Loe raamatut: «Sprachliche Höflichkeit», lehekülg 4

Font:

3. Beziehungsgestaltung in der Übersetzung

In seinem Roman Frau Jenny Treibel führt Fontane eine ganze Reihe von Kommnunikationssituationen vor, in denen die Aushandlung von Positionen und Beziehungen im Mittelpunkt steht. Es ist geradezu eine Konsequenz der Figuren-Konstellation, wenn hier Vertreter unterschiedlicher Milieus und Stände ihr Selbstbild und ihre Erwartungen bezüglich gesellschaftlicher Wertschätzung zur Schau stellen und versuchen, Abgrenzungen und Imageansprüche in der Auseinandersetzung mit Gegenspielern geltend zu machen und durchzusetzen. Gegensätze zwischen Adel und Emporkömmlingen, zwischen Besitz- und Bildungsbürgertum, zwischen Herrschafts- und Dienerfiguren bilden daher einen omnipräsenten Hintergrund für den häufig kontrovers und asymmetrisch gestalteten Dialog zwischen diesen Welten.

Ein anschauliches Beispiel bietet in Frau Jenny Treibel die Verlobungs-Kontroverse, an der mehrere Protagonisten mit ihrer speziellen Vorstellung von gesellschaftlich angemessenem Redeverhalten beteiligt sind: zuallererst die Kommerzienrätin Jenny Treibel, dann der Gymnasialprofessor Schmidt, seine selbstsichere Tochter Corinna und schließlich auch die Haushälterin Schmolke. Ein erster Beleg ergibt sich bereits aus dem Gebrauch der nominalen Anredeformen (und ihrer Übersetzungen, s. Abb. 3):


Abb. 3: Nominale Anrede und Sprecherbeziehung

Im Wissen um den Geltungsdrang der aus recht bescheidenen Verhältnissen stammenden Jenny Treibel werden im Hause Schmidt durchweg ehrerbietige und statusorientierte Anredeformen verwendet: Die Hausangestellte benutzt den Titel Frau Kommerzienrätin (XIII, 174), den Jenny dank der Position ihres Mannes für sich Anspruch nimmt, und Schmidt wie auch seine Tochter wählen die formelle und aufwertende Form meine gnädigste Frau (XIII, 175ff.), das vor allem, so lange es um eine ernste Auseinandersetzung geht. In vertrauterer Situation, z.B. bei der Begrüßung oder Verabschiedung, kann es auch liebe Freundin oder mein lieber Freund heißen. Die französischen Entsprechungen bestätigen zwar das Bemühen um Distanzwahrung, allerdings nur in einem abgemilderten Maße: Die Formel chère Madame ist weniger formell als meine gnädigste Frau, und die Bezeichnung Conseillère de commerce hat im Französischen überhaupt keine Bedeutung, wie ihm der preußische Ehrentitel Kommerzienrat in der Wilhelmischen Zeit zukommt. Dies ist indes kein Versäumnis des Übersetzers, sondern den unterschiedlichen politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet; der Leser kann die Art der Beziehungsgestaltung zwischen den betreffenden Protagonisten somit nur über den weiteren Austausch im Dialog erschließen.

Die Formulierung von Vorwürfen und der Ausdruck von Meinungsverschiedenheit bergen leicht die Gefahr von Verletzungen des positiven Gesichts. Auch hierzu liefert die sog. Verlobungs-Kontroverse reichlich Beispielmaterial.

1 (a) [Jenny Treibel:] „[…] und so muß ich denn, zu meinem lebhaften Bedauern, von etwas Abgekartetem oder einer gestellten Falle, ja, Verzeihung, lieber Freund, von einem wohlüberlegten Überfall sprechen.“(b) Dies starke Wort gab dem alten Schmidt nicht nur seine Seelenruhe, sondern auch seine gewöhnliche Heiterkeit wieder. Er sah, daß er sich in seiner alten Freundin nicht getäuscht hatte, daß sie, völlig unverändert, die, trotz Lyrik und Hochgefühle, ganz ausschließlich auf Äußerlichkeiten gestellte Jenny Bürstenbinder von ehedem war und daß seinerseits, unter selbstverständlicher Wahrung artigster Formen und anscheinend vollen Entgegenkommens, ein Ton superioren Übermutes angeschlagen […] werden müsse. […](c) [Schmidt:] „Ein Überfall, meine gädigste Frau. Sie haben vielleicht nicht ganz unrecht, es so zu nennen.(d) […] Erlauben Sie mir, gnädigste Frau, daß ich den derzeitigen Junker generis feminini herbeirufe, damit er seiner Schuld geständig werde.“ (Frau Jenny Treibel XIII, 175)

Jenny Treibel macht Prof. Schmidt ihre Aufwartung, um gegen die heimliche Verlobung seiner Tochter Corinna und ihres Sohnes Leopold zu protestieren (2a). Ihre Vorwürfe sind durchaus schwerwiegender Natur, ungeachtet der formelhaften Abschwächungsversuche (zu meinem lebhaften Bedauern; ja, Verzeihung, lieber Freund), sie lassen sich in Form einer dreischrittigen Klimax mit folgenden negativwertenden Bezeichnungen wiedergeben: etwas Abgekartetes → gestellte Falle → wohlüberlegter Überfall. Die genannten Ausdrücke stellen für den Adressaten, den alten Schmidt, ohne Zweifel einen massiven Angriff auf das positive Gesicht dar und würden normalerweise eine deutliche Zurückweisung als Gegenreaktion provozieren. Dieser Erwartung entspricht der Text jedoch nicht, im Gegenteil: Der so Angegriffene reagiert gelassen und, in Rückbesinnung auf die Herkunft Jennys, aus einer Position der Überlegenheit heraus und in einem „Ton superioren Übermuts“ (2b). Dieser Haltung folgend, kommt Schmidt seiner Kontrahentin zunächst entgegen und zeigt, zumindest nach außen hin, sogar Verständnis bezüglich der Vorwürfe (2c). Für den Leser ist aufgrund des Erzählerkommentars jedoch klar: Der Sprecher versucht, auf humorvolle und unernste Weise zu antworten und so zur Entspannung der Situation beizutragen. Dies gilt auch für den abschließenden Vorschlag (2d).


Abb. 4: Vorwurf, Beschwichtigung, Gesichtsbedrohung

Mit Periphrasen wie seiner Schuld geständig werden und Junker generis feminini signalisiert Schmidt, nicht in erster Linie und nicht allein auf eine Klärung in der Sache aus zu sein. Für ihn kommt es vor allem darauf an, sich als überlegen, gebildet und über den Dingen stehend zu zeigen; in diesem Sinne ist auch seine gekünstelte Ausdrucksweise mit dem Rückgriff auf das Lateinische zu verstehen: Jenny Treibel soll gleichsam bereits sprachlich in die Schranken gewiesen werden. Der Professor Schmidt führt (neben den genannten Momenten der Selbstdarstellung und Beziehungsgestaltung) außerdem eine spöttisch-distanzierte Kommunikationsmodalität ein, die die gesamte Auseinandersetzung entkrampfen und den Beteiligten ein Abrücken von ihren kontroversen Standpunkten ohne größeren Gesichtsverlust erleichtern soll. Dieses Bemühen kommt in den Formulierungen der französischen Version nur sehr eingeschränkt zur Geltung (Abb. 4): Da die periphrastischen Wendungen aus (2d) in dieser Form nicht wiedergebbar sind – confesser sa faute ist ein unmarkierter standardsprachlicher Ausdruck, und chevalier moderne du sexe féminin dürfte eher als umständliche Konstruktion gelten, weniger als originelle oder gebildet klingende Bezeichnung – kommen auch Zusatzhandlungen, wie sie der ausgangssprachlichen Äußerung zuschreibbar sind, nicht weiter in Betracht.

Ein häufig thematisiertes Motiv bei Fontane ist die Frage des gesellschaftlichen Aufstiegs. So gilt zum Beispiel Jenny Treibel als typische Vertreterin der Parvenüs und Emporkömmlinge: Ihre Position verdankt sie ausschließlich dem wirtschaftlichen Erfolg ihres Mannes, leitende Ziele für sie sind: materielle Vorteile und die damit verknüpfte soziale Anerkennung. Die Verlobung ihres Sohnes versucht sie nur deshalb zu hintertreiben, weil keine nennenswerte Mitgift zu erwarten ist. Aus Leserperspektive überrascht insofern nicht, wenn ein solches Verhalten verstärkt zum Ausgangspunkt für Kritik und Spott wird. Hieran ändern auch gesichtsschonende, höflichkeitsorientierte Maßnahmen Schmidts wenig, zumal das Geschehen auf der Figuren-Ebene für den Text-Rezipienten mehr als durchsichtig erscheint. Wie schon in (2) wird dies ebenfalls im folgenden Auszug (3) überdeutlich:

1 (a) [Jenny Treibel:] „[…] Impietät ist der Charakter unsrer Zeit.“(b) Schmidt, ein Schelm, gefiel sich darin, bei dem Wort „Impietät“ ein betrübtes Gesicht aufzusetzen. „Ach, liebe Freundin“, sagte er, „Sie mögen wohl recht haben, aber nun ist zu spät. Ich bedaure, daß es unserm Hause vorbehalten war, Ihnen einen Kummer wie diesen, um nicht zu sagen eine Kränkung anzutun. Freilich, wie Sie schon sehr richtig bemerkt haben, die Zeit… alles will über sich hinaus und strebt höheren Staffeln zu, die die Vorsehung sichtbarlich nicht wollte.“(c) Jenny nickte. „Gott beßre es.“(d) „Lassen Sie uns das hoffen.“(e) Und damit trennten sie sich. (Frau Jenny Treibel XIII, 180)

Während sich Jenny Treibel wegen des selbstsicheren Auftritts von Corinna, der Tochter Schmidts, beklagt und dies u.a. mit dem gemeinplatzartigen Impietät ist der Charakter unsrer Zeit zum Ausdruck bringt (3a), geht Schmidt in seiner Replik (3b) scheinbar auf die Vorwürfe ein, zeigt vordergründig Verständnis für die Einwände, bekundet sein Bedauern und spricht sogar von Kummer und Kränkung. Gewissermaßen im Schutz eines solchen Reparaturversuchs folgt sodann mit „alles will über sich hinaus und strebt höheren Staffeln zu“ eine Formulierung, die man als zweifachadressiert betrachten kann: Aus der Sicht Jennys handelt es sich um eine Verallgemeinerung, die die Entschuldigungs-Sequenz fortführt und mit einer Erklärung abschließt – zumindest die Quittierung in (3c) bestätigt ein solches Verständnis. Andererseits, und für den Leser dürfte das aufgrund verschiedener Erzählerkommentare naheliegend sein, ist die Äußerung als massive Kritik Jennys interpretierbar, und zwar wegen ihres geradezu obsessiven Aufstiegsstrebens. Die vermeintliche Rücknahme einer gesichtsbedrohenden Handlungsweise entpuppt sich damit als eine gezielte und ungeschminkte Imageverletzung, wobei jedoch die betroffene Person weit davon entfernt ist, die ihr zugedachte Demontage als solche überhaupt wahrzunehmen. Für den Rezipienten mag sich aus einer derart vorgeführten Unhöflichkeit, verbunden mit der Diskrepanz im Äußerungsverstehen, eine zusätzliche Quelle für Lesevergnügen und Selbstbestätigung ergeben1 – das umso mehr, als vergleichbare Situationen vom Romanautor ja keineswegs zufällig angebahnt werden.

Betrachtet man nun, wie bestimmte Formulierungen ins Französische übersetzt werden, ergibt sich wiederum der Eindruck einer gewissen Bedeutungsreduktion (Abb. 5).


Abb. 5: Aufstiegsmetaphorik und Bedeutungsreduktion

Jenny Treibel orientiert sich an einer vertikalen Schichtung der Gesellschaft; ihr großes Ziel ist es, möglichst schnell die nächsthöhere Stufe zu erreichen. Insofern erscheint die Wortwahl, wenn es um die Charakterisierung ihres Verhaltens geht, überaus konsequent:


höher hinaufrücken (XII, 156f.) ne pas aller plus loin (518)
höher hinaufschrauben (XII, 163) viser un peu plus haut (522)
über sich hinaus wollen (XII, 180) vouloir sortir de sa classe (535)
höheren Staffeln zustreben (XII, 180) aspirer à un état plus élevé (535)

Den teilweise phraseologischen Ausdrücken des Ausgangstextes kommt durchweg das Merkmal ‛nach oben gerichtet’ zu; die französischen Entsprechungen geben das nur zum Teil wieder, ein Phänomen, das auch in (3b) die Bedeutungsreduktion (und damit die geringere Markiertheit der Imageverletzung) ausmacht.

Zu den problematischen Fällen gehören für den Übersetzer ebenfalls fremdsprachige Elemente, z.B. einzelne Ausdrücke, Redewendungen, geflügelte Worte, Zitate. Wie soll der jeweilige Codeswitching-Effekt übertragen werden? Hierzu sei abschließend noch folgender Beleg aus Irrungen, Wirrungen angeführt:

1 (a) [Serge:] „[…] Aber Scherz beiseite, Freund, eines ist Ernst in der Sache: Rienäcker ärgert mich. Was hat er gegen die reizende kleine Frau. Weißt du’s?“(b) [Pitt:] „Ja.“(c) [Serge:] „Nun?“(d) [Pitt:] „She is rather a little silly. Oder wenn du’s deutsch hören willst: sie dalbert ein bißchen. Jedenfalls ihm zuviel.“ (Irrungen, Wirrungen XVIII, 131f.)

In dem zitierten Auschnitt geht es um eine Einschätzung der neuen Lebensgefährtin Botho von Rienäckers: Während Serge eine positive Meinung vertritt, äußert Pitt ein eher skeptisches Urteil, wie es in der despektierlichen Äußerung (4d) zum Ausdruck kommt. Mit dieser eindeutig negativen Bewertung setzt letzterer auch sein eigenes Image aufs Spiel, trotz der zunächst abmildernden englischen Formulierung. Indem er jedoch anschließend seine Einschätzung bekräftigt („wenn du’s deutsch hören willst…“), wird schließlich jeder Zweifel beseitigt, eine Eindeutigkeit, die in dieser Form in der Übersetzung nicht besteht (s. Abb. 6):


Abb. 6: Selbstdarstellung und Imagegefährdung

Es erstaunt, die Formulierung „wenn du’s deutsch hören willst“ (im Sinne von: ‛um es ganz deutlich zu sagen’) wörtlich übertragen und mit der französischen Aussage „elle bêtifie un peu“ kombiniert zu finden; hier dürfte eine Fehlinterpretation des Übersetzers vorliegen, was dann auch das Imagegefährdende der betreffenden Äußerung fraglich macht. Dagegen ist die Wiedergabe des Regionalismus dalbern (‛sich albern, kindisch verhalten’) nur begrenzt möglich, bêtifier entspricht allerdings dem semantischen Kern.

4. Fazit

Die besprochenen Beispiele beleuchten schlaglichtartig die semantisch-pragmatische Komplexität vieler Dialoge in den Fontane-Romanen. Dies dürfte einerseits mit dem Bemühen Fontanes zusammenhängen, die gesprochene Sprache möglichst wirklichkeitsgetreu nachzuempfinden. Andererseits sorgt das Bestreben, ebenso die soziale Milieu-Zugehörigkeit, bestimmte regionale Unterschiede, verschiedene Bildungsniveaus und überhaupt die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts einzubeziehen, für eine starke Ausdifferenzierung des Sprachverhaltens der beteiligten Protagonisten.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Ausprägung verbaler Höflichkeit zu sehen. Die obigen Ausführungen sind keineswegs ein Beleg für die These, Höflichkeit sei prinzipiell unübersetzbar. Sie zeigen aber gleichwohl, wie sinnvoll es möglicherweise ist, Höflichkeitsaspekte relativ zu speziellen Handlungsbereichen zu untersuchen und sie von vornherein mehreren Textbildungsebenen zuzuordnen. Als zielführend erweist sich in dem Zusammenhang, grundsätzlich zwischen Haupt- und Zusatzhandlungen zu unterscheiden: Die Signalisierung von Höflichkeit geschieht häufig in Form einer Modifikation übergeordneter Handlungen wie MITTEILEN, AUFFORDERN oder BEWERTEN und kann die Ebenen der Selbstdarstellung, Beziehungsgestaltung, Kommunikationsmodalität und der Text- oder Ablauforganisation betreffen. Und genau hier dürfte das zentrale Problem für die Übersetzung von als höflich wahrgenommenen Äußerungen liegen. Es ist vielfach schwierig oder gar unmöglich, in der Zielsprache Äquivalente zu finden, die nicht nur die gegebene Haupthandlung übertragen, sondern auch den jeweils mitgemeinten Zusatzhandlungen entsprechen. Dies zu veranschaulichen, sollte das Ziel des vorliegenden Beitrags sein.

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Aktuelle Tendenzen
Der face-Begriff im Schnittpunkt zwischen politeness und facework. Paradigmatische Überlegungen

Gudrun Held

This paper revisits the concept of face as it is constituted in the politeness-theories following Brown’s & Levinson’s seminal work. Considered as being in a causal interrelation with politeness, face gets the key-notion of modern socio-pragmatics throughout its different paradigmatic stages. The assumption of the famous dichotomic wants (positive vs. negative face) enables linguistic research to turn a supposed inside of values into an outside of verbal strategies directed to rapport management and conflict avoidance. This leads to the one-sided equation between face and politeness which, in recent literature, is getting however more and more contested by opening up the view from the culturally driven concept of politeness to the more generally definable concept of facework. Referring to the recent development of this discussion the paper argues that face and politeness are matters of their own right based on fundamental differences in the a) terminological practice, b) social-semantic content, c) ontological status, and d) theoretical conceptualisation.

Mit der Pionier-Arbeit von Penelope Brown und Stephen Levinson 1978/87 hat das politeness-Paradigma in der linguistischen Pragmatik unaufhaltsam Einzug gehalten, gibt es doch eine plausible theoretische Basis ab zur Erklärung der Mechanismen sozialer Interaktion. Da diese vor allem in der Sprache empirisch greifbar sind, wird das Paradigma in den verschiedensten Sprach- und Kulturgemeinschaften quer über den Globus auf die verschiedensten Kommunikationssituationen angewandt und macht somit ‚Höflichkeit‘ zu jenem scheinbar vergleichbaren Referenzbereich, der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Strategien, Prinzipien und (Un)Regelmäßigkeiten sozialen Handelns aufdeckt und zu erklären sucht. Im Lichte universaler, aber traditionsgeprägter Sozial-Ethik gerät das kooperative Verhalten ins Zentrum der Aufmerksamkeit und wird anfänglich an zahlreiche sprachliche Verfahren gebunden, die auf eine weitgehend harmonische Beziehungsgestaltung ausgerichtet sind und kommunikative Konflikte entsprechend zu vermeiden suchen. Ja, wie Kerbrat-Orecchioni (1992, 160) zusammenfassend sagt, solcherart „Beziehungszeichen“ „font système“ – sie machen plötzlich – oft im Zusammenhang mit paraverbalen Phänomenen – sozialen Sinn. Dieser kann allerdings nur im größeren kulturellen Rahmen, im darin verankerten situativen setting und da vor allem in Bezug auf die jeweilige kommunikative Beziehung bemerkt, erfasst und interpretiert werden. So erkennt die linguistische Forschung schnell, dass nicht die sprachlichen Formen per se ‚höflich‘ sind, sondern die sozialisierten Subjekte, indem sie ihre kommunikativen Handlungen gemäß den in ihrer Kultur üblichen Normen und Konventionen möglichst beziehungs-bewusst ausführen: dabei gilt die wechselseitige Wahrung des face als jene Richtlinie, die solche und viele andere sprachliche Formen als strategische Mittel zur situationsadäquaten Modalisierung ihrer Handlungen rechtfertigen. Die Gründe für die Art und Weise, wie Handlungen jeweils verbalisiert werden, sind somit sozial-anthropologischer Natur; die jeweilige Regelung sowie die Wahrnehmung ihrer Wertigkeit bedürfen aber eines Bewertungsmaßstabs, der kulturimmanent festgelegt und als solcher unbewusst verankert ist.

Das ‚fuzzy concept‘ der politeness1 bietet sich als Meta-Konzeption scheinbar sprach-übergeordnet an, diesem Spagat gerecht zu werden: es steht für gewisse ethisch unterlegte Grundtendenzen mit Universalitätsanspruch, lässt jedoch (sozio-)semantisch kulturspezifische Ausprägungen und Ausdeutungen sowie entsprechende Übersetzungen zu. Die (sozio)-pragmatische Polymorphie dieses alltagsweltlich so geläufig scheinenden Konzepts lässt das Paradigma allerdings schnell in ein vielschichtiges Fangnetz theoretischer und methodologischer Probleme geraten: Analytisch dem sich ständig wandelnden Spannungsverhältnis zwischen Formen und Funktionen ausgesetzt, bedarf es sowohl der Objektivierung der intersubjektiven Vielfalt sowie der Neutralisierung der ethischen Wertmaßstäbe, als auch der Anerkennung von deren situativer Variation und der Beachtung sozio-kultureller Einflüsse; kurz, es braucht ein Modell, das emisch und etisch gleichermaßen Relevanz hat und sich demnach als für alle Kulturen operabel erweist.

Diesem Dilemma versucht die Forschungsdiskussion in den frühen 90er Jahren durch terminologische Ausdifferenzierung beizukommen: es wird vorgeschlagen zwischen politeness 1, dem kultur-immanenten Alltagsverständnis von Höflichkeit, und politeness 2, der modell-theoretischen Abstraktion zur wissenschaftlichen Erklärung von sozialer Interaktion i.a., zu unterscheiden (Eelen 2001, Watts 2003, Haugh 2012a). Damit sollte das, was Laien landläufig unter Höflichkeit verstehen, grundsätzlich theoretisch erklärbar werden, d.h. es wird ein Inklusionsverhältnis postuliert, nach dem politeness 2 immer politeness 1n enthalten müsse. Wie groß auch immer der Erkenntnisgewinn aus dieser epistemologischen Unterscheidung in der weltweit ungebrochenen Anwendung des politeness-Paradigmas ist, sie hält eine Diskussion in Gang, die vor allem um die Problematik zwischen Universalität und Kulturspezifik kreist. Der Ruf nach Kritik und Revision verebbt auch nicht durch die verschiedenen paradigmatischen Wendepunkte hindurch, indem sich der kritische Blick der Forscher schärft und zwar von einer anfangs normativ orientierten Höflichkeits-Konzeption über die auf die Reaktion der Rezipienten angewiesene diskursive Interpretation bis hin zur interaktionalen Aushandlung, wo die Bedeutungen immer Prozesse gemeinsamer Konstruktionen sind (zu den paradigmatischen Phasen cf. Sifianou 2010, Watts 2010; Locher 2012, 2013).

Meines Erachtens geht es daher im Forschungsdiskurs mittlerweile längst nicht mehr um das, was politeness generell ist und wie sie sprachlich in den einzelnen Kulturgemeinschaften festgemacht werden kann – dies zeigt nicht zuletzt der deutliche turn des Paradigmas hin zum Gegenteil, der impoliteness, die formal und funktional viel klarer fassbar zu sein scheint (Bousfield 2008, Culpeper 2011). Vielmehr stehen andere Grundkonzepte des Modells im Kreuzfeuer, und da besonders der von Goffman übernommene Begriff des face. Das im Paradigma so zentrale face erweckt in letzter Zeit das Interesse kritischer Stimmen (cf. Bargiela/Haugh 2009) und zwar nicht nur als analytisch brauchbare Abstraktion einer Wert-Idee, sondern auch in Verantwortung für zahlreiche davon abgeleitete Konzeptionen, von denen ich facework als essentiell erachte, weil es die Idee des face nach außen zu kehren sucht und an empirisch sichtbaren Handlungen festzumachen scheint.

Diesem Spannungsverhältnis zwischen Innen- und Außenseite, das Goffman mit face und face-work bereits deutlich angedacht hat, möchte ich im Folgenden meine Aufmerksamkeit widmen. In Anknüpfung an die dazu jüngst aufgekommene Diskussion (O’Driscoll 1996, 2007, 2011; Bargiela-Chiappini 2003, Haugh 2009, Sifianou 2011, 2016) versuche ich die Rolle in den Blick zu nehmen, welche der Begriff des face im politeness-Paradigma übernommen hat. Wiewohl politeness nur eine Seite von facework realisiert und damit ein viel engeres Funktions-Konzept darstellt, hat sie das einschlägigere facework scheinbar völlig aus dem ‚Gesichtsfeld‘ verdrängt. Mich interessiert daher das Verhältnis von face und politeness unter epistemologischen und ontologischen Vorzeichen, und ich möchte dazu einige Überlegungen aus semantischer und pragmatischer Sicht anstellen, die ich in früheren Publikationen angestoßen habe (Held 2014, 2016a,b) und die generell auf der grundlegenden Erkenntnis der unabdingbaren Bindung von Sprache an (rational handelnde) Subjekte fußen.

Denn face ist in seiner primären Bedeutung die Kristallisation des Subjekts schlechthin – aufgrund seiner Natur steht der Begriff nicht nur metonymisch für die individuelle Person als Vertreter seiner Kultur und Lebenswelt, sondern wird auch metaphorisch zum Wende- oder Schnittpunkt zwischen deren Innen- und Außenseite, also zwischen Fühlen und Denken zum einen, und Anzeigen und Mitteilen zum anderen.

Diese These lässt sich mit einer klassischen lexikographischen Analyse des Terminus face aus dem lat. FACIES in Kookkurrenz mit dem durchsichtigeren lat. VISUM stützen. Eine nähere Untersuchung des lateinisch-romanischen Repertoires für das Wortfeld ‚Gesicht‘ und seinen deutschen Übersetzungen sowie deren idiomatische Kollokationen hat gezeigt (cf. Held 2016b), dass der lateinische Bezeichnungsbefund zwischen FACIES – VISUM – VULTUS eine klare Differenzierung zwischen dem biologisch-natürlichen, dem sozio-kulturellen (weil gezeigten/erblickten) und dem bewegten, gemachten ‚Gesicht‘ aufweist. Ganz konträr zur Wurzel des engl. face aus FACIES ist das lateinische Perfekt-Partizip VISUM – und in der Folge die Lehnübersetzung ins Deutsche als ‚das Gesichtete‘ – per se ein bildhafter Ausdruck. Indem es die Dialektik von Sehen und Gesehen-Werden wörtlich wider-spiegelt, hat es meines Erachtens genügend metaphorische Kraft, das Soziale als die zentrale Schnittstelle zwischen den Menschen zu erklären. Als der anatomische Sitz der Sinne bzw. des Gehirns hat das Gesicht die intrinsische Fähigkeit anzuschauen; es wird als solches aber immer auch von anderen Gesichtern angeschaut und ist demnach – aufgrund der Mode der meisten Kulturen – das von den Mitmenschen ungehindert und direkt ‚Gesichtete‘.

Ebenso zeigt die Untersuchung der Kollokate des Begriffs an, dass die um face gebildete Idiomatik ursprünglich auf bestimmte ‚Gesichtspraktiken‘ verweist. Diese werden wiederum metaphorisch umgedeutet auf soziale Handlungen, die je nach Selbst- oder Alter-Bezogenheit in Status, Aktionsart und Zweckhaftigkeit sowie kulturspezifischer Auslegung stark differieren. Den Befunden nach lässt sich ontologisch unterscheiden zwischen ‚Gesicht haben‘ vs. ‚Gesicht verlieren‘ und ‚Gesicht machen‘ zum einen, und (jemandem) ‚Gesicht geben‘ (in Form von bedrohen, zerstören, bestätigen, etc.) zum anderen2.

Der englische Begriff face als ‚Gesicht‘ ist somit schon aus kultursemantischer Sicht eine komplexe Einheit aus biographischem Besitz (physiologischer Beschaffenheit), kollektivem Zeichen(system) (ästhetischer Qualität) und kommunikativem Kanal. Zum einen macht das Gesicht als das einzigartige Gut einer Person das Individuum aus; zum anderen ist es auch ein soziales Gut, d.h. es ist immer locus- und beziehungs-determiniert, je nachdem ob und wie es von den Anderen wahrgenommen und bewertet wird. Daher erfüllt es alle semantischen und ‚grammatischen‘ Bedingungen, um vom biologischen zum soziologischen Konzept zu avancieren und sich dort als ein plausibles Instrument zur Erfassung sozialen Handelns i.a. zu etablieren.

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