. – Aber, was bedeutet denn der Volksauflauf unten auf der Straße? – Nach den Blitzableitern wollen die Leute schauen? Du meine Güte! Haben sie denn noch nie im Leben Blitzableiter gesehen? – ›Noch nie einen solchen Haufen auf einem Dach,‹ sagen Sie, wenn ich Sie recht verstehe. Da muß ich doch einmal hinuntergehen und mir die Menschen betrachten, die eine solche Unkenntnis öffentlich zur Schau tragen.«

Drei Tage später. Wir sind alle in einem Zustand völliger Erschöpfung. Unser Haus, das wie ein Stachelschwein von Blitzableitern starrte, war vierundzwanzig Stunden lang der Gegenstand allgemeinen Staunens und das einzige Stadtgespräch. Die Theater standen leer, denn ihre neuesten scenischen Erfindungen konnten es bei weitem nicht mit meinen Blitzableitern aufnehmen. Tag und Nacht war unsere Straße von Zuschauern belagert; viele fuhren sogar vom Lande herein, um das Schauspiel zu genießen. Endlich am zweiten Tage kam uns glücklicherweise ein Gewitter zu Hilfe. Kaum begann der Blitz auf mein Haus loszugehen, als sich, so zu sagen, sämtliche Bänke und Galerien im Handumdrehen leerten. Fünf Minuten später war im Umkreis einer halben Meile von meinem Besitztum kein einziger Zuschauer mehr zu erblicken. In den ferner gelegenen hohen Häusern jedoch drängte sich Kopf an Kopf an den Fenstern, auf den Dächern und überall. Das war auch nicht zu verwundern, denn, alle Sternschnuppenfälle und glänzenden Feuerwerke eines Menschenalters zusammengenommen und gleichzeitig in einer ungeheueren Feuergarbe vom Himmel herab gegen ein schutzloses Dach losgelassen, hätten nicht die großartige pyrotechnische Wirkung erzielen können, durch welche mein Haus, mitten in der Dunkelheit, die während des Unwetters herrschte, wie mit Strahlenglanz umleuchtet war. Innerhalb vierzig Minuten schlug der Blitz – ich habe es genau gezählt – siebenhundertvierundsechzigmal in mein Grundstück ein, jedesmal angelockt durch einen der getreuen Blitzableiter. Er glitt an dem spiralförmig gewundenen Eisen entlang und schoß in den Boden, bevor er noch selbst recht wußte, wie ihm geschah. Während dieses ganzen Bombardements wurde mir nur eine einzige Schieferplatte zertrümmert und zwar deshalb, weil sämtliche Blitzableiter der Nachbarschaft in ein und demselben Augenblick alle Blitze, die sie gesammelt hatten, auf uns übertrugen. Seit Anbeginn der Welt war ein ähnliches Schauspiel nie gesehen worden. Während eines ganzen Tages und einer Nacht, konnte kein Mitglied meiner Familie den Kopf aus dem Fenster strecken, ohne daß ihm das Haar ausgerissen und er so glatt rasiert wurde, wie eine Billardkugel; daß sich eins von uns hinausgewagt hätte, davon war schon gar nicht die Rede. Endlich wurde aber doch die entsetzliche Belagerung aufgehoben, weil auch keine Spur von Elektrizität mehr in den Wolken über uns vorhanden war, soweit meine unersättlichen Blitzableiter reichen konnten.

Sofort machte ich einen Ausfall, sammelte eine Schar unerschrockener Arbeiter um mich, und kein Bissen Brot kam über unsere Lippen, kein Schlaf in unsere Augen, bevor wir nicht das ganze Gebäude seiner schrecklichen Stachelrüstung entkleidet hatten. Nur drei Blitzableiter blieben auf dem Hause, einer auf der Küche, und einer auf dem Scheunendach, wo sie noch heutigen Tages zu sehen sind. Erst als dieses geschehen war, wagten die Leute es wieder unsere Straße zu betreten. Beiläufig will ich hier noch bemerken, daß ich während jener entsetzlichen Zeit meinen Aufsatz über die Staatswirtschaft nicht weiter geschrieben habe. Selbst jetzt sind mir Kopf und Nerven noch so angegriffen, daß ich die Arbeit nicht wieder aufnehmen kann.

Für Liebhaber. – Leute, welche dreitausendzweihundert und elf Fuß der besten, zinkplattierten, spiralförmig gewundenen Blitzableiterstangen und sechzehnhunderteinunddreißig versilberte Spitzen verwenden können – alles in leidlichem Zustand und obgleich durch den Gebrauch stark abgenutzt, doch für jeden gewöhnlichen Fall zu benützen – mögen sich zum Abschluß des Geschäfts an den Verfasser dieses Buches wenden. –


Es ist gefährlich im Bette zu liegen.

»Auch ein Unfallversicherungsbillet?« fragte der Mann am Schalter.

»Nein,« entgegnete ich nach kurzem Überlegen, »nein, ich glaube nicht. Heute fahre ich den ganzen Tag mit der Eisenbahn. Aber – warten Sie einmal – morgen bin ich nicht auf Reisen. Geben Sie mir eins für morgen.«

Der Mann sah mich verblüfft an. Dann sagte er:

»Aber die Versicherung ist ja gerade gegen Unfälle. Und wenn Sie mit der Eisenbahn reisen –«

»Da habe ich keine Furcht. Man läuft nur Gefahr, wenn man zu Hause bleibt und im Bette liegt.«

Ich hatte mich über diese Angelegenheit gründlich unterrichtet. Im vergangenen Jahr war ich zwanzigtausend Meilen, hauptsächlich mit der Eisenbahn gefahren, vor zwei Jahren hatte ich fünfundzwanzigtausend Meilen zurückgelegt, teils mit dem Dampfboot teils mit der Eisenbahn, vor drei Jahren nahe an zehntausend Meilen, ausschließlich mit der Eisenbahn. Wollte ich noch alle die verschiedenen kleinen Reisen in Anschlag bringen, die ich im Laufe der drei letzten Jahre bald hierhin bald dorthin unternommen habe, so würden zusammen wohl sechzigtausend Meilen herauskommen, – und das alles ohne einzigen Unfall.

Eine zeitlang dachte ich jeden Morgen bei mir: »Na, bis jetzt bin ich noch immer gut weggekommen, um so größer ist aber auch die Wahrscheinlichkeit, daß ich diesmal etwas abkriegen werde. Ich will schlau sein und mir ein Unfallbillet lösen.« Aber so oft ich das that – jedesmal zog ich eine Niete und legte mich am Abend mit heilen Knochen und ohne daß mir ein Glied ausgerenkt war zu Bette. Schließlich bekam ich diese tägliche Plackerei satt und kaufte mir nur noch Unfallbillete, die auf einen Monat gültig waren. Ich sagte mir: »Wenn man ein ganzes Bündel von dreißig Stück auf einmal kauft, können es doch unmöglich lauter Nieten sein.«

Aber ich irrte mich. In dem ganzen Haufen war nicht ein Gewinn. Täglich las ich von Eisenbahnunfällen – sie lagerten wie ein Nebel über der ganzen Zeitungsatmosphäre, aber niemals kam etwas davon auf mein Teil. Ich mußte mir eingestehen, daß ich in dem Unfallsgeschäft viel Geld verthan hatte und für mich nichts herausgekommen war. Mein Argwohn erwachte; ich begann mich nach jemand umzusehen, der bei dieser Lotterie einen Treffer gezogen hatte. Zwar fand ich viele Leute, die ihr Geld darin anlegten, aber keinen Menschen, der je einen Unfall gehabt oder einen Cent damit verdient hatte. Nun kaufte ich keine Unfallbillete mehr, sondern begab mich ans Rechnen und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die Gefahr lag nicht im Reisen sondern im Zuhausebleiben.

Ich verschaffte mir statistische Berichte und fand zu meiner Überraschung, daß nach all den fettgedruckten Zeitungsüberschriften, welche Eisenbahnunfälle ankündigten, doch nicht einmal dreihundert Menschen während der letzten zwölf Monate wirklich ihr Leben durch solche Unfälle verloren hatten. Die Eriebahn war die mörderischste auf der ganzen Liste. Sie hatte sechsundvierzig oder sechsundzwanzig Menschen umgebracht – ich erinnere mich nicht mehr genau an die Zahl, nur soviel weiß ich, daß sie doppelt so groß war, als auf jeder andern Bahn. Doch fiel mir dabei sofort ein, daß die Eriebahn eine ungeheure Länge hat und den größten Geschäftsbetrieb von allen Bahnen des Landes; da ist es leicht begreiflich, daß sie noch einmal soviele Tote aufweisen kann als die übrigen.

Als ich weiter rechnete, fand ich, daß zwischen Newyork und Rochester auf der Eriebahn täglich acht Personenzüge hin- und zurückfahren, also zusammen sechzehn, welche durchschnittlich sechstausend Reisende befördern. Das beträgt in sechs Monaten etwa eine Million – soviel als Newyork Einwohner hat. Nun denn: die Eriebahn tötet von ihrer Million zwischen dreizehn und dreiundzwanzig Personen in sechs Monaten und in der gleichen Zeit sterben von der in Newyork wohnenden Million dreizehntausend in ihren Betten! –

Mich überlief eine Gänsehaut, die Haare standen mir zu Berge. »Wie entsetzlich!« rief ich aus. »Nicht das Reisen auf der Eisenbahn bringt die Menschen in Gefahr, sondern daß sie sich den totbringenden Betten anvertrauen. Nie wieder will ich in einem Bette schlafen!«

Hiernach wird es der Leser nur natürlich finden, daß ich dem Billetverkäufer am Schalter die obenerwähnte Antwort gab. Mit den Betten, vor denen mir graut, will ich es nicht noch einmal versuchen; für mich sind die Eisenbahnen gut genug.

Auch ist mein Rat für jedermann: Bleibt so wenig zu Hause wie irgend möglich; aber wenn ihr einmal durchaus zu Hause bleiben müßt, dann kauft euch ein Paket Versicherungsbillete und legt euch nachts nicht schlafen. Man kann gar nicht vorsichtig genug sein.

Die Moral dieses Aufsatzes ist, daß Leute, die sich nicht die Mühe geben nachzudenken, ganz unbilligerweise über die Eisenbahnverwaltung der Vereinigten Staaten murren. Wenn wir uns überlegen, daß das ganze Jahr hindurch, Tag und Nacht, mehr als vierzehntausend Eisenbahnzüge der verschiedensten Art, mit Menschen beladen, deren Leben oder Tod in ihrer Gewalt ist, durch die Lande donnern und jagen, so werden wir uns nicht darüber wundern, daß sie dreihundert menschliche Wesen in einem Jahr umbringen, sondern vielmehr darüber, daß ihnen nicht dreihundert mal dreihundert zum Opfer fallen.


Tasuta katkend on lõppenud.

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