Die Lichtstein-Saga 3: Fineas

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Die Lichtstein-Saga 3: Fineas
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Table of Contents

Die Lichtstein-Saga 3

Teil 1: Alte Feindschaften

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Fünf Monate zuvor

TEIL 2

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Nachwort

Glossar

Impressum

Die Lichtstein-Saga 3

»Fineas«

von Nadine Erdmann


TEIL 1

Alte Feindschaften

Kapitel 1

Dicke Tropfen prasselten gegen die Buntglasfenster des Versammlungssaals im Kloster zu Burgedal. Schon den ganzen Tag über waren graue Wolkenfelder von den Bergen ins Tal herabgezogen und jetzt, am frühen Abend, hatte wie bestellt der Regen eingesetzt. Liv seufzte beim Gedanken daran, gleich da raus zu müssen.

Doch der Regen war gut.

Er war ein wichtiger Teil ihres Plans.

Sie blickte sich um. Der Versammlungssaal des Klosters war riesig und erinnerte ein bisschen an ein Kirchenschiff. Drei der Wände waren mit hohen Buntglasfenstern durchzogen und ließen trotz des grauen Wetters genügend Licht herein, dass keine Öllampen gebraucht wurden. An der vierten Wand befand sich der größte offene Kamin, den Liv je gesehen hatte. In der Feuerstelle konnten sicher locker vier stämmige Männer bequem nebeneinanderstehen. Jetzt, im Sommer, war der Kamin leer und sauber gefegt, aber sie schätzte, dass er im Winter dringend gebraucht wurde, um den großen Saal beheizen zu können. Im Moment war es hier allerdings eher zu warm. Die letzten drei Tage waren ziemlich heiß gewesen. Die dicken Klostermauern hielten zwar die größte Sommerhitze draußen, dafür heizten gerade aber die gut hundert Leute, die sich hier im Saal eingefunden hatten, den Raum ordentlich auf. Liv erblickte Zoe, die mit Una und Armand als eine der Letzten den Saal betrat, und winkte ihr zu. Zoe grinste und winkte zurück.

Ignatius gab Armand ein Zeichen, der nickte und schloss die breite Doppelflügeltür, die hinaus in die Eingangshalle des Klosters führte.

»Ruhe, bitte!« Der alte Klostervorsteher klopfte mit einem kleinen Holzhammer auf die Tischplatte vor sich, um sich Gehör zu verschaffen. Sofort verstummten die Gespräche und alle wandten sich ihm zu. »Hiermit eröffne ich die heutige Versammlung der Garde des Lichts.«

In der Mitte des Saals stand ein mächtiger runder Tisch, an dem zwanzig der Anwesenden Platz gefunden hatten. Der Rest der Garde hatte sich hinter den Stühlen verteilt oder lehnte an den Wänden. Von Ignatius wusste Liv, dass es einen Rat innerhalb der Garde gab, dessen Vorsitz momentan Ragnar und Amina innehatten, und der sich aus verschiedenen Kommandeuren zusammensetzte. Diese Kommandeure organisierten die einzelnen Bereiche, um die die Garde sich kümmerte: Patrouillenrouten und Aufklärungstouren der Ritter in und um Burgedal, die Rekrutierung von Novizen, Beschaffung von Ausrüstung, Einteilung von Trainingseinheiten sowie die Entwicklung strategischer Schlachtpläne, die Konstantins Vorhaben, ein Portal zur Schattenwelt zu erschaffen, vereiteln sollten.

Sowohl das Ambiente als auch das Prozedere ließen Liv an die Sage von König Artus und die Ritter der Tafelrunde denken. Sie mochte Burgedal und hatte die kleine Stadt, ihre Bürger und das Kloster längst in ihr Herz geschlossen. Trotzdem hatten die wenigen Wochen, die sie jetzt hier lebte, bei Weitem noch nicht ausgereicht, um sich hier wirklich verwurzelt zu fühlen. Dafür kam sie sich einfach noch viel zu oft wie in den Kulissen eines mittelalterlich angehauchten Fantasyfilms vor. Es war schräg – allerdings hatte sie festgestellt, dass sie schräg ziemlich mochte. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie sich hier irgendwie doch schon zu Hause fühlte, obwohl vieles noch neu und ungewohnt war.

Ignatius ließ seinen Blick über die Anwesenden wandern. »Zuerst einmal möchte ich euch – auch wenn ihr es schon wisst – noch einmal offiziell verkünden, dass unsere Cays in den Weißen Bergen auf zweierlei Weise erfolgreich waren. Zum einen haben sie den Stein des Windes von den Sylphen erhalten und er liegt nun sicher in Cayas Kapelle. Damit befindet sich jetzt bereits der zweite Lichtstein hier bei uns im Kloster.«

Ein anerkennendes Murmeln ging durch den Raum. Die Ritter, die am Tisch saßen, klopften auf die Tischplatte, andere klatschten, und alle Blicke wanderten zu Kaelan, Ari, Liv und Noah, die bei Ignatius standen.

»Außerdem konnten unsere Cays die Sylphen als Verbündete im Kampf gegen Konstantin gewinnen. Sie an unserer Seite zu wissen, sind äußerst gute Nachrichten, und was sie bereits herausgefunden haben, hilft uns enorm bei der Planung unseres weiteren Vorgehens.«

Auch diese Nachricht bekundeten die Ritter der Garde mit Beifall.

Ari ächzte innerlich und hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Wie immer, wenn viele Menschen um ihn herum waren, spürte er ein beklemmendes Gefühl in seiner Brust. Wenn ihn dann auch noch alle anstarrten, fühlte er sich doppelt unwohl, und hätte eine Menge dafür gegeben, einfach verschwinden zu können. Doch er war kein Kind mehr und unterdrückte den Drang. Es gelang ihm sogar ein kleines Lächeln. Immerhin waren all die Blicke ja nicht böse gemeint. Im Gegenteil. In ihnen lag Anerkennung und Wohlwollen. Weder er noch Kaelan, Liv oder Noah gehörten offiziell der Garde des Lichts an, aber sie waren die vier Cays, die Auserwählten des Engels des Lichts. Sie mussten sich auf die Reisen zu den vier Lichtsteinen begeben, mit denen Caya, das Engelslicht, in der Kapelle des Klosters neu bestärkt werden musste. Nur so konnten die Grenzen zum Reich der Finsternis aufrechterhalten werden. Diese Reisen waren alles andere als ungefährlich. Nicht nur wegen der Gefahren, die auf den Wegen lauerten, sondern auch, weil Konstantin verhindern wollte, dass die Lichtsteine ins Kloster kamen. Für ihren Einsatz als Cays zollten die Ritter der Garde ihnen hier gerade Respekt. Das war etwas, das es wertzuschätzen galt. Genauso wie die Tatsache, dass alle der hier anwesenden Ritter ihr Leben dafür geben würden, ihn, Kaelan, Liv und Noah zu beschützen, damit sie ihre Aufgabe erledigen konnten. Egal, wie unwohl er sich in Menschmassen also fühlte, er hatte ihnen Respekt zu zollen, weil all die Frauen und Männer hier nichts anderes verdient hatten. Trotzdem war Ari froh, als jetzt Amina neben Ignatius aufstand und damit die Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

 

»Leider dürfen wir uns auf unseren bisherigen Erfolgen aber nicht ausruhen.« Die Ratsvorsitzende war um die Fünfzig und ihrem Aussehen nach hätte Ari sie in der Alten Welt für eine Inderin oder Pakistani gehalten. Sie war eine brillante Bogenschützin und leitete das entsprechende Training der Ritter in der Garde. Jetzt griff sie nach einigen Briefen, die vor ihr auf dem Tisch lagen. »Unsere Quellen in Dakenhall sowie die Spione der Sylphen haben uns wertvolle Informationen übermittelt und unsere Befürchtungen leider bestätigt. Konstantins Arbeiten an seinem neuen Portal zum Reich der Finsternis schreiten weiter voran – und zwar deutlich schneller, als wir ohnehin schon befürchtet haben. Uns bleiben nur noch wenige Wochen bis zu seiner Fertigstellung.«

Viele der Ritter tauschten ernste Blicke.

»Ihr versteht, was das bedeutet«, fuhr Amina fort. »Der Wettlauf gegen die Zeit wird noch enger. Zwar hält das Engelslicht die Grenzen zum Schattenreich derzeit noch aufrecht, aber ich fürchte, es ist bereits zu schwach, um ein mutwillig geöffnetes Portal zur Dämonenwelt wieder zu verschließen. Das beweisen die Schattenmare, die Konstantin bereits aus der Finsternis hierher nach Interria holen konnte. Sollte er es also schaffen, das Portal fertigzustellen und zu öffnen, bevor wir Caya erneuert haben, wären die Folgen katastrophal. Die Dämonen würden hier einfallen und vermutlich hätten wir ihnen nicht viel entgegenzusetzen.«

Viele der Anwesenden verzogen grimmig die Gesichter, als sie den Ernst der Lage nochmals so drastisch vor Augen geführt bekamen.

»Kann man denn ungefähr einschätzen, wie viel Zeit wir noch haben?«, fragte ein stämmiger blonder Ritter.

Amina atmete tief durch. »Laut der Beobachtungen unserer zuverlässigsten Quelle bleiben uns noch fünf, wenn wir Glück haben vielleicht sechs Wochen.«

Schlagartig wurde es totenstill im Saal und Liv sah, wie sich Schock und Entsetzen auf den Gesichtern der Ritter widerspiegelten, als sie die Mittelung verdauten. Liv fühlte mit ihnen. Ihr war es ganz ähnlich ergangen, als Ignatius ihnen am Abend zuvor beim Essen die Nachrichten aus Dakenhall überbracht hatte. Nach dem ersten Schock brach allerdings rasch wieder Gemurmel im Saal aus, als die Ritter begannen, die besorgniserregenden Neuigkeiten miteinander zu diskutieren.

»Okay«, meldete sich eine Stimme laut aus dem allgemeinen Gemurmel, als eine junge Frau mit wilden roten Locken das Wort ergriff. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte entschlossen in die Runde. »Gehen wir mal vom schlimmsten Fall, den fünf Wochen aus. Der Weg von hier durch den Großen Wald zum Tal der Drachen und wieder zurück beträgt zehn bis elf Tage. Der Weg zu den Zwergen acht, vielleicht neun. Selbst wenn sich die Reisen jeweils um ein bis zwei Tage verzögern, wird es zwar etwas knapp, aber es ist durchaus zu schaffen.«

»Ranja hat recht«, meinte ein junger Mann, der neben der Rothaarigen stand. »Selbst wenn Konstantin wieder einige seiner Truppen losschicken sollte, um die Cays aufzuhalten, was soll’s? Wir können sie begleiten und beschützen. Wir sorgen schon dafür, dass sie schnell und sicher zu den Drachen und den Zwergen kommen und wir die zwei noch fehlenden Lichtsteine rechtzeitig hierher ins Kloster holen.«

Viele der Ritter bekundeten durch Klatschen ihre Zustimmung.

Ignatius griff wieder nach dem Holzhammer und verschaffte sich Gehör. »Im Prinzip habt ihr beide recht, Erik«, sagte er mit einem Blick auf Ranja und den jungen Ritter. »Aber leider wird es nicht ganz so einfach werden. Die Sylphen berichten, dass Konstantin anscheinend plant, uns den Weg zu den Roten Bergen mit einem gewaltigen Aufmarsch an Männern abzuschneiden. Es gibt Sichtungen von etlichen Reitertrupps, die sich aus Dakenhall in Richtung des Großen Waldes aufgemacht haben. Wenn Konstantin dort Truppen zusammenzieht, wird der Weg in die Roten Berge eine echte Herausforderung.«

»Aber das ist nichts, was wir nicht erwartet hätten«, gab ein anderer Ritter aus der Menge zurück. »Konstantin hat uns den Stein des Windes überlassen, weil wir hier im Norden die Oberhand haben. Aber dass er den Stein des Feuers im Süden mit aller Macht verteidigen wird, war doch offensichtlich. Immerhin liegen die Roten Berge praktisch vor seiner Haustür.«

Viele Ritter nickten zustimmend.

Auch Ignatius nickte und deutete auf den Mann, der neben ihm am Tisch saß. »Das stimmt und das haben wir bei unseren Planungen auch berücksichtigt. Dazu kann Ragnar euch aber mehr sagen. Er war in den letzten Tagen mit seinem Sohn und seiner Tochter auf Erkundungsritt im Großen Wald.«

Ragnar, der zweite Ratsvorsitzende, erhob sich, damit alle ihn besser sehen konnten. Er war einer der Ältesten hier im Saal und Liv schätzte ihn kaum jünger als Ignatius. Trotzdem strahlte er jede Menge Tatendrang und Vitalität aus und sein wettergegerbtes Gesicht verriet, dass er noch oft auf Patrouille ging.

»Wie Ignatius schon sagte, sind meine Kinder und ich durch den Wald geritten, um die Beobachtungen der Sylphen zu bestätigen und unser weiteres Vorgehen strategisch planen zu können. Wir haben die Gegend ausgekundschaftet, mit einigen Waldarbeitern und Jägern gesprochen und uns mit ein paar Schurken von Bartemis’ Bande herumgeschlagen. Was wir dabei herausgefunden haben, zeige ich euch jetzt hier.«

Während Ragnar eine riesige Karte vor sich ausrollte, rückten die Ritter der Garde enger um den Tisch zusammen, damit alle einen Blick darauf werfen konnten. Ben und Quin, die neben Ragnar am Tisch saßen, winkten Kaelan, Ari, Liv und Noah heran und traten selbst ein Stück zurück.

Kaelan schob Ari vor sich auf Quins Platz. Seit sie vor drei Tagen aus den Weißen Bergen zurückgekommen waren, trug Ari seinen linken Arm in einer Schlinge und Mia und Kaelan hatten dafür gesorgt, dass er sich so viel es ging ausruhte, um Kräfte zu regenerieren und die Wunden heilen zu lassen, die die Harpyien ihm bei ihrem Angriff auf der Brücke über der Weißen Schlucht in die Schulter gerissen hatten. Die Wunden heilten zwar gut, da Mia es mit diversen Tinkturen und Salben geschafft hatte, einer Entzündung entgegenzuwirken, trotzdem würde es noch eine Weile dauern, bis Ari nichts mehr davon spürte.

Liv betrachtete die Karte und brauchte einen Moment, um sich darauf zu orientieren. Ignatius hatte ihr in den letzten Tagen bereits ähnliche Karten von der Gegend ihrer nächsten Reise gezeigt, aber keine war so groß und detailliert gewesen wie Ragnars, die vermutlich extra für den riesigen Tisch im Versammlungssaal angefertigt worden war.

Die Karte zeigte das weitläufige Waldgebiet, das im Zentrum Interrias lag und sich mit schmaleren Ausläufern nach Osten in die Sumpfgebiete und nach Westen in die Berge ausdehnte. Zur Orientierung suchte Liv den Hauptweg, der von Norden nach Südwesten führte und von dem aus immer wieder Wege nach Osten, Westen und Süden abzweigten. Einige Gebiete des Waldes trugen eigene Namen und waren beschriftet mit Silberhain, Eichenholm oder Buchengrin. Kleine Häuser markierten Siedlungen von Holzfällern oder Jägern, im Nordosten gab es eine große Lichtung, über der in geschwungenen Buchstaben Waldsee stand, und im Südosten ging der Wald in ein Gebirge über. Rote Berge stand dort in schnörkeliger Schrift. Ein breiter Fluss teilte den Wald in der Mitte und Ignatius hatte Liv erklärt, dass dieser die Grenze zwischen zwei Jagdgebieten markierte. Das nördliche gehörte zu Burgedal, das südliche zu Dakenhall. Dort, wo der Hauptweg den Fluss kreuzte, waren auf beiden Seiten des Ufers kleine Dreiecke eingezeichnet.

Ragnar zog einen Zeigestock hervor und fuhr damit von Norden nach Süden den Hauptweg entlang. An einer Abzweigung verließ er mit dem Stock den breiten Hauptweg und folgte einem schmalen gewundenen Pfad in die Berge. »Das hier ist der direkte Weg zu den Roten Bergen, in denen das Tal der Drachen liegt.« Dann kehrte er zurück zum Hauptweg und folgte ihm Richtung Südwesten. »Hier lang geht es nach Dakenhall.« Er deutete wieder auf die Abzweigung. »Und ungefähr hier liegt der Eingang zur Schlucht. Sie ist der einzige Zugang zum Pfad, der ins Drachenland führt. Laut der Beobachtungen der Sylphen lässt Konstantin Septimus dort seine Truppen positionieren, um uns so den Weg abzuschneiden.«

»Besteht denn keine Möglichkeit, sich abseits der Wege durch den Wald zu schlagen und anders in die Roten Berge zu gelangen als durch diese Schlucht?«, fragte eine dunkelhäutige Frau, deren Namen Liv nicht kannte.

Ragnar schüttelte den Kopf und zeigte auf ein großflächiges Gebiet, das sich von Osten nach Süden zog und in das nichts weiter eingetragen war als ein gestrichelter kreisähnlicher Bereich. Elfenfeste stand darüber. »Dieser Teil des Waldes ist praktisch undurchdringlich. Mit den Pferden absolut unpassierbar und selbst zu Fuß bräuchte man eine Machete, um sich den Weg freizuschlagen. Die Zeit haben wir nicht.«

»Diese verdammten Elfen!«, brummte ein älterer Ritter mit einer langen Narbe auf der rechten Wange. »Igeln sich in ihrer Feste ein und lassen den ganzen Wald zuwuchern! Sobald wir Caya erneuert haben und Konstantin erledigt ist, sollten wir uns die endlich mal vornehmen.«

Etliche Ritter murmelten Zustimmung, doch Ignatius hob sofort beschwichtigend die Hände. »Ich gebe zu, dass das abweisende Verhalten der Elfen unsere Aufgabe nicht erleichtert, Gaius, aber –«

»Abweisende Verhalten?«, fiel Gaius ihm ins Wort und lachte auf. »Die verdammten Grünlinge führen sich auf wie trotzige Dreijährige! Hocken in ihrem Dschungel und schmollen seit hunderten von Jahren vor sich hin, weil sie sich von Cayaniel benachteiligt fühlen. Dass ich nicht lache! Cayaniel hat sie zu den Hütern des Waldes bestimmt, aber das kriegen sie offensichtlich nicht hin. Der Osten bis runter zu den Roten Bergen ist schon so verwildert, dass keiner der ursprünglich angelegten Wege mehr existiert und man sich kaum mehr durchschlagen kann. In der Mitte am Fluss macht sich Bartemis mit seinem Pack breiter und breiter. Immer häufiger überfällt er Reisende und bestiehlt unsere Holzfäller und Jäger! Ich dachte, es wäre die Aufgabe der Elfen, für Ordnung im Wald zu sorgen und genau solche Taten zu verhindern! Außerdem gab Cayaniel ihnen den Auftrag, die vier Lichtsteinvölker sowie uns Menschen zu unterstützen und dabei zu helfen, dass das Engelslicht immer rechtzeitig erneuert werden kann. Stattdessen schalten sie aber nur auf stur, verschanzen sich in ihrer Feste und lassen den Wald komplett verkommen! Wenn sie ihre Aufgabe nur halbwegs gewissenhaft erledigen würden, hätten sich Bartemis und seine Bande niemals im Wald breitmachen können, und wir müssten uns jetzt keine Strategie überlegen, wie wir an Konstantins Truppen vorbeikommen!«

Erneut gab viel Gemurmel zu verstehen, dass etliche Ritter das genauso sahen.

»Vielleicht sollten ein paar von uns mal bei ihnen vorbeischauen«, schlug Ranja vor. »Dann könnten wir den Elfen deutlichmachen, wie ernst die Lage für Interria und das Engelslicht im Moment ist. Wahrscheinlich wissen sie in ihrer Abgeschiedenheit noch gar nicht, wie es um unsere Welt bestellt ist, aber wenn sie erfahren, dass auch ihre Existenz bedroht ist, sind sie vielleicht bereit, ihren Beitrag zu leisten.«

Das Gemurmel, das auf diesen Vorschlag hin im Saal einsetzte, zeigte, dass die Garde über diesen Vorschlag geteilter Meinung war. Einige schienen Ranja zuzustimmen, andere schüttelten nur zweifelnd die Köpfe oder lachten gar, weil sie die Idee absurd fanden.

 

Ranja ließ sich davon jedoch nicht beirren und hob bloß die Schultern. »Ich denke, es wäre einen Versuch wert.«

»Ich denke, es wäre Zeitverschwendung!«, hielt Gaius dagegen. »Wir sollten lieber jeden verfügbaren Ritter zusammentrommeln und in den Süden zum Fuß der Roten Berge reiten. Wenn wir Glück haben, hat Konstantin noch nicht allzu viele Männer dort zusammengezogen. Wir kämpfen uns den Weg frei und die Cays holen Fineas. Dafür brauchen wir die Elfen nicht.«

Die Ritter der Garde begannen erneut untereinander zu diskutieren. Einen Moment lang ließ Ignatius sie gewähren, dann verschaffte er sich mit seinem Holzhammer wieder Gehör.

»Ich denke, wir sollten beide Möglichkeiten ausschöpfen. Ranja hat recht, die Elfen könnten wertvolle Verbündete gegen Konstantin und seine Männer sein und wären vielleicht wirklich bereit, zu helfen, wenn sie wüssten, wie ernst es um unsere Heimat steht.«

Gaius schnaufte wenig überzeugt.

Ignatius nickte ihm zu. »Trotzdem stimme ich auch dir zu, Gaius. Wir können uns nicht auf die Hilfe der Elfen verlassen, also müssen wir uns dafür wappnen, allein gegen Konstantin vorzugehen.«

Gaius nickte zufrieden. »Gibt es schon einen Plan?«

»Im Prinzip sieht er so aus, wie du bereits vorgeschlagen hast«, ergriff nun Quin zum ersten Mal das Wort. »Wir trommeln so viele Ritter zusammen wie hier entbehrlich sind, ohne die Sicherheit der Stadt zu gefährden. Ebenso alle Freiwilligen, die bereit sind, uns zu folgen. Dann reiten wir durch den Großen Wald zum Fuß der Roten Berge und kämpfen uns den Weg frei. Dabei werden wir uns zum einen mit Bartemis und seiner Bande auseinandersetzen müssen, zum anderen natürlich mit Septimus und seinen Schwarzen Reitern.«

»Parallel senden wir eine Delegation zur Elfenfeste in der Hoffnung, dass wir die Elfen zur Kooperation überreden können«, erklärte Ignatius weiter. »Wenn wir Glück haben, stößt das Waldvolk dann am Eingang zur Schlucht in die Roten Berge zu uns. Wenn sie weiter stur bleiben und ihre Hilfe verweigern, sind wir auf uns allein gestellt.«

Gaius brummte zustimmend. »Ob mit oder ohne Elfen, wir werden mit Bartemis’ Raufbolden und den Schwarzen Reitern schon fertig werden. Und je mehr von denen wir jetzt schon erledigen, desto weniger Männer hat Konstantin zur Verteidigung seiner Burg, wenn wir uns die vornehmen.«

»Vorsicht. Unterschätzt unsere Feinde nicht«, warnte Ignatius. Er sah erst Gaius an, ließ seinen Blick dann aber über alle Anwesenden wandern. »Die Reiter aus Dakenhall sind starke Kämpfer. Septimus bildet seine Truppen knallhart aus und wir wissen, wie clever und gewissenlos Konstantin ist. Wir müssen damit rechnen, dass er uns mit Schattenmaren auflauern wird, und ihr wisst, was das bedeutet.«

Kaelan legte seine Hand auf Aris gesunde Schulter, weil er spüren konnte, wie eine riesige Welle aus Wut und Trauer in seinem Freund hochstieg. Auf dem Rückweg ihrer ersten Reise hatte Septimus ihnen mit Schattenmaren aufgelauert und einer davon hatte Raik getötet.

Neben ihnen nahm Liv Noahs Hand. Er hatte ebenfalls keine guten Erinnerungen an das Zusammentreffen mit Septimus. Auch Noah war von einem Schattenmar erwischt worden, hatte die Berührung aber überlebt. Das wusste außer ihrer Klosterfamilie und einiger enger Verbündeter in der Garde allerdings niemand, denn eigentlich galt die Berührung eines Schattenmars als Todesurteil. Warum Noah dennoch überlebt hatte, konnten sich alle Eingeweihten nur dadurch erklären, dass er als Cay das Licht des Engels in sich trug, das ihn vor der todbringenden Finsternis des Schattenmars bewahrt hatte. Zudem hatte Liv ihm mit der besonderen Gabe ihres Lichts geholfen und Ben und Mia hatten ihn ins Kloster zurückgebracht, wo das Engelslicht in Cayas Kapelle die Finsternis aus ihm vertrieben hatte.

Zumindest hoffte Noah das.

Der schreckliche Albtraum, der ihn nach der Attacke nächtelang heimgesucht hatte, ließ etwas anderes befürchten. Darin hatte sich das Engelsmal, das er in seiner Hand trug, von einem Zeichen des Lichts in ein Zeichen der Finsternis verwandelt. Davon wusste bisher niemand – außer Liv. Ihr hatte er sich anvertraut und seitdem ließ der Albtraum ihn in Ruhe. Ihre Worte hatten mit dem Chaos in seinem Kopf und seiner Seele aufgeräumt und ihn wieder ruhiger gemacht. Vor allem, seit sie zusammen waren. Vielleicht lag es an den Schmetterlingen in seinem Bauch, die jedes Mal völlig durchzudrehen schienen, wenn sie ihn anlächelte oder unvermittelt berührte, aber alles schien auf einmal weniger bedrohlich, weniger belastend und viel, viel leichter.

»Wer soll denn zu den Elfen gehen?«

Ranjas Frage riss Noah aus seinen Gedanken und er zwang sich, wieder der Diskussion zu folgen.

»Ich melde mich gern freiwillig, um dem eingeschnappten Waldvölkchen etwas Feuer unterm Hintern zu machen und sie an ihre Pflichten zu erinnern.« Mit einem vielsagenden Grinsen stemmte Ranja erneut ihre Hände in die Hüften.

Ragnar schmunzelte. »Das glaube ich dir sofort, aber auf deine ausgezeichnete Kampfkunst werden wir nicht verzichten können. Wenn Konstantin und Septimus mit Schattenmaren auf uns warten, brauchen wir jeden Mann und jede Frau mit Fähigkeiten wie deinen bei den Roten Bergen.«

Ranja zuckte mit den Schultern. »Ist mir auch recht. Aber wenn keiner der Garde zu den Elfen geht, wer dann? Wollen wir jemanden aus Burgedal schicken?«

Ignatius schüttelte erneut den Kopf. »Nein, wir zeigen den Elfen, wie ernst unser Wunsch ist, dass sie an unserer Seite kämpfen. Deshalb werden unsere Cays die Elfen um Hilfe bitten.«

Die Ritter der Garde starrten die Auserwählten überrascht an. Für die vier war die Ankündigung allerdings nichts Neues. Noch als sie auf der Rückreise aus den Weißen Bergen gewesen waren, hatte Ignatius mit Quin, Amina und Ragnar bereits diesen Plan entwickelt, nachdem Ragnar mit seinem Lagebericht aus dem Großen Wald zurückgekehrt war. Als Ignatius Kaelan, Ari, Noah und Liv diese Idee dann unterbreitet hatte, waren alle vier sofort einverstanden gewesen, ihr Glück bei den Elfen zu versuchen.

»Wir sollen die Cays schicken?«, kam es jetzt ungläubig von einer drahtigen Frau, die Ignatius gegenüber am Tisch saß. »Aber ich denke, sie sollen möglichst schnell zu den Drachen in die Roten Berge reisen. Warum sollen dann ausgerechnet sie wertvolle Zeit bei den Elfen vergeuden? Sollten sie nicht besser mit uns reiten und sich an den Schwarzen Reitern vorbeistehlen, sobald wir sie angreifen? Während eines Kampfes für ein Ablenkungsmanöver zu sorgen, damit die vier unauffällig weiterreiten können, sollte ja sicher schaffbar sein.«

»Nein.« Ben schüttelte den Kopf. »Das ist genau das, was Konstantin erwarten wird. Er wird davon ausgehen, dass wir die vier begleiten, um sie zu beschützen. Genau darauf wird er sich vorbereiten, also sollten wir einen anderen Plan verfolgen.«

»Aber werden Konstantin und Septimus nicht misstrauisch werden, wenn es zum Kampf kommt und sie die vier nicht bei uns sehen?«, gab eine grauhaarige Frau, die neben Una, Armand und Zoe stand, zu bedenken.

Ignatius nickte. »Natürlich. Genau deshalb werden wir mit vier Doppelgängern reiten, die sich für unsere Cays ausgeben.«

Ein Raunen ging durch die Reihen der Ritter und viele nickten anerkennend.

»Aber Septimus und ein paar seiner Männer haben die vier gesehen«, warf Erik skeptisch ein. »Wird er da den Schwindel nicht bemerken?«

»Ich hoffe, wir schaffen es, die Maskerade so lange aufrechtzuerhalten, dass wir den echten Cays genug Zeit geben, damit sie entweder die Elfen für uns gewinnen oder sich einen Weg durch die Wildnis in die Roten Berge schlagen können«, antwortete Ben. »Im Idealfall gelingt ihnen sogar beides.«

»Es kommt auf einen guten Zeitplan an«, fügte Quin hinzu.

»Und wie genau sieht der aus?«, wollte Gaius wissen.

»Nathan hat aus den Novizen und jungen Rittern der Garde fünf ausgewählt, die ihrem Aussehen nach als Doppelgänger infrage kommen«, erklärte Ignatius. Er blickte zu einem dunkelhäutigen Mann, der bestätigend nickte. »Fünf deshalb, weil Zoe, Kaelans Schwester, die vier begleiten wird. Sie war bereits bei den ersten beiden Reisen an der Seite der Cays und wird sie auch diesmal wieder tatkräftig unterstützen, da Ari in den Weißen Bergen verletzt wurde und noch nicht wieder hundertprozentig genesen ist.«

»Das absolut Wichtigste ist die Geheimhaltung«, betonte Ben nachdrücklich. »Wenn wir mit unserem Täuschungsmanöver durchkommen wollen, darf nichts davon nach außen sickern.«

»Wir wissen, dass wir jedem hier im Saal vertrauen können«, sagte Ignatius. Seit ihr Stallbursche Karl sich als Verräter entpuppt hatte, musste jeder Ritter der Garde vor einer Versammlung in Cayas Kapelle treten. Der Engel des Lichts hatte das Gebäude mit einem speziellen Schutzzauber belegt, der es unmöglich machte, die Kapelle zu betreten, wenn man nicht mit Herz und Seele für das Licht kämpfte. »Aber wir müssen leider damit rechnen, dass Konstantin Spitzel in Burgedal eingeschleust hat, die uns sehr genau beobachten. Daher müssen wir sehr vorsichtig sein.«

»Die fünf Doppelgänger haben sich heute Nachmittag bereits bei verschiedenen, absolut vertrauenswürdigen Geschäftsleuten in Burgedal eingefunden«, fuhr Ben fort. »Sobald unsere Versammlung beendet ist, werden sich die echten Cays samt Zoe zu ihren entsprechenden Doppelgängern begeben. Für eventuelle Beobachter wird es so aussehen, als würden sie Botengänge erledigen. Unsere Kinder tauschen die Rollen und die Doppelgänger kehren zu uns ins Kloster zurück.«

»In den nächsten drei Tagen werden sich die vier Ersatz-Cays im Kloster immer mal wieder kurz zeigen, während wir uns auf den Ritt durch den Großen Wald sowie den Kampf bei den Roten Bergen vorbereiten«, erklärte Quin weiter.

»Die vier echten Cays werden morgen in aller Frühe getarnt als Kräutersammler, Feldarbeiter und Fischer Burgedal verlassen und damit hoffentlich keine weitere Beachtung finden«, übernahm Ignatius wieder. »Sie begeben sich nach Südosten zu Helfern, auf deren Hof sie Unterschlupf für die Nacht finden werden. Ihr Gepäck sowie Proviant und ihre Schwerter haben wir bereits gestern von Sean und Eddie zur Farm bringen lassen.«

Liv schaute zu den beiden älteren Männern, die mit am Tisch saßen. Eddie und Sean waren ehemalige Ritter der Garde, die den Posten des abtrünnigen Stallknechts Karl übernommen hatten und gleichzeitig für die innere Verteidigung des Klosters sorgten, falls diese einmal nötig sein sollte. Beide wohnten eigentlich in einem kleinen Haus am westlichen Stadttor Burgedals, waren aber vorübergehend ins Kloster gezogen und Liv hatte sie bereits an ihrem ersten gemeinsamen Abend ins Herz geschlossen. Nicht zuletzt, weil sie jede Menge über Burgedal, Interria und die Garde zu erzählen hatten und sie das Ganze mit vielen witzigen Anekdoten zu würzen wussten.