Loe raamatut: «Sauerland Live»

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SAUERLAND

Über dieses Buch

Ja, was passiert denn da in diesem Buch? – Alles! Das können Sie glauben. Die Familie Knippschild lebt irgendwo im Land der berühmten tausend Berge. Mittendrin. Sauerland live eben. Das ist schon eine Herausforderung und ganz was Besonderes, so mitten unter Sauerländern.

Aber im Grunde ... ist es wie bei Ihnen.

Sagen Sie jetzt nicht, Sie hätten noch nie gedacht, ich seh aus wie ’ne Omma, nachdem Sie vom Friseur gekommen sind, ich kann so nie wieder unter Menschen gehen. Manchmal? Na? Sehen Sie, es stimmt. Und sagen Sie nicht, Sie hätten bei dem ewigen Ärger mit diesem blöden Weh-Lahn und den verdammten Passwörtern noch nie gedacht, dass Sie digital doch nicht so ganz auf der Höhe sind, wie Sie immer dachten.

Und haben Sie etwa noch nie befürchtet, Sie seien einfach zu blöd für den Sonntags-Tatort, weil Sie mal wieder nichts verstanden haben, oder graut es Ihnen schon jetzt vor Heinz’ und Mimis Goldener Hochzeit im August, auf die Sie wenig Lust haben, weil es wieder eine von diesen berüchtigten Familienfeiern werden könnte?

Genau. So isses. Und das steht alles in dem Buch von Reiner Hänsch drin.

Sie werden sich beömmeln, denn irgendwie kommen Sie selbst drin vor – in diesem Buch, in dem alles so schrecklich normal und doch so völlig bekloppt ist. Aber so ist das Leben!

Und oft merkt man es eben erst, wenn man es in Sätzen aufgeschrieben sieht.

Manchmal, da passier’n dir Sachen

kannz‘ ers‘ später drübber lachen

Junge, Junge, allerhand!

Gibt‘s dat nur im Sauerland?

Hallo! Schön, dass Sie da sind.

Wir sind im Sauerland – live und mittendrin. Naja, also eigentlich mehr so hinten, da, wo man immer denkt, dass da nicht viel los sein kann. Aber da täuscht man sich. Hier ist immer was los.

Wir, das ist die Familie Knippschild. Meine liebe Frau Steffi, unser Sohn Max, vierzehn, und ich: Alex Knippschild, … aber für Sie gerne nur der Alex. Vielleicht kennen wir uns ja auch schon.

Wir wohnen seit einigen Jahren in dem kleinen Dorf Leckede zwischen Misthaufen, Kirchtürmen und Güllegruben, wo es wirklich sehr schön, sehr beschaulich, sehr grün, meistens am Schiffen is‘, wie der Sauerländer sagt, wenn er regnen meint - und natürlich sehr bergig.

Land der tausend Berge. Sie haben sicher schon mal davon ge­hört, oder wohnen vielleicht sogar selber hier. Es ist nicht exotisch, nein, denn, wo die Misthaufen qualmen, da gibt’s keine Palmen, wie der Dichter ja so schön sagt, aber das muss es auch nicht sein.

Und ich, Alex Knippschild, kenne das Sauerland ja auch schon sehr lange, weil ich hier geboren bin. Meine Steffi übrigens auch, aber ganz woanders. Das Sauerland ist ja nicht gerade klein und da kannten wir uns einfach noch nicht. Irgendwann sind wir dann beide mal unabhängig voneinander vor den Misthaufen in die große Stadt geflohen …, um dann aber gemeinsam und zu dritt wieder zurückzukommen.

Ich bin jetzt Chefredakteur (was sich wichtiger anhört, als es ist) einer kleinen wöchentlich erscheinenden Zeitung in unserer Gegend, dem Sauerlandbeobachter.

Und wer das Sauerland sorgfältig beobachtet, der wird sich immer wieder wundern, schmunzeln oder auch mal den Kopf schütteln müssen über diese Sauerländer.

Mehr als ‘n Sauerländer kann der Mensch nich‘ werd‘n, sagen manche hier. Naja, ist ja nicht ganz ernst gemeint.

Sie werden vor allem mich und meine kleine Familie ziemlich gut kennenlernen. Unser Leben, unsere Problemchen, unseren Spaß, unsere ständigen Katastrophen, unsere Abenteuer – mitten unter Sauerländern. Unter uns Sauerländern.

Aber Sie werden vor allem sehr viel Bekanntes und sehr viel Menschliches finden. Denn auch im Sauerland ist das Leben meis­­tens schrecklich nor­mal und doch so völlig bekloppt.

So wie bei Ihnen.

Und Sie werden sich immer wieder fragen: Wat machen se denn getz wieder, de Knippschilds?

Also auf ins erste Abenteuer. Sauerland live!

Viel Spaß dabei!

Ihr Alex Knippschild

Das erste Abenteuer
Frau Pütter braucht Weh-Lahn

„Ich krich de Pimpernellen!“, sagt die Frau, „ich krich de Pimpernellen!“ Dabei schüttelt sie den Kopf, dass die bläulichen Dauerwellen fast herausgeschleudert werden.

De Pimpernellen!

Natürlich weiß man nicht, was de Pimpernellen wirklich sind. Eine Krankheit, Viren, Bakterien? Man weiß nur, dass es ernst um die arme Frau steht und dass sie Gefahr läuft, auf der Stelle verrückt zu werden.

Max und ich sehen uns mit großen, erstaunten und neugierigen Augen an. Ich hab ihn gerade gerade von der Schule abgeholt, und weil ich bei Handyfone, dem Handyladen meines Vertrauens noch ein paar kleine wichtige Informationen, was die Welt der modernen Kommunikation betrifft, haben wollte, habe ich ihn einfach mitgenommen.

„Dauert nicht lange, Max.“

„Na, gut.“

Er geht sonst eigentlich recht gerne in den Handyladen – aber nicht mit mir.

Die ältere Dame, die ja laut ihren eigenen Aussagen droht, diese berüchtigten Pimpernellen zu kriegen und in eine ernsthafte psychische Störung hineinzugeraten, wird von einer sehr jun­gen, recht hübschen Frau mit einem fast nicht sichtbaren Piercing in der Unterlippe be­treut, das eigentlich aussieht, als hätte sie noch etwas Frühstück im Gesicht. Reste eines Mohnbrötchens vielleicht. Sie kümmert sich geradezu rührend um die ältere Frau, lächelt sanft, fasst die Frau sehr fürsorglich am Arm und führt sie zu einem Tisch in der hinteren Ecke des La­dens, wo es etwas ruhiger ist und wo sie nicht mehr so im Zentrums der allgemeinen Aufmerksamkeit steht. Denn es handelt sich ja eher um einen sehr priva­ten Moment, wenn man de Pimpernellen kriegt. Und wer will da schon größere Aufmerksamkeit erregen?

Trotzdem sind Max und ich natürlich immer interessiert an derlei menschlichen Abgründen und schleichen uns, mit schlecht gespielter Aufmerksamkeit die Angebote der aktuellen Smartphonewelt betrachtend, an den Regalen des recht gut besuchten Ladens vorbei in Richtung hintere Ecke.

Da haben wir einen sehr guten Platz, können gut sehen und hören, und bekommen so sicher alles mit, was mit dem geistigen Verfall dieser Frau zu tun hat. Vielleicht kann man ja auch helfen, wenn es der Frau wirklich so schlecht geht. „Wie kann ich Ihnen denn helfen?“, fragt die junge Handysachverständige und schaut der armen Frau tief und vertrauensvoll in die leeren Augen. Die freundliche Kundenberaterin hat sowas in ihrer Stimme, wie dieser Mann, der nachts im Radio immer die Hilferufe völlig verzweifelter Menschen annimmt und auf sie einredet, damit sie sich nicht das Leben nehmen - oder eben anderen.

Die ältere Dame, ich schätze sie so auf etwa fünfundsiebzig, Ende Siebzig, hat sich scheinbar etwas beruhigt, bringt auch schon wieder so etwas wie ein Lächeln zustande und sagt dann: „Dat mit dem Lahn geht nich‘ mehr. Ich krich noch …“

„Ja, ja.“

Dann jammert die arme Frau, macht ein reichlich zerknittertes Gesicht und schüttelt verzweifelt ihr Handy, das sie fest umschlossen in ihrer rechten Hand hält, und auch schon wieder ihren Kopf, weil das verdammte Leben immer schwieriger wird. Und sie fängt schon wieder an, sich ein wenig aufzuregen.

Max sieht mich an und verdreht die Augen. Ja, ja, ich weiß schon, was er denkt. Die alten Leute! Was brauchen die denn überhaupt noch ein Handy? Ich weiß auch, dass Max mich insgeheim auch schon dazuzählt, obwohl ich erst sechsundvierzig bin und leider auch ab und zu mal ein kleines Problem mit dem technischen Wunderdings oder meinem Laptop habe.

Dann habe ich ihn auch manchmal ganz locker, so wie nebenbei, als ob es gar nicht so wichtig wäre, gefragt, wie man denn dieses oder jenes wieder hinbekommen könne. Aber bis ich meinen Sohn frage, muss ich wirklich total am Ende sein, denn das leicht überhebliche Kopfschütteln, das er sich verdammt noch mal nie verkneifen kann, ist kaum auszuhalten.

Meistens habe ich dann mindestens schon einen halben Tag damit verbracht, das widerliche Handy- oder Computer-Problem selbst zu lösen. Oft habe ich dann aber dabei alles verstellt und es ging dann ein paarmal einfach gar nichts mehr. Sowas macht natürlich außerordentlich schlechte Laune und gefährdet manchmal sogar eine Ehe. Steffi geht mir jedenfalls den ganzen Tag aus dem Weg, wenn das Scheißding oder das Internet mal wieder nicht richtig funktionieren.

Das Schlimmste ist allerdings, dass Max alles mit ein paar flutschigen Tippern aufs Display oder in die Tastatur in Windeseile wieder hinbekommt.

„Da, Alter, bitteschön, ich weiß nicht, was du da immer mit machst!“

„Was ICH damit mache?“

Tja, die Jugend! Manchmal etwas zu kodderschnäuzig für meinen Geschmack.

„Dat Lahn!“, röchelt die hilflose alte Dame noch immer und sieht die Handyfachfrau voller Hoffnung auf ihre nahende Rettung an.

„Sie meinen W-Lan?“, verbessert Frau Handyfone jetzt sehr mit­fühlend, verständnisvoll und auch kompetent, denn sie kennt sich schließlich aus. Und auch von diesem Problem hat sie vielleicht schon des Öfteren ge­hört und weiß vielleicht ja sogar eine Antwort.

„Ja, dat Lahn, dat Weh-Lahn, ja, dat geht nich‘“, stöhnt die alte Dame und sucht nach einem Stuhl, den es aber hier in diesem modernen Laden nicht gibt. „Da habbich immer Rezepte un Krankheiten geguggelt. Dat geht getz nich mehr! Ich krich de Krimmenoten!“

Ah ja, richtig, die Krimmenoten kann man ja auch noch kriegen hier im Sauerland. Hatt‘ ich ganz vergessen. Was die Krimmenoten sind, weiß natürlich auch keiner. Aber wahrscheinlich so was Ähnliches wie die Pimpernellen.

Frau Handyfone nickt zunächst mal voller Verständnis, was be­deuten könnte: Das kriegen wir schon hin.

„Und et ging ja immer!“, heult die arme ältere Frau jetzt. „Hier“, sagt sie dann und streckt der Beraterin anklagend ihr Handy entgegen. „Is‘ gar nich‘ mehr da, dat Lahn!“

„W-Lan“, korrigiert die junge Frau jetzt schon mit einem Hauch von Vorwurf, denn sie hatte es ja eben gerade erst richtiggestellt.

Ja, alte Menschen brauchen ja immer so lange, bis sie es dann endlich kapieren. Doch der Geduldsspeicher von Frau Handyfone ist anscheinend frisch aufgeladen und hat wohl noch ein paar Balken.

„Et hieß ‘Rastamann‘. Dat war unser Hund. So ‘ne Art Pudel, wissen Se? Der hatte immer so lange verfilzte Haare, woll. Mein Sohn hat den so genannt.“

„Aha“, lässt Frau Handyfone hören und nickt still.

„Un dat Weh-Lahn.“

„Bitte?“

„Ja, dat ham we dann auch so genannt. ‘Rastamann‘. Un getz sin se beide wech. Der Hund un dat Weh-Lahn. Unser ‘Rastamann‘ is ja schon lange tot, müssen Se wissen. Der hatte überall so Geschwüre am Ende. Und da hat der Dockter ihm de Spritze geben müssen, woll. Ach, unser ‘Rastamann‘.“

Die Frau wischt sich eine kleine Träne aus dem Auge. Auch ich bin gerührt und taste nach den Tempos in der Jackentasche, nur für den Fall. Max bläst still die Backen auf und stöhnt leise „Boah!“ Sowas hat er dann wohl auch noch nicht erlebt.

„So!“ Die alte Dame hat sich wieder gefangen und schwenkt jetzt noch mal ihr Handy. „Aber dat Lahn will ich getz wiederhaben!“

„W-LAN!“

„Ja, Weh-Lahn, von mir aus!“ Die alte Frau wird jetzt auch ein wenig lauter. Als ob es jetzt darauf ankäme, Lahn oder Weh-Lahn. Et is‘ wech! „Ja, sehen Sie“, setzt die freundliche Jüngerin der Telekommunikation jetzt ihre Therapie fort, „es kann ja auch hier gar nicht gehen, das W-Lan, weil Sie ja nicht zuhause sind.“

„Wie? Dat geht nur, wenn ich bei ihm bei bin?“

„Bei wem?“

„Na, bei dat Weh-Lahn!“

Die junge Verkäuferin muss lächeln. Etwas gnädig, aber sie lächelt - noch.

„Also, es ist ja so, liebe Frau: Das W-Lan kann natürlich nur bei einem zuhause funktionieren.“

„Bei Ihnen zuhause?“ Die Frau mit dem Lahn-Problem scheint verwirrt.

„Nein, nein, bei Ihnen, nur bei Ihnen zuhause“, antwortet Frau Handyfone immer noch recht geduldig. Sie hat scheinbar Hoffnungen, doch noch etwas zu bewirken.

„Nur bei mir?“ Jetzt versteht die arme alte Dame gar nichts mehr. Aber bei meinem Sohn gehdet doch auch.“

„Ja, bei dem auch, der hat dann ein eigenes W-Lan, aber hier eben nicht!“

“HIER NICH‘?“ Jetzt scheint die Welt der armen Frau zusammenzubrechen und sie wird sogar richtig laut. „Dat gibbs donnich! Ham Sie sowat gar nich‘? Weh-Lahn? Ich dachte, dat wär hier so ‘n Internetgeschäft. Boah, ich werd‘ noch rammdösig dabei!“

Rammdösig. Ja, das gibt es auch noch. Natürlich!

Frau Handyfone atmet schwer und ordnet ein paar bunte Prospekte auf dem Tisch. Dann reißt sie sich wieder professionell zusammen und sagt: „Natürlich haben wir auch W-Lan hier, aber eben nicht Ihres.“

„Ich versteh überhaup‘ nix mehr.“

Nein, das ist auch zuviel verlangt, finde ich und bin kurz davor einzugreifen. Ja, hat denn diese junge Schnepfe mit dem ekligen Metallpinn in der Unterlippe überhaupt kein Feeling für so eine alte Dame, die doch noch aus einer Zeit kommt, wo man vielleicht als erster und einziger in der Siedlung ein Wählscheibentelefon hatte und noch Briefe und Postkarten schrieb.

„Es geht HIER nicht, IHR W-Lan, weil sie so weit WEG sind von zuhause.“

Jetzt rückt die junge gepiercte Schnecke auch noch näher an die Dame heran und spricht so laut und so deutlich, dass der halbe Laden sich zur Ecke hin umdreht. Wer alt ist, ist doch nicht auch gleich schwerhörig! Unverschämtheit!

„Ich wohn‘ doch nur umme Ecke“, verteidigt sich die alte Dame vehement und droht der jungen Frau jetzt wieder mit ihrem Handy, das sie wie eine gefährliche Waffe erhebt.

„Ja, aber fürs W-Lan eben ZU WEIT.“

„Ja, kann ich dat nich‘ mitnehmen, dat Weh-Lahn?“

Frau Handyfone sagt jetzt gar nichts mehr, atmet schon etwas schneller und schaut hilfesuchend um sich. Ist denn der Kollege noch nicht wieder da? Der könnte doch viel­leicht mal eben übernehmen – oder der Chef? Nein, sie ist allein. Doch dann zwingt sie sich wieder zu einer gewissen beraterischen Ruhe und fährt mit der Intensivbehandlung fort.

„Was haben Sie denn für einen Router zuhause, liebe Frau?“

„Wat?“

„Naja, also … wie gehen Sie denn ins Internet?“

„Naja, über Weh-Lahn!“, antwortet die alte Kämpferin und gibt so schnell nicht auf. Das spürt man und sie bekommt von mir die größte Hochachtung dafür. „Ich krich de Pimpernellen!“

Ist doch schön, wenn man zwischen Pimpernellen, Krimmenoten und rammdösig werden auswählen kann. Aber gab’s da nicht noch was?, frage ich mich.

„Jaja, das sagten Sie … und der Router …?“

„Ich hab ’n Receiver“, antwortet die alte Dame jetzt ganz trotzig und auch stolz, dass sie auch so ein tolles Fremdwort kann.

Max schlägt die Hände vors Gesicht. Er kann es einfach nicht glauben. Naja, aber da kann er doch mal sehen, dass er es mit mir noch relativ einfach hat. Ganz so weit weg von der modernen Welt bin ich ja gar nicht. Gut, dass ich ihn mitgenommen habe.

„Der Receiver ist natürlich fürs Fernsehen“, sagt Frau Handyfone aufklärend und scheint bemerkt zu haben, dass gewisse grundlegende Basiskenntnisse hier einfach noch fehlen. „Wie und wo haben Sie das denn gekauft?“

„Dat Fernsehen? Ja, bei Elektro Hermanns inne Stadt.“

„Nein, nicht das Fernsehen …“

„Dat Internet?“

„Äh, ja, …das Internet.“

Es haben sich inzwischen noch einige andere interessierte Kun­den zu uns gesellt, die diesem hochqualifiziert besetzten Technik-Symposium lauschen. Einige nicken und andere schütteln die Köpfe, aber alle hören gebannt zu.

„Also, das … Internet, ja, wo haben Sie das gekauft?“, fragt Frau Handyfone jetzt und hat sich damit geschickt auf die Gesprächsebene ihres Gegenübers eingestellt. „Haben Sie das telefonisch bestellt oder wie?“, fragt sie und möchte jetzt wohl gerne auch einige Ergebnisse haben. Der Laden ist voll, alle Kunden haben Probleme, das haben sie immer, wenn sie mit diesen Gesichtern den Laden betreten, und der Tag ist noch lang.

„Der Mann war da“, antwortet unsere Dame todessicher, dass das die richtige Antwort sei.

„Ah ja ... und der ….

„… der hat den Receiver dann drangemacht.“

„Keinen Router?“

„Ich weiß nicht, wat dat is‘, junge Frau.“

„Vielleicht haben Sie ja gar kein Internet.“

„Ja, richtich, deswegen bin ich ja hier. Boah! BIN ICH DENN MACKACKI?!“

Das war’s! Genau.

Bin ich denn mackacki?! Das ist der noch fehlende Begriff im berühmten Quartett der Ausdrücke, die ein Sauerländer fürs baldige Verrücktwerden hat.

Donnerwetter. Ich muss mich schon wundern. Diese Frau scheint ja wirklich alle Spielarten des Sauerländischen draufzuhaben. Mackacki heißt natürlich auch, dass man droht, den klaren Kopf zu verlieren, aber langsam auch die Geduld und sich auf jeden Fall nicht veräppeln lassen will. Ja, es gibt da feine Unterschiede, auch wenn man hier wieder nicht genau weiß, wo es herkommt.

Bin ich denn mackacki? Sehr schön. Ich muss still in mich hinein lächeln.

Da nähert sich in dieser prekären, zugespitzten Situation der Herr des Hauses Handyfone, der Chef persönlich, wie man gleich erkennen kann am aufrechten Gang und einem Gesichtsausdruck, der uns alle sicher macht, dass dieser böse Spuk hier gleich vorbei sein wird. Einige scheinen zu bedauern, dass das großartige Kammerspiel zu Ende zu gehen droht, andere erwarten es offensichtlich mit gewisser Erleichterung. Ich gehöre eher zur zweiten Gruppe und hoffe sehr, dass der alten Frau jetzt endlich professionell geholfen wird - und sie ihr geliebtes, schmerzlich vermisstes Weh-Lahn endlich wiederbekommt.

Was haben die alten Leute denn sonst noch vom Leben? Die ganze Freude ist doch längst dahin. Der Hund und vielleicht auch der Mann gestorben, die Kinder kommen alle paar Wochen mal auf einen Sprung vorbei, der Faden zum richtigen Leben ist doch abgerissen. WEH-LAHN! Das brauchen die!

Der neue frische Mann schreitet aus den hinteren Katakomben des Ladens heran und genießt die allseitige Beachtung und Bewunderung der Anwesenden. Es geht ein Raunen durch die Menge, die sich inzwischen schon wieder ein wenig vergrößert hat. Er kaut anscheinend noch auf einem Rest Pausenbrot herum.

„Was gibt es denn?“, fragt er souverän und welt- und vor allem fachmännisch. Das hört man gleich. Er räuspert sich dann noch mal und schluckt die letzten Krümel seines schmackhaften Mahls herunter. Dann lächelt er zunächst mal – mit leicht sadistischen Zügen, wie ich finde – die ältere Dame an und nickt vertrauenerweckend. Jedenfalls soll es so aussehen.

Die junge Frau Handyfone spielt plötzlich nur noch eine unbedeutende Nebenrolle, was ihr aber sehr entgegenzukommen scheint, denn sie wirkt durch das Auftauchen des allmächtigen Regulators aus dem Pausenraum echt erleichtert, einer gewissen Schwere der Verantwortung enthoben und überlässt ihm nur zu gerne das bereits mühsam beackerte Feld.

Als der Herr des Geschehens sie dann aber fragend ansieht und auf eine plausible Erklärung dieser offensichtlich ausweglosen und für sein Geschäft unhaltbaren und verfahrenen Situation wartet, sagt sie etwas nervös: „Ich hab versucht, der Frau zu erklären, dass sie hier bei uns kein W-Lan haben kann.“

Diese dürre Einführung in die laufende Diskussionsrunde hatte der Meister der Kommunikation wohl nicht erwartet.

„Sie kann hier kein W-Lan haben? Wir haben hier ALLES!“

Das wiederum macht Frau Handyfone noch nervöser, denn so stimmt es ja auch nicht. Und er hat natürlich recht. Hier bekommt man alles.

„Doch, ja, ja, natürlich. Nur eben nicht ihr eigenes, Herr Schimmeroth, hier nicht. Geht ja nicht, es ist ja bei ihr zuhause, heißt ‘Rastamann‘ und ist schon lange tot, weil er überall so Geschwüre hatte, VERDAMMT NOCH MAL“, lässt sich die arme junge Frau jetzt zu einem emotional recht fragwürdigen Ausbruch hinreißen.

„Na, na, Frau Heggemann, wir woll’n doch mal nicht gleich …“

Frau Heggemann, alias Handyfone, hebt beide Hände, so war es ja nicht gemeint, Entschuldigung, aber sie kann jetzt einfach nicht mehr und versucht, sich unbemerkt aber endgültig aus der Schusslinie zu bringen.

„Liebe Frau“, sagt der Imperator jetzt zu der älteren Dame, die verwirrt von einem ihrer behandelnden Fachkräfte zum anderen schaut und noch nicht genau zu wissen scheint, wer von beiden ihr denn nun in dieser ausweglosen Situation helfen und aus welcher Richtung ihr Weh-Lahn denn jetzt zurückkommen wird.

Ist es schon da? Kann man es schon sehen? Denn sie scheint zu spüren, dass dieser neue junge Mann ja so einen Eindruck macht, als würde er ihr ihr geliebtes Weh-Lahn wiedergeben können. Der Laden scheint es jedenfalls zu haben. Hat er ja gesagt.

„Ich seh‘ mir Ihren Account mal eben an“, sagt er jetzt und stiftet damit bloß Verwirrung. „Sagen Sie mir doch mal ihr Kennwort, bitte, Frauäh …?“

„Pütter“, sagt sie, „Hättwich Pütter, Grabenstraße 4.“

„Danke, ja, … ihr Kennwort vielleicht, dann kann ich das alles mal hier nachsehen.“

Es ist zwar momentan auch für mich als mittelmäßig Kommunikations-Erfahrenen nicht einzusehen, warum der Mann jetzt das Kennwort will. Es würde ja reichen, der Frau die komplizierte Thematik des Weh-Lahn einfach plausibler zu erklären, als es seine Kollegin bisher vermocht hat. Aber mit dieser Frage hat er der alten Frau natürlich ein wenig Stoff zum Nachdenken gegeben, etwas Luft aus der ganzen Sache gelassen, auch auf die billige Tour ein wenig Zeit gewonnen und das Beratungsgespräch somit auf eine ganz andere Ebene gehoben.

Er fasst die Dame jetzt galant am Arm, nutzt damit ihre kurzzeitige Orientierungslosigkeit ein wenig aus und versucht, sie in die Ecke mit dem Monitor des Handyfone-Laden-PCs zu bugsieren. Ins Allerheiligste, sozusagen, wohin man als neutraler Beobachter dann leider auch nicht mehr völlig uneingeschränkte Sicht auf die Dinge hat. Es ist dort etwas privater. Man ist in dieser heiligen Ecke mit dem Hohepriester fast allein – intim und persönlicher. So fällt auch das Beichten erheblich leichter.

Deshalb dränge ich Max auch schnell, ruhig mal ein oder zwei Schritte in diese Richtung zu machen, damit nicht andere uns diesen Platz mit der letzten guten Sichtmöglichkeit dort streitig machen können.

Denn dort in der Allerheiligsten-Ecke wird man jetzt im direkten Dialog versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen und alle weltlichen Probleme dieser ehrwürdigen alten Dame zu lösen.

Hättwich Pütter folgt dem Kommunikations-Würdenträger leicht ver­wirrt und sicherlich auch immer noch über das Rätsel mit dem Kennwort nachdenkend, das sie wahrscheinlich auch noch nicht gelöst hat.

Etwas wehmütig blickt sie noch mal zurück zu der netten Frau Handyfone-Heggemann mit dem schwatten Krümmel an der Unterlippe, die sich bisher so rührend um sie gekümmert hat und die jetzt etwas verloren in der hinteren Ecke des Ladens zurückgelassen wurde und vielleicht soeben ihre schöne Arbeitsstelle verloren hat, vielleicht ihre gesamte Zukunft verbaut und ihr Leben verwirkt hat.

Sie tut Frau Pütter etwas leid und deshalb hebt die alte Dame noch mal die faltige Hand, um ihr ein letztes Dankeschön und einen lieben Abschiedsgruß zuzuwerfen.

„Ihr Kennwort, also bitte!“, sagt der Mobilfon-Meister jetzt noch mal überirdisch grinsend, als er seine strategisch günstige Position hinter dem Monitor einnimmt und der alten Dame nur der Platz vor der schicken Theke in mattgrau ihm gegenüber bleibt.

Allerdings hat man kundenfreundlich und vermeintlich seniorengerecht hier einen Barhocker aus Chrom aufgestellt, den Frau Pütter jetzt sportlich zu besteigen versucht. Denn das verlockende Angebot einer Sitzmöglichkeit will sie nicht ausschlagen. Es gelingt ihr nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen, die etwas höher gelegene gepolsterte Sitzfläche des modernen Möbels zu erklimmen und lässt sich dann mit einem nicht ganz damenhaften Schnaufen darauf nieder. Geschafft. Endlich.

So. Wat wollt ich?

Nein, er wollte ja etwas. Dieser Mann, der ihre Erstbesteigung eines Barhockers mit interessiertem Blick begleitet hat. Und er will es noch immer. Das Kennwort.

Sie hat es nicht!

Klarer Fall, die Frau hat ihr Kennwort nicht parat. Der Allwissende weiß es schon, seit er ihr diese Frage gestellt hat. Es ist doch immer dasselbe, diese alten Leute können sich einfach nichts merken.

„Weisichnich‘“, sagt Frau Pütter dann auch erwartungsgemäß etwas verschämt aber auch leicht bockig. Immer diese Kennwörter! Wat soll ich mir denn noch alles merken?

„Sie haben ihr Kennwort also nicht parat?“

„Nä!“, sagt sie und geht damit direkt auf Konfrontationskurs. Das spürt man. „Habbichnich!“ Und dann sagt sie noch: „Der ganze Kokolores!“

Max sieht mich kurz an und grinst. Er ist im Großen und Ganzen ziemlich angetan von diesem aufregenden Schauspiel nach der langweiligen Schule. Und auch mir gefällt es nicht schlecht, zugegeben, ja, aber die alte Dame beginnt mir doch richtig leid zu tun. Und ich stünde bereit, um für sie in einen heldenhaften Kampf zu gehen.

Ja, da bin ich jetzt mal eindeutig auf der Seite der Alten, der Ausgestoßenen, der Abgelegten, der Eingerosteten, der Schwerhörigen, der Klapprigen, der Zittrigen und der Vergesslichen.

Ich selbst schreibe mir meine Passwörter natürlich immer gewissenhaft auf. Am besten direkt ins Smartphone hinein, damit ich alles auch immer dabei habe und nicht erst lange suchen muss, wenn ich mal danach gefragt werde. Ich möchte niemals in so eine peinliche Extremsituation wie die arme Frau Pütter kom­men.

Ich habe da einen kleinen Ordner angelegt, wo auch gleich alle anderen wichtigen Daten abgelegt sind, damit ich auch danach nicht lange zu suchen brauche, wenn es ernst wird. Man kann ja nicht alles im Kopf haben.

Da sind dann also die Pin-Codes für die Bank, Zugänge zu verschiedenen Foren und Unternehmen, naja, Schlüssel für die Freischaltung einiger wichtiger Softwareanwendungen, eben alles, was man in der modernen Welt so hat. Natürlich hat der Ordner einen verschlüsselten Namen, auf den nicht jeder kommt und ist selbstverständlich besonders gut versteckt. Ist ja klar. Ich habe ihn zunächst in den Ordner ‚Privat‘ gelegt, der ja sowieso keinen was angeht, und dann habe ich da wieder einen Unterordner angelegt, der … naja, … gut, … er trägt den Namen unseres leider zu früh verstorbenen Hundes. ‚Waldmeister‘ heißt dieser Ordner.

Da kommt doch … NIE jemand drauf. Und weil es so todsicher ist, habe ich das Ganze alles auch genau so auf unserem PC zuhause abgespeichert. Steffi versucht mir immer wieder einzureden, wie gefährlich das doch sei, weil jemand, der diesen Ordner findet, dann alles weiß. Der könne ja dann überall hin und rein und alles sehen und machen. „Du weißt doch selbst, was heute alles möglich ist, Alex. Die können doch alles ‚häcken‘!“ Aber mal ganz ehrlich, wer soll den Ordner denn finden?

„Ohne Kennwort ist natürlich nichts zu machen“, sagt der Allmächtige jetzt wieder recht gnadenlos. „Ich komm dann nicht rein ins System. Verstehen Sie?“

Nein, die Frau versteht es nicht.

„Versuchen Sie doch mal, liebe Frauäh …“

„Pütter!“

„… Frau Pütter, sich zu erinnern. Wie heißt denn zum Beispiel ihr Mann, hat er einen Kosenamen?“

„Is‘ tot“, sagt die arme Frau. „Schon lange. Dat Härz, wissen Se. Der hatte so ’n schwaches Härz, der kam ja kaum noch de Treppe rauf, die olle Krücke.“

„Jaja, … hatte er denn einen Kosenamen?“

„Willy.“

„Und keinen … Spitznamen oder so was?“

„Spitz?“

„Ja. Namen!“

Die arme alte Frau denkt kurz nach, holt tief Luft und dann fällt es ihr ein: „Ömmes! Ömmes ham die immer zu ihm gesacht, weil, … der war auch so dick, wissen Se?“

„Ömmes. Ja, gut, Frau Pütter. Mit ‚O‘ und ‚E‘ oder mit ‚Ö‘?“

„Ömmes!“

„Ja, dann probieren wir das mal.“

Doch natürlich klappt es nicht. Nein, ‚Ömmes‘ mit „OE“ oder mi „Ö“ ist nicht das ‚Sesam-öffne-dich‘ für das System von diesem zudringlichen Kerl, der einfach keine Ruhe gibt. Der Herr des Kommunikations-Universums kommt nicht rein. Der Kosename des werten Gatten war es also nicht.

„Ihr Sohn?“, fragt der Meister der Dinge jetzt.

„Ach der“, sagt sie da nur und winkt mit der handyfreien Hand ab. Sie hat sich jetzt ganz gut auf dem Barhocker eingerichtet. „Der hat ja nie Zeit!“

Wusste ich’s doch. Keine Zeit für die liebe Mama! Wahrscheinlich ab und zu mal die Hand aufhalten, wenn das Geld des Herrn Sohnes wieder mal zuende gegangen ist, und dann die arme alte Frau Mutter um ein paar Euro von ihrer kärglichen Rente anbetteln. So hab ich’s gerne!, rege ich mich schon wieder innerlich auf, und mein Mitleid für diese einsame, vernachlässigte Person steigt schon wieder. Vielleicht sollten wir diese Frau Pütter bei uns aufnehmen. Wir haben viel Platz, das Haus ist groß, das zweite Kinderzimmer wurde ja noch nie benutzt und Steffi würde sicher nichts dagegen haben, ihren Kram da rauszuräumen und für Frau Pütter Platz zu machen. Scheint doch auch sehr nett zu sein, die alte Dame.

„Der is‘ Chefarzt im Marienhospital, wissen Se“, sagt sie jetzt und nickt dazu.

„Ah so“, sagt Herr Mobilfon offensichtlich einigermaßen beeindruckt und einen ganz kurzen Moment sieht es aus, als ob er über sein eigenes Leben nachdenkt. Aber dann fragt er: „Und wie heißt der? Ihr Sohn?“

„Dr. Pütter!“

„Ja, und Vorname?“

„Ach so, ja, Hans-Jörg.“

Der WLAN-Meister fragt gar nicht mehr, ob Jörg jetzt mit ‚O‘ und ‚E‘ oder mit ‚Ö‘ geschrieben wird und zusammen oder mit Strich in der Mitte, sondern probiert einfach alles mal schnell aus.

Nein. Falsch. Er kommt nicht rein.

„Wie hieß denn noch mal Ihr Hund?“

„Rastamann, dat habbich doch schon de Kollegin … ja, bin ich denn mackacki!“

Da war es wieder.

Ja. Das isses! Rastamann passt. Der Chef ist drin.

„Ach, was haben wir denn da?“, sagt er erst mal vielsagend und nichts ausdrückend. Aber er sieht jetzt alles, was das elektronische Leben von Frau Pütter ausmacht. „Superflat, SMS Flat, und sogar Gigatravel … Reisen Sie denn viel, Frau Pütter? Brauchen Sie das EU-Roaming?“

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