Loe raamatut: «Der Blick in den See», lehekülg 5

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Dann gibt es noch die Situation des Einzelnen. Etwas, das in mir ist, hat für Dich keine Bedeutung – aber ich sehe es und erkenne den Sinn dahinter. Reflexion auf individueller Ebene heißt also: Eine Form der Selbstbetrachtung, die – gleichermaßen kritisch wie akzeptierend – mir hilft, mich als den, der ich bin, zu erkennen, anzunehmen oder zu verändern. Ich sehe meine Lachfältchen, mein chaotisches Haar und dass ich nicht mehr 20 bin – ich freue mich über die Fältchen, gehe zum Friseur und akzeptiere mein Alter.

Im erlebnispädagogischen Kontext: Ich erkenne in einer Übung, dass ich ehrgeizig bin und dass dies konstruktive und lähmende Seiten hat.

Ich prüfe, wo ich den Ehrgeiz beibehalten möchte, prüfe, wo ich darauf achten kann, nachsichtiger mit mir zu sein, prüfe, ob ich der Geschichte meines Ehrgeizes auf die Spur komme und somit weitere Erkenntnisse über mich gewinne.

Die anderen Teilnehmer sind Zeugen meiner Erkenntnis: Vielleicht unterstützen sie mich – aber in erster Linie hören sie mir zu und bestätigen, dass ich aus dem Blick in den Spiegel eine Erkenntnis gewonnen habe.

Und so gibt es unterschiedliche Reflexionsformen und -Techniken:

Da wird in der Gruppe über etwas diskutiert um sich auf künftige gemeinsame Vorgehensweisen zu einigen (Schaffen einer gemeinsamen Wirklichkeit), da werden Wahrnehmungen nebeneinander gestellt und NICHT diskutiert oder bewertet (Klärung und Anerkennung unterschiedlicher Wirklichkeiten), da sitze ich mit dem Sprechstab27 und erzähle von dem, was mir wiederfahren ist und welche Erkenntnis oder Deutung ich daraus gewonnen habe (Vergegenwärtigung der persönlichen, nicht-diskutierbaren Wirklichkeit).

An dieser Stelle wird deutlich, dass die Reflexionsmethode immer nach dem Zweck, den man verfolgt, ausgewählt sein muss: Bei einem persönlichen Einzelerlebnis (Wolfspfad, Solo in der Natur, Hochseil) kann und soll nicht über Wahrheit und Deutung diskutiert werden28 – ich wähle also auch keine Methode, die Diskussionen hervorruft. Bei einem Teamtask wiederum geschehen viele Dinge zwischen Menschen – hier lohnt es sich zu diskutieren um den Anderen und sein Verhalten besser zu verstehen und/oder sich sogar auf etwas zu einigen. Die Rolle der Leitung hierbei besteht in der Moderation des Reflexions-Prozesses. Es kann nicht darum gehen, dass die Leitung die Gruppe (oder den Einzelnen) mittels Reflexion davon überzeugt, „dass dies und jenes doch vielleicht viel besser sei.“

Wie das Vorhalten des Spiegels aussieht, ist eine Frage der Demut29:

Ich konfrontiere den Anderen nicht mit seinem Spiegelbild, damit er endlich mal sieht, wie schrecklich er aussieht – ich reiche ihm ein Werkzeug (möglicherweise halte ich es auch für ihn), damit er die Möglichkeit hat, sich zu betrachten. Er kann so prüfen, ob sein Abbild mit seinem Selbstbild in gewünschter Weise übereinstimmt.


Und – um bei dem Bild zu bleiben – vielleicht halte ich den Spiegel an der Unterkante, so dass er auf meinen Unterarmen aufliegt (eine dienende Geste) und schaue (dazu muss ich den Kopf senken) auch in das Spiegelbild um gemeinsam mit meinem Gegenüber denselben Teilausschnitt zu betrachten.30 Oder aber ich halte den Spiegel so hoch, dass der Andere sein Gesicht gut sehen kann, womit ich aber die Spiegelrückseite vor meinem eigenen Gesicht habe, ihn ergo nicht mehr sehen kann. Ich überlasse den Anderen hierbei vollkommen seiner eigenen Betrachtung und Deutung, verschwinde als Individuum hinter dem Spiegel, zeige keine Gesichtszüge, die Gefallen oder Missfallen ausdrücken, beschränke mich auf die Funktion des Spiegelhalters.

Der eine Weg ist persönlicher, birgt aber mehr Risiken, der andere Weg ist neutraler und diskreter – beide Haltungen als Leiter von Reflexionen haben ihre Berechtigung.

Im Rahmen dieses dienenden Aktes des Spiegelhaltens tatsche ich nicht mit meinen Fingern auf dem Spiegel herum (das hinterlässt hässliche Fingerabdrücke) um zu zeigen, wo etwas (meiner Meinung nach) im Argen liegt. Ich stelle höchstens noch meine Wahrnehmung dazu, überlasse aber die Deutung dem Gegenüber: „Der Senffleck auf der Krawatte – passt der für Dich?“ Vielleicht findet mein Gegenüber das kreativ, vielleicht hat der Senffleck eine politische Bedeutung. Wenn vor dem Bewerten die Suche nach dem Verstehen kommt, wird die Bewertung differenzierter.

Reflexion in der pädagogischen Arbeit: Das bedeutet den Schritt in die Distanz zu gehen, es bedeutet innehalten und wahrnehmen, betrachten und prüfen, fragen und nachdenken, deuten und bewerten.

Meine grundlegenden Intentionen bei einer Reflexion könnte man wie folgt zusammenfassen:

 Auf Gruppenebene: Finden (= Konstruieren) einer gemeinsamen Wirklichkeit durch Austausch über Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Sichtweisen, Werte und Vorstellungen. Ferner Angleichung von Unterschieden und Vereinbarung von gemeinsamen Vorgehensweisen.

 Auf Gruppenebene: Verständnis entwickeln füreinander ohne Angleichungszwang. Die Unterschiedlichkeit zwischen Menschen soll in der Gruppe erkannt, gewürdigt und stehen gelassen werden.

 Auf individueller Ebene: Betrachten und prüfen, ob und wie sich ein Erlebnis mit der individuellen Wirklichkeit, persönlichen Werten, Vorstellungen und Bildern vereinbaren bzw. wie es sich darin einordnen lässt. Durch Erfassen einer Bedeutung kann bewusste Veränderung geschehen.

 Auf individueller Ebene: Das Erlebnis und das eigene Verhältnis hierzu nicht einzuordnen oder zu deuten, sondern ihm „nur“ den Raum zu geben zu sein, was es ist, es zu betrachten, auszudrücken und zu würdigen. Veränderung geschieht hier auf der Ebene des Unterbewussten.

Diese Kategorien bilden für mich die Grundlage der Reflexion – es sind die möglichen Richtungen, die eine Reflexion nehmen kann.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum am Anfang einer verbalen Reflexion oftmals das gemeinsame Sammeln dessen steht, was in der Gruppe beobachtet wurde. Erst das Wissen, welche Anforderungen an die Reflexion bestehen, ob sie auf die individuelle oder gruppenbezogene Ebene ihren Schwerpunkt legt, ob es um Einigung oder Konstruktion einer gemeinsamen Wirklichkeit oder um die Würdigung von Unterschieden geht, ermöglicht uns, der Reflexion eine Richtung zu geben, welche wir durch Medien und Fragestellung beeinflussen können.

Nun gibt es aber hunderte von Methoden, die wir verwenden, tausende von Fragen, die wir stellen können. Nach welchen Kriterien lassen sie sich auswählen? Schön wäre es, wenn es eine Art Sortiermaschine gäbe.

Ich bräuchte etwas wie Parameter, welche mir helfen, in der Situation die Anforderungen an Methode und Fragestellung zu erkennen.

Nach langen Analysen unserer Reflexionsprozesse in der erlebnispädagogischen Arbeit haben wir solche Parameter gefunden.


Problem Methode – Praktische Parameter zur Auswahl von Reflexionsmethoden

Warum entscheiden wir uns unterbewusst und in Bruchteilen von Augenblicken für eine bestimmte Methode und eine bestimmte Frage?

Wie kommen wir darauf, die Gruppe sollte sich jetzt besser verbal austauschen und später vielleicht ihre Eindrücke pantomimisch darstellen? Wieso fragen wir einmal „Was habt Ihr beobachtet?“ und das andere Mal „Wie ist über die Verteilung der Rollen gesprochen worden?“ Irgendwoher wissen wir, was wir zu tun haben – meistens.

Unsere Intuition wird an Hand vieler Erfahrungen und Beobachtungen geschult und lässt sich nicht ersetzen. Dennoch: Es lassen sich Parameter feststellen, mit deren Hilfe sich passende Reflexionsmethoden und Fragen gezielter finden lassen.

Diese Parameter heißen „Dynamik“ und „Emotionale Dichte“. Nach ihnen richtet sich die Auswahl der Methode und die Auswahl der wichtigen Ausgangsfragen in der Reflexion. Im Folgenden wollen wir die Zusammenhänge zwischen den Parametern und der Methoden- bzw. Fragen-Auswahl untersuchen.

Zunächst möchte ich einen Blick auf den Prozess des Fragens in der Reflexion werfen.


Reflexions-Parameter-Modell

Fragen – Fokussierung hängt von emotionaler Dichte ab

„Als erstes würde mich interessieren: Wie habt Ihr Euch während der Übung gefühlt?“

Oh weh … Eine sehr weit offene Frage.

Sie ist leicht zu beantworten, wenn ich starke Emotionen habe: Wenn ich wütend, traurig, aufgeregt, ängstlich, voller Freude, im Flow oder voller Enthusiasmus bin. Bei den ersten selbst geleiteten Reflexionen vieler „frischgebackener“ Erlebnispädagogen kommt diese Frage regelmäßig – und regelmäßig schleppt sich die Reflexion dann so vor sich hin. Warum? Weil viele angehende Erlebnispädagogen diese Frage aus Hilflosigkeit stellen um überhaupt irgendwas zu fragen.31 Und es schleppt sich, weil diese Frage oftmals auch in Momenten gestellt wird, in denen wenig emotionaler Ausdruck zu beobachten ist. Kommt diese Frage hingegen zu einem Zeitpunkt, in dem die „emotionale Dichte“ hoch ist (was darunter zu verstehen ist, wird noch erläutert), dann ergeben sich auch Antworten.

Ähnlich ist es bei der Frage: „Was ist in der Übung alles passiert?“

Auf diese Frage wird es nur dann eine befriedigende Antwort geben, wenn auch viel passiert ist. Hat die Gruppe eine Kooperationsübung erfolgreich absolviert, die Lösung kam ohne Schwierigkeiten, es gab keine Konflikte, jeder war mit seiner Rolle und der Rolle der anderen zufrieden, die Atmosphäre war ruhig und sachlich, es wurde zügig und reibungsarm zusammengearbeitet – so etwas kommt vor! – dann zucken am Schluss alle mit den Schultern und sagen: „Naja … Wir haben halt kurz diskutiert, jeder hat etwas beigetragen, dann hatten wir einen Plan und dann ging eigentlich alles ganz einfach.“

In der Betrachtung eines solchen Prozesses könnte man sich auch auf folgende Frage beschränken: „Was habt Ihr gesehen – was war in Eurem Prozess alles gut?“ Dann vergegenwärtigt sich die Gruppe noch einmal die Faktoren, die zum Erfolg geführt haben und man kann sie auffordern, bei kommenden Aktivitäten daran zu denken und mehr davon zu machen.

Fragen können eng fokussierend oder sehr weit offen gestellt sein.

Mit „eng fokussierend“ ist gemeint, dass die Frage auf einen ganz bestimmten Punkt hinaus will und gezielt nach der Wahrnehmung der Teilnehmer bzgl. dieses Punktes fragt. Ein Beispiel für eine eng fokussierende Frage wäre: „Was ist in dem Moment, als Thomas sich eingeschaltet hat, in Dir vorgegangen?“

Die Frage richtet sich an eine bestimmte Person, zielt auf eine bestimmte Situation und fragt explizit nach Gedanken und Gefühlen.

Eine eng fokussierende Frage an die Gruppe könnte sein:

„Es gab einen Moment, in dem die Atmosphäre beinah gekippt ist – Ihr könnt Euch sicher alle an diesen Moment erinnern. Wie ist diese Situation entstanden?“ Diese Frage will die Ursachen für eine ganz bestimmte Situation erfragen. In der Folge ließe sich weiterfragen, wie solch eine Situation in Zukunft erkannt und verhindert werden kann.

Eng fokussierende Fragen sind sinnvoll, wenn die „emotionale Dichte“ niedrig ist. Um besser zu verstehen, was es damit auf sich hat, soll an dieser Stelle erläutert werden, was unter „emotionaler Dichte“ zu verstehen ist.

„Emotionale Dichte“ – Beispiele:

In einer Teamübung kommt es plötzlich zu Unstimmigkeiten, die eine spürbare atmosphärische Spannung in der Gruppe hervorrufen. Eine Person beißt sich auf die Lippen, ist sauer und zieht sich zurück, eine andere Person nimmt gerade ohne zu fragen das Ruder in die Hand, zwei aus der Gruppe betrachten die Situation und flüstern skeptisch, eine weitere Person klinkt sich aus der Gruppenkommunikation aus und sucht auf eigene Faust nach einer Lösung … Unterschwellig kocht da etwas. Auch wenn es nicht zu einem Ausbruch von Emotionen kommt, ist die „emotionale Dichte“ hoch.

Hochseilwochenende. Das Element ist der Mast oder auch „Pampers Pole“. Eine junge Frau hat sich durchgerungen, das Element zu machen – die Nervosität ist ihr ins Gesicht geschrieben. Als Ritual legen Ihr alle aus der Gruppe die Hand auf den Rücken und schweigen einen Moment. Danach gehen alle zu den Sicherungsseilen, sie fragt die Seile ab, es geht los. Eine große Stille legt sich auf die ganze Gruppe, es gibt keine Nebengespräche, alle sind konzentriert dabei, man spürt, wie jeder mitfiebert. Alle aus der Gruppe sind gedanklich bei der jungen Frau, die nun etwas tut, was womöglich große Bedeutung für sie hat. Wieder: Auch wenn die Atmosphäre vollkommen still ist – es ist eine Situation voller „emotionaler Dichte“.

Gegenbeispiel: Die Teamübung „Sumpfüberquerung“, bei der die Gruppe mit Hilfe von Holzplatten einen imaginären Graben überquert.

Die Lösung wird diskutiert, alle sind dabei, die Gruppe löst die Übung gut. Kleinere Patzer einzelner Teilnehmer werden prompt von der Leitung gemäß einem vorher festgesetzten Regelwerk „bestraft“, was aber innerhalb der Gruppe mit der Toleranz hingenommen wird, „dass das ja jedem mal passieren könne“. Die Gruppe schafft die Übung nicht komplett, ist aber weitestgehend mit sich zufrieden – allerdings ist klar: Das war „nur“ ein Spiel. Es gab keinerlei Anzeichen für ein „Hochgefühl“ oder einen „Floweffekt“, es gab keine ernsthaften Störungen und Konflikte, die Übung hat Spaß gemacht, war interessant und ein guter Spiegel für die Arbeitsweise der Gruppe – aber sie hat niemanden ernsthaft emotional berührt. (Und das ist auch nicht schlimm!)

Die emotionale Dichte ist hier relativ niedrig.

Ist die emotionale Dichte hoch, haben die Teilnehmer viele wichtige Dinge, die sie beschäftigen. Eine passende Maxime dazu lautet: „Jede emotionale Bewegung braucht eine Möglichkeit des Ausdrucks.“

Ist die emotionale Dichte hoch und ich fokussiere in der Reflexion auf einen bestimmten, mir wichtigen Punkt, laufe ich Gefahr, dass meine Teilnehmer nicht die Möglichkeit haben, das, was bei ihnen gerade präsent ist, loszuwerden. Bei hoher emotionaler Dichte interessiert mich, was alles gerade präsent ist, was die Übung gemacht hat, wie die Leute das, was mit ihnen passiert ist, bewerten, was sie den Anderen mitteilen möchten. Frage ich an solch einer Stelle zu spezifisch und gebe der Reflexion zu viel Richtung, fallen einzelne Themen möglicherweise heraus und einzelne Teilnehmer müssen ihr Gefühl „deckeln“ oder sich einen anderen Ort suchen um damit umzugehen.

Das bedeutet übrigens nicht, dass man, wenn bestimmte Aussagen auf dem Tisch liegen, nicht spezifischer nachfragen kann. Wenn eine Person gerade der Gruppe ihre Gefühle mitteilt, kann ich durchaus spezifischer werden: „Kennst Du ähnliche Situationen oder war das jetzt eine neue, ungewohnte Situation?“ „Was hat gemacht, dass Du Dein Anliegen nicht anbringen konntest?“ „Glaubst Du, dass andere hier in der Gruppe auch dieses Bild von Dir haben? Ja? Dann will ich jetzt Euch als Gruppe fragen – wie seht Ihr das?“

Aber auch wenn ich später genauer nachhake – bei hoher emotionaler Dichte geht es im ersten Schritt darum, dass ich den Teilnehmern viel Raum dafür lasse, dass sie etwas, was sie bewegt, zum Ausdruck bringen können.

In der Reflexion frage ich dann also zunächst weit offen, was gerade präsent ist, gehe dann spezifischer auf einzelne Themen ein und kehre, sobald ein „Thema“ für die betroffene Person weitgehend geklärt ist, wieder zur offenen Ausgangsfrage zurück. Bei hoher emotionaler Dichte frage ich natürlich oft nach Emotionen:

„Welche Gefühle waren in Dir präsent?“, „Was hast Du gefühlt?“, „Was hast Du gedacht?“ (= Abgeschwächte Form für Menschen, die nicht gerne „zugeben“32, dass sie fühlen …), „Was ging in Dir vor?“, „Wenn die Übung Dir etwas zu sagen hätte – was könnte das sein?“

Ich stelle aber auch allgemeine Fragen, wie:

„Was ist passiert?“, „Was habt Ihr beobachtet?“, „Was ist zwischen Euch geschehen?“, „Welche Situation war für Euch besonders?“, „Was steckt in dem, was Ihr erlebt habt, als Botschaft drin?“

Warum nun sind eng fokussierende Fragen bei geringer emotionaler Dichte sinnvoll? Das hat in erster Linie pragmatische Gründe. Bei niedriger emotionaler Dichte sind die Themen eher sachlich orientiert. Da geht es um Strukturen, um Vorgehensweisen, um bekannte Teilaspekte, um kleine, ärgerliche Störungen, welche geklärt, aber nicht zum riesigen Grundsatzthema erhoben werden müssen. Da die emotionale Dichte nicht so hoch ist (der Trainer muss hierzu im Prozess auch Einzelne sorgfältig beobachten!), es plump gesagt keine „Emotionen gibt, die sich Vorrang nehmen“ (Emotionen haben immer Vorrang!), gibt es genug Raum, auf ein spezifisches, klar eingegrenztes Thema einzugehen. Die Gruppe kann sich in einer Situation mit niedriger emotionaler Dichte erfahrungsgemäß auch gut auf Teilausschnitte und spezifische Fragen einlassen.

Wichtig ist an dieser Stelle noch zu bemerken, dass auch innerhalb einer Reflexion eine Situation von emotionaler Dichte entstehen kann, welche in der Aktion nicht da war und erst durch die Zuspitzung mittels Fokussierung generiert wird. Meist kann hier aber weiterhin fokussierend gefragt werden, da die Emotionen oft direkt mit dem Fokus des aktuellen Themas zu tun haben, bzw. hierdurch überhaupt auftreten.

Anders gesagt: Bei niedriger emotionaler Dichte habe ich mehr Sicherheit, dass die Dinge, die ich beobachtet habe, auch für die Gruppe bedeutend sein können. Bei hoher emotionaler Dichte ist mir das Risiko zu hoch, dass meine Beobachtungen zuviel Raum einnehmen und andere Themen verdrängen – darum halte ich mich hier mit Fokussierungen eher zurück.

Ein anderer Grund für spezifische Fragen an dieser Stelle ist, dass die Gruppe manchmal eine bestimmte Besonderheit, welche ich in der Außenperspektive bemerkenswert fand, innerhalb des Prozesses nicht registriert hat. Ein gutes Beispiel ist, dass es immer wieder Personen gibt, die „herausfallen“ – sei es, weil sie selbst eher still und zurückhaltend sind, sei es, weil ihnen andere unterbewusst weniger zutrauen als den dominanten „Alphatierchen“. An so einer Stelle frage ich (nach einer Einleitungs- und Wertschätzungsphase) spezifisch:

„Sieht man mal von all diesen positiven Aspekten ab, möchte ich aber gerne auch den Fokus auf Euch als Gruppe und Eure Rollen lenken. Aus der Außenperspektive war ich mir nicht immer sicher, ob alle von Euch sich angemessen einbringen konnten und gehört worden sind. Bitte überlegt mal, ob jeder von Euch angemessen gehört wurde. Vielleicht hattet Ihr selbst mal den Eindruck nicht gehört worden zu sein? Vielleicht weiß der ein oder andere von sich, dass ihm in voller Aktion manchmal die leiseren Stimmen „durchrutschen“? Äußert Euch mal bitte dazu: Gab es eine Situation, in der jemand von Euch nicht gehört wurde?“

Ich frage hier spezifisch nach einem Thema und gleiche meine Wahrnehmung mit der Wahrnehmung der Gruppe ab. Ich biete in meinen Anleitungen immer gerne Hintertürchen an: Die Gruppe kann, wenn sie möchte, das Thema „umschiffen“. Liegt das Thema natürlich so offensichtlich auf dem Tisch, dass es kein Ausweichen mehr geben darf – es sei denn, ich will in naher Zukunft eine Eskalation – dann frage ich:

„Trotz allem Lob – es sind nicht alle gehört worden. Ich habe einige Situationen beobachtet, in denen jemand etwas sagen wollte und nicht zu Wort kam. Jetzt möchte ich wissen: Was davon habt Ihr bemerkt? Wer kam nicht zu Wort? Und wer fasst sich jetzt vielleicht an die eigene Nase und sagt: „Stimmt, da hätte ich etwas anders machen können?“

Generell ist es so, dass ich innerhalb jeder (!) Reflexionsmethode mit meinen Fragen eng fokussieren oder weit öffnen kann. (Bitte den letzten Satz jetzt noch einmal langsam lesen!) Je enger ich fokussiere, desto größer ist die Gefahr, dass etwas herausfällt. Je weiter ich aufmache, desto größer ist die Gefahr, dass wichtige Einzelaspekte unter den Tisch fallen und sich die Reflexion in „Laber-Rhabarber“ auflöst. Darum mache ich den Fokus weit, wenn viel emotionaler Stoff aus der Gruppe da ist, der gesammelt und ausgewertet werden muss. Darum mache ich den Fokus eng, wenn es Raum braucht, relevante Teilaspekte des Geschehens zu betrachten und dem kein anderes Bedürfnis entgegensteht. Und gerade wenn es so aussieht, als sei nicht viel passiert, kann durch spezifisches Fragen die Aufmerksamkeit auf die vielen kleinen Dinge geleitet werden, die wichtig sind.

Nachdem wir uns jetzt damit beschäftigt haben, wie eng fokussierende oder weit offene Fragen mit niedriger und hoher emotionaler Dichte zusammenhängen, möchte ich nun auf den zweiten Parameter eingehen:

Den Zusammenhang zwischen der Methode und der Dynamik.

Reflexionsmethoden – Struktur hängt von der Dynamik ab

Auch Reflexionsmethoden sind gewissermaßen „weit offen“ und „eng fokussierend“, aber auf anderer Ebene. Ich will hierzu auch andere Wörter verwenden. Es gibt Reflexionsmethoden, die eine Reflexion „stark strukturieren“, d.h. in einer unübersichtlichen Situation Ordnung schaffen. Und im Gegensatz dazu gibt es Methoden, die bewusst „wenig strukturieren“, damit genug Raum da ist, die Fülle an unterschiedlichen Eindrücken zum Ausdruck zu bringen.

Ein Beispiel für eine „stark strukturierende Reflexionsmethode“ ist das Vorgehen nach den „Vier Seiten einer Botschaft“ von Schulz von Thun.33

Meine Teilnehmer äußern sich der Reihe nach erst zum Sachaspekt dessen, was sie gerade erlebt haben, sprechen dann auf der Selbstoffenbarungsseite darüber, was die Aktion bei ihnen ausgelöst hat, denken darüber nach, was das für das Beziehungsgefüge bedeutet und äußern zuletzt einen Wunsch, eine Bitte oder einen Appell. Diese Methode strukturiert sehr stark.

Das Regelwerk ist so gesetzt, dass ich, sobald ein Teilnehmer „ausbricht“ und auf etwas zu sprechen kommt, das z.B. mit dem Sachaspekt nichts zu tun hat, darauf hinweisen kann, dass wir diesen Punkt gesondert später betrachten. Wir können auch in Rücksprache mit der Gesamtgruppe einen „Ausflug“ zu diesem Feld machen und die Sachaspekte für den Moment bei Seite lassen. Wie gesagt: Diese Methode strukturiert sehr stark und gewährleistet damit eine gewisse Ordnung. Wann brauche ich diese Ordnung?

Erfahrungsgemäß muss ich dann in einer Reflexion Ordnung schaffen (und das bedeutet, eine für alle Beteiligten transparente, überschaubare Vorgehensweise), wenn die Dynamik in der Gruppe hoch ist.

Viel Dynamik bedeutet nicht unbedingt auch stark emotionale Atmosphäre. Viel Dynamik bedeutet nur, dass viel Interaktion da war, viel Kontakt, viel Diskussion, viele Themen.

Das kann in einer ganz sachlich-distanzierten Weise der Fall sein. Aber in Situationen mit viel Dynamik ist der Konfusionsgrad schnell hoch.

Es gab so viel, was passiert ist, so viel unterschiedliche Eindrücke und lauter Sachen, die vielleicht wichtig waren! Plötzlich wird einem etwas Wichtiges bewusst … Man will ganz viel erzählen! Bei einem Prozess mit viel Dynamik ist platt gesagt „viel da“, worüber man sprechen kann. Also wähle ich eine Methode, die mit dieser Menge an unterschiedlichen Outputs umgehen kann. Meine Methode wird somit quasi zu einer Sortiermaschine.

Ich möchte hier ein paar Beispiele für hohe und niedrige Dynamik anführen.

Die Übung „Sumpfüberquerung“ aus obigem Beispiel läuft gut, konzentriert und konfliktarm. Die Lösung wurde schnell gefunden, es gab wenig Diskussionen. Neben niedriger emotionaler Dichte kommt auch nicht viel Dynamik auf.

Meine Entscheidung: Ich stelle eng fokussierende Fragen zu wichtigen Detailbeobachtungen („Wie ging es der Gruppe damit, als der Vorderste plötzlich „blind“ wurde?“) und wähle eine wenig strukturierende Methode wie z. B. eine „offene Runde“, weil die Reflexion auch in offener Form übersichtlich bleibt.

Das obige Beispiel des Hochseilelements. Es herrscht hohe emotionale Dichte, alle sind konzentriert dabei, es wird maximal geflüstert. Die Dynamik aber ist niedrig, auch wenn die emotionale Dichte hoch ist. Meine Entscheidung: Ich wähle anschließend die Methode „Schreibgespräch“, bei der die Teilnehmer alles, was sie gerade mit sich herumtragen, auf Zettel schreiben und an Bäume pinnen und ihrerseits auf die Zettel der Anderen ihre Gedanken über deren Aussagen hinzufügen können. Auf diese Weise entsteht ein schriftliches Gespräch. In der Anleitung sage ich „Schreibt alles das auf, was Euch gerade wichtig ist, was in Euch vorgeht, was Ihr anderen mitteilen möchtet.“ Die „Fragestellung“ ist weit offen (hohe emotionale Dichte), die Methode strukturiert/ordnet/sortiert wenig. (Sortieren würde den Fluss der Fülle an Ausdruck bremsen und ist bei der niedrigen Dynamik auch nicht nötig.)

Die Übung „Blindflug“, bei der die Teilnehmer blind eine Strecke im Wald ablaufen. Es gibt viel Zoff, viel Diskussion, auch Momente des Jubels34, Unschlüssigkeit – kurz gesagt: Hohe emotionale Dichte, aber auch viel Interaktion und Austausch. Und damit viel Dynamik. Meine Entscheidung: Ich wähle eine weit offene Fragestellung, aber eine stark strukturierende Methode. Ich entscheide mich für den „Reflexionsblumentopf“, bei dem die Teilnehmer pro Gedanken einen Gegenstand in einen Topf legen und den betreffenden Gegenstand herausnehmen müssen, wenn sie zu dem gleichen Gedanken etwas zu sagen haben. Die Methode hat den Vorteil, dass immer eng an einem Gedanken geblieben wird, aber alle Gedanken Platz bekommen. Meine Anleitung bleibt weit offen: „Ja, Ihr habt die Übung geschafft. Jetzt will ich mit der eben erklärten Methode den Raum aufmachen:

Wie ging es Euch in der Übung? Gedanken, Gefühle, Fragen – alles ist willkommen! Vielleicht gab es einen besonderen Moment? Vielleicht gab es etwas, das Euch geärgert hat? Was ist in dieser Übung alles so aufgetaucht?“ Für alle, die sich wundern, warum ich so viele unterschiedliche Fragen nacheinander stelleDas ist Absicht. Es nimmt der Runde den spezifischen Fokus und regt gleichzeitig alle möglichen Denkprozesse an.

Die Teilnehmer können sich quasi „ihre Frage“ aussuchen. Wenn ich hingegen spezifisch frage, versuche ich, eine klare Frage zu stellen.

Eine Gruppe beim Lagerbau aus Planen, Schnur und Naturmaterialien.

Jeder hat irgendwas zu tun, es wird beraten und diskutiert, plötzlich ruft einer aus dem Wald: „Hey kommt mal her, ich hab was gefunden!“, ein Teil des Aufbaus bricht plötzlich und unerwartet zusammen, ein paar Teilnehmer stehen herum und wissen nicht, was zu tun ist, eine Teilnehmerin zeigt der anderen, wie der Hering in den Boden gesteckt wird. Manche Absprachen wie z. B. vorher ausgemachte gemeinsame Beratungsrunden funktionieren nicht richtig, weil irgendwer immer gerade im Wald nach etwas sucht, es gibt kurze, konstruktive Streitgespräche, keine klare Rollenverteilung – niemand hat eine Ahnung, aber alle machen mit.

Kurz gesagt: Ein gewisser Enthusiasmus, aber weit entfernt von „hoher emotionaler Dichte“ (Dafür berührt die Übung niemanden intensiv genug und ruft auch zu wenig erkennbare Gefühlsäußerungen hervor). Dafür entsteht zwischen den Teilnehmern viel Dynamik. Entscheidung: Eine stark strukturierende Methode mit enger Fokussierung auf die Koordination der Zusammenarbeit. Ich wähle die Reflexionsschleife und formuliere gemäß meinem Fokus die zu füllenden Grundaussagen: „Innerhalb unserer Zusammenarbeit istpassiert. Daran fand ichgut undschlecht. Ich willverändern und zwar indem ich … tue. Von der Gruppe wünsche ich mir…“. Diese Fragen werden der Reihe nach mit allen durchgegangen. Nach der Runde zum Thema „Zusammenarbeit“ frage ich, ob es noch etwas gibt, das betrachtet und besprochen werden soll.

Arbeiten mit dem Reflexions-Parameter-Modell

Welche Methoden sind denn nun stark strukturierend und welche nicht?

Schafft nicht jede Methode eine Struktur? Ist die Wahrnehmungsfähigkeit von emotionaler Dichte nicht zu stark von meinen eigenen Gefühlen abhängig?

Wie also mit all dem arbeiten?

Das Reflexions-Parameter-Modell kennt nur Richtwerte – keine genauen Anweisungen. Natürlich könnte man den Reflexionsmethoden und Fragen irgendwelche Werte zuordnen, so dass man im Prozess nur noch in einer Tabelle nachschlagen müsste und … Nein, ernsthaft – ein solches Unterfangen wäre zum Scheitern verurteilt. In der Komplexität sozialer Situationen das günstigste Werkzeug zu finden, bleibt eine Kunst.

Das Reflexions-Parameter-Modell kann nur helfen, an dieser Kunst zu feilen, indem man das eigene Vorgehen in der Anleitung von Reflexionsrunden genau anschaut. Es kann bei der Grobauswahl von Methoden helfen, nimmt einem aber die Selbsteinschätzung, was denn nun „stark strukturierend“ oder „eng fokussierend“ ist, nicht aus der Hand.

Natürlich strukturiert jede Methode irgendwie – aber die eine mehr, die andere weniger. Ich verstehe unter einer stark strukturierenden Methode eine Methode, die eine unübersichtliche Menge an Gefühlen, Gedanken, Meinungen, Mikrosituationen, Standpunkten und Fragestellungen bestmöglichst auf einzelne Betrachtungsschritte verteilt und so Ordnung schafft.

Unter „stark strukturierende Methoden“ ordne ich Methoden mit mindestens drei unterschiedlichen, voneinander getrennten Reflexionsphasen bzw. -Schritten ein. Gute Beispiele hierfür sind u.a. die „Vier Seiten einer Botschaft“, das „TZI-Modell“, das „Funneling“, die „Reflexionsschleife“ und je nach Verwendung auch der „Reflexionswürfel“.

Wie eng oder weit ich in der Frage fokussiere, hängt immer davon ab, was mir gerade am wichtigsten erscheint.35

Reflexion bedeutet oft, das, was präsent ist, aus dem Nebel zu holen, um es zu betrachten. Wenn es keine Anzeichen dafür gibt, dass etwas Bestimmtes da ist, kann ich danach fragen, sollte aber meinen Schwerpunkt auf die Dinge richten, deren Präsenz greifbar erscheint. Und wenn es nicht viel zu reflektieren gibt, dann muss auch nicht viel reflektiert werden. Welcher Ursachen bedarf eine Reflexion, damit sie sich lohnt?

Die Antwort: Dynamik und/oder emotionale Dichte. Wenn weder das Eine noch das Andere da ist, braucht es nicht unbedingt eine Reflexion. In unserer Arbeit versuchen wir immer, mindestens einen der beiden Faktoren durch die Aktionen, den Rahmen, die atmosphärische Gestaltung und die Anleitung zu begünstigen bzw. hervorzurufen.

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