Die langweiligste Geschichte der Welt

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Die langweiligste Geschichte der Welt
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Inhaltsverzeichnis

Die Autorin

Einleitung

Ein wunderschöner 1. Mai

Konfliktspannung

Leser brauchen Spannung

Identifikation mit dem Protagonisten

Mehr Druck erzeugt auch mehr Spannung

Antagonistische Kräfte

Ist ein Streit immer ein dramaturgischer Konflikt?

Kurzgeschichten – kleine Konflikte/Romane – große Konflikte

Merkmale dramaturgischer Konflikte in einer Kurzgeschichte

Spannungsaufbau

Anfang, Hauptteil und Ende

Der Charakter der Figur

Identifikation und Empathie

Die Entwicklung des Hauptteils

Figuren nehmen ihre Umwelt selektiv wahr

Wendepunkte und eine überraschende Pointe am Schluss

Impressum

Die Autorin

Nicolette Bohn, promovierte Literatur- und Sprachwissenschaftlerin, arbeitet als Studienleiterin, Dozentin und Lektorin an der Schule des Schreibens in Hamburg, Deutschlands größter Autorenschule, und als Fachberaterin für Kinder- und Jugendliteratur. Ihre Dissertation verfasste sie zum Thema „Im Bann der Seelenfänger – Sekten und ihre Darstellung in der deutschsprachigen Jugendliteratur seit 1970“. Nicolette Bohn schreibt Romane, Kinder- und Jugendliteratur, Sachbücher sowie Drehbücher für Film und Fernsehen. Sie wurde vom Forum Distance Learning als Tutorin des Jahres 2017 ausgezeichnet.


Nicolette Bohn während eines Seminars in Köln.

Zeitungsartikel aus der Westdeutschen Zeitung vom 9. Juli 2015 „Harry Potter ist echte Leseförderung“.

Zeitungsartikel aus der Westdeutschen Zeitung vom 9. Juli 2015 „Die Teilnehmer probieren sich als Autoren aus“.

Einleitung

Zu Beginn meiner Seminare zum kreativen Schreiben stelle ich meinen Teilnehmern immer die Frage, welche Vorstellung sie vom Seminar haben und was sie von diesem Kurs erwarten. Dies sind einige der Antworten, die ich bekommen habe:

„Ich möchte lernen, wie man spannend erzählt.“

„Ich möchte so erzählen können, dass der Leser das Buch nicht mehr aus der Hand legt. Wie geht das? Kann man das lernen?“

„Ich möchte einmal im Leben so schreiben können wie Andreas Eschbach, dessen Bücher vor Spannung nur so knistern.“

„Ich möchte lernen, die Leser mit meiner Geschichte zu fesseln und nicht mehr loszulassen.“

„Ich schreibe schon lange, aber irgendwie packe ich die Leser nicht so richtig beim Schopf. Das soll sich nach Möglichkeit ändern. Deshalb habe ich mich zu Ihrem Seminar angemeldet.“

„Die Familie/meine Bekannten sagen immer, dass es unglaublich spannend ist, was ich schreibe. Diese Personen stehen mir aber persönlich sehr nah. Deshalb möchte ich einmal das Urteil von Leuten hören, die eine kritische Distanz zu meinen Geschichten haben.“

Die Antworten zeigen, dass das Thema „Spannung“ bzw. der Wunsch „spannend erzählen zu können“ beim Lesen und Schreiben von Romanen und Geschichten an oberster Stelle steht. Doch was muss ein Autor berücksichtigen, damit seine Geschichte spannend wird? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, lese ich meinen Seminarteilnehmern gerne die folgende Geschichte vor:

Ein wunderschöner 1. Mai

Jedes Jahr am 1. Mai macht Familie Jansen, die in der Stadt lebt, eine Fahrradtour aufs Land. Papa Heiner freut sich seit Wochen auf dieses Ereignis. Sein Chef, Valentin Kleinert, weiß um die Bedeutung des Feiertages und legt ihm deshalb schon eine Woche vorher kaum noch Arbeit auf den Schreibtisch.

Valentin Kleinert ist mit seinen 42 Jahren ein richtiger Bilderbuchchef. Heiner Jansen denkt oft: Was habe ich doch für ein Glück, dass ich bei dieser Firma als Bürokaufmann arbeiten darf. Was für ein Geschenk! Valentin Kleinert trägt meist eine blaue Jeans und darüber ein kariertes Hemd ohne Krawatte. Er möchte sich äußerlich nicht von den Angestellten unterscheiden. Jeden Morgen, wenn er zur Tür hereinkommt, schmettert er den Ruf: „Frohes Schaffen allerseits!“ durch das Großraumbüro. Das macht ihn bei allen Mitarbeitern beliebt. Hinzu kommt, dass sich Valentin Kleinert für die persönlichen Belange jedes einzelnen Mitarbeiters interessiert. Dabei ist es ihm egal, ob es sich um den Hausmeister von „Kleinert & Sohn“ oder um den stellvertretenden Geschäftsführer handelt. Jeder, der Sorgen hat, ist Valentin Kleinert wichtig. Wie schön, dass es Valentin Kleinert gibt, denkt Papa Heiner, während er den Reifendruck der Fahrräder noch einmal sorgfältig prüft. Oh, das Fahrrad von Mama Hanne hat zu wenig Luft im Hinterreifen. Aber das ist weiter kein Problem, denn Papa Heiner hat eine Standluftpumpe. Strahlend klares Wetter. So hat sich die Familie Jansen den 1. Mai vorgestellt.

„So, Hans und Hulda, was wollt ihr denn aufs Brot haben? Marmelade oder Käse? Wir fahren gleich los.“ Hans und Hulda Jansen sind Zwillinge. Sie sind neun Jahre alt. Bereits auf dem Ultraschallbild konnte Mutter Hanne erkennen, dass sie sich liebevoll umarmten. Hans und Hulda sind bis in die Gegenwart eng miteinander verbunden und immer einer Meinung. „Wir wollen beide Käse drauf haben, bitte, Mami!“, rufen sie fröhlich im Chor. Mama Hanne beginnt geduldig die Brote zu schmieren.

Dann ist da auch noch Hilde, die 13-jährige Tochter der Familie Jansen. Auch Hilde freut sich wie verrückt auf den Ausflug. Sie hat deshalb extra die Party sausen lassen, die ihre beste Freundin Emma am 1. Mai veranstalten will. Die Familie geht Hilde über alles.

Hilde und Emma betreten jeden Tag gemeinsam den Schulhof. Treffpunkt der beiden ist die Kreuzung Ecke Scharnbacherweg. Von dort gehen sie gemeinsam zur Heinrich-Heine-Gesamtschule. Weil sie in der entgegengesetzten Richtung wohnt, nimmt Hilde einen großen Umweg in Kauf. Sie findet es jedes Mal total süß von Emma, dass sie an der Kreuzung auf sie wartet und sie mit einem Küsschen begrüßt.

Papa Heiner und Mama Hanne lächeln gerührt und lassen den Blick über ihre Kinder schweifen. Wie ähnlich sie sich doch sehen. Alle haben dieselbe Haarfarbe, ein sattes Dunkelbraun und blaue Augen wie Mama Hanne und Papa Heiner. Und nun kann es endlich losgehen.

Die Fahrt führt durch eine Heidelandschaft, die blüht und duftet. Papa Heiner ruft: „Stopp! Wir halten einen Moment inne.“ Papa Heiner, Mama Hanne, die Zwillinge und Hilde atmen tief durch. Was für ein satter Geruch aus Kräutern und Blumen. Ein Geschenk des Himmels. Mama Hanne wischt sich verstohlen mit dem Taschentuch über die Augen. Was habe ich im Leben doch für ein Glück mit dieser Familie gehabt, denkt sie.

Nachdem sie zwei Stunden gefahren sind, kehren sie in eine Gaststätte ein. Die Speisekarte zeichnet sich vor allem durch eine Vielfalt von Speisen und Getränken aus. Mama Hanne und Papa Heiner bestellen sich ein großes Glas Mineralwasser, während die Zwillinge und Hilde ein Glas frische Kuhmilch trinken. Das haben sie in all den Jahren, in denen sie am 1. Mai aufs Land gefahren sind, nie anders gemacht. Am Abend ruft Papa Heiner: „Jetzt geht’s Richtung Heimat, ihr Lieben.“ Und sie fahren mit den Rädern zurück in die Stadt.

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