Drei Tage aus zweiter Hand

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Drei Tage aus zweiter Hand
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Drei Tage aus zweiter Hand

1  Drei Tage aus zweiter Hand

2  [Tag 1 - Freitag]

3  [Tag 2 - Samstag]

4  [Tag 3 - Sonntag]

5  [Danach]

6  Impressum

Drei Tage aus zweiter Hand

Am Tag, als die Geschehnisse ins Rollen kamen, war Robert nur indirekt verantwortlich dafür, dass er zu spät zum Unterricht kam. Als Lehrer am Stadtteilgymnasium musste er nicht nur selbst zu jeder Unterrichtsstunde pünktlich erscheinen, sondern auch, in seiner Vorbildfunktion als Erwachsener und Lehrer, immer wieder seine Schüler und Schülerinnen erinnern, wie wichtig Pünktlichkeit im Leben war. Dass ihm dabei im Prinzip niemand zuhörte, er jedoch trotzdem immer wieder beharrlich diese paar Sätze predigte, ließ ihn irgendwann die Vermutung anstellen, dass er eigentlich sich selbst ansprach, weil Pünktlichkeit für ihn ein täglicher Kampf war, besonders was die erste Stunde anbelangte.

Direkt Schuld an seinem Zuspätkommen am Morgen war seine Uhr, die in der Nacht stehen geblieben war und ihn deshalb nicht geweckt hatte. Es war eine Armbanduhr, die er von seinem Vater zu seinem 18. Geburtstag geschenkt bekommen hatte.

Das Design war relativ schlicht. Ziffernblatt, Zeiger und ein kleines Feld, das den Wochentag anzeigte. Als versteckte Besonderheit war jedoch ein kleiner Wecker integriert, der eine bekannte Melodie aus der Oper „Carmen“ von Georges Bizet abspielte. Damals überreichte sein Vater ihm die Uhr mit den Sätzen: „Sohn, hier ist ein Geschenk, das dir das Leben erleichtern wird. Und vergiss nicht, Pünktlichkeit ist eine Tugend!“ Abgesehen von den Worten seines Vaters, mochte er die Uhr von Beginn an.

Jeden Morgen freute er sich über die rollenden Opernklänge, auch wenn es lange gedauert hatte, bis er beim Erklingen der Melodie nicht mehr an seinem Vater denken musste. Eigentlich wusste Robert dass, wenn der Sekundenzeiger immer öfter an einer Stelle hängen blieb, er die Batterie auswechseln musste. Ihm war aufgefallen, dass dies schon hin und wieder passierte, und die Batterie stand auf seiner Einkaufsliste als „dringend“ gekennzeichnet.

Aber die letzten Wochen waren die Hölle gewesen. Nächste Woche würden die Sommerferien beginnen. Die vergangenen vierzehn Tage hatte er, Abend für Abend und sogar noch am Wochenende, Klausuren korrigiert, Zeugnisnoten vergeben, wieder abgeändert, sich völlig unnötig über das Verhalten des einen oder anderen Schülers oder Schülerin den Kopf zerbrochen und die Versetzung von zwei seiner Schäfchen in einem Hin und Her abgewogen. Gerade während dieser zähen Stunden am Schreibtisch, hatte er oft seine Uhr betrachtet und bemerkt, dass der Sekundenzeiger immer wieder kurz hängen geblieben war.

Jetzt lief er schnellen Schrittes zum Uhrmacher. Heute Abend würde ein wichtiges Essen mit seiner Familie stattfinden, zu dem er unter keinen Umständen zu spät kommen durfte. Er musste die Batterie für seine Uhr besorgen und später in der Stadt für die Festlichkeiten noch eine neue extravagante Krawatte erstehen.

Sein Vater war letzte Woche pensioniert worden. Selbstverständlich schaute er auf Jahre des beruflichen Erfolges zurück. Er war, wie Robert selbst, Lehrer und zudem noch Rektor an einem der bekanntesten Gymnasien der Stadt gewesen, hochgeschätzt vom Kollegium, sicherlich unter Tränen seiner langjährigen Sekretärin am letzten Donnerstag verabschiedet.

Heute nun sollte eine kleine Feier stattfinden. Aber was gab es zu feiern? Robert konnte sich vorstellen, dass sein Vater mit Schrecken diesem Tag entgegengesehen hatte, denn wer war er schon ohne seine Arbeit? Was würde er, außer sich in seiner Bibliothek verschanzen, mit den verbleibenden Tagen seines Lebens anfangen? Und wie würde seine Mutter damit leben?

Robert betrat den kleinen Uhrenladen, der seit mehreren Jahrzehnten diese Straßenecke schmückte. Es war sein erster Besuch dort. Seine Uhr brauchte nicht häufig einen Batteriewechsel, und das letzte Mal hatte er sie im Urlaub in Irland ersetzen müssen. Der Verkaufsraum war winzig und bis zur Decke mit Uhren aller Art verziert. Die Wände waren teils vertäfelt, teils in lila gestrichen, was dem alteingesessenen Laden irgendwie eine moderne Note gab. Der Verkaufstisch war ebenfalls lila. In der Mitte des Raumes stand ein kleiner Glasschaukasten, der rechts und links mit zwei Barhockern geschmückt war – in lila. Der graue Teppichboden passte nur halb dazu und machte, dass der Raum gedrungen, aber auch gemütlich wirkte.

Über den Verkaufstisch hinweg, konnte Robert in die kleine Werkstatt schauen, in der Reparaturen durchgeführt wurden. Ein kleines Uhrenhospital, doch wo war der Chefarzt? Eine kleine, ältere Frau bog um die Ecke. Sie begrüßte ihn und erkundigte sich nach seinen Wünschen. „Ich brauche eine neue Batterie für meine Armbanduhr.“ Robert nahm die Uhr ab und reichte sie ihr. „Davon gibt es genügend hier. Mal schauen, was das Schätzchen für eine Batterie benötigt“, antwortete die Dame, nahm vorsichtig die Uhr und drehte sie auf den Bauch. Dann setzte sie eine Brille auf, auf deren rechtem Glas eine Lupe saß. Die Lupe war anscheinend so schwer, dass der Brillenbügel auf der linken Seite nach oben gehoben wurde und sich zu Seite stellte. Die gesamte Last der Brille wurde vom rechten Bügel getragen. Robert betrachtete die Frau und blieb mit seinem Blick an ihrem grauen Haar hängen. Es sah drahtig aus. Er war sich sicher, dass es sich um eine Perücke handelte. Aber warum grau, wenn sie schon eine Perücke benutzte? Weiter hinten an der Wand, die den Verkaufsraum von der Werkstatt teilte, las er den eingerahmten Meisterbrief, mit dem Namen der Meisterin und dem Datum ihrer Meisterprüfung. Er beschloss, dass rote Haare angesichts dieses fortgeschrittenen Alters reichlich unpassend gewesen wären.

Als er seinen Blick wieder senkte, bemerkte Robert, dass die Frau ihn beobachtete. „Ganz schön zerkratzt Ihre Uhr, und im Inneren hat jemand ziemlich viele Fingerabdrücke hinterlassen.“ „Das war ich nicht“, erwiderte Robert schnell, so als hätte er eine Rüge von seiner Mutter erteilt bekommen. „Das letzte Mal wurde die Batterie auf einer Reise nach Irland gewechselt.“ „Pfuscher, ein Verbrechen ist das, so etwas macht man nicht“, murmelte die Uhrenmeisterin professionell. Sie holte aus einer Schublade unter dem Verkaufstisch eine verpackte neue Batterie, die sie geschickt aus der Verpackung heraus drückte und mit einer Pinzette in Roberts Armbanduhr einsetzte. Die Zeiger bewegten sich nicht. Robert wurde unruhig. Was war mit seiner Uhr? Er schaute die Meisterin an und versuchte aus ihrem Blick zu lesen, welche Ursachen das beharrliche Feststehen der Zeiger haben könnte und vor allem, welche Maßnahmen sie einleiten würde, um dies zu beheben. Sie nahm die Uhr und ging in die Werkstatt.

Der Arbeitsraum war so klein, dass ihr Rücken noch zu sehen war als sie, das Gesicht zur Wand gerichtet, ein Gerät einschaltete. Das Scheppern von Metall auf Metall trieb Robert eine Gänsehaut über den Körper. Was passierte mit seiner Uhr? „Ist alles in Ordnung?“, fragte er zaghaft. „Ich versuche Ihre Uhr wieder zu beleben.“ Nach ein paar Sekunden kam sie zurück und reichte ihm mit zufriedenem Blick die Uhr. Sie erklärte ihm, dass die Reanimation gelungen sei. Sie hatte die Zeiger mit einem Magnetfeld wieder zum Laufen gebracht. Robert strahlte. „Warten Sie, ich stelle sie Ihnen noch ein.“ Offensichtlich waren Uhren wirklich ihre Leidenschaft.

Robert legte sich seine Uhr um und schaute sie an. Siebzehn Uhr. Wie konnte das sein? Er schaute verstört im Laden umher, um auf den anderen Uhren die richtige Uhrzeit abzulesen. Alle zeigten siebzehn Uhr. „Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Zeit eingestellt haben?“, er war peinlich berührt, eine Uhrenexpertin so etwas fragen zu müssen. „Selbstverständlich“, antwortete sie und verlangte das Geld für die Batterie von Robert. Er verließ verstört den Laden. Wie sollte er nun schaffen, noch die Krawatte zu besorgen?

[Tag 1 - Freitag]

Er betrat nervös die Straße. Mit dem Bus brauchte er mindestens eine halbe Stunde, dann wieder zurück. Mit dem Taxi würde es um diese Uhrzeit auch nicht schneller gehen. Es war hoffnungslos. Wo war bloß die Zeit geblieben? Er zweifelte an sich. War er so unkonzentriert durch den Tag gegangen? Hatte er überhaupt alle Unterrichtsstunden gehalten? Er schwitzte. Die Luft war dick und roch nach Abgasen. Beunruhigt lief er weiter, konzentriert einen Ausweg aus seiner zeitengen Situation zu finden. Im Augenwinkel sah Robert plötzlich zwei männliche Schaufensterpuppen vorbei ziehen. Natürlich zog in Wirklichkeit er an ihnen vorbei. Den Laden hatte er noch nie bemerkt, obwohl er seit drei Jahren hier in diesem Viertel wohnte und noch länger hier arbeitete. „Second hand - Elegante Mode für IHN aus zweiter Hand“ las er.

Robert sah wieder Land. Schnell musterte er die beiden Schaufensterpuppen ein wenig genauer, um zu beurteilen, ob er etwas nach seinem Geschmack finden könnte. Eine neue auffällige Krawatte und vielleicht sogar ein schickes Hemd dazu, das würde seinen Vater freuen. Der war nämlich ein Krawattenliebhaber und Robert würde sich alle Mühe geben, etwas nach seinem Geschmack zu finden. Mal schauen, was sich machen ließ.

 

Über zwei Stufen betrat er einen relativ dunklen Raum, in dem mittig eng zusammengestellt mehrere runde Kleiderständer standen. Einige Regale schmückten die Außenwände, bestückt mit Pullovern und Poloshirts. In einer Ecke türmte sich ein meterhohes Schuhregal, mit Schuhen aller Art. Vom Turnschuh bis zum eleganten Lederschuh war alles dabei. Auch die Fenster waren mit länglichen Ständern zugestellt, an dem Mäntel und Jacken den Blick auf die beiden Schaufensterpuppen verdeckten. Robert suchte mit seinem Blick die Ständer nach Krawatten ab. Die Verkäuferin, eine Dame in den Fünfzigern mit blondem, gelocktem Haar, sah aus dem Gespräch mit einem Kunden auf und bemerkte seinen suchenden Blick. Aus einiger Entfernung signalisierte sie, dass sie eigentlich den Herrn mit schütterem Haar beriet. Nichtsdestotrotz fragte sie ihn über die Kleiderständer hinweg, ob er etwas Bestimmtes suche. Ja! Krawatten: Extravagante. Sie lächelte. „Schauen Sie, dort in der Kommode, dort liegen Krawatten, auch extravagante, zusammen mit den nicht ganz so extravaganten und den überhaupt nicht extravaganten.“ Anscheinend war sie die einzige Verkäuferin, denn sie bemühte sich nicht, Verstärkung zu rufen. Ehrlich gesagt hätte eine weitere Verkäuferin auch den Laden gesprengt. Beim Verkaufen hätten sich zwei Verkäuferinnen hier sicher andauernd gegenseitig auf die Füße getreten. Das wäre nicht gut fürs Betriebsklima.

Robert schielte zu der Kommode, auf die die Verkäuferin gezeigt hatte. Mit ihren langen fein angemalten Fingernägeln hatte sie ihm den Weg zu den Krawatten gewiesen. Wenn die Krawatten so extravagant wie ihre Nägel waren, wäre ihm geholfen. Er kämpfte sich den Weg durch die vielen Ständer mit Hemden frei, erblickte immer mal wieder durch eine Lücke die Schaufensterpuppen, grüßte und dankte ihnen nochmals, dass sie ihn so nett auf den Laden aufmerksam gemacht hatten. Als er dem Ständer mit den Anzügen näher kam, sah er daneben die Krawatten einzeln aufgerollt, in unterschiedlich weit aufgezogenen Schubladen der Kommode liegen. Es waren ungefähr hundert. Ein Meer an Farben begrüßte ihn. Auch hier gab es wieder alles: Von einfarbig über zweifarbig bis multicolor, gestreift, gemustert, aus Leder, Wolle, Jeans, schmal oder breit, kurz oder lang. Da musste was dabei sein.

Robert selbst war im Grunde seines Wesens kein Krawattenträger. Er fand es irrsinnig, dass Menschen sich freiwillig eine Schlinge um den Hals legten. Nur um seinen Vater milde zu stimmen, hatte er beschlossen, für den heutigen Abend in neue Garderobe zu investieren. Robert ließ seinen Blick über die Vielfalt gleiten, drehte und wendete die eine oder andere Krawatte und versuchte sie mit dem Auge seines Vaters zu bewerten. Ein Problem dabei war, dass Robert den Geschmack seines Vaters verabscheute. Diese Tatsache ließ ihn schließlich die Schubladen gekonnt nach Krawatten absuchen, die ihm ganz und gar nicht gefielen. Da hielt er eine dunkelblaue Krawatte aus Wildleder in der Hand. Ein winziger Fettfleck zierte sie an der rechten unteren Seite. Ihm war als hätte er sie schon einmal gesehen. War das nicht die Krawatte von Felix, dem Freund seines Vaters?

Felix und sein Vater hatten sich beim Elternabend kennengelernt, damals war Robert selbst noch ein kleiner Junge gewesen. Felix und seine Frau Ina hatten einen Sohn in Roberts Alter, Frank, der lange Zeit sein Klassenkamerad gewesen war. Frank war zum Leidwesen seines Vaters Friseur geworden und hatte einen kleinen Salon in der Nähe von Roberts Schule eröffnet. Sehr erfolgreich hatte Frank seine Meisterausbildung abgeschlossen und Fortbildungen in Frankreich und den USA absolviert. Schon einige Monate nach Eröffnung stürmte die gesamte Schickimicki-Szene der Stadt seinen Salon, nicht nur, um sich frisieren zu lassen, sondern auch um Englisch und Französisch mit Frank zu üben. Robert dachte an Frank, der seinem Vater Felix - Richter am hiesigen Sozialgericht - nichts recht machen konnte. Frank hatte sehr darunter gelitten und Robert bewunderte ihn dafür, dass er seinem eigenen Weg gefolgt war.

Er erinnerte sich wie Frank und er als Kinder einmal vor Wut auf Felix, damals unwissend um die Brisanz der Aktion, eine Packung Silvesterknaller zusammen mit einem Brief in einen Umschlag getan und diesen an das Büro von Felix geschickt hatten. Einen Tag lang hatten sie sich kichernd vorgestellt, welchen Schrecken sie Felix einjagen würden, wenn er die Knaller sah und den Brief mit dem Wort „Boom“ lesen würde.

An diesem Tag waren drei Einsatzwagen der Polizei, ein Oberkommissar der Kripo und mehrere Sprengstoffexperten im Gericht eingetroffen, um den Ernst der Lage zu beurteilen. Felix Mutter Ina war damals sogar in psychologischer Behandlung gewesen. Frank durfte mehrere Wochen nur in Begleitung seiner Eltern das Haus verlassen und hatte die Schule gewechselt. Das war dann nicht mehr so witzig, weder für Frank noch für Robert, da sie sich kaum noch treffen konnten. Niemand hatte jemals erfahren, dass sie damals die Knaller geschickt hatten. Robert und Frank hatten nie wieder darüber gesprochen, hatten die Sache totgeschwiegen und irgendwann schließlich vergessen. Während ihrer Jugend sahen sie sich nur noch selten, immer dann, wenn ihre Eltern sich zu viert trafen, was nach dem Vorfall im Gericht nicht mehr all zu oft vorkam. Aber Roberts Bruder Julius hatte ihm erzählt, dass er Frank hin und wieder sah, und dass es ihm gut ging.

Robert betrachtete also die blaue Krawatte und hatte das Bild von Felix vor Augen, der gerade einen Tropfen Bratensoße auf das an ihm hängende Leder gespritzt hatte. So alt war diese Krawatte schon, dachte er, denn die Bratensoßenspritzersituation ereignete sich am 50. Geburtstag seines Vaters. Felix und Ina waren dort gewesen. Ina hatte sich furchtbar über die Spritzer aufgeregt. Erst als Roberts Vater den Kommentar fallen ließ, dass der Fettpunkt die Krawatte individuell werden ließe, hatte Ina gelächelt und von Felix abgelassen. Das war das erste Mal gewesen, dass sein Vater mit einem nett gemeinten Satz und nicht mit Härte eine Problemsituation aufgelöst hatte. Robert war damals beeindruckt zurückgeblieben. Wahrscheinlich hatte er nur aus diesem Grund die Lederkrawatte nicht vergessen.

Er beschloss, diese zu kaufen. Die Idee, noch ein neues Hemd zu suchen, verwarf er. Die individuelle Krawatte musste genügen, um den Vater gut zu stimmen. Denn Robert war sich sicher, dass auch sein Vater sich an die Krawatte erinnern würde und an die Tatsache, dass sie seinem Freund Felix gehört hatte. Zufrieden zahlte er bei der Verkäuferin mit den auffälligen Fingernägeln, welche ihn ein wenig entschuldigend ansah, um so ihr Bedauern auszudrücken, sich nicht um ihn gekümmert zu haben. Sie betrachtete die Krawatte und ließ daraufhin, mit dem Kommentar, dass diese nicht mehr so ganz neu sei, noch ein wenig den Preis nach. Entspannt verließ Robert den Laden und machte sich auf den Nachhauseweg. Mit seiner neuen alten Krawatte.

Seine Wohnung hatte Robert glücklicherweise ganz in der Nähe der Schule gefunden. So konnte er morgens bequem zu Fuß zur Arbeit gehen und musste sich nicht in den Bus quetschen oder im Stau stehen. Die Miete hielt sich in Grenzen, und seine 65 qm hätten ihm vollkommen ausgereicht, wenn nicht aufgrund eines unschönen Zwischenfall eines Tages vor ein paar Monaten, seine Freundin Isabel bei ihm eingezogen wäre. Damals waren sie schon einige Zeit ein Paar gewesen, jedoch schliefen sie meistens getrennt, weil jeder die eigenen vier Wände liebte und ihre Tagesrhythmen relativ unterschiedlich waren. Robert musste früh zu Schule, die erste Stunde begann um zehn vor acht. Isabel hingegen öffnete die Galerie, in der sie arbeitete, erst um elf Uhr. Montags blieb diese sogar ganztägig geschlossen. Abends las Robert gern einen Roman oder Kurzgeschichten. Seine Freundin hingegen war häufig unterwegs, um sich mit Freunden in Kneipen, Bars oder Tanzlokalen zu treffen. Es war nicht so, dass Robert ein Langweiler war und nie mit ihr zog. Meistens jedoch eher am Wochenende. Robert war dieses Jahr vierzig geworden. Ihm fiel es einfach nicht mehr so leicht, abends zu feiern und morgens konzentriert Unterricht zu geben. Und diesen Anspruch hatte er mittlerweile an sich. Isabel jedoch durfte morgens länger schlafen. Wenn sie den Laden erst nach elf Uhr aufschloss, bekam sie deswegen auch keine Probleme. Außerdem hatte sie ein Talent, ihr Make-up so makellos aufzutragen dass, selbst wenn sie drei Nächte nicht schlafen würde, man es zumindest ihrem Gesicht nicht ansehen konnte.

Isabel hatte die Galerie von ihrem Onkel Hektor übernommen. Es waren drei große Räume, die über kleine Treppen elegant miteinander im Kreis verbunden waren. Dort organisierte Isabel nun seit vier Jahren Ausstellungen von lokalen bis hin zu internationalen mehr oder weniger bekannten Malern und Bildhauern. Manchmal fanden auch Konzerte statt. Immer wieder wurde sie dabei von Hektor beraten, der viel Erfahrung und Kontakte in der Kunstszene hatte, sich jedoch freiwillig aus der Galerie zurückgezogen hatte, um einen internationalen Obstgroßhandel zu eröffnen. Er hatte die Künstler sattgehabt. Die Galerie lief gut, denn Isabel konnte sich offensichtlich problemlos, pausenlos neue teure Klamotten erstehen. Nie sah er sie zwei Tage im selben Kleid oder mit demselben Mantel. Er hatte eine äußert schicke und anspruchsvolle Freundin. Das machte ihn einerseits stolz, denn Isabel wurde, egal wohin sie kam, bewundert und bestaunt. Andererseits setzte es ihn unter Druck, da er selbst nur einen zwei Meter breiten Kleiderschrank besaß, der dazu nicht einmal vollständig gefüllt war.

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