Loe raamatut: «Compliance Monitorships», lehekülg 5

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(4) Aktienrechtlicher Sonderprüfer, § 142 AktG

Zu prüfen ist, ob der Monitor nicht als aktienrechtlicher Sonderprüfer gemäß § 142 Abs. 1 S. 1 AktG bestellt werden könnte.

Zur Prüfung von Vorgängen bei der Gründung oder der Geschäftsführung, namentlich auch bei Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung, kann die Hauptversammlung gemäß § 142 Abs. 1 S. 1 AktG mit einfacher Stimmenmehrheit Prüfer (Sonderprüfer) bestellen.

Hierdurch wird den Aktionären eine Möglichkeit bereitgestellt, die über ihr Auskunftsrecht hinausgeht und von der üblichen Zuständigkeitsverteilung abweicht. Bei der begründeten Annahme von Pflichtwidrigkeiten können die Aktionäre entweder neben dem Aufsichtsrat oder anstelle des Aufsichtsrats Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands oder die Tätigkeit des Aufsichtsrats selbst überprüfen lassen.190 Die Bestellung von Sonderprüfern dient der Aufklärung des Sachverhalts bezüglich etwaiger Ersatzansprüche der Aktiengesellschaft gegen ihre Gründer, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, wodurch die Geltendmachung dieser Ansprüche erleichtert wird.191 Gleichzeitig können im Wege der Bestellung eines Sonderprüfers Pflichtwidrigkeiten durch die Ermöglichung einer effektiven Aufklärung verhindert werden192, was dem präventiven Charakter des Compliance-Monitors nahekommt.193

In § 145 Abs. 1 – 3 AktG sind die Auskunftsrechte des Sonderprüfers gegenüber der Aktiengesellschaft und verbundenen Unternehmen normativ verankert. Die Ratio der Absätze 1 – 3 besteht darin, dem Sonderprüfer den erforderlichen Einblick in die Vorgänge der Aktiengesellschaft zu ermöglichen, da speziell durch die Rechte des Prüfers sowie durch die Mitwirkungspflichten der Gesellschaftsorgane der Aufklärungszweck der Prüfung realisiert werden kann.194 In § 145 Abs. 6 AktG ist die Erstattung des Prüfungsberichts samt inhaltlichen Anforderungen geregelt. In den Absätzen 4 und 5 des § 145 AktG sind Ausnahmen geregelt, wonach bestimmte Tatsachen im Einzelfall nicht in den Bericht aufgenommen werden müssen. Der Tätigkeitsschwerpunkt des Sonderprüfers ist daher klar im Bereich der Prüfung der Gesellschaft anzusiedeln.

Die Kernaufgabe des Monitors besteht darin, die fortlaufende Einhaltung des Vergleichs zwischen der Behörde und dem Unternehmen zu kontrollieren und die Einhaltung durch Unterstützungsmaßnahmen beratend sicherzustellen und umzusetzen. Compliance-Monitoren coachen und überwachen die Unternehmen bei der Ausgestaltung und Installation von Compliance-Programmen und drängen unter Umständen sogar auf die Entlassung von Mitarbeitern, die mit einem Verstoß in Verbindung gebracht werden.195 Allerdings besitzen Monitoren keine aktienrechtlichen Prüfungsrechte wie Sonderprüfer, die sie gegen das Unternehmen einsetzen oder durchsetzen könnten. Bei fehlender Kooperation des Unternehmens mit dem Monitor darf dieser weder die Bücher und Schriften der Gesellschaft noch Vermögensgegenstände prüfen. Vielmehr sieht die Vergleichsvereinbarung vor, dass im Fall unterbliebener oder mangelhafter Kooperation das Monitorship verlängert oder das Strafverfahren wiederaufgenommen wird.

Die Tätigkeit des Sonderprüfers ist beschränkt auf den Bereich der Prüfung, wohingegen der Monitor neben der Prüfung und Bewertung auch Hilfestellungen in Form von Empfehlungen und eine abschließende Zertifizierung leistet. Der als Sonderprüfer eingesetzte Monitor wäre nicht in der Lage, die Vorgaben des DPA/NPA umzusetzen und seiner beratenden Funktion nachzukommen.

Somit ist keine Bestellung eines Monitors als aktienrechtlicher Sonderprüfer gemäß § 142 Abs. 1 S. 1 AktG möglich.

(5) Sonderbeauftragter, § 45c Abs. 1 KWG

Möglicherweise lassen sich aus den Ermittlungsrechten der für die Kreditwirtschaft zuständigen Aufsichtsbehörden Erkenntnisse hinsichtlich der Bestellung eines Monitors gewinnen.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kann gemäß § 45c Abs. 1 S. 1 KWG einen Sonderbeauftragten bestellen, diesen mit der Wahrnehmung von Aufgaben bei einem Institut betrauen und ihm die hierfür erforderlichen Befugnisse übertragen. Dies stellt für die BaFin ein eigenständiges Aufsichtsinstrument mit überwiegend präventivem Charakter dar.196 Durch die Bestellung des Sonderbeauftragten besteht für die BaFin eine flexible und direkt wirkende Möglichkeit zur Bestellung geeigneter Leitungs- und Aufsichtspersonen, wodurch die BaFin sicherstellen kann, dass Organfunktionen wahrgenommen werden.197 Der Sonderbeauftragte muss nicht immer die Aufgaben und Befugnisse eines Organs oder Organmitglieds insgesamt übernehmen, sondern kann auch für punktuelle Aufgaben, wie etwa die Verbesserung der mangelhaften Geschäftsorganisation in einem bestimmten Geschäftsbereich, eingesetzt werden.198

§ 45c Abs. 1 S. 1 KWG ist eine eigenständige allgemeine Ermächtigung zur Bestellung eines Sonderbeauftragten, ohne gleichzeitig die konkreten Voraussetzungen festzulegen. Anhand einiger Regelbeispiele199 wird in § 45c Abs. 2 KWG aufgezeigt, welche Aufgaben die BaFin dem Sonderbeauftragten übertragen kann.200 Die Vorschrift statuiert eine nicht abschließende („insbesondere“) Auflistung typischer Anwendungsfälle für die Einsetzung und das Tätigwerden des Sonderbeauftragten. Die ersten Bestellungsfälle (§ 45c Abs. 2 Nr. 1 bis 4 KWG) enthalten die Übertragung von Organfunktionen und die zweite Fallgruppe (§ 45c Abs. 2 Nr. 5 bis 10 KWG) die Übertragung von Aufgaben, die nicht im Kontext von Organfunktionen durchgeführt werden müssen.201

Diese Eingriffsbefugnis der BaFin ohne gleichzeitige Festlegung genauer Voraussetzungen ist rechtsstaatlich bedenklich, da durch die Bestellung eines Sonderbeauftragten in die Grundrechte der Berufsfreiheit bzw. des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (Art. 12 und 14 GG) eingegriffen werden kann.202

Die Tätigkeit des durch die BaFin bestellten Sonderbeauftragten (§ 40 Kapitalanlagegesetzbuch; § 307 Versicherungsaufsichtsgesetz) ist – anders als die Monitortätigkeit – limitiert auf die Übertragung bzw. Übernahme der Aufgaben eines Unternehmensorgans. Vor dem Hintergrund der sehr weit definierten Ermächtigung in § 45c Abs. 1 KWG ist mehr als fraglich, ob die mögliche Einsetzung eines Monitors als Sonderbeauftragten die Anforderungen des sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ableitenden Bestimmtheitsgebots erfüllt. Überdies gilt es zu berücksichtigen, dass die Bestellung eines Sonderbeauftragten gemäß § 45c Abs. 1 KWG nur bei Instituten gemäß § 1 Abs. 1b KWG oder bei Finanzholding-Gesellschaften (§ 45c Abs. 8 KWG) erfolgen kann.203

Folglich haben der Sonderbeauftragte und der Monitor unterschiedliche Anlässe und Auftraggeber sowie inhaltlich abweichende Mandate. Daher kann ein Monitor nicht als Sonderbeauftragter gemäß § 45c Abs. 1 KWG eingesetzt werden.

(6) Vorläufiger Verwalter, § 38 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)

Fraglich ist, ob der Monitor als vorläufiger Verwalter gemäß § 38 SAG fungieren könnte.

Der vorläufige Verwalter nach § 38 SAG ist ein von der Aufsichtsbehörde (BaFin oder Europäische Zentralbank) eingesetztes Instrument der Frühintervention. Die Einsetzung des vorläufigen Verwalters ähnelt der Bestellung des Sonderbeauftragten nach § 45c Abs. 1 KWG.204 Gemäß § 38 Abs. 5 SAG bestehen die Maßnahmen nach KWG neben den Maßnahmen nach §§ 36ff. SAG und überschneiden sich auch teilweise, sodass es in der Praxis bei gleichzeitiger Bestellung eines vorläufigen Verwalters und eines Sonderbeauftragten einer guten Abstimmung beider bedarf.205

Der vorläufige Verwalter gemäß § 38 SAG kann von der Aufsichtsbehörde für CRR-Kreditinstitute206 und CRR-Wertpapierfirmen207 bestellt werden, wenn die Maßnahme nach 37 SAG (Abberufung der Geschäftsleitung) nicht ausreichend ist, um die signifikant verschlechterte wirtschaftliche Situation des Instituts zu verbessern.208 Der vorläufige Verwalter ersetzt dann vorübergehend die Geschäftsleitung des Instituts oder arbeitet mit dieser zusammen. Die Aufsichtsbehörde (BaFin oder EZB) legt gemäß § 38 Abs. 1 S. 2 SAG die Aufgaben und Befugnisse des vorläufigen Verwalters fest. Hierdurch soll ausweislich der Gesetzesbegründung209 gewährleistet werden, dass die für die wirtschaftlichen Probleme des Instituts relevanten Bereiche konkret definiert und bearbeitet werden. Gleichzeitig begrenzt § 38 Abs. 1 Satz 2 SAG die Rechte des vorläufigen Verwalters insoweit, als der vorläufige Verwalter eine Versammlung der Anteilseigner nur mit vorheriger Zustimmung der Aufsichtsbehörde einberufen kann.

Gemäß § 38 Abs. 2 SAG ist auch die Bestellung mehrerer vorläufiger Verwalter für ein Institut möglich. Nach § 38 Abs. 3 SAG hat der vorläufige Verwalter der Aufsichtsbehörde in festgelegten Abständen über seine Tätigkeit zu berichten, da bei Maßnahmen der Frühintervention sichergestellt sein muss, dass die Aufsichtsbehörde kontinuierlich über den Zustand und die denkbare Entwicklung der wirtschaftlichen Lage informiert ist, um im Notfall weiterreichende Maßnahmen zu treffen, um die wirtschaftliche Situation des Instituts zu verbessern.210

Gemäß § 38 Abs. 4 S. 1 SAG wird der vorläufige Verwalter für einen Zeitraum von maximal einem Jahr bestellt, wobei dieser Zeitraum nach § 38 Abs. 4 S. 2 SAG verlängert werden kann, wenn die Voraussetzungen für die Bestellung eines vorläufigen Verwalters fortbestehen. Nach § 38 Abs. 4 S. 3 SAG kann die Aufsichtsbehörde den vorläufigen Verwalter jederzeit wieder abberufen. Ansonsten endet die Bestellung des vorläufigen Verwalters durch die Bestellung eines Sonderverwalters im Sinne des § 87 SAG.211

Da der vorläufige Verwalter nach § 38 SAG nur für CRR-Institute bestellt werden kann, sind die Einsatzmöglichkeiten eines Compliance-Monitors als vorläufigen Verwalters von vornherein begrenzt. Ohnehin wäre die Einsetzung grundsätzlich gemäß § 38 Abs. 4 S. 1 SAG nur für den Zeitraum von einem Jahr möglich, sofern nicht der Ausnahmefall des § 38 Abs. 4 S. 2 SAG vorliegt. Da die Voraussetzungen für die Bestellung eines vorläufigen Verwalters teilweise deckungsgleich mit den Zwecken des Sonderbeauftragten sind, gelten die unter Gliederungspunkt B.I.2.c)(5) angestellten Erwägungen zum Einsatz eines Monitors als Sonderbeauftragten nach § 45c KWG hier entsprechend. Die Gefahr der möglicherweise rechtswidrigen Bestellung eines Compliance-Monitors als vorläufigen Verwalters nach § 38 Abs. 1 SAG werden weder die BaFin oder EZB noch der Monitor selbst riskieren wollen.

(7) Ergebnis

Die geprüften Rechtsinstitute umfassen im Vergleich zum US-Monitor inhaltlich abweichende Mandate. Neben dem Auftraggeber ist insbesondere der Grund der Beauftragung ein anderer. Mangels Vergleichbarkeit steht daher im deutschen Recht de lege lata kein Instrument zur Verfügung, das für die Einsetzung eines Monitors in Unternehmen nutzbar gemacht werden könnte. Allerdings kann im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Bestellung eines Monitors als Compliance-Bemühung Berücksichtigung finden.

3. USA

In diesem Abschnitt soll nach Einführung zum amerikanischen Strafrechtssystem und nach ausführlicher Untersuchung des FCPA zunächst eine Übersicht über die Ursprünge, Hintergründe und Entwicklung des heutigen Corporate Monitorships gegeben werden. Anschließend folgt darauf aufbauend eine Einbettung in das US-Straf- und Zivilrecht im Hinblick auf die Rechtsgrundlagen für die Einsetzung eines Monitors.

a) Einführung zum amerikanischen Strafrechtssystem

Das US-amerikanische Strafrecht steht in der Tradition des britischen Common Laws. Dieses bestand in seiner klassischen Gestalt aus Überlieferungen, Traditionen und gewohnheitsrechtlichen Anschauungen, war überwiegend nicht kodifiziert und beruhte auf Präzedenzfällen.212 Allerdings hat im Laufe der Zeit im US-Rechtsraum ebenfalls die Wichtigkeit kodifizierten Rechts zugenommen; speziell auf Bundesebene kommt eine Strafbarkeit nur in Frage, wenn das betreffende Verhalten durch ein Gesetz unter Strafe gestellt worden ist.213

Insgesamt setzt sich das US-amerikanische Strafrecht aus einer Vielzahl von Vorschriften zusammen, die normativ sowohl im Bundesrecht als auch im Recht der 50 Einzelstaaten verortet sind.214 Materielle Vorschriften auf Bundesebene sind vornehmlich im Bundesstrafgesetzbuch, Titel 18 des United States Code (U. S. C.), verortet, das neben einer Auflistung von Straftatbeständen auch strafprozessuale Regelungen enthält.215

Neben der Legislative der verschiedenen Staaten und des Bundes erstellt auch die Exekutive Normen in Form von Regeln und Verordnungen („rules and regulations“), deren Verletzung durch Blankettgesetze sanktioniert wird.216 Schätzungsweise enthält das US-Bundesrecht ca. 1700 Straftatbestände und über 10.000 behördliche Verordnungen.217

Das US-Strafrecht unterteilt Tatbestände in verschiedene Kategorien: Neben der Unterscheidung zwischen Verbrechen („felony“) und Vergehen („misdemeanor“) erfolgt eine weitere Unterteilung in verschiedene Klassen oder Grade („degrees“).218 Im Kernstrafrecht, d.h. in den Strafgesetzbüchern der Bundesstaaten und des Bundes, ist der Großteil der Verbrechen enthalten; bei den Straftaten des Nebenstrafrechts handelt es sich meist um Vergehen und Übertretungen („violations and infractions“).219

Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die amerikanische Judikative – als herkömmlicher „Hauptproduzent“ strafrechtlicher Vorschriften – für die Definition neuer Straftatbestände zuständig. Die Erschaffung des Model Penal Codes (MPC) als systematisches Strafgesetzbuch sowie erweiterte Reformen des amerikanischen Strafrechts verdrängten allerdings die Macht der Judikative als Strafgesetzgeber.220 Der MPC ist im Zeitraum von 1952 bis 1962 vom American Law Institute (ALI)221 ausgearbeitet worden und löste in den 1960er und 1970er Jahren eine Welle staatlicher Gesetzesreformen aus, die allesamt durch den MPC beeinflusst wurden.222 Infolgedessen führten viele Bundesstaaten auf Grundlage des MPC eigene Strafgesetzbücher, wie z.B. das New York Penal Law, ein.223 Neben New York gehörten zu diesen Staaten beispielsweise auch Texas, Illinois, Pennsylvania oder New Jersey.224

Als das Projekt Model Penal Code 1951 ins Leben gerufen wurde, befand sich die große Mehrheit der amerikanischen Strafgesetzbücher in einem desolaten Zustand: Ein typisches amerikanisches Strafgesetzbuch zu dieser Zeit war weniger ein Gesetzbuch als vielmehr eine Sammlung von Ad-hoc-Gesetzeserlassen, wobei jeder Erlass durch ein Verbrechen oder ein Kriminalitätsproblem ausgelöst wurde, das eine Zeit lang das öffentliche Interesse erregte.225 Die Verfasser des Model Panel Codes haben viel unternommen, um Straftatbestände und Begriffe, die sie bei der Definition von Straftaten verwendeten, vollständig zu definieren; das Gesetz lehnt Common-Law-Straftaten ausdrücklich ab und verbietet die richterliche Schaffung von Straftatbeständen. Darüber hinaus enthält der Allgemeine Teil des MPC Definitionen allgemein gebräuchlicher Begriffe, die im gesamten Gesetzbuch die gleiche Bedeutung haben.226

Nach dem Vorbild des MPC hat eine Vielzahl der Bundesstaaten das Common Law im Bereich des Strafrechts abgeschafft und im jeweiligen Strafgesetzbuch ein Legalitätsprinzip („principle of legality“; „nulla poena sine lege“) verankert.227

Mehrere Versuche, das Bundesstrafrecht unter Berücksichtigung des MPC zu reformieren, schlugen zu Beginn der 80er Jahre fehl.228 Demgemäß ist das Legalitätsprinzip auf Bundesebene nicht verankert. Allerdings hat der United States Supreme Court im Fall United States v. Hudson, 11 U. S. 32 (1812) entschieden, dass Bundesgerichte keine Common-Law-Straftaten bestimmen dürfen. Hintergrund der Entscheidung waren föderalistische Überlegungen: Die Übertragung der Strafmacht auf die Bundesgerichte hätte den Versuch der Bundesstaaten beeinträchtigen können, die Strafmacht des Bundesgesetzgebers einzugrenzen.229 Somit ist das US-Bundesstrafrecht ausnahmslos in gesetzten Normen enthalten, ohne dass ein Bundes-Common-Law existent ist.230

b) Unternehmensstrafrecht in den USA

Basierend auf den Prinzipien des englischen Common Laws konnten juristische Personen nach den Vorschriften des US-Rechts nicht handeln, keinen eigenen Willen bilden und folglich mangels Schuldfähigkeit strafrechtlich für die Handlungen ihrer Angestellten nicht belangt werden. US-Gerichte folgten bei der Frage der Haftung von Unternehmen bis Mitte des 19. Jahrhunderts grundsätzlich der früheren Praxis der englischen Gerichte.231

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand die strafrechtliche Unternehmensverantwortlichkeit in den USA als Reaktion auf die industrielle Revolution und die stark zunehmende Bedeutung von Unternehmen: Der Kongress implementierte die Unternehmensstrafbarkeit in das Bundesstrafrecht, um so auf die ökonomische Macht von Wirtschaftsunternehmen und auf neuartige Gefährdungen der Volksgesundheit sowie der allgemeinen Sicherheit zu reagieren.232

Im Jahr 1909 bestätigte der US Supreme Court im „leading case“ New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. United States die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, die bereits zuvor von einzelnen Gerichten auf Bundesstaatenebene anerkannt worden war. Allerdings beschränkten die Gerichte die strafrechtliche Haftung von Unternehmen zunächst auf „strict liability“-Delikte, d.h. auf Fälle der verschuldensunabhängigen Haftung.233

Das Gericht verwies in obiger New-York-Central-Entscheidung zunächst auf die Kommentare von William Blackstone, in denen es in Kapitel 18, § 12 hieß, dass eine Körperschaft in ihrer Eigenschaft als Körperschaft keine Verbrechen begehen könne. Im Anschluss folgten die Richter jedoch der Ansicht in § 417 des Handbuchs von Joel Prentiss Bishop: Danach resultiere aus dem Umstand, dass eine Körperschaft durch ihre leitenden Angestellten und Repräsentanten („agents“) handele, dass ihre Zwecke, Motive und Absichten ebenso solche der Körperschaft seien, wie Handlungen, die vorgenommen werden. Unternehmen seien daher in der Lage, einen kriminellen Vorsatz zu bilden, und könnten für bestimmte Straftatbestände, die explizit ein Verschulden voraussetzen, strafrechtlich haftbar gemacht werden. Auch aus rechtspolitischer Sicht gebe es keinen Grund, dass die Körperschaft zwar von ihren Geschäftshandlungen profitiere, allerdings hinsichtlich der Folgen ihres Handelns strafrechtliche Immunität genieße.

Der US Supreme Court legte in seiner Entscheidung auch die Voraussetzungen einer Unternehmensstrafbarkeit unter Zuhilfenahme des deliktsrechtlichen „Respondeat Superior“-Grundsatzes fest: Der Repräsentant muss die Handlung im Rahmen seiner Beschäftigung vornehmen und zudem ganz oder zumindest teilweise zugunsten des Unternehmens handeln.234 Hierfür genügt, dass der Mitarbeiter für das Unternehmen tätig wird und hierbei von Befugnissen Gebrauch macht, die ihm das Unternehmen zur Verfügung gestellt hat.235 Das Modell basiert also auf dem Gedanken der Übertragung der Verantwortung für verbandsbezogene Verstöße von der Einzelperson, die für das Unternehmen tätig wird, auf dieses selbst; dabei bleibt allerdings die individuelle Strafbarkeit der Einzelperson unberührt.236

Das Urteil ist Teil einer Reihe von Judikaten, durch welche der Oberste Gerichtshof im Anschluss an den amerikanischen Bürgerkrieg auf starke ökonomische und soziale Veränderungen antwortete.237 Die rechtspolitische Wichtigkeit der Unternehmensstrafbarkeit rückte in den Mittelpunkt und unter Abkehr von juristischem Formalismus sollten Privatrecht und Strafrecht so weiterentwickelt werden, dass sie den Erfordernissen der Moderne entsprachen.238 Gesetzgeber und Gerichte nutzten fortan Strafrecht in utilitaristischer und pragmatischer Weise. Exemplarisch hierfür war die obige Entscheidung des Supreme Court, der die Unternehmensstrafbarkeit und die zivilrechtliche Haftung juristischer Personen auf die gleiche Grundlage stellte und keine eigene Prüfung strafrechtlicher Schuld vornahm.239

Die vom Gericht in der Entscheidung New York Central entwickelte Doktrin der strafrechtlichen Haftung von Unternehmen und die „Respondeat Superior“-Lehre dient Gerichten bis heute als Orientierung, obgleich sie im Laufe der Jahre von einzelnen Gerichten stetig fortentwickelt und präzisiert worden ist.240 De lege lata werden Unternehmen nach dem – aus dem Deliktsrecht stammenden – Prinzip der „vicarious criminal liability“ die Durchführung einer gesetzlich verbotenen Handlung („actus reus“) und der auf die Tat gerichtete Wille einer Person („mens rea“), die im Namen der Körperschaft handelt, zugerechnet.241 Wenn also ein Angestellter oder Vertreter des Unternehmens im Rahmen des Arbeitsverhältnisses durch ein Handeln oder Unterlassen eine Straftat begeht, und zumindest teilweise zum Vorteil des Unternehmens handelt, ist das Unternehmen strafrechtlich haftbar.242 Beide zuvor genannten Strafbarkeitsvoraussetzungen werden von den Gerichten weit ausgelegt: Demzufolge kann vor US-Bundesgerichten bereits die Handlung eines Angestellten auf niedriger Ebene dem Unternehmen zugerechnet werden und das Unternehmen haften, unabhängig davon, wie wirksam und effektiv das Compliance-Programm des Unternehmens zur Verhinderung strafbaren Verhaltens sein mag.243 US-Gerichte erklären Unternehmen ferner auch dann für strafrechtlich haftbar, wenn das in Rede stehende Gesetz keine Aussage darüber trifft, ob ein Unternehmen für die Handlungen seiner Mitarbeiter haftet. Denn der Begriff „person“ wird derart weit verstanden, dass sämtliche juristischen Personen, wie z.B. Kapitalgesellschaften, Vereine oder Aktiengesellschaften umfasst sind.244

Obgleich Gerichte nach wie vor dem zentralen Präzedenzfall New York Central folgen, ist es nie zu einer einheitlichen Kodifizierung der Unternehmensstrafbarkeit gekommen. Allerdings wurden im Jahr 1961 Strafzumessungsrichtlinien namens US Federal Sentencing Guidelines (USSG)245 erlassen und diese 1991 um das Kapitel „Sentencing of Organizations“ ergänzt. Die US-Strafzumessungsrichtlinien246 bieten eine sehr detaillierte und vorhersehbare Struktur für die Berechnung der Strafen bei Verstößen gegen Bundesstrafgesetze und sollen so eine einheitliche Rechtsprechung gewährleisten. Ausweislich der Einführung zum 8. Kapitel der USSG können Unternehmen nur durch ihre „agents“ handeln und sind daher nach Bundesstrafrecht stellvertretend für die von ihren „agents“ begangenen Straftaten haftbar. Das Kapitel ist so konzipiert, dass Sanktionen, die gegen Unternehmen und ihre „agents“ verhängt werden, eine gerechte Bestrafung und angemessene Abschreckung darstellen und für Unternehmen Anreize bieten, interne Mechanismen zur Verhinderung, Aufdeckung und Meldung kriminellen Verhaltens aufrechtzuerhalten.

Die weitreichenden möglichen Strafbarkeiten zwingen Unternehmen, mit den Behörden zu kooperieren, in Vergleiche einzuwilligen, sich gegebenenfalls selbst zu belasten und Prozessrechte aufzugeben.247 Dies stellt für viele Kritiker einen Grund dar, auf dieser Basis eine Änderung der Unternehmensstrafbarkeit in den USA in materieller und prozessualer Hinsicht zu fordern.