Loe raamatut: «Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb», lehekülg 5

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1.2.5 Mehrsprachigkeit und Kommunikation historisch betrachtet

Die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven auf das Phänomen der Mehrsprachigkeit hilft dabei, ihre kommunikativen Aspekte besser zu verstehen, denn Mehrsprachigkeit entsteht eigentlich durch Sprachenkontakt. Wie Sie sich vorstellen können, wird eine Person zunächst mehrsprachig, weil sie einen bestehenden Kommunikationsbedarf erfüllen muss. Der Kommunikation liegen wiederum unterschiedliche Motive zugrunde. Sie dient zur Erfüllung bestimmter Funktionen und wird nur dann möglich, wenn die notwendige Kompetenz dafür vorhanden ist. Wie wir gesehen haben, sind die Aspekte, die zur Bestimmung von Mehrsprachigkeit herangezogen werden, die gleichen wie die, die zur Charakterisierung des Kommunikationsprozesses verwendet werden können:

1 Kompetenz (wenigstens ein Mindestmaß davon) als essenzielle Voraussetzung dafür, Kommunikation einzuleiten und durchzuführen;

2 Funktion, da Kommunikation immer zielgerichtet ist und

3 Verhalten, das den Kommunikationsakt letztendlich ausmacht.

Das führt mit sich, dass die Betrachtung von Mehrsprachigkeit auch die Erforschung von Kommunikation aus soziolinguistischer Perspektive umfasst.

Braunmuller und Ferraresi (2003: 2) liefern eine breitangelegte historische Darstellung mehrsprachiger Verhaltensmuster in Europa. Sie behaupten, dass Mehrsprachigkeit vor der Herausbildung der Nationalstaaten in Europa, die die Auffassung „ein Staat – eine Nation – eine Sprache“ zur Folge hatte, als Normalfall empfunden wurde und dass „die Verwendung von anderen Sprachen außer jener der Mehrzahl der Einwohner keinesfalls etwas Besonderes für die Mittel- und Oberschichten Europas in den Jahrhunderten vor 1800 war“.

Als ein Ergebnis von Sprachenkontakt war Mehrsprachigkeit immer schon eine notwendige Voraussetzung für Handel und andere Arten von Kontakten außerhalb der eigenen Gemeinschaften. Die Mitglieder der Mittel- und Oberschicht vor 1800 mussten zum Beispiel die kaiserliche Lingua Franca beherrschen, oder die Sprachen der jeweils anderen, um innerhalb großer Kaiserreiche arbeiten zu können. Vor der Entstehung von Nationalstaaten und der Entwicklung von Diskursen zur nationalen Identität wurde Sprache eher funktional als politisch-symbolisch betrachtet. Die Verwendung mehrerer Sprachen war daher in unterschiedlichen Bereichen der Normalfall. Im mittelalterlichen England wurde Latein beispielsweise als die Sprache der Kirche und der gesetzlichen Verwaltung verwendet, wobei letzteres auch vom Angelsächsischen abgedeckt wurde und anglonormannisches Französisch als Schrift- und Literatursprache verwendet wurde. Die deutsche Oberschicht verwendete andererseits vor Mitte des 18. Jahrhunderts Französisch als die Sprache der Kultur und der Bildung, und in der dänischen Marine wurde bis 1773 Deutsch gesprochen (vergleiche Braunmuller & Ferraresi 2003: 2).

Dennoch hat sich die Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit seit dem 19. Jahrhundert bis heute gewandelt, zumindest in der Auffassung von Sprechern und Sprecherinnen höhergestellter Sprachen. Wir neigen nicht dazu, insgesamt verallgemeinernd über den aktuellen Status der Mehrsprachigkeit im globalen Sinne zu sprechen. Wie David Crystal (1997: 362) anmerkt, ist „Mehrsprachigkeit […] die natürliche Lebensform für hunderte Millionen überall auf der Welt“. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass Gemeinschaften in kleineren und industriell weniger entwickelten Ländern üblicherweise zwei oder mehrere Sprachen sprechen und Einsprachigkeit in vielen weiterentwickelten, insbesondere westlichen Ländern zu finden ist, in denen die Mehrheitssprache eine der weltweit am weitesten verbreiteten Sprachen ist. Für die Angehörigen der letzteren Gruppe gilt, dass sie immer noch die Einsprachigkeit als Normalzustand wahrnimmt und Mehrsprachigkeit als Spezialfall betrachtet wird.

Die Einstellung gegenüber Mehrsprachigkeit ist heutzutage, dank vieler politischer Bemühungen, meist positiv. Wir sprechen heutzutage vermehrt davon, dass Mehrsprachigkeit als Potenzial und Bereicherung anzusehen ist. Vermutlich ist die Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit aber überall auf der Welt unterschiedlich. Wie wir in Lerneinheit 1.3 sehen werden, führen manche politischen Richtlinien auch dazu, Mehrsprachigkeit eher als Problem zu betrachten und manchmal werden Minderheitensprachen als Störfaktoren für die „Supersprachen“ gehalten. Die unterschiedlichen Meinungen gehen von der Auffassung aus, dass nur eine Sprache (insbesondere Englisch) die Sprache für offizielle Angelegenheiten sein sollte, bis hin zur Vorgabe für alle europäischen Bürger zwei Fremdsprachen zu lernen. Trotzdem scheint Mehrsprachigkeit im politischen und soziolinguistischen Diskurs eine größere Gewichtung zu bekommen, da sie, ob es uns gefällt oder nicht, mit fundamentalen Werten wie den Menschenrechten, linguistischer und kultureller Diversität und dem Spracherhalt verbunden ist.

1.2.6 Mehrsprachigkeit und Sprachwandel

In Sprachenkontaktsituationen wirken die in Kontakt befindlichen Sprachen selbstverständlich einen gegenseitigen Einfluss aus. Mehrsprachigkeit beeinflusst nicht nur das Sprachverhalten von Menschen als Individuen oder Gruppen beziehungsweise Bürger und Bürgerinnen, sondern auch die Sprachen selbst. Im Sprachenkontakt gehen von Mehrheits- und Minderheitensprachen unterschiedliche Impulse aus. Sprecher und Sprecherinnen von Minderheitensprachen werden den Einfluss auf ihre Sprache eventuell eher zulassen als es Sprecher und Sprecherinnen von offiziellen, standardisierten oder Nationalsprachen tun würden. Weinreichs Beobachtung des Sprachenkontakts im deutsch-, französischsprachigen Teil der Schweiz ist dahingehend interessant:

Die Erkenntnis, dass die eigene Muttersprache keine standardisierte Sprache ist, die in allen Situationen der formalisierten Kommunikation angewandt werden kann (staatliche Aktivitäten, Literatur, Radio, Schule, und so weiter) sorgt oftmals dafür, dass die Sprecher anderen Einflüssen gegenüber gleichgültig eingestellt sind. In der Schweiz ist die funktionale ‚Unterlegenheit‘ des Schwyzerdütsch (eine überwiegend gesprochene Sprache) im Vergleich zum Französischen – eine Sprache mit uneingeschränkten Funktionen – so tief im Bewusstsein vieler Sprecher verankert, dass der Ablauf, Wörter aus dem Französischen für das Schwyzerdütsch zu borgen, in Grenzgebieten als so natürlich wahrgenommen wird, wie die Unwirtlichkeit des Französischen, Lehnwörter aus dem Schwyzerdütsch zu übernehmen. (Weinreich 1953: 88)

Von der dialektalen Varietät können solche Entlehnungen dann auch in die Standardsprache übernommen werden. Das gilt im schweizerischen Standarddeutschen zum Beispiel für Wörter wie Velo (‚Fahrrad‘), Perron (‚Bahnsteig‘) oder pressieren (‚es eilig haben‘).

1.2.7 Globalisierte Mehrsprachigkeit

Es wird behauptet, dass die Globalisierung sowie die neuen Kommunikationstechnologien zur Mehrsprachigkeit beitragen. Globalisierung, die Kommunikation sprach- und kulturübergreifend erleichtert und bedingt, fördert den Sprachenkontakt, der wiederum darin resultiert, dass die Anzahl der Mehrsprachigen in vielen Teilen der Welt jene der Monolingualen übertrifft.

Die Internationalisierung ermutigt auch politische Ansätze zur Förderung von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit. Viele weitere Sprachen werden in unterschiedlichen Funktionsbereichen mit eingeschlossen, so zum Beispiel in der Bildung, in Angestelltenverhältnissen, in den Medien etc. Die Kenntnis von mehr als einer Sprache ist in vielen Unternehmen weltweit zu einer Einstellungsvoraussetzung geworden. In vielen Ländern setzt der Arbeitsmarkt voraus, dass die Bewerber und Bewerberinnen Kenntnisse in der Lokalsprache und in einer internationalen Sprache vorweisen können; Personalchefs und -chefinnen schätzen ebenfalls die Beherrschung der lokalen oder regionalen Verkehrssprache (so wie Russisch in den postsowjetischen Gebieten, Zentralasien, am Kaukasus etc.). Dies ermutigt die Menschen dazu, Sprachen zu lernen und es motiviert Universitäten und Schulen, ihre Sprachrichtlinien in Bezug auf Mehrsprachigkeit anzupassen.

Trotzdem sollten wir uns fragen, ob die Globalisierung und die neuen Kommunikationstechnologien sich wirklich nur positiv auf die Mehrsprachigkeit auswirken. Neue Medien erleichtern einerseits den Zugang zu Fremdsprachen, andererseits sehen wir, wie immer mehr Sprachen auf Kosten anderer verschwinden. Außerdem ermutigt der internationale Druck auf die Sprachpolitik in den letzten Jahren Entscheidungsträger und -trägerinnen dazu, sich mehr Gedanken über das Schicksal bedrohter Sprachen, über die Rechte von Minderheiten und den Erhalt der Sprachenvielfalt zu machen. Während sich viele neue Nationalstaaten herausbilden und Sprachen in den offiziellen Status erheben, wird Mehrsprachigkeit immer häufiger von einer Notwendigkeit zu einer Wahl.

1.2.8 Zusammenfassung

 Der Untersuchungsgegenstand Mehrsprachigkeit lässt sich in Hinblick auf Einzelpersonen (individuelle Mehrsprachigkeit), auf Personengruppen (gesellschaftliche Mehrsprachigkeit) oder den Grad der Institutionalisierung (institutionelle Mehrsprachigkeit) betrachten.

 Es werden vier Formen mehrsprachiger Gesellschaften unterschieden: mehrsprachige Staaten mit Territorialprinzip, mehrsprachige Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit, einsprachige Staaten mit Minderheitsregionen (Grenzminderheiten oder isolierte Minderheiten) und städtische Migranten.

 Diglossie (beziehungsweise Tri- oder Polyglossie) bezeichnet den Zustand, wenn die Sprachen nicht in allen Situationen verwendet werden, sondern eine Verteilung der Sprachen auf bestimmte Domänen stattfindet.

 Der Mehrsprachigkeitsbegriff erfährt eine Vielzahl an Definitionen. Neben engen und weiten Definitionen, die eine Abgrenzung auf Grundlage der Kompetenz in der Sprache treffen, werden auch funktionale Definitionen angeboten, die heutzutage bevorzugt herangezogen werden.

 Obwohl Mehrsprachigkeit in den meisten Gesellschaften den Normalfall darstellt, wird sie oft nicht als solcher angesehen.

 Mehrsprachigkeit vermittelt soziale Werte und hat eine ethische Dimension: Sie wirkt in den Bereichen Menschenrechte, kulturelle Vielfalt und Koexistenz.

1.2.9 Aufgaben zur Wissenskontrolle

1 Nennen Sie die vier Formen mehrsprachiger Gesellschaften und charakterisieren Sie die wesentlichen Eigenschaften.

2 Was versteht man unter Diglossie? Erklären Sie den Begriff und nennen Sie Beispiele.

3 Welche Rolle spielt die Haltung des Sprechers beziehungsweise der Sprecherin (oder der Sprachgemeinschaft) in Bezug auf Formen von Zweisprachigkeit?

4 In welchem Sinne können Globalisierungstendenzen die Ausbreitung und die Entwicklung von Mehrsprachigkeit nachteilig beeinflussen?

5 Mehrsprachigkeit wird nicht immer als vorteilhaft betrachtet. Einige fassen sie als eine Bürde oder eine Gefahr auf. Warum denken Sie, könnte das so sein? Nennen Sie verschiedene Aspekte, die Mehrsprachigkeit als Nachteil erscheinen lassen könnten und machen Sie sich darüber Gedanken, wie man dieser Einstellung entgegenwirken kann.

1.3 Sprachenpolitische Aspekte

Jala Garibova (übersetzt von Simone Lackerbauer) & Svenja Uth

Diese Lerneinheit bietet als Einführung einen breiten Überblick über den Umgang mit Mehrsprachigkeit aus sprachenpolitischer Perspektive. Es geht schwerpunktmäßig um gesellschaftliche und territoriale Mehrsprachigkeit und weniger um individuelle, wobei diese nicht gänzlich von ersterer getrennt werden kann, wie wir in dieser Lerneinheit beispielsweise beim Thema Sprachenrechte erfahren werden. Ausgangspunkt bildet die Überlegung, ob einsprachige Richtlinien überhaupt sinnvoll sind, wenn man bedenkt, dass es fast keine rein einsprachige Gesellschaft gibt. Ebenfalls soll aufgezeigt werden, wie Mehrsprachigkeit von verschiedenen Staaten interpretiert wird und welche Aspekte sprachenpolitische Richtlinien widergeben; wie Sprachenpolitik den Sprachen und ihren Sprechern gerecht wird; inwiefern Mehrsprachigkeit in der Sprachenpolitik zur Sprachwahrung beitragen kann und welche sozialen Herausforderungen Mehrsprachigkeit für die Gesellschaft mit sich bringt. Abschließend gehen wir auf die Bildungspolitik ein und befassen uns kritisch mit der vielerorts wahrgenommenen Gefährdung von Sprachen.

Lernziele

In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

 unterschiedliche Formen gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit und den ihnen zugrundliegenden Machtverhältnisse zwischen Sprachen erkennen und zwischen gelebter Mehrsprachigkeit und bildungspolitischen Richtlinien unterscheiden können;

 jene Faktoren, die zum erfolgreichen Umgang mit Mehrsprachigkeit geführt haben, erklären können;

 Kriterien zur Einstufung der Gefährdung einer Sprache ergründen und benennen können.

1.3.1 Richtungen in der Sprachenpolitik

Obwohl sich einige Staaten per Gesetz als einsprachig erklärt haben, ist klar, dass es praktisch unmöglich ist, irgendwo auf der Welt ein einsprachiges Gemeinwesen zu betreiben, innerhalb dessen nur eine einzige Sprache gesprochen wird und nur Vertreter einer Sprachgruppe leben. In seiner gesellschaftlichen Analyse erwähnt Spolsky (2004) einsprachige Staaten, in denen Minderheiten marginalisiert werden, und solche, in denen sie eine gewisse Anerkennung erfahren.

Einsprachige Sprachenpolitik mit Marginalisierung von Minderheiten

Zu den Ländern mit einer einsprachigen Sprachenpolitik gehören unter anderem die postkolonialen Länder, in denen Minderheiten marginalisiert werden und nun die ehemalige Kolonialsprache oder eine andere Sprache, wie zum Beispiel Englisch den wichtigsten Status innehat (vergleiche Einheit 1.2), was die Verwendung anderer Sprachen in fast allen Bereichen einschränkt. Dies betrifft unter anderem viele afrikanische Länder, in denen die einstige Kolonialsprache zur einzigen Amtssprache in allen formellen Kontexten geworden ist. Dies ist unter anderem in Mosambik, Namibia und Sambia der Fall (vergleiche Banda 2009: 1ff). Auch viele Industrieländer sind per Gesetz einsprachig, so Frankreich, Israel, die Türkei und Japan.

Am Beispiel Namibia lässt sich dieses Phänomen gut veranschaulichen. Namibia besitzt nach der Kolonialzeit bis zur Ausgliederung und Unabhängigkeit von Südafrika im Jahr 1990 drei Amtssprachen: Englisch, Deutsch (die ehemalige Kolonialsprache) und Afrikaans. Nach der Unabhängigkeit entscheidet sich die amtierende Partei dazu, dass der Staat einsprachig werden soll (im Gegensatz zu anderen afrikanischen Staaten, wie zum Beispiel dem heutigen Südafrika, wo zur selben Zeit elf Sprachen den offiziellen Status erhielten). Es wird entschieden, dass Englisch die einzige Amtssprache sein solle. Dies ist insofern erstaunlich, wenn berücksichtigt wird, dass zu diesem Zeitpunkt lediglich 2 % der Bevölkerung Englisch als Erstsprache sprechen (Geel 1991) und eine reiche Vielfalt an Sprachen im Großteil der Bevölkerung vertreten ist. Der Grund für dieses Vorgehen bestand vor allem darin, dass Sprache auch zu dieser Zeit bereits als wichtiges identitätsstiftendes Element begriffen wurde. Mit der Maßnahme, Englisch als einzige Amtssprache akzeptieren, sollte die Bildung einer Nation vorangetrieben werden. Dabei wurden die verschiedenen Erstsprachen ausgeblendet, in der Hoffnung die Bevölkerung gebe so die Identitäten auf, die damit verbunden waren. Ein Zitat seitens der Nationalversammlung über die damals geführte Debatte lautet:

So, the English language we are talking about is a language which is neutral enough to bring us together. It can facilitate communication between all of us and also internationally. (Debates of the National Assembly 1992: 47)

Einsprachige Sprachenpolitik mit Anerkennung von Minderheiten

Dem zweiten Typ einsprachiger Länder, die Spolsky als einsprachig mit anerkannten Minderheiten bezeichnet, gehören viele der postsowjetischen, mehrere südamerikanische, einige europäische und viele afrikanische Staaten an. In diesen Staaten erkennt die Verfassung entweder einen gewissen Status einer oder mehrerer Minderheitensprache(n) an oder sieht die Wahrung der Rechte anerkannter Minderheiten vor. Einige Länder führen mehr als eine Sprache in ihrer Verfassung auf, so dass sie offiziell zu den mehrsprachigen Gesellschaftsordnungen zählen (vergleiche den Abschnitt zu einsprachigen Staaten mit Minderheitsregionen und mehrsprachigen Staaten mit Territorialprinzip in Lerneinheit 1.2). Dazu gehören viele Länder wie Kanada, Singapur, Spanien, Kirgisistan und die Schweiz, um nur ein paar zu nennen.

Dies soll nun kurz am Beispiel Spaniens unter die Lupe genommen werden. In Spanien werden derzeit vier Amtssprachen aufgeführt: Kastilisch (auch als Spanisch bezeichnet), Katalanisch, Galizisch und Baskisch. Aber auch hier war die Mehrsprachigkeit nicht immer selbstverständlich, denn vor allem unter der Diktatur Francos gab es ein Streben nach Einsprachigkeit. Die zentralistische Sprachenpolitik verbot die Mehrsprachigkeit, indem im offiziellen Gebrauch nur Kastilisch erlaubt wurde, alle weiteren Sprachen sind verboten worden. Die Umsetzung dieses Gesetzes traf vor allem Institutionen wie Schule, Radio, Zeitung, Behörden etc. Doch die Bevölkerung hielt an ihren Sprachen fest und so wurden die Gesetze nach Franco wieder rückgängig gemacht, womit die sprachliche Vielfalt Spaniens offiziell anerkannt wurde. Heute ist ein Großteil der spanischen Bevölkerung mehrsprachig und es wird neben dem Kastilischen auch die jeweilige Regionalsprache als Amtssprache zugelassen (Siguán 2001: 233).

Sprachenpolitische Richtlinien

Für den sprachenpolitischen Umgang mit Mehrsprachigkeit existieren zwei Hauptrichtlinien. Die erste wäre linguistic human rights (LHR) und die Empfehlungen zu reversing language shifts (RLS)reversing language shifts (RLS).

Skutnabb-Kangas definiert linguistic human rights als die Kombination aus language rights ‚Sprachenrechte’ (LR) und human rights ‚Menschenrechte’ (HR).

LHRs sind all jene (und nur jene) LRs, die erstens dafür notwendig sind, dass die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen erfüllt werden und dass sie würdevoll leben können und die zweitens so grundlegend, so fundamental sind, dass kein Staat (oder Individuum oder Gruppe) sie verletzen sollte. (Skutnabb-Kangas 2006: 272)

Deshalb sind nicht alle Sprachenrechte auch Menschenrechte. Sprachenrechte sind umfassender und können über die grundlegenden Menschenrechte hinausgehen. Sobald ein Sprachenrecht in Verbindung mit der Befriedigung eines grundlegenden menschlichen Bedürfnisses steht, zählt es zu den linguistic human rights. Dazu zählen unter anderem, aber nicht nur, das Recht auf Bildung in der oder über die Erstsprache, der Zugriff auf Ressourcen in der Erstsprache, der Ausdruck der eigenen ethnischen Identität über Sprache, der Zugriff auf legale, soziale und soziokulturelle Dienstleitungen in der eigenen Sprache, der Schutz vor aufgezwungener Assimilation der Sprache etc. Linguistic human rights wurden insbesondere, seitdem Sprachenrechte als Teil der Menschenrechte in die entsprechenden Dokumente von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der Europäischen Gemeinschaft aufgenommen wurden, zum Dreh- und Angelpunkt politischer Richtlinien.

Der andere wichtige Faktor in den gegenwärtigen sprachenpolitischen Richtlinien dreht sich um die Gefährdung von Sprachen. Es gibt mehrere Indikatoren dafür, dass eine Sprache gefährdet ist. Dazu zählen die Anzahl und das Alter der L1-Sprecher, der prozentuale Anteil der jüngsten Generation, die diese Sprache beherrscht, die demografische Lage (ob die L1-Sprecher dicht zusammen oder in isolierten Gebieten leben), die Verwendung der Sprache innerhalb von Familien, die Lebensbereiche, in denen die Sprache Funktionen einnimmt, die Verwendung einer Zweitsprache in der Gemeinschaft, die offizielle Anerkennung der Sprache und so weiter. Deshalb hat sich die Sprachenpolitik in letzter Zeit verstärkt auf Prozesse konzentriert, die Sprachgefährdung abmindern oder ihr vorbeugen. Insbesondere geht es dabei um die Bestrebungen zur Wiederbelebung von Sprache. Sprachwechsel bezeichnet den Wechsel einer Sprachgemeinschaft von der Erstsprache zu einer anderen Sprache. Reversing language shifts-Bestrebungen zielen darauf ab, einer Sprachgemeinschaft, deren Sprache bedroht ist, dabei zu helfen, den Sprachwechsel aufzuhalten. Man zielt darauf ab, Sprachen vor dem endgültigen Verschwinden (SprachentodSprachentod) zu bewahren und hilft sogar dabei bereits ausgestorbene Sprachen wiederzubeleben. Reversing language shifts befasst sich mit allen Gefährdungsstufen und schlägt entsprechende Gegenmittel vor. Dazu zählt etwa die Unterstützung der Verwendung der Sprache innerhalb von Familien, die Erzeugung eines kulturellen Milieus für die Verwendung der Sprache innerhalb der Gemeinschaft, das Ergreifen von Maßnahmen zur Steigerung des Ansehens der Sprache (indem sie beispielsweise zu einem nationalen Kulturgut erklärt wird, wie im Fall der Maori-Sprache in Neuseeland), die Unterstützung der Verwendung dieser Sprache im Bildungssystem (mehrsprachige Bildungsmodelle) und so weiter (siehe Skutnabb-Kangas 2006).

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