Der Club

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Das Buch

Ein Mörder flieht in ein Kloster in den Wald und kommt vom Regen in die Traufe, ein junger Mann folgt seinem Doppelgänger, mit ungeahnt grauenhaften Folgen, ein reicher Industrieller wird von seiner Vergangenheit eingeholt und ein luxuriöser Club verbirgt hinter verschlossenen Türen ein furchtbares Geheimnis...

Der neue Kurzgeschichtenband von Max Stascheit beherbergt das Böse in vielerlei Form. In den hinterlistigen und erschreckenden Horrorstories ist nichts so, wie es scheint.

Der Autor

Max Stascheit wurde am 09.04.1991 in Vechta geboren. Schon in jungen Jahren faszinierte ihn das Unheimliche und Makabre. Comics, Kurzfilme und Hörspiele sind nur einige Dinge die ihn begeistern und immer wieder erneut antreiben. Erste Erfahrungen mit Horrorliteratur machte er mit Büchern von Stephen King. Sein großes schriftstellerisches Vorbild ist nach eigenen Aussagen Robert Bloch.

Max Stascheit

DER CLUB

Kurzgeschichten

Titel der Originalausgabe

>Der Club<

Copyright © 2015 - Max Stascheit

Umschlagillustration - Max Stascheit

Korrektur – Luka Spahr

Verlag - epubli

Deutsche Erstausgabe

Alle Rechte vorbehalten

Copyright 2015

Max Stascheit

Inhalt

Der Todesengel von Daniel Büter

Seite 11

Das Kloster

Seite

15

Im Herz des Meeres

Seite 48

Die Füße unter der Gardine

Seite 82

Deine Liebe macht mich stark

Seite 92

Der Doppelgänger

Seite 129

Der Club

Seite 139

Kinderlieb

Seite 179

Zirkuszauber

Seite 184

Maitland

Seite 201

Die Siedlung

Seite 209

Der Schatz am Ende des Regenbogens

Seite 260

Nachwort des Autors

Seite 265

Der Todesengel

von Daniel Büter

Ich danke für die Tatsache, dass ich die Klingel erreicht habe und irgendwie drücken konnte.

Und schaue dankbar der Pflegerin nach, die mir Papier und Stift gebracht hat. Für Gespräche bin ich bereits zu schwach, und muss nun versuchen, meine Geschichte als Warnung an Euch nieder zu schreiben. Ihr, die dies lest, müsst Jagd auf dieses Monster, auf mich selbst machen.

Beziehungsweise auf das, was ich einmal war. Mein Name ist Michael. Michael Müller, Altenpfleger.

Man kann sagen, dass ich immer versucht habe,

"das Richtige" zu tun. Wobei dies natürlich sehr, sehr individuell ausgelegt werden kann.

Gewissen und Mitleid waren stets meine Antriebe.

Als Buddhist beende ich kein Leben, es ist mir heilig. Gleichwohl ist es meine Pflicht, Leiden zu lindern, wo es mir möglich ist.

Viele Menschen, die litten, habe ich erlöst. Nie habe ich ein Leben aktiv beendet, um mich zu bereichern, oder gar aus Mordlust. Tötung erfolgte stets auf Verlangen der Person, und wo immer es ging, habe ich lediglich die Mittel bereitgestellt.

Manche drückten mir die Hand, andere lächelten in ihren letzten Minuten auf Erden dankbar zum Abschied und schienen im Moment des Todes in eine andere Welt einzutreten.

Als Altenpfleger habe ich schon viele seltsame Dinge erlebt.

Doch Herr P. aus Zimmer 14, war ein ganz besonderer Mensch. Er war nie bösartig, eher verschlossen und niemand kannte seine Biographie. Angehörige schien es nicht zu geben.

Auch er quälte sich.

Als ich ihn einmal während der Mittagsruhe umlagerte, fragte ich ihn, ob ich ihm helfen solle, das Leiden zu beenden. Er nickte mehrfach. Ich wusste, was jetzt wie geplant werden musste. Kurz vor der Übergabe ging ich wieder zu ihm ins Zimmer und fragte, ob er selbst nun bereit wäre.

Herr P. nickte leicht, und nahm mir die Tabletten aus der Hand. Langsam führte er eine nach der anderen zum Mund, und trank mit Mühe ein halbes Glas Wasser. Als ich mich in der Tür ein letztes Mal zu ihm umdrehe, fixiert er mich dankbar lächelnd, fast grinsend, ungewohnt mit einem durchgehenden, stechenden Blick. Es war sehr unangenehm.

Mir wurde schwindelig, und ich kippte noch in der Tür zur Seite weg.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem Bett.

Es kam mir vertraut vor. Als ich wieder zur Tür schaute...sah ich mich selbst in der Tür stehend, gestützt von zwei Kollegen, die mir aufhalfen und etwas von „wohl zu wenig getrunken“ brummten. Halluzinationen? Ich beobachtete mich vom Bett aus und sah mir selbst in die Augen.

Ob dies diese außerkörperlichen Wahrnehmungen waren, von denen ich mal gelesen hatte?

Kurz lachte ich innerlich auf, das musste es sein!

Aber es waren nicht meine Augen- Es waren die von Herrn P., die mich geradezu hämisch fixierten. Der Pfleger… mein Körper… verließ das Zimmer. Ich holte tief Luft, um zu schreien, doch es blieb mir im Halse stecken. So fühlte sich also ein Körper jenseits der 80 an, mit Altersschwäche, ohne Kraft, aber mit wachem Verstand. Dem Tabletten gerade den Rest gaben. Alleine und fassungslos fiel mein Blick auf die Klingel am Bettgestell.

Notiz der Übergabe an den Spätdienst

Herr P. ist heute zwischen 12:00-12:30 Uhr verstorben. Der Arzt hat den natürlichen Tod bereits bestätigt und der Bestatter holt ihn gegen 3 Uhr ab. Räumt bitte sein Zimmer aus, wenn ihr Zeit habt. Michael hat bereits angefangen. Auf dem Nachtschrank liegen einige zerknitterte Papiere. Sie werden von Michael später mitgenommen, er sammelt Schriftstücke von dementiellen Bewohnern aus Interesse und für seine Bachelorarbeit über pathologische und psychologische Veränderungen im Alter – Die Pflegedienstleitung hat ihr OK hierzu gegeben.

Das Kloster

Der Strahl einer Taschenlampe wanderte über Fred Wilkens kahlen Kopf.

Er durchschnitt die dämmrige Finsternis und ließ die Staubkörner auf den Regalen des kleinen Ladens tanzend sichtbar werden.

Es war nur eine Frage der Zeit bis die Polizisten entdecken würden, dass das Schloss der Hintertür gewaltsam aus den Angeln gebrochen worden war.

Fred hielt den Atem an und lauschte in die Schwüle der Nacht, die um sein schweißnasses Genick säuselte.

Warum war er ausgerechnet in diesen Pfandleiher eingebrochen? Es gab sicher dutzende in der Stadt und die waren auch leichter wieder zu verlassen als dieses Fort Knox.

Wilkens starrte angestrengt über den mit Holz verkleideten Tresen, hinter dem er hockte.

Der Geruch von frisch gemahlenem Kupfer hing in der Luft: der Geruch des Todes.

Fred sank noch tiefer in die Schatten und warf einen flüchtigen Blick auf den alten Mann neben sich.

Er wollte nicht zu lang in die Augen des Toten starren, immerhin war er es, der dem Verkäufer eine Kugel in die Rippen gejagt hatte.

Er vernahm Schritte.

>>Jim, sieh mal!<<, hörte er aus dem anderen Ende des Ladens.

>>Das Schloss ist geöffnet worden ...<<

Fred spannte seine Muskeln und wartete geduldig. Der Finger um den Abzug seiner Pistole krümmte sich.

Er vernahm einen leichten Windzug und erwartete jeden Moment einen der Polizisten hinter dem Tresen auftauchen.

Den Leinensack mit der mageren Beute an die Brust gepresst und in absoluter Konzentration, wägte Wilkens die Situation ab.

Die Schritte kamen näher, die Beamten waren also schon in dem Laden.

Was sollte er tun? Sich ergeben?

Doch dann würden sie ihn sicher für zehn Jahre wegsperren wegen heimtückischen Mordes und Raubüberfall. Ganz zu Schweigen von den anderen Überfällen in den umliegenden Städten. Da hatten sie ihn nicht gekriegt. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn auch damit in Verbindung bringen würden.

Sollte er stattdessen lieber alles riskieren und aus der Deckung springen? Auf die Bullen schießen?

Der Strahl der Taschenlampe tauchte wieder über Freds Kopf auf. Anscheinend gehörte sie einem der beiden Polizisten, die er vor wenigen Minuten noch vor der gläsernen Front des Ladens gesehen hatte, bevor er sich hinter den Tresen geflüchtet hatte.

Der Schuss war keine Absicht gewesen. Um diese Uhrzeit dachte Fred der Laden sei verlassen.

 

Woher sollte er wissen, dass der alte Mann auch kurz vor Mitternacht seinen Laden besuchte um etwas aus den Regalen zu nehmen.

Was hatte der Kerl überhaupt gesucht?

Als der Besitzer, so vermutete Fred es jedenfalls, ihn bemerkte, ließ er sofort von dem Regal ab und schrie erschrocken auf.

Er rief nach der Polizei und machte einen Höllenlärm. Was hätte Fred tun sollen? Warten, bis der Alte ihn verriet? Stattdessen schoss er in die Dunkelheit in der der Alte stand.

Er hatte getroffen und der Besitzer war zu Boden gegangen.

Dann ging alles sehr schnell. Fred hatte die Kasse gewaltsam aufgehebelt und sich die magere Beute geschnappt. Bevor er dazu kam nachzuschauen, was sich in dem Regal befand, hörte er schon die Cops. Er war hinter den Tresen gehuscht und hatte den Körper des alten Mannes mit sich gezogen.

Und da hockte er nun.

Die Schritte der Polizisten waren jetzt beinahe vor dem Tresen der Pfandleihe.

Fred schaute sich um. Er entdeckte einen antiken Lampenschirm ohne Glühbirne und einen geschmacklosen Bronzeadler auf dem staubigen Fensterbrett.

Ohne zu zögern griff er nach einem Schirmständer und stieß ihn durch das Glas des Ladenfensters. Klirrend prasselten Scherben auf den Einbrecher hinab und bedeckten seine Haare und Kleidung.

Die Leiche des alten Mannes glänzte im Schein der Straßenlaternen, die Scherben des Fenster ließen ihn leuchten wie einen Weihnachtsbaum.

Mit einem beherzten Satz war der Ganove nach vorn gesprungen und warf sich mit seinem Diebesgut durch das zersplitterte Fenster.

>>Halt! Stehen bleiben, Polizei<<, vernahm Wilkens hinter sich.

Mit dem Mut der Verzweiflung drehte er den Arm im Sprung und drückte ab.

Die Kugeln aus seiner Pistole jagten mit einer hellen Feuerblume durch die Nacht.

Ein Schrei folgte. Und Schüsse.

Er hatte einen der Bullen getroffen, soviel war sicher.

Fred Wilkens schaute sich nicht um, rannte durch die dampfenden Gassen der kleinen Stadt und presste sich an den Leinensack wie eine Mutter an ihr neugeborenes Baby.

Er musste aus dieser gottverdammten Stadt abhauen, musste zusehen, dass er soviel Abstand wie möglich zu den Cops bekam.

Die Sirenen waren leiser geworden, Wilkens hatte die Stadtgrenze erreicht.

Der Wald, der Schutz der Nacht.

Er würde es schaffen.

An einem heruntergekommenen Diner las er es zuerst.

Gefährlicher Mörder auf freien Fuß.

Ein Einbrecher hat gestern Nacht den Besitzer einer lokalen Pfandleihe erschossen und auf seiner Flucht vor der Polizei einen Officer lebensgefährlich verletzt. Der Polizist kämpft noch immer um sein Leben.

Mehr auf Seite 4 ...

Fred zitterte. Er hatte wahrscheinlich einen Cop auf dem Gewissen. Das würde ihm mehr als zehn Jahre Zuchthaus einbringen.

Der Bulle musste ja den Helden spielen, dachte er, und drückte die Klinke des Diners herunter.

Der Laden war brechend voll. Wilkens schaute sich um.

Einige Teenager, ein altes Ehepaar und eine junge Familie saßen ihm am nächsten.

Er sah einen freien Platz und steuerte darauf zu.

Polizisten konnte er nicht erkennen.

Fred freute sich auf einen frischen Kaffee und Rührei mit Speck. Vielleicht würde er auch einige Pfannkuchen ordern. Das Geld dazu hatte er ja. Nur durfte er nicht zu verschwenderisch sein.

Doch der Hunger vertrieb den Gedanken schnell. Er hatte seit Wochen nichts anständiges mehr gegessen, war immer nur unterwegs gewesen auf der Suche nach schnellem Geld.

Eine dickliche Frau mit blondem Haar stand vor ihm.

>>Was kann ich Gutes für Sie tun?<<, fragte die junge Frau, die Fred als Bedienung registrierte.

Er war mit den Gedanken bei der gestrigen Nacht und schaute sie verwirrt an.

>>Was?<<, fragte er die Frau.

>>Möchten Sie etwas bestellen?<<, wiederholte die Bedienung ihre Frage.

Er bestellte Kaffee, Eier mit Speck und drei Pfannkuchen mit Sirup.

Fred schaute sich in dem Diner um. Die Leute schienen ihn nicht einmal wahrzunehmen, sie waren alle mit sich und ihrem Essen beschäftigt.

Fred sank tiefer in den Kunststoff der Sitzgarnitur und dachte nach.

Wohin sollte er jetzt fliehen? Die Cops suchten einen Kerl der einen von ihnen fast getötet hatte.

In dieser Beziehung waren diese Kerle wie Tiere. Sie nahmen die Witterung auf und gaben sich erst zufrieden, wenn sie ihn bei den Eiern hatten.

Er beobachtete einige junge Frauen, die sich gemeinsam auf die Toiletten begaben.

Weiber.

Der Geruch von frischem Kaffee stieg in Freds Nase.

Er drehte den Kopf und sah die dickliche, junge Frau die unter ihren massigen Brüsten ein Tablett mit seiner Bestellung trug.

Er musste keinen guten Anblick abgeben. Immerhin war er seit Wochen unterwegs, hatte kaum Kleidung bei sich und hatte selten duschen können. Er sehnte sich nach einer warmen Unterkunft, einem sauberen Bett und frischer Kleidung. Und er musste sich rasieren, dringend. Man hielt ihn sonst bald für einen Landstreicher und bediente ihn nicht mehr.

Doch noch klappte es und der herrliche Ausblick auf sein Frühstück verdrängte sogar den Gedanken an andere Dinge.

Das Essen duftete köstlich.

>>Fünf Doller Sechzig Cents<<, sagte die Bedienung und Fred wühlte in seiner Tasche nach einem Schein. Beinahe hätte er einen Hunderter herausgefischt und sicherlich seltsame Blicke auf sich gezogen.

>>Hier, stimmt so<<, sagte Fred knapp und drückte der Frau einen Fünf- und einen Ein-Dollarschein in die Hand.

>>Guten Appetit<<, sagte die Frau mit einem Lächeln und entfernte sich wieder.

Nachdem Fred das Frühstück, welches köstlich gewesen war, verschlungen hatte, wandte er sich noch einmal zu der Bedienung um.

Sie registrierte seinen erhobenen Arm und setzte sich in Bewegung. Ihr Körper war Fred zwar zu massig, dennoch merkte er, dass er die Gesellschaft eines weiblichen Körpers ebenfalls dringen nötig hatte.

>>Ja bitte?<<, fragte ihn die Bedienung höflich aber gehetzt.

Fred lächelte sie an und fragte mit seiner freundlichsten Art nach einem Motel in der Nähe.

Die junge Frau legte ihren Kopf schief und dachte nach.

>>Also hier in der Nähe ist zwar ein Motel, allerdings hat das nicht mehr offen. Lohnte sich nicht.<<

Fred blickte sie gespielt überrascht an.

Bei dem Kaff kein Wunder, dachte er, und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

>>Sie müssen dann schon in die nächste Stadt fahren, da gibt’s ein Motel.<<

Fred war enttäuscht, er hatte keine Lust auf einen langen Tagesmarsch oder Trampen.

>>Danke für die Auskunft<<, sagte er knapp und erhob sich.

Die Bedienung war jedoch schon wieder bei einem anderen Gast.

Fred schaute sich um, als er das Diner verließ. Die kühle Morgenluft tat gut auf seiner durch Wind und Wetter abgenutzten Gesichtshaut.

Er musste in den nächsten Ort laufen, so sehr er den Gedanken daran auch verabscheute.

Ein Wagen hielt am Straßenrand.

Ein Polizeifahrzeug.

Fred stockte der Atem.

Die Cops wussten zwar eigentlich nicht, wie er aussah, dennoch war er sich da nicht so sicher.

Er drehte sich zum Eingang des Diners und studierte halbherzig einige Prospekte, die in einem rostigen Ständer neben der Tür hingen. Er durfte sich nicht verdächtig machen und musste den Fokus von sich ablenken.

>>Guten Tag<<, vernahm er hinter sich. Ein Bulle, direkt hinter ihm.

Fred nickte leicht und murmelte ebenfalls eine freundliche Floskel.

Zwei fette Bullen betraten das Diner, offensichtlich für ein Donutfrühstück.

Erfüllt das Klischee, dachte Fred und griff sich einen Flyer mit der Aufschrift Kloster zu heiligen Sonne.

Er wusste selbst nicht, warum er den Prospekt mitgenommen hatte.

Die Aufschrift war amateurhaft und beinahe lächerlich.

Doch wenn man mal von der Typographie des Flyers absah, verbarg sich dahinter eine ungeahnte Möglichkeit.

Er könnte in dem Orden duschen, bekam etwas zu essen und konnte vielleicht sogar eine Herberge für die Nacht bekommen.

In Freds Hirn rasten Bilder vorbei. Eines zeigte ihn in einem warmen Zimmer, fernab der Polizei.

Das Kloster selbst befand sich in einem Wald nahe der Stadt, in der er sich befand.

Eine ideale Möglichkeit, sich zu verstecken, vielleicht sogar so lange, bis kein Schwein sich mehr für ihn interessierte.

Mit einem Gefühl der Euphorie begann der Ganove seinen Marsch auf der Landstraße.

Es war unerträglich heiß. Seine warme und vor allem dreckige Kleidung klebte an Freds Haut. Er schwitzte aus allen Poren.

Gefühlt war er bereits seit mehreren Stunden unterwegs, doch die Sonne war nicht gewandert. Sie klebte noch immer wie ein Kaugummi an der Sohle über ihm und drohte seine Haut zu kochen.

Wann würde er das Kloster erreichen?

Der Rucksack auf seinem Rücken war schwerer geworden. Obwohl er wusste, dass dies nur Einbildung gewesen war, setzte er ihn kurz ab und verschnaufte.

Die Autos waren weniger geworden je weiter er gelaufen war. Die Straße war alt und sanierungsbedürftig.

Er fühlte sich beinahe selbst wie die Straße, auf der er lief. Seine Haut spannte und der zottelige Bart juckte tierisch.

Ein verrostetes Schild, welches windschief aus dem grasigen Seitenstreifen ragte, kam in sein Blickfeld.

Kloster zu heiligen Sonne – Eine Meile.

Es zeigte nach links auf einen Feldweg, der durch einen Wald führte.

Wie von neuer Energie beflügelt, beschleunigte Fred seinen Schritt. Er wollte noch vor der Abenddämmerung ankommen.

Der Weg, den er einschlug, war uneben und schlammig, trotz des trockenen Klimas.

Immer wieder musste Fred knochigen Wurzeln und spitzem Astwerk ausweichen.

Nach etwa zwanzig Minuten Fußmarsch, die er bei normaler Straßenlage locker in wenigen Minuten zurückgelegt hätte, sah er das Kloster.

Wobei Kloster ein wenig übertrieben war. Das Gemäuer glich eher einer baufälligen Ruine. Die riesen Steinquader, aus denen die Grundfläche gebaut worden war, hatten spröde Risse und waren an vielen Stellen von Moos bedeckt.

Niemand hätte aus der Ferne sagen können, ob noch Menschen diese Festung bewohnten.

Wie auf Knopfdruck prasselte Regen auf Freds erhitztes Gesicht.

Obwohl seit Tagen kein Tropfen Wasser mehr vom Himmel gefallen war, benetzte nun ein feuchter Schleier das Gesicht des Verbrechers.

Eilig rannte er auf das Tor des Klosters zu.

Eine Überdachung hatte der Eingang nicht. Der Regen durchnässte Freds Haare, die Kleidung und auch den Rucksack.

Bloß gut, dass der Zaster wohlverpackt in einer Tüte liegt, dachte Fred.

Er hämmerte mit der Faust an das Tor und lauschte.

Kein Geräusch war zu vernehmen, nur das stetige Prasseln des Regens.

Wieder hämmerte er gegen das Tor. Seine Hand brannte schon von den wuchtigen Schlägen. Als sich immer noch nichts tat, wollte Fred schon aufgeben.

Seine Vorstellung von einem warmen Bett, Essen und sonstigem Luxus schwand dahin.

Doch dann hörte er etwas.

Einen Schlüssel der sich in einem Schloss drehte.

Und kurz darauf öffnete sich die Tür quietschend.

Das Gesicht eines uralten Mannes schaute Fred überrascht an.

>>Ja bitte? Was wollen Sie?<<

Fred räusperte sich und begann dem Alten eine erfundene Geschichte zu erzählen.

>>Guten Abend, mein Name ist George Smith. Ich suche Einlass für diese Nacht, das Wetter ist hundserbärmlich. Würden Sie mir ein Quartier für die Nacht geben?<<

Der Alte schaute ihn weiter skeptisch an, seine tief in den Höhlen liegenden Augen musterten ihn von Kopf bis Fuß.

>>Sind Sie allein hier heraus gekommen?<<, war die nächste Frage des Mannes.

Fred registrierte die braune Kutte des Alten und die Laterne in seiner Hand. Anscheinend hatten sie in diesem Kloster kein elektrisches Licht.

>>Ja, das bin ich guter Mann. Ich bin seit einigen Tagen unterwegs und suche einen Ort zum Rasten. Meine Frau hat mich rausgeworfen und jetzt stehe ich ohne Unterkunft und Job da. Den hab ich auch verloren.<< Fred musste zugeben, dass der letzte Satz ein wenig übertrieben war, dennoch gab er sich Mühe weiter in seiner Rolle zu bleiben.

 

Die Tür schwang quietschend ein weiteres Stück auf und ermöglichte Fred einzutreten.

Endlich, dachte er, und trat ein.

Obwohl er es schon bei der Außenfassade des Steingebäudes gedacht hatte, war Fred dennoch überrascht, wie altmodisch das Mobiliar des Klosters war. Antike Ohrensessel, schwere Kandelaber und der Geruch von Weihrauch waren allgegenwärtig und gaben einem das Gefühl, in eine andere Zeit katapultiert worden zu sein.

Der Mönch drehte sich zu Fred Wilkens um und bedeutete ihm mitzukommen.

Fred betrachtete die alten Ölschinken an der Wand und überlegte, wie viel diese wohl wert waren. Er kam zu dem Entschluss, später einige dieser Meisterwerke mit religiösen Motiven mitgehen zu lassen.

Das Kloster war totenstill. Man konnte sogar das Knistern der Kerzenflammen auf den silbernen Ständern hören.

Der Mönch ging zielstrebig auf einen dunklen Raum zu und entzündete einige Kerzen.

>>Dies ist dein Quartier für die Nacht, mein Sohn<<, sagte der alte Mann und ließ Fred in den Raum treten.

Die Luft war muffig und roch nach Moder. Hier hat schon seit langem kein Mensch mehr gelüftet, dachte Fred.

>>Danke<<, presste der Ganove hervor und schaute dem alten Mönch ins Gesicht.

Dieser wandte sich ab und verließ das Zimmer eiligen Schrittes. Dabei wehte sein Gewand und wirbelte einige Staubflocken vom Boden auf.

Fred verschloss die Tür und ließ sich auf ein einfaches und hartes Bett sinken. Es war besser als nichts. Endlich konnte er eine Nacht in einem trockenen, wenn auch spartanischen Zimmer übernachten und musste nichts zahlen.

Es war zu einfach gewesen, hier eine Unterkunft zu finden. Immerhin hatte er nur einige Lügen erzählt und lag nun schon seit etwa zehn Minuten auf dem Bett.

Er grinste, öffnete den Rucksack und spähte hinein.

Das Geld war noch da.

Die Raubzüge durch einige Städte hatten ihm zwar keinen ewigen Reichtum beschert, dennoch war er mit der Ausbeute im Moment ganz zufrieden.

Mal abgesehen davon, dass er hier auch den ein oder anderen wertvollen Gegenstand fand, den er mitgehen lassen konnte.

Doch wo waren die anderen Ordensbrüder? Fred hatte bisher nur den alten Mann gesehen und dieser war ja wohl kaum der alleinige Herrscher des Hauses.

In seine Gedanken versunken, schlief Fred irgendwann ein.

Der Morgen kam schneller als erwartet.

Noch eben hatte Fred das Gefühl gehabt, nur kurz eingedöst zu sein, da vernahm er eine schrille Glocke aus einem anderen Teil des Klosters.

Er erhob sich und schüttelte seine müden Glieder.

Trotz des harten Bettes fühlte er sich gut ausgeruht.

Doch nun brauchte er eine Dusche, dringend.

Er ging auf die Tür in dem kleinen Zimmer zu und öffnete diese.

Fred Wilkens erstarrte. Er blickte vor der Tür in ein aschfahles Gesicht, das uralt sein musste. Zuerst dachte er, er schaue in das Gesicht des alten Mönches von vergangener Nacht, dann registrierte er aber, dass es ein anderer Mann war.

Der Mönch schaute ihn erschrocken an.

>>Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken<<, gab er entschuldigend von sich.

>>Geschenkt<<, murmelte Fred und kratzte sich an seinem Bart.

Der alte Mönch schüttelte den Kopf.

>>Es ist nur so, werter Herr, wir hatten hier schon seit langem keinen Besuch mehr.<<

Fred Wilkens lächelte den Alten an.

Dann schritt er an ihm vorüber und in die große Empfangshalle.

Kommt einem immer noch so vor, als sei man im Mittelalter, dachte Fred.

Er erspähte eine offene Tür hinter der sich ein Garten befinden musste.

Zielsicher schritt er darauf zu. Der alte Mönch war jedoch schneller.

>>Dort ist ihnen der Zutritt leider verwehrt ...<<, sagte er eilig und klang dabei aufgeregt.

Sollen sie ihre Geheimnisse haben, dachte Fred. Immerhin haben sie ja sonst nicht viel. Keine Weiber, kein Strom und keine bequemen Betten.

Fred drehte sich um und wandte sich an den Alten.

>>Wie viele Brüder hat dieses Kloster?<<, fragte er den Mönch.

>>Etwa zwanzig. Doch von Jahr zu Jahr stoßen immer neue Glaubensbrüder in unseren Orden. Vor etwa zehn Jahren waren wir nur acht.<<

Kaum zu glauben, dachte Fred, und musste ein Lachen unterdrücken.

>>Kann ich hier irgendwo duschen?<<, fragte er direkter als er es vorhatte.

Der Mönch nickte und hob seinen Arm.

>>Natürlich, folgen Sie mir.<<

Fred kam der Aufforderung nach und ging dem Mönch hinterher.

Sie gelangten an eine hölzerne Tür mit eisernen Verschlägen, die der alte Mann mit einem Schlüssel öffnete.

>>Bitte sehr.<<

Fred ging in das kleine Zimmer und sah einen Holzkohle-Ofen, eine Badewanne und einige Handtücher. Ein Feuer loderte unter einem Kessel mit Wasser.

Na das kann ja dauern, dachte Fred, und entschied sich die Kleidung noch eine Weile anzubehalten.

Nachdem das Wasser heiß genug war, nahm der Ganove ein ausgiebiges Bad in der Badewanne und wusch sich die Haare.

Anschließend fischte er aus seiner Jacke ein kleines Klappmesser und rasierte sich den Bart trocken ab. Es dauerte länger als gedacht, ein kleiner Spiegel an der Wand brachte nur unzureichend Sicht.

Der Bart war ab, die Haut brannte tierisch, jedoch konnte man ihn jetzt nicht mehr für einen Penner halten. Vielleicht bekam er ja noch einige Kleidungsstücke von dem Orden, die er tragen konnte.

Fred öffnete die Tür und rief in den Gang.

>>Hallo? Ist da jemand?<<

Niemand antwortete ihm. Waren sie alle im Garten?

Fred hatte sich das Handtuch um die Hüfte gebunden und ging auf die Tür zu, hinter der der Garten liegen musste.

>>Hallo?<<, rief er erneut.

Plötzlich tauchte ein fremdes Gesicht hinter der Tür auf, es gehörte zu einem weiteren alten Mönch, der aus dem Garten kam.

>>Oh, ich wollte Sie nicht stören. Ich suche frische Kleidung, haben Sie so etwas?<<, fragte Fred den Mönch und lächelte gespielt herzlich.

Der alte Mönch schaute ihn an und nickte.

>>Ja, so etwas haben wir. Folgen Sie mir ...<<

Fred folgte dem alten Mann in ein Ankleidezimmer, das schwach von Kerzen erhellt wurde.

Ein Stapel Kutten befand sich auf einer hölzernen Anrichte auf der eine weitere dicke Wachskerze flackerndes Licht an die kahlen Wände warf.

>>Diese Kutte?<<, fragte Fred den Mönch.

Als ob Fred ein Schimpfwort ausgesprochen hatte, drehte sich der alte Mann zu ihm erschrocken um.

>>Nein, guter Mann, diese Kutten sind nicht für Fremde vorgesehen!<<

Fred Wilkens betrachtete die alten Kutten, die vor ihm lagen. Sicher war der Alte nur erstaunt, dass Fred danach gefragt hatte, immerhin war es die Kleidung der Ordensmitglieder.

Der Mönch öffnete eine Holzkommode und zog ein ausgewaschenes Oberteil hervor. Eine Leinenhose folgte.

Mit einem stöhnenden Geräusch ließ der Mönch die Kleidung auf Freds ausgestreckte Hände fallen.

>>Dankesehr<<, sagte Fred knapp und wandte sich zum gehen.

Da spürte er eine knochige Hand auf seiner Schulter.

Er wandte sich um und blickte in das fragende Gesicht des alten Mönches.

>>Wie lang gedenkt ihr zu bleiben, guter Mann?<<, fragte er mit heiseren Stimme.

Fred dachte nach. Konnte er es riskieren, schon an diesem Tag das Kloster zu verlassen, welches ihm sicheren Schutz vor den Cops bot?

Er legte den Kopf schief und schaute den alten Mann traurig an.

>>Ich weiß es nicht. Ich bin so überglücklich, dass ihr mich in euren Reihen beherbergt; dass ich endlich wieder ein warmes Heim gefunden habe, wenn auch nur für kurze Zeit. Ich möchte eure Gastfreundschaft nicht überstrapazieren.<< Fred gab sich alle Mühe, nicht aus der Rolle zu fallen. >>Meine Frau wird mich nicht wieder bei sich aufnehmen, da sie einen anderen Mann hat. Sie betrügt mich und ich habe keine Arbeit ... Bitte lasst mich noch einige Tage hierbleiben.<<

Der alte Mönch lächelte und entblößte einige gräulich verfärbte Zähne.

>>Sicher, mein Sohn. Sicher kannst du das ...<<

Als der Abend näher kam, lag Fred in seinem Bett. Er starrte an die rissige Decke über sich.

Wie lange wollte er hier bleiben? Vielleicht würden die Brüder des Ordens ihm anbieten bei ihnen einzutreten? Er grinste.

Was war das überhaupt für ein Kloster? Er hatte auf dem Flyer nur Kloster zur heiligen Sonne gelesen und sich nicht einmal erkundigt, welchen Glauben die Mönche vertraten. Er war wieder einmal unwissend vorgegangen.

Doch eins wusste er, nämlich das die Mauern dieses Klosters Schätze beherbergten. Schätze wie Gemälde, goldene Leuchter und allerhand antikes Zeug, das er sicher gewinnbringend an die richtigen Sammler und Händler verkaufen konnte.

Doch er musste sich einen Plan zurechtlegen, für den Fall, dass er schon in wenigen Tagen hier verschwinden wollte.