Loe raamatut: «Historische Translationskulturen», lehekülg 30

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2.2 Anfänge der Institutionalisierung französischer Ausbildungsstätten für orientalische Sprachen

Angesichts der Öffnung gegenüber dem Osmanischen Reich wurde 1669 von staatlichen französischen Stellen eine Ausbildungsstätte für sogenannte jeunes de langue (Sprachknaben) in Konstantinopel gegründet, die später im französischen diplomatischen Dienst als Dolmetscher eingesetzt werden sollten (vgl. Hitzel 2008a: 348). Bis Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte die Einrichtung weiterer Institutionen in einer ähnlichen Absicht.

Im Dezember 1776 wurde eine Verordnung erlassen, die Aufschluss über die damals am französischen Hofe geltende Kategorisierung von Dolmetschern für orientalische Sprachen gibt und somit einen berufsnormierenden Akt darstellt. Es wird hier zum einen der Posten des „secrétaire[s] interprète de sa Majesté pour les langues orientales“ (Dolmetschsekretär[e] Ihrer Majestät für orientalische Sprachen), der für die Korrespondenz mit der Levante (somit auch für schriftliche Arbeiten), für Staatsbesuche etc. in Frankreich eingesetzt werden sollte, genannt. Zum anderen verweist man hierin aber auch auf die Dolmetscher der französischen Vertretungen in der Levante, hier als „drogmans“ (Dragomane) bezeichnet (vgl. INALCO 2014). Diese praxisorientierten Berufe, die ein hohes Maß an Sprachkompetenz erforderten, verstanden sich als Gegensatz zu jenem eines gelehrten, oft gar nicht aktiv sprachkundigen „Orientaliste“ , dem jedoch bis weit in das 19. Jahrhundert meist ein höherer gesellschaftlicher Stellenwert beigemessen wurde (vgl. Reig 1988: 40ff.).

Paradoxerweise wurden ab Mitte des 16. Jahrhunderts Orientalisten und Dolmetscher weitläufig an denselben einschlägigen französischen Bildungseinrichtungen ausgebildet. Dies mag auf den ersten Blick ebenfalls auf eine relativ geringfügig differenzierte Wahrnehmung beider Bereiche über einen längeren Zeitraum hinweg hindeuten; da aber jeweils an der École des jeunes de langue (Sprachknabenschule)1 und an der École des langues orientales (Schule für orientalische Sprachen, beide im 18. Jahrhundert gegründet) der Fokus auf die Ausbildung von Dolmetschern gerichtet war, werden diese beiden ab 1873 miteinander fusionierten Einrichtungen in Folge genauer vorgestellt und, soweit möglich, auf von ihnen begünstigte Normierungstendenzen geprüft. Es ergibt sich hierdurch auch der zeitliche Hauptrahmen zwischen der ersten Hälfte des 18. und dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts, wie anhand von Abbildung 7 nachvollzogen werden kann.


Abb. 7: Ausbildungsstätten für orientalische Sprachen in Paris von 1530 bis zur Gegenwart

2.2.1 École des jeunes de langue

Vor der Gründung einschlägiger Ausbildungsstätten wurden in europäischen Vertretungen der Levante sprachkundige Dragomane eingesetzt, die häufig einflussreichen alteingesessenen Familien entstammten. Oft waren sie gleichzeitig bei mehreren Vertretungen tätig, wodurch zusehends Zweifel an ihrer Loyalität einzelnen Nationen gegenüber aufkam (vgl. de Groot 1995: 235ff.). So wurde in Frankreich mit dem Beschluss vom 18. November 1669 die Entsendung von sechs neun- bis zehnjährigen Knaben von Marseille nach Konstantinopel und Smyrna zum Erwerb orientalischer Sprachen beschlossen (vgl. Bourgey 1995: 3f.). Besonders in Marseille, das im selben Jahr zum Freihandelshafen erklärt worden war, hegte man reges Interesse am Ausbau des Levante-Handels. Wohl aus diesem Grund wurde der unter Aufsicht der Kapuziner stehende Aufenthalt der Sprachknaben in Konstantinopel von der Marseiller Handelskammer finanziert (vgl. Le Bas 1844: 546).

Im Jahr 1700 wurde auf königlichen Beschluss eine Missionars- und Dolmetschausbildungsstätte für junge orientalische Christen1 gegründet und in dem von Jesuiten (bis 1762) geführten Collège Louis-le-Grand in Paris untergebracht. Aufgrund ihrer Ineffizienz wurde die Sprachknabenausbildung schließlich mit dem Beschluss vom 20. Juli 1721 mit jener der Missionare zusammengelegt. Die Grundausbildung erfolgte fortan in Frankreich, danach war ein Praktikum in der Levante vorgesehen. Sehr bald kam man hierbei vom missionarischen Fokus ab (vgl. ibid.: 546f.). Für diese neu fusionierte, bis 1763 vom Außenministerium kuratierte Schule bürgerte sich die Bezeichnung „École des jeunes de langue“ ein (vgl. Hitzel 2008a: 348).

Der Unterricht der orientalischen Sprachen unterstand dem ersten Dolmetschsekretär des Königs sowie zwei weiteren Dolmetschern; die klassischen Fächer wurden hingegen von Geistlichen unterrichtet (vgl. Reig 1988: 66; Messaoudi 2007). Die lehrenden Dolmetscher bauten eine umfangreiche Bibliothek auf, die den Zöglingen als realienkundliche Informationsquelle dienen sollte. Die geistlichen Lehrenden ihrerseits vertraten die Ansicht, dass man die Lehrmethoden für das Lateinische, das als Kommunikationssprache unter den Schülern galt, auch auf orientalische Sprachen anwenden könne, was zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen und den Dolmetschern führte (vgl. Kalus 1995: 365ff.). Ab 1721 sollten ausschließlich französische Staatsangehörige als Dolmetscher für orientalische Sprachen ausgebildet werden, wobei ab 1781 Knaben aus Dragomanen- bzw. Dolmetschfamilien2 mit französischer Staatsangehörigkeit der Vorzug gegeben wurde (vgl. Le Bas 1844: 546f.). Das Sprachstudium wurde für letztere noch bis zum Ersten Weltkrieg staatlich finanziert. Zwischen 1873 und 1875 wurde allerdings das Pflichtpraktikum in der Levante abgeschafft (vgl. Messaoudi 2007; Skalweit 2018: 39). Der Charakter der Ausbildung wandelte sich in Folge hin zur gelehrten Orientalistik3.

Auf die Translationskultur Frankreichs bezogen lässt sich demnach feststellen, dass sich zwischen 1669 und 1873 ein erster Versuch der Verselbstständigung der Dolmetscherausbildung unter Abwendung von theologisch begründeten Traditionen vollzogen hat. Dieser bringt einen Konflikt zwischen translatorischen Lehrmethoden und jenen der Theologie/Orientalistik mit sich – ein Beispiel für die allmähliche Veränderung von zunächst an andere Disziplinen gekoppelten translatorischen Normen, die sich nun stärker an wirtschaftlichen und diplomatischen Anforderungen orientierten. Eine klar säkular (damit einhergehend auch republikanisch) ausgerichtete Umorientierung des einschlägigen Lehrbetriebs konnte erst nach der Französischen Revolution stattfinden. Bis dahin beherrschten zudem alteingesessene Dragomane die französische Dolmetschpraxis, vor allem in der Levante. Auch danach wurde ein beachtlicher Teil der Sprachknaben aus den Reihen der Dragomanenfamilien rekrutiert, was auf einen nicht zu verkennenden Einfluss dieser Familien auf die im Prunčschen Sinne verstandene Normbildung innerhalb der Translationskultur Frankreichs schließen lässt – ebenso wie auf den Fortbestand einiger althergebrachter Normen.

2.2.2 École des langues orientales

Nach der Französischen Revolution hatten viele der altgedienten levantinischen Dragomane angesichts nicht ausbezahlter Löhne oder veränderter Loyalitäten ihre Arbeitsplätze verlassen (vgl. Reig 1988: 54f.). Somit ergab sich die Notwendigkeit, neues, ideologisch auf Kurs gebrachtes Personal auszubilden, denn der Bedarf an Sprachmittlern war angesichts des Fortbestandes der osmanisch-französischen Beziehungen gegeben (vgl. Dehérain 1938: VI). Der bereits bestehenden École des jeunes de langue haftete ein royalistisch-monastischer Charakter an (vgl. Messaoudi 2007); wohl nicht zuletzt deshalb litt sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts unter einem notorischen Lehrer- und Schülermangel (vgl. Reig 1988: 75). Der Orient-Reisende Constantin-François Volney, selbst Absolvent von Arabisch-Kursen am Collège royal, kritisierte 17951 die schlechten Sprachkenntnisse von Diplomaten und Orientalisten und versuchte, neue, „aktivere“ Sprachlehrmethoden zu schaffen (vgl. Valensi 2008: 971). Selbst der nur über passive Sprachkenntnisse verfügende Orientalist Louis Langlès, der seine Ausbildung ebenfalls am Collège royal genossen hatte und Anhänger der Revolution war, setzte sich für eine Verbesserung der Sprachlehre ein (vgl. Reig 1988: 77; Hitzel 2008b: 559). Er forderte 1790 im Rahmen einer Rede2 die Einrichtung von Lehrstühlen für orientalische Sprachen in Paris und Marseille zugunsten des Ausbaus französischer Handelsbeziehungen (vgl. Reig 1988: 20).

Auf Initiative des Politikers Joseph Lakanal kam es schließlich durch das Dekret vom 30. März 1795 zur Gründung der École spéciale des langues orientales (Spezialschule für orientalische Sprachen)3. Der hierfür mit der Administration betraute Langlès bekräftigte zwar Ende 1796, dass es sich um eine Ausbildungsstätte für Dolmetscher handle; da jedoch weder er noch der ihn 1824 ablösende Antoine-Isaac Silvestre de Sacy über praktische Sprachkenntnisse verfügten, wurde diese in Folge zu einer primär philologisch orientierten Lehranstalt (vgl. Reig 1988: 20f.). Im Gründungsdekret war die Diskussion politischer und wirtschaftlicher Beziehungen Frankreichs mit der Levante für den Unterricht vorgesehen (vgl. Carrière 1883: 7). Bald wandte man sich jedoch vermehrt philologischen Themen zu, wie etwa in de Sacys Unterricht, der mit seinen aus ganz Europa stammenden Schülern Texte analysierte (vgl. Marics 2016: 126ff.). Von den Lehrenden wurden vor allem Grammatiken4, aber auch eine steigende Zahl anderer Werke publiziert, was ebenso die zunehmende (philologisch orientierte) Verwissenschaftlichung der École verdeutlicht (vgl. Reig 1988: 92).

Um das Jahr 1807 machten sich Bemühungen bemerkbar, auch die Ausbildung der Übersetzer von jener der Dolmetscher für orientalische Sprachen zu trennen. Volney rief zur Gründung eines Collège des Drogmans (Dragomanenkolleg) in Marseille für orientalische Sprachen und Dialekte auf5, das mit Schülern und Lehrenden muttersprachlichen Niveaus besetzt werden sollte. In seinem Pariser Gegenstück, einem Collège des Traducteurs (Übersetzerkolleg), sollten hingegen Forschungen zu orientalischen Sprachen betrieben und Gäste aus jenem Raum beherbergt werden (vgl. Clavères 2002; Valensi 2008: 971).

In der Tat wurde per Dekret vom 31. Mai 1807 im Marseiller Lycée royal (Königliches Lyzeum) ein öffentlich zugänglicher, kostenfreier Arabisch-Kurs eingerichtet, welcher zum Ziel hatte, Spezialisten für den Levante-Handel auszubilden (vgl. Clavères 2002). Obwohl so ein Gegenpol zu den Lehranstalten in Paris geschaffen wurde, kam es nicht zu der ursprünglich intendierten Differenzierung der Dolmetscher- und Übersetzerausbildung und auch nicht zur Ausweitung des Sprachenrepertoires (vgl. ibid.). Es sollen überdies lediglich Arabisch-Muttersprachler auf der Basis ihrer Kursteilnahme Dolmetschposten erlangt haben (vgl. Messaoudi 2008: 115).

Obwohl man sich zwischen 1821 und 1875/76 an der Pariser École durch den Unterricht in ostarabischen Dialekten um eine bessere Grundlage für das Dolmetschen aus der arabischen Alltagssprache bemühte (vgl. Reig 1988: 91ff.), lief die Dolmetscherausbildung dort ab 1883 aus (vgl. Skalweit 2018: 43).

Trotz allem waren manche der Pariser Absolventen durchaus (auch) als Dolmetscher tätig (vgl. Laurens 2004: 115). Da diese aus den unterschiedlichsten Teilen Europas stammten (vgl. Messaoudi 2007), insbesondere aus Deutschland (vgl. Espagne 2005), ist anzunehmen, dass die in Paris inkorporierten, philologisch geprägten Normvorstellungen, wie etwa ein starkes Fokussieren auf das Schriftliche, in den diversen europäischen Lehrbetrieben Verbreitung fanden und sich so die Entstehung einer stärker praxisorientierten Dolmetschausbildung auch dort nur schleppend vollzog. Bemerkenswert ist zudem der Einfluss der Pariser Lehrpersonen auf die Schüler und das Prestige ersterer, nicht zuletzt insofern, als sie im Untersuchungszeitraum zur Ausübung ihrer Lehrtätigkeit nicht einmal einen Studiennachweis vorweisen mussten (zweitere im Übrigen auch kein Abitur, um die École zu besuchen) (vgl. Messaoudi 2007).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mit der Gründung der École des langues orientales angesichts ihrer revolutionsnahen Prägung und ihres hohen Prestiges zwar die Säkularisierung orientalischer Sprachlehre zu einer Abrundung gelangt ist, nicht jedoch eine sich zunächst klarer abzeichnende Trennung zwischen einer translatorischen und einer philologischen Ausbildung in diesem Bereich. Letztere Form mit ihrer starken Tendenz zu Text- und Grammatikanalyse bleibt aufgrund des Prestiges „gelehrter Orientalisten“ normbestimmend, dies über die Grenzen Frankreichs hinaus. Die Einbindung von Elementen der Dolmetschpraxis in den Unterricht (z.B. Lehre durch Muttersprachler, Dialekte etc.) konnte sich gegenüber den für die damalige Orientalistik typischen Methoden (z.B. Textanalyse, Textedition etc.) lange nicht durchsetzen. Es ist demnach wahrscheinlich, dass die so vorgeprägten Normvorstellungen großteils mit jenen in Konflikt gerieten, die tatsächlich in der von politischer und wirtschaftlicher Realität geprägten Dolmetschpraxis galten – so, wie um die Wende zum 19. Jahrhundert von praxisorientierten Sprachkundigen moniert wurde.

Obwohl die hier beschriebenen Entwicklungen der Differenzierung und Säkularisierung der Dolmetschausbildung eine wesentliche Grundlage für Fortgang und Ausbau der französischen Translationskultur bilden, fand eine von philologischen Normen weitgehend losgelöste Professionalisierung und eigenständige wissenschaftliche Beleuchtung des Dolmetschens in jedem Fall erst im 20. Jahrhundert statt. Die Herausbildung neuer Berufsfelder für DolmetscherInnen, allen voran das Konferenzdolmetschen, sowie die Schaffung von einschlägigen Ausbildungsstätten und Berufsverbänden waren für die Entstehung eigenständiger (translatorischer) Normen innerhalb der Translationskultur Frankreichs von entscheidender Bedeutung.

3 Institutionalisierung des Konferenzdolmetschens im 20. Jahrhundert

Die Anerkennung des Dolmetschberufs erfolgte erst nach dem Ersten Weltkrieg, als auf der Pariser Friedenskonferenz die Geburtsstunde des Konferenzdolmetschens schlug (vgl. Pöchhacker 2016: 29). Die Gründung der International Labour Organization (ILO, Internationale Arbeitsorganisation) im Jahr 1919 sowie des Völkerbunds im Folgejahr sorgten für zusätzlichen Dolmetschbedarf und technische Weiterentwicklungen (vgl. Keiser 2004). Den Anstoß für die Professionalisierung der DolmetscherInnen und die Entstehung nationaler und internationaler Berufsvertretungen in der westlichen Hemisphäre gaben schließlich ab 1945 die Nürnberger Prozesse sowie die Errichtung der UNO (vgl. Pöchhacker 2016: 29). Die DolmetscherInnen dieser Epoche dolmetschten zumeist im Nebenerwerb (vgl. Keiser 2004); zu den berühmtesten Dolmetschpionieren zählten die ohne jegliche einschlägige Ausbildung bekannt gewordenen Franzosen André Kaminker und Paul Mantoux (vgl. Andres 2015: 84).

Also war die Dolmetschtätigkeit für die sie Ausübenden häufig eine zufällige sekundäre Aktivität, die aufgrund fehlender Ausbildungsstrukturen und einer nicht vorhandenen Berufsvertretung ein unscharfes Profil hatte. Eine verstärkte Wahrnehmung des Dolmetschberufs und eine damit einhergehende Professionalisierung und Institutionalisierung ergaben sich aus dem zunehmenden Dolmetschbedarf für öffentlich gut sichtbare internationale Organisationen und Großereignisse.

3.1 Association Internationale des Interprètes de Conférence (AIIC)

Durch die Einsetzung der AIIC (Internationaler Berufsverband der KonferenzdolmetscherInnen) 1953 in Paris wurde ein Meilenstein für die Institutionalisierung des Dolmetschberufs gesetzt (vgl. Diriker 2015: 79) und der Startschuss für die Gründung internationaler Dolmetschschulen erteilt (vgl. Baigorri-Jalón 2015: 19). Für Boéri zählt die AIIC zu den „key internal players“ (2015: 29), einflussreichen Institutionen, die mitbestimmen, wie der Dolmetschberuf erlernt, gelehrt und ausgeübt wird und welche Dolmetschtheorien gebildet werden. Im Jahr 1957 erschien der Ehrenkodex der AIIC, in dem es beispielsweise um die Wahrung des Berufsgeheimnisses ging, und wenig später folgten das erste DolmetscherInnen-Verzeichnis sowie Vorgaben im Bereich der Arbeitsbedingungen (vgl. Widlund-Fantini 2007: 99; Pöchhacker 2016: 168). Im Rahmen einer eigens definierten sogenannten „Schulpolitik“ wollte die AIIC anhand von Kriterien für Lehrstätten unter anderem durchsetzen, dass Programme zur Dolmetschausbildung durch praktizierende Professionelle auf postgradualem Niveau konzipiert und vermittelt werden (vgl. Boéri 2015: 33; Diriker 2015: 79). Diese Empfehlungen trugen dazu bei, dass die Dolmetschausbildung zusehends an Hochschulen erfolgte und akademisch ausgebildete KonferenzdolmetscherInnen hohes Ansehen erlangten (vgl. Pöchhacker 2016: 32). Die Qualitätsansprüche der AIIC, die bestrebt ist, unprofessionelles, das heißt nicht dem Ehrenkodex entsprechendes Verhalten auf dem Konferenzdolmetschmarkt aus ihren Reihen fernzuhalten, spiegeln sich auch heute noch im Beitrittsverfahren wider, denn die Mitgliedschaft beim Berufsverband erfolgt nicht automatisch, sondern kann nur nach Erlangung einer bestimmten Berufserfahrung und nach Beurteilung der „On-the-job-Leistung“ durch mehrere AIIC-Mitglieder beantragt werden, die als MentorInnen der JungdolmetscherInnen wirken (vgl. Pöchhacker 2016: 167) und gleichzeitig „Türsteher“ der berufsvertretenden Institution sind (Boéri 2015: 33).

Zu den Gründungsmitgliedern der AIIC1, die den weltweit einzigen Zusammenschluss von KonferenzdolmetscherInnen bildet, zählte Danica Seleskovitch, die als Konferenzdolmetscherin später Generalsekretärin der AIIC sowie Leiterin der École Supérieure d’Interprètes et de Traducteurs ESIT (Hochschule für ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen) werden sollte und lange Zeit als wichtige Repräsentantin der KonferenzdolmetscherInnen angesehen wurde (vgl. Diriker 2015: 79). Danica Seleskovitch bemühte sich bereits ab 1958 um eine Zusammenarbeit zwischen der AIIC und jenen Dolmetschschulen, welche die durch die „Schulpolitik“ der AIIC festgelegten Anerkennungskriterien erfüllten (vgl. Widlund-Fantini 2007: 101).

Nicht zuletzt in Personalangelegenheiten zeigt sich somit eine Verflechtung zwischen dem Berufsverband AIIC und der Lehrstätte ESIT. Die normgebende Funktion der AIIC lässt sich daran erkennen, dass sie etwa mit Vorgaben für Arbeitsbedingungen, Beitrittsregeln und einem berufsethischen Ehrenkodex eine regulierende Wirkung auf DolmetscherInnen sowie institutionelle Arbeitgeber ausübte. Die in der „Schulpolitik“ der AIIC festgelegten Empfehlungen können als normierend betrachtet werden, da sie Ausbildungsstätten mit Sicherheit dazu veranlassten, AIIC-DolmetscherInnen als Lehrende zu rekrutieren und unter anderem mit der Ausarbeitung von Curricula zu betrauen.

3.2 École Supérieure d’Interprètes et de Traducteurs (ESIT)

Die ESIT ging aus dem 1951 innerhalb der Universität Sorbonne gegründeten, ihr aber nicht zugehörigen Institut de Hautes Études d’Interprétariat (Institut für höhere Dolmetschstudien) hervor, das eher einer Sprachschule für junge Mädchen aus gutem Hause als einer Ausbildungsstätte für DolmetscherInnen glich. Die Hochschule erhielt 1957 ihren heutigen Namen und wurde in den 1960er Jahren der Universität Paris III Sorbonne Nouvelle angegliedert. Bereits 1956 kam Seleskovitch als Lehrende an die ESIT und blieb der Einrichtung bis ans Ende des 20. Jahrhunderts treu. Unter ihrer Initiative kooperierte die ESIT zum Beispiel mit den Instituten Genf und Heidelberg und leitete eine Zusammenarbeit mit dem französischen Außenministerium ein, um Studierende aus Afrika und in weiterer Folge anderer Kontinente auszubilden (vgl. Widlund-Fantini 2007: 168ff.). Ende der 1960er Jahre erweiterte die ESIT ihren Einflussbereich, indem sie ihre Türen für Studierende aus der ganzen Welt öffnete. Zu diesem Zweck wurde eine pädagogische Methode zur Ausbildung von DolmetscherInnen mit im ESIT-Programm fehlenden Muttersprachen eingeführt, die sogenannten cours des cas spéciaux (Kurse für Sonderfälle)1 (vgl. Déjean Le Féal 1990: 201f.).