Panik

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Das Buch

Wir schreiben die Zwanziger Jahre. In der Sternwarte Michigan wird die tägliche Routine unterbrochen, als sich ein mysteriöses Objekt gigantischen Ausmaßes in beängstigender Weise der Erde nähert. Hektische Aktivität macht sich breit. Die Lage ist gespannt. Ist das Weltende nahe? Nicht nur in der Weltmetropole New York herrscht Panik. Mit unheilvollen Nachrichten wird bald die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzt; die Börse wird manipuliert.

Wissenschaftler versuchen, alle Kräfte gegen die dunklen Machenschaften derjenigen zu mobilisieren, die die Erde in ihre Gewalt bringen möchten. Wird der geniale Plan des deutschen Chemikers Walter Werndt die Welt retten können?

PANIK erschien erstmals im Jahr 1922 in deutscher Sprache und wurde auch in andere Sprachen übersetzt. Mit der Neuauflage macht der Reichel Verlag diesen Science Fiction Klassiker wieder einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich.

Der Autor

Reinhold Eichacker (1886 - 1931) hat PANIK nach einer technischen Idee von Max Valier geschrieben. Max Valier (1895 - 1930) war ein Südtiroler Schriftsteller, Astronom und Raketenbau-Pionier, dessen Arbeiten von Wernher von Braun fortgeführt wurden. Über den Autor selbst ist wenig bekannt und die Orginalausgaben seiner Bücher sind eine Rarität. Der Verlag dankt dem Antiquar Michael Gallmeister für die Buchsuche und der Phantastischen Bibliothek Wetzlar für die Bereitstellung der Orginalausgabe.

Reinhold Eichacker

PANIK


Inhaltsverzeichnis

Umschlag

Das Buch / Der Autor

Titel

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Nachwort

Impressum



Wir danken der

Phantastischen Bibliothek Wetzlar

für die Bereitstellung der

Originalausgabe.

1

Der Telegraphist der Michigansternwarte riss wie ein Rasender an der Kurbel des Telefonapparates.

»Rattes and thunder!« fluchte er vor sich hin. »Ist in dieser gottverlassenen Bude denn heute alles betrunken?«

Ein helles Lachen antwortete ihm von der Tür.

»Das wollen wir doch nicht hoffen, mein Lieber.«

Der Mann bekam einen roten Kopf und murmelte verlegen.

»Verzeihung, Miss Earthcliffe, ich wusste nicht, dass Sie...«

»Bin auch eben erst gekommen. Was gibt‘s denn so Schlimmes!« Sie musste fast schreien, so summten die Drähte.

Der andere riss einen Zettel vom Block ab.

»Eine wichtige Nachricht ist vor dreizehn Minuten eingegangen. Wahrscheinlich sehr wichtig. Sternwarte Valparaiso.« Das Lärmen der zahllosen surrenden Drähte zerriss seine Worte.

»Ich läutete gleich überall an. Zuerst den Herrn Direktor, dann das Observatorium. Niemand antwortet. Es ist wie verhext heute! Ich kann hier nicht fort. Hochbetrieb in den Netzen...«

Der Lärm in dem niedrigen Turm wurde stärker und härter. Mehrere Lichtklappen fielen tickend nach unten. Der Telegraphist rang die Hände. Das Fräulein schob lächelnd den schlanken Arm vor.

»Dann geben Sie es doch mir, John! Ich werde es meinem Vater...«

Sssst - wwww - sssss - rrrrr! Kam es von oben. Sie griff nach dem Zettel und schloss schnell die Tür. Mit leichten, federnden Schritten ging sie durch den Garten zum Wohnhaus hinüber. Übermütig nahm sie mehrere Stufen auf einmal.

Vor dem Saal des Sternwartendirektors zwang sie sich zum Warten: Sie zögerte merklich und legte das Ohr an die riesige Tür und horchte nach innen. Das strenge Verbot jeder plötzlichen Störung galt auch für die Tochter des großen Gelehrten. Sie kannte den Vater. Die zahllosen Schrullen des Weltastronomen und Mathematikers Earthcliffe waren nicht minder berühmt als seine Berechnungen, Theorien und Formeln. Während der Arbeitsstunden lag rings um das Wohnhaus eine fast unnatürliche Stille.

Mabel Earthcliffe sah nachdenklich noch einmal den Text durch. Dann klopfte sie energisch und drückte entschlossen das Schloss auf. Sie stockte ein wenig, den Fuß auf der Schwelle. Der Anblick des Raumes nahm ihr jedesmal wieder den Atem, so gut sie ihn kannte.

Ein riesiger Saal sprang sie an, wie ein Tierpark. Farbenprächtige Teppiche mit eingewebten Zahlen, Strichen und Zeichen liefen quer über den Boden. Seltsam verschlungene, windschiefe Möbel hüpften und sprangen aus Ecken und Winkeln und sammelten sich um den kreisrunden Schreibtisch. Rechtecke, Rhomben, Zylinder, Kegel und Prismen wechselten in einer symmetrischen Anordnung. Hochlehnige Stühle in Form algebraischer Wurzeln umstanden die Fenster. Ein Rudel tollwütiger Integralzeichen sprang hoch an den Wänden und ihren Tapeten. Kein Gegenstand in diesem Saale, der nicht mathematisch berechnet, definiert, gestaltet war.

Mabel Earthcliffe strich sich unbewusst über Augen und Stirn und trat auf den Teppich. Jedes mal hatte sie hier ein Gefühl, als ginge sie über einen Ameisenhaufen. Wie hunderte seltsame, lebende Wesen ringelten sich die Figuren des Bodens um ihre Füße. Ihr Blick irrte suchend rings über die Möbel.

Es war wie ein Dickicht voll lauernder Bestien. Gerade ihr gegenüber dehnte sich eine riesige Wand, ohne Fenster, schwarz, opak. Eine einzige finstere Tafel fantastischen Umfangs, aus matt geschliffenem Spiegelglas, erstreckte sich über die ganze Breite des Saales bis hoch an die Decke. Ein glitzerndes Etwas sauste darüber, an einem verworrenen Spinnennetz aus metallischen Stangen und endlosen Drähten. Das Objekt schoss quer durch das Schwarz, wie ein zierliches Webschiff, und zog weiße Linien, Punkte und Zahlen: Der Mathematiker Earthcliffe war bei seiner Arbeit. Nur solch eine gigantische Rechentafel konnte die riesigen Reihen von Zahlen, Formeln und abstrakten Figuren des großen Gelehrten fassen. Der raffiniert ausgedachte Mechanismus bewegte den Schreibstuhl allein durch Gedanken und ganz nach Bedarf vor der haushohen Fläche.

Miss Mabel kannte diesen Anblick seit ihrer Kindheit, und dennoch versetzte er sie immer wieder in Staunen. Aber sie musste seine Arbeit unterbrechen.

»Vater!« rief sie mit kräftiger Stimme. Sie musste fast schreien. Der riesige Raum sog den Ton wie ein Schwamm auf.

»Vater! Hallo! Einen Augenblick, bitte!«

Ein wütendes Zischen kam hoch von der Decke.

Sie ließ sich nicht schrecken und schwenkte energisch den Zettel. »Eine wichtige Meldung! Du hast nicht geantwortet...«

Das blitzende Etwas sauste wütend zur anderen Seite und bremste. Ein kleiner silberner Sessel stand wie ein Spuk in der obersten Ecke.

Mabel blickte etwas belustigt nach oben, den Kopf tief im Nacken. »Also Vater, lass doch die Dramatik. Wie eine Spinne siehst du jetzt aus in dem Netz deiner Stangen.«

Über den Sessel, zwanzig Meter vom Boden entfernt, bog sich ein menschlicher Kopf. Eine schneidende Stimme biss krähend nach unten. »Wer ist da? Wer wagt es! Kreuzschock im Quadrat! Wer...?!« Jeder Ton überschlug sich.

»Ich - Mabel - ich bin es«, klang es lachend von unten.

Wieder ertönte ein scharfes Zischen. Der silberne Sessel sprang heftig zur Mitte. »Wer ist Ich? Wer Mabel?! Ich arbeite! Thunder Potz Wurzel aus dreizehn! V x plus y... wie kannst du es wagen - du kennst mein Verbot! Ganze Rechnung gefährdet! Δt im Quadrat durch...!« Wieder machte der Sitz einen Hopser ins Schwarze. »Geh fort!« bellte es im Befehlston.

 

Als Antwort hielt Mabel die Hand in die Höhe. »Es ist sehr wichtig... Ein Funkspruch...« Sie wusste, wie sehr es der Vater hasste, in seinen Gedankengängen gestört zu werden, aber jetzt war es Zeit, ihn zu unterbrechen.

Mit einem Ruck stand der Sessel. »Quadratschock, was gibt es? Lies vor! Siebte Wurzel... So lies doch! Ich warte!«

Sie hielt das Papier in das durchs Fenster einfallende Tageslicht. »Nigra ronda punkto diametris sunon eble planetido au kometido hodica 19 h 30 m 22 s, 19 h 38 m 16 s tm t..., Don Ebro Valparaiso.«

Die Reaktion, die auf diese Meldung erfolgte, war unverzüglich und heftig. Wie ein Blitz raste der silberne Sessel über die Tafel. Mit beängstigender Geschwindigkeit schoss das Objekt nach unten und warf seinen Herrn fast im Sturz auf den Teppich. Mit einem einzigen Satz sprang der greise Gelehrte ins Zimmer und riss das Papier an die blinzelnden Augen.

Seine kleine Figur stand voller Anspannung gestreckt auf den Zehen; trotzdem reichte er seiner schlanken Tochter kaum über die Schultern. Wie eine bleiche Kugel saß der Kopf auf dem Hals, dicht über dem scharf geschnittenen Mund sprang die eckig gebogene Nase keilförmig nach vorn. Die Hälfte des Kopfes nahm die Stirn in Anspruch, breit, rund, voller Wülste, verlängert nach oben in einer glänzenden Glatze. Wie auf einer schillernden Billardkugel stand mitten auf dem Schädel ein einzelner Haarschopf und hing in die Stirn, die Augen zerteilend. Earthcliffe zupfte nervös an der Strähne und keuchte vor Aufregung. Stoßweise las er die Meldung noch einmal, sie laut übersetzend.

»Ein schwarzer, runder Punkt überquerte die Sonne. Möglicherweise planetarischen oder kometarischen Ursprungs: Zwischen 10 Uhr 30 Minuten 16 Sekunden Weltzeit...« Mit einem seltsamen, weltfernen Ausdruck starrten die tiefblauen, leuchtenden Augen des greisen Gelehrten zur Decke des Zimmers. Das ganze Gesicht war gespannt und verzogen.

Miss Mabel konnte die Erregung des Vaters spüren. Auch sie war jetzt gespannt. Fragend wies sie auf das Ende der wichtigen Mitteilung.

»Und wer kann das sein? Valparaiso steht darunter...«

»Valparai- wie?!« Es klang wie ein Aufschrei. Er hielt das Papier nochmals dicht vor die Augen. »Gott sei Dank - ein Don Ebro. Wenigstens ein Trost bei dem Unglück. Nicht wieder der Nagel!«

Seine Tochter sah ihn verständnislos an. »Nagel? Unglück? Wie meinst du das, Vater?«

Das Gesicht des Vaters nahm einen nachdenklichen, fast bekümmerten Ausdruck an. Langsam ließ er den Zettel sinken. »Es ist wie ein Unglück. Wenn es stimmt, was man meldet, dann sind wir bis auf die Knochen blamiert und geschlagen. Wie kürzlich beim Fixstern, den Nagel entdeckte. Entdeckte... durch Zufall. Ohne die technisch so weit entwickelten Instrumente der weltberühmten Mischigansternwarte. Dieser schwarze Punkt vor der Sonne kann eine Entdeckung von größter Bedeutung enthalten...« Sein Blick glühte tief, wie verborgenes Feuer. »Streitfragen von Jahrhunderten tauchen auf mit diesem Punkt hier...«

Sie verstand den Grund seiner Bestürzung noch immer nicht und blickte ihn fragend an.

Leidenschaftlich fuhr er fort: »In alten astronomischen Schriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert wurde schon von der Beobachtung solcher Punkte berichtet, die rasch vor der Sonne erschienen und verschwanden. Von den besten Gelehrten. Mit allen Belegen. Zwei Jahrhunderte haben wir Astronomen nun schon auf der Lauer gelegen. Nichts wurde gesehen! Nichts wurde bestätigt! Und nun diese Meldung! Potz Wurzel aus dreizehn! Wenn das stimmt, wenn es wahr ist...!«

Sie fragte, immer noch verständnislos: »Was bedeuten denn diese seltsamen Punkte?«

»In der Bahn des Merkur stellte man Störungen fest. Keiner hatte eine plausible Begründung. Man dachte an Ablenkung durch einen unbekannten Planeten. Man erfand den Vulkanus. Niemand hat ihn gesehen, er ist nur eine Theorie! Es gibt keine anderen Hinweise, nur der Punkt vor der Sonne...! Wenn es den Vulkan nun doch gibt! Ich hab‘ ihn immer bestritten. Paramerkur - Intramerkur! Zwanzig Jahre bin ich nun schon hinterher. Mit dem Glas und mit Zahlen. Himmelschock und Potenzen! Wenn der Kerl mir zuvorgekommen sein sollte...!«

Mit eckigen Sätzen sprang er durch das Dickicht der Möbel zum Schreibtisch und griff nach dem Hörer. »Observatorium - Sonnenturm! Wie? Dr. Wepp! Ja, persönlich!«

Ungeduldig trampelte er von einem Fuß auf den anderen. »Ah - hallo - Dr. Wepp dort? Hier Earthcliffe. Sie haben doch heute Morgen die Sonne beobachtet - wie? Mit dem Heliokinographen? Vorzüglich! Wäre Rettung noch denkbar. Eben kam hier ein Funkspruch herein. Scheinbar wichtige Meldung. Ein Don Ebro Valparaiso - nein, ich kenne den Mann nicht - will schwarze Punkte gesehen haben vor der Sonne. Wie? Ja, wenn‘s keine schwarzen Mäuse gewesen sind. Na, Ihre Aufnahmen müssen das bald ergeben. Bitte Film gleich entwickeln! Alle Mann an die Arbeit. Dann Meldung - ich danke!... Doch noch eine Hoffnung!«

Mit einem erleichterten Seufzer drehte er sich ins Zimmer. »Gott sei Dank, Dr. Wepp hat zufällig zur genau gleichen Zeit kinematographische Aufnahmen von der Sonne gekurbelt. Jetzt kommt‘s darauf an, wer die Dinger zuerst sah.«

Sie lachte erleichtert. »Also wieder ein Wettrennen im Kosmos, Vater? Ist es denn nicht ganz gleichgültig, wer das Objekt zuerst gesehen hat? Wichtig ist doch, dass es überhaupt entdeckt wurde!«

»Frauen! Nonsens! Dilettantismus! Bin ich Professor Earthcliffe, oder bin ich es nicht?! Habe ich die Michigansternwarte mit den besten Instrumenten der Welt? Habe ich sie nur so zum Spaß, was?! Habe ich nicht eine Verpflichtung?«

Er stieß einen Stuhl, dass er sich überschlug. Earthcliffe sah kurz nach der Tür. Es klopfte vernehmlich. »Herein! Dr. Wepp - ah - good - morning. Sind sie schon dabei? Schön.«

Der Assistent nickte. »Sechs beim Entwickeln und vier im Fixierbad. Ich hoffe, in einer Viertelstunde wissen wir mehr. Darf ich den Funkspruch...? Ich danke...«

Der kleine Professor gab ihm stumm die Meldung. Seine leuchtenden Kinderaugen ruhten dabei forschend auf dem Gesicht des lesenden Doktors. Eine scharfe Linie unbewusster Zurückhaltung grub sich um seine gekniffenen Lippen.

Dr. Wepp hob den Kopf und wies leicht auf den Zettel. Sein rotblondes Haar stand borstig nach oben. Um den wulstigen Mund lag ein zynisches Grinsen. »Interessant! Interessant! Wenn es stimmt. Meine Filmaufnahmen sollten das alles ja bestätigen.«

»Sie benutzten das Doppelfernrohr. Wer bediente das Leitrohr?«

»Miss Gogh, an diesem Morgen.«

Earthcliffe zupfte sich an seinem Haarschopf. »Merkwürdig, dass sie den schwarzen Punkt dann nicht gesehen hat, wenn sie dauernd die Fläche der Sonne verfolgte. Das Objekt zog doch rund acht Minuten vorbei.«

Dr. Wepp kniff die blassblauen Augen zusammen. Ihre Ränder waren ein wenig gerötet und fast ohne Wimpern. »Und trotzdem leicht möglich. Ich hatte die Sonne in 1.600 facher Vergrößerung eingestellt, so dass sie sich als riesige Scheibe im Brennpunkt dehnte. Im Gesichtsfeld waren darum vielleicht nur 1/100 zu überblicken. Wenn jener Punkt also nicht gerade durch ihr Gesichtsfeld zog, kann sie ihn unmöglich gesehen haben. Auf dem Film müsste er aber trotzdem deutlich erscheinen. Auf ihm ist die ganze Sonnenscheibe kontinuierlich abgebildet. Außerdem haben wir in der fraglichen Zeit von 469 Sekunden nicht weniger als 37.520 Aufnahmen gemacht. Der Apparat lief heute mit 80 Touren in jeder Sekunde.«

Der Professor nickte, nur scheinbar befriedigt. »Wir wollen es hoffen. Ich hatte es mir schon so ähnlich gedacht. Das Telegramm hier enthält außerdem nicht die geringste Angabe über den Positionswinkel, in dem unser schwarzes Objekt vor die Sonne getreten und wieder verschwunden sein soll. Der Mann hatte entweder kein Positionsmikrometer, oder er ist Amateur. Von der Sorte, die uns neuerdings immer mehr in das Fach pfuscht.«

Der andere grinste kaum merklich. »Nur gut, dass nicht wieder Herr Nagel dabei war.« Ein höhnisch lauernder Ausdruch lag nun in seinem Blick.

»Potz Wurzel aus dreizehn! Der Teufel soll all diese Sportfexen holen! Der Kosmos ist doch noch kein Fußball für Kinder! Der Mensch hat uns scheußlich blamiert mit der Entdeckung des Fixsterns. Na - bitte gleich Meldung!« Eine nervöse Unruhe war über den Alten gekommen. Er zupfte sich heftig den Schopf aus den Augen. Der andere sah es und ging schnell zur Tür.

Miss Mabel schaute ihm nachdenklich nach. »Ein seltsamer Mensch, Dr. Wepp...«

Earthcliffe drehte sich um. »Ich weiß, ja, ich weiß! Euch Frauen ist er nicht reizvoll genug, ihr könnt seine knollige Nase nicht ausstehen, seine wässerigen Augen, sein fuchsiges Haar... Doch er kann seine Sache, versteht was vom Fach...!«

Mabel lächelte still. »Und weshalb hast du selbst ihn so kritisch betrachtet?«

»Ich? Wann?«

»Als er las.«

»Ah, sieh da!« Der Astronom zog die buschigen Brauen strichbreit in die Höhe. »Die Tochter studiert ihren Vater. All right!«

»Du weichst aus, also bist du auch misstrauisch. Aber noch eine andere Frage.«

»Inquisition? Also bitte.«

Seine wundersam leuchtenden Augen ruhten mit lächelndem Stolz auf der schönen und klugen Tochter.

»Wer ist Dr. Nagel? Dieser Name wurde mehrmals erwähnt.«

Sofort verdunkelte sich die Miene Earthcliffes. »Potz x! Dr. Nagel! Der Name fällt mir auf die Nerven. Ein Ignorant, ein Nichtstuer, ein Allerweltssportfex. Weil Tennis, Golf, Hockey usw. den Mann nicht mehr reizen und Auto und Flugzeug ihm nicht mehr genügen, treibt dieser Mensch jetzt einfach Sport mit den Sternen. Jux und Tollerei in der Astronomie! Baut sich mit seinen Millionen, die er irgendwelchen obskuren Erfindungen verdankt, eine Privatsternwarte in Valparaiso, um die ihn ein Sternwartendirektor beneidet, sitzt ein paar Wochen, zum Sport, vor dem Fernrohr, und - sieht vor uns allen den Fixstern in der Jungfrau. Potz Schock und Trillionen! Man wagt sich als Sternwartendirektor kaum noch auf die Straße nach dieser Blamage!«

Sie strich ihm beruhigend über den Kahlkopf. »Weshalb ärgerst Du Dich darüber? Das ist doch recht spannend.«

»Spannend? Spannend?! Ein Skandal ist das alles! Potz Wurzel aus dreizehn! Wo bleibt nur die Meldung? Ich habe keine Ruhe.«

»Hast du denn noch Bedenken? Der Film wird doch sicher...«

Der kleine Professor zerriss fast den Haarschopf. »Pah, nichts ist sicher. Der verehrte Doktor vergisst, dass die Wirkung der Parallaxe schon hinreicht, um bei dem großen Breitenunterschied zwischen Valparaiso und uns die Projektion der Bahn des Objekts gar nicht auf die Sonne zu werfen.«

Mabel rang wie verzweifelnd die Hände. »Herrgott, eure Sprache! Könnt ihr Gelehrten euch denn nicht verständlicher ausdrücken! Was ist Parallaxe?«

»Was ist denn da unklar? So heißt das nun einmal. Soll ich Schielwinkel sagen? Dafür gibt es keinen anderen Ausdruck. Du kennst doch den Vorgang beim üblichen Neumond. Der zieht ohne Finsternis für unsere Erde über und unter der Sonne vorüber. Genau so kann der Gesichtswinkel bei uns von dem in Valparaiso so stark abweichen, dass der dämliche Punkt uns einfach über oder unter der Sonne vorbeirutscht. Zumal wenn der Abstand des Körpers zur Erde gering war...«

»Woraus schließt du das?«

»Aus der großen Geschwindigkeit der scheinbaren Bewegung.« Vom Tisch kam ein Summen, und eine Lichtbirne blitzte.

Earthcliffe nahm den Hörer. »Dr. Wepp? Sind Sie fertig? Was ist mit dem Punkt? Wie? So, bitte - jetzt Meldung.« Mit einer leichten Handbewegung schob er den zierlichen Stift auf den Schreibblock. Der Apparat schrieb jedes Wort des Gesprochenen nieder. »Schwarzer Punkt vor der Sonne auch hier aufgenommen. Erster Kontakt mit dem Sonnenrande: 19 h 30 m 22,47 s...«

»X hoch nix!« schrie der Alte ins Sprachrohr und fuchtelte wild mit der Hand durch die Sonne. »Also sind wir dem Kerl doch um volle 2 Hundertstelsekunden im Rücken geblieben!« Der Stift auf dem Block stockte kurz und schrieb weiter.

»...letzter Kontakt: 19 h 39 m 14,86 s. Passage des Mittelmeridians der Sonne: 19 h 34 m 49,815 s. Dauer des Vorübergangs vor der Sonne: 8 m 50,09 s. Positionswinkel: 15° und 75°. Durchmesser des Körpers: 0,17 Minuten.«

»Very well, Dr. Wepp! Thanks, all right!« Wie ein Ball sprang der kleine Professor ins Zimmer und stieß nach den Möbeln. Ein Dutzend Zahlen und Formeln schnellte im Rennen von seinen Lippen. Seine Hand zog ununterbrochen an seinem Haarschopf.

 

»Mabel, schnell! Telegramm! Hier den Block - da den Stift. Also Text: Schwarzer Punkt vor der Sonne hier heliokinographisch aufgenommen. Eintritt Positionswinkel 15° Austritt unter 75°. Dauer des Vorbeigangs 8 m 50,09 s. Bitte um nähere Mitteilungen. Earthcliffe.”

»Hast du’s? Dann schnell das Register!« Mabel reichte zwei dicke Folianten herüber. Earthcliffe nahm nur den zweiten und blätterte grinsend und pfeifend die Seiten.

»K bis Z. Dr. Nagel, Valparaiso. 23 778 428. - Notier die Adresse. All right? Wird den Mann mächtig freuen. Man wird langsam boshaft.«

»Soll der Funkspruch nur an Dr. Nagel?«

»Nein, an diesen Herrn und an sämtliche öffentlichen Sternwarten der Erde. Fix, Mädel, zum Funkturm!« Zwinkernd und tanzend schob er sie aus dem Zimmer.

Wenige Minuten später übersetzte der Telegraphist die Depesche in Weltesperanto, in dem alle Meldungen abgefasst wurden, und gab sie im Senderaum drahtlos in den Äther. Einmal mit der Wellenlänge, die er auf neuntastigem Schaltbrett mit 023 778 428 einstellte, auf die Dr. Nagels Empfänger gestimmt war, einmal mit der Leitzahl 003 000100, die für internationale astronomische Telegramme alle Sternwarten anrief.

Eine Stunde später, gegen zwei Uhr nachmittags Weltzeit, schrieb der Empfänger der Michigansternwarte schon eine Antwort. Den Spruch Dr. Nagels:

»Ich beobachte eben mit meinem Zehnzöller die Sonne...« In diesem Augenblick trat eine heftige atmosphärische Störung auf und trennte die Meldung. Earthcliffe hörte den Funkspruch mit listigem Schmunzeln.

»Na, schau du nur lustig mit deinem Zehnzöller! Diesmal, mein Freundchen, bist du der Blamierte! Dicht neben dir sitzt er, der wackre Don Ebro, und du hast geschlafen, m, v, i, t, cosinus 1500 y..., dreifach Integral nach dx, dy, dz...«

Wie ein Jongleur warf er Zahlen und Formeln, den Haarschopf zerzupfend. Die Arabesken des Teppichs umtanzten gespenstisch die hüpfenden Füße. Plötzlich stürzte der Alte sich auf seine Tafel. Durch einen einzigen Schaltergriff löschte er alles, was auf ihr geschrieben und mühsam geformt war. Kratzend fuhr ein quadratischer Filz wie ein Schwamm durch die Zahlen. In wenigen Minuten sah alles tiefschwarz aus.

»½ m v2,«, lachte Earthcliffe und sprang in den Sessel. »Sehen kann auch ein Laubfrosch, berechnen kann ich es nur!«

Ein kurzer Druck auf den Hebel, und wie eine riesige Spinne schoss lautlos der silberne Fahrstuhl nach oben.

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