Loe raamatut: «An neuen Orten», lehekülg 5

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3.3 Das Sprachproblem: Das „beredte Beschweigen“

Die vorliegende Studie dokumentiert nun aber nicht nur von der Subjektseite her, wie weit sich die Einzelnen zum einen der früher wirksamen Bindekraft kirchlicher Institutionen entzogen und zum anderen ihre eigene Interpretation kirchlichen Handelns in Wort und Tat geschaffen haben, sondern ermöglicht auch einen schlaglichtartigen Einblick in die aktuellen Strategien des Umgangs des pastoralen Personals mit diesen Phänomenen. Dabei zeigt sich Zweierlei. Einerseits gilt:

Viele IP sind über die gegenwärtigen Erfahrungen mit der Kirche positiv überrascht. Sie sind dem Bild von Kirche gegenläufig, das sie von Kindheit und Jugend her kannten.64

Die „schrittweise Distanzierung von Kirche, die viele als Befreiung aus ehemals erfahrenen Zwängen erleben“65, führt im Augenblick der Wiederbegegnung zur Erfahrung der Differenz zwischen verlassener und (punktuell) wiedergefundener Kirche, zumindest auf der konkreten Erfahrungsebene. Statt Strenge und Formalismus findet man Zugänglichkeit, „Modernität“ und Unaufdringlichkeit: kommunikative Werte also, die frühere Ohnmachts- und Repressionserfahrungen im Raum der Kirche positiv kontrastieren.

Dieser kommunikativen Sensibilität steht andererseits eine bemerkenswerte inhaltliche Sprachlosigkeit gegenüber.

Der Wandel im Verständnis der Kirche wurde in den Vorbereitungsgesprächen zur Kasualfeier mit dem jeweiligen kirchlichen Hauptamtlichen nicht thematisiert. Obwohl mit dem Pfarrer beziehungsweise Pastoralreferenten stets ein persönliches Treffen vereinbart wurde, führte der anscheinend weitgehend ‚ritualisierte‘ Charakter der Begegnung dazu, dass diese biographische Ebene der IP nicht zur Sprache kam. Die Schilderungen der Vorbereitungsgespräche zeigen, dass die Beteiligten mit sehr unterschiedlichen Interessen in das Gespräch hineingingen. Während die IP häufig kaum Erwartungen mitbrachten … richtete sich das Interesse der kirchlichen Hauptamtlichen vor allem darauf, den Ablauf der Feier zu besprechen.66

Geradezu tragikomische Züge nimmt diese Sprachlosigkeit an, wenn Först berichtet, dass die aktivierenden Angebote der Hauptamtlichen an die Kasualienfrommen, „eigene Gestaltungsmomente in den Gottesdienst einzubringen, von den IP nicht verstanden“ wurden, insofern es nach deren Auffassung doch den Hauptamtlichen als den „Experten“ obliege, „die kirchliche Feier ‚sachgemäß‘ zu gestalten“.67

Es ist also bei aller kommunikativen Sensibilität eine doppelte Sprachlosigkeit bei den pastoralen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu beobachten. Diese Sprachlosigkeit bezieht sich auf die Rekonstruktion der religiösen Situation der Kasualienfrommen, die offenbar in den Vorbereitungsgesprächen zu den Feiern „beredt beschwiegen“ wird. Sie gilt aber offenkundig auch für die Theologie des anstehenden rituellen Vollzugs selber, die ebenfalls nicht wirklich thematisiert wird. Die letztlich schwindelerregend instabile Basis des gemeinsam vollzogenen Ritus ist das Beschweigen der – zumindest von Seiten der Hauptamtlichen nur zu gut erahnten – Differenz im Verständnis dessen, was man gemeinsam zu tun beabsichtigt. Was bleibt ist die Konzentration auf den korrekten und störungsfreien Ablauf der Feier.

Es ist deutlich, dass sich diese beiden Sprachlosigkeiten bedingen. Weil man nicht sieht, wie das von der offiziellen Lehre abweichende Verständnis der Kasualien bei den Kasualienfrommen mit dem kirchlichen Verständnis in Einklang zu bringen sein soll, thematisiert man es nicht, um diese Differenz nicht bearbeiten zu müssen. Die klassische Bearbeitungsart dieser Differenz, autoritäre Einforderung bei Sanktionsandrohung, ist in Zeiten schwindender Sanktionsmacht ebenso unmöglich geworden wie die neue Bearbeitungsart im gemeindetheologischen Kirchenszenario. Hier wären einigermaßen kontinuierliche gemeinsame Kommunikationsprozesse in Familienkreisen und/oder Vorbereitungsgruppen das (tatsächlich ja bisweilen eindrucksvolle Erfolge erzielende) Mittel der Wahl, um ein gemeinsames Verständnis der anstehenden Kasualfeier zu erarbeiten und gar in eigenständige liturgische Gestaltungsbeiträge umzusetzen.

Doch genau dieser Gemeindeintegration entziehen sich die Kasualienfrommen. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang wieder einmal, dass die gemeindetheologisch akzentuierte Pastoral, bei aller kommunikativen Sensibilität, Anstrengung und Anspannung, ebensowenig in der Lage ist, mit Differenzen jenseits des eigenen Sozialraumes produktiv umzugehen, wie das alte geschlossene und kommunikativ autoritäre katholische Milieu.

Der mit dieser Studie eröffnete punktuelle, wahrscheinlich aber repräsentative Einblick in die aktuellen Strategien des Umgangs des pastoralen Personals mit dem Phänomen der Kasualienfrommen offenbart, dass sowohl die Kasualienfrommen selber in ihrer individuellen Differenz zu den „Kirchenfrommen“ wie auch der theologische Gehalt des anstehenden Ritus weitgehend nur in der Weise des Nicht-Thematisierten, des Ausgeschlossenen in den diversen Vorbereitungsgesprächen präsent sind. Dieser weitgehende Ausschluss des eigentlich Unvermeidbaren – der personalen Differenz wie des sachlichen Gehalts dessen, worum es geht – schreibt sich dem Diskurs natürlich ein, schließlich braucht dieser Ausschluss Energie und Strategie. Diese Beobachtungen, letztlich Ausfaltungen der Unbekanntheitsthese, dramatisieren nicht wenig die Beobachtungen zur Mehrheits- und Frömmigkeitsthese.

Solche Sprachlosigkeit ist aber ein unabweisbares Zeichen. Man darf es weder übersehen noch ihm ausweichen. Diese Sprachlosigkeit ist vielmehr der Ort, an dem die neue Sprache gefunden werden kann, weil man an ihm erfährt, dass und warum die alte versagt. Das Versagen der alten Sprache zeigt sich dabei wohl mehr noch als ein pragmatisches, denn als ein hermeneutisches Problem. Denn worum es in den Kasualien geht, das ist den Kasualienfrommen wohl noch verstehbar zu machen. Aber was diese kirchlichen Riten für sie bedeuten, welchen Wahrheitswert sie besitzen und welche Konsequenzen, das definieren sie selber und offenbar durchaus in einer für die christliche Tradition nicht einfach zu akzeptierenden Weise.

Der kirchliche Referenz- und Bedeutungsraum, der für die Kirchenfrommen den Zusammenhang von Sinn und Bedeutung mehr oder weniger festlegt und sichert, fällt bei den Kasualienfrommen aus und kann eben auch nicht einfach wiederhergestellt werden. Man sollte es daher auch gar nicht versuchen, so sehr man diesen kirchlichen Raum natürlich auch den Kasualienfrommen stets anbieten muss. Aber es braucht nun andere Orte und Mechanismen, um nicht nur den Sinn der Kasualien zu vermitteln, sondern auch ihre Bedeutung für diese Menschen entwickeln zu können. Diese Bedeutung aber ist eben nicht beliebig, sondern vom Gehalt der jeweiligen Riten abhängig.

4 Resümee

Die Studie von Först/Kügler hilft, das Neue im neuen Phänomen der Kasualienfrommen als unbekannte Mehrheit der Kirche nicht zu übersehen und dieses Neue nicht in Beschwichtigungs- oder Ausgrenzungsdiskursen zu verstecken. Will man nicht einfach die Strategie fahren, möglichst viele Kasualienfromme wieder zu Kirchenfrommen zu machen, was aus kirchlicher Sicht vielleicht wünschenswert, aber kaum realistisch wäre, muss man das Neue wahrnehmen, das die Kasualienfrommen repräsentieren, und die Sprachlosigkeit erst einmal akzeptieren, welche die kirchliche Pastoral ihnen gegenüber an den Tag legt.

Das Neue für die katholische Pastoral könnte etwa in der Erkenntnis bestehen, dass die alte kirchlich-sozialräumliche Sicherung spezifischer unverzichtbarer Zusammenhänge (allgemeiner Sinn und spezifische Bedeutung der Kasualriten, Individualität des sakramentalen Gnadenempfangs und Gemeinschaftlichkeit seiner Feier und seiner Wirkungen, Bestätigung der eigenen Existenz als von Gott gewollte und Kritik dieser Existenz in ihren Schwächen und Sünden) mit dem Auftauchen der „unbekannten Mehrheit“ so nicht mehr existiert, jedenfalls nicht mehr für viele Mitglieder der Kirche, und auch, dass sie für die meisten von ihnen auch nicht wiederhergestellt werden kann.

Die Kirche hat auf diese Situation pastoral zu reagieren. Das bedeutet nicht Nachgiebigkeit und „unverbindliche Freundlichkeit“. Denn Pastoral ist nicht die etwas gnädigere Handlungsvariante des strengeren systematischen Diskurses, sondern die kreative und handlungsbezogene Konfrontation von Evangelium und Existenz, eines Evangeliums, das von Jesus aus für alle Menschen gilt und das Heil aller will.

Das spricht für eine Individualisierung der Sakramentenpastoral, nicht im Sinne des früheren Heilsegoismus oder einer gemeinschaftsabwehrenden Privatfrömmigkeit, sondern im Sinne einer Konzentration auf die Bedeutung einer gewünschten kirchlichen Ritualhandlung im je individuellen Leben.

Im Zentrum aller Sakramentenpastoral hat das konkrete Verhältnis von Individuum und dem Gehalt der Kasualie zu stehen. Es ist in jedem einzelnen Fall neu über Sinn und vor allem Bedeutung des jeweiligen Sakraments, der jeweiligen Sakramentalie im Leben des je individuellen Kasualienfrommen nachzudenken. Für jene, die das dann tun müssten, die Priester und hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, könnte das zur Chance werden, den Reichtum der Sakramente in den vielen Leben der Menschen heute zu entdecken.

ES GEHT UM ETWAS NEUES
Die pastoraltheologische Herausforderung der Kirchenaustritte
1 Die Situation und ihre Versuchungen

Die Transformation der Kirche von einer Zwangs- in eine Freiwilligengemeinschaft unterstellt die Kirchenmitgliedschaft dem Kosten-Nutzen-Kalkül des Einzelnen. Religion vergesellschaftet sich zunehmend marktförmig, also unter Kundenentscheidung. Für niemanden aber ist es leicht zu akzeptieren, dass man nichts mehr von ihm wissen will. Da unterscheiden sich Institutionen nicht allzu sehr von Personen: Beide sind gekränkt. Deshalb gleichen sich auch die Reaktionsmuster, mit dieser Kränkung umzugehen.

Einige davon sind Versuchungen, denn sie halten nicht, was sie versprechen. Man kann etwa mit depressiver Passivität reagieren: die irgendwie einfachste Möglichkeit. Man kann die Ausgetretenen als „Abgesprungene“ und „Abtrünnige“ denunzieren, bekanntlich war das die dominante Strategie der Kirche bis vor kurzem, und solange die Kirche sozialmoralisches und transzendentes Drohpotential besaß, konnte man sich das auch leisten. Man kann aber auch in betriebsamen Aktivismus flüchten und auf Kränkungslinderung durch betäubende Selbstbeschäftigung hoffen. All diese Strategien sind sozialpsychologisch verständlich, aber theologisch doch ein wenig unreflektiert, denn sie orientieren sich primär am Kränkungspotential der Austrittszahlen. Zudem nutzen sie offenkundig relativ wenig.

Weiterführender dürfte es sein, erst einmal herauszufinden, was denn das Neue an der aktuellen Kirchenaustrittslage ist und welches prophetische Potential sie besitzt.68 Interessanterweise hilft da der Blick auf jene theologieinternen Diskurse, die sich bislang dominant mit dem „Kirchenaustritt“ beschäftigen, weiter.

2 Das Kirchenrecht: „Du bist draußen“

Die zugegebenermaßen maliziösen pastoraltheologischen Vermutungen, dass das Spannendste am Kirchenrecht sei, was nicht drin steht, und es zudem eher selten pastoral weiterführende Handlungshilfen bereitstellt, kann man beim Thema „Kirchenaustritt“ unmittelbar verifizieren. Denn der Kirchenaustritt, der ja den liberalen, religionsneutralen Staat voraussetzt, kommt im CIC explizit nicht vor.

Natürlich sind damit die kirchenrechtlichen Kollegen und Kolleginnen nicht sprach- und hilflos gegenüber dem Phänomen der Kirchenaustritte: Es entspannt sich denn auch seit einiger Zeit eine rege Diskussion,69 ob, und wenn ja, unter welche Canones der Tatbestand der Kirchenaustrittserklärung im liberalen Staat fällt. Konkret heißt dies, inwiefern der vor dem Staat erklärte Kirchenaustritt die Delikte der Häresie, der Apostasie und des Schismas erfüllt, welche die automatische Exkommunikation nach sich ziehen, oder ob etwa der Entzug des Kirchenbeitrags die jedem Gläubigen aufgetragene Solidaritätspflicht gegenüber der Kirche verletzt. Ein Römisches Schreiben70 hat diese Diskussion 2006 neu belebt.

In der 3. Auflage des LThK (1996) etwa schreibt Joseph Listl noch mit einiger Eindeutigkeit:

Der Kirchenaustritt ist stets eine gegen die Einheit der Kirche gerichtete Straftat (Schisma; Trennung von der kirchlichen Einheit); je nach der Willensrichtung der Erklärung kann Kirchenaustritt auch Apostasie (Glaubensabfall; z. B. bei Übertritt zu einer anderen nichtchristlichen Religion) oder Häresie (Irrglaube, bei Übertritt zu einer anderen christlichen Konfession) sein. Wer den Kirchenaustritt erklärt hat, zieht sich die gem. c. 1364 § 1 CIC von selbst eintretende Kirchenstrafe der Exkommunikation zu.71

Aber es finden sich auch andere Stimmen. So kommt eine Stellungnahme der „Österreichischen Theologischen Kommission“ zum Thema „Kirchenzugehörigkeit und Kirchenbeitrag“ aus dem Jahr 1996 zu dem ambivalenten Ergebnis, es müsse

im Blick auf die Rechtsfolgen festgehalten werden, daß der Kirchenaustritt bis zum Ausschluß vom sakramentalen Leben (insbesondere bezüglich Eucharistie, Buße und Krankensalbung) führen kann, aber nicht muß.72

Natürlich steht hinter dieser Diskussion die berechtigte Angst, ein möglicher (formaler) Kirchenaustritt vor dem säkularen Staat ohne spürbare innerkirchliche Rechtsfolgen untergrabe die Finanzierungsbasis der Kirche in Deutschland und Österreich. Denn wenn sich zuerst die rechtliche Realität und dann die Einsicht verbreiten würden, dass man durch Austritt die Kirchensteuer/den Kirchenbeitrag sparen und dennoch mit praktisch allen Rechten in der Kirche bleiben kann, dann würde dies die Finanzen der Kirche in Deutschland und Österreich überaus nachhaltig erodieren lassen. Die ebenso prompte wie die bisherige Rechtslage aufrecht erhaltende Reaktion der deutschen und österreichischen Bischöfe auf römische und/oder kanonistische Infragestellungen eben dieser Rechtslage73 ist daher ausgesprochen verständlich, verfestigt aber jene kirchenrechtliche Position, die als Reaktion auf den Kirchenaustritt den Ausgetretenen vor allem sagt, dass sie „draußen“ sind.

3 Die Dogmatik: „Du kannst nicht gehen“

Es findet sich in der Theologie noch ein zweiter Diskurs zum Thema „Kirchenaustritt“. Die Dogmatik verhandelt das Problem der Ausgetretenen als Frage ihrer „Kirchengliedschaft“. Leitmotiv ist dabei stets, was die bereits erwähnte Stellungnahme der Österreichischen Theologischen Kommission so formuliert:

Der Ausgetretene bleibt unaufhebbar ein Getaufter (und Gefirmter), bleibt durch Taufe unwiderruflich in die „Communio“ Kirche, in die Christus- und Christengemeinschaft Kirche, eingefügt. Das „unauslöschliche Merkmal“ steht für die Treue Gottes, der dem Täufling Christuszugehörigkeit in der Kraft des Geistes so gewährt, daß sie vom Getauften her nicht ausgelöscht werden kann.74

Die Ausgetretenen, so die Dogmatik, sind das gar nicht wirklich: ausgetreten, sie sind vielmehr „nur“ Kirchenmitglieder, die einen spezifischen Akt des Ungehorsams gegenüber der kirchlichen Institution gesetzt haben und ihre praktische Partizipation am kirchlichen Leben (meistens) einstellen. Es kommt damit in der dogmatischen Reflexion etwas in den Blick, das weder im religionssoziologischen noch im kirchenrechtlichen Diskurs auftauchte: eine spezifische Relativierung des Institutionellen im Problem der Kirchenmitgliedschaft. Dies gelingt dadurch, dass die Kirche als corpus permixtum unterschiedlicher „Wirklichkeiten“ gesehen wird, von denen ihre Institutionalität nur eine, wenn auch, gerade in der katholischen Ekklesiologie, höchst relevante ist.

Aber nicht nur intern, auch extern ist es mit der Kirchengliedschaft nicht so eindeutig. Schließlich sind, wie das Konzil in Lumen gentium 13 sagt, nicht nur „alle Menschen“ zur „katholischen Einheit des Gottesvolkes berufen“, sondern „gehören“, wenn auch „auf verschiedene Weise“, zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes oder „sind ihr zugeordnet“: so etwa zuvorderst „die anderen an Christus Glaubenden“, aber schließlich auch „alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind“.

Die dogmatische Lage ist also ein wenig unübersichtlich, wenn auch auf der Basis der Lehre vom universalen Heilswillen Gottes weit und offen. Diese Lehre ist sicher im Weiteren stets zu beachten. Aber ihre Vermittlung mit der institutionellen Realität und den daraus folgenden Handlungsnotwendigkeiten von Kirche wie auch mit der Sakramentalität der Taufe scheint – vorsichtig gesprochen – nicht ganz einfach.

4 Das pastoraltheologische Problem: Das Neue

Der Blick auf Kirchenrecht und Dogmatik zeigt, dass die vorherrschenden Reaktionsmechanismen auf das Phänomen Kirchenaustritt – pastoraltheologisch gesehen – nicht recht weiterführen. Unmittelbar deutlich ist dies beim kirchenrechtlichen Diskurs. Er führt sich selbst in die Aporie, wenn er als Strafe für den bürgerlichen Kirchenaustritt de facto eben dies ansetzt: die Aufkündigung der vollen Kirchengemeinschaft. Das gleicht dem Bestrafen eines Vergehens mit einer Variante seiner selbst. Dass dieses Modell deutlich noch von einer realen, gesellschaftsweit durchsetzungsmächtigen Hoheit der Kirche ausgeht und damit in der bürgerlichen Gesellschaft faktisch unwirksam geworden ist, hat auch das Kirchenrecht bemerkt und verweist daher auf die „pastorale Sorge“.75

Der dogmatische Zugang zum Phänomen der Ausgetretenen scheint mit der Lehre vom bleibenden Charakter der Taufe aussichtsreichere pastoraltheologische Perspektiven zu eröffnen. Udo Schmälzle betitelt denn auch seine Überlegungen zu den pastoralen Herausforderungen des Kirchenaustritts mit „Die Steuergemeinschaft endet. Die Heilsgemeinschaft bleibt!“76 und spricht völlig zu Recht davon, dass die „durch das Sakrament gestiftete Heilsgemeinschaft“ durch „einen Kirchenaustritt nicht zerstört“77 werde. Freilich stellt die Österreichische Theologische Kommission ganz realistisch auch fest, dass in

der Seelsorge … damit zu rechnen (ist), daß der Anspruch der Kirche auf Verbindlichkeit und definitive Zugehörigkeit von vielen ihrer Mitglieder nicht übernommen, ja nicht einmal verstanden wird. Der Kirchenaustritt wird von vielen anders beurteilt, als dies in kirchenamtlichen Texten geschieht.78

Das kommt dem Eingeständnis gleich, über den eigenen Diskursraum nicht wirklich hinauszukommen. Dabei geht es ja gerade um ein Phänomen, das wesentlich außerhalb dieses Diskursraums liegt. Mag der tauftheologische Zugang zur Problematik der Ausgetretenen in vieler Hinsicht sympathisch sein, vor allem, weil er sich jeglicher Denunziation der Ausgetretenen enthält und die bleibende Heilsgemeinschaft betont, so steckt auch er formal und pastoral in einer Aporie: Er begreift die Ausgetretenen unter einer Sinnperspektive, welche diese selbst ausdrücklich ablehnen und gegen die sie ihren Schritt gesetzt haben.

Hatte das Kirchenrecht die Ausgetretenen bestraft und exkommuniziert, so reintegriert sie die dogmatische Tauftheologie. Das Kirchenrecht nimmt den bürgerlichen Kirchenaustritt ernst und bestraft ihn mit – innerkirchlichen, also unwirksamen – Sanktionen. Die Tauftheologie bestraft nicht und eröffnet eine bleibende Gemeinsamkeit jenseits der institutionellen Desintegration, aber gerade diese Gemeinschaft ist es ja, welche von den Ausgetretenen nicht mehr gewollt ist. Das Kirchenrecht bestraft die Tat mit ihr selber, die Dogmatik sagt, dass sie in einem tieferen Sinn eigentlich gar nicht stattgefunden hat.

Freilich: Diese Aporie zeigt sich nur unter pastoraler Perspektive, das heißt: wenn Kirche konkret handelnd versucht, mit Ausgetretenen tatsächlich in Kontakt zu kommen, also nicht über sie, sondern mit ihnen zu reden. Dann aber wird klar: Weder die kirchenrechtliche Qualifikation der Ausgetretenen als Straftäter noch die tauftheologische Wahrheit „Ihr gehört weiter zu uns“ sind für sich genommen hinreichende Konzepte des Umgangs mit Ausgetretenen. Die Aporie des kirchenrechtlichen Zugangs liegt in seinem Versuch, den Kommunikationsabbruch mit Kommunikationsabbruch zu bestrafen, jene des dogmatischen Zugangs darin, den Kommunikationsabbruch als nicht wirklich geschehen zu kommunizieren. Beides aber eröffnet keine neue Kommunikationsbasis.

Dazu wäre es notwendig, den anderen nicht nur von sich her, sondern auch sich von den anderen her zu sehen. Ohne diese Fähigkeit zur Reversibilität des Blicks und zur wirklichen Relationalität aber ist personale wie institutionelle Existenz in der Pluralität der späten Moderne überhaupt nicht mehr möglich. Und genau das zeigt sich im Umgang mit Ausgetretenen.

Vielleicht gibt es im bisher Gefundenen eine Ausnahme: die Lehre vom universalen Heilswillen Gottes. Immerhin hält sie fest, dass auch die Ausgetretenen eine bleibende Aufgabe für die Kirche darstellen. Sie gehören, wie alle Menschen, Getaufte und Ungetaufte, zum Erlösungshorizont des Heilswillens Gottes und sind damit ein Thema und ein Problem für das Volk dieses Gottes. Aber welches?

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