Loe raamatut: «Einen Schurken zum Bräutigam»

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Natalie Bechthold

Einen Schurken zum Bräutigam

Über das Ebook

Cassie ist 17 als ihr Vater krank wird und im Sterben liegt. Noch vor seinem Tod sucht er einen passenden Ehemann für seine einzige Tochter. Und seine Wahl fällt auf Viscount Ralph Darton of Harwich. Doch auf dem Weg zu ihrem Bräutigam gelingt Lady Cassandra Whitbread die Flucht. Leider fällt sie niemand anderem in die Hände als Captain Caleb Harrington, dem Bruder ihres Verlobten. Ein Liebesroman aus dem Ende des 19. Jahrhunderts.

Liebesroman

Natalie Bechthold

Einen Schurken zum Bräutigam

Roman

Er raubt ihr

die Unschuld

und dann auch noch

die Freiheit.

Inhalt

Prolog

Die Straße der Gelüste

Der Schuft

Im Schloss Harwich

machtlos

Das böse Erwachen

Verrat ohne Skrupel

Die große Sehnsucht nach der fernen Heimat

Im Zwiespalt der Gefühle

Lust nach Rache

Epilog

W eitere Buchempfehlungen / Natalie Bechthold

Leseprobe / Eine Frau im Spiegel

Prolog

Es war Nacht. Der kalte Nieselregen hat gerade aufgehört. Eine Kutsche rollte über die beleuchtete, nasse, holprige Hafenstraße von Harwich. Plötzlich öffnete jemand die Tür und sprang aus der Kutsche. Schnell und unbemerkt verschwand die Gestalt mit flatternden Röcken in einer dunklen, schmalen Gasse. Im Hintergrund war noch zu hören wie sich die Kutsche ratternd entfernte.

***

Die Gestalt im dunklen Umhang, dessen Farbe in der tiefen Dunkelheit nicht zu erkennen war, legte seine Hand auf die kalte, nackte Wand und folgte so der einsamen Gasse. Nur wenige wussten wohin sie führte.

***

Höre ich Musik?, fragte sich Cassie und warf die Kapuze zurück, um besser zu hören. Tatsächlich! Was sie da hörte war Musik und wenn sie sich nicht irrte, hörte sie etwas leiser, im Hintergrund, ein Lachen. Erleichtert, dass sie bald auf Menschen treffen würde, verdoppelte sie ihre Schritte. Schon bald kam ihr ein schwaches Licht entgegen, das mit jedem nähernden Schritt immer stärker wurde.

Als Cassie um die Ecke bog und die ersten Menschen aus einer kurzen Entfernung erblickte, zog sie ihre Kapuze tiefer ins Gesicht, um ja nicht erkannt zu werden. Naja, erkennen würde sie hier sowieso niemand, schließlich ist sie zum ersten Mal in Harwich, aber sicher ist sicher. Sie zog ihre Hand von der kalten, nackten Wand weg und tauchte in die trügerische Welt der Straße der Gelüste.

Kapitel 1

Die Straße der Gelüste

Die Straße der Gelüste, so nennen die Einwohner von Harwich diese Straße. Sie trägt als Einzige kein Namenschild. Denn ihr Name existiert nur nachts. Nachts, wenn die Gefahr am größten ist. Meist eine Gefahr für junge Frauen, wie Cassie.

***

Aus einem Fenster eines Mittelreihenhauses brannte Licht und eine Türe ging auf, aus der noch mehr Licht und Lärm strömten. Neugierig warf Cassie im Vorbeigehen einen Blick hinein und merkte viel zu spät, wie sie gegen einen sitzenden Kartenspieler stieß. Er und sein Gegner spielten vor dem Wirtshaus Karten. Bei dem Spiel ging es um einige Pfund. Der ältere Kartenspieler sah sie böse an und meinte: „Pass auf, wo du hinläufst!“

„Verzeihung!“, entschuldigte sich Cassie bei ihm mit einer sanften, weichen Stimme und ging weiter.

Zwar verstand er, wegen dem vielen Lärm aus dem belebten Wirtshaus, nicht, was die fremde Gestalt im dunkeln Umhang zu ihm gesagt hatte, aber die hohe, weiblich klingende Stimme und das schöne Gesicht, das er für einen kurzen Augenblick unter der tiefsitzenden Kapuze sehen konnte, machten ihn neugierig. Wohin geht sie? Um dies zu erfahren warf er seine Karten auf den Tisch und sagte zu seinem Gegner im Gehen: „Ich muss weiter!“

„Hey, das Spiel ist noch nicht zu Ende“, rief ihm der Gegner sehr verärgert nach.

Doch Alan verschwand in der dichten Menschenmenge und hörte seine Worte nicht mehr. Sein ganzes Interesse hing allein nur an dieser Frau im dunklen Umhang. Eine Hure?

***

Cassie wunderte sich über die vielen Menschen auf dieser Straße. Und eines hatten sie fast alle gemeinsam. Die Fröhlichkeit. Cassie wusste nicht woher ihre gute Stimmung kam, aber als einer sie an der Hand packte und sie sich zu ihm drehte, roch sie den Stimmungsmacher aus seinem Mund. Wein!

„Hey Kleine, willst du es nicht mit mir versuchen?!“

Cassie wollte etwas erwidern, doch dazu kam sie nicht. Denn er packte sie unsanft bei den Schultern und drückte sie gegen eine Wand. Vor Schreck spürte sie nicht wie kalt und nass sie war. Seine dicken, dreckigen Finger zerrten an den Schnüren ihres Mieders und sein feuchter, übel riechender Mund fand den Weg zu ihrem Nacken. Cassie versuchte den Mann mit aller Kraft wegzudrücken, aber es gelang ihr nicht, obwohl er einen halben Kopf kleiner war als sie.

Ein nächtlicher, kühler Sommerwind erfasste das quietschende Schild über ihr und wiegte es hin und her. Auf ihm stand mit großen Buchstaben FRAUENHAUS. Wer ein wenig mehr Lebenserfahrung hatte als Cassie, wusste wo er sich befand. Nicht umsonst heißt diese Straße bei Nacht, die Straße der Gelüste, dessen Herz das berühmte Frauenhaus ist. Wo eine Frau die einfachste Arbeit verrichten kann, die es auf der Welt gibt. Nämlich, sich einem Mann hingeben, der dafür bezahlt. Was sie verdienten war nicht viel und trotzdem sahen sie nicht einen Penny davon. Denn das ganze verdiente Geld wanderte an den Eigentümer des Frauenhauses. Er war ihr Herr und Arbeitgeber zugleich.

Aus dem Frauenhaus drang Licht und lautes Lachen. Heute Nacht war das alte Gebäude zu voll, um so viele angereiste Seemänner zu befriedigen. Deshalb boten mehrere Huren ihre Dienste auch im Freien, vor dem Frauenhaus, an. Der Frauenwirt stand an der Theke und rieb sich zufrieden die Hände.

„Diese Nacht wird uns viel Geld einbringen“, sagte er zu seiner Frau mit großer Gier, die sein Herz ergriffen hatte.

Aber weder ihre glanzlosen Augen, noch ihre Mimik verriet wie glücklich sie darüber war.

„Bitte, lassen sie mich los!“, flehte Cassie.

Als er auf ihr Bitten nicht reagierte schlug sie mit ihren Fäusten gegen seinen Rücken. Doch es war nicht stark genug, um ihn von seinem Tun abzubringen.

Nur wenige Meter von ihnen entfernt stand eine junge Hure und hörte das junge Mädchen unter Tränen flehen. Sie war vielleicht nur zwei Jahre älter als Cassie selbst, aber voller Erfahrung, was Männer anging. Cassie erinnerte sie an sich selbst. Wie sie als junges Mädchen einst angefangen hatte ihren Körper an junge und alte Männer zu verkaufen. Sie ekelt sich noch heute vor ihnen, aber irgendwie muss sie ja an Geld kommen, um zu überleben. Die junge Hure wandte den Blick ohne jegliches Mitgefühl von Cassie ab und widmete ihre volle Aufmerksamkeit einem jungen Seemann.

Auch ich musste einst da durch und keiner hat mir dabei geholfen. So werde auch ich dir nicht helfen, ging der jungen Hure durch den Kopf, als sie sich dem jungen Mann anbot.

Im Hintergrund spielte eine Mundharmonika. Ein Hund jaulte zu der Melodie und das störte keinen. Stattdessen übertönte er manche unangenehme Geräusche. Wie das von Cassie und das vielleicht von einer anderen Hure. Denn nicht jede Hure verrichtete freiwillig ihren Dienst. Es war nicht selten, dass eine junge Hure missbraucht wurde und ihr keiner dabei half.

Plötzlich packte jemand den älteren Mann von hinten und zerrte ihn von Cassie weg.

„Lass die Finger von ihr, Mann! Ich habe sie zuerst gesehen“, sagte Alan zu dem Mann. Mit der einen Hand hielt er den älteren Mann am Kragen fest und mit der anderen formte er eine Faust und drohte ihm zuzuschlagen.

„Ist schon gut, ist schon gut.“

Alan konnte seine Angst förmlich riechen. Er ließ den Mann schließlich los und konnte ihm nachsehen, wie er blitzschnell um die Ecke verschwand.

Unter Tränen band Cassie ihr Mieder wieder zu. Für den ersten Moment glaubte sie, er habe sie gerettet, aber, als er sie zu schnell über den Rücken warf, dass sie gar nicht reagieren konnte, wurde ihr bewusst, dass sie sich gewaltig geirrt hatte. Was danach kam war für jede Frau das Schlimmste, was es auf Erden gab.

Mit Cassie auf dem Rücken marschierte Alan auf den Hafen zu. Kein Mann und keine Frau wollten dem armen, wehrenden Ding helfen. Denn das Mitleid war längst über die Jahre im Herzen gestorben.

Kapitel 2

Der Schuft

Auf dem Schiff angekommen brachte Alan Cassie in eine Kajüte. Dort stellte er das junge Mädchen ab und eilte zur Tür. In Sekundenschnelle war sie wieder allein. So glaubte sie. Plötzlich drückte jemand im Halbdunkeln die Türklinge von innen herunter und schloss nach Alan die Tür. Mit Gänsehaut hörte Cassie wie der Schlüssel umgedreht wurde. Sie saß nun in der Falle.

***

Es war längst nach Mitternacht, als der Captain leise die Tür öffnete und sich aus seiner Kajüte schlich. Alan stand an der Reling und starrte auf das vom Mondschein erhellte, glitzernde Wasser. Bestürzt kam sein Captain zu ihm.

„Und, war sie gut?“, fragte er seinen Boss.

Der Captain überhörte seine Frage und stellte ihm sofort eine Gegenfrage: „Kennst du das hier?“

Er hielt ihm eine Kette mit einem goldenen Anhänger entgegen. Eine Art Medaillon. Der Seemann nahm es in seine Hand, öffnete den Anhänger und erblasste. Denn das Mondlicht erhellte auf dem winzigen Bild das Gesicht eines Mannes, das er zu gut kannte.

„Ralph...“

Ralph Darton war der Viscount von Harwich. Ein adeliger, einflussreicher Mann. Und noch dazu Captain Harringtons Halbbruder.

„Ralphs Verlobte“, hörte Alan seinen Neffen sagen.

Jetzt erkannte Alan, welchen großen Fehler er begannen, als er das junge, unschuldige Mädchen seinem Neffen gebracht hatte.

„Lady Cassandra Whitbread. Die jüngste und reichste Lady von ganz England“, erzählte der Jüngere.

„Noch dazu, weißt du, was das aller Schlimmste ist?!“, Harrington wollte nicht länger auf die Antwort seines Onkels warten und sprach es sofort aus: „Ich habe sie entjungfert.“

Alan nickte nur noch tief von seiner Schuld betroffen und gab seinem Neffen das goldene Kettchen wieder zurück. Harrington nahm das Medaillon schuldbewusst entgegen und steckte es in seine Hosentasche. Anschließend stützte er sich mit beiden Händen an der Reling ab und sah zum dunklen Horizont. Sein offenes, weißes Hemd flatterte mit dem Wind. Silberne Mondstrahlen tanzten verführerisch auf seiner behaarten Brust. Was soll ich nur tun?

***

„Was willst du jetzt tun?“, unterbrach Alan das lange Schweigen. Harrington kehrte dem rauschenden Wasser den Rücken zu.

„Sie heiraten.“

„Das ist nicht dein Ernst?!“, sah Alan seinen Neffen erschüttert an. „Doch, mein voller Ernst! Und zwar noch heute Morgen.“

„Aber, wie willst du das anstellen? Dazu brauchst du ihre Einwilligung. Ich glaube nicht, nach dem du sie ... hast, dass sie noch deine Frau werden möchte.“

„Sie wird keine andere Wahl haben“, antwortete Harrington entschlossen und ließ seinen Onkel an der Reling alleine stehen.

Alan konnte seinem Neffen nur noch mit offenem Mund nach sehen.

***

Cassie war noch wach, als sie den Captain wieder zurück kommen hörte. Sie stellte sich schlafend und spürte, wie ihr Herz vor Angst immer schneller schlug. Harrington schloss hinter sich die Tür, drehte den Schlüssel geräuschlos um und versteckte ihn in seiner Hosentasche. Anschließend legte er seine Kleidung ab und schlüpfte unter die Decke. Seine Nähe machte ihr Angst. Angst vor seinem Verlangen. Doch Harrington ahnte nichts davon und schlief gelassen neben ihr ein. Für Cassie verging eine sehr lange Zeit bis sie sich sicher war, dass er tief und fest schlief. Vorsichtig, um ihn ja nicht zu wecken, stand sie auf und warf sich ihre weiße, dünne Decke über, hob ihr goldenes Kleid vom Boden auf und ging leise auf Zehenspitzen auf die Tür zu. Im Halbdunkeln legte sie ihre Hand auf die Türklinge, warf noch einen letzten Blick auf ihren Schänder, der friedlich in seinem Bett ruhte, und drückte anschließend runter. Doch die Tür sprang nicht auf. Sie war für Cassie verschlossen. Er muss es geahnt haben. Verzweifelt lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür und rutschte hinunter, auf den Boden, presste ihr goldenes Kleid gegen das Gesicht und weinte. Warum? Ich wollte doch nur meinem Verlobten entkommen. Soll das etwa die Strafe dafür sein?

Als Cassie wieder erwachte fand sie sich wieder in seinem Bett vor. Ihr Kleid hing ordentlich über seinem Stuhl. In weniger als einer Minute fügten sich Cassies einzelne Erinnerungen, wie die Teile eines Puzzles, zusammen und aus einem geglaubten Traum entstand ein Albtraum.

***

„Bist du dir sicher, dass du das Richtige tust?“, wollte Alan wissen, ehe er mit seinem Neffen die Kirche betrat.

„Ja und jetzt komm!“, antwortete Harrington etwas genervt.

„Ist nicht das viele Geld, das dich zu dieser Tat reizt? Geld ist wirklich nicht alles auf dieser Welt“, versuchte Alan sein bestmöglichstes, um Harrington noch in letzter Sekunde umzustimmen.

„Pschhht! Nicht so laut!“, warnte Harrington seinen Onkel, als er merkte, wie sein Reden den ganzen Kirchensaal erfüllte.

„Geld hat noch keinem Mann geschadet“, flüsterte er zurück.

Pater Edmund hörte, wie leise Stimmen auf ihn zu kamen. Deshalb betete er zu Ende. Doch ehe er sich erheben konnte, standen Harrington und Alan schon bei ihm und der Jüngere hielt ihm ein Dokument hin. „Ich möchte, dass Sie das hier unterschreiben!“, sagte Harrington mit einer Härte in seiner Stimme.

„Was ist das, mein Sohn?“, blieb Pater Edmund freundlich.

Er nahm das selbstverfasste Dokument und überflog es.

„Nein, das kann ich nicht“, antwortete er schließlich und gab es ihm wieder zurück.

„Doch!“, erhob Harrington unbewusst seine Stimme und das einsilbige Wort erfüllte ungewollt den ganzen Raum.

Schuldbewusst ließ er schnell seinen Blick über die Sitzreihen wandern, vergewisserte sich, dass sie alleine waren und sprach anschließend leise weiter: „Das können Sie!“

„Nicht, wenn Lady Cassandra Whitbread nicht vor mir steht und dies ebenfalls von mir möchte.“

Ungeduldig packte Harrington den Pater an seinem Kragen und drückte den armen Mann gegen die kalte Kirchenmauer.

„Lady Cassandra kann aber nicht erscheinen!“

Als der Pater merkte, dass er keine Chance gegen diesen starken Mann hatte, bekam er es mit der Angst zutun.

„Wie ich gehört habe hat Lady Cassandra zurzeit keinen Vormund.“

„Richtig gehört“, übernahm Alan jetzt das Wort, da er aus reiner Erfahrung wusste, dass Harringtons Geduld längst am Ende war.

Und es stimmte auch. Das machte für Harrington und Pater Edmund die Sache noch leichter.

„Dann ließe es sich machen.“

Harrington ließ den Gottesmann los und reichte ihm das Dokument. Der Pater setzte unter dem handgeschriebenen Text seine zittrige Unterschrift und atmete erleichtert auf, als der Captain den Trauschein zusammenrollte und mit seinem Gehilfen das Gotteshaus verließ.

„Warum nicht gleich so?!“, hörte er Harrington noch im Gehen sagen.

Wissen sie nicht, dass dieser Trauschein nichtig ist?, fragte sich Pater Edmund, als die beiden längst gegangen waren. Scheinbar nicht.

Gültig ist ein Trauschein nur dann, wenn er vom Pater selbst oder von seinem Sekretär geschrieben ist. Eine alleinige Unterschrift ist dafür nicht ausreichend.

Ich werde mich mit Lady Cassandra in Verbindung setzten.

Kapitel 3

Im Schloss Harwich

Alan klopfte an Harringtons Tür. Doch ein - Herein - blieb für den alten Seemann aus. Warum sollte sie mich auch herein bitten, immerhin wird sie hier gefangen gehalten, rief sich Alan ins Gedächtnis. Gefangene haben in der Regel nichts zu sagen.

„Ich komme rein“, warnte Alan Cassie.

Dann nickte er Harrington zum Zeichen und dieser steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Harrington ließ seinen Onkel eintreten, aber er selbst wollte lieber draußen bleiben.

Cassie saß auf einem dunklen Stuhl aus Mahagoni und spielte unruhig mit einer braunen Schleife ihres goldenen Kleides. Mit einem traurigen Blick sah Alan das junge Mädchen an und wusste nicht, wie er jetzt am besten vorgehen sollte. Er wollte sich doch so gerne bei ihr entschuldigen.

„Guten Morgen, Lady Whitbread Ha...“, begann er und brach dann doch ab.

Reumütig biss er sich auf die Zunge. Hoppla, das war kein so guter Anfang. Besser, sie erfährt es von ihm. Schließlich war es nicht meine Idee, dass er sie heirate.

„Ich bringe Ihnen das Frühstück“, sagte Alan und stellte das silberne Tablett auf dem Schreibtisch seines Captains ab.

Mit - Ihnen - wollte Alan ihr den Respekt erweisen, der einer Adeligen zusteht.

„Mögen Sie schwarzen Tee? Er ist aus Indien und schmeckt wirklich gut“, fragte er und deckte die freie Fläche.

Als sie aber nicht antwortete entschied er, ihr doch den Tee einzuschenken. Wenn sie es jetzt nicht möchte, dann vielleicht etwas später. Und Cassie sah ihm verbittert dabei zu. Eine Geste der Dankbarkeit blieb aus. Alan erwartete von ihr auch nichts. Nein, sie schuldete ihm nichts, sondern er ihr. Und zwar eine Entschuldigung. Eine dicke, fette Entschuldigung.

„Ich ...“, er stand immer noch mit dem Rücken zu ihr und zögerte.

Ist es nicht lächerlich?, fragte er sich. Ein alter Seemann entschuldigt sich bei einem jungen Mädchen. Nein! Sie war nicht irgendein junges Mädchen, sondern eine Lady. Einer Lady darf so etwas nicht zustoßen. Aber was machte sie auf der Straße der Gelüste, wenn sie eine Lady ist?, schoss ihm diese Frage durch den Kopf. Das geht dich nichts an!, sagte ihm eine innere Stimme.

„Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen“, begann er noch einmal.

Cassie hielt inne und lauschte seinen Worten.

„Dass ich Sie entführt und hierher gebracht habe.“

Die braune Schleife ging auf, wie auch ihr Herz. Beladen mit Kummer und Schmerz, Angst und Verzweiflung.

„Es tut mir wirklich leid!“, seufzte er und ging zur Tür.

Nun war es raus. Aber so ganz frei fühlte er sich nicht von seiner Schuld.

„Warum ...?“, ihre angenehme Stimme zitterte.

Plötzlich blieb Alan stehen und antwortete leise, ohne sie dabei anzusehen.

„Weil ich Sie für eine Hure hielt!“

„Sehe ich denn aus wie eine?“, schrie sie beinah und weinte anschließend.

„Nein!“, beschämt eilte er hinaus.

Harrington, der alles mit angehört hatte, stand draußen, neben der geschlossenen Tür und sah reumütig auf seine kräftigen Hände. Was habe ich nur getan? Das Herz einer jungen, unschuldigen Frau gebrochen. Und es mit Bitterkeit und Hass getränkt. Dann formte er aus seinen Händen zwei Fäuste.

Ich bin auch derjenige, der sie vor Ralph gerettet hat. Kein anderer hätte das jemals getan, redete sich Harrington ein und glaubte, sie sei ihm einen Dank schuldig.

Mit der Heirat hoffte Harrington seine schmutzige Tat vertuschen zu können, für das allein er verantwortlich war und die Ehre der jungen Lady wiederherstellen zu können, ehe jemand davon erfuhr.

Ralph hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Er hätte sie zwar geheiratet, aber nur, um an ihr Geld ranzukommen. Alles Weitere hätte ihn nicht interessiert. Auch nicht, wenn sich die gute Gesellschaft den Mund um ihre Flucht zerrissen hätte, die in Captain Harringtons Armen ein Ende nahm.

Das Erste, die Heirat, habe ich schon hinter mir. Gut! Das war auch das Leichteste vom ganzen Übel. Und jetzt kommt das Schwerste und das Letzte. Wie bringe ich es ihr bei? Harrington ließ schließlich seine Fäuste wieder sinken und sah zum Horizont. Das Schiff schaukelte mit der frühen Hektik. Denn die Mannschaft war längst auf den Beinen und ein jeder ging an seine Arbeit. Es würde mich nicht überraschen, wenn es heute regnet, stellte Harrington an dem grauen, zugezogenen Himmel fest. Anschließend, ohne eine Antwort auf seine Frage gefunden zu haben, entfernte er sich von der Tür, ohne sie vorher abzuschließen.

***

Am späten Nachmittag trat Alan zu seinem Neffen, der an der Reling stand und eine Pause machte.

„Hast du es ihr schon gesagt?“, fragte der ältere Mann.

Harrington trank die letzten, wenigen Schlucke aus seiner Flasche und antwortete: „Nein.“

„Ich denke, du solltest es jetzt tun.“

„Ich weiß, ...“, aber nicht wie, dachte Harrington den Satz zu Ende.

Was hält ihn nur davon ab?, fragte sich der Seemann.

Er sah in das Gesicht des jungen Mannes und ahnte, was der Grund dafür sein konnte. Angst. Die Angst, es falsch anzugehen. Mit nicht richtigen Worten Cassie noch mehr Angst einzujagen.

„Manchmal können so kleine Dinge so schwierig sein“, sagte Alan und merkte, wie sich sein Neffe bei den Worten verspannte.

Harrington war ein kühner Mann. Zeigte nie seine Gefühle. Und kannte kein Mitgefühl. Seine Art konnte Alan mit einem einzigen Wort bezeichnen und zwar mit - Hart -. Passend für seinen Job, als Captain. Doch das Mädchen war nicht sein Job. Sie war eine junge Frau. Eine Frau mit Gefühlen, die verletzt waren. Nur die Liebe kann ihre Wunden heilen. Und diese Liebe schuldete der Captain ihr. Aber vorher muss er sie selbst finden.

„Hier, versuch es damit.“

Harrington nahm das in papiereingewickelte Päckchen und fragte: „Was ist das?“

Er wollte es gerade öffnen, als Alan seine Hand darauf legte und ihn daran hinderte.

„Lass sie es tun. Es ist das Kleid deiner Mutter.“

Harrington nickte.

„So, und jetzt solltest du unbedingt zu ihr gehen, denn ihr habt nicht mehr viel Zeit.“

Als Harrington sich von der Reling entfernen wollte hörte er noch seinen Onkel sagen: „Warte, und nimm auch das noch mit. Es war einmal ein Geschenk deines Vaters an deine Mutter.“

Harrington sah in das kleine, braune Beutelchen hinein und entdeckte darin einen goldenen Ring mit einem roten Stein besetzt.

„Der Rubinring wird ausgezeichnet zu dem Kleid passen.“

Und er glaubte seinem Onkel.

***

Plötzlich ging die Tür auf und Cassie zuckte erschrocken zusammen. Sie erkannte den Captain sofort und senkte ihren Blick. Harrington merkte das, aber ließ sich nichts anmerken, stattdessen schloss er die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Cassie hatte den ganzen Tag auf diesen Moment gewartet. Mit großer Angst und einer Menge unbeantworteter Fragen, wie: Wird er mich frei lassen? Was Harrington nicht wusste, war, dass sie noch immer auf demselben Platz saß, wie vor einigen Stunden, als sein Onkel noch bei ihr war und noch länger.

Ein unangenehmes Schweigen herrschte in der Luft. Und Harrington fragte sich, wie er es brechen konnte. Auch, wie wird sie das auffassen, was ich ihr zu sagen habe?

Langsam kam er auf sie zu, das Geschenk hinter dem Rücken versteckt und stand eine Minute schweigend vor ihr. Ihr trauriger Anblick tat ihm leid. Langsam kamen ihm Zweifel, ob er das Richtige getan hat. Er hat ihr schon einmal wehgetan und zwar heute Nacht. Musste er es unbedingt noch ein zweites Mal tun, hier und jetzt? Ja! Ich tat es nur zu ihrem Besten. Und das muss sie jetzt erfahren, auch wenn ich ihr noch einmal das Herz breche, redete er sich ein. Wäre es nicht einfacher, wenn er ihr zu einer Flucht verholfen hätte? Zum Beispiel nach Südafrika oder in das ferne Amerika? Doch, natürlich. Für einen Feigling schon. Aber er wollte für seine Tat gerade stehen, wie sonst auch immer. Während er vor ihr so da stand merkte er, wie viel Mitleid er mit diesem Mädchen hatte. Für einen Mann hätte er nicht ein bisschen Mitleid übrig. Doch wie groß sein Mitleid für sie auch war, eine Entschuldigung für seine verhängnisvolle Tat kam ihm nicht in den Sinn. Dafür war er viel zu stolz.

Cassies Hände lagen auf dem Schoß und zitterten leicht. Ihr Kopf war leicht geneigt. Caleb sank in die Knie und versuchte ihr in die Augen zu sehen. Doch sie hinderte ihn daran, indem sie rasch das Gesicht von ihm abwandte. Glatte gold-blonde Haarsträhnen fielen ihr über das tiefe Dekolleté. Welch ein verführerischer Anblick!, dachte Harrington bei sich. Typisch, englische Mode.

Harrington hüstelte und wartete, bis sie ihr hübsches Gesicht zu ihm drehte, wie es sich gehört, wenn man miteinander spricht. Doch, als sie es immer noch nicht tat, legte er seine kräftige, raue Hand auf die Ihre und war überrascht, welch eine Wirkung sie in der nächsten Sekunde zeigte. Und dann sah er die Angst in ihren kristallblauen Augen. Dieselbe Angst, die er längst kannte. Um ihr so schnell wie möglich die Angst wieder zu nehmen überreichte er ihr das Geschenk im hellbraunen Papier eingewickelt.

„Hier, das ist für dich.“

Überrascht und unabsichtlich gefror ihr Blick auf seinem Gesicht. Noch nie hatte ein Schänder seinem Opfer etwas geschenkt. Warum tut er das?, fragte sich Cassie. Anstatt eine passende Antwort zu finden, fand sie, dass der Schuft vor ihr gut aussah. Eiskalte, blau-grüne Augen und schwarzes, kurzes Haar. Über der Oberlippe hatte er eine Narbe, die bis zu der kurzen, geraden Nase reichte. Obwohl er doppelt so alt war wie sie faszinierte sie sein Anblick. Noch nie habe ich einen so schönen Mann gesehen.

Als Cassie sich immer noch nicht rührte, legte er ihr das Geschenk auf den Schoß. Sofort kam Cassie zu sich und öffnete es. Während sie es vorsichtig öffnete bewunderte Harrington heimlich ihre Schönheit. Noch nie hatte er bisher so schöne, kristallblaue Augen gesehen, wie die von Cassie. Eine feine, gerade Nase und leicht gerötete Wangen. Ein Muss für jeden Künstler ihr schönes Gesicht auf einer Leinwand fest zu halten. Wie viele Männer werden mich dafür beneiden, dass du allein mir gehörst. Meine schöne Gemahlin. Bei dem Gedanken musste Harrington lächeln. Tja … , und da wären wir wieder. Die Stunde der Wahrheit. Und sein Lächeln verschwand wieder.

Cassie nahm den purpurroten Stoff vorsichtig in ihre Hände und faltete ihn auseinander. Entzückt leuchteten mit jedem Mal ihre Augen auf. Ein Kleid. Ein wirklich sehr schönes Kleid. Mit den Fingern fühlte sie seine Weichheit und Geschmeidigkeit.

Harrington sah ihr leichtes Lächeln und wusste, dass ihr das Kleid gefiel. Als seine Mutter das Kleid zum ersten Mal trug war sie fünfunddreißig Jahre alt. Längst eine erwachsene Frau. Und wie alt ist sie? Siebzehn, erinnerte er sich noch ganz verschwommen an den Zeitungsbericht vor einer Woche. Ein halbes Kind noch. Harrington schämte sich für seine Tat. Nun sag es endlich! Entschuldige dich für dein Vergehen, sagte ihm eine innere Stimme. Sonst wird es keinem von euch beiden leichter. Harrington fasste seinen ganzen Mut zusammen und öffnete den Mund, als Cassie ihn unerwartet mit ihrer Frage wieder schloss.

„Warum? Warum tun Sie das?“, und zeigte auf das Kleid.

Perfekt. Der Zeitpunkt ist wirklich perfekt. Jetzt musst du es ihr sagen, sonst …

Ihre kristallblauen Augen sahen ihn eindringlich an und Harrington verließ der Mut.

Diese Augen…

„Ich …“, er stockte und wand das Gesicht von ihr ab.

„Ich dachte, es wird dir gefallen.“

Cassie war überrascht diese Antwort zu hören. Alles hatte sie erwartet, nur nicht das. Aber noch viel mehr überraschte sie, wie schnell der Captain die Flucht ergriff. Wovor hat er nur Angst?, fragte sie sich.

Nur der Captain allein kannte die Antwort auf ihre Frage. … sie schreien nach der Wahrheit. Und für diese Wahrheit fand er keinen Mut. Feigling!, fluchte er.

„Ich warte draußen auf dich“, sagte er noch, ehe er die Tür hinter sich schloss.

Dann legte sie ihr goldenes Kleid ab und schlüpfte in das neue Kleid. Das purpurrote Kleid mit goldenen Fäden. Und es passte ihr wie angegossen. Ja, das wird ihm gefallen, stellte sie fest, als sie sich im großen, ovalen Spiegel mit kunstvollem, goldenem Rahmen betrachtete. Ihr Lächeln strahlte, beinahe zu echt. Obwohl Cassie Kleider liebte, wollte sich ihr Herz nicht hundertprozentig an dem Geschenk erfreuen. Sie seufzte. In diesem Moment ging die Tür auf und der Captain kam, ohne vorher anzuklopfen, herein. Ihm stockte der Atem, als er Cassie vor sich im purpurroten Kleid erblickte. Ihr gold-blondes, langes Haar fiel ihr lose über die Schultern. Fasziniert von ihrer Schönheit verschlug es ihm zunächst die Sprache. Ihre Blicke trafen sich. Eigentlich müsste ich ihm jetzt für das Kleid danken, erinnerte sich Cassie an das Gute Benehmen. Aber so einfach wollte es ihr nicht über die Lippen kommen. Wäre er jemand anders, dann, so war sich Cassie sicher, würde es mir viel leichter fallen. Zu schmerzhaft war noch die Erinnerung an die letzte Nacht.

„Du bist sehr schön!“, und damit meinte er sie nicht nur in dem Kleid.

Ein Traum jeden Mannes.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er ihr ein Kompliment gemacht hatte und errötete. Noch nie hatte er zuvor einem ein Kompliment gemacht, nicht einmal einer Frau. Wieso ausgerechnet jetzt? Nur Weicheier machen das.

„Danke“, sagte Cassie pflichtbewusst und ahnte nicht, was gerade in seinem Kopf vorging.

Anschließend senkte Cassie den Blick, aber nicht aus Verlegenheit. Und das rief Harrington ins Gedächtnis, weshalb er eigentlich zu ihr gekommen war.

„Komm, lass uns gehen! Unsere Kutsche wartet“, er streckte ihr seine Hand entgegen, wie es für einen Gentleman gehört, und wartete.

„Wohin wollen Sie mich bringen?“

Und er sah wieder die Angst in ihren schönen Augen.

„Keine Angst! Es wird dir nichts geschehen. Vertrau mir!“

Ja, das - Vertrau mir! - war gerade richtig, dachte Harrington mit einem Sarkasmus.

„Und mein Name ist Captain Caleb Harrington, aber du darfst zu mir Caleb sagen.“

Als Caleb sich ihr vorstellte lächelte er. Er ahnte nicht im Geringsten wie sein einfaches Lächeln ihr Herz verzauberte und den Wunsch in ihr weckte, ihm zu folgen. Und schon in der nächsten Minute saß sie mit ihm in der Kutsche. Ihr kam der Gedanke an eine Flucht. Doch, als sich Alan ihr gegenüber setzte verlor sich der Reiz.