Loe raamatut: «Crash-Kommunikation»

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Peter Brandl

Crash-Kommunikation

Warum Piloten versagen und Manager Fehler machen


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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-830-6

ISBN epub: 978-3-95623-697-6

Unter Mitarbeit von Dr. Petra Begemann, Bücher für Wirtschaft + Management, Frankfurt am Main, www.petrabegemann.de

Lektorat: Sabine Rock, Frankfurt / Main | www.druckreif-rock.de

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Autorenfoto: Max Kratzer

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de

5., überarbeitete und erweiterte Neuauflage 2018

des unter der ISBN 978-3-86936-055-3 erschienenen Titels

Das E-Book basiert auf dem 2018 erschienenen Buchtitel "Crash-Kommunikation" von Peter Brandl, ©2018 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Copyright © 2010, 2018 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

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Inhalt

Vorwort zur Neuauflage

Vorwort

Einführung: Von Crashs und ihren Ursachen

1.Vergessen, die Landeklappen auszufahren

oder: Wenn der Stress die Regie übernimmt

Das Crash-Beispiel: Madrid, August 2008

Ein Unternehmensbeispiel: KfW – eine Bank verschenkt 320 Millionen

Stress und die Folgen

Die Tücken der menschlichen Wahrnehmung

Professionelles Stressmanagement im Unternehmen

Stress – und was Sie tun können

2.Wer kritisiert schon einen Kapitän?

oder: Wenn der Chef das Problem ist

Das Crash-Beispiel: Puerto Plata, Februar 1996

Ein Unternehmensbeispiel: Jürgen Schrempp und seine Welt AG – Milliardenverluste für DaimlerChrysler

Wenn der Kapitän am Steuerknüppel sitzt

Machtdistanz und Firmenerfolg

Kooperative Führung in der Praxis

Schlechte Kooperation – und was Sie tun können

3.Landen bei schlechtem Wetter

oder: Wenn man auf sein Ziel fixiert ist

Das Crash-Beispiel: Zürich, November 2001

Ein Unternehmensbeispiel: VW und der Vorstoß in die automobile Oberklasse

Verliebt ins Ziel und blind für Gefahr

Der menschlich-irrationale Umgang mit Risiken

Professioneller Umgang mit Zielen und Risiken im Unternehmen

Zielfixierung – und was Sie tun können

4.Maschine im Sinkflug und keiner merkt’s

oder: Wenn man das Wesentliche aus den Augen verliert

Das Crash-Beispiel: Miami, Dezember 1976

Ein Unternehmensbeispiel: Dr. Jürgen Schneider – wie man Bankern Sand in die Augen streut

Operative Hektik und geistige Windstille

Situationsbewusstheit – Staying ahead of the aircraft

Professionelle Steuerung im Unternehmen

Operative Hektik – und was Sie tun können

5.»Ich dachte, Sie fliegen!«

oder: Wenn Zuständigkeiten verschwimmen

Ein Irrflug-Beispiel: Minneapolis, Oktober 2009

Ein Unternehmensbeispiel: Airbus – die Führungskrise einer Doppelspitze

Der alltägliche Sand im Getriebe

Heikle Balance: Regulation und Eigenverantwortung

Professionelle Arbeitsteilung im Unternehmen

Unklare Zuständigkeiten – und was Sie tun können

6.Blame Culture

oder: Wenn Fehler vertuscht werden

Das (Beinahe-)Crash-Beispiel: Nordatlantik, Juli 1987

Ein Unternehmensbeispiel: Weltwirtschaftskrise – Hauptsache, die Banker sind schuld

»Positive Fehlerkultur«: Was heißt das eigentlich?

Fehlertypen und Fehlerketten: den eigenen Blick schärfen

Professionelles Fehlermanagement im Unternehmen

Fehlervertuschung – und was Sie tun können

7.Crash-Kommunikation

oder: Wenn Killerphrasen den Ton angeben

Das Crash-Beispiel: Dawson, Texas, Mai 1968

Ein Unternehmensbeispiel: Grundig – der Niedergang einer Traditionsmarke

»Destruktive Kommunikation« – der Crash beginnt beim Reden

Alltägliche Kommunikationssünden

Professionelle Kommunikation im Unternehmen

Destruktive Kommunikation – und was Sie tun können

8.Et hätt noch immer jot jejange

oder: Wenn wir automatisch in den Crash steuern

Technikgläubigkeit – ungebremst in den Crash

Der Flat Crash von 2010

Verantwortungsdelegation – der Computer macht keine Fehler

Experten warnen vor Gefahren – die neue Bedrohung: automatisch in den Abgrund

Was kann man tun?

Schluss

Ressourcen nutzen – Company Resource Management

Anmerkungen

Über den Autor

Vorwort zur erweiterten Neuauflage

Vor über sieben Jahren ist die erste Auflage dieses Buches erschienen. Seither hat sich viel getan. Jede Menge neue Technologien, Industrie 4.0 und Disruption sind nur wenige der Schlagworte, die permanent in den Medien auftauchen. Und die Tatsache, dass die Globalisierung wirklich stattfindet, dürfte inzwischen auch beim Letzten angekommen sein.

Aufträge werden über strukturierte Portale einfach an Anbieter irgendwo auf der Welt vergeben. Telefon- und Skype-Konferenzen verbinden uns über Tausende von Kilometern und doch: Die grundlegenden Herausforderungen bleiben die gleichen. Der Mensch ist immer noch nicht (oder immer weniger) an die Herausforderungen angepasst, die die heutige Umwelt an ihn stellt. Und leider kommt es auch heute noch immer wieder zu Flugunfällen.

Doch eine Entwicklung sticht besonders heraus: die Automatisierung. In diesem Bereich haben sich in den letzten Jahren so massive Veränderungen ergeben, die jeden Einzelnen betreffen. Insofern war es nur konsequent, die Neuauflage dieses Buches um ein Kapitel zu diesem Thema zu erweitern.

Happy landings!

Peter Brandl

Berlin im Januar 2018

Vorwort

Ende der 1970er-Jahre gab es auf Teneriffa einen verheerenden Unfall mit zwei Jumbojets. Zwei voll besetzte Flugzeuge rasten auf der Startbahn ineinander. Die Folge: 583 Tote – die schlimmste Katastrophe aller Zeiten in der zivilen Luftfahrt. Wie war es möglich, dass zwei voll funktionierende Flugzeuge in einen derart dramatischen Crash verwickelt wurden? Welche Faktoren mussten zusammenkommen, welche Umstände mussten eintreten, um am Ende ein solches Desaster zu verursachen?1

Was Crew Resource Management bedeutet

Als eine Konsequenz dieses Unfalls entstand eine neue Wissenschaft: »CRM«. In der Fliegerei heißt CRM nicht Customer Relationship Management, sondern Crew Resource Management. Dabei geht man der Frage nach, warum Flugzeuge abstürzen, obwohl das Flugzeug funktioniert und es keine technischen Fehlfunktionen gibt. Häufig wird in diesem Zusammenhang von »menschlichem Versagen« gesprochen. Doch streng genommen ist diese Bezeichnung falsch. Eigentlich müsste es »menschliches Funktionieren« heißen. Wenn ich jetzt neben Ihnen stünde und Sie stark in den Oberarm kneifen würde, dann würden Sie höchstwahrscheinlich empört fragen: »Geht’s noch?« oder »Was soll das?«. Würde ich Ihnen mit der Faust in den Bauch schlagen, dann würden Sie sich mit hundertprozentiger Sicherheit nach vorn krümmen. Genauso wie es auf der körperlichen Ebene Auslöser gibt, die geradezu zwangsläufig in einer bestimmten Reaktion münden, gibt es auch auf der psychologischen Ebene und der Verhaltensebene solche Auslöser. Wenn bestimmte Faktoren in einer bestimmten Reihenfolge eintreten, folgen die entsprechenden Reaktionen mit an Sicherheit grenzender und vorhersagbarer Wahrscheinlichkeit. Die Schlüsselfrage lautet daher: Welches sind die Faktoren, die katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen?

Wie Luftfahrt, Management und Geschäftsleben zusammenhängen

Dieser Frage geht das Crew Resource Management nach. Seit dem Flugzeugcrash auf Teneriffa hat man bereits viele Antworten gefunden, die das Fliegen sicherer machen. Faszinierend ist, dass sich viele dieser Fragen und Antworten beinahe eins zu eins auf das Management oder das Geschäftsleben übertragen lassen. Welche Lehren können also Manager und Führungskräfte aus den Erkenntnissen der Katastrophenvermeidung in der Luftfahrt (und damit auch aus folgenschweren Flugzeugabstürzen) ziehen? Genau davon handelt dieses Buch.

Über den Autor

Die Idee, Management und Fliegerei zusammenzubringen, drängt sich jemandem, der in beiden Welten zu Hause ist, förmlich auf. Als Führungskraft und Manager konnte ich oft genug erleben, wie kleine Kommunikationspannen sich im Unternehmen zu großen Problemen hochschaukeln. Als Linienpilot habe ich während der Ausbildung zahlreiche Crash-Beispiele analysiert und das Crew Resource Management selbst durchlaufen. Und als Trainer und Managementcoach bekomme ich nahezu täglich bestätigt, dass auch Unternehmen nur selten aufgrund dramatischer Einflüsse von außen in Schieflage geraten: Verantwortlich für den Crash sind auch hier fast immer Fehler im Unternehmenscockpit. Dabei ist systematische Crashprävention im Unternehmen ebenso möglich wie in der Luftfahrt. Aber lesen Sie selbst!

Wangen, im Dezember 2009

Peter Brandl

Einführung: Von Crashs und ihren Ursachen

Menschliches Versagen und »Human Factors«

Über drei Viertel aller Unfälle in der Luftfahrt sind auf »menschliches Versagen« zurückzuführen, also nicht auf schlechtes Wetter, Materialfehler oder Fehler der Flugverkehrskontrolle ATC (Air Traffic Control). »Menschliches Versagen« – diese Formel kennen wir alle aus den Abendnachrichten. Auch bei anderen Unglücken mit vielen Toten, vom schweren Verkehrsunfall bis zum Störfall im Atomkraftwerk, wird sie zuverlässig bemüht. Und fast immer schwingt in ihr eine Schuldzuweisung mit: Jemand trägt die Verantwortung für das Geschehen, weil er sich falsch verhalten hat. Im angloamerikanischen Sprachraum ist man hellsichtiger als bei uns: Dort spricht man nicht von schuldhaftem »Versagen«, sondern schlicht von »Human Factors«, die zu Pannen und Unfällen führen – von menschlichen »Faktoren«. Anders ausgedrückt: Menschen sind so. Menschen übersehen oder missinterpretieren Dinge, sie treffen – besonders unter Stress – übereilte Entscheidungen, sie sind vor Angst wie gelähmt oder blenden offensichtliche Gefahren einfach aus. Salopp gesagt: Shit happens.

Um noch einmal auf den verheerenden Crash von Teneriffa zurückzukommen, der in der Luftfahrt den Anstoß für die systematische Analyse der menschlichen Faktoren, Einflüsse und Begrenzungen gab: Wie kann es sein, dass zwei erfahrene Piloten im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte zwei technisch intakte Flugzeuge am Boden zusammenstoßen lassen? Nachvollziehbar wird das kaum Fassbare, wenn man sich folgende Faktoren vergegenwärtigt:

Teneriffa: ungünstige Faktoren

– Beide Flugzeuge, eine KLM-Maschine aus Amsterdam und eine Maschine der Pan Am aus New York, hatten außerplanmäßig auf Teneriffa landen müssen. Der eigentliche Zielflughafen auf Gran Canaria war wegen einer Bombendrohung kurzfristig gesperrt worden.

– Bei beiden Maschinen handelte es sich um eine Boeing 747, ein Großflugzeug, das auf Teneriffa/Los Rodeos nur auf der Startbahn rollen konnte, da es zu breit für die eigentlichen Rollbahnen (neben der Startbahn) war.

– Während die Maschinen am überfüllten Flughafen warteten, zog Nebel auf.

– Die Flugsicherung dirigierte beide Maschinen auf die einzige Piste. Beide Piloten und die Flugsicherheit wussten voneinander. Sie wussten, dass sie sich in unmittelbarer Nähe befanden, hatten aber keinen Sichtkontakt. Ein Bodenradar gab es nicht.

– Die Besatzung der Pan Am kannte den Flughafen nicht. Das und der Ausfall der Mittelbeleuchtung auf der Piste trugen dazu bei, dass sie die entscheidende Abbiegung verpasste, um die Piste zu verlassen und sich hinter der KLM aufzustellen, als die Flugsicherung sie von der Piste lotsen wollte.

– Der Kapitän der KLM (nebenbei: der damals dienstälteste Pilot der KLM und Chefausbilder für die Boeing 747) missverstand ein Kommando der Flugsicherung, möglicherweise wegen des starken spanischen Akzents des Fluglotsen. Die Flugsicherung gab der KLM zwar die Flugstrecke frei (»Route Clearance«), hatte aber noch keine Starterlaubnis (»Take off Clearance«) erteilt, weil die Position der Pan-Am-Maschine unklar war. Erst nach dem Unfall auf Teneriffa wurden für beide Anweisungen exakte Phrasen eingeführt.1

– Der KLM-Kapitän hatte bereits 3,5 Stunden Verspätung. Damit bestand die Gefahr, dass er die maximal zulässige Dienstzeit überschreiten würde. Er hätte dann auf Teneriffa übernachten müssen, und mit ihm alle Passagiere. Der Kapitän stand also unter Zeitdruck und wollte starten.

– Der KLM-Kopilot widersprach nicht, möglicherweise weil er sich das einem so erfahrenen Piloten gegenüber einfach nicht traute. Dieser war Trainingskapitän und in den Niederlanden so etwas wie ein fliegerischer Halbgott.

Der Zusammenstoß: unvermeidbar?

All das führte schließlich dazu, dass die KLM-Maschine anrollte. Als die beiden Piloten in einer Entfernung von etwa 700 Metern die jeweils andere Maschine sahen, war es bereits zu spät: Obwohl die Pan-Am-Maschine noch versuchte, die Piste zu verlassen, und der KLM-Kapitän sich bemühte, sein Flugzeug vom Boden wegzureißen, kam es zum Crash mit fast 600 Toten.

Bei der Aufarbeitung solcher Vorfälle ist in der Presse oft von einer »Verkettung unglücklicher Umstände« die Rede: die Sperrung eines anderen Flughafens, das schlechte Wetter, die identische Größe der Maschinen, die Bedingungen auf Teneriffa (nur eine entsprechende Startbahn), der Zeitdruck … Doch:

Was wäre wenn? – Gegenfragen

– Was wäre passiert, wenn der Kopilot der KLM-Maschine dem fliegenden Kapitän widersprochen hätte?

– Was wäre passiert, wenn die Cockpitmannschaft der Pan-Am-Maschine bei der Flugsicherung Alarm geschlagen hätte (Wir wissen nicht, wo wir uns befinden!)?

– Was wäre passiert, wenn der spanische Fluglotse besser Englisch gesprochen hätte?

– Was wäre passiert, wenn der KLM-Kapitän sicherheitshalber beim entscheidenden Kommando der spanischen Flugsicherung nachgefragt hätte?

– Was wäre passiert, wenn die KLM sich vorsichtshalber erkundigt hätte, ob die Piste frei ist? (Ist doch ein guter Plan, wenn ich nur 700 Meter weit sehen kann, aber drei Kilometer zum Abheben brauche, oder?)

– Was wäre passiert, wenn der Pilot der KLM für alle hörbar gesagt hätte: »KLM – beginne mit dem Start!«?

Die Rolle der Kommunikation

Wäre nur eine dieser Möglichkeiten genutzt worden, wäre die Geschichte wohl anders verlaufen. Im schlimmsten Fall hätten die KLM-Mannschaft und ihre Passagiere auf Teneriffa übernachten müssen und möglicherweise hätte das manche Passagiere verärgert – aber der Crash wäre wahrscheinlich verhindert worden und alle würden noch leben. Eigentliche Ursache des verheerenden Unfalls war also nicht der Nebel oder eine ausgefallene Pistenbeleuchtung. Die eigentliche Ursache waren Kommunikationspannen.

Pannen im Unternehmen

Was hat all das mit Ihnen und Ihren Aufgaben im Unternehmen zu tun? Vielleicht denken Sie einmal an die letzte gravierende Panne zurück, die dort passierte. Möglicherweise waren die Ursachen ähnlich banal und »menschlich«. Möglicherweise wollten auch Sie ein Ziel »auf Teufel komm raus« erreichen und haben Warnsignale und Bedenken systematisch ausgeblendet. Auch bekannte Topmanager sind dagegen nicht gefeit – denken Sie beispielsweise an Jürgen Schrempp, der immer noch an seiner »Welt AG« bastelte, als Außenstehenden wie Unternehmensangehörigen längst klar war, dass die Daimler-Chrysler-Mitsubishi-Welt nicht funktionierte. Oder denken Sie an Wendelin Wiedeking, der kein Jota von seinen kühnen Plänen einer VW-Übernahme abrückte, Porsche damit Milliardenschulden aufbürdete und letztlich zur Beute von VW machte. Oder an den Existenzgründer um die Ecke, der seinen Käse- oder Weinladen nur einen Steinwurf von einem etablierten Konkurrenten eröffnet und fast sicher Schiffbruch erleidet. Im Nachhinein scheint allen dreien die Sicht ähnlich vernebelt gewesen zu sein wie den Piloten auf Teneriffa.

Konsequenzen menschlichen Fehlverhaltens

Fehler, die der menschliche Faktor verursacht, haben unterschiedliche Konsequenzen: Was beim Verkauf von Käse oder in der Automobilproduktion »nur« Geld und Arbeitsplätze kostet, kann in anderen Bereichen lebensbedrohlich werden. In sicherheitsrelevanten Bereichen, etwa in der Luftfahrt, der chemischen Industrie, in Krankenhäusern oder Kernkraftwerken, versucht man daher, den menschlichen Faktor durch spezielle Trainings besser in den Griff zu bekommen. In »normalen« Wirtschaftsunternehmen spielt der menschliche Faktor bislang erstaunlicherweise keine Rolle. Dabei können Tunnelblick und Fehlentscheidungen, Handlungsunfähigkeit oder Aktionismus im Management ebenfalls »lebensbedrohliche« Folgen für ein Unternehmen haben – und schlicht in die Insolvenz führen.

Wie es zu Insolvenzen kommt

Wer nach den Ursachen für Insolvenzen fahndet, stößt oft auf Begründungen wie »geringe Eigenkapitalquote« oder »mangelnde Liquidität«. Das ist ungefähr so, als wenn man sagen würde, Flugzeuge stürzten deswegen ab, weil Berge im Weg seien oder der Treibstoff ausgehe. Die Auslöser zu benennen ist offenbar leichter, als tiefer – nach den eigentlichen Ursachen – zu graben. Wie kommt es dazu, dass manche Manager sehenden Auges in die Pleite wirtschaften? Selbst Insolvenzverwalter, eine eher nüchterne Berufsgruppe, führen »weiche« Faktoren ins Feld, wenn man sie nach den Ursachen von Insolvenzen fragt. Eine Studie, für die 2006 125 Insolvenzverwalter befragt wurden, ergab unter anderem:

– »96 Prozent der Insolvenzverwalter glauben, Unternehmer hegten die Hoffnung, es werde ›irgendwie von selbst wieder aufwärts gehen‹.

– 95 Prozent halten Angst vor Bloßstellung im Bekanntenkreis und in der Branche für einen Grund, die Insolvenz zu verzögern.

– 88 Prozent meinen, die Situation werde zu lange als Krise und nicht als Insolvenz eingestuft.«2

Die Natur des Menschen: nahezu unverändert

»Es ist irrational, was da passiert«, kommentiert Professor Georg Bitter vom Zentrum für Insolvenz und Sanierung an der Universität Mannheim (ZIS), das die Erhebung im Auftrag der Euler Hermes Kreditversicherung durchführte, die Situation.3 In solchen Bewertungen schwingt immer ein wenig Erstaunen mit: Wie kann es sein, dass der Mensch im 21. Jahrhundert so irrational reagiert? Dabei ist das Ganze gar nicht so erstaunlich, denn die biologische Grundausstattung des Menschen hat sich in den letzten Jahrtausenden kaum verändert. Unsere Wahrnehmung, unsere Reflexe, unsere biologischen Möglichkeiten sind noch dieselben wie die unserer Urväter. Die Evolution verläuft eben in sehr langen Zyklen – auch wenn mancher unkt, Säuglinge kämen heute schon mit einem extrem flexiblen »Handydaumen« auf die Welt.

Unsere Welt: dramatisch verändert

Radikal verändert hat sich dagegen unsere Umwelt. Dafür muss man nur auf die evolutionsgeschichtlich völlig unbedeutende Zeitspanne von 100 bis 150 Jahren zurückblicken: Während unsere Urururgroßväter noch Wochen auf die Postkutsche warten mussten, wenn ein Brief unterwegs war, flitzen heute E-Mails im Sekundentakt hin und her. Während unsere Großmütter noch den Küchenherd anfeuerten, ist für die Beherrschung heutiger Hightechküchen bisweilen ein Informatikstudium hilfreich. Und während unsere Vorfahren mangels Elektrizität und angesichts harter körperlicher Arbeit mit den Hühnern zu Bett gingen, können wir heute Abend für Abend unter zahlreichen Unterhaltungsangeboten wählen. Ließ man früher im Handelskontor in aller Ruhe Briefe tippen, ist heute fast jede Führungskraft damit konfrontiert, dass das E-Mail-Postfach überquillt, das Telefon pausenlos klingelt, ein Meeting das andere jagt, mindestens drei Mitarbeiter eine »wichtige« Frage haben und das Gespräch mit dem Vorstand am nächsten Tag eigentlich längst vorbereitet sein müsste …

In den »Firmen-Cockpits« geht es kaum weniger stressig zu als im Cockpit eines modernen Flugzeugs. Und ein solches Cockpit sieht nicht nur so aus, als biete es mehr Informationen, als sie ein normaler Mensch verarbeiten kann: Das ist tatsächlich so. Als Pilot weiß ich, wovon ich rede. »Der technische Fortschritt überfordert das Orientierungsvermögen der Menschen«, stellt der Spiegel in einer Titelgeschichte über das »Lebensgefühl Angst« (!) im Sommer 2006 dazu lapidar fest.4 Und doch müssen Sie im Arbeitsalltag Tag für Tag mit der wachsenden Fülle an Informationen und der enormen Beschleunigung aller Prozesse, die die moderne Technik erst ermöglicht hat, »irgendwie« klarkommen. Denn umkehrbar ist diese Entwicklung wohl kaum.

Von der Luftfahrt lernen!

Allerdings beschäftigt man sich in der Luftfahrt mit Strategien, wie diese Komplexität trotz unserer überholten biologischen Grundausstattung beherrschbar wird. Wie können wir Komplexität reduzieren, Informationen zusammenfassen und so verheerende Fehler vermeiden – auch wenn die Menschen noch genauso von Emotionen beeinflusst und in ihrer Wahrnehmung genauso limitiert sind wie ihre Vorfahren? In Wirtschaftsunternehmen sucht man solche Strategien vergeblich, sieht man einmal von Kernkraftwerken, Chemieproduktionen und ähnlichen gefahrenintensiven Bereichen ab. Uns Menschen fehlt eine »Gebrauchsanweisung für das Leben im 21. Jahrhundert«, und vielen Managern fehlt ein strategisches Sicherheitsnetz, das sie im Alltag vor »menschlichem Versagen« schützt. Anregungen zur Entwicklung solcher Schutzmechanismen für den Unternehmensalltag finden Sie in diesem Buch.

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