Loe raamatut: «Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren»

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Peter Oestmann

Wege zur

Rechtsgeschichte:

Gerichtsbarkeit

und Verfahren

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN · 2015

Impressum

Peter Oestmann ist Professor für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte an der Universität Münster.

Wege zur Rechtsgeschichte mit weiteren Themenbänden von

Ulrike Babusiaux, Hans-Peter Haferkamp, Johannes Platschek, Tilman Repgen und Andreas Thier

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich

unter www.utb-shop.de.

Umschlagabbildung:

Affresco con scena di giudizio dai predia di Giulia Felice (Fresko mit einer Gerichtsszene aus dem Haus der Julia Felix) inv. 9067. Autorisation der Soprintendenza per i Beni Archeologici di Napoli

Nr. 0014785 (Cl. 28.13.10/1.123). Fotograf: Luigi Spina

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien

Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart unter Verwendung einer Illustration von Jaël Rabitsch, Paris

Korrektorat: Frank Schneider, Wuppertal

Satz: synpannier. Gestaltung & Wissenschaftskommunikation, Bielefeld

Druck und Bindung: Pustet, Regensburg

Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier

Printed in Germany

UTB-Band-Nr. 4295 | Print-ISBN 978-3-8252-4295-4 | eISBN 978-3-8463-4295-4

Über dieses eBook

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Impressum

Über dieses eBook

Vorwort

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Hinführung zum Thema

1.2 Leitfragen

1.2.1 Staatsgewalt

1.2.2 Gerichtsverfassung

1.2.3 Prozessrecht

1.2.4 Auswirkungen der Leitfragen

1.3 Forschungsstand

1.3.1 Lehrbücher

1.3.2 Forschungsliteratur

1.4 Gang der Darstellung

1.5 Ein Wort zur Benutzung des Lehrbuchs

2 Die Zeit vor dem staatlichen Gewaltmonopol

2.1 Hinführung zum Thema

2.1.1 Rückprojektion

2.1.2 Rechtsethnologie

2.1.3 Rechtsarchäologie

2.1.4 Der Rechtsbegriff als Problem der Rechtsgeschichte

2.2 Selbsthilfe und Streitschlichtung bei den germanischen Stämmen

2.3 Gerichtsbarkeit bei germanischen Stämmen?

2.4 Fehde und Sühneleistungen seit der Völkerwanderungszeit

2.4.1 Ein Blick auf Blutrache und Sühne im 6. Jahrhundert

2.4.2 Zum Verhältnis von Blutrache, Ehre und Sühne

2.4.3 Die Bußenkataloge der Stammesrechte

2.4.4 Gerichtsverfassung und Verfahrensrecht in der fränkischen Zeit

2.5 Die Zeit der Gottes- und Landfrieden

2.5.1 Friesisches Recht

2.5.2 Gottesfrieden

2.5.3 Landfrieden

2.5.4 Verrechtlichung der Fehde

2.5.5 Schritte auf dem Weg zum Fehdeverbot

2.6 Gericht und Verfahrensrecht im Sachsenspiegel

2.6.1 Gerichtsverfassung

2.6.2 Prozessrecht

2.6.3 Das Anefangverfahren

2.7 Königsgerichtsbarkeit und Reichshofgericht

2.7.1 Organisation und Verfahren des Reichshofgerichts

2.7.2 Exemtionen, Gerichtsstands- und Evokationsprivilegien

2.8 Rechtskreise und Oberhofzüge im Spätmittelalter

2.8.1 Einstufiges Gerichtsverfahren

2.8.2 Maßgebliche Rechtsgewohnheiten

2.8.3 Ende der Oberhöfe

2.8.4 Formstrenge im spätmittelalterlichen Recht

2.8.5 Zum Aufbau mittelalterlicher Gerichtsprotokolle

2.8.6 Der Lübecker Rat als Oberhof

2.8.7 Die Femegerichtsbarkeit

2.8.8 Spätmittelalterliche Gerichtspraxis in Frankfurt am Main (nach 1411)

2.9 Gelehrtes Prozessrecht im kirchlichen und weltlichen Recht

2.9.1 Beweisführung im gelehrten Prozess

2.9.2 Advokaten und Prokuratoren

2.9.3 Der Richter im kanonischen Prozess

2.9.4 Entstehung von Instanzenzügen

2.9.5 Zivilprozess und Inquisitionsprozess

2.9.6 Entstehung der Folter

2.9.7 Gelehrte Richter im weltlichen Recht

2.9.8 Gelehrtes Recht in der weltlichen Gerichtspraxis des deutschen Spätmittelalters

2.10 Das Königliche Kammergericht

2.10.1 Verpachtung des Kammergerichts

2.10.2 Reichsgerichtsbarkeit und Reichsreform

2.10.3 Eine Verhandlung vor dem Königlichen Kammergericht

3 Die Zeit des staatlichen Gewaltmonopols

3.1 Der Ewige Landfrieden

3.1.1 Verbot der Fehde

3.1.2 Reform der Reichsgerichtsbarkeit

3.2 Die Reichsgerichtsbarkeit im Alten Reich

3.2.1 Reichskammergericht

3.2.2 Reichshofrat

3.2.3 Der Kameralprozess

3.2.4 Die Entscheidungsliteratur

3.3 Die Gerichtsbarkeit in den Territorien

3.3.1 Die Appellationsprivilegien

3.3.2 Das Wismarer Tribunal

3.3.3 Das Oberappellationsgericht Celle

3.3.4 Preußen und der Müller-Arnold-Prozess

3.3.5 Aktenversendung

3.4 Die geistliche Gerichtsbarkeit in der frühen Neuzeit

3.4.1 Geistliche Gerichtsbarkeit und Reichsverfassung

3.4.2 Katholische Territorien

3.4.3 Protestantische Territorien

3.5 Besondere Formen der Gerichtsbarkeit

3.5.1 Patrimonialgerichtsbarkeit

3.5.2 Bäuerliche Niedergerichte

3.6 Der frühneuzeitliche Strafprozess

3.6.1 Die Constitutio Criminalis Carolina

3.6.2 Inquisitionsprozess

3.6.3 Akkusationsprozess

3.6.4 Crimen exceptum-Lehre und Hexenprozesse

3.6.5 Endlicher Rechtstag

3.7 Gerichtsverfassung und Prozessrecht des 19. Jahrhunderts als rechtshistorisches Problem

3.8 Die französischen Reformen der Gerichtsverfassung und des Prozessrechts

3.8.1 Die Reformbewegung in der Revolutionszeit und unter Napoleon

3.8.2 Ausstrahlungen der französischen Reformen auf Deutschland

3.9 Das Oberappellationsgericht der vier freien Städte Deutschlands

3.9.1 Begründungstechnik und Argumentation

3.9.2 Das Ende des Oberappellationsgerichts

3.10 Der lange Weg zu den Reichsjustizgesetzen

3.10.1 Gerichtsverfassung und Prozessmaximen in der Paulskirchenverfassung

3.10.2 Die hannoverschen Zivilprozessordnungen von 1847 und 1850

3.10.3 Die Zivilprozessordnung von 1877/79

3.10.4 Die Strafprozessordnung von 1877/79

3.10.5 Das Gerichtsverfassungsgesetz von 1877/79

3.11 Gerichtsbarkeit und Prozessrecht in der Weimarer Republik

3.12 Justiz im Nationalsozialismus

3.12.1 Der Primat der Politik

3.12.2 Lenkung der ordentlichen Gerichtsbarkeit

3.12.3 Normenstaat und Maßnahmenstaat

3.12.4 Volksgerichtshof, Sondergerichte

3.12.5 Kriegsverbrecherprozesse

3.13 Gerichtsbarkeit und Prozessrecht in der Deutschen Demokratischen Republik

3.13.1 Die Waldheimer Prozesse

3.13.2 Gerichtsverfassung in der DDR

3.13.3 Primat der Politik in der Gerichtspraxis der DDR

3.14 Gerichtsbarkeit und Prozessrecht unter dem Grundgesetz

3.14.1 Das Bundesverfassungsgericht

3.14.2 Ausdifferenzierung der Gerichtsverfassung

3.14.3 Reformen des Zivilprozessrechts

3.14.4 Reformen des Strafprozessrechts

4 Die Zeit nach dem staatlichen Gewaltmonopol?

5 Ergebnisse

Literatur

1. Einleitung

2. Die Zeit vor dem staatlichen Gewaltmonopol

3. Die Zeit des staatliche Gewaltmonopols

4. Die Zeit nach dem staatlichen Gewaltmonopol?

Register

Personenregister

Ortsregister

Sachregister/Glossar

Rückumschlag

Vorwort

Das Buch beschreitet „Wege zur Rechtsgeschichte“. Ein zentraler Ausschnitt aus der deutschen und europäischen Vergangenheit wird hier als eigenes Kurzlehrbuch angeboten. Damit ist zugleich Raum eröffnet, um die Grundzüge der Gerichts- und Prozessgeschichte für studentische Leser eingehend zu erklären. Oftmals überschütten rechtshistorische Lehrbücher die Studenten mit Fakten, Fakten und abermals Fakten. Je knapper bemessen der Platz, desto weniger Möglichkeiten verbleiben, die großen Linien zu zeichnen oder Einzelheiten zu entfalten. Wie Hagelschauer prasseln auf den Leser Namen, Jahreszahlen, Orte und Fachbegriffe nieder. Warum man dies alles wissen muss, was wirklich wichtig ist und was nur schmückendes Beiwerk darstellt, bleibt ungesagt. Bildung soll gern Selbstzweck sein, fürwahr, aber der Lehrer braucht nicht alle Kleinigkeiten zu vermitteln, nur weil er sie selbst gerade kennt. Wer sich klarmacht, welche Geschichte er erzählen will, kann sich auf wesentliche Punkte beschränken.

Der 27-jährige Privatdozent Otto Mejer schrieb 1845 im Vorwort seines Kirchenrechtskompendiums, im Kurzlehrbuch gehe es bloß darum, eine Übersicht über das Feststehende zu bieten. Auf dem Katheder dürfe der Hochschullehrer dagegen „die Wissenschaft geben, wie er sie zu besitzen meint, so subjectiv er will und kann“1. Gemessen am Ideal des Göttinger Kirchen- und Staatsrechtlers liegt mein Grundriss näher an der aufgeheizten Vorlesung als am abgeklärten Lehrbuch. Der Text bekennt Farbe und ist um deutliche Wertungen nicht verlegen. Wenn Widerspruch den Leser zum Nachdenken bringt und ihm die Quellen- und Literaturhinweise den Weg zur eigenen Meinung öffnen, ist viel erreicht. Das Buch will keineswegs das Selbststudium abwürgen, sondern auf Schritt und Tritt dazu einladen, immer tiefer in die aufregende Welt der Rechtsgeschichte einzutauchen. Über die Quellenauswahl, die Gliederung und Wertungsmaßstäbe lässt sich trefflich streiten. Vor allem fehlt Vieles. Wichtige Gerichte, ganze Prozessarten, Berufsbilder, sozialgeschichtliche Bezüge, Diskussionen in der Rechtswissenschaft der Zeit – an allen Ecken und Enden bleiben Fragen und Lücken. In einigen Jahren kann hoffentlich ein Handbuch zur Geschichte der [<<9] Rechtsdurchsetzung den Stoff viel feinmaschiger aufnehmen. Für den Augenblick handelt es sich um eine Handreichung an interessierte Leser. Sie soll dem modernen aufmerksamen Juristen anhand einiger Einblicke die Bedeutung der rechtshistorischen Tradition für Gegenwart vor Augen führen. Ob sich die Sehschlitze nach und nach zu einem größeren Sichtfeld weiten und mit der Zeit ein Gesamtbild entsteht, bleibt jedem selbst überlassen. Mir jedenfalls hat der Zwang, den roten Faden festzuzurren und sich nie ins Auswabernde zu verlieren, jederzeit Freude und Schwung bereitet. Hoffentlich merkt man das dem Buch an.

Für Anregungen und kritische Hinweise schulde ich vielfach Dank. Schon eine Vorlesung, die ich als Habilitand bei Joachim Rückert hörte, lehrte mich, in der Rechtsgeschichte nach wenigen, aber bezeichnenden Sach- und Zeittypen zu suchen, um den überlieferten Stoff zu ordnen. Das Gespräch mit den Kollegen, die ebenfalls Kurzlehrbücher zu unserer Reihe beisteuern, lieferte zahlreiche methodische und inhaltliche Klärungen. Ulrike Babusiaux, Hans-Peter Haferkamp und Tilman Repgen haben große Teile des Rohtextes gelesen. Vor allem meine Mitarbeiter haben das Manuskript mit spitzem Bleistift zweimal durchgearbeitet und mir immer wieder meine eigenen Grenzen vor Augen geführt. Für ihre besondere Freude an der Sache sowie ihren Mut zum offenen Wort danke ich Björn Czeschick, Lara-May Fischer, Clara Günzl, Daniel Jordanov, Jonas Stephan, Julian Voltz und Sandro Wiggerich. Der Böhlau-Verlag mit Peter Rauch, Johannes Rauch und Dorothee Rheker-Wunsch hat das Projekt von Anfang an mit großer Begeisterung unterstützt. Von einem ersten Treffen in Zürich im September 2012 bis zur vorliegenden doppelten Ausgabe als Taschenbuch und eBook war es ein aufregender Weg. Ob er sich gelohnt hat, mögen andere beurteilen.

Münster, April 2015

Peter Oestmann [<<10]

1 Otto Mejer, Institutionen des gemeinen deutschen Kirchenrechtes, Göttingen 1845, S. VI.

Abkürzungsverzeichnis


Abh.Abhandlungen
ALRAllgemeines Landrecht (1794)
Beitr.Beiträge
BGBBürgerliches Gesetzbuch
c.canon im zweiten Teil des Decretum Gratiani
C.Causa im zweiten Teil des Decretum Gratiani
CCCConstitutio Criminalis Carolina = Peinliche Halsgerichtsordnung von 1532
Cod.Codex Justinianus
CPOReichszivilprozessordnung von 1877/79
D.Distinctio im ersten Teil des Decretum Gratiani
Dig.Digesten
Diss.Dissertation
EGMREuropäischer Gerichtshof für Menschenrechte
ENZEnzyklopädie der Neuzeit
ERVSchriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte
EuGHEuropäischer Gerichtshof
FdtRgForschungen zur deutschen Rechtsgeschichte
Fgn.Forschungen
ff.Digesten
Fs.Festschrift (für)
GUUntersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, begründet von Otto von Gierke
GVGGerichtsverfassungsgesetz
HRGHandwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte
Hrsg.Herausgeber
Inst.Institutionen
jur.juristisch
JuSJuristische Schulung
Kap.Kapitel
Lnr.Lehnrecht
MGHMonumenta Germaniae Historica
Ndr.Nachdruck/Neudruck
NFNeue Folge
phil.-hist.philosophisch-historisch
q.quaestio im zweiten Teil des Decretum Gratiani
QFhGARQuellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich
RgRechtsgeschichte, zugleich: Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte
Rspr.Rechtsprechung. Materialien und Studien
RStPOReichsstrafprozessordnung von 1877/79
Rwiss./rwiss.Rechtswissenschaft/rechtswissenschaftlich
S.Seite
Sp.Spalte
Ssp.Sachsenspiegel
Ssp. Ldr.Sachsenspiegel Landrecht
StEuRgIus Commune. Sonderhefte/Studien zur europäischen Rechtsgeschichte
TRGTijdschrift voor Rechtsgeschiedenis
XDekretalen; Liber Extra
ZHFZeitschrift für Historische Forschung
ZNRZeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte
ZPOZivilprozessordnung
ZRGZeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte
ZRG Germ. Abt.Germanistische Abteilung der ZRG

[<<12]

1 Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema

Die Gerichtsbarkeit zählt zu den tragenden Pfeilern des modernen Staates. Neben der Gesetzgebung und der Regierung bildet die Rechtsprechung die dritte Säule der Staatsgewalt. Mögen die Menschen sich in rechtlichen Angelegenheiten streiten, mag es Verbrechen und Kriminalität geben – heute ist es der Staat, der solche Fragen verbindlich löst. Wer seine vermeintlichen rechtlichen Interessen eigenmächtig durchsetzen möchte und auf eigene Faust zur Selbsthilfe schreitet, verlässt damit den Boden des Rechts. An etwas versteckter Stelle, mit doppelter Verneinung und in juristischer Kunstsprache, spricht § 229 BGB die heutige Selbstverständlichkeit aus:

Wer zum Zwecke der Selbsthilfe eine Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder wer zum Zwecke der Selbsthilfe einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt oder den Widerstand des Verpflichteten gegen eine Handlung, die dieser zu dulden verpflichtet ist, beseitigt, handelt nicht widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.

Faustrecht ist damit grundsätzlich verboten. Nur dann, wenn staatliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und die Gefahr besteht, dass eigene Rechtspositionen unwiederbringlich verloren gehen, ist Selbsthilfe in engen Grenzen noch erlaubt. Auch die Rechtfertigungsgründe im Strafrecht errichten strenge Schranken und dämmen auf diese Weise private Gewalt ein. Aussicht auf Erfolg kann der Gesetzgeber aber nur haben, wenn eine Gerichtsbarkeit bereitsteht, die dem Einzelnen tatsächlich sein Recht verschafft. Nur wenn in überschaubarer Zeit und mit vertretbarem Kostenaufwand richterliche, also staatliche Entscheidungen die streitigen Ansprüche klären und ggf. auch vollstrecken, strafbare Handlungen bestrafen und auf diese Weise die Rechtsordnung verteidigen, gibt es keinen Grund mehr zur Selbsthilfe. Sie ist dann überflüssig.

Im Blick zurück sind das alles keine Selbstverständlichkeiten. Die Rechtsgeschichte bietet Beispiele dafür, wie verschiedene Zeiten unterschiedliche Antworten auf sehr [<<13] ähnliche Fragen gegeben haben. Das staatliche Gewaltmonopol, die feinmaschige Gerichtsverfassung und das umfassend kodifizierte Verfahrensrecht mit seinen wesentlichen Prozessmaximen gehören zu den wichtigsten Ausprägungen des heutigen Rechtsstaates. Vergegenwärtigt man sich die entscheidenden Bausteine der modernen Gerichtsbarkeit, ergeben sich unschwer einige Leitfragen. Sie ermöglichen es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den ausgewählten historischen Beispielen und dem Recht unserer Zeit deutlicher zu erkennen. Die Leitfragen dienen zugleich dazu, die Stofffülle zu begrenzen und die Darstellung von überflüssigem Ballast freizuhalten. Es geht beim Studium der Rechtsgeschichte nicht darum, möglichst viele Einzelheiten zu wissen. Entscheidend sind die Einblicke in die jeweiligen Eigenarten verschiedener Epochen und die Fähigkeit, über die langen Zeiträume hinweg Regelungsprobleme und Lösungsmöglichkeiten miteinander zu vergleichen.