Loe raamatut: «Venus in echt», lehekülg 2

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KAPITEL 3

Als ich am nächsten Nachmittag aus dem zu einem Bürogebäude umgebauten ehemaligen Lagerhaus im Londoner Eastend trat, nahm ich den Schneeregen kaum wahr, der mir ins Gesicht klatschte. Seltsam, wie nahe Desaster und Euphorie manchmal beieinander liegen, dachte ich. In der Nacht hatte ich kaum geschlafen und war immer wieder aus wüsten Alpträumen voller Hanteln stemmender Monster und dicker Pornoköniginnen aufgewacht. Jetzt schwebte ich fast über die mit Schneematsch überzogene Straße. Seit ich vor zwei Jahren das erste Mal als Elfenmagierin die Dracheninsel Oranthene im Spiel Knights of the Dragon Isle erkundet hatte, träumte ich davon, bei der Gestaltung dieser Welt mitzuarbeiten. Zu meinem Entzücken hatten mein Portfolio und mein Enthusiasmus Tamsin, die Kreativdirektorin von DrakeLore, tatsächlich überzeugt. In nur drei Monaten würde die Arbeit an Teil zwei beginnen, und ich würde mit den Genies zusammenarbeiten können, die sich diese opulente, komplexe Fantasiewelt ausgedacht hatten. Jetzt musste ich nur noch die Zeit bis dahin überbrücken, ohne vor lauter Ungeduld die Wände hochzugehen. Olga hatte mich für ein Kinderlernspiel namens Freche Früchtchen zum Thema Bio-Obst vorgeschlagen, an dem sie selbst mitarbeitete. Äpfel und Spargel zu zeichnen, würde natürlich nicht so spannend sein, wie Magier und Elfenkriegerinnen zum Leben zu erwecken, aber für eine Frau wie mich, die inzwischen wieder gerne kochte und aß, war das Projekt eine nette Zwischenlösung, und das Honorar konnte ich auch gut gebrauchen.

Die nächsten paar Stunden lief ich aufgeregt durch London. In jeder Statue glaubte ich, einen Ritter der Dracheninsel zu sehen und die Tauben, die frierend auf den Denkmälern hockten, verwandelte ich im Vorbeigehen in Jungdrachen. Erst, als mir so kalt war, dass ich glaubte, auf meinen Wimpern bildeten sich Eiskristalle, ging ich ins Hotel zurück. Jetzt, da meine Aufregung sich langsam legte, tauchten die Ereignisse des vergangenen Abends wieder vor mir auf. Christian, seine dicke Sonja und die verunglückte Begegnung mit Manfred. Ich setzte mich aufs Bett, starrte durch das Fenster, ohne die Nacht, die sich langsam über London legte, wirklich wahrzunehmen, und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Mir war, als hätte jemand all meine Glaubenssätze mit einem Langschwert zerschmettert, und ich hatte keine Ahnung mehr, was stimmte und was nicht. Was, wenn tatsächlich mehr Männer dicke Frauen mochten, als ich immer gedacht hatte?

Ich bestellte beim Zimmerservice Tee und Sandwiches und packte meinen Laptop aus. Zuerst suchte ich nach »Plus Size Porn« und fand jede Menge schlanker Männer mit Frauen, die das Doppelte bis Dreifache von ihnen ausmachten. Einige dieser Frauen waren noch viel dicker als ich. Die paar Male, die ich mich bisher auf Pornoseiten verirrt hatte, hatte ich die Filme mit dicken Frauen als Randphänomen für Fetischisten gehalten. Jetzt sah ich, dass sich offenbar ziemlich viele Menschen für »Fat Porn« und »Chubby Porn« interessierten. Warum eigentlich? Was fand ein Mann wie Christian an Sonjas Körper so besonders, so erotisch? Was hätte er an meinem Körper ansprechend und erregend finden können?

Ich klickte wahllos auf einen der Clips und sah einen riesigen runden Frauenhintern, der fast das ganze Fenster ausfüllte. Er bewegte sich auf und ab, und erst jetzt bemerkte ich, dass die Frau auf ziemlich schlanken Männeroberschenkeln saß und ein Schwanz sich von unten zwischen ihre Schenkel bohrte. Der Hintern wippte und wackelte, während der feuchte Schwanz in der Frau verschwand, kurz hervor kam und wieder versank. Hände kamen ins Bild, die den Hintern drückten und kneteten. »Oh, Baby, yesss«, stöhnte die Frau. Sie zog ihre mächtigen, mit einer dicken Göttin tätowierten Pobacken auseinander, damit die Kamera einen besseren Blick auf ihre Pussy hatte, während der Mann in sie eindrang. Er sagte etwas zu ihr, aber der Ton war schlecht und das schmatzende Geräusch von Fleisch, das auf Fleisch prallte, übertönte seine Worte.

Die nächste Einstellung zeigte das Paar von der Seite. Der Mann lag auf einem großen Sofahocker und die Frau thronte auf seinem Schoß, mächtig wie die Urzeitgöttin, die ihren Hintern zierte. Sie bog den Rücken durch, während sie auf seinen Schenkeln hin-und herwiegte. Er richtete sich auf und steckte sein Gesicht zwischen ihre massigen Brüste. Dann stieg sie von ihm herunter, legte sich auf den Hocker und spreizte ihre üppigen Schenkel so weit sie nur konnte. Er betrachtete einen Augenblick lang lüstern ihre mit einem leichten Feuchtigkeitsschleier überzogene Pussy, dann stellte er sich zwischen ihre Beine und drang tief in sie ein. Der schlanke Mann stieß in die dicke Frau, wieder und wieder, und versetzte dabei ihren gesamten Körper in Bewegung. Sein Blick klebte auf ihren Brüsten und auf seinen Schläfen sammelte sich Schweiß. Sie legte eine Hand auf ihre Pussy und streichelte sich selbst, während er sie vögelte. »Yes, Baby«, stöhnte sie. »Bring meine Dinger zum Hüpfen.«

Ich schaltete den Ton weg, weil mich das gespielte Stöhnen nervte, und sah mir das Video noch einmal an. Sah noch einmal ihr Fleisch sich bewegen, die Fülle ihres Körpers, den Ausdruck der Lust auf seinem Gesicht, und bemerkte die Wärme, die sich in meinem Schoß ausbreitete.

Ich verließ die pornografischen Seiten und sah mir Seiten mit Plus-Size-Mode und von Dicken-Aktivisten an. Ich fand tausende Einträge und Bilder, auf Webplattformen und Blogs, auf Tumblr, Facebook und YouTube. Ich sah dicke Frauen, die sich modischer, schicker und wilder kleideten, als ich es mich je getraut hatte. Frauen, die Stile von Vintage über Avantgarde bis Gothic durchprobierten und mit ihren Liebhabern und Ehemännern posierten. Ich kam mir vor wie eine Figur in einem Spiel, die zu lange auf Level eins herumgekrochen war und schließlich feststellte, dass es mehr gab als nur ihr Dorf und den Wald darum herum. Dass es eine ganze Welt gab, mit Inseln und Bergen und Städten und Wüsten und Verließen. Eine Welt, von deren Existenz sie die ganze Zeit nichts geahnt hatte.

Auf dem Blog einer deutschen Plus-Size-Pinup-Liebhaberin fand ich eine Kolumne über dicke Fashionistas. Ich scrollte mich über die Seite und zuckte zusammen. Ein Bericht war Christians dicker Sonja gewidmet. Ich wollte die Seite schließen, zwang mich aber, genauer hinzusehen.

Ich musste wissen, was sie anders machte als ich. Ich sah Fotos von ihr, wie sie im Badeanzug am Strand posierte, im Ballkleid eine Festsaaltreppe hinunterlief und bei einer Rock ’n’ Roll-Party ihr Korsett zur Schau trug. Widerwillig gestand ich mir ein, dass ich Sonja schön fand, dass sie ein echter Vamp war, mutig und selbstbewusst. Ich konnte richtig sehen, dass sie sich in ihrer Haut wohl fühlte und dass sie sich sexy fand. Ich wusste nicht, worum ich sie mehr beneidete, um Christians Liebe oder um dieses Selbstvertrauen.

Als ich Stunden später meinen Computer zuklappte, fragte ich mich, wie es Sonja und all die anderen Frauen auf diesen Seiten geschafft hatten, sich so frei und sexy zu fühlen. Sicher, ich hatte beim Bauchtanzen und beim Aktzeichnen auf der Kunstuni gelernt, meine Rundungen einigermaßen zu akzeptieren. Autorinnen wie Natalie Angier und Naomi Wolf hatten mich gelehrt, meine Anatomie mit einer gewissen Faszination zu betrachten. Aber einen dicken Körper wirklich liebens- und begehrenswert finden? Immer, wenn eine dicke Frau das behauptete, dachte ich, dass sie sich selbst belügt. Wie konnten sich Menschen selbst lieben, wenn sie die ganze Welt mit Beleidigungen und Vorurteilen bombardierte? Wenn sie höchstens als Vorherbild einer Diätreportage vorkamen? Wenn Modeschöpfer sie immer nur in bunt bedruckte Säcke stecken wollten? Wenn ihnen Gesundheitsstatistiken nachzuweisen versuchten, dass sie die Krankenkassen zum Kollabieren brachten? Wie sollten sie sich da sexy fühlen?

Sonja tat es. Sie liebte ihren runden Körper, genauso wie die Plus-Size-Bloggerinnen, die dicken Models und die runden Pornostars, deren Clips von Millionen von Männern angeklickt wurden. Ein Gedanke formte sich in meinem Kopf: Wenn diese Frauen es konnten, wollte ich es auch lernen. Wollte es lernen, wollte herausfinden, was an meinem Körper sexy war. Wollte nachholen, was ich in Sachen Sinnlichkeit versäumt hatte. Ich wollte mich nicht wieder in den erstbesten verlieben und ihn mit etwas Pech wieder aus der Ferne anschmachten, sondern XP sammeln. Ich wollte Männer finden, die fette Frauen erotisch finden, und alles gutmachen, was ich verpasst hatte. Ich wollte den Teil von mir, der unter all den Unsicherheiten und Ängsten vergraben war, der sehnsüchtig und hungrig war, an die Oberfläche holen.

KAPITEL 4

Die Tänzerin warf dem Publikum kokette Blicke über die Schulter zu, als sie ihren Glitzer-BH öffnete. Dann drehte sie sich um und ließ den Büstenhalter von ihren Schultern gleiten, über Brüste und Bauch, die nicht viel kleiner waren als meine. Sie wirbelte den BH wie ein leuchtendes Windrad durch die Luft und ließ ihn auf den Bühnenboden fallen, wo schon ihr Korsett, die Strümpfe, die langen Handschuhe und der Rest ihres Kostüms lagen wie kleine, pink glitzernde Pfützen. Im Takt der Musik hob sie ihre Arme und setzte ihren üppigen Leib in Bewegung, sodass die Quasten der Pasties über ihren Brustwarzen sich drehten wie kleine Flugzeugpropeller. Das Publikum kreischte, lachte und applaudierte. Die Tänzerin, die sich »Dirty Martini« nannte, warf uns eine Kusshand zu und stolzierte von der Bühne.

»Ist sie nicht großartig?«, flüsterte Tamsin in meine Richtung.

Ich nickte. »Wie macht sie das?«

»Tassle twirling kann man lernen«, sagte Tamsin und zwinkerte mir mit einem verschwörerischen Lächeln zu.

Ich lächelte zurück. Anfangs war ich etwas verlegen gewesen, meine künftige Chefin ausgerechnet bei dem Striptease-Event in einem Vintage-Club in der Nähe der Brick Lane, den ich bei meiner Recherche im Internet gefunden hatte, über den Weg zu laufen. Doch Tamsin, die nur eine Kleidergröße weniger hatte als ich, schien sich über meine Anwesenheit zu freuen und steckte mich mit ihrem Enthusiasmus für Burlesque richtig an.

»Ich habe vergangenen Sommer einen Kurs an der New York School of Burlesque belegt, bei Jo Boobs«, erzählte sie mir. »In Wien gibt es sicher auch Kurse.«

»Müsste ich mal googeln.«

Vor zwei Tagen hätte ich beim Gedanken an so einen Kurs noch laut gelacht. Inzwischen fand ich die Idee zumindest überlegenswert.

Mein Blick fiel auf bestickte Korsagen, Tüllröcke, Federhütchen, Strasscolliers, mit Glitter überzuckerte Münder und Augen und falsche Wimpern, die bis zur Decke zu reichen schienen. Ich hatte noch nie so viele glamouröse Frauen in einem Raum gesehen. Aber das Schönste war, dass hier nicht alle Frauen so dünn wie Dita Von Teese waren. Einige der abendlichen Schönheiten entpuppten sich sogar als deutlich üppiger als ich.

Tamsin gehörte eindeutig auch zum Glitzervolk. Sie hatte ihre geschätzten neunzig Kilo elegant in Lagen von cremefarbenem Satin gehüllt, der sich hell von ihrer dunklen Haut abhob, und auf ihren üppigen Afrolocken thronte kokett ein silbrig glitzernder Minizylinder.

In meinem dunklen Rock und dem schlichten Spitzentop kam ich mir neben ihr vor wie Andersens Entlein in einer Vorstellung von Schwanensee. Ich hatte heute zwar die Einkaufsstraßen von London abgeklappert und meinen Koffer mit Kleidern und Dessous gefüllt, die ich in Wien nicht bekommen konnte – mehr Spitze, mehr Farbe, wildere Schnitte und tiefere Dekolletés, Stickereien, Pailletten, und hübschere Dessous, als ich sie je besessen hatte – aber die ausgefallensten Sachen hatte ich in einem kurzen Anflug von Schüchternheit im Hotel gelassen. Ein Fehler, wie sich herausstellte.

Tamsin drehte sich zur Saaltür und winkte lächelnd einem Mann in einem Frack zu, der sich daraufhin seinen Weg zu uns bahnte. Er küsste Tamsin, sobald er sie zu fassen bekam, und meine neue Chefin drehte sich zu mir um. »Darf ich dir meinen Freund Colin McCutcheon vorstellen?« Sie hängte sich bei ihm ein und drückte ihren Körper an den Mann, der aussah wie ein Elitesoldat aus einem Ego-Shooter, den jemand gegen seinen Willen in Abendkleidung gesteckt hatte.

»Sehr eleganter Frack«, sagte ich. »Leibwächter bei der Queen?«

Colin lachte. »Oboe im Orchester der English National Opera.«

Als er meine vor Überraschung hochgezogenen Augenbrauen bemerkte, wurde sein Gesicht weich, und ich verstand, was Tamsin an Colin anziehend fand.

»Vor ihm habe ich immer geglaubt, dass sich im Netz keine Männer mit Klasse herumtreiben«, sagte Tamsin und drückte ihrem Geliebten einen Kuss auf die Wange.

»Was für eine Plattform war das?« Ich lächelte die beiden an. »Da sollte ich auch mal vorbeischauen.«

»Bist du auf der Suche?«, fragte Tamsin.

»Sozusagen. Ich fürchte nur, die herkömmlichen Datingseiten geben für Frauen wie mich nicht viel her.«

»Vergiss die üblichen Plattformen, und versuch es lieber auf den Seiten für Liebhaber von Plus-Size-Frauen«, sagte Colin. »So habe ich diesen Schatz hier gefunden.« Er hauchte Tamsin einen Kuss auf die Stelle zwischen Ohr und Nacken.

Ich glaubte, Tamsins Erregung bis zu mir spüren zu können. Beim Anblick ihres Glücks fühlte ich eine Welle der Sehnsucht über mich schwappen, so heftig, als würde all mein aufgestauter Hunger auf einmal über mich hereinbrechen. Ich entschuldigte mich bei den beiden und lehnte mich im Waschraum des Clubs an die portweinrote Samttapete. Dabei betrachtete ich mein Gesicht und mein Dekolleté im Spiegel, der meinen Kopf und meinen Oberkörper einrahmte wie eine kleine runde Kamee. Wenn Tamsin und Colin einander gefunden hatten, gab es auch Hoffnung für mich, dachte ich. Die Welt da draußen war voller Männer, die auch Frauen wie mich erotisch fanden. Ich durfte auf der Suche nach ihnen nur nicht wieder in meine dummen alten Muster verfallen.

Ich lächelte mein Spiegelbild an. Was, wenn ich das Ganze wirklich wie ein Abenteuer sah, wie eine Quest, eine Mission in einem Computerspiel? Statt Drachen würde ich Prinzen jagen, und die Prinzessin, die sich befreite, war ich selbst.

Ein Grummeln meines Magens übertönte die Elektro-Swing-Musik, die durch die Türen des Waschraums drang. Mir fiel ein, dass ich nichts mehr gegessen hatte, seit ich mich am Nachmittag in eine kleine Sushibar bei der Oxford-Street verirrt hatte. Ich ging zur Bar, kaufte mir ein paar Erdbeeren in Schokolade und ein Glas Sekt, und setzte mich auf einen der alten Hocker. Langsam führte ich eine Erdbeere zum Mund. Zuerst schmolz die Schokolade auf meiner Zunge und überzog die Papillen mit einer weichen Schicht aus Fett und Kakao, dann schmeckte ich das süßherbe Fruchtaroma. Ich seufzte, griff nach einer weiteren Erdbeere und bemerkte dabei einen Mann, der an der Wand neben der Bar stand und mich anstarrte. Er war kaum größer als ich, und mit seiner Cargohose und seinem schwarzen T-Shirt schien er so gar nicht zur den prachtvoll hergerichteten Burlesque-Fans zu passen. Er bemerkte zuerst gar nicht, dass ich ihn ansah. Seine Augen schienen an meinem Mund zu kleben, als könnte er es gar nicht erwarten, bis ich abbiss. Ich tat ihm den Gefallen, und er verzog lustvoll sein Gesicht. Die Schluckbewegung seines Adamsapfels konnte ich sogar im Dämmerlicht der Bar ausmachen.

Der Blick des Mannes traf meinen. Er grinste, und ich fragte mich, was die fetten Liebesgöttinnen, die in ihren Korsetts und auf ihren Stilettos durch den Burlesque-Club glitten, jetzt tun würden.

Ich stand auf und schlenderte zu ihm hinüber. Ich war mir dabei seines Blickes bewusst, der über meinen Körper glitt. »Beobachtest du gerne Frauen beim Essen?«, fragte ich ihn.

»Nur, wenn sie dick sind«, sagte er mit einem Akzent, der für mich schottisch klang.

»Wieso das denn?«

»Schau mich nicht so zweifelnd an. Ich bin ein Fat Admirer. Ich vergöttere Rundungen wie deine.« Er streckte mir seine Hand entgegen, die mir ziemlich schmal vorkam. An sich selbst schien er Fett weniger zu bewundern, dachte ich.

»Jeffrey MacAlpine.«

Also wirklich ein Schotte.

»Ich bin hier Bühnenmanager und beobachte dich schon eine ganze Weile vom Backstagebereich aus. Willst du mal sehen, wie es hinter den Kulissen zugeht?« Er deutete auf meine Erdbeeren. »Dort finden wir auch sicher noch etwas zu essen für dich.«

Die alte Romy hätte so ein Angebot entschieden abgelehnt. Ich war aber auf einer Quest, also zwang ich mich, den Anfall von Schüchternheit und Unsicherheit zu überwinden, der mich bei seinem Angebot überkam. Ich biss in eine Erdbeere. »Ich verabschiede mich nur schnell bei meinen Freunden, dann kannst du mich in dein Reich entführen«, sagte ich.

Kurz darauf saß ich hinter der Bühne in einem Kämmerchen zwischen Kabeln, Lampen und Kisten, aus denen Federn, Jonglierbälle und glitzernde Stoffballen quollen. Auf einem kleinen Tischchen zwischen Jeffrey und mir drängten sich eine große Teekanne, Teller, Tassen, Milch- und Oberskännchen und eine Etagere voller Sandwiches, Törtchen und anderer Häppchen, die er irgendwo aufgetrieben hatte.

»Willst du die Scones probieren?«, fragte Jeffrey. »Am besten schmecken sie mit Marmelade und clotted cream.«

Ich nahm mir einen Scone, bestrich ihn mit der steifen Oberscreme und Erdbeerkonfitüre und biss hinein. »Herrlich«, sagte ich.

Jeffrey nippte an seinem Tee ohne Milch und ohne Zucker. »Du hörst sicher von vielen Männern, wie hübsch du bist«, sagte er. Dabei beugte er sich vor, wischte mir etwas Obers aus dem Mundwinkel und ließ seinen Blick tiefer in mein Dekolleté gleiten, in das sich ein paar Brösel verirrt hatten. »Probier auch die Sandwiches«, sagte er.

»Was ist mit dir?«, fragte ich. »Hast du gar keinen Hunger?«

»Für mich ist es Vergnügen genug, dich essen zu sehen.«

Das höre ich zum ersten Mal von einem Mann, dachte ich. Harry, meinem ersten Liebhaber, war mein Appetit herzlich egal gewesen, und Bert, mein zweiter, hatte es lieber gesehen, wenn ich hungerte und trainierte. Langsam führte ich meinen Zeigefinger zum Mund und lutschte einen Marmeladerest ab. Jeffreys Wangen hoben sich, und seine Lider sanken halb über seine Pupillen.

Interessant, dachte ich. »Du beobachtest also gerne runde Frauen beim Essen?«

»Ja«, sagte Jeffrey. »Ich liebe es auch, wie der Stoff ihrer Kleider sich über ihre Kurven spannt, über ihre Hintern und Schenkel und Bäuche. Von dir könnte gerne noch ein bisschen mehr da sein. Ich war mal mit einer Supersize Big Beautiful Woman zusammen, gegen die bist du ein Federchen.«

Ich sah ihn überrascht an. Zu dünn hatte mich bisher noch niemand gefunden. »Was genau findest du an dicken Frauen so aufregend?«

»Es gibt Freuden, die einem Mann nur ein dicker Körper schenken kann«, sagte Jeffrey.

Ich fragte mich, ob er vom Körpergefühl redete, oder von speziellen Praktiken. Bei meinen Recherchen hatte ich allerdings keine Hinweise auf unterschiedliche Spielarten gefunden. Die Darsteller der Erotikclips hatten Sex wie andere auch, nur dass sie auf besonders akrobatische Einlagen verzichteten. »Was genau meinst du damit?«

»Das sollte ein Mann einer Frau nicht erzählen, sondern zeigen«, sagte Jeffrey. »Zerreden zerstört den Zauber.«

Konnte ich mir vorstellen, mir von ihm zeigen zu lassen, was genau er meinte? Jetzt, wo ich ihn etwas genauer betrachtete, erinnerte Jeffrey mich ein bisschen an eine britische Version von Christian, mit den rostroten Haaren, den Sommersprossen und dem langen, dünnen Bubengesicht. Als er mich mit den Fingerspitzen berührte, war ich überrascht, wie kühl seine Hand war, trotz der Hitze in dem engen Kämmerchen.

Ich nahm ein üppig mit Karamellcreme verziertes Törtchen vom Tisch und biss hinein. Eine Mischung aus geschmolzenem Zucker und weichem, flauschigem Biskuit überzog meine Zunge und ließ mich vor Wonne seufzen. Jeffreys Mundwinkel verzogen sich nach oben, und sein Blick klebte an meinen Lippen. Zwischen meinen Beinen wurde es warm und feucht. Der Gedanke, dass ich noch heute etwas lernen konnte, über meinen Körper, meine Sinnlichkeit, über mich, faszinierte mich mehr und mehr.

»Ich kenne einen Ort, wo es gemütlicher wäre als hier«, sagte Jeffrey.

»Ach ja?«

Er grinste. »Wesentlich gemütlicher.«

Mein Bauchgefühl riet mir dazu, nichts zu übereilen. Dummes Bauchgefühl, dachte ich. Es hatte mich vier Jahre an Christian verschwenden lassen. »Klingt gut«, sagte ich.

Keine halbe Stunde später nahm Jeffrey mir in seiner Wohnung den Mantel ab. Ich fühlte mich mutig, verwegen, fast wild. Trotzdem hatte ich Olga auf dem Weg hierher, unterwegs durch die ruhigen Wohnstraßen von Bethnal Green, eine SMS mit Jeffreys Adresse geschickt, als kleine Vorsichtsmaßnahme.

Jeffrey verschwand in der Küche und ich sah mich in seinem Wohnzimmer um. Mir fielen ein Regal auf, das vor lauter Kochbüchern überquoll, und ein Barhocker, dessen Beine aussahen, als hätte Jeffrey unten ein Stück abgesägt. Vielleicht war ihm der Hocker einfach zu hoch gewesen, dachte ich, ein mythischer Riese war er ja nicht gerade.

Ich setzte mich auf die Couch und zupfte meinen Rock zurecht, so, dass der Stoff nach oben rutschte und meine Knie und den unteren Rand meiner Oberschenkel freilegte. Mal sehen, was der Abend so bringen wird, dachte ich.

Jeffrey brachte eine Kanne Tee und einen Teller voller Sandwiches, die nicht so aussahen, als hätte er sie selbst gemacht. »Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich natürlich etwas gekocht«, sagte er. Er nahm meine Hand und streichelte sie. »So hübsche, runde Fingerchen.« Seine kühlen Finger tanzten leicht über meine Haut und sein Blick war voll echter Bewunderung. Schweigend sah er zu, wie ich zwei der Brötchen genoss.

Als ich ein drittes dankend ablehnte, war er so enttäuscht, dass ich es trotzdem noch aß.

»Warum bist du eigentlich mitgekommen, Romy?«, fragte er.

Ich hatte den Eindruck, dass die Erregung seinen schottischen Akzent verstärkte.

»Du hast mich neugierig gemacht«, sagte ich. »Ich will wissen, was ein Körper wie meiner hat, das ein dünner nicht hat.«

Er erhob sich, nahm meine Hand und führte sie an den Mund. Kühle Lippen berührten meinen Handrücken. »Darf ich es dir jetzt zeigen?«

Mein schlechtes Bauchgefühl von vorhin kam mir dumm vor. Ich spürte, wie die Erregung in mein Becken floss und sich Feuchtigkeit zwischen meinen Schenkeln ausbreitete.

»Entschuldigst du mich kurz?«, fragte ich.

»Lass mich nur nicht zu lange warten.«

Ich trollte mich ins Bad, das genauso bieder und langweilig wie der Rest der Wohnung war. Wegen der seltsamen englischen Armaturen wusch ich meine Hände abwechselnd mit eiskaltem und brühheißem Wasser, zupfte dann meine Haare zurecht und zog mein Top etwas nach unten. Dann stutzte ich. Im Spiegel sah ich hinter mir mehrere große Trichter auf dem Badezimmerschrank. An den Spitzen von zweien waren lange Schläuche befestigt, die aufgerollt auf dem Schrank lagen. Was machte Jeffrey damit? Hatte der arme Kerl ein Verdauungsproblem, oder waren die Utensilien für dunklere Rituale gedacht? Sollte ich mich nicht doch rasch verabschieden und ins Hotel zurückfahren? Nein, dachte ich. Die Erfahrung mit Jeffrey ist Teil deiner Quest, Romy. Zieh das jetzt durch.

Jeffrey empfing mich in einem schwarzen Satinmorgenmantel, der ihm bis zur Mitte der rötlich behaarten Waden reichte und der inmitten der unauffälligen modernen Möbel viel zu pompös aussah. »Komm mit, damit ich dich anbeten kann«, sagte er.

Ich folgte ihm ins Schlafzimmer. Mein Blick fiel auf die Kunstdrucke über seinem Futonbett, nackte Venusfiguren von Botero, Gauguin und Kustodijew, dazwischen Postkarten von fetten Frauen in Pinup-Posen und Schwarz-Weiß-Bilder von Wagnersängerinnen vergangener Epochen. In einer Ecke stand noch so ein Barhocker mit abgesägten Beinen. Ich hatte Lust, Olga anzurufen und um Rat zu fragen, aber das ging jetzt nicht mehr.

Jeffrey setzte sich auf die Bettkante. Ich beugte mich zu ihm und wollte ihn sanft auf die Lippen küssen, doch er wich zurück. »Ich würde gerne zusehen, wie du dich ausziehst«, sagte er.

Na gut, dann eben gleich zur Sache, dachte ich. Für einen Moment war ich versucht, Dirty Martinis Burlesque-Performance zu imitieren, ließ es aber bleiben. Ich würde mich vermutlich hoffnungslos in meinen Kleidern verheddern. Also zog ich mich so elegant ich konnte aus, neugierig auf seine Reaktion.

Jeffrey starrte mich an, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln. Meine leichte Anspannung schien er nicht zu bemerken, er schaute nur auf meinen Bauch, meine Hüften und meine Schenkel. Sein Blick schien jede Wölbung und Erhebung genau zu kartografieren.

»Darf ich dich noch genauer ansehen?«, fragte er.

Ich nickte verhalten.

Jeffrey ging langsam um mich herum und sank hinter mir auf die Knie. Er fasste mich nicht an, sondern schien einfach nur meinen breiten Hintern und meine dicken Oberschenkel zu betrachten. Ich drehte meinen Kopf und sah ihn hinter mir knien, ganz in sich versunken, fast wie in einer Meditation. Eine Stimme tauchte in meinem Kopf auf. Sie fragte, was ich da eigentlich machte. Eine andere mischte sich ein und befahl mir, stillzuhalten. Nur nicht zu grübeln beginnen, Romy. Es geht nur um XP, also kannst du nur gewinnen.

Jeffrey stand auf und legte sich auf die Matratze. »Setz dich auf mich«, sagte er.

Ich versuchte, aus seinem Wunsch schlau zu werden. Um mich auf seinen Schoß zu setzen und ihn in mich eindringen zu lassen, war es noch zu früh. Was hat er vor, fragte ich mich, während ich auf das Bett kletterte und spürte, wie die dicke Matratze unter meinem Gewicht einsank. Vorsichtig kniete ich mich über seine Schultern, sodass meine Pussy über seinem Gesicht war.

Jeffreys Hand grub sich in meinen Schenkel. »Nicht so«, sagte er. »Setz dich auf meinen Oberkörper. So richtig, mit dem ganzen Hintern«.

Ich fragte mich, ob ich nicht zu schwer war für diesen schmächtigen schottischen Kerl. Vorsichtig setze ich mich auf seine Brust und spürte seine wenigen Härchen an meinem Hintern und an meinen Oberschenkeln. Sein Stöhnen war ein unerwartet tiefer Laut, als würde gerade alle Luft aus seinem Körper entweichen. Ich hoffte, dass mein warmer Körper die Kälte seines Körpers vertreiben würde. Mein Hintern bedeckte den Großteil seines Torsos. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen, dachte ich, und griff hinter mich, um mich abzustützen und ihn zu entlasten.

Er stieß meine Hand zur Seite. »Nicht«, keuchte er.

Anscheinend wollte er wirklich mein ganzes Gewicht auf sich spüren.

»Du machst das genau richtig«, brachte er hervor.

Ich legte meine Hände in den Schoß und wartete. Mein Blick glitt über die runden Frauen auf den Postern und ich fragte mich, wie oft sie wohl schon Zeuginnen von Jeffreys kleinen Ritualen geworden waren. Schade, dachte ich, dass sie nicht reden können.

Ich wartete weiter. Mehrere Minuten vergingen. Nichts geschah. Nur ab und zu drang ein Stöhnen aus Jeffreys Mund. Er hatte die Augen geschlossen und sah aus wie in Trance. Sein Schwanz war nur halb steif und wippte bei jedem Stöhnen über den rötlichen Locken, aus denen er herauswuchs. Als ich ihn anfassen wollte, schob Jeffrey meine Hand weg. Allmählich langweilte ich mich. Ich war mir nicht sicher, was genau ich mir vorgestellt hatte, das war es jedenfalls nicht.

Jeffrey kniff den Mund zusammen. »So richtig dick bist du eigentlich nicht.«

»Wie würdest du rund hundert Kilo denn sonst bezeichnen?«

»Als mittelprächtig. Ich war mal mit einer 240-Kilo-Frau zusammen«, keuchte Jeffrey. »Oh, Himmel, unter der bin ich verschwunden.«

Das konnte ich mir gut vorstellen. Schon ich fühlte mich auf Jeffrey wie eine Fruchtbarkeitsgöttin, die sich irrtümlich auf einen Volksschüler gesetzt hatte. Seine Hüftknochen drückten sich unangenehm in das Fleisch meines Hinterns, und ich rutschte auf seinem Torso herum, um bequemer zu sitzen.

Jeffrey hatte die Augen noch immer geschlossen, als würde er sich auf seine wachsende Erregung konzentrieren. Während mir zusehends kalt wurde, richtete sich zumindest sein Schwanz auf, ein langsamer Lindwurm, der aus einem tiefen Traum erwachte. Langsam kam mir die Situation etwas absurd vor. Ich saß nackt auf einem fremden Mann, der mich kaum wahrzunehmen schien und spürte eine Gänsehaut auf Rücken und Waden, die definitiv nicht von meiner Erregung kam. Schließlich hatte ich genug. Ich erhob mich und verschränkte die Arme vor den Brüsten.

Jeffrey schien enttäuscht, sagte aber nichts. Stattdessen nahm er mich an der Hand und führte mich zu dem Barhocker in der Ecke des Raums. Ich sah mich nach meinen Kleidern um und war jetzt richtig froh darüber, dass Olga Bescheid wusste, wo ich war. »Was ist das für ein Ding?«, fragte ich und deutete auf den Hocker.

»Du wolltest doch wissen, welche Freuden ein dicker Körper einem Mann schenken kann«, sagte er.

Wollte ich das? Inzwischen war ich mir da nicht mehr so sicher.

Jeffrey lächelte. »Nimm bitte Platz. Ich bin sicher, dass du so etwas noch nie gemacht hast.«

Einfach gehen oder noch ein bisschen mitspielen? Ich überlegte. Jeffrey war vielleicht ein bisschen irre, aber er kam mir nicht gefährlich vor. Außerdem hatte ich die Situation im Griff, ein so schmächtiges Männchen, wie er es war, konnte ich notfalls einfach am Genick packen und schütteln. Also würde ich auch das nächste Level mitspielen und sehen, was passierte. Ich erwartete mir nichts mehr, frustrierender als bisher konnte es nicht werden. Zumindest würde ich am Ende alles über Typen wie ihn wissen.

Ich folgte seinem Wunsch und nahm auf dem Hocker Platz. Jeffrey griff nach einer Tube Gleitgel, die am Fensterbrett lag und die ich bisher übersehen hatte.

»Wenn du dir ein bisschen Mühe gibst, brauchen Frauen so was gar nicht«, sagte ich.

»Das wird nicht das übliche, einfallslose Reinstecken, falls du das meinst«, sagte er.

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