Loe raamatut: «Entführung in eine bessere Zukunft», lehekülg 6

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Jakobi las die E-Mail zweimal und wurde sehr nachdenklich. Es gab etwa fünf weitere Fälle von in der Region vermissten Personen, auf die die gesetzten Kriterien zutrafen. Die Liste enthielt nur ihre Namen, ihren Beruf, ihr Herkunftsland und den Zeitpunkt der Vermisstenmeldung. Er brauchte unbedingt mehr Informationen. Er klickte auf sofort antworten und schrieb: „Lieber Hal, danke für die Mail, leider ist sie eine weitere Bestätigung für meinen Verdacht. Ist es dir möglich, mehr über die Personen zu erfahren, mich interessieren vor allem ihr beruflicher Werdegang und ihre persönlichen Lebensumstände.“

Die Antwort kam zwei Stunden später: „Tut mir leid, sie kommen alle aus dem westlichen Ausland, da habe ich leider keinen Zugriff. Außerdem bin ich voll damit beschäftigt, den Flugzeugdeal mit den Saudis noch rauszureißen, wünsch mir viel Glück.“

Jakobi fühlte, dass er jetzt handeln musste. Wen konnte er ansprechen, wer ist in einem solchen Fall zuständig, der CIA, das FBI? Er entschloss sich schließlich, kleiner anzufangen und diktierte einen Brief an den Bundesnachrichtendienst.

„Die Adresse suchen Sie bitte raus, ich glaube, der sitzt in Lörrach.“ Seine Sekretärin nickte. „Sehr geehrte Damen und Herren.“ Er überlegte, ob es dort überhaupt Damen gab und begann: „Ich sehe es als meine Pflicht an, Sie über einen Vorgang zu informieren, der, sollte mein Verdacht begründet sein, von außerordentlicher Tragweite für die ganze Welt wäre.“ Seine Sekretärin zuckte zusammen. Jakobi erkannte seinen Fehler. „Ich habe es mir überlegt, stellen Sie bitte meinen Laptop auf Korrespondenz ein, ich werde den Brief selber schreiben.“

„Warum senden Sie ihn nicht als E-Mail?“

„Das wäre zu unsicher. Suchen sie mir bitte die Adresse raus und bringen Sie mir einen adressierten Umschlag.“

Er unterschrieb den Brief mit seinem vollen Namen und gab dabei auch seine Position an: Dr.-Ing. Jacobi, Vorstandssprecher der Otto Schenker AG, verantwortlich für den Bereich Forschung und Entwicklung.

Dr. Machmud erschien am Rand der Lichtung, im Schlepptau die beiden obligatorischen Bewacher. Er betrat das Haus und zog einen USB-Stick aus der Tasche. „Bitte geben Sie mir das Tablet.“ Er begann zu lesen. Dann blätterte er in einem Notizbuch und dachte nach. „Können Sie mir bitte erklären, warum Sie die Hohlkugellösung ausgeschlossen haben?“, fragte er dann.

Er war ausgesucht höflich, wirkte er aber auch irgendwie unsicher, vielleicht lag das aber auch an Sue, die unmittelbar neben ihm stand. Machmud war offensichtlich gut vorbereitet. Jörg fragte sich, ob man ihm eventuell irgendwie näher kommen könnte, ob man vielleicht eine gewisse Vertrautheit aufbauen könnte. Er erinnerte sich an das Stockholm-Syndrom.

„Wir haben diese Möglichkeit ausführlich diskutiert, wir gehen davon aus, dass die Bombe nicht zu schwer werden sollte, diese Lösung erfordert aber einen dickwandigen Stahlmantel, um dem anfänglichen Druck lange genug standzuhalten.“

„Aber der Vorteil wäre, dass nur eine Zündung notwendig wäre, damit entfällt das Problem von mehreren Zündungen, die nahezu gleichzeitig erfolgen müssten. Und wir glauben weiterhin, dass die Herstellung einer solchen Hohlkugel aus Plutonium nicht so ganz einfach ist, dagegen ist die Einbringung einzelner Spaltmaterialteile eine ganz normale mechanische Aufgabe.“

Machmud blickte skeptisch. „Aber es bietet Ihnen auch die Möglichkeit einer Sabotage im allerletzten Moment.“

„Wie meinen Sie das?“

„Halten Sie uns bitte nicht für so naiv. Natürlich werden Sie alles tun, um den Bau einer funktionsfähigen Bombe zu verhindern. Um Ihre Familien nicht zu gefährden, werden Sie versuchen, den Fehler erst im allerletzten Moment einzubauen. Falls wir uns für Ihre Lösung entscheiden, werden Sie den Zündungsablauf in mehreren experimentellen Versuchen in meiner Anwesenheit simulieren und die Größe des Zeitfensters dokumentieren. Aber ich werde jeden Schritt Ihrer Tätigkeit sehr aufmerksam verfolgen, geben Sie sich nicht der Illusion hin, mich täuschen zu können.“ Sein Ton wirkte jetzt sehr bestimmt, die Unsicherheit war verschwunden. Jörg und den anderen wurde erneut klar, dieser Mann war nicht zu unterschätzen.

„Ich komme in zwei Tagen zur gleichen Zeit wieder. Ich darf Sie bitten, bis dahin einige Skizzen für die von Ihnen gewählte Lösung anzufertigen, das ist allerdings noch keine Entscheidung.“

Nachdem er gegangen war, schauten sie sich fragend an. Pierre brachte es auf den Punkt. „Wir brauchen eine neue Strategie.“

Kes hatte eine Befürchtung. „Könnte es sein, dass sie uns abhören.“

Jörg beruhige ihn. „Wenn es so wäre, hätten sie auf unsere Bemerkungen längst reagiert, denk nur an den Lageplan.“

Ben unterbrach das darauffolgende Schweigen. „Wir müssen irgendwie unsere Familien warnen. Wenn wir das erreicht haben, sind wir nur noch für uns selbst verantwortlich.“

Pierre war wie immer ungeduldig. „Wie sollen wir das mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln anstellen, sollen wir etwa Trommeln anfertigen?“

Jörg sprang Ben zur Seite. „Wir sollten uns tatsächlich zunächst auf diesen Punkt konzentrieren. Ich schlage ein Brainstorming vor. Es gilt nur eine einzige Regel, jeder Vorschlag wird kommentarlos entgegengenommen, sei er auch noch so abwegig. Manchmal führen genau diese Ideen zu einer brauchbaren Lösung. Wir benötigen eine möglichst umfangreiche Liste an Vorschlägen.“

Sie setzten sich im Rasen in einen Kreis und dachten nach. Jörg hatte den ersten Vorschlag. „Wir haben eine Unmenge leerer Wasserflaschen. Wir können eine möglichst große Zahl mit einer schriftlichen Nachricht und einer Liste unserer Namen versehen. Wenn tatsächlich eine irgendwo auftaucht und gelesen wird, könnte man aus dem Strömungsverlauf sogar Rückschlüsse auf unseren Aufenthaltsort ziehen.“

Auch Pierre war jetzt voll bei der Sache. „Wir könnten versuchen, in den Besitz eines Handys zu kommen. Ich weiß noch nicht wie, aber vielleicht könnten wir ja darüber noch mal extra brainstormen.“

Sie nickten, das wäre tatsächlich eine Möglichkeit. Der Vorschlag von Ben war ziemlich unrealistisch. „Wir sollten einen Wächter auf unsere Seite ziehen, vielleicht durch Bestechung.“

Pierre hatte einen weiteren Vorschlag. „Wir könnten unseren Wächtern eine Falle stellen und dann fliehen, irgendwo gibt es sicher ein Boot.“

„Und wir könnten versuchen, einen Sender zu bauen.“ Der letzte Vorschlag kam von Sue.

„Noch irgendeine weitere irgendwie mögliche Methode, auch wenn sie völlig verrückt klingt?“ Kes bewies niederländischen Humor: „Wir versetzen uns gemeinsam in eine tiefe Meditation. Dann vereinigen wir uns zu einem Geist und kontaktieren das CIA durch Gedankenübertragung.“

Alle lachten, Jörg ergänzte: „Es gab tatsächlich solche Experimente in russischen und amerikanischen Militärforschungseinrichtungen, insbesondere zur Telekinese, leider sind die Ergebnisse nie veröffentlicht worden. Ich glaube, mehr ist im Moment nicht zu erwarten, wir sollten die Vorschläge jetzt bewerten.“

Sie diskutierten das Für und Wider und kamen zu einem Ergebnis. Die Flaschenpostlösung war auf den zweiten Blick gar nicht so abwegig, das Problem war allerdings der Transport zum Meer. Wenn das Lager wirklich Tag und Nacht unter Bewachung stand, wäre das äußerst riskant. Sie beschlossen, trotzdem zwanzig Flaschen vorzubereiten, vielleicht ergab sich ja doch irgendeine Gelegenheit.

Einen Wächter zu bestechen, musste ausgeschlossen werden, wahrscheinlich waren sie genauso fanatisch und außerdem hatten sie nichts anzubieten als Versprechungen.

In den Besitz eines Handys zu gelangen, wäre eigentlich nur durch eine Nachlässigkeit ihrer Besucher möglich, sie beschlossen trotzdem auf eine Gelegenheit zu achten.

Der Vorschlag von Sue erschien ihnen am meisten erfolgversprechend.

Jörg fragte: „Wärst du in der Lage, einen Sender zu bauen, wenn du das nötige Material hättest?“

„Das wäre für mich eine Kleinigkeit, allerdings wird es sich dabei natürlich nicht um ein Handy handeln, das wäre ohne bestimmte Module unmöglich. Ich würde vielmehr einen Sender mit variabler Frequenz basteln, wie ihn auch die Funkamateure benutzen.“

„Gibt es die noch im Zeitalter des Handys?“

„Und ob, es handelt sich hier um eine verschworene Gemeinde, die das Ganze als Sport betrachten. Es gibt sogar ein Verzeichnis aller Mitglieder mit Angabe ihrer Funkfrequenz, über das ich allerdings nicht verfüge. Wir müssen also die Frequenz immer wieder durchspielen, bis wir einen Teilnehmer bekommen.“

„Was brauchst du dazu?“

„Nur Material, das jeder Bastler normalerweise in seinem Lager hat, die wichtigste Aufgabe ist also, dieses Material irgendwie zu besorgen.“

Sie schauten sich ratlos an. „Wahrscheinlich werden wir damit warten müssen, bis wir in die Phase des Schaltungsaufbaus kommen, mach schon mal eine Liste, was du brauchst.“

Ein Anruf erreichte am frühen Morgen das Sekretariat von Dr. Jakobi. „Guten Morgen, ist Herr Jakobi heute Vormittag im Haus?“

„Er muss jede Minute kommen, mit wem spreche ich?“ Aber der Anrufer hatte schon wieder aufgelegt. Eine Stunde später erschienen zwei Herren im Foyer der Schenkerwerke. Irgendwie war es ihnen gelungen, den Pförtner zu umgehen, sie fragten nach der Vorstandsetage. Auf dem Weg zum Aufzug kam ihnen Robert Sommer entgegen. Dieser stutzte im Vorbeigehen, einer der beiden kam ihm bekannt vor. Er fragte den Boten, der den beiden den Weg gezeigt hatte:

„Wo wollen die denn hin?“

„Nach ganz oben, sie haben nach dem Vorstand gefragt.“

Die beiden betraten das Vorzimmer. „Herr Jakobi ist anwesend?“

„Ja, wen darf ich melden?“

„Danke, wir sind bereits angemeldet“.

Die Sekretärin wollte protestieren, aber sie öffneten ohne weitere Umstände das Zimmer des Vorstandchefs. „Guten Morgen, Dr. Jakobi.“

„Guten Morgen, darf ich fragen, wer Sie sind? Ich erwarte heute Vormittag eigentlich keinen Besuch.“

„Entschuldigen Sie bitte unser Eindringen, aber Sie werden gleich verstehen. Mein Name ist Steinbrecher, ich bin der stellvertretende Leiter des BND, und dies ist Herr Luchs, er ist der Terrorexperte des BKA in Wiesbaden.“

Jakobi war überrascht. „Sie kommen schneller, als ich erwartet habe.“

Sie nahmen am Konferenztisch Platz und Jakobi orderte Kaffee. Luchs übernahm das Gespräch. „Ihre Mitteilung hat uns aufs Äußerste alarmiert, und Sie haben ihren Verdacht sehr überzeugend begründet. Wir bekommen täglich viele Hinweise, die sich als falscher Alarm herausstellen, aber Ihrer fällt da total aus den Rahmen.

Steinbrecher ergänzte: „Ihre Beobachtungen und Schlussfolgerungen sind logisch, eigentlich kann es gar nicht anders sein, so etwas erleben wir selten.“

„Sie halten also es für realistisch?“

„Den wesentlichen Kern auf alle Fälle, sie wollen eine Atombombe, das geht eindeutig aus der Auswahl der Entführungsopfer hervor. Bezüglich des Ziels gibt es natürlich mehrere Möglichkeiten, eventuell auch eine Großstadt wie New York, aber den größten Effekt erzielen sie natürlich mit der Sprengung eines Atomkraftwerks.“

„Aber warum dann gleich mit einer solch schwer zu beschaffenden Bombe, gibt es da keine einfacheren Mittel?“

Steinbrecher überlegte nur kurz. „Kernkraftwerke zählen zu den harten Zielen, die unmittelbare Umgebung wird ständig überwacht und es besteht ein Überflugverbot. Mit einer Atombombe entsprechender Sprengkraft genügt es, eine Bombe in einer Entfernung von einigen Kilometern zu zünden. In dieser Entfernung ist es leicht, eine Bombe zu deponieren, da reicht schon ein normaler Lieferwagen.“

„Und was ist mit der Möglichkeit, schnelle Brüter als Ziel zu wählen?“

„Das macht keinen Unterschied, der Effekt wäre natürlich auf Grund des großen Plutoniumanteils noch mal um ein Vielfaches höher.“

„Wie viele gibt es davon noch, Kalkar ist ja schon seit Langem abgeschaltet?“

„Die meisten anderen auch, aber weltweit sind noch sechs aktiviert, in Japan, Frankreich und Russland. Wir werden das ebenfalls in unsere Überlegungen einbeziehen.“

„Aber vergiften sie damit nicht die ganze Erde und löschen sich schließlich selbst aus?“

Luchs erläuterte: „Wir dürfen ihre Handlungen nicht mit unseren Maßstäben messen, ihr Glaube führt sie zu Taten, die für uns unverständlich sind. Denken Sie nur mal an die Selbstmordattentäter. Sie könnten glauben, dass Allah sie gegenüber Strahlenschäden immun macht, und wenn sie nur Ziele auf der nördlichen Halbkugel auswählen, trifft es vor allem die verdammten Ungläubigen.“

„Und was ist mit diesem bin Laden, ist er wieder auferstanden?“

„Das war leicht zu recherchieren. Es handelt sich hierbei um seinen ältesten Sohn Hamza bin Laden. Der war zum Zeitpunkt der Exekution seines Vaters in Riad.“

„Könnte er hinter all diesem stecken?“

„Das ist wäre reine Spekulation, aber er hat ein starkes Motiv, er hat seinen Vater über alles geliebt und Rache geschworen.“

Steinbrecher ergänzte: „Wir werden diese Möglichkeit natürlich ernsthaft in Betracht ziehen und diesen Hamza so gut wie möglich verfolgen.“

„Was kann ich in dieser Angelegenheit noch tun?“

„Gar nichts, Sie haben alles getan, was möglich war, jetzt sind wir dran. Vielleicht noch eins. Ich habe mich nach dem beruflichen Werdegang des Siemensmitarbeiters informiert, es gibt neben der Erfahrung im Kernkraftsektor noch eine weitere Gemeinsamkeit.“

„Welche?“

„Beide haben eine praktische Ausbildung in der Metallfertigung, Breithaupt hat sogar eine abgeschlossene Maschinenschlosserlehre.“

„Wir werden die Unterlagen mit den anderen vermutlichen Opfern ebenfalls abgleichen, sobald diese uns vorliegen. Vielen Dank für den Hinweis.“

„Was haben Sie als Nächstes vor?“

Die beiden zögerten. „Wir werden wohl das CIA informieren müssen, die Sache ist eine Nummer zu groß für uns. Wer hat den Brief an uns geschrieben?“

„Ich selbst auf meinem Laptop, den Brief habe ich persönlich in den Umschlag gesteckt.“

„Sehr gut, wir bitten Sie weiterhin um strengste Geheimhaltung, wir wollen die Bevölkerung nicht vorzeitig beunruhigen, und vor allem wollen wir die Täter nicht warnen.“

Beim nächsten Besuch brachte Machmud das Gespräch wieder auf die Hohlkugellösung. „Sie werden diese Lösung zunächst noch weiterverfolgen, bevor wir sie eventuell endgültig aufgeben. Wie dick müsste der Mantel der Bombe werden?“

Jörg blätterte in den Tabellen, die sie vom Laptop runtergeladen hatten. „Das können wir nicht sagen, ohne einigermaßen verlässliche Rechnungen ist keine Aussage möglich.“

„Dann fordere ich Sie auf, diese Berechnungen durchzuführen.“

Jörg dachte nach. „Für diese Art Berechnungen reichen Taschenrechner nicht mehr aus. Wir benötigen einen Computer mit installierten Rechenprogrammen.“

„Welche Programme?“

„Als Erstes natürlich Excel, aber das reicht nicht. Wir müssen Optimierungsrechnungen vornehmen, dazu brauchen wir ein Programm, das für bestimmte Parameter die Maße der Bauteile variiert. Die Struktur des Mantels ist mit den grundlegenden Gesetzen der Mechanik nicht berechenbar, wir brauchen ein mächtiges Finite Elemente Programm.“

Machmud nickte, offenbar war er mit dieser Art von Programmen vertraut.

„Weiterhin benötigen wir eine möglichst umfassende Liste der Materialparameter, Elastizitätsmodul, Streckgrenze und so weiter, Sie wissen schon. Hierbei könnten Materialien aus dem Flugzeugbau interessant sein, dort wird alles auf maximale Festigkeit bei geringstem Gewicht optimiert.“

Machmud nickte wieder. „Ich werde alles möglichst schnell beschaffen, in der Zwischenzeit werden Sie sich mit den Spaltmaterialien beschäftigen, die üblicherweise für diesen Zweck eingesetzt werden. Außerdem wünschen wir auch Informationen über den Aufwand, wenn wir die Bombe mit Deuterium befüllen wollen, die notwendigen Informationen für beide Fragen sollten Sie in Ihren Unterlagen finden. Falls Sie mehr brauchen, sagen Sie es.“

Er ging, ohne sich zu verabschieden.

Pierre war neugierig. „Was will er mit dem Deuterium?

Jörg vermutete, die Antwort zu haben. „Deuterium braucht man zur Herstellung einer Wasserstoffbombe. Aber wenn sie das wirklich beabsichtigen, können wir ihnen den Zahn ziehen. Die Herstellung ist unverhältnismäßig schwieriger.“

Pierre bohrte weiter: „Gibt es so was wie ein Finite Elemente Programm wirklich oder wolltest du Zeit gewinnen?“

„Nein, das wäre bei diesem Typ auch gar nicht möglich, er ist ein Fachmann. FE-Programme kommen zur Anwendung, wenn konventionelle Rechenmethoden nicht mehr ausreichen. Mit ihnen kann man beliebig geformte Bauteile berechnen, man legt mathematisch ein dichtmaschiges Netz über die Struktur und rechnet sich schrittweise von Segment zu Segment. Diese Programme sind vor allem für die Dimensionierung von Flugzeugstrukturen unentbehrlich.“

„Sind sie schwer zu besorgen?“

„Überhaupt nicht, man erwirbt eine Lizenz und kann sie dann runterladen.“

Sie studierten die Unterlagen bezüglich der Spaltmaterialien. Es gab Tabellen mit Reihen von unterschiedlichen Anreicherungsgraden. Je größer der Anreicherungsgrad, desto geringer war das Gewicht der kritischen Masse.

Jörg bemerkte; „Wenn sie Wert auf ein geringes Gewicht legen, werden sie sich für einen hohen Anreicherungsgrad entscheiden, der ist allerdings sehr teuer.“

Ben ergänzte: „Ich glaube nicht, dass die das abhält, die haben Geld genug, es ist wohl mehr eine Frage der Verfügbarkeit. Wo könnten sie es herbekommen?“

Jörg dachte kurz nach. „Wenn sie sich für Uran entscheiden, dann wohl am einfachsten über Pakistan. Dort wurde in den neunziger Jahren mit deutsch-chinesischer Hilfe eine Anreicherungsanlage errichtet, die pro Jahr Spaltmaterial für etwa fünf Bomben herstellt.“

„Und für Plutonium?“

„Da käme wohl vor allem Russland in Frage, dort lagern nach der Atomabrüstung jede Menge in irgendwelchen Depots. Und es gibt immer Menschen, die für viel Geld sogar ihre Großmutter verkaufen würden.“

Machmud kam diesmal erst nach vier Tagen wieder. Er wirkte wie ein seriöser Geschäftsmann, der sich für eine verspätete Lieferung entschuldigte. „Die Beschaffung des Computers und der Programme hat etwas länger gedauert. Wie weit sind Sie inzwischen gekommen?“

„Wir haben alles so zusammengefasst, dass eine Bewertung der Vor- und Nachteile möglich ist.“

„Gut, könnten Sie es kurz zusammenfassen?“

Kes übernahm die Rolle des Sprechers. Seine Stimme war sachlich, er sprach emotionslos wie ein Nachrichtensprecher. „Die einfachste Lösung ist die, die auch bei der Atombombe angewandt wurde, die über Hiroshima abgeworfen wurde. Bei dieser Bombe namens Little Boy wurde der eine Teil der Spaltmasse, in diesem Fall hoch angereichertes Uran, mittels einer TNT-Sprengmasse in einen passend geformten Hohlraum der andern Masse geschossen. Dieses als ‚gun design‘ bezeichnete Prinzip ist die einfachste Methode, sie erfordert keine Synchronisation verschiedener Sprengsätze. Die Wirkung lässt sich wesentlich verstärken, wenn mehrere Spaltmassen gleichzeitig aufeinander geschossen werden, üblicherweise werden vier verwendet. Je nach Design benötigt man zwischen fünfundzwanzig Kilogramm Uran für eine Sprengkraft von zwanzig Kilotonnen TNT. Die gleiche Wirkung lässt sich bereits mit drei bis sechs kg Plutonium erreichen, allerdings sind der konstruktive Aufbau und die Synchronbedingung für die Zündung viel schwieriger, außerdem erfordert diese Ausführung eine Ummantelung aus natürlichem Uran als Neutronenreflektor. Die Konstruktion einer Wasserstoffbombe ist um ein Vielfaches komplizierter, der Bau dieser Version liegt weit außerhalb unserer Möglichkeiten.“

Machmud nickte: „Dieses Ergebnis haben wir erwartet. Bleibt noch die Entscheidung zwischen der Hohlkugellösung und der konventionellen Methode. Wie lange werden Sie für die Berechnungen benötigen?“

Jörg übernahm. „Das ist vorwiegend meine Aufgabe. Ich habe die FE-Methode im Studium kennengelernt und bin mit dem Grundprinzip vertraut. Das ist jetzt allerdings schon über zehn Jahre her und die Programme wurden sicherlich weiterentwickelt. Mir fehlt jede Erfahrung und ich benötige erst einmal eine gewisse Einarbeitung.“

„Daran haben wir gedacht, der PC enthält ein ausführliches Lernprogramm.“

„Nehmen wir an, ich benötige eine Woche, um die nötige Routine zu gewinnen, dann erfordert die Generierung des Netzes sicher noch einige Tage. Dann müssen die Parameter eingegeben werden, das sollte schnell gehen, sagen wir einen Tag. Die Laufzeit des Programms hängt davon ab wie engmaschig das Netz ist und wie schnell der Prozessor ist, zu meiner Zeit wurden hierfür Tage bis Wochen benötigt, das wird heute wohl schneller gehen. Nach Ablauf des ersten Durchlaufs müssen die Parameter geändert werden, um im nächsten Durchlauf Tendenzen festzustellen, die das Ergebnis optimieren.“

„Und wenn die anderen mitarbeiten?

„Das wird nicht viel ändern, man kann die Dauer einer Schwangerschaft auch nicht verkürzen, indem man fünf Frauen gleichzeitig schwängert.“

Jörg bereute seinen Witz, noch während er sprach. Machmud zuckte zusammen und war kurz davor aufzuspringen. Dann entspannte er sich und ging wieder zur Tagesordnung über. Er zog einen kleinen Hefter aus der Tasche und überreichte ihn Jörg. „Hier ist die Liste der Parameter für die in Frage kommenden Materialien. Wenn Sie mehr brauchen, sagen Sie es.“

Jörg überflog die Blätter und nickte. „Ich denke, das ist genau das, was wir im Moment brauchen.“

Machmud schien zufrieden. „Für die anderen habe ich folgende Aufgabe. Wir benötigen eine Liste aller Maschinen und Materialien, die wir für die Fertigung benötigen. Zunächst genügen allgemeine Angaben. Wenn wir später ins Detail gehen, werden wir Ihnen Kataloge und Angebote vorlegen, aus denen Sie eine Auswahl treffen können.

Jörg hatte noch eine Bitte. „Bekommen wir dafür Schreibmaterial zur Verfügung gestellt, sagen wir fünf Entwurfsblöcke und natürlich Kulis und Bleistifte? Wir können dann zunächst unabhängig voneinander Aufstellungen anfertigen und diese anschließend vergleichen.“

„Das klingt vernünftig, Sie werden das Material gemeinsam mit der nächsten Essenversorgung erhalten.“

Die nächsten Tage waren alle intensiv beschäftigt, es war seltsam, sie arbeiteten, als wenn es sich um ihr eigenes Projekt handeln würde. Jörg inspizierte den PC.

„E-Mails können wir nicht versenden, aber das war wohl auch nicht zu erwarten.“

„Du hoffst wohl immer noch auf deinen deus ex machina?“, fragte Pierre.

Jörg ließ sich nicht irritieren. „Ich hoffe nicht nur, sondern habe ihn gefunden, allerdings ist er noch ziemlich klein.“ Er hatte das Gehäuse geöffnet und zeigte auf ein Teil im Chassis. Die anderen kamen neugierig näher.

„Ah, das erste Bauteil für meinen Sender, dieses Mikro ist genau, was ich brauche.“ Sue war begeistert. „Können wir den Rest hier auch noch finden?“

„Das könnte sein, aber dann funktioniert das Ding nicht mehr, vielleicht später.“

Kes wandte ein: „Das wäre gefährlich. Wenn Machmud etwas merkt, fliegt das Ganze auf.“

Jörg nickte. „Ich glaube auch, wir sollten damit warten, bis wir unsere Werkstatt bekommen, dann haben wir Material im Überfluss.“

Sue und Ben waren mit kochen dran, die anderen setzten sich nach draußen in den Schatten. Kes unterbrach das Schweigen. .„Wir werden die verdammte Bombe also auch wirklich herstellen müssen?“

Jörg nickte. „Davon gehe ich fest aus, die Frage ist nur, wieweit wir dabei überwacht werden. Das könnte die Herstellung des Senders verhindern.“

„Das glaube ich nicht, schlimmstenfalls löten wir das Ding nachts im Bett zusammen. Warum hast du gleich fünf Blöcke Papier bestellt?“

In diesem Moment hörten sie einen einzelnen Schuss. Etwa drei Sekunden später erfolgten vier kurz aufeinanderfolgende Gewehrsalven.

Nauroth erschien wie aus dem Nichts in Schäfers Container. Sie waren inzwischen gute Freunde geworden, sie hatten gemeinsame Interessen und die gleiche Mentalität. Nauroth war trotz der Hitze elegant gekleidet wie immer, Schäfer dagegen nur in Shorts, der Oberkörper war frei.

„Warum machst du die Klimaanlage nicht an?“, fragte Nauroth.

„Das Ding hat wohl einen Lagerschaden, jedenfalls rumpelt es wie eine Dreschmaschine.“ Nauroth zog seine Anzugjacke aus und lockerte seinen Schlips. „Wie geht es deiner Frau?“, fragte Schäfer weiter.

„Bestens wie meistens, sie genießt die verdammte Hitze und geht shoppen.“

„Das kenn ich, aber sie geht zumindest allein. Ich muss meine Frau immer begleiten, und wenn sie mal nur eben für drei Minuten in eine Boutique geht, heißt das für mich, eine halbe Stunde dumm rumstehen.“

Nauroth lachte. „Zeit ist eben relativ, das sagte schon Einstein: eine Minute auf einer heißen Herdplatte dauert unendlich, der Kuss eines schönen Mädchens erscheint wie eine Millisekunde.“

„Typisch für Einstein, er war ja bekanntlich alles andere als ein Kostverächter. Gibt es was Neues von Breithaupt?“

„Nein, aber es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den Entführten.“

„Woher hast du das?“

„Meine Frau ist doch mit der Sekretärin von Habibi befreundet. Dadurch erhalte ich manchmal recht nützliche Informationen, du weißt ja, der informelle Weg ist immer der effektivste. Es gab doch diese Recherche über ähnliche Fälle. Sie hat meiner Frau die Ergebnisliste gezeigt. Es gab etwa zwanzig, dreißig Fälle, aber acht Personen waren gekennzeichnet. Sie hatten eine Gemeinsamkeit, alle waren Ingenieure oder Wissenschaftler. Der Rest waren meistenteils Touristen oder Pensionäre, beispielsweise ein Pärchen aus Südkorea, die ein Boot gemietet hatten, um eine Inseltour zu unternehmen. Boot und Pärchen sind spurlos verschwunden.“

„Acht Ingenieure und Wissenschaftler, was könnte das bedeuten?“

„Ich habe lange mit meiner Frau diskutiert. Wir glauben, dass dahinter irgendeine kriminelle Vereinigung steckt.“

„Terroristen?“

„Wie kommst du da drauf?“

„Ich hatte gestern ein Telefonat mit meinem Vorturner Sommer. Er wollte sich über den Stand des Angebotes für den Malaiischen Windkanal informieren. Dabei hat er mir erzählt, dass der Vorstand am Tag zuvor Besuch aus dem BKA erhalten hat.“

„Und was wollten die?“

„Mehr weiß er auch nicht, selbst die Vorstandssekretärinnen haben nichts mitbekommen. Er hatte den Besucher auf dem Flur erkannt, weil dieser als Terrorismusexperte öfter im Fernsehen auftritt wird.“

„Das heißt, unsere beiden Männer werden mit weiteren Ingenieuren irgendwo festgehalten.“

„Das scheint sicher. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie irgendwas entwickeln müssen, mit dem sich Terroranschläge ausführen lassen.“

„Eine spezielle Waffe oder Vorrichtungen zur biologischen Kriegsführung?“

„Möglich, Osama bin Laden hat in den neunziger Jahren schon mal probiert, eine schmutzige Bombe zu bauen.“

„Was ist eine schmutzige Bombe?“

„Eine Atombombe, bei der neben der zerstörerischen Wirkung auch noch viele radioaktive Stoffe freigesetzt werden.“

„Das hat aber offenbar zum Glück nicht funktioniert.“

„Nein, er hatte damals einen Deal mit einem sudanesischen General, das Uran zu besorgen. Er hat bezahlt, aber nichts bekommen. Er wurde schlicht betrogen.“

„Netter Zug von dem General.“

„Finde ich auch, er ist ein gutes Beispiel für den Teufel aus Goethes Faust.“

„Wie meinst du das?“

„Der Teufel antwortete auf Fausts Frage, wer er sei: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft.“

Nauroth musste lachen. „Klingt für mich wie ein Leitspruch des Kapitalismus.“

„Na ja, dieser bin Laden ist ja jetzt glücklicherweise tot und kann uns nicht mehr gefährlich werden.“

„Tot ja, aber gefährlich ist er vielleicht immer noch. Ich habe von einem Interview gehört, das er vor einigen Tagen im Fernsehen gegeben haben soll. Wahrscheinlich eine alte Aufzeichnung.“

Tasuta katkend on lõppenud.