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Loe raamatut: «Die Liebesbriefe der Marquise», lehekülg 16

Braun Lily
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Über die Sache selbst wollen wir uns nicht mehr erregen, als es nötig ist. Sie ist bestenfalls eine – Ungeschicklichkeit, die sich unter Umständen reparieren läßt. Ich kenne in Paris Ärzte, die sich ausschließlich mit dergleichen Operationen befassen und infolge ihrer sehr großen Praxis den besten Ausgang gewährleisten.

Was nachher zu geschehen hat, wird sich finden. Gewöhnlich wirkt ein solches Ereignis wie Frostwetter auf den lustigen Quell der Liebelei. In dem Fall steht mein Haus Ihnen als Zuflucht offen.

Marquis Montjoie an Delphine
Straßburg, den 22. Januar 1785.

Meine Liebe. Ich muß gestehen, daß Sie mich diesmal wirklich überrascht haben: Sie wollen das Kind: »und wenn ich mich vor der ganzen Welt zu seiner Herkunft bekennen müßte«; Sie behaupten sogar, es bereits glühend zu lieben: »weil ich nie einen andern Mann geliebt habe und lieben werde als seinen Vater«. So bleibt denn nur ein Ausweg.

Mir ist im Leben Alles unter den Händen entschlüpft: Liebe, Macht, Reichtum. Nur Eins war ich stark genug, festzuhalten: den unbefleckten Schild meiner Ehre. Ich war nahe daran, ihn mir von Ihnen entwenden zu lassen. Das Gefühl, das ich für Sie besaß, und das Sie immerhin Liebe nennen können, machte mich schwach, so daß ich es unterließ, Sie gewaltsam an mich zu fesseln, und schuldbewußt, so daß es mir wie Entsühnung schien, Ihre, wie ich annahm, flüchtigen Freuden nicht zu stören, die ich nicht zu schaffen vermocht hatte.

Jetzt aber, glaube ich, gleicht sich unser gegenseitiges Schuldkonto aus.

Behalten Sie das Kind, – aber es wird vor der Welt mein Kind sein. Sie kehren unverzüglich in mein Haus zurück und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu versichern, daß Ihre Stellung genau dieselbe sein wird, wie immer.

Mein Entschluß ist in diesem Punkt unabänderlich. Ich würde sogar vor ernsteren Maßregeln nicht zurückschrecken, wenn Sie sich widersetzen sollten.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Straßburg, den 30. Januar 1785.

Meine geliebte Delphine! Soeben komme ich von einer stundenlangen Unterredung mit dem Marquis. Ich verschwieg Dir meine Absicht, ihn aufzusuchen, um Dich nicht zu erschrecken. Jetzt schreibe ich Dir, du Einzige, selbst in zitternder Angst, denn an Dir wird es liegen, ob wir uns wiedersehen!

Ich habe dem Marquis nahe gelegt, mich unter den schwersten Bedingungen zum Zweikampf herauszufordern. Er lehnte es mit einem verächtlichen Lächeln ab.

»Wenn es sich um eine bloße Liaison der Marquise handeln würde, könnte vielleicht davon die Rede sein,« sagte er; »ob ich oder Sie am Platze blieben, würde nur ein paar Tränen mehr oder weniger kosten; ein Ersatz für jeden von uns wäre bald gefunden. Aber es handelt sich leider um jene unbequeme Passion, die im Roman schöner ist als im Leben. Glauben Sie, meine Ehre wäre gewahrt, wenn Sie fielen? Glauben Sie, die Marquise würde je wieder in mein Haus zurückkehren? Und halten Sie es für möglich, daß sie über meinem Sarge mit Ihnen, durch dessen Hand ich gefallen sein würde, jemals glücklich zu werden vermöchte?! Nein, die Geschicke der Menschen und der Völker lösen sich nicht mehr durch einen Schwertstreich.«

Ich hatte ihm stumm, gesenkten Hauptes zugehört. Ich mußte ihm recht geben. Als ich dann versuchte, ihn zu einer Trennung von Dir zu bewegen, blieb er unerbittlich.

»Die Marquise kennt meine Antwort, sie hat die Wahl. Nur dann, wenn sie die Folgen ihres Verhältnisses nicht sichtbar werden läßt, bin ich bereit, – da ich auf die Ansprüche des Gatten ein für allemal verzichte –, sie zeitweise in Laval wohnen zu lassen. Kommt das Kind zur Welt, so ist es mein Kind und gehört in mein Haus.«

Du mußt wählen zwischen mir und dem Ungeborenen, zwischen deinem Geliebten und einer Hoffnung, die noch nicht einmal Leben ist.

Wirst du so unbarmherzig sein und gegen unsere Liebe entscheiden? Du kannst mich nicht töten wollen, Delphine; Du kannst Dich nicht in Ketten schmieden! Bei jeder Erinnerung, die uns gemeinsam ist, bei jedem Glauben, bei jedem Gefühl, das wir teilen, beschwöre ich Dich: bleibe Dir treu! Opferst Du mutig die erste Frucht unserer Liebe, so bleibt uns die süße Gegenwart und die Hoffnung auf eine befreiende Zukunft, in der Du glückliche Kinder gebären kannst. Tust Du es nicht, so ist nichts mehr unser als der Schmerz um ewig Verlorenes.

Antworte mir nicht, Du könntest vorschnell sein, wenn Deine Augen nicht in den meinen lesen, daß Du mein Todesurteil sprichst.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Montbéliard, am 5. Februar 1785.

»Ich kann das Kind nicht töten, weil es Dein Kind ist. Sein Leben ist mir die Gewähr, daß nichts uns trennen kann« –, ich trage den Zettel auf dem Herzen, den der alte Gärtner mir gab, als ich vor dem verödeten Hof, vor Deiner verschlossenen Pforte stand – ein Ausgestoßener.

Ich versuche, Dir zu zürnen und liebe Dich nur immer mehr, ich versuche, das Kind zu hassen und ein Gefühl tiefer Zärtlichkeit erfaßt mich.

Die Zeit, in der es unter Deinem Herzen ruht, soll mir heilig sein. Auch mein Schmerz soll Dich nicht stören.

Lebewohl!

Marquis Montjoie an Delphine
Straßburg, am 12. Juli 1785.

Meine Liebe. Da es mir wünschenswert erscheint, Ihnen die letzten Wochen vor der Entbindung jede Erregung fernzuhalten, will ich Ihnen zunächst nicht nach Froberg folgen, sondern erst in dringenden Geschäften nach Paris gehen. Habe ich bisher vergebens versucht, unser Vermögen zu vergrößern, so muß ich es jetzt erhalten, – schon um des Erben willen, den ich mir gewählt habe.

Ich werde zugleich mit Herrn Dr. Douzet Rücksprache nehmen und ihn veranlassen, zur rechten Zeit in Froberg zu sein.

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, den 25. Juli 1785.

Meine Liebe. Ich fürchte, die alarmierenden Nachrichten in den Journalen könnten Sie erschrecken, darum beeile ich mich, ihnen zuvorzukommen. Man spricht in Paris laut und leise von einem märchenhaften Schmuck, den der Kardinal im Auftrag der Königin für sie erwarb, und den sie zu bezahlen offenbar – vergessen hat. Gestern war ich zum Souper in Trianon geladen. Als ich das Schloß betrat, hörte ich lautes Lachen und Schwatzen fast wie auf einer Bauernkirmeß. Erstaunt stand ich still, da öffneten sich die Türen zum Theatersaal, ein Schwarm von Menschen strömte daraus hervor, mitten unter ihnen die Königin, sehr erhitzt, sehr ausgelassen, dicht hinter ihr mit der Miene eines Triumphators – Herr von Beaumarchais. Ich verbeugte mich um einen Zoll weniger tiefer als sonst.

»Wir proben den Barbier von Sevilla,« hörte ich laut wie ein Kommando auf dem Paradeplatz Herrn von Beaumarchais Stimme. Aufs äußerste überrascht von dieser unerhörten Formlosigkeit, erwartete ich einen Eklat. Aber die Königin lachte nur noch lauter. Es war jedoch, wie mir schien, ein falscher Ton in ihrer Stimme.

Beim Souper beobachtete ich sie: Röte und Blässe wechselten auf ihren Zügen. Unter Außerachtlassung jeder Etikette verließ sie nach dem Schluß des Essens die Tafel und verschwand, – allein mit Herrn von Chevreuse –, in den Laubengängen des Parks. Wir alle verstummten. Nur Herr von Beaumarchais versuchte mit gewagten Späßen die Stimmung aufzuheitern.

Herr von Beaumarchais als Regisseur der Königin –, ich bin geneigt, jetzt an die bösesten Gerüchte zu glauben.

Gestern abend entschloß ich mich, die berühmten Arkaden des Palais-Royal zu besichtigen, die der Herzog von Chartres eigens gebaut zu haben scheint, um allerlei wüstem Gesindel Obdach zu gewähren. Mit den frechen Reden der Männer wetteifert nur die Schamlosigkeit der weiblichen Besucher. In diese Gesellschaft mischten sich mit sichtlichem Vergnügen Damen und Herren des Hofes, als sie aus der Oper kamen, und ich muß zu ihrer Schande gestehen, daß im Ton und Benehmen zwischen ihnen und den anderen kaum ein Unterschied mehr zu bemerken war.

Marquis Montjoie an Delphine
Versailles, den 16. August 1785.

Ein schreckliches Ereignis, meine Liebe, verzögert meine Abreise: Der Kardinal, Prinz Louis Rohan, wurde gestern vor der Schloßkapelle von Versailles in vollem Ornate, angesichts aller versammelten Würdenträger des Hofes verhaftet!

Kaum war das Ungeheuerliche geschehen, als die ganze Familie Rohan, die Prinzen Soubise, Guéménée und Montpensier zugleich mit den Bischöfen und Kardinälen das Schloß verließen. Der König und die Königin fanden sich bei ihrem Erscheinen einem fast leeren Saal gegenüber. Marie Antoinette schien einer Ohnmacht nahe.

Was geschehen ist, weiß niemand genau. Man sagt, daß Rohan sich für die Königin habe opfern lassen. Und Cagliostro hatte ihm prophezeit: »An Ihren Namen wird Frankreichs Befreiung sich knüpfen!«

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Die ganze Nacht stand ich wie ein Dieb unter Deinem Fenster, Geliebte. Jeder Schrei, den ich hörte, zerriß mir das Herz. Dann wurde es still – totenstill. Die Angst schnürte mir die Kehle zusammen. Bis plötzlich ein leises Weinen wie Vogelzwitschern durch die Finsternis zu mir drang: Unser Kind, Du meine süße Frau! Leg ihm die roten Blätter dieser Rose aufs Herz; sein armer Vater grüßt es tausendmal!

DER LETZTE AKT

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Paris, den 3. Mai 1786.

Endlich ein Lebenszeichen, Geliebte, das den Bann von uns nimmt, das mir nicht nur auf ein Wiedersehen die Aussicht eröffnet –, im Gedanken daran schwanke ich zwischen Qual und Seligkeit, denn mit zuviel Selbsterniedrigung muß ich es erkaufen, – das mir vor allem die Zunge löst, um die große Frage unserer Zukunft mit Dir zu besprechen. Monatelang habe ich geschwiegen; vielleicht hätte ich deinen Wunsch danach nicht zu erfüllen vermocht, wenn nicht ein holdes Wunder mir begegnet wäre.

Im Oktober vorigen Jahres war es. Die Sehnsucht zehrte an mir, ich vergaß Alles: Deine Wünsche, meine Versprechungen, und ritt vor Sonnenaufgang fort, entschlossen, Dich zu sehen, und wenn ich Mauern sprengen müßte. Je näher ich dem Ziele kam, desto mehr spornte ich den Rappen, so daß er, solcher Behandlung ungewohnt, wie gehetzt vorwärtsstürmte. Unten im Dorfwirtshaus ließ ich ihn stehen und ging den Berg hinauf zu Fuß; das verschlossene Parktor gab meinem Rütteln nach; weiß leuchtete schon das Schlößchen durch das Laub. »Mont de joie« flüsterte ich, seliger Erwartung voll, vor mich hin, – da stockte mein Fuß.

Ich hörte ein leises Singen; so zärtlich klang es und war doch kein Liebeslied, so viel Jubel lag darin und war doch keine Siegeshymne. Die Stimme kannte ich; ihrem Klange wollte ich nachstürzen, aber etwas Fremdes, Neues in ihr zügelte meine Leidenschaft. Ich schlich durch das Dickicht.

Und da sah ich Dich: auf der weißen Bank unter dem dunkelroten Dach der Kastanien, das Knäblein im Arm, dessen winziges Mündchen durstig an deinem hüllenlosen, rosigen Busen lag. Du sahst mich nicht; gebannt hing Dein Blick an dem Kinde; Du fühltest nicht meine Nähe; all Dein Empfinden gehörte ihm. Mein Begehren verstummte, und doch liebte ich Dich noch nie so stark, so tief wie jetzt. Ich ging, wie ich kam, – ungesehen, – diesen Frieden zu stören, wäre mir wie ein Sakrilegium vorgekommen.

Nun aber, Du süße Mutter meines Sohnes, darf ich Dich wiedersehen, darf es wagen, Dich all den Aufregungen ausgesetzt zu wissen, die unserer endlichen dauernden Vereinigung vorausgehen werden. Du schreibst kein Wort darüber, ich vermisse sogar den helleren Ton der Freude über Deinen Aufenthalt in Paris; Du klagst, daß der Marquis Dich immer um sich haben will, daß er den Kleinen von Tag zu Tag mehr mit dem Stolz des echten Vaters betrachtet. Ich wollte, er zeigte sich als ein noch größerer Tyrann, damit Du die Freiheit um so rücksichtsloser erkämpfen möchtest!

Denn, nicht wahr, das eine steht für Dich unverbrüchlich fest: daß Du mir gehörst, – mir allein?

Wenn ich in Etupes durch die menschenleeren Räume ging, hörte ich oft plötzlich das Rauschen eines Kleides neben mir, und aus dem Gang tönte mir helles Kinderlachen entgegen. Waren es Gespenster der Vergangenheit, oder nicht vielmehr süße Ahnungen der Zukunft?! Sind wir nur erst vereint, Geliebteste, was könnte mich dann noch in den brodelnden Höllenpfuhl der Hauptstadt locken?

Alles Erleben wird hier zum Fieber, jedes Geschehnis zum Ausgangspunkt katastrophaler Ereignisse. Vor dem Parlament, das jetzt seit Wochen die Halsbandaffäre verhandelt, strömt ein täglich wachsender Haufe erregter Massen zusammen. Erscheint Rohan auf dem Wege von oder zur Bastille, so begrüßen ihn lärmende Ovationen, und man würde nicht begreifen, wie dieselben Leute, die jeden politischen Reaktionär niederbrüllen, den Kardinal, den Feind jeden Fortschritts, fast zu ihrem Idol zu machen vermögen, wenn man nicht zu genau wüßte, daß er ihnen in diesem Augenblick nur als ein Opfer monarchischer Willkür erscheint. Ihre scheinbare Liebe für ihn ist nichts als der deutliche Haß gegen den Absolutismus.

Ich selbst folge mit steigender Anteilnahme den Verhandlungen, deren traditionelle Geheimhaltung nachgerade lediglich auf dem Papiere steht, wie so viele andere Traditionen. Rohan benimmt sich dabei wie ein Edelmann: ruhig, würdevoll, ohne ein Wort zuviel zu sagen.

Die Lamotte dagegen, seine Helfershelferin, gebärdet sich wie eine Wahnsinnige und zeigt dadurch, daß das Blut der Valois, dessen sie sich rühmt, schon recht stark verdünnt in ihren Adern rollen muß. Kein Zweifel, daß der Kardinal sich von dieser geschickten Abenteuerin zu seinen letzten unvorsichtigen Schritten verführen ließ. Aber ihre Gestalt, die jetzt im hellen Lichte der Untersuchung steht, wirft einen dunklen Schatten auf die einer anderen, die im Saale selbst niemand anzugreifen wagt, die aber jene unheimlich wachsende Macht, – die öffentliche Meinung, – in tragischem Ernst wie in zügellosen Witzen als die wahrhaft Schuldige bezeichnet: die Königin. Das Halsband, dessen glänzende Steine der letzte Pesthauch des sterbenden Königs trübte, hat eine verheerendere Seuche verbreitet als die war, an der Ludwig XV. zugrunde ging.

Das Herrscherpaar ist fast ganz isoliert. Der Klerus und der Adel vergessen ihm nie die infamierende Art, mit der es einen seiner ersten Würdenträger verhaften ließ, das Volk erfaßt mit Freuden die Gelegenheit, um die Königin in den Schmutz seiner Menschlichkeiten hinabzuziehen. Seitdem überdies bekannt wurde, daß der Finanzminister, Herr von Calonne, einen Teil der Staatsanleihen benutzte, um die Schulden des Grafen von Artois und des Herzogs von Bourbon zu bezahlen, wird jede Art abenteuerlicher Geldbeschaffung ohne weiteres geglaubt. Sogar ein ehrlicher Kerl, wie Lucien Gaillard, den ich allabendlich im Palais-Royal zu sehen pflege, war überzeugt von der Existenz des Diamantsaals und des silbernen Fußbodens im Schloß von Trianon!

Um seine Popularität könnte ihn übrigens jeder Minister beneiden. Mit jenem letzten Rest sklavischer Unterwürfigkeit des Bürgers vor dem Aristokraten pflegt sonst die öffentliche Meinung um so mehr zu verstummen, je höher der Rang desjenigen ist, dem sie sich gegenübersieht, um von den Mauern des Königsschlosses nur wie ein fernes Murren wiederzuhallen; Gaillard dagegen steht so ganz auf der Höhe seiner Zeit, und fühlt so gar nicht mehr die hergebrachten Standesunterschiede, daß ich, – laß mich Dir lächelnd diese Schwäche gestehen, – die Selbstverständlichkeit seiner Gleichstellung bei aller theoretischen Anerkennung, die ich für sie habe, oft peinlich empfinde! Ich dachte daran, ihn einmal als unsern Haushofmeister nach Etupes zu nehmen, aber ich kann mich doch nicht recht an den Gedanken gewöhnen, meinem Angestellten kordial die Hand zu schütteln, seine Ansichten als den meinen gleichberechtigt gelten zu lassen.

An der Schwierigkeit, die mir Abweichungen von den bloßen Formen der Vergangenheit bereiten, ermesse ich, wie fast unmöglich es einem absoluten Monarchen sein muß, mit ihrem Inhalt zu brechen.

Ich war kürzlich zur Tafel in Versailles. Der König sieht schlecht aus und ist merkwürdig ernst geworden; die Königin ist von forcierter Lustigkeit. Man sagt, daß die Zartheit des Dauphin ihr Sorgen bereite, die selbst der Anblick ihres blühenden zweiten Söhnchens nicht zu verscheuchen vermag. Sie hat die Farm im Park von Trianon, wo sie ihre fröhlichsten Stunden verlebte, zwölf armen Paaren zum Wohnsitz überlassen, und seit der unheilvollen Aufführung des Barbiers von Sevilla, die zwei Tage nach der Verhaftung Rohans stattfand, und wo die Königin es erleben mußte, vor einem halbleeren, beifallskargen Saal zu spielen, das kleine Theater nicht mehr betreten.

Erscheint mir nur die Welt so dunkel, weil Du sie mir nicht erhellst, sind es die reiferen Jahre, die sie uns nicht mehr im rosigen Licht der eigenen Jugend malen, oder ist sie wirklich umhüllt von gewitterschwüler Sommernacht? Mit dir, Geliebte, traue ich mir erst zu, der Wahrheit näher zu kommen.

Noch einer Begegnung muß ich gedenken: ich traf Herrn von Altenau im Klub. Er schien mich meiden zu wollen. Da er im Organ Neckers, dem Journal de Leyde, einen einflußreichen Posten bekleidet, interessiert er mich, und ich nötigte ihm, als er ging, meine Begleitung auf. Er blieb einsilbig. Erst auf dem Pont neuf, unter dem die Seine sich im Schein der neuen roten Laternen wie ein Strom von Blut langsam dahinwälzt, wurde er lebhafter. Er frug nach Dir und erzählte überhastig, was Dir einst an dieser Stelle begegnet ist, Als ich ihm sagte, daß Du Dich wieder eines Sohnes freutest, stürzten ihm die Tränen aus den Augen. Hast Du gewußt, daß er Dich so sehr liebte? Wer, der Dich kennt, Vermöchte Dich nicht zu lieben!

Ich wage noch kaum zu hoffen, daß Du wirklich in vier Wochen schon hier sein willst, – Du und Dein Kind – unser Kind, Delphine!

Warum nur die Vorsichtsmaßregeln mit diesem Brief? Sollte der Marquis deine Korrespondenz überwachen?! Das sieht seiner vornehmen Natur wenig ähnlich!

Ich schließe Dich an mein Herz, Du liebe, geliebte Frau; ich lebe der Stunde, wo ich Dich nie mehr von mir lasse.

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, den 20. Mai 1786.

Meine Liebe. Nachdem ich im Hotel des Rois ein geeignetes Quartier für uns gefunden habe, bitte ich Sie, so bald als möglich von Froberg abzureisen. Ich habe bereits unserem Haushofmeister die nötigen Anweisungen erteilt, an denen nichts geändert werden soll. Die Benutzung der Post ist der des eigenen Wagens in dieser unruhigen Epoche unbedingt vorzuziehen. Als mir unterwegs ein Pferd stürzte und der Kutscher in einem nahen Gehöft Hilfe suchte, verweigerte sie ihm der Bauer mit der Bemerkung: »Die Zeiten sind vorüber, wo der Edelmann, wenn er keine Gäule mehr hatte, uns vor seine Karosse spannte.« Die Postreisenden, die ihren Stand nicht verraten, werden weniger leicht insultiert.

Sie werden übrigens während der Fahrt bemerken, wie recht ich hatte, als ich Ihr übertriebenes Mitgefühl, das uns alle Bettler nach Froberg lockte, zu bekämpfen versuchte. Überall begegnet man jetzt offenbaren Zeichen steigender Wohlhabenheit: neuen oder gut ausgebesserten Häusern, gepflegteren Feldern, behäbig gekleideten Leuten.

Trotzdem ist der einmal erweckte Geist der Unzufriedenheit unausrottbar. Je mehr man dem Pöbel mit Reformen entgegenkommt, desto mehr verlangt er. Und wie ich aus den Berichten meiner Pariser Freunde schon entnahm, wirkt die Schwäche des Königs und die Angst des Finanzministers vor gewaltsamem Umsturz zusammen, um uns auf diesem Wege vorwärts zu treiben. Der Prozeß Rohan konnte die Lage nur verschlimmern. Nach dem Affront dieser Verhaftung ziehen sich alle Gutgesinnten vom Hof zurück. In diesem Fall fühle ich mich auf seiten des brüllenden Pöbels vor dem Pariser Parlament, der peremptorisch die Freiheit des Kardinals fordert.

Es ist mir nicht leicht geworden, die Ruhe von Froberg mit Paris zu vertauschen. Aber unser aller Schicksal hängt vielleicht von den nächsten Wochen ab, und ich kann nicht untätig zusehen. Der Einfluß, der mir beim König noch geblieben ist, muß ausgenutzt werden. Warum ich Ihnen die Reise zumute, und damit leider auch dem Kleinen, von dem Sie, obwohl er auf dem Lande viel besser aufgehoben wäre, zu trennen sich weigern, möchte ich noch mit einigen Worten erklären, da ich, wie Sie wissen, mündliche Auseinandersetzungen, die leicht in Szenen ausarten, vermeide. Mir fehlt noch das Vertrauen zu Ihnen. Montbéliard und Etupes sind zu nah, als daß ich nicht fürchten müßte, die Mutter meines Erben könnte sich vergessen.

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, den 22. Mai 1786.

Meine Liebe. Ich sehe mich genötigt, Ihnen vor Ihrer Abreise noch diese Zeilen zukommen zu lassen, damit Sie orientiert sind, was ich von Ihnen erwarte. Ich sah gestern den Prinzen Montbéliard. Sie werden ihm also in der Gesellschaft auch begegnen, und es ist selbstverständlich, daß wir, um jedes Gerede unmöglich zu machen, ihm nicht aus dem Wege gehen können. Ich nehme Ihnen dabei das feierliche Versprechen ab, daß Sie die Beziehungen zu ihm nicht erneuern werden. Ich will Sie nicht an die Pflicht der Dankbarkeit erinnern, die Sie mir gegenüber, der Sie und Ihr Kind vor öffentlicher Schande rettete, empfinden müßten. Ich will Ihnen nur hiermit erklären, daß ich, von dem Augenblick an, wo ich den Erben anerkannte, die Ehre des Namens, den ich ihm gab, zu schützen weiß.

Gestern wurde Rohan freigesprochen. Das Volk brachte ihm stürmische Ovationen dar, die bis in die innersten Gemächer von Versailles geklungen haben müssen. Die Königin schloß sich allein in ihr Zimmer. Sie mag empfunden haben, daß dieser Freispruch zugleich ihre Verurteilung war.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Versailles, den 10. Juni 1786.

Mein armer Liebling, was hat er aus Dir gemacht! Mußte ich meine tapfere Delphine so ängstlich, so kleinmütig wiederfinden?! Selbst der Scharfblick meiner Liebe hätte Dich nicht zu durchschauen vermocht, als Du gestern in der Akademie vor mir standest, blaß und schüchtern wie ein kleines Mädchen. Erst Deine flüchtigen, hastig hingeworfenen Zeilen klärten mich auf. Du gabst dem Marquis das Versprechen, das er forderte; »ich erkaufe mir mit dieser Sünde den letzten Rest von Freiheit«, schreibst Du und in rührenden Worten bittest Du mich, – mich, von dem alles Leid Dir kam! – Dir das Unrecht zu verzeihen; als ob Deine Sünden, Geliebteste, jemals Sünden sein können! Nur Deine Schwäche, die es zugab, daß der Marquis unser Kind für das seine erklären durfte, war ein Unrecht gegen Dich selbst, gegen uns, und rächt sich fürchterlich. Aber unsere Liebe wird stark genug sein, auch das zu überwinden.

Wir dürfen einander nicht schreiben, sagst Du, »wenn sich der Marquis auch nie dazu verstehen würde, die Dienerschaft zu Spionen zu machen, so sieht und fühlt er alles, seitdem kein Cagliostro mehr seine Blicke ablenkt«. Sollten wir nicht doch noch klüger sein können als er?!

Gaillard, dessen Verehrung für Dich sogar stärker ist, als seine republikanische Gesinnung, habe ich die Besorgung dieses Briefes ruhig anvertraut. Ich bin seiner vollkommen sicher. Wir werden uns zunächst in Gesellschaften sehen und je größer sie sind, desto leichter können wir in ihrer Mitte allein sein. Wir müssen beraten, was zu tun ist und – ich muß Dich wieder küssen dürfen, Du Süße, damit Deine Lippen sich röten und das Blut in Deine Wangen zurückkehrt. Ich habe Dich ja so lieb, so lieb und meine Sehnsucht ist so riesengroß, daß es mir scheint, als könnte ich sogar all die häßlichen Heimlichkeiten verborgener Liebe ertragen!

Werde ich Dich morgen bei Herrn von Puységur sehen, der, wie er mir sagte, eine neue Somnambule entdeckt hat, die »erstaunlich« sein soll, und übermorgen bei Frau von Staël, die in einem neuen Gesellschaftsspiel ihren Geist leuchten lassen will?

Nie sahst Du so entzückend aus, Holdselige, als gestern: die süße kleine Marquise mit den zarten Händen und Füßen und der feinen Taille, aus der der Busen wie eine Rose aus dem Kelch schimmernd emporsteigt, neben der neuen Gesandtin Schwedens mit den starken Knochen, dem breiten Gesicht, den forschenden Augen, in einem Gewand, das halb eine Mönchskutte, halb ein griechisches Peplon schien. Selbst Guibert, der die ehrgeizige Tochter Neckers als die Aspasia Frankreichs feierte, und seine Bewunderung für die ganze Familie sogar in seine Eintrittsrede unter die Akademiker einflocht, um die Erinnerung an seine frühere Stellungnahme ganz zu verwischen, war einen Augenblick lang wie benommen, als er Dich sah.

»Sie sind ein Sammler von Zeitdokumenten, Herr Graf,« sagte ihm beim Ausgang Herr von Champcenetz, »Mademoiselle de Lespinasse, Madame la marquise de Montjoie, Madame de Staël –« Aber schon ging der Angeredete stirnrunzelnd und wortlos an ihm vorüber, während ich nicht übel Lust hatte, dem Spaßmacher gehörig heimzuzahlen. Aber mit welchem Recht darf ich für Dich eintreten, Geliebteste?

Graf Guibert an Delphine
Paris, den 23. Juni 1786.

Schönste Frau Marquise, Ihre Marmorkühle scheint keiner Huldigung weichen zu wollen. Sie zürnen mir anscheinend mit Recht, weil ich mich zurückzog, in Wahrheit: zurückgestoßen fühlte. Ein Soldat erinnert sich nur ungern seiner Niederlagen und geht darum den Festungen aus dem Wege, die ihm Trotz boten.

Aber wenn ich auch Ihr Herz nicht erobern konnte, möchte ich doch wenigstens Ihre gute Meinung nicht verlieren.

Madame de Staëls Geist hat mich gerade in einem Augenblick fasziniert, wo das verletzte Gefühl sich in sich selbst zurückzog. Es gibt eine Ermüdung der Sinne, die der geeignetste Zustand ist, um den Kopf in seine unbeschränkten Herrenrechte einzusetzen. Damals lernte ich Herrn Necker mit den Augen seiner Tochter sehen und fand in ihm schließlich einen Lehrer, ja einen Freund. Wenn Sie öfter mit ihm zusammen kämen, – und ich hoffe, Frau von Staël wird Sie allmählich zu fesseln verstehen, trotz Ihres Spottes über die »geistigen Seiltänzereien« der von ihr beliebten Gesellschaftsspiele –, würden Sie ihr beipflichten, daß die einzige Rettung für Frankreich die konstitutionelle Monarchie nach englischem Muster ist. Aber während die Anglomanie der Galanterie der Franzosen, ihrem gesellschaftlichen Geist, ihrem künstlerischem Geschmack in gefährlicher Weise Eintrag tut, und kostbares französisches Gold für englische Pferde, Wagen und Kleider eingetauscht wird, können wir uns nicht entschließen, das Beste, was unser »Erbfeind« geschaffen hat, seine Staatsform, von ihm zu übernehmen.

Sie sehen, teuerste Marquise, wie Ihre Nähe mir notwendig ist. Wären Sie erst etwas länger hier, ich würde mit Ihnen nicht mehr zu politisieren vermögen!

Ich schicke Ihnen hiermit das versprochene Programm des Lyceums; möchte es Sie ebenso anziehen, wie es die Damen der Gesellschaft bisher angezogen hat; ich dürfte dann hoffen, Ihnen auch dort zu begegnen. Herr von Condorcet hat seine mathematischen Kurse, denen die schönen Zuhörerinnen mit besonderem Eifer folgen, sehr gut eingeleitet, indem er sagte: »Alle Prätensionen entspringen gleicherweise der Ignoranz der Menschen und der noch größeren Ignoranz derer, vor denen sie geltend gemacht werden. Wir glauben daher, daß das beste Mittel, um die Zahl der Prätentiösen zu vermindern, das ist, die Zahl der von ihnen Düpierten herabzusetzen. Kenntnisse, welcher Art sie auch sein mögen, sind nur dann nützlich, wenn sie Gemeingut sind. Es gibt kein Wissen, das nicht schädlich wäre, wenn nur eine kleine Anzahl Bevorrechteter es besitzt.«

Er hätte nichts Treffenderes für die Schöpfung allgemein zugänglicher Lyceen sagen können, zugleich nichts Schärferes, um die Geistlichkeit gegen sie aufzureizen. Jung und alt – Frauen vor allem – strömen in die Vorlesungen.

Würden Sie gestatten, daß ich Sie für eine der nächsten abholen darf? Wüßte ich Ihr Interesse gefesselt, würde ich mir die Zeit nehmen, stets in Ihrer Gesellschaft dort zu sein. Man trifft sich heute vor dem Katheder, wie früher im Salon.

Durch die großen Reformen der Armee, mit denen ich angestrengt zu tun habe, – der tote Friedrich von Preußen wird für uns jetzt erst lebendig und des armen Baron von Pirch Mitteilungen erwachen aus dem Staub der Archive, – bin ich natürlich sehr in Anspruch genommen. Aber mein Herz, schönste Marquise, ist frei!

Lucien Gaillard an Delphine
Paris, den 4. Juli 1786.

Verehrte Frau Marquise. Das Lyceum ist eine Freistatt, läßt also auch Bucklige zu. Nachdem neulich der angeblich von Ihnen bestellte Blumentopf vom Diener des Herrn Marquis zurückgewiesen wurde, wobei der darin versteckte Brief unbeschadet an mich zurückgelangte, wähle ich diesen bequemeren Weg. Wenn Sie nicht anders befehlen, behalte ich ihn bei.

Da Sie so gütig sind, nach meinen Ergehen zu fragen, – was sonst niemandem jemals einfiel, – gestatte ich mir dem beiliegenden Schreiben des Prinzen das meine hinzuzufügen.

Es geht mir gut. Die Frau, die mich in ihrer schwächsten Stunde zur Welt brachte, ist gestorben. Mit dem schmutzigen Geld, das sie zusammenscharrte, erhalte ich meine Kinder, – lauter Garantien für die künftige Glückseligkeit Frankreichs! Ein paar Burschen, die aus dem Kloster entkamen, sind ihre Anführer. Ich selbst schreibe Artikel, Libellen, Chansons; – da es an Stoff nie fehlt, so fehlt es auch nicht an Leuten, die dafür zahlen.

»Die Laufbahn offen dem Talent!«. – Beaumarchais' Worte fangen an Wahrheit zu werden. Ich würde dem, der sie aussprach, weiter verbunden gewesen sein, – er ließ sich seine Mémoires und Streitschriften gern von mir entwerfen, – wenn sie ihm nicht als ein letztes Ziel erschienen wäre. Seitdem die Königin ihre Worte von ihm sich diktieren, ihre Bewegungen von ihm dirigieren ließ, kämpfte seine Eitelkeit mit seinem Witz einen siegreichen Kampf. Er baute sich ein Palais gegenüber der Bastille, an der Straßenecke, wo täglich Scharen armer Arbeiter aus den Vorstädten vorüberströmen! Sie fangen an zu verstehen, was Steine sprechen: das Schloß des Worthelden und die Hochburg der Tyrannei!

Als er gegen den Grafen Mirabeau die Compagnie des Eaux de Paris verteidigte, wurde ich zum erstenmal stutzig. Ich wußte, daß er von ihr Aktien besaß, die auf das Dreifache ihres ursprünglichen Wertes gestiegen waren; daß das notwendigste Volksbedürfnis zum Gegenstand skrupellosester Spekulation gemacht wurde. Mirabeaus Antwort war ein Gewittersturm für den dürren Baum seines Ruhms. Selbst der Erfolg seiner Oper rettete ihn nicht mehr. Die Worte unserer großen Denker hörte man wohl, aber ihr Geist fehlte. Ich kündigte ihm den Dienst; die christliche Tugend, die Schwachen zu unterstützen, habe ich damals zuerst als Verbrechen erkannt. Man soll nur mit den Siegern gehen.