Loe raamatut: «Arme Kirche - Kirche für die Armen: ein Widerspruch?», lehekülg 4

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Heidemarie Wieczorek-Zeul

Partnerschaft von Kirche und Politik für eine gerechte Globalisierung

Heidemarie Wieczorek-Zeul war von 1987 bis 2013 Bundestagsabgeordnete der SPD und von 1998 bis 2009 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 18

Das noch junge Pontifikat von Papst Franziskus könnte den Weg bereiten, dass die in Deutschland schon immer gute Zusammenarbeit zwischen Kirche und progressiver Politik für eine weltweite Armutsbekämpfung nochmals intensiviert werden kann.

Ein Blick zurück

Die größte gemeinsame Initiative zwischen den Kirchen, ihren Entwicklungsorganisationen, der Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und mir als Entwicklungsministerin war die Verwirklichung der Entschuldungsinitiative zugunsten der ärmsten hochverschuldeten Entwicklungsländer anlässlich des G8-Gipfels 1999 in Köln. Diese so genannte Kölner Entschuldungsinitiative hat Millionen und Abermillionen Menschen in Entwicklungsländern das Leben leichter gemacht. Zu diesem Zeitpunkt standen die Entwicklungsländer bei den reichen Staaten und den internationalen Entwicklungsagenturen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds mit 2,5 Billionen US-Dollar in der Kreide. Die eigentliche Last waren die enormen Zins- und Tilgungsleistungen. Diese betrugen pro Jahr etwa 250 Milliarden US-Dollar; das entsprach den jährlichen Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland, also dem Etat einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt.

Ich habe dem Bundeskanzler damals eine globale Entschuldungsinitiative vorgeschlagen, die zwei Grundgedanken hatte: Erstens würden nicht nur wir als Bundesrepublik Deutschland den ärmsten 43 hochverschuldeten Ländern ihre Schulden erlassen, sondern auch die internationalen Finanzinstitutionen und die G8-Staaten würden sich daran beteiligen. Zweitens würden die Länder, denen die Schulden erlassen werden sollten, verpflichtet werden, das eingesparte Geld in Bildung, den Kampf zur Reduzierung der Armut und die Steigerung der Gesundheitsausgaben zu investieren. Dabei griffen wir die Forderungen aus dem Bereich der kirchlichen Initiativen für einen Schuldenerlass auf.

Schulden zu erlassen ist für keine Regierung ein leichter Schritt. Umso bemerkenswerter, dass der Bundeskanzler meinen Vorschlag wie selbstverständlich aufgriff und ihn dann ohne Abstriche den übrigen G8-Staaten präsentierte.

Der Kölner G8-Gipfel war der letzte G8-Gipfel, der ohne Demonstrationen verlief. Denn uns alle verband ein gemeinsames Ziel: eine gerechte Gesellschaft. Für mich war die Menschenkette, die wir gemeinsam mit NGOs und eben auch vielen Vertretern der Kirchen, den Kölner Dom im Rücken, hinunter zum Rhein bildeten, der emotionale Höhepunkt der Veranstaltung. Da reichten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Hände zum Versprechen: Wir machen die Welt gerechter! Ich fand es wunderbar, dass von Köln die Botschaft ausging: Es gibt nicht nur die Globalisierung des Kapitals, es gibt auch die Globalisierung der Solidarität. Unsere gemeinsame Initiative brachte konkrete Ergebnisse:

–125 Milliarden US-Dollar wurden im Austausch mit Investitionen in Gesundheit und Bildung erlassen (37 Millionen Kinder in Afrika können somit zusätzlich in die Schule gehen).

–Die Schuldenstände der 36 HIPC-Länder (hochverschuldete arme Länder) sind um 90 Prozent reduziert worden!

–Wendeten sie 2001 noch 3 Prozent des BIP für den Schuldendienst auf, so sank dieser Wert deshalb auf unter 1 Prozent. Für die Armutsbekämpfung konnten sie 2001 6 Prozent des BIP aufwenden, 2010 dann rund 9 Prozent!

–Voraussetzung für Armutsbekämpfung war die Verpflichtung zum Vorlegen von Strategiepapieren zur Armutsreduzierung, die unter anderem einer Überprüfung durch die kirchlichen „Jubilee 2000“-Initiativen vor Ort standhalten mussten.

–Die fatalen Strukturanpassungsprogramme des IWF, die auch noch aus dem Entwicklungshaushalt finanziert wurden, wurden beendet.

Zu Recht schrieb im Juli 2013 Martin Lanz in der Neuen Zürcher Zeitung: „Verkehrte Welt: Die meisten Industrieländer sind hoch verschuldet und haben teilweise den Zugang zu den Kapitalmärkten verloren, während lange als hoffnungslos geltende afrikanische Entwicklungsländer ein beachtliches Maß an makroökonomischer Stabilität erreicht haben (…).“19

In der Entwicklungszusammenarbeit, die ich während meiner Ministerzeit verwirklichen konnte, habe ich gerade auch das praktische Engagement der kirchlichen Entwicklungsdienste besonders geschätzt: Es ging ihnen um die Stärkung der Armen, die Stärkung der Frauen, ihre Beteiligungschancen in der Gesellschaft und auch in den politischen Entscheidungen. Viele derartige Projekte habe ich vor Ort selber kennenlernen dürfen und das Engagement der Menschen, die ich ins Herz geschlossen habe, bewundert. Sei es das Engagement in den Slums von Kalkutta, um den Menschen Chancen für ein Einkommen zu geben, sei es im Umfeld von Lima, wo Jugendliche, die Elektroschrott „aufarbeiten“ wollten, neue Lebensperspektiven erhalten sollten, sei es das Engagement zur Aufarbeitung von Gewaltherrschaft in Peru oder auch in El Salvador.

Der Blick nach vorne

Aber es gilt auch dranzubleiben: Wir müssen uns weiter gemeinsam gegen gravierende Ungerechtigkeiten engagieren, zum Beispiel gegen ungerechte Handelsbeziehungen, die nach wie vor afrikanische Länder vor allem als Exporteure von Rohstoffen betrachten. Oder gegen das immer noch stattfindende „Landgrabbing“: Viele Industrie- und Schwellenländer kaufen oder pachten Millionen Hektar Land in afrikanischen Ländern für den Anbau von Energiepflanzen. Land, das eigentlich für die Nahrungsproduktion der Afrikaner selbst benötigt wird. Das bedeutet, dass gerade auf dem Kontinent, auf dem noch immer Millionen Menschen von Hunger bedroht sind, den Menschen Lebensperspektiven entzogen werden. Wir haben eine gemeinsame Verpflichtung: den Entwicklungsländern und den Menschen, die dort leben, die souveräne Entscheidung über die Verpachtung von Land zu ermöglichen, das heißt, die Freiwilligen Leitlinien der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, in den internationalen Institutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds in deren Geschäftspolitik umzusetzen.

Eine weitere große, gemeinsame Initiative ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer als eine „Steuer gegen Armut“. Diese Steuer ist keine Utopie! Eine Welt, in der wir uns für faire Verteilung einsetzen, ist keine Utopie sondern eine realistische und verwirklichbare Forderung! Ähnlich wie bei der Entschuldungsinitiative Ende der 1990er Jahre und zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben wir heute mit der Finanztransaktionssteuer die Chance für eine Umsetzung zwischen den Beteiligten einer Basisbewegung, gerade auch den kirchlichen Initiativen, und denen in der Politik, die dazu guten Willens sind. Wir wissen seit Jahren, wie notwendig diese Steuer ist, viele andere erkennen erst jetzt, dass es sich nicht um eine Utopie handelt! Schon 2001 habe ich als Bundesministerin bei dem Frankfurter Professor Paul Bernd Spahn die Studie „Zur Durchführbarkeit einer Devisentransaktionssteuer“ in Auftrag gegeben. Diese hat dargestellt, dass die Steuer keineswegs nur global, sondern auch innerhalb von Zeitzonen funktionieren kann. Sie könnte also zunächst für die europäische Zone bzw. die Eurozone eingeführt werden. Damals wurde diese Botschaft vor allem von Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Wir waren damals schon überzeugt: Für ein ökonomisches, ökologisches und soziales Zusammenleben brauchen wir globale Regelungen – brauchen wir Global Governance!

Wir dürfen nicht zulassen, dass wir als die Generation in die Geschichte eingehen, die zwar Billionen aufbrachte, um den Finanzsektor zu retten, aber nicht die Kraft oder den Willen aufbrachte, die Welt vor Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit und Klimawandel zu retten. Aber wir müssen sorgfältig darauf achten, dass die Mittel der Finanztransaktionssteuer nicht zum Stopfen der Haushaltslöcher von Industrieländern missbraucht werden. Es muss eine wirkliche „Steuer gegen Armut“ sein! Es braucht unsere gemeinsame Initiative zur Regulierung der Finanzmärkte und gegen den Marktradikalismus. Dies ist treffend beschrieben im „Aufruf für eine prophetische Kirche“, in dem es heißt: „Übermächtige Finanzinstitute haben die weltweite Finanzkrise verursacht und die Gesellschaft in Geiselhaft genommen. Sie haben die Politik unter Druck gesetzt, ihre Spekulationsverluste kommenden Generationen aufgebürdet und gesellschaftliche Verantwortung verweigert.“20 Das heißt eben auch, den global agierenden Kapitalismus zu bändigen und gegen die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ einzutreten, gegen die Papst Franziskus so wirkungsvoll ankämpft.

Ebenso braucht es gemeinsame Initiativen, um die Millenniumsentwicklungsziele, die acht Regeln für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung sind, zu verwirklichen. Wir haben bereits große Fortschritte gemacht, zum Beispiel bei der Armutsbekämpfung und beim Thema Gesundheit. Trotzdem müssen wir weiter die wachsende Ungleichheit überwinden. Wir haben große Fortschritte gemacht beim Kampf gegen HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose, vor allem durch die Arbeit des Globalen Fonds. Zum ersten Mal gibt es die reale Chance, dass es eine Generation frei von HIV/Aids gibt. Aber wir brauchen dennoch mehr Engagement bei der Bekämpfung der Mütter- und Kindersterblichkeit. Die Kindersterblichkeit ist zwar um ein Drittel zurückgegangen, dies ist allerdings immer noch zu langsam zur Erreichung des Millenniumsentwicklungsziels 4. Die Müttersterblichkeit ist seit 1990 fast halbiert worden, jedoch immer noch weit vom Ziel für 2015 entfernt. Dabei ist es besonders wichtig, Frauen den Zugang zu Mitteln der Familienplanung und zu sozialen Dienstleistungen zu ermöglichen. Bei der Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele 7 und 8 gilt es, sich auch noch einmal bewusst zu machen, dass die Ärmsten durch die weiter zunehmende Umweltzerstörung am meisten betroffen sind. Auf diesen Hintergrund ist ein globales Engagement zugunsten der Einhaltung der Finanzzusagen dringender denn je: Im Jahr 2012 sind die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit weltweit um 4 Prozent gesunken. Wir sind weit entfernt von dem bereits 1972 gegebenen Versprechen der reichen Länder, 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts für die Entwicklung armer Länder zur Verfügung zu stellen. Es ist an der Zeit, endlich die globalen Gewichte anders zu setzen: 1,7 Billionen US-Dollar werden nach wie vor für Rüstung ausgegeben.

Nicht nur deshalb sollten wir uns gemeinsam gegen einen Einstieg in eine neue Aufrüstungsrunde bei Kampfdrohnen einsetzen. Es besteht die Gefahr, zu einer im Verborgenen stattfindenden Kriegsführung zu kommen, die die generelle Ächtung des Krieges im Völkerrecht unterläuft. Krieg würde damit unter die Wahrnehmbarkeitsschwelle gedrängt. Krieg würde „banalisiert“, wie das Friedensgutachten 2013 der vier Friedensforschungsinstitute festgestellt hat.21 Verantwortliche Regierungen, NGOs und Kirchen sollten sich explizit gegen den Export von Waffen und Kleinwaffen in Länder, die die Menschenrechte missachten und die nur neue Konflikte schüren, engagieren.

Wir brauchen ein gemeinsames Engagement bei der Erarbeitung der so genannten Nachhaltigkeitsentwicklungsziele (Sustainable Development Goals), die von 2015 an bis 2030 verwirklicht werden und als universell gültige Regeln, die den Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit mit dem Kampf gegen die Klimaveränderungen verbinden, gelten sollen. Konkrete Beispiele sind: die extreme Armut in all ihren Formen und gerade auch den Hunger beenden; die Entwicklung „innerhalb der planetarischen Grenzen“ halten sowie Nachhaltige Energie für alle fördern.

Und notwendig ist: Gemeinsames Engagement für Lenkungsstrukturen zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung: Transparenz, Rechenschaftslegung, Beteiligung, das Ende von Steueroasen, international verbindliche Regeln für das internationale Finanzwesen und für den Handel müssen so gestaltet werden, dass sie mit der Verwirklichung der Ziele für die nachhaltige Entwicklung im Einklang stehen. Das heißt vor allem auch eine organisierte Rechenschaftspflicht der Unternehmen, die zum Beispiel in der Textilindustrie in Entwicklungsländern arbeiten, über die Einhaltung von Schutzpflichten und ILO-Normen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Um all das besser erreichen zu können, sollten Religionsgemeinschaften, Kirchen und Politiker sich gemeinsam engagieren für einen UN-Sicherheitsrat für nachhaltige Entwicklung, in dem alle Regionen hochrangig vertreten sind und eine enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft verwirklicht wird, damit die Ziele der Nachhaltigkeit und globalen Gerechtigkeit auch global eine Chance haben.

Meine Hoffnung, die ich in der Zeitschrift „Franziskaner“ geäußert habe, ist eingetreten:22 Papst Franziskus versteht sich als Gewissen der Welt und engagiert sich für globale Gerechtigkeit und die Bekämpfung von Armut und Hunger in der Welt. Diese Stimme für globale Gerechtigkeit fehlte bisher in unserer Welt! Ich hoffe, dass sein Wirken im Sinne des heiligen Franz von Assisi dazu beiträgt, dass die Menschen, die in unserer Welt an den Rand gedrängt werden, in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit rücken. Er soll ein Papst für alle Menschen sein, einer, der sich der Ökumene öffnet und den Dialog der Religionen fördert. Es ist wichtig, dass die Nachhaltigkeitsziele, die ab dem Jahr 2015 gelten sollen, auch von den Kirchen mitgestaltet und vor allem auch mit umgesetzt werden. Eine bessere Welt kommt nicht von allein, dies bedarf des Engagements aller!

Kurt Gerhardt

Armutsbekämpfung ist nicht Umverteilung, sondern Entwicklung eigener Potenziale

Kurt Gerhardt ist Journalist, arbeitete 1983–1986 für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) im Niger, ist Mitbegründer u. a. der Initiative „Grundbildung in der Dritten Welt“, des Vereins „Makaranta“ sowie des „Bonner Aufrufs – Für eine andere Entwicklungspolitik!“ 23

Die deutsche Kirche ist reich. Sie gilt jedenfalls als reich, verglichen mit den Verhältnissen in anderen Industrieländern, wie z. B. Frankreich. Sie gibt aber auch reichlich. Von deutschen Hilfswerken (u. a. Misereor, Caritas International und Missio), Diözesen und Orden flossen im Jahre 2011 etwa 165 Millionen Euro in afrikanische Entwicklungsprojekte. Finanziell nicht abzuschätzen ist der persönliche Beitrag vieler Missionare und anderer kirchlicher Helfer. „Entwicklungsprojekte“ kann vielerlei heißen. Bei einer Kirche wird man an erster Stelle an missionarische Einsätze denken, weil, wie etwa Papst Paul VI. gesagt hat, „Evangelisierung die eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität“ sei (z. B. Evangelii nuntiandi, 14). Die Kirche hat aber, so ebenfalls Papst Paul VI. „den ganzen Menschen“ im Blick und engagiert sich daher für Entwicklung im weitesten Sinn, für Seele und Leib (z. B. Populorum Progressio, 14).

Der „Bonner Aufruf für eine andere Entwicklungspolitik“ interessiert sich nicht dafür, was die Kirchen an religiöser Entwicklungsarbeit in Afrika leisten, sondern für die personelle und finanzielle Unterstützung außerhalb dieses Bereichs, zum Beispiel in der Bildung, im Gesundheitswesen und in der Landwirtschaft. Der nicht-religiöse Anteil der katholischen Entwicklungshilfe ist allerdings kaum kalkulierbar, weil die Übergänge zwischen den verschiedenen Bereichen oft fließend sind. In der kirchlichen Hilfe – und das gilt besonders für Caritas International – ist außerdem ein großer Anteil an humanitärer oder Not- bzw. Katastrophen-Hilfe enthalten, die zwar im öffentlichen Bewusstsein, nicht aber in der Fachwelt zur Entwicklungshilfe zählt. Auch hier lassen sich Größenordnungen kaum bestimmen.

Niemand kann also einigermaßen genau sagen, wie viel Geld die „reiche“ katholische Kirche Deutschlands für Entwicklungshilfe im engeren Sinn in Afrika ausgibt. Dennoch wird man sagen können, dass es jährlich etliche zig Millionen Euro sind. Soweit dies der Fall ist, darf man annehmen, dass kirchliche Träger – und vor allem die Praktiker der Hilfe vor Ort – es überwiegend mit ähnlichen Bedingungen zu tun haben wie staatliche Organisationen, etwa die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit). Sie treffen auf die gleichen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen in den Partnerländern, die gleichen Denk- und Handlungsweisen der Menschen und auf die gleichen Schwierigkeiten wirksamen Gebens und Nehmens – des anspruchsvollsten Teils des komplexen Unternehmens „Entwicklungshilfe“. Wir können in Afrika noch so bescheiden und einfühlsam auftreten – für die Massen der Armen sind und bleiben wir die „reichen Onkel“ aus dem Norden. Dieser Reichtum betrifft nicht nur unser Geld, sondern auch unsere Fähigkeiten und Erfahrungen. Und diese schwierige Ausgangslage gilt nicht nur für GIZ-Experten, sondern in ähnlicher Weise für alle, auch für Missionare.

Diese völlig unterschiedlichen Ausgangsbedingungen einer Zusammenarbeit zwischen Arm und Reich bergen erhebliche Gefahren. Dass diese in der Vergangenheit nicht klar genug erkannt und vermieden worden sind, ist der wesentliche Grund für das weitgehende Scheitern unserer Entwicklungshilfe in Afrika.

Das Subsidiaritätsprinzip wird nicht ernst genug genommen

Nachdem ich 1983 die Praxis der Entwicklungshilfe in Afrika einige Monate lang erlebt hatte, schrieb ich dem „Nestor“ der Katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, in einem Brief, die Entwicklungshilfe sei ein Bereich, in dem nach meinem Eindruck das Subsidiaritätsprinzip dringend konsequenter angewandt werden müsse. Offensichtlich war ich der Meinung, dass dies bei weitem nicht der Fall war. Man konnte leicht erkennen, dass wir als Entwicklungshelfer viel zu aktiv waren, während die afrikanischen Partner, die es eigentlich sein sollten, es nicht genügend waren.

Nell-Breuning beantwortete meine Beobachtung damals mit dem beeindruckenden Satz, wir müssten beim Helfen darauf achten, dass wir unsere afrikanischen Partner nicht zu Objekten der Hilfe machten, dass sie vielmehr Subjekte ihrer Entwicklung blieben. Falsches Helferverhalten hat mit unserer Position der Reichen zu tun. Sie hat bis heute wesentlich dazu beigetragen, dass wir uns im Übermaß für die Entwicklung Afrikas zuständig fühlen. Aus dieser Haltung heraus zu handeln verstößt gegen das Subsidiaritätsprinzip, weil es die Eigenverantwortung der Partner geringachtet und behindert; es verletzt auch ihre Würde. Nach dem Subsidiaritätsprinzip soll Hilfe so gegeben werden, dass der, dem geholfen wird, möglichst bald unabhängig von Hilfe wird. Hilfe, die ein halbes Jahrhundert lang gegeben wird, kann nur das Gegenteil bewirken. Wir Reichen haben Hilfe zu einem Dauerprozess mit unabsehbarem Ende gemacht. Damit haben wir die Abhängigkeit der Afrikaner von Hilfe immer mehr verstärkt.

Die Kirchen wird man davon nicht ganz ausnehmen können. Wenn zum Beispiel ein Missionsorden bestimmte Pfarreien, Klöster und Gemeinden in Afrika über viele Jahre hin finanziell fördert, wird dadurch die afrikanische Vorstellung von den Reichen im Norden gefestigt, auf deren gute Gaben man auch in Zukunft hoffen darf. Mit der Zeit bildet sich sogar die Einstellung, auf diese Wohltaten einen Anspruch zu haben, und sei es als Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht in der Kolonialzeit. So berechtigt diese Haltung sein mag, ihre Auswirkungen sind verheerend.

Die jahrzehntelange Hilfe hat längst zu einer schweren Schädigung der afrikanischen Mentalität geführt, die sich z. B. so äußert: Wenn sich ein Problem auftut, stellt sich typischerweise und reflexhaft zuerst die Frage „An welche ausländische Organisation wenden wir uns am besten, um das Problem zu lösen?“, statt zuerst mal die eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ein späterer afrikanischer Präsident sagte mir schon in den achtziger Jahren: „Nous sommes devenus un peuple de la main tendue.“ (Frei übersetzt: Eure Hilfe hat uns zu Bettlern gemacht.)

In der Dritte-Welt-Szene schien früher Konsens zu sein, dass die helfenden Organisationen sich so bald wie möglich überflüssig machen müssten. Nach 50 Jahren Entwicklungshilfe scheint von diesem Selbstverständnis nichts übriggeblieben zu sein. Hat man je von einer Hilfe-Agentur, ob kirchlich oder staatlich, gehört, sie habe beschlossen, ihre Arbeit demnächst einzustellen? Man stelle sich vor, die deutschen Bischöfe beschlössen, Misereor in drei Jahren zu schließen. Dass das wie eine verrückte Idee klingt, ist auch ein Zeichen dafür, wie weit das organisierte Helfen in die falsche Richtung gelaufen ist.

Ein wesentlicher Grund dafür, dass das organisierte Helfen inzwischen als Ewigkeitsveranstaltung angelegt zu sein scheint, ist nicht die Not der anderen, sondern das eigene Interesse. Die Hilfe-Apparate, national wie international, privat wie staatlich, haben längst ein solches Ausmaß und eine derartige Verfestigung erreicht, dass ein Rückbau gar nicht mehr als denkbar erscheint. Sehr viele Menschen, die in diesem System arbeiten, leben sehr gut damit und möchten es nicht missen – um es zurückhaltend zu sagen.

Die Abhängigkeit von der Entwicklungshilfe ist also zweiseitig; sie betrifft die Nehmenden ebenso wie die Gebenden.

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