Sag mir, was du wirklich meinst

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Sag mir, was du wirklich meinst
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Oren Jay Sofer

Sag mir, was du wirklich meinst
Die eigene Stimme finden, wahrhaftig sprechen und einfühlsam zuhören

Mit einem Vorwort von Joseph Goldstein

Aus dem Englischen von Lisa Baumann


Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel: »Say what you mean. A Mindful approach to nonviolent communication« bei Shambhala Publications, Inc., Boulder, Colorado, USA.

Deutsche Erstausgabe

1. Auflage 2021

Copyright der deutschen Ausgabe © 2021 Arbor Verlag GmbH, Freiburg

Copyright der Originalausgabe © 2018 by Oren Jay Sofer

By arrangement with Shambhala Publications, Inc. Boulder

Lektorat: Ralf Lay

Umschlaggestaltung und Satz: mediengenossen.de

Alle Rechte vorbehalten


www.arbor-verlag.de

ISBN E-Book: 978-3-86781-369-3

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Teil I: er erste Schritt

Mit Präsenz beginnen

1 Das Zentrum unseres Lebens

2 Die Kraft der Achtsamkeit

3 Gewahrsein in Beziehungen

Teil II: Der zweite Schritt

Die innere Haltung von wohlwollendem Interesse

4 Das Spiel der Schuldzuweisung

5 Die kulturellen Wurzeln

6 Lassen Sie den Kontakt nicht abbrechen

Teil III: Der dritte Schritt

Konzentration auf das Wesentliche

7 Sich auf das Wesentliche konzentrieren

8 Emotionale Flexibilität

9 Empathie und Resilienz fördern

10 Ein Thema ansprechen, ohne in Streit zu geraten

11 Wenn Sie etwas wollen, bitten Sie darum

Teil IV: Aus den Schritten wird ein Tanz

12 Der Gesprächsfluss

13 Stromschnellen

14 Schluss

Kurs aufnehmen

Dank

Anhang

Die Prinzipien im Überblick

Für die Lehrer und Freunde,

die mir den Weg wiesen.

Und für meine Mutter, meine erste Lehrerin,

die mir festen Boden unter den Füßen gab

und mich Schreiben lehrte.

»Das Fischnetz existiert, um Fische zu fangen;

hat man den Fisch erst einmal, kann man das Netz vergessen.

Die Kaninchenfalle existiert, um Kaninchen zu fangen;

hat man das Kaninchen erst einmal, kann man die Falle vergessen.

Worte existieren wegen ihrer Bedeutung.

Hat man die Bedeutung erst einmal verstanden, kann man die Worte vergessen.

Wo kann ich den Menschen finden, der die Worte vergessen hat,

sodass ich mich mit ihm unterhalten kann?«

Chuang Tzu

»Hass mit Hass zu begegnen vervielfacht den Hass

und lässt die ohnehin sternlose Nacht in noch tieferer Dunkelheit versinken.

Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben. Nur Licht kann das.

Hass kann Hass nicht vertreiben, nur Liebe kann das.«

Dr. Martin Luther King jr.

Vorwort

Auf die eine oder andere Weise verbringen wir einen großen Teil unseres Lebens mit Kommunikation. Die meisten Menschen kommunizieren in erster Linie durch Sprache – mittels der Worte, die wir verwenden, und durch den emotionalen Tonfall hinter unseren Worten. Interaktion bildet die Basis all unserer Beziehungen, und unsere Kommunikationsmuster bestimmen unsere Lebensqualität beträchtlich. Darüber hinaus prägen unsere Kommunikationsgewohnheiten die Beziehung zu uns selbst und unsere Beziehung zur Gesellschaft.

In diesem wunderbaren Buch ergründet Oren Jay Sofer die vielen Nuancen unserer Art und Weise zu sprechen und beleuchtet dabei, welche Muster Wohlbefinden und Harmonie fördern und welche zu noch mehr Frustration und Stress führen. In den Perspektiven und Methoden, die in diesem Buch vorgestellt werden, liegt außerdem ein wesentlicher Schlüssel zu der Heilung und der radikalen Transformation, die so dringend gebraucht wird – nicht nur in unserem persönlichen, sondern auch in unserem kollektiven und globalen Leben. Aus seiner fundierten Erfahrung mit Achtsamkeitspraxis, somatisch orientierter Therapie und Gewaltfreier Kommunikation schöpft Oren sowohl die Weisheit als auch die Kompetenz, um durch Kommunikation mehr Nähe, Aufrichtigkeit und Mitgefühl zu schaffen und unser soziales Leben auf Gerechtigkeit und Frieden auszurichten.

Neben den theoretischen Hintergründen und zahlreichen Geschichten und Beispielen bietet dieses Buch viele nützliche Methoden, mit denen wir unser Bewusstsein für unsere Gewohnheitsmuster schärfen können, sowie zahlreiche konkrete Anregungen dazu, wie wir umsichtig und effektiv kommunizieren können. Oren beleuchtet, welche wesentliche Rolle Empathie beim Zuhören spielt, und gibt sehr präzise Empfehlungen dazu, wie man sie kultivieren kann. Denn bei der Praxis der Kommunikation »geht es nicht so sehr darum, was wir sagen, sondern darum, aus welcher inneren Haltung wir sprechen. Es geht um unsere Intention.«

Mit großer Klarheit beschreibt Oren, wie wir unsere Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle erkennen und verstehen können und wie sie, oftmals unbewusst, unsere Worte und die dahinterliegenden Motivationen beeinflussen. Ohne dieses Verständnis verlieren wir uns nur allzu leicht in den Wirren unserer Konditionierungen, ohne einen Weg zu mehr Verbundenheit und innerer Freiheit zu sehen.

Dieses Buch ist nicht nur eine detaillierte und verständliche Anleitung zur Kultivierung von kluger Kommunikation, es finden sich darin auch viele kleine Kostbarkeiten und hilfreiche Erinnerungen für den Alltag. Zu meinen Favoriten gehört die schlichte Erkenntnis, dass wir »über mehr Klarheit und Kraft [verfügen], wenn wir möglichst wenige Worte verwenden und aufrichtig sprechen«.

Ein wichtiges Fundament dieses Buches ist die Tatsache, dass Kommunikation, wie jede andere Kunst auch, Übung erfordert. Haben wir uns erst einmal die grundlegenden Kompetenzen angeeignet, können wir in unseren Gedanken, Gesprächen und Begegnungen Sprache zu einem Katalysator für mehr Verbundenheit und Verständnis machen.

Ich kenne Oren seit vielen Jahren, seit den Anfangstagen seiner Medi­tationspraxis. Es erfüllt mich mit großer Freude zu sehen, wie er das tiefe Bewusstsein, das seinen meditativen Einsichten entstammt, mit seinem profunden Verständnis von Kommunikation in eine zugängliche Trainingsmethode integriert. Dieses Buch mit der ihm eigenen Wärme und Prägnanz ist ein großes Geschenk für alle, die sich mehr Verbundenheit, Klarheit und Mitgefühl in ihrem Leben wünschen.

Joseph Goldstein

Einleitung

Was wir sagen, ist bedeutsam. Wir alle haben schon einmal die Kraft der Worte gespürt, die uns heilen, beruhigen oder fröhlich stimmen kann. Selbst eine einzige warmherzige Bemerkung kann entscheiden, ob wir aufgeben oder ob wir die Kraft finden, uns den Herausforderungen des Lebens zu stellen.

 

Wir alle haben auch schon erlebt, welch großer Schaden durch Sprache angerichtet werden kann. Bissige Worte, mit Zorn oder Grausamkeit gespickt, können eine Beziehung zerbrechen lassen und jahrelang unheilvoll nachwirken. Sprache kann missbraucht werden, um Massen zu manipulieren und sie unter Druck zu setzen, um Ängste zu schüren, Unterdrückung auszuüben und zu Krieg, Terror und Völkermord aufzuhetzen. Wenige Dinge, die so mächtig sind, sind gleichzeitig so alltäglich.

Sprache ist in den Stoff unseres Lebens eingewoben. Die erste Liebe. Der erste Job. Die Abschiedsworte an einen geliebten Menschen. Unsere Anfänge und Enden und auch die unzähligen Momente dazwischen sind durchzogen vom Spiel der Worte, in dem wir unsere Gedanken, Gefühle und Wünsche miteinander teilen.

Meine Eltern erzählen, dass ich ein durchaus mitteilungsbedürftiges Kind gewesen sei. »Iss, Oren!«, ermahnten sie mich immer wieder eindringlich bei den Mahlzeiten in dem Versuch, den Strom von Fragen, der aus meinem kleinen Mund nur so hervorquoll, ins Leere umzulenken und mich daran zu erinnern, dass ich essen sollte. Meine Faszination für Worte begann schon früh. Ich kann mich noch gut an die Begeisterung erinnern, die ich verspürte, wenn ich die Bedeutung eines einfachen Kompositums wie etwa »Seegras« oder »Sonnenuntergang« entdeckte – diesen Aha-Moment, wenn abstrakte Bestandteile sich mit einem Mal in vertrautere Klänge verwandelten.

Worte sind gewissermaßen Magie. Zu leben und sich seiner selbst bewusst zu sein auf diesem bemerkenswerten Planeten mit seinen Wäldern und Seen, seinen Meeren und Bergen, in diesem weiten Universum mit Milliarden von Galaxien ist an sich schon mysteriös genug. Was für ein Wunder, sich einen Moment lang in die Augen blicken und Worte formen zu können, mit denen wir etwas von unserem Leben erzählen.

Die Schöpfungsmythen vieler Kulturen und Religionen aller Epochen, seien sie östlichen, westlichen oder indigenen Ursprungs, wissen seit jeher um die generative Kraft von Sprache und sprechen der Macht der Worte eine Schlüsselrolle in den Anfängen des Kosmos zu. In der Tat haben Worte die Kraft, unsere Realität zu formen. So wie wir denken, so nehmen wir wahr; so wie wir wahrnehmen, so handeln wir. Darüber hinaus spiegelt sich in den Lehren aller Weltreligionen ein universelles Verständnis der ethischen Implikationen von Sprache wider – ihr Potenzial, Gutes oder Schädliches zu bewirken –, weswegen sie moralische Vorgaben zur richtigen Wahl unserer Worte machen.

Meine kindliche Faszination für Sprache kristallisierte sich später zu dem festen Vorsatz, verstehen zu wollen, wie man Worte weise gebraucht, während ich an einem Meditations-Retreat mit dem vietnamesischen Zen-Meister, Dichter und Friedensaktivist Thich Nhat Hanh teilnahm. Seine moderne Interpretation von Buddhas Leitlinien zum »rechten Sprechen« brachten eine Seite tief in meinem Inneren zum Schwingen und motivierten mich, so viel ich nur konnte, über Kommunikation zu lernen. Ich finde sie nach wie vor sehr inspirierend.

Im Bewusstsein des Leides, das durch unachtsame Rede und aus der Unfähigkeit, anderen zuzuhören, entsteht, bin ich entschlossen, liebevolles Sprechen und tief mitfühlendes Zuhören zu entwickeln, um meinen Mitmenschen Freude und Glück zu ­bereiten und ihr Leiden lindern zu helfen. Da Worte sowohl Glück als auch Leiden hervorrufen können, bin ich entschlossen, nichts Unwahres zu sagen und Worte zu gebrauchen, die Selbstvertrauen, Freude und Hoffnung wecken. Ich werde keine Nachrichten verbreiten, für deren Wahrheitsgehalt ich mich nicht verbürgen kann, und ich werde nichts kritisieren oder verurteilen, worüber ich selbst nichts Genaues weiß. Ich will Äußerungen unterlassen, die zu Zwietracht oder Uneinigkeit führen oder zum Zerbrechen von Familien oder Gemeinschaften beitragen können. Ich will mich stets um Versöhnung und Lösung aller Konflikte bemühen, seien sie auch noch so klein.1

Was wir sagen, zählt – vielleicht heute mehr als je zuvor.

Wir leben in Zeiten großer Umbrüche, in denen uns viel abverlangt wird. Es ist eine Zeit, in der wir in unserer Gesellschaft immer weniger in der Lage sind, zuzuhören und einander wirklich zu hören, eine Zeit, in der diejenigen mit anderen Meinungen, Überzeugungen oder Hintergründen (wieder einmal) einfach als »die anderen« abgetan werden. In dieser Zeit, in der die enormen Kräfte politischer, sozialer, ökonomischer und ökologischer Umschwünge über den Globus fegen und unsere gefühlte Trennung von uns selbst, den anderen und dem Leben noch verstärken, müssen wir lernen, auf eine neue Weise zu sprechen und zuzuhören. Wir müssen lernen, unsere Welt mit frischen Augen neu wahrzunehmen, jenseits von vererbten historischen und ökonomischen Strukturen, die auf Wettbewerb und Trennung ausgelegt sind und so leicht auch unsere Beziehungen beherrschen. Wahrer Dialog ist mehr als ein bloßer Austausch von Gedanken. Es ist ein transformativer Prozess, der auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt beruht und in dem wir einander auf neue und genauere Weise kennenlernen. Der Theologe David Lochhead meint: »Es ist ein Weg, eine Wahrheit zu erkennen, die keine der beiden Parteien vor dem Dialog kannte.«2

Es kann einem schier das Herz brechen zu wissen, zu wie viel Gutem wir imstande sind, und dennoch so viel Zerstörung und Gewalt zu sehen. In Japan gibt es ein Sprichwort: Kirschblüten sind so schön, weil sie vergänglich sind. Wir alle haben die Möglichkeit, die uns gegebene Zeit und Energie mit Integrität zu nutzen. Meine Hoffnung ist, dass dieses Buch auf seine eigene bescheidene Weise dazu beiträgt, unser menschliches Potenzial zum Guten zu verwirklichen, indem wir lernen, mehr Mitgefühl, Weisheit und Güte in jene Beziehungen zu bringen, die unser tagtägliches Leben ausmachen. Ich hoffe, dass es uns dabei hilft, die Mechanismen in unseren Gedanken und unserer Wahrnehmung, die Gewalt als plausible Strategie erscheinen lassen, zu transformieren. Möge es ein Schritt dazu sein, eine Welt zu erschaffen, in der alle gut leben können.

Ein Zusammenfluss verschiedener Strömungen

Gegen Ende eines zehntägigen Retreats saß ich, damals Mitte zwanzig, mit Dr. Marshall B. Rosenberg und seiner Frau beim Frühstück zusammen. Ich war Rosenberg, dem Begründer der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), einige Jahre zuvor begegnet und wollte ihm gegenüber meine Dankbarkeit über die tiefgreifenden Veränderungen zum Ausdruck bringen, die ich durch seinen Kommunikationsansatz in meinem Leben erfuhr. Als jemand, der seit langer Zeit meditierte, wollte ich zudem gern meine Gedanken darüber teilen, wie Meditation dem Prozess der GFK zugute kommen könnte.

Das war zu Beginn der 2000er-Jahre, noch bevor die Achtsamkeit ihren großen Boom erlebte. Ich erklärte, wie man durch Achtsamkeitspraxis inneres Gewahrsein entwickelte, eine Voraussetzung dafür, Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und sich ihrer bewusst zu bleiben – das Herzstück der GFK –, und dass es sich daher um ein entscheidendes Puzzle­stück handle, das im GFK-Modell bislang fehle. Ich war hocherfreut und ein wenig erstaunt, als er mir rundheraus zustimmte! Er erzählte etwas entmutigt, dass er seit einiger Zeit herauszufinden versuche, wie er den Leuten beibringen könne zu meditieren, unter anderem verwendete er dabei eine Kappe mit einem Giraffenbaby, eine Abwandlung der für seine Arbeit charakteristischen Handpuppen. Dann sah er mich über den Tisch hinweg mit einem verschmitzten Lächeln an und sagte: »Aber vielleicht ist das ja deine Aufgabe.«

Und so begann eine Reise von inzwischen fast zwei Jahrzehnten, während der ich daran arbeitete, mein Verständnis von buddhistischer Meditation und Gewaltfreier Kommunikation zu integrieren. Die Inhalte, die ich auf diesen Seiten mit Ihnen teile, sind eine Synthese aus drei verschiedenen Praxisströmen. Der erste grundlegende Strom ist die Achtsamkeitspraxis, so wie sie aus der buddhistischen Theravāda-Tradition hervorgegangen ist (insbesondere aus den Schriften und Praktiken des burmesischen Satipatthāna und der Thailändischen Waldtradition). Der zweite besteht in dem Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation, entwickelt von Dr. Rosenberg, dessen bahnbrechendes Buch Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens3 ein weltweiter Bestseller ist. Die GFK wird international zur Konfliktlösung und für gewaltfreie gesellschaftliche Veränderungsprozesse eingesetzt, sie wird für zwischenmenschliche Kommunikation und Mediation sowie auch für persönliches Wachstum und therapeutische Prozesse genutzt. Die dritte Methodologie, die dieses Buch prägt, beruht auf meiner Ausbildung in Somatic Experiencing, einer von Dr. Peter A. Levine entwickelten therapeutischen Technik, in der die Rolle der Regulation des Nervensystems bei der Verarbeitung von Traumata besonders betont wird.

Ich konnte feststellen, dass diese drei Ströme zusammen ein starkes Potenzial besitzen, unser Selbstverständnis zu vertiefen und unsere Kommunikationsgewohnheiten zu verändern. In den Anfangsjahren meiner Praxis entdeckte ich viele Synchronizitäten zwischen diesen Methoden und den ihnen zugrunde liegenden Theorien. In meiner Begeisterung vollführte ich einige geistige Verrenkungen in dem Versuch, die Methoden miteinander in Einklang zu bringen, auf der Suche nach einer kohärenten übergreifenden Systematik. Es dauerte seine Zeit, bis die verschiedenen Perspektiven sich in mir setzten und ich erkannte, dass es sich dabei schlicht um verschiedene Möglichkeiten handelte, menschliche Erfahrungen zu verstehen. Zwar überschneiden sie sich in einigen Bereichen, doch sie müssen nicht perfekt zusammenpassen, um nebeneinander zu funktionieren oder sich gegenseitig zu fördern.

Wenn mehrere Ströme zusammenfließen und einen Fluss bilden, lässt sich nicht mehr unterscheiden, woher das Wasser kommt. Und so können diese drei Ansätze und ihre jeweiligen Praktiken gewissermaßen als ein Fluss betrachtet werden, ein nahtloses Ganzes, in dem jeder Strom verschiedene Facetten der ganzheitlichen Erfahrung des Lebendigseins beschreibt und vertieft.

In diesem Sinne sind auch die Inhalte dieses Buches zu einem Ganzen zusammengefügt. Zwar spreche ich nicht explizit über die buddhistischen Lehren, aber jene Leser, die damit vertraut sind, werden ihre Weisheit durchscheinen sehen. Auch das Somatic Experiencing streife ich eher flüchtig (mit Ausnahme eines wichtigen Abschnitts zu herausfordernden Situationen in Kapitel 13). Statt zu versuchen, das Wasser des Flusses diesem oder jenem Strom zuzuordnen, konzentrierte ich mich darauf, ein möglichst verständliches Handbuch zu den Grundlagen der zwischenmenschlichen Kommunikation zu verfassen, das seinen Leser:innen dabei helfen soll, das eigene Leben ganz konkret in die Hand zu nehmen und positiv zu verändern.

Drei Schritte, drei Grundlagen

Menschliche Kommunikation ist komplex. In jeder Interaktion gibt es unzählige Faktoren. Unsere Emotionen, Gedanken und Überzeugungen beeinflussen sowohl die verbale als auch die nonverbale Ebene. Wir müssen eingefahrene Beziehungsmuster überwinden, sei es zwischen zwei Individuen oder zwischen den Gruppen und Gemeinschaften, denen wir angehören. Der hier dargestellte Ansatz besteht in drei Schritten, um eine gelingende Kommunikation zu ermöglichen. Die Schritte selbst sind denkbar simpel:

 Mit Präsenz beginnen

 Eine innere Haltung von wohlwollendem Interesse einnehmen

 Sich auf das Wesentliche konzentrieren

Jeder Schritt ist Bestandteil einer weitaus umfassenderen und fundierteren Schulung. Ähnlich wie wenn man auf drei massiven Steinen einen schnell fließenden Fluss überquert, ist jeder Schritt nur so solide und sinnvoll wie das Fundament, auf das er gesetzt wird. Um uns also auf den Weg zu machen und ganz im Moment zu sein, müssen wir uns in der ersten Grundlage der achtsamen Kommunikation schulen: Präsenz. Eine innere Haltung von wohlwollendem Interesse wurzelt in unserer Intention. Bei der Konzentration auf das Wesentliche geht es darum, unsere Aufmerksamkeit zu verfeinern, sodass wir unsere Unterscheidungsfähigkeit stärken, uns im Klaren darüber sind, was wesentlich ist, und unseren Fokus flexibel und angemessen verlagern können. Die ersten drei Teile dieses Buches widmen sich der Praxis dieser drei Grundlagen, während es im vierten und letzten Teil darum geht, sie zusammenzufügen.

 

Wie Sie mit diesem Buch arbeiten können

Ein Buch über Kommunikation zu lesen ist ein bisschen so, als würde man eine Gebrauchsanleitung zum Schwimmen studieren. Ganz egal, wie klar und detailliert sie auch geschrieben sein mag, man kann nicht schwimmen lernen, ohne ins Wasser zu springen. Dieses Buch ist dazu konzipiert, im Leben angewandt zu werden. Sie können es als Leitfaden für Gespräche betrachten, als eine Karte, die die Landschaft abbildet, durch die Sie sich bewegen. Es wird Ihnen wahrscheinlich am besten dienen, wenn Sie langsam vorangehen und sich beim Lesen Zeit nehmen, jeden Abschnitt zu integrieren. Jedes Konzept, jede Analogie und jede Idee ist dazu da, dass Sie sie in Ihrem Leben auf die Probe stellen. Probieren Sie es aus, finden Sie heraus, was für Sie hilfreich ist, und basteln Sie daran herum.

In jedem Kapitel gibt es praktische Anregungen dazu, wie Sie die Methoden und Konzepte umsetzen können. Fangen Sie klein an, in Situationen, in denen nicht allzu viel auf dem Spiel steht. Um noch einmal auf die Analogie des Schwimmenlernens zurückzukommen: Man lernt nicht schwimmen, indem man sich an einem stürmischen Tag in die Fluten des Ozeans stürzt. Vielleicht überlebt man es, aber sicher nicht, ohne zu kämpfen und ziemlich viel Salzwasser zu schlucken. Und danach wird man wahrscheinlich nicht so bald wieder schwimmen gehen wollen! Es ist viel leichter, am flachen Ende eines Schwimmbeckens anzufangen, am besten an einem warmen Tag.

Genauso wenig empfehle ich Ihnen, die hier vorgestellten Methoden auf der Stelle und in dem schwierigsten Gespräch oder der problematischsten Beziehung Ihres Lebens auszuprobieren. Lernen Sie zuerst zu schwimmen, bilden Sie die entsprechenden Fähigkeiten aus. Wann immer möglich, halten Sie nach Situationen Ausschau, in denen Ihnen das Üben leichtfällt und in denen Sie experimentieren und lernen können, ohne auf allzu großen Widerstand zu treffen. Vielleicht möchten Sie dieses Buch auch mit jemandem zusammen lesen, sodass Sie einen Partner oder eine Partnerin für die Übungen haben. Oder Sie probieren die Methoden mit einem nahen Freund oder jemandem aus Ihrer Familie aus, der beziehungsweise die Ihnen humorvoll zur Seite steht, während Sie die unbeholfenen ersten Schritte beim Erlernen einer neuen Sprache machen.

Denn genau so ist es: Kommunikationsfertigkeiten zu erlernen hat bemerkenswerte Ähnlichkeiten damit, eine neue Sprache zu lernen. Es erfordert Wiederholung. Je öfter Sie üben, desto eher können Sie flüssig sprechen. Und selbst wenn Sie bloß ein paar Worte einer neuen Sprache kennen, wird Ihnen das dabei helfen zu sagen, was Sie meinen. Ich ermutige Sie also, jeden Tag ein wenig zu üben, sei es mithilfe der formalen Übungen oder in alltäglichen Unterhaltungen. Selbst fünf Minuten täglicher, absichtsvoller Übung werden mit der Zeit Wirkung zeigen.

Am Ende eines jeden Kapitels finden Sie eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte sowie eine Reihe von Fragen und Antworten. Viele dieser Fragen beruhen auf Transkripten von Workshops und Retreats. Sie sollen einige der häufigsten Fragen aufgreifen, die sich möglicherweise auch Ihnen auf dem Weg stellen. (Namen oder Details von Geschichten wurden zum Teil geändert, um die Privatsphäre der jeweiligen Personen zu wahren.) Die Schlüsselbegriffe im Zusammenhang mit achtsamer Kommunikation sind bei ihrer erstmaligen Erwähnung kursiv gesetzt, Sie können sie im Glossar am Ende des Buches nachschlagen. Die Anmerkungen, ebenfalls am Ende des Buches, enthalten weiterführende Informationen und Referenzen, die für Sie interessant sein könnten.

Schließlich möchte ich noch auf eine wichtige Unterscheidung hinweisen, die sich durch das Buch zieht. In jedem Kapitel finden Sie Prinzipien, die den zugrunde liegenden Ethos oder das Ziel eines bestimmten Kommunikationsaspekts wiedergeben. Außerdem finden Sie Übungen, die Ihnen dabei helfen sollen, die Methoden und Prinzipien auf konkrete Weise in Ihrem eigenen Leben umzusetzen. Ihnen werden Prinzipien begegnen, wie beispielsweise »Je bewusster wir sind, desto mehr Möglichkeiten haben wir«. Und Sie werden entsprechende Übungen finden – manche können Sie machen, während Sie lesen, andere können Sie in Ihre Kommunikation im Alltag mitnehmen. Zu besagtem Prinzip der Bewusstheit kann es zum Beispiel eine Anleitung zum achtsamen Atmen geben.

Die Gefahr bei jeglicher Art von Kommunikationstraining besteht darin, dass wir die Praxis mit dem Prinzip verwechseln und anfangen, rigide oder roboterhaft zu sprechen, in dem Versuch, uns an eine Art Dogma oder Systematik zu halten. Zwar sind Systematiken unglaublich nützlich (und die Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg hat einen wichtigen Stellenwert in diesem Buch), aber ich bin weniger daran interessiert, einem bestimmten System zu folgen, als vielmehr daran zu lernen, dem Augenblick verständnisvoll und dynamisch zu begegnen.

Mit anderen Worten, versuchen Sie nicht, sich sklavisch genau an irgendeine bestimmte Sprechweise zu halten. Um eine weitere Analogie anzubieten: Es ist ein wenig so, wie ein Instrument zu lernen. Es gehört zwar dazu, Tonleitern zu üben, aber das Ziel ist es schließlich, Musik zu machen. Die Methoden und Übungen hier sind sehr wertvoll, um neue Kommunikationsgewohnheiten zu etablieren, doch das Ziel besteht darin, sich entspannt in den Fluss eines Gesprächs begeben zu können.