Loe raamatut: «Feigling oder Führungskraft?», lehekülg 3

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Typisch Feigling: Hinhaltetaktik

So widerspruchslos Herr Anders das Ausbleiben einer zugesagten Beförderung hingenommen hatte, so widerspruchslos nahm Frau Kunze die Aussage ihres Chefs hin. Seit sechs Jahren arbeitete sie in Teilzeit als Sachbearbeiterin im Vertragsmanagement eines Energieunternehmens. Nach der Trennung von ihrem Mann lebte sie nun mit ihren beiden Kindern alleine und war darauf angewiesen, ihre Einkommenssituation zu verbessern. Also fragte sie ihren Vorgesetzten, ob sie ihre Teilzeitstelle auf eine Vollzeitstelle ausweiten könne. Ihr Vorgesetzter meinte, dies sei momentan im Unternehmen grundsätzlich schwierig, da Personalkosten reduziert werden sollten. Er müsse einen günstigen Zeitpunkt abwarten, dann würde er vorsichtig nachfragen. Doch: Kein Bild, kein Ton kam dazu von Frau Kunzes Vorgesetztem. Stattdessen hörte sie aus der Nachbarabteilung, dass einer Mitarbeiterin eine Vollzeitstelle genehmigt wurde und deren Chef sich sehr dafür eingesetzt hatte. Überhaupt lief in der Nachbarabteilung einiges anders: Die Mitarbeiter waren oft deutlich besser und schneller über Themen im Unternehmen informiert, und der Leiter der Abteilung war bekannt dafür, dass er seine Leute in gute Positionen weiterentwickelte. Es war bestimmt nicht einfach, mit der Kritik umzugehen, die dieser Leiter seinen Mitarbeitern stets zukommen ließ, sobald ihm ein zu optimierendes Verhalten aufgefallen war. Aber das war allemal besser, als nie irgendeine Rückmeldung zu bekommen. So wie Frau Kunze es bei ihrem Vorgesetzten erlebte.

Den perfekten Chef gibt es nicht – das wusste auch Frau Kunze. Aber ein Chef, der ständig »günstige Zeitpunkte brauchte, um vorsichtig etwas anzusprechen«, war nun wirklich nicht ernst zu nehmen. Letztlich hat Frau Kunze das Unternehmen enttäuscht verlassen, um woanders eine Vollzeitstelle anzunehmen. Schade – eine gute Mitarbeiterin, die eine Konsequenz aus der Feigheit ihres Vorgesetzten gezogen hat.

Führungskräfte geben klare Antworten

Als Führungskraft geht es keineswegs darum, den Mitarbeitern jeden Wunsch zu erfüllen. Das war sicherlich auch nicht die Erwartungshaltung von Frau Kunze. Auf jeden Fall wäre es wichtig und sinnvoll gewesen, ihr Anliegen ernst zu nehmen und an den nächsthöheren Vorgesetzten und /oder die Personalabteilung weiterzugeben. Somit hätte die Überlegung zu einer Vollzeitstelle auf breiterer Ebene stattfinden können – möglicherweise mit dem Ergebnis der Versetzung in eine andere Abteilung. Vielleicht wäre das Anliegen von Frau Kunze auch auf Ablehnung gestoßen. Wie auch immer ihre Frage nach einer Vollzeitstelle beantwortet worden wäre, sie hätte eine Antwort erhalten: ein klares Ja oder Nein oder die Angabe eines Termins, zu dem ihr eine Vollzeitstelle hätte angeboten werden können. Doch am Ende gab es lauter Widersprüche: Frau Kunze erfuhr von ihrer Kollegin, dass diese nun eine Vollzeitstelle besetzte. Und das, obwohl Frau Kunze doch gesagt worden war, momentan müssten Personalkosten reduziert werden. Ihr Wunsch käme daher zum falschen Zeitpunkt. Was stimmte denn nun? Schlimm, dass sich die Mitarbeiterin die Wahrheitsfrage überhaupt stellen musste. Noch schlimmer aber war, dass sie keinen Sinn darin sah, ihrem Vorgesetzten diese Frage zu stellen – und das Unternehmen verließ. Denn sie wusste, dass Feiglinge niemals klare Antworten geben.

Das ist leider typisch: Für Feiglinge gibt es einfach keinen richtigen Zeitpunkt, aus ihrer Sicht Unangenehmes anzusprechen. Daher schieben sie wichtige Themen vor sich her, bis sie sich entweder von selbst erledigt haben oder andere sie für sie erledigen. Angemessenes Führungsverhalten bewirkt Klarheit, Feiglinge produzieren Nebel und dicke Luft. Feiges Verhalten zu identifizieren und zu kritisieren ist im Übrigen die Aufgabe des nächsthöheren Vorgesetzten, nicht die der Mitarbeiter.

Von vorgesetzter Führung und führenden Vorgesetzten

Oft erlebe ich, dass die Begriffe »Vorgesetzter« und »Führungskraft« gleichbedeutend verwendet werden. Wenn wir uns die Worte genau anschauen, meinen sie aber keinesfalls das Gleiche.

Vorgesetzte sind nicht automatisch Führungskräfte

Stellen Sie sich vor, Sie übernehmen morgen eine neue Abteilung. Dieser werden Sie also buchstäblich vorgesetzt, es sei denn, die Mitarbeiter hätten sich Sie als Chef ausgesucht. Trotz allen Fortschritts in der Personalarbeit ist das sicherlich unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher und üblich ist es, dass die Mitarbeiter irgendwann im Vorwege Ihrer Stellenübernahme die Information erhalten, dass sie ab Datum X einen neuen Vorgesetzten bekommen werden. Ab diesem Tag prägen Sie mit Ihrem Verhalten die Arbeitsbeziehung zu Ihren Mitarbeitern und das Miteinander wird darüber entscheiden, ob Sie als Vorgesetzter oder als Führungskraft gesehen werden.

Die Führungskraft – emotional akzeptierter Leitwolf

Führen impliziert, dass Ihre Mitarbeiter Ihnen folgen. Tun sie das? Und woran erkennen Sie, dass Ihre Mitarbeiter Ihnen tatsächlich folgen? Sich führen zu lassen ist zum großen Teil ein Sich-Einlassen auf einen Menschen, nicht zuletzt emotional. Es bedingt das Vertrauen in die Kompetenz und Verlässlichkeit der Person, die den Führungsanspruch erhebt.

Aus dem Vertrauen erwächst die Bereitschaft, manchmal sogar die Freude, mit diesem Menschen zusammenzuarbeiten und sich für dessen Ziele zu engagieren. Eine Führungskraft, die in das Vertrauen ihrer Mitarbeiter investiert, zeigt immer auch Mut und Ehrlichkeit in der eigenen Positionierung. Wenn die Arbeitsbeziehung endet, zum Beispiel, weil die Führungskraft sich beruflich verändert, reagieren die Mitarbeiter betroffen, oft sogar mit Traurigkeit und Bedauern.

Der Vorgesetzte – kognitiv akzeptiertes Schaf im Wolfspelz

Wenn die Entwicklung vom Vorgesetzten zur Führungskraft nicht gelingt, arbeitet das Team lediglich mit dem Vorgesetzten zusammen, weil ihm nichts anderes übrig bleibt, weil es eine von außen angewiesene, vorgeschriebene Ordnung so erfordert. Wenn das Verhalten des Vorgesetzten zu belastend wird, bleibt Mitarbeitern häufig nur noch die Kündigung. Wir alle kennen den Spruch: »Mitarbeiter trennen sich nicht vom Unternehmen, sondern von ihrem Chef.«

Interessanterweise, nach einigem Nachdenken jedoch wenig überraschend, finden sich viele Feiglinge unter den Vorgesetzten. Sicherlich kennen Sie das Phänomen in Unternehmen, dass es Abteilungsleiter, Bereichsleiter oder Vorstände gibt, mit denen kaum jemand zusammenarbeiten möchte. Dort gehen einfach keine internen Bewerbungen ein, obwohl die ausgeschriebenen Stellen grundsätzlich attraktiv sind. Gott sei Dank gibt es aber auch den umgekehrten Fall: Da nehmen Mitarbeiter durchaus längere Anfahrtswege in Kauf, um mit einem bestimmten Abteilungsleiter zusammenzuarbeiten. Die Positionen in der Abteilung sind sehr beliebt und es hagelt Bewerbungen, wenn Vakanzen ausgeschrieben werden.

Wirkliche Führungskräfte haben Follower, manche sogar regelrechte Fans. Die Mitarbeiter folgen ihnen, indem sie sich für das gemeinsame Ziel engagieren.


Emotional akzeptiert werden – warum gelingt das nicht allen Stelleninhabern mit Führungsverantwortung? Weil nicht alle über ein ausreichendes Maß an Wollen (Motivation) und Können (Fähigkeit) verfügen.

Wollen und Können

Das Wollen beschreibt die Motivation von Menschen, Führungsfunktionen zu übernehmen. Es gibt einige, die nicht Führungskraft sein wollen. Sie werden nicht primär von dem Wunsch zu führen getrieben, sondern es liegen andere Motive hinter der Entscheidung: Vielleicht konnten sie nicht Nein sagen, als man ihnen die Stelle als Abteilungsleiter anbot. Oder es geht ihnen um den Status der Leitungsfunktion und der Posten als Abteilungs- oder gar Bereichsleiter ist für sie eine Prestigefrage. Dann definieren sie sich über die Streifen auf der Schulter und investieren eher in die Beziehungen nach oben als in die Beziehungen zu ihren Mitarbeitern. Letztere sind für sie in erster Linie Funktionsträger, die im Bedarfsfall austauschbar sind. Zwischenmenschliche Aspekte sind weniger wichtig.

Führungskräfte wollen und können führen

Der zweite Aspekt ist der des Könnens: Es fehlt an Führungskompetenz oder an der nötigen Erfahrung, um die Arbeitsbeziehungen zu den Mitarbeitern positiv zu gestalten.

Wenn Sie feststellen, dass die Anfangszeit in Ihrer neuen Führungsaufgabe, aus welchen Gründen auch immer, holperig verläuft, holen Sie sich Unterstützung oder Rat – bei erfahrenen Führungskräften oder externen Experten. Es ist keine Schande, sich einzugestehen, in seiner neuen Führungsrolle noch nicht hundertprozentig sicher zu sein.

»Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne« – das gilt auch für neue Führungsbeziehungen. Sobald Sie Ihre Mitarbeiter von Ihrem Wollen und Können überzeugen, folgen sie Ihnen und erkennen Sie als Führungskraft an. Sie werden es an den Leistungen feststellen!

Für den schnellen Leser:

Feiges und mutiges Verhalten basiert auf einer Entscheidung, die jederzeit veränderbar ist.

Relevant für die Entscheidung sind die eigene Persönlichkeit sowie gesammelte Erfahrungen als Mitarbeiter und /oder Führender.

Reflektierte Persönlichkeiten mit positiven Erfahrungen zeigen eher mutiges Verhalten.

Unreflektierte Persönlichkeiten mit negativen Erfahrungen tendieren zu feigem Verhalten.

Selbstreflexion ist ein regelmäßiges To-do für Führungskräfte.

Der Feigling im Unternehmen hat Angst, durch klare Positionierung seinen Job sowie die Sympathie anderer zu gefährden.

Mutige Führungskräfte positionieren sich und fordern ihre Mitarbeiter zu klarer Positionierung auf.

Es gibt typische Verhaltensweisen und Ausdrucksformen feiger Vorgesetzter und mutiger Führungskräfte.

Der Taktiker geht sehr zielorientiert vor und überlegt, wem er was wann sagt.

Das Verhalten des Taktikers ist das Ergebnis seiner Überlegungen, das Verhalten des Feiglings ist das Ergebnis seiner Angst.

Feiges Verhalten zu identifizieren und zu kritisieren ist eine Führungsaufgabe.

Vorgesetzte sind Vor-Gesetzte. Sie werden keine Führungskraft, solange ihnen die emotionale Akzeptanz ihrer Mitarbeiter fehlt.

Führungskräfte gewinnen emotionale Akzeptanz, indem sie ihre Mitarbeiter durch ihre Motivation (Wollen) und ihre Führungskompetenz (Können) überzeugen.

2. Das Phänomen FEIGHEIT


Feigheit gilt keinesfalls als Tugend. Und doch bestimmt sie das Verhalten vieler Mitarbeiter und Führungskräfte. Ihre Arbeitswelt ist komplex und von rasanter Veränderungsgeschwindigkeit, hoher Kostensensibilität, anspruchsvollen Unternehmenszielen, internationalem Wettbewerb sowie schnell wechselnden Ansprechpartnern gekennzeichnet.

In vielen Unternehmen herrscht Angst vor Fehlern

Das Zusammenspiel der genannten Faktoren produziert Angst davor, einen Fehler zu machen, falsche Entscheidungen zu treffen oder es sich mit wichtigen Leuten zu verscherzen. Wer diese Angst nicht überwindet, wird zum Feigling. Er weiß oft ganz genau, was richtig und angemessen ist, traut sich aber nicht, das entsprechende Verhalten zu zeigen. Feiges Verhalten ist sicherlich Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, doch das jeweilige Unternehmen nimmt mit seiner Kultur einen erheblichen Einfluss auf die Anzahl der Feiglinge und Führungskräfte im System. Wie geht das Unternehmen mit Fehlern um? Wie wird Ehrlichkeit belohnt und Offenheit gefördert? Welche Feedbackinstrumente werden wie eingesetzt? Ist das Miteinander eher von Vertrauen oder von Misstrauen gekennzeichnet? Das Phänomen Feigheit hat viele breite, verwachsene Wurzeln, deren Wuchern gestoppt werden muss, wenn Unternehmen erfolgreich sein wollen.

Wie das System Feiglinge produziert
Mitarbeiter mit eigener Meinung? Unerwünscht!

Viele Führungspersonen scheinen eine wahre Freude daran zu haben, anderes zu sagen, als sie meinen, und erst recht, anderes zu sagen, als sie tun. Als wichtig erachten sie das, was sie selbst sagen. Hierarchisch »Untergebene« werden zu Befehlsempfängern degradiert und ihre Sichtweisen interessieren nicht – sie stören sogar eher. Da werden zum Beispiel Managementkonferenzen einberufen, die häufig zu definierten Kommunikationsstandards eines Unternehmens gehören und in der Regel mindestens halbjährlich, oft auch quartalsweise stattfinden. Veranstalter ist das Topmanagement, also Vorstände und Geschäftsführer, die ihre direkt unterstellten Führungskräfte einladen. Was für eine Chance! Da kommen die Menschen zusammen, deren Hauptaufgabe darin besteht, das Unternehmen maßgeblich zu lenken und zu steuern, um die Weichen für Erfolg zu stellen und Synergien zu erzeugen. Viele der geladenen Führungskräfte nehmen dafür weite Anfahrtswege auf sich, treten die Reise aber bereits mit gemischten Gefühlen an. Schließlich haben sie dieses zeitraubende und oft ineffektive Prozedere schon mehrfach erlebt.

So auch Herr Meier, Vertriebsleiter eines Finanzdienstleisters. Er verantwortete die Region Süd mit rund 2000 Mitarbeitern und hatte seinen Dienstsitz in München. Am nächsten Tag fand die Jahresauftaktveranstaltung in der Zentrale statt. Um rechtzeitig in Frankfurt zu sein, hatte Herr Meier den ersten Flug um 6.05 Uhr gebucht. Die Agenda für die Konferenz las sich vielversprechend: Rückblick auf das abgelaufene Geschäftsjahr, strategische Schwerpunkte für das laufende Jahr, Präsentation und Diskussion zentralseitig konzipierter Vertriebsmaßnahmen. Das Programm war eng getaktet und ließ bedauerlicherweise schon im Vorfeld keinen Raum für Diskussion erkennen. Mit Blick auf die wichtigen und zukunftsrelevanten Themen kamen Herrn Meier bereits im Flieger Bedenken. Hoffentlich würde das nicht wieder nur »Musik von vorne« – nach dem Motto: »Friss oder stirb!« Im vergangenen Jahr war es leider so gewesen. Aber Herr Meier hatte dies seinem Chef zurückgemeldet und ging eigentlich davon aus, dass dieser das Feedback auch von Kollegen erhalten hatte und in eine Veränderung übersetzen würde. Eigentlich …

10.00 Uhr: Der Sitzungsraum in der Zentrale war bis auf den letzten Stuhl besetzt. Ungefähr 60 Führungskräfte saßen an ihren Tischen, der Geräuschpegel war hoch, alle waren angeregt im Austausch miteinander. Schließlich sah man die Kollegen aus dem übrigen Deutschland nur selten. Pünktlich eröffnete der Vorstandsvorsitzende die Konferenz. Schlagartig verstummten die Gespräche, die Teilnehmer klebten an seinen Lippen. Er wünschte allen ein gutes, gesundes neues Jahr, vor allem ein erfolgreiches. Eines, das an den Erfolg des Vorjahres anschließe und diesen gewiss noch steigere. Die Zentrale habe sich hierzu in einigen Projekten intensive Gedanken gemacht und unterstützende Maßnahmen entwickelt, die heute vorgestellt und sicherlich breite Zustimmung finden würden.

»Wir freuen uns auf einen regen Austausch mit Ihnen!« Mit diesen Worten beendete er seine Einführung. Herr Meier nahm diese Aufforderung ernst und schaute zuversichtlich und optimistisch auf den inhaltlich gut gefüllten Tag. Der Reihe nach berichtete nun jedes Vorstandsmitglied über das zurückliegende Geschäftsjahr aus der Perspektive der einzelnen Ressorts. Vertrieb, Risikomanagement, IT, Personal. Die Charts der Präsentationen wurden den Teilnehmern später zur Verfügung gestellt. Gut – denn die Informationen von etwa 180 Folien mitzuschreiben, wäre schlichtweg unmöglich.

Echter Austausch ist wichtig

12.30 Uhr: Nach zweieinhalb Stunden Folienschlacht ohne jeglichen Dialog war schließlich Mittagspause und endlich Zeit zum Austausch! Der Geräuschpegel schnellte sofort wieder nach oben, denn die Teilnehmer hatten jede Menge Rede- und Klärungsbedarf: Wieso waren denn die Personalkosten gestiegen, obwohl doch die Sollstärken reduziert wurden? Und wie konnte es sein, dass die Bearbeitungszeiten der Kundenanträge länger waren als vor zwei Jahren? Der Vertrieb hatte doch mit Hochdruck an der Verkürzung der Prozesse gearbeitet? Viele Fragen, wenige Antworten. Und was stand auf der Folie über das Ranking der Regionen? Wurden da alle Kriterien berücksichtigt? Der Vorstand war beim Mittagessen leider nicht dabei. So wurden aus unbeantworteten Fragen Spekulationen, Fehlinterpretationen und Missverständnisse, die schließlich eine getrübte Atmosphäre verursachten.

Mit tausend offenen Fragen, gedämpfter Stimmung und Skepsis, wie denn wohl der Nachmittag weiter verlaufen würde, fanden sich die 60 Führungskräfte um 13.30 Uhr wieder im Konferenzraum ein. Die vier Vorstandsmitglieder betraten den Raum um 13.29 Uhr, nahmen in der ersten Reihe Platz und lauschten den Ausführungen des Bereichsleiters Vertriebsmanagement, der die vertrieblichen Schwerpunkte für das laufende Geschäftsjahr sowie daraus abgeleitete Maßnahmen vorstellte. Ambitionierte Ziele, dessen sei sich die Zentrale bewusst. Aber mit der erforderlichen Unterstützung der Anwesenden sei das sicherlich zu schaffen. Schließlich hätten Vertriebler an dem Projekt mitgearbeitet und die Ziele für realistisch befunden. »Falls keine Fragen oder Anmerkungen bestehen, dürfen wir von Ihrem Commitment ausgehen.« Betretenes Schweigen … Schließlich meldete sich Herr Meier zu Wort: »Wir haben die Sollstärken im Vertrieb im vergangenen Jahr um 10 Prozent gesenkt. Heute Morgen habe ich gehört, dass sich die Bearbeitungszeiten im Antragsverfahren verlängert haben. Das ist für mich eine Folge des Stellenabbaus. Nun frage ich mich, mit welchen Kapazitäten wir im Vertrieb die sicherlich guten, aber zusätzlichen neuen Vertriebsmaßnahmen umsetzen sollen?«

Einen Moment lang war es so still im Raum, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Diese Gedanken hatten sicherlich eine ganze Reihe der Anwesenden im Kopf und sie waren erleichtert, dass Herr Meier sie ausgesprochen hatte. Der konnte sich das auch trauen, schließlich lag er mit seiner Region im Ranking ziemlich weit vorne. Der Bereichsleiter stand erhöht am Rednerpult: aufrechte Haltung, leicht erhobenes Kinn, direkter Blickkontakt, ernster Gesichtsausdruck. Durch diese Körpersprache wirkte er sehr streng und verstärkte diesen Eindruck mit folgenden Worten: »Herr Meier«, – (tiefes Durchatmen) – »Sie können sicherlich davon ausgehen, dass wir die Vertriebsmaßnahmen unter Berücksichtigung der aktuellen Sollstärken entwickelt haben. Daher kann ich Ihre Frage nicht ganz nachvollziehen. Sollten Sie speziell in Ihrer Region Probleme bei der Umsetzung sehen, müsste dies sicherlich an anderer Stelle besprochen werden, denn selbstverständlich lebt der Erfolg der Maßnahmen von den handelnden Personen.«

Kritik wird oft weggewischt

Aua, das war ja mal eine schallende Ohrfeige – und das vor allen Kollegen! Herr Meier setzte sich wieder hin. Er fühlte sich elend, blamiert, vorgeführt und abgewiesen. Am liebsten würde er den Raum verlassen, aber das ließe die Blamage noch offensichtlicher werden. »Das ist das letzte Mal, dass ich in diesem Kreis den Mund aufmache! Ich hätte wissen müssen, dass es denen in der ersten Reihe am liebsten ist, wenn wir alle die Klappe halten.« Mit diesen Gedanken quälte sich Herr Meier und merkte dabei nicht, dass er unbewusst beschloss, ab jetzt als Feigling in den Konferenzen zu sitzen.

Lassen Sie uns dieses Beispiel analysieren, um herauszufinden, mit welcher Strategie die Situation für alle Beteiligten zielführender und erfolgreicher verlaufen wäre:


Was ist passiert? Was hat gefehlt? Ideen & Empfehlungen
Die Aussage des Vorstandsvorsitzenden im Rahmen der Eröffnungsansprache war: »Wir freuen uns auf einen regen Austausch mit Ihnen.« Die Verlässlichkeit der Worte: Der Verlauf der Konferenz sah keine Möglichkeit des Austausches vor. Walk the talk: Wenn Sie Austausch ankündigen und sogar mit Freude, lassen Sie ihn unbedingt auch stattfinden. Seien Sie verlässlich und glaubwürdig in Ihren Aussagen.
Der Vorstand zieht sich während des Mittagessens zurück. Kontakt als Ausdruck von Wertschätzung und Chance zum Dialog Zeigen Sie, dass Sie an Ihren Mitarbeitern interessiert sind. Nutzen Sie Pausen, um ins Gespräch zu gehen.
Der Bereichsleiter Vertriebsmanagement geht von Zustimmung aus, falls keine Anmerkungen kommen. Wirkliches Commitment: Dieses setzt einen Dialog voraus, mit der Möglichkeit, Fragen zu stellen. Ermutigen Sie dazu, Fragen zu stellen. Dazu eignet sich, je nach Anzahl der Konferenzteilnehmer, das Arbeiten in kleineren Gruppen.

Die in der mittleren Spalte aufgeführten Defizite produzieren regelrecht Schweiger, Jasager und Feiglinge. Wenn Mitarbeiter sich nicht auf das Wort ihrer Vorgesetzten verlassen können, Kontakt eher vermieden als forciert wird und Monolog den Dialog ersetzt, entsteht Unsicherheit. Wenn dann auch noch die Erfahrung hinzukommt, dass Fragen im System unerwünscht sind, treibt dies Menschen in einen inneren Teufelskreis: »Soll ich fragen? Ach nein, lieber nicht, sonst … Aber ich möchte mindestens sagen, dass … Um Gottes willen, ich weiß ja, was mir dann blüht … oder soll ich doch?«

Aber wie soll Klarheit in unserer Arbeitswelt möglich sein? In einer Arbeitswelt, in der ein Miteinander, wie in der oben skizzierten Form, Unsicherheit und Angst auslöst? Angst vor Blamage und Zurückweisung, Angst, aus der Gemeinschaft verstoßen zu werden, Angst, den Job zu verlieren. Das Bedürfnis, das hier entsteht, ist Selbstschutz. Die Reaktion, die es auslöst, ist Rückzug. Das Verhalten, das es erzeugt, ist Schweigen.

Tasuta katkend on lõppenud.