Loe raamatut: «Sky-Navy 08 - Der Wrack-Planet»
Michael Schenk
Sky-Navy 08 - Der Wrack-Planet
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1 Der Sucher des Wissens
Kapitel 2 Das Trump-Prinzip
Kapitel 3 Notlandung
Kapitel 4 In geheimer Mission
Kapitel 5 Die Überlebenden
Kapitel 6 Planungen
Kapitel 7 Eine grausame Entdeckung
Kapitel 8 Auf der Spur des Greens
Kapitel 9 Verschanzung
Kapitel 10 Absturz
Kapitel 11 Der Wrack-Planet
Kapitel 12 Plünderer
Kapitel 13 Auf Spähtrupp
Kapitel 14 Unerwartete Begegnung
Kapitel 15 Konsequenzen
Kapitel 16 Freund oder Feind?
Kapitel 17 Keine Alternative
Kapitel 18 Befehl zur Vernichtung
Kapitel 19 Die Anderen
Kapitel 20 Massaker in der Nacht
Kapitel 21 Keine Gnade
Kapitel 22 Unerwartete Wendung
Kapitel 23 Feinde
Kapitel 24 Kontaktaufnahme
Kapitel 25 Der Angriff
Kapitel 26 Abwägungen
Kapitel 27 Auf der Flucht
Kapitel 28 Die Verfolger
Kapitel 29 Die Beobachter
Kapitel 30 Niemand in Sicht
Kapitel 31 Unerwartet
Kapitel 32 SC7E-13
Kapitel 33 Rettungsmission
Kapitel 34 Die Tarnung fällt
Kapitel 35 Unerwartete Hilfe
Kapitel 36 Schnelle Entscheidung
Kapitel 37 Schleichfahrt
Kapitel 38 Entkommen
Kapitel 39 Unsicherheiten
Kapitel 40 Ankündigung
Kapitel 41 www.sky-navy.de
Impressum neobooks
Kapitel 1 Der Sucher des Wissens
Sky-Navy 08
Der Wrack-Planet
Military Science Fiction
von
Michael H. Schenk
© M. Schenk 2018
Kandahaar, leichtes Zweischiff der Norsun
Hen-Talar 367 war Hoch-Wort eines Zweischiffes der Norsun. Es war nur ein kleines Schiff der 200-Meter-Klasse, aber es war sein Schiff, dem er als Kommandant vorstand. Hen-Talar wusste, dass dies keine Selbstverständlichkeit war, denn er gehörte zu den Suchern des Wissens. Im Volk schätzte man die Wissenden durchaus, vor allem, wenn ihre Kenntnisse der Raumfahrt und der Waffentechnologie galten. Hen-Talar interessierte sich jedoch für das Wesen anderer Intelligenzen und für das Leben an sich. Man hätte bereitwillig geduldet, wenn er nach Wegen geforscht hätte, wie man neue Völker in den Bund der Stämme zwang, aber sein Streben galt fremden und unverfälschten Kulturen. Das Hen-Talar 367 zum Hoch-Wort eines eigenen Schiffes ernannt worden war, verdankte er der Erkenntnis der großen Mutter und der Mütter, dass die Erforschung fremder Völker vielleicht einen Weg eröffnete, diese in den Bund der Stämme einzuverleiben.
Natürlich war das junge Hoch-Wort davon überzeugt, dass die Vollkommenheit der Schöpfung durch die Norsun verkörpert wurde. Nichts kam ihnen gleich.
Die Norsun waren humanoid und ähnelten auf große Entfernung in Körperbau und Größe einer menschlichen Gestalt. Zwischen Oberkörper und Unterleib befand sich eine deutliche Verengung und die Gliedmaßen waren länger, als die eines Menschen. Der Kopf war elliptisch und wurde von zwei großen Facettenaugen beherrscht, in deren Mitte sich zwei senkrechte Schlitzpupillen befanden. An Stelle der Nase gab es einen kurzen Rüssel, welcher der Nahrungsaufnahme diente. Der darunter befindliche Mund war ein schmaler senkrechter Schlitz und diente der Atmung und der akustischen Kommunikation. Auf dem Kopf ragten zwei kurze Fühler auf, die in der Lage waren, Duftmoleküle wahrzunehmen. Diese Fähigkeit ließ jedoch zunehmend nach. Inzwischen dienten die Bewegungen der Fühler eher dem Ausdruck der Stimmungslage ihres Besitzers. Auch die Bedeutung des unterarmlangen Stachels am hinteren Ende des Unterleibs hatte sich gewandelt. Seine Funktion als Waffe war im Verlauf der Generationen verkümmert. Nun diente er dazu, körpereigene Duftstoffe zu produzieren, sie abzusondern und fremde Gerüche zu analysieren. Diese Eigenschaften wurden von den Norsun bei der Steuerung ihrer Technik genutzt. Der gesamte Leib war von einer smaragdgrünen Haut bedeckt, die einen samtenen Schimmer und, an einigen Stellen, noch Anzeichen des einstigen Chitinpanzers zeigte. Die schlanken Hände waren mit zwei Daumen und vier Fingern versehen und befähigten die Norsun zur Handhabung feinster Werkzeuge.
Die Kandahaar war ein Beispiel für die hoch entwickelte Raumfahrt der Norsun. Als sogenanntes Zweischiff war sie eine Hantel aus zwei vollendeten Kugeln, die durch ein schlankeres Mittelteil miteinander verbunden waren. Die Kugeln durchmaßen jeweils 200 Meter, der Mittelteil wies die gleiche Länge auf, jedoch nur einen Durchmesser von achtzig Metern. Bug und Heck verfügten über eine identische Ausstattung, mit Zentrale, Quartieren, Depots, Maschinen, Antrieben und Bewaffnung, so dass sie im Notfall auch abgekoppelt werden konnten, um dann unabhängig zu operieren. Der Mittelteil beinhaltete hauptsächlich die Verbindungsgänge, Lagerräume und den Hangar der Beiboote, der bei den Norsun als Nest der Kleinschiffe bezeichnet wurde.
Die Hülle des Schiffes bestand aus einem grünen Panzer, dessen Material in der Lage war, die Strahlung und Thermik feindlicher Waffen fast vollständig zu neutralisieren. Gegen feste Projektile war dieser Schutz jedoch empfindlich. Hier nutzten sie die größte Errungenschaft der Wissenden als Schutz und zugleich Waffe: Die formbare goldene Energie.
Die goldene Energie, jene Entdeckung, welche den Norsun bisher immer den Sieg gebracht hatte. Die Wissenschaftler bezeichneten sie als formbare Energie und genau dies war sie auch. Die goldfarbenen Moleküle konnten eine schimmernde Wand bilden, die das Schiff schützte, Energiestrahlen förmlich aufsog und gegnerische Projektile einfach auflöste. Man konnte die Energie zu einem gleißenden Finger oder Tentakel formen, der achtzigtausend Kilometer in den Raum hinaus reichte und den Feind aufspießte. Neuerdings war es sogar gelungen, aus ihr Kugeln zu formen, die als endlos erscheinender Strom den Projektor verließen und die sich in jedes Objekt hinein brannten. Leider verzehrten sich die Kugeln auf ihrem Weg selbst, so dass diese Waffe nur über eine begrenzte Reichweite verfügte, auch wenn sie die aller anderen übertraf.
Die Kandahaar war eines von Tausenden von Schiffen, mit denen die Norsun zwischen den Sternen reisten. Sie alle gehörten zur Kriegsflotte, denn die von Insekten abstammenden Norsun vermehrten sich rasend und waren zur Expansion gezwungen. Zwei andere Völker hatten sie in blutigen Kriegen vernichtet, dann waren sie ihrem ärgsten Feind begegnet, den Negaruyen.
Obwohl es den Norsun gelungen war, die Heimatwelt dieser Humanoiden in eine Wüste zu verwandeln, blieb eine Kolonie dieser Wesen verschont. Diese verborgene Welt lieferte dem Volk von Hen-Talar einen schonungslosen Kampf, der nun schon Jahrhunderte währte und keine Entscheidung gebracht hatte.
Auch dies war ein Grund, warum man das junge Hoch-Wort mit einem eigenen Schiff betraute. Die Norsun waren auf der Suche nach dieser verborgenen Welt, um den Feind endlich endgültig vernichten zu können.
Diese Suche führte die Norsun schließlich in das Gebiet eines weiteren Volkes, welches sich als Menschen bezeichnete. Ihre Ähnlichkeit mit den Negaruyen war frappierend, wenn man davon absah, dass die Negaruyen zwei flache senkrechte Nasenschlitze besaßen, während die Nase der Menschen sehr ausgeprägt war. Die große Mutter und die Mütter der Norsun hielten das neue Volk für eine Mutation des alten Feindes und ließen eine ihrer Welten angreifen. Die Bilanz war verheerend, denn trotz aller Zerstörungen, welche die Hantelschiffe und ihre Invasionstruppen anrichteten, erlitt die Flotte schwere Verluste.
Jetzt mehrten sich die Zweifel, ob man nicht vorschnell einen zweiten Krieg begonnen hatte, der nichts mit dem Kampf gegen den alten Feind zu tun hatte. Ein Zwei-Fronten-Krieg konnte die Stämme jedoch existenziell bedrohen.
Ein Sucher des Wissens, wie Hen-Talar 367, war genau das, was man nun benötigte, um herauszufinden, ob die Menschen ein eigenständiges Volk waren. Inzwischen führte die Kandahaar die dreiundzwanzigste Schwingung aus, überwand gewaltige Entfernungen ohne Zeitverlust, und tastete den umgebenden Raum mit ihren hochempfindlichen Scannern und Sensoren ab.
„Ausführende Hand der Seher an das Hoch-Wort: Austrittspunkt der Schwingung wird mit der Sternenkarte verglichen und gerade bestätigt. Die Schwingung wurde korrekt vollzogen.“
„Gibt es Anzeichen für künstlich erschaffene Objekte oder besiedelte Orte?“
„Nein, Herr. Unsere Augen zeigen nichts dergleichen an. Allerdings können sich Objekte im Ortungsschatten der erkannten Monde und Planeten aufhalten.“
„Ausführende Hand der Stecher, halte unsere Stachel bereit.“
Der Waffenoffizier der Zentrale bestätigte. „Meine Hand folgt deinem Willen, Hoch-Wort. Ich empfehle die Aussendung zweier Fernaugen.“
Hen-Talar knickte zustimmend die Kopffühler nach vorne. „Ich halte dies für überlegt und angemessen. Ausführende Hand des Schiffe, ich spreche das Wort: Sende zwei Fernaugen aus. Das übliche Suchmuster.“
„Meine Hand folgt deinem Willen“, kam es vom Piloten. Er betätigte einige der kleinen Kristallstäbe vor sich. Sie steuerten Vorgänge des Schiffes, je nachdem, wie tief sie in die Bettung der Konsole hinein gedrückt oder heraus gezogen wurden. Unter der Zentrale der Bugkugel öffneten sich zwei Irisblenden und zwei Objekte verließen den Rumpf, die äußerlich acht kleinen Kugeln entsprachen, die man auf eine Kette gezogen hatte. „Fernaugen sind abgeflogen und beginnen mit dem Sehen.“
Die Zentralen der Kandahaar waren relativ klein. Sie boten genug Raum für die fünf Arbeitsplätze der Brückenbesatzung und den des Kommandanten. Alle Sitzgelegenheiten besaßen hier die Form einer Stange, auf der sich die Norsun niederließen. Unter den Konstruktionen ragten Trichter aus dem Boden. In diese führte man die Schwanzstachel ein, was den entsprechenden Norsun abverlangte, die luftdichten Schutzhüllen ihrer Raumanzüge geöffnet zu halten. Im Falle eines Hüllenbruchs und explosiven Druckverlustes ein lebensbedrohendes Risiko, doch zwischen der Bionik der Schiffssteuerung und den Norsun wurden viele Informationen über Pheromone ausgetauscht.
Hen-Talar erhob sich und trat an die große Panoramascheibe der Zentrale. Es gab eine ganze Reihe von Sichtluken und sogar „gläserne“ Gänge entlang des Mittelteils, die jedoch von Außen nicht erkennbar waren. Sie fügten sich vollendet in das Bild des glatten und fugenlosen Rumpfes ein.
Das Hoch-Wort legte seine Hände auf dem Rücken zusammen und wippte leicht auf den Füßen. Eine menschlich wirkende Geste, die sogar die gleiche Bedeutung besaß: Der Kommandant der Kandahaar war unruhig und tief in Gedanken versunken.
Der kleine Kreuzer war nun schon tief in den äußeren Spiralarm der Galaxis eingedrungen, in dem jene Welt der sogenannten Menschen lag, die man vor einigen Zyklen angriff. Die Norsun wussten, dass sich die Menschen erst über einen kleinen Bereich der Sternenwelt ausgebreitet hatten. Hen-Talar rechnete längst damit, Schiffsbewegungen der Langnasen zu orten. Tatsächlich waren zwei Objekte angemessen worden, doch beide befanden sich am Rand des Erfassungsbereiches der bionischen Sinne des Schiffes. Beide Objekte waren verschwunden, bevor man nähere Daten hatte sammeln können. Immerhin, es war ein Zeichen dafür, dass man sich dem besiedelten Bereich der Menschenwesen näherte. Vorsicht war also angemessen, denn ihre Kriegsschiffe erwiesen sich als ernstzunehmende Gegner.
Bisher hatte die Suche von Hen-Talar bereits einige interessante Fakten geliefert. Zwischen den Welten der Menschen gab es Kommunikation mit Wellen, die denen der Schwingung ähnelten, und die Menschen besaßen nicht nur Kriegsschiffe, sondern auch solche, die nur dem Transport von Waren oder ihresgleichen dienten. Letzteres war im Reich der Norsun unvorstellbar. Kein Schiff hätte sich dort unbewaffnet in den Weltraum hinaus gewagt, aus Furcht, den Negaruyen zu begegnen.
Hen-Talar blickte in den Weltraum hinaus. Er liebte den Anblick der Sterne und den fremder Welten. Es gab so vieles zu entdecken und er fand es bedauerlich, dass all dies, auf Geheiß der großen Mutter und der Mütter, unter militärischen Gesichtspunkten erfolgte. Sicher, sein Volk befand sich im Überlebenskampf, doch Hen-Talar war zu dem Schluss gekommen, dass die Kriege der Vergangenheit der hohen Vermehrungsrate der Norsun geschuldet waren. Im Augenblick war die starke Vermehrung ein Segen, um die Verluste auszugleichen, doch in Friedenszeiten war sie ein Fluch, denn das Volk musste sich immer weiter ausbreiten. Ein weiterer Fluch war wohl, dass Norsun, Negaruyen und Menschen die gleichen Umweltbedingungen benötigten.
„Ausführende Hand der Seher an das Hoch-Wort: Eines der Fernaugen empfängt das Signal einer Austritts-Schwingung. Ein Schiff tritt in das System ein.“
„Was für ein Schiff?“, fragte Hen-Talar interessiert.
„Die Länge der Schwingung lässt sich nicht genau bestimmen“, antwortete der Ortungsspezialist zögernd. „Ich vermute jedoch ein Schiff der Flachschlitz-Nasen.“
„Negaruyen“, seufzte Hen-Talar. Das Wort glich einem Fluch.
Seine Kandahaar gehörte zu den neuesten Bauten der Flotte, aber sie war nur ein Kreuzer der 200-Meter-Klasse. Gegen ein kleines Schiff des Feindes mochte sie bestehen, aber wenn es ein starkes Kampfschiff war oder gleich mehrere Feinde aus der Schwingung traten…
„Ausführende Hand der Maschine, wann können wir in die Schwingung wechseln?“
Der Ingenieur an der Maschinenkontrolle nannte die Zahl. Nein, die Kandahaar konnte nicht fliehen, noch bevor die Unbekannten aus der Schwingung erschienen.
„Ausführende Hand des Schiffes, bringe uns möglichst schnell und nahe an den Austrittspunkt heran. Ausführende Hand der Stecher, bereite alle Stacheln vor. Wenn es die Negaruyen sind, dann kann uns nur ein harter und schneller Stoß retten.“
Pilot und Waffenoffizier bestätigten.
Hen-Talar tat das Einzige, was ihm zu tun blieb. Die Kandahaar beschleunigte nun mit maximalen Werten, um möglichst dicht an jenen Punkt heranzukommen, an dem der Austrittspunkt des möglichen Gegners lag. So stark die Negaruyen auch waren, ihre Rasse zeigte einen Schwachpunkt: Der Austritt aus der Schwingung machte ihre Besatzungen für kurze Zeit handlungsunfähig. Gelang es Hen-Talar, rechtzeitig und nahe genug heranzukommen, dann konnte er den Feind vielleicht vernichten, bevor dieser zur Gegenwehr kam.
Hen-Talar trat an den Funkoffizier heran. „Ausführende Hand der Sprecher, gib meine Worte an alle Hände des Schiffes: Wir bereiten uns auf ein Stechen mit dem Feind vor. Alle Luftanzüge sind nach Möglichkeit zu schließen, alle Sektoren sind zu versiegeln und die Hände der Bionik sollen die Bions aktivieren und an die Positionen zur Schadenbekämpfung senden.“ Er zögerte kurz. „Und benachrichtige Sker-Lotar. Die Hand des Wissens soll zu mir kommen.“
Da beide Kugeln der Hantel über eigene Triebwerke verfügten, war sie sehr wendig. Sie schwang um ihre Querachse und richtete den Bug zum Austrittspunkt, an dem vermutlich ein Feind erscheinen würde. Die Besatzung eilte auf ihre Manöverstationen und schloss ihre Raumanzüge, zumindest, wenn ihr Dienst dies gestattete. Mancher mochte im Angesicht der Gefahr verfluchen, dass man nur schwer auf die Information durch die Duftmoleküle verzichten konnte. Bionische Impulse mochten schneller als diese Moleküle sein, doch die unzähligen Generationen der Norsun hatten ein so komplexes System entwickelt, dass ein einzelner Duft die Information zahlreicher bionischer Daten enthielt.
„Austritt aus der Schwingung, Herr“, meldete die ausführende Hand der Seher. Der Norsun nannte hastig die erfassten Werte und fügte hinzu: „Es ist ein Schiff der Flachschlitz-Nasen, Herr, und es ist ein neues.“
„Jagdsicht!“, befahl Hen-Talar.
Eine Schaltung verwandelte die Panoramascheibe vor ihm in einen riesigen Bildschirm, der das Objekt vor dem Bug in starker Vergrößerung wiedergab.
Das typische helle Blau der Panzerung eines Negaruyen war unverkennbar. Im Gegensatz zu den glatten Hüllen der Hanteln waren in dem walzenförmigen Körper die zahlreichen Fugen zu erkennen, wo die Bauteile aneinander stießen. Während die alten Walzenschiffe einen zylinderförmigen Mittelteil mit halbkugelförmigen Enden an Bug und Heck aufgewiesen hatten, zeigte dieses Schiff der neuen Baureihe ein deutlich verändertes Design. Der zweihundertvierzig Meter lange und dreißig Meter durchmessende Rumpf wirkte schlanker. Am Bug und in der Mitte befanden sich wulstige Verdickungen, am Heck ein kantiger Kranz, der die Haupttriebwerke beinhaltete. Der bauchige Bug enthielt ein schwächeres Triebwerk, welches die Manövrierbarkeit erhöhte, die Verdickung in der Mitte barg das Kommandozentrum. Unter dem Rumpf, am Ende des vorderen Drittels, war die Kuppel sichtbar, welche die gefährlichste Waffe der Negaruyen enthielt: Den Zersetzer.
Jeder raumfahrende Norsun kannte dessen zerstörerische Wirkung. Niemand konnte bislang sagen, ob es sich dabei um Partikel, eine reine Strahlungsenergie oder sogar Sporen handelte. Man wusste nur, dass der Zersetzer, dort, wo er die Hülle eines Hantelschiffes traf, seinem Namen gerecht wurde. Je nach Intensität zerfiel der Rumpf an der getroffenen Stelle sofort zu Staub oder es breitete sich von dort eine Art Metallfraß aus, der sich rasch über das Schiff ausdehnte. In letzterem Fall gab es noch Hoffnung für die Besatzung, auch wenn sie nicht von einem anderen Schiff aufgenommen werden konnte, da man fürchtete, der Metallfraß könne sonst übertragen wurde. Man konnte jedoch die sogenannte Quarantäne-Welt anfliegen. Mit etwas Glück und genügend Zeit landete man dort, überließ das Schiff seinem Ende und wurde von speziellen Bergungseinheiten an Bord genommen. Es gab nicht wenige Schiffe, die inzwischen von diesem Schicksal ereilt worden waren.
Hen-Talar hatte nur eine Chance, die Kandahaar vor ihm zu bewahren: Den Feind vernichten, bevor dieser zurückschlug. Jene Zeit nutzen, in der er hilflos war und nur die wenigen automatischen Verteidigungssysteme seines Schiffes aktiv werden konnten.
„Ausführende Hand des Schiffes, gehe auf maximale Geschwindigkeit und gehe in Gefechtsposition! Ausführende Hand der Stecher, auf maximale Entfernung stechen! Versuche die Kuppel des Zersetzers zu treffen!“
Bevor die Negaruyen die verheerende neue Waffe entwickelt hatten, kämpften die Hantelschiffe mit dem Bug voran. So boten sie ein kleineres Ziel. Der Zersetzer zwang sie zu einer neuen Taktik: Dem Feind die Breitseite zuzuwenden. Traf der Gegner nämlich den Bug in Längsrichtung, so raste die Zerstörung unaufhaltsam durch das gesamte Schiff. Traf er hingegen nur einen Teil der Breitseite, so breitete sich die Verheerung nur langsam aus und es bestand die Hoffnung, die Besatzung mit Kleinschiffen zu retten oder das dem Untergang geweihte Schiff noch rechtzeitig auf der Quarantäne-Welt zu landen.
Der Kreuzer nutzte seine beiden Haupttriebwerke, um nun zu schwenken und raste mit der Breitseite auf das Walzenschiff zu. In seiner Hülle öffneten sich die Luken, aus denen die Dorne der Projektoren hervor glitten. Der Waffenoffizier der Kandahaar wusste, dass die goldene Energie, in Form der energetischen Wand, nicht gegen den Zersetzer schützte. Er verzichtete darauf, sie zu errichten. Stattdessen programmierte er die Projektoren darauf, aus maximaler Entfernung den Strom goldener Energiekugeln zu formen und, wenn die Kandahaar nahe genug am Feind war, mit den tödlichen Energietentakeln zuzustoßen.
Das Schott zur Zentrale öffnete sich und Sker-Lotar trat ein. Die Hand des Wissens hatte während eines Gefechtes keine feste Position, konnte sich frei bewegen und trug daher den geschlossenen Raumanzug. Man spürte seine Unsicherheit, da er nicht wusste, warum er in die Zentrale befohlen worden war. Eigentlich hatte er hier nichts zu suchen, zumal er nicht ahnte, dass das Hoch-Wort der Kandahaar in ihm einen Seelenverwandten sah. Obwohl Sker-Lotar nur ein einfacher Wissender war, sehnte auch er sich nach neuer Erkenntnis.
„An meine Seite, Sker-Lotar“, sagte Hen-Talar freundlich. „Da du eine Hand des Wissens bist, will ich deine persönliche Meinung zu dem hören, was deine Sinne nun erleben werden.“
Der junge Norsun war nervös, während er an die Seite seines Kommandanten trat. „Meine Sinne können nur unvollkommen wiedergeben, was die Sinne unserer Seher aufzeichnen werden.“
„Wie du es sagst, so werden die Sinne unserer Seher die Ereignisse aufzeichnen.“ Hen-Talar trug zwar den Helm seines Raumanzuges offen, hatte dessen Stachelfutteral hingegen geschlossen. Er bedauerte in diesem Moment, keine beruhigenden Pheromone absondern zu können. „Doch bei allen Fähigkeiten unserer bionischen Instrumente bleibt es an uns Norsun, ihre Daten richtig zu interpretieren.“
„Ausführende Hand der Stecher an das Hoch-Wort: Wir sind fast auf Stechentfernung heran, doch ich sehe Anzeichen dafür, dass die Flachschlitz-Nasen aus der Schwingungsstarre erwachen.“
Sker-Lotar versteifte sich ein wenig. Hen-Talar glaubte die Furcht des jungen Wissenschaftlers körperlich zu spüren. Auch seine eigene Anspannung stieg, denn wenn es den Negaruyen gelang, ihren Zersetzer einzusetzen…
„Ich steche“, kam es knapp und sachlich vom Waffenoffizier.
Auf der kristallinen Panoramascheibe vor Hen-Talar wurde die Sicht der Zielerfassung projiziert. Das helle Blau des Walzenschiffes stand unverrückbar im Zentrum einer Reihe von grünen Pfeilen. Grün war die Farbe des Blutes der Norsun und diente als Warnfarbe oder, wie hier, der Zielerfassung.
Goldenes Flirren verwischte das Bild, als die Projektoren der Kandahaar einen dichten Strom von goldenen Energiekugeln auf den Feind entließen. Aus dem Flimmern wurden scharfe Konturen, als sich die ballartigen Objekte mit Lichtgeschwindigkeit entfernten und auf die Walze zurasten. Kurz bevor sie auf deren Rumpf trafen, löste sich von dort ein grün schillernder Strahl von der Waffenkuppel.
„Auf Zersetzung vorbereiten!“, schrie Hen-Talar instinktiv. „Ausführende Hand des Schiffes: Fluchtmanöver!“
Der Pilot riss die Kandahaar aus dem bisherigen Kurs. Weiter beschleunigen konnte er nicht, da der Kreuzer bereits mit höchster Geschwindigkeit flog. Keiner der Norsun in der Zentrale, vom Waffenoffizier abgesehen, achtete noch auf das feindliche Schiff. Alle verfolgten den grünen Schimmer, der sich mit Überlichtgeschwindigkeit näherte, da beide Gegner noch immer aufeinander zu flogen. Für die Kursänderung waren nur wenige Augenblicke verfügbar.
Es reichte nicht, um der verheerenden Waffe zu entkommen.
Es gab keine Erschütterung. Nur das durchdringende Pfeifen des Alarms und eine Reihe blutgrüner Warnlichter, die an der Systemkontrolle aufblitzten.
Die Kandahaar wurde an der Bugkugel getroffen, ein gutes Stück abseits der Zentrale.
An der getroffenen Stelle wurde die grüne Panzerung schwarz und zerfiel zu Staub. Der Zerfall dehnte sich rasch über benachbarte Sektionen und in das Innere des Schiffes aus. Decken, Wände, Einrichtung und Maschinen lösten sich ebenso auf, wie Raumanzüge und Bekleidung der unglücklichen Norsun, die sich im Bereich des Zersetzers befanden. Die Leiber der Besatzung wurden verschont, was bei dem entstehenden Druckverlust jedoch keine Rolle spielte.
„Wir haben ihn gestochen“, berichtete der Waffenoffizier mit ruhiger Stimme.
Hen-Talar blickte wieder auf den Hauptschirm. Die Panoramascheibe zeigte eine Wolke aus Trümmern, die sich dort ausbreitete, wo vor Augenblicken noch das Walzenschiff im Raum gestanden hatte. Der Anblick brachte dem Hoch-Wort jedoch keine Genugtuung. Der Alarm und sein Verstand sagten ihm, dass das eigene Schiff schwer getroffen war.
Der junge Sker-Lotar war an die Systemkontrolle geeilt, wo er neben der ausführenden Hand der Maschine die Anzeigen verfolgte. Die grünen Lichter zeigten, welche Räume des Schiffes plötzlich ohne Druck waren, da die feindliche Waffe das schützende Metall erreichte und zerfraß.
„Es wird langsamer“, stellte Sker-Lotar fest. „Der Zersetzer verliert deutlich an Kraft, Hoch-Wort.“
„Ausführende Hand der Maschine, wird die Kandahaar überleben?“
Der Systemkontrolloffizier zögerte mit der Antwort. „Für eine Weile… Ja. Doch selbst wenn sich die Kraft des Zersetzers jetzt ganz verliert, so hat er doch Schäden angerichtet, die letztlich die Vernichtung unseres Schiffes zur Folge haben werden.“
„Ich verstehe. Lass die Schäden feststellen und die Mannschaft soll in den betroffenen Bereichen nach Überlebenden…“
„Verzeih, Herr, aber ich halte deine Worte für unüberlegt und unangemessen“, fiel ihm der junge Wissenschaftler ins Wort. „Es ist kein Schaden durch die üblichen Waffen, sondern durch den Zersetzer.“
Hen-Talar knickte zustimmend die Fühler nach vorne. „Dein Widerspruch ist überlegt und angemessen. Wenn jemand die Räume betritt, in denen der Zerrsetzer gewütet hat, so könnte sich sein Luftanzug auflösen und er wäre dem Nicht-Leben geweiht. Ausführende Hand der Maschine, die betroffenen Räume sind zu versiegeln. Ausmaß der Schäden und Verluste schnellstens feststellen. Uns bleibt nicht viel Zeit, um uns in die Sicherheit der Quarantäne-Welt zu bringen.“
Hen-Talar wandte sich dem Piloten und dem Funker zu. „Ausführende Hand des Schiffes, setze Kurs auf die Quarantäne-Welt und gehe in die Schwingung, sobald der Antrieb aufgeladen ist. Ausführende Hand der Sprecher, stelle eine Verbindung mit einer der Stammwelten her und berichte, dass wir dort abgeholt werden müssen.“
Beide Norsun bestätigten, während sich der Systemkontrolloffizier und Sker-Lotar wieder der Schadensfeststellung widmeten.
Hen-Talar überschlug, was er über die Wirkung des Zersetzers gelernt hatte. Wenn die Waffe keinen der Antriebe beschädigt hatte, dann konnte er die Kandahaar auf die Quarantäne-Welt bringen. Sie würde dort als Wrack verrotten, doch die überlebende Besatzung konnte durch ein Rettungsschiff abgeholt werden. Inzwischen wusste man, dass diese Schiffe nicht gefährdet waren, auch wenn man den Grund hierfür nicht kannte.
Die ausführende Hand der Maschine wandte sich ihm zu. „Alle Energieerzeuger und Antriebe sind intakt. Allerdings sind fünfzehn Prozent der Außenhülle und der Räume beschädigt. Die Strukturschwäche kann sich ausbreiten.“
„Deswegen werden wir auch schnellsten in die Schwingung zur Quarantäne-Welt gehen“, meinte Hen-Talar.
Woraus bestand die Waffe, beziehungsweise deren Wirkungsweise? Einige vermuteten eine Strahlung, andere eine Art energetischem Projektil, wieder andere glaubten an eine Art von Sporen, die im Weltraum überlebten und sich von anorganischem Material ernährten. Es war bislang nicht möglich, dies genauer zu analysieren.
„Ausführende Hand der Sprecher an das Hoch-Wort: Es ist mir nicht möglich, mit einer der Stammwelten in Verbindung zu treten. Alle Langstreckensprecher versagen den Dienst. Ich kann nur einen Kurzstreckensprecher aktivieren.“
„Dann wird man nicht erfahren, dass wir die Quarantänezone anfliegen“, meinte der Systemkontrolloffizier betroffen. „Man wird uns nicht vermissen und uns nicht abholen.“
„Das ist falsch“, erwiderte Hen-Talar mit fester Stimme. „Im Orbit um die Quarantäne-Welt gibt es eine Überwachungsstation. Über Kurzstrecke können wir mit ihr sprechen. Sie wird ein Rettungsschiff für uns rufen.“
„Herr, der Schwingungsantrieb ist fast aufgeladen“, meldete der Pilot.
„Dann spreche ich das Wort.“ Hen-Talar sah die Anwesenden entschlossen an. „Wir gehen in die Schwingung und retten uns.“