Um die noch nicht geregelte Frage der Nachfolge im Reiche zu ordnen, beraumten die Kurfürsten auf Michaelis 1611 eine Versammlung in Nürnberg an, auf welche die Stadt sich den Sommer über in fröhlicher und sorglicher Geschäftigkeit vorbereitete. Es erforderte reifliches Bedenken, wo und wie ein jeder nach seiner Würde solle einquartiert werden, und wenn dies auch zum Teil dem Erbmarschall Pappenheim, als dem Quartiermacher, oblag, so ging der Verkehr mit diesem wegen der vielfach sich kreuzenden Befugnisse nicht ohne Vorsicht und Spitzfindigkeit vonstatten. So waren einige Männer auf den Einfall gekommen, während des Kurfürstentages einen Glückstopf zu eröffnen, und hatten sich wegen der Erlaubnis an Pappenheim gewendet, dieselbe auch erhalten. Als sie dann den Rat in zweiter Stelle angingen, erteilte ihnen dieser einen gänzlichen Abschlag und steckte sie zum Beispiel und zur Lehre, obwohl sie zu den ehrbaren Bürgern gehörten, für mehrere Tage ins Loch; denn bei den überall ausschlüpfenden Prätentionen der Fürsten und des Adels galt es von vornherein, den Untertanen die Hoheit zu weisen.
In der sich täglich mehr mit Fremden füllenden Stadt musste streng auf Ordnung gehalten werden. Da kamen Pastetenbäcker aus Lothringen, Spitzenverkäufer aus Lyon und Perlenhändler aus Marseille, und wenn das neugierige Volk daran Ergötzen hatte, so ereiferte sich das einheimische Gewerbe, dem dadurch Schaden drohte. Die jeweiligen Beschwerden wollten gründlich untersucht werden, wie denn die Klage der Uhrmacher, dass sie auf dem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1582 nicht zugelassen worden wären, richtig befunden und die Augsburger Uhrmacher daraufhin füglich abgewiesen werden konnten. Misshelligkeiten waren vor allen Dingen infolge des Zusammenströmens verschiedener Bekenntnisse in der Stadt zu befürchten, und es wurde deshalb der Geistlichkeit mehrfach und nachdrücklich eingeschärft, sich während dieser Zeit des überflüssigen Kritisierens und Fantasierens zu enthalten, vielmehr bescheidentlich bei der Auslegung des Textes zu bleiben.
Lustige Tage waren es, als unter heiterem Spätsommerhimmel die hohen Personen nacheinander mit ihrem Gefolge einrückten. Den meisten Beifall fand beim Volke Kurfürst Schweikhard von Mainz, des Reiches Erzkanzler, der, aufrecht und fröhlich im Wagen sitzend, nach allen Seiten grüßte und segnete, während der Kurfürst Ernst von Köln, abgemagert und trübsinnig, sich der Festfreude nur wie einer Mühseligkeit zu unterziehen schien. Am prächtigsten hergerichtet war der von Trier aus dem rheinischen Geschlechte der Metternich, ein schöner, blühender Mann mit krausem braunem Haar, schwungvoller Nase und hellglänzenden Augen, der sich wie ein Kavalier hielt und den Zuruf der Menge mit erhabenem und herablassendem Kopfneigen erwiderte. Von den weltlichen Kurfürsten fehlte der noch unmündige Pfälzer, an dessen Stelle die strittigen Vormünder, Herzog Johann von Pfalz-Zweibrücken und Herzog von Pfalz-Neuburg, ferner Großhofmeister Graf Solms und der Doktor Camerarius erschienen. Für den Kurfürsten Christian von Sachsen, dessen Händen kürzlich der volle Becher auf immer entfallen war, kam sein Bruder und Nachfolger, Johann Georg I., der froh war, bei diesem Anlass seine Würde zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zeigen zu können.
Sein Aussehen war einnehmend, sein Betragen bieder und umgänglich und sein Verhalten gegen die geistlichen Kurfürsten, die dem mächtigsten unter den evangelischen Fürsten überaus wohlwollend entgegenkamen, bescheiden und friedliebend. Ein unbeliebter Gast war Khlesl, der Bischof von Wien, der als Vertreter des Königs und Kurfürsten von Böhmen in einem an Pracht alle übertreffenden Aufzuge in Nürnberg einfuhr. Es nahm die Stadt nicht wenig wunder, dass der Verfolger der Ketzer, wenn er sich überhaupt in Nürnberg zu zeigen wagte, nicht wenigstens in der Stille und kleinlaut aufzog, anstatt dreist daherprunkend alle Augen auf sich zu ziehen. Wenn er über die Straße ging, hager, knochig und gelb, einen fetten Mönch zur Seite, pflegten ihm die Buben johlend und pfeifend nachzulaufen, sodass der Rat es für nötig hielt, die Lehrer zu besserer Zucht ihrer Schüler anzuweisen. Da aber ein Lehrer den Buben in der Schule ansagte, wenn sie etwa in dieser Zeit einen Teufel sähen, der einen Esel zur Hölle triebe, welche Anspielung auf den Namen des Bischofs von groß und klein verstanden wurde, sollten sie ihre Verwunderung nicht laut äußern, denn es geschehe mit obrigkeitlicher Bewilligung, so wurde das Gespött und Gelächter eher ärger als zuvor. Da dem Rate wohlbekannt war, wie ungern Khlesl auch von den Fürsten gesehen war, schritt er nicht schärfer ein, sondern ließ es bei den fruchtlosen Klagen des Bischofs bewenden.
Nachdem der obschwebende Streit zwischen Zweibrücken und Neuburg vorläufig beigelegt war, nahmen die Verhandlungen in dem großen Saale des Rathauses ihren Anfang, der mit den Bildnissen der Kaiser und mit einigen hochberühmten Kunstwerken, nämlich Dürers Adam und Eva und einer lieblichen Madonna des Lukas Cranach, ausgeziert war. Der Rat trug Sorge, dass auf dem Tische stets eine Schale voll Konfekt und eine Kristallflasche voll Malvasier stand, damit sich die Ratschlagenden unter der Arbeit daran erquicken könnten.
Zwischenhinein gaben die Fürsten Bankette, bei denen der eine den anderen durch immer köstlichere Leckerbissen zu übertrumpfen suchte, welcher Wettstreit keine Empfindlichkeit erregte, vielmehr den Witz und die Laune reizte. Den größten Erfolg erzielte der Kurfürst von Köln, der, seit er sich im Trinken mäßig verhalten musste, desto lieber mit Konfekt umging, durch kunstvolles Zuckerwerk, das er aus Amsterdam bezogen hatte. Es erschien in Gestalt von Wurst, Schinken, Semmeln, Krautköpfen und anderen Esswaren und ahmte dieselben in frischer, richtiger Färbung so gut nach, dass sich die Unbefangenen über seine Natur täuschten. Namentlich der Kurfürst von Sachsen konnte nicht aufhören, diese neckische Bäckerei zu bewundern, und schmeichelte dem Erzbischof immer wieder ab, ein neues Stück anzuschneiden, damit er sich überzeuge, ob es echt oder wirklich nur Konditorwerk sei. Es wurde nicht ohne verstohlene Späße bemerkt, dass der Erzbischof, welcher als geizig bekannt war, zwischen dem Vergnügen, seine Leckerbissen gewürdigt zu sehen, und dem Unmut, so viel davon zu verlieren, schwankte; auch wurde er gesehen, wie er einem abtragenden Diener, der von den Überbleibseln naschte, eine Maulschelle versetzte und ihm befahl, sie sorgsam zu verpacken und nach Köln in seine Residenz zu schicken.
Bei den Turnieren trug zur Freude der Nürnberger der Pfälzer Obentraut die meisten Siege davon, ein fröhlicher Mann mit kühnen, aufrichtigen Augen, der bei den Katholiken kaum minder beliebt war als bei seinen Glaubensgenossen. Als der Kurfürst von Mainz ihm einen prächtigen Türkisring als Schwertdank zu überreichen hatte, legte er dem vor ihm Knienden die Hand auf den Kopf und sagte: »Bist du, mein Sohn, auch nicht aus demselben Weihbecken in der Kirche getauft, so doch wie ich aus dem Rheine«, was mit Beifall aufgenommen und weitererzählt wurde.
Freilich hatte der Rat im Stillen ein mühseliges Steuern und Ausbiegen, um allerlei Anstoß zu vermeiden. So ereignete es sich, dass trierische Knechte ein kleines achtjähriges Mädchen, das still für sich mit Murmeln auf der Straße spielte, in ein Wirtshaus lockten, um es für ihre schändliche Lust zu gebrauchen, und dass ein gutherziger Fassbindermeister, der dazukam und sie hindern wollte, schwer verwundet wurde. Der Rat hätte die Missetäter gern nach Verdienst bestraft gesehen, scheute sich aber doch, den feinen und großartigen Kurfürsten von Trier mit einer so hässlichen Sache zu behelligen, und überredete deshalb den Verwundeten und seine Frau, sich mit einem reichlichen Schmerzensgeld zufriedenzugeben.
Ferner hatte man dem Herzog von Zweibrücken gestattet, seinen Hofprediger Petiscus öffentlich predigen zu lassen, trotz gerechter Besorgnis, er möchte die kalvinische Religion einzuschmuggeln versuchen; aber man hätte den Unrat lieber mit Schweigen zugedeckt als die Aufmerksamkeit darauf hingelenkt, wie es nun der kursächsische Hofprediger Hanisch tat, indem er in seinen Predigten anzüglich darüber stichelte. Auch die eigene Geistlichkeit gab manches zu schaffen, besonders der Pastor Mannich, der sich leider des Samstags zu betrinken pflegte und infolgedessen am Sonntag auf der Kanzel, die er unvorbereitet und noch nicht ganz ernüchtert betrat, allerhand Seltsamkeiten vorbrachte, besonders dem Rat dies und jenes aufmutzte, was dem niederen Volke ein beliebter Ohrenschmaus war. So klagte er jetzt, dass einem ehrliehen nürnbergischen Untertan, der sich während des Kurfürstentages auf dem Seil hatte sehen lassen wollen, dies als eine unnütze und gottlose Gaukelei verboten sei, während hernach ein angeblicher Meister aus Frankreich, der doch nur ein gemeiner Bortenwirker aus Schwaben sei, die Erlaubnis erhalten habe, indem die Ausländer stets begünstigt und die Einheimischen an ihrem Brot verkürzt würden. Mit diesem Mannich war es schwer, etwas auszurichten; denn zuweilen predigte er so herrlich, dass es allen Zuhörern durch Mark und Bein ging und man meinte, der selige Luther selbst sei zum Troste der Gemeinde wieder auferstanden.
Gegen Ende November nahm der Kollegialtag sein Ende, nachdem die Kurfürsten den Beschluss gefasst hatten, sich im Mai des nächsten Jahres zur Wahl eines römischen Königs von Neuem zu versammeln. Noch vor diesem Zeitpunkt indessen klärte sich die Lage, indem Kaiser Rudolf an der Wassersucht erkrankte und aus dem Leben schied.
Seit Matthias König von Böhmen geworden war, entwarf der Kaiser Pläne, um sich wieder in Besitz der verlorenen Macht zu setzen, wobei sein Vertrauter der Markgraf von Ansbach war, der sich in Prag aufhielt, um die Umstände für seine Glaubenspartei auszunützen. Rudolf zeichnete ihn sichtbar aus, führte ihn in seine Kunstkammer, zeigte ihm seine Bilder und Raritäten, schenkte und versprach ihm auch manches und gewährte ihm lange Unterredungen. Die Aufforderung des Markgrafen, er solle die Prager Burg, wo er wie ein Gefangener lebte, heimlich verlassen und ihm ins Reich folgen, wo er mit Jubel und Ehrfurcht empfangen werden würde, versprach er zu erwägen. Viel lieber aber malte er sich aus, dass er nach Tirol gehen wolle, und vertiefte sich in ein Buch, das der belgische Maler Roelant Savery in seinem Auftrage angefertigt hatte und das die Gebirge dieses von ihm über alles geliebten Landes darstellte. Wenn er es durchblätterte, träumte er von dem Glück, in dieser Einsamkeit zu leben und die wilden Umrisse, an denen die zackigen Wälder hinaufkrochen und die die Wolkengeister umtanzten, als ein verschollener Beschauer in sich aufzunehmen. Ein Reisewagen stand bereit, um ihn jeden Augenblick dahin oder dorthin führen zu können; aber jeden Plan durchkreuzte ein anderer, wie er denn auch damit umging, der Witwe Heinrichs IV., Maria von Medici, seine Hand anzutragen und durch diese vornehme Heirat seinen Bruder Matthias gründlich zu beschämen.
In einer stürmischen Winternacht stand der Kaiser vom Bett auf und verbarg sich jammernd in den dunklen Gängen der Burg; denn der Teufel, dem er sich verschrieben habe, sagte er, klopfe ans Fenster und wolle ihn holen. Wie er bald danach erkrankte und schwächer wurde, hörten diese ängstlichen Anfälle auf. Mit dem Beginn des Jahres 1612 bemerkte Rhutsky, dem die körperliche Pflege des Kaisers hauptsächlich oblag, allerlei Anzeichen, dass das Ende nicht mehr fern sein könne. Der arme Mann wusste wohl, dass er viele Feinde und Neider hatte, die nach dem Tode Rudolfs ihre Wut an ihm auszulassen versuchen würden, und machte Pläne, um mit dem Vermögen, das er zusammengebracht hatte, aus Böhmen zu entweichen; aber wenn er den alten, ins Grab sinkenden Mann ansah, wurde sein Herz weich, und er beschloss, noch einen und noch einen Tag auszuharren. Hatte der Kaiser auch in seinen schlimmen Tagen zuweilen gegen ihn getobt, auch mit Messern und Tellern nach ihm geworfen, so hatte er das doch hernach mit freundlichen Worten und Geschenken gutzumachen gesucht, ja sogar Tränen darüber vergossen. Besonders seit er das Bett hüten musste, war er sanft und fügsam und sagte wohl, er habe sich als Knabe in Spanien nach Deutschland als nach seiner Heimat gesehnt; aber es sei die rechte Heimat nicht gewesen, und er sei froh, es zu verlassen.
An einem Morgen im Februar erwachte Rudolf mit der Frage, ob sein Löwe noch am Leben sei; es gab nämlich eine Prophezeiung, nach welcher er zugleich mit dem Löwen, den er im Zwinger hielt, sterben sollte, und die Nachricht, dass derselbe krank sei, hatte ihn deswegen beunruhigt. An Rhutskys Verlegenheit erkannte der Kaiser, dass der Löwe wirklich in der Nacht gestorben war; er wurde aber nicht dadurch niedergedrückt, sondern sagte, er wolle die Prophezeiung zuschanden machen, fühle sich wohl und wolle aufstehen. Auch solle sogleich ein Brief an die Witwe des Kurfürsten von der Pfalz, Juliane von Nassau-Oranien, aufgesetzt werden mit Heiratsvorschlägen, weil er sich der kalvinischen Partei, als der tatkräftigsten unter den Evangelischen, verbünden wolle. Diese Wendung seiner Politik setzte seine Umgebung wohl in Verwunderung, fand aber wenig Glauben; auch kam nichts davon zur Ausführung, da der Kaiser noch am selben Vormittage verstarb, noch nicht sechzig Jahre alt, nachdem er sechsunddreißig Jahre lang regiert hatte.
Sogleich nach seinem Tode wurde die Burg besetzt und die Mehrzahl der kaiserlichen Diener ins Gefängnis geworfen, darunter Rhutsky, indem zugleich sein Vermögen eingezogen wurde. Da Khlesl dem vieler Verbrechen Beschuldigten in bösen und höhnischen Worten die Folter androhte und er einsehen musste, dass er von keiner Seite Hilfe zu erwarten hatte, erhängte er sich, sodass nur noch sein Leichnam gevierteilt werden konnte.
Das überaus prächtige Trauergerüst, das zu Rudolfs Leichenfeier im Dome aufgerichtet war, kaufte der noch immer in Prag anwesende Herzog Heinrich Julius als Andenken für eine große Summe und führte es auf einem Wagen mit nach Wolfenbüttel, konnte sich aber nicht lange mehr daran erfreuen, da er schon im nächsten Jahre dem Kaiser im Tode nachfolgte.
Dem Matthias fiel nun auch die letzte und höchste der Kronen seines Bruders zu, und im Mai begab er sich mit seiner Gemahlin zur Kaiserwahl nach Frankfurt. Unterwegs verweilte er mehrere Tage in Nürnberg, um sich auszuruhen, denn er litt gerade unter einem heftigen Anfall seiner Gicht, wovon er bis zu den Feierlichkeiten frei zu werden hoffte. Beim Einzuge in Nürnberg gab es Misshelligkeiten: der Markgraf von Ansbach nämlich, mit dem die Stadt ohnehin nicht in gutem Einvernehmen war, behauptete, das Geleitsrecht zu haben, und pflegte beim Besuch hoher Gäste der Stadt zum Trotz gewaltsam davon Gebrauch zu machen. Darüber kam es zwischen den Nürnbergern und Ansbachern zum Streit, bei dem es mehrere Verwundungen absetzte und keiner den Sieg davontrug; wenigstens wichen die Ansbacher nicht vom Platze. Dieses Blutvergießen konnte nur als ein übles Vorzeichen ausgedeutet werden, und überhaupt machte Matthias keinen tröstlichen Eindruck. Er trug das Wams so lose, dass das Hemd am Halse hervorlugte, und seine Füße waren mit wollenen Tüchern umwickelt; so, die Beine auf einen Schemel streckend, empfing er die Abgeordneten der Stadt, die ihm den Wein als üblichen Willkommen überbrachten. Dagegen war die Kaiserin guter Dinge, dick, weiß und rot, mit Haaren von der rötlich-blonden Färbung, wie sie vielen Habsburgerinnen eigen waren. Von ihrer Vorliebe für Leckereien in Kenntnis gesetzt, überreichte der Rat ihr eine große Schale auserlesenen Konfekts, wovon sie beständig naschte, während sie in einem weltlichen Historienbuche las, danach sie verlangt hatte und das im Besitz der Welserischen Familie vorgefunden und ihr ausgeliehen war. Überhaupt suchte sie sich zu belustigen und war erfreut über die Gelegenheit, einer Geschlechterhochzeit zuzusehen, die eben in diesen Tagen stattfand. Ihr zuliebe legten die Frauen und Mädchen altertümliche Trachten an, die sonst bei den Vornehmen nicht mehr üblich waren, und sie sah allem vom Fenster aus mit lautem Vergnügen zu, in die Hände klatschend, wenn ihr etwas besonders gefiel. Die Kränzeljungfern ließ sie zu sich in das Gasthaus bitten, betastete ihre mit Seidenbändern verflochtenen Zöpfe, ob sie echt wären, und ließ sich ihre Heiratsaussichten von ihnen erzählen. Auch benützte sie die Gelegenheit, sich einen Aderlass praktizieren zu lassen, und der Barbier, der damit betraut wurde, konnte nicht genug von ihrem fetten weißen Arm erzählen und wie zutraulich sie ihn aufgemuntert habe, fest anzugreifen, da sie nicht zimpferlich sei. Es hatte ihr in Nürnberg so wohl gefallen, dass sie die Augen mit dem Tüchlein trocknen musste, als sie in der breiten Reisekutsche, neben ihrem wohlverpackten Gemahl sitzend, ein Büchslein voll Konfekt auf dem Schoße, zum Tore hinaus- und den Krönungsfeierlichkeiten entgegenfuhr.
Maximilian von Bayern führte mit Wolfgang Wilhelm von Neuburg viele Gespräche über den Glauben, wobei er alles das wiederholte, was er von den Jesuiten über die Wahrheit des katholischen Bekenntnisses gelernt hatte, während Wolfgang Wilhelm die lutherische Lehre so verteidigte, wie es ihm von Heilbrunner, dem Hofprediger seines Vaters, beigebracht worden war. Dabei gebot ihm der Umstand, dass Maximilian der Ältere war, eine gewisse Bescheidenheit, sodass dieser den Eindruck gewann, sein Schüler werde sachte von der Kraft seiner Beweisführung durchdrungen, und er müsse nur eine Weile zuwarten, um die Früchte seines Eifers zu ernten. Ohne dass etwas Entscheidendes geschehen wäre, reiste Wolfgang Wilhelm wieder ab. Magdalenas bewundernde und fast verliebte Blicke hatten ihm zwar wohlgetan, und obwohl sie blass und kränklich aussah, hatte sie ihm nicht übel gefallen, da sie klug und kräftig von Charakter zu sein schien; aber er konnte das argwöhnische Gefühl nicht loswerden, als sähen sie im Grunde alle ein wenig auf ihn herab, und das verstimmte ihn, wenn es ihn auch zugleich reizte und anzog. Dachte er an seinen Vater, so wurde ihm sehr unbehaglich zumute, und er verfolgte den Gedanken an die bayrische Heirat und alles, was damit zusammenhing, nicht weiter. Zu Hause jedoch gefiel es ihm gar nicht; stets kam es zu Wortwechseln zwischen ihm und seiner Familie, wie sehr er sich auch nach seiner Meinung bemühte, nicht merken zu lassen, dass sein Gesichtskreis sich inzwischen erweitert hatte. In seiner zweifelnden Stimmung beschloss er, sich am Hofe zu Berlin umzusehen, ob sich etwa dort eine Aussicht böte, die ihm Bayern entbehrlich machte. Der Kurfürst von Brandenburg näherte sich dem Plan einer ehelichen Verbindung seiner Tochter mit dem Neuburger behutsam; denn da er sich mit der Absicht trug, öffentlich zum reformierten Glauben überzutreten, wäre ihm eine kalvinische Heirat lieber gewesen. Immerhin wurde ein festliches Essen veranstaltet, wobei sich eine engere Vertraulichkeit entfalten und die Verlobung eingeleitet werden sollte. Die Prinzessin war ein wenig schnippisch und kicherte, anstatt des Freiers Anreden schicklieh zu beantworten; dazu kam, dass die Überheblichkeit, der er hier begegnete, ihn weit mehr ärgerte als die am Münchner Hofe, wo denn doch weit mehr Anstand, Pracht und fürstliches Wesen herrschte. Er gab also zu verstehen, dass er die brandenburgischen Ansprüche an Jülich-Cleve nicht hoch anschlug und voraussetzte, der Kurfürst werde es wohl zufrieden sein, sie mit der Tochter an ihn, als den eigentlichen Erben, abzutreten. Darüber brauste der Kurfürst seinerseits auf und sagte, dass Wolfgang Wilhelms Mutter sich eigentlich durch einen Verzicht ihres Anteils an der Erbschaft begeben habe, nun wolle er das Ganze und seine Tochter noch dazu, die von polnischer, schwedischer und dänischer Seite her Anträge habe und außerdem gar nicht von Berlin fort wolle. Die Prinzessin, sagte Wolfgang Wilhelm, dürfe es sich bei ihm gefallen lassen; in Düsseldorf sei guter Wein und in Neuburg gutes Bier, während in Berlin nicht einmal das Wasser gut sei. Diese Keckheit erzürnte den Kurfürsten so, dass er, ohnehin vom Trunk erhitzt, dem neuburgischen Prinzen eine Ohrfeige versetzte, womit das Gastmahl und die Werbung ein plötzliches Ende nahmen.
Mit dem Gefühl der Rachsucht verließ Wolfgang Wilhelm Berlin und reiste schnurstracks nach München, entschlossen, sich nunmehr Maximilian in die Arme zu werfen. Der katholischen Glaubenslehre, die ihm namentlich von dem gelehrten Jesuiten Reihing einleuchtend unterbreitet wurde, lauschte er bereitwilliger als früher, und nachdem er den Unterricht eine Zeit lang genossen hatte, erklärte er sich für überzeugt und von dem Wunsche beseelt, in den Schoß der Kirche zurückzukehren. Seine den Vater betreffenden Bedenken verstand Maximilian und verschmähte es, ihn in dieser Hinsicht zu drängen. Er möchte, schlug er vor, so schnell wie möglich den Übertritt vollziehen, weil in einer so hochwichtigen Heilsangelegenheit auch nicht ein Tag versäumt werden dürfe; aber im geheimen, damit sein Vater es nicht erfahre. Diesen solle er zunächst mit der Heirat zu befreunden suchen, was leichter gelingen werde, wenn der Gedanke an einen etwaigen Religionswechsel seines Sohnes noch gar nicht bei ihm aufgetaucht sei.
Dementsprechend verfuhr Wolfgang Wilhelm und malte dem alten Herzog aus, welche Hilfe er von dem mächtigen bayrischen Vetter haben werde, um seinen Anspruch auf Jülich durchzusetzen, wozu noch die Aussicht komme, Magdalena werde sich zum lutherischen Glauben bekehren lassen. Er schilderte die Prinzessin als verständig und tugendhaft, sodass er, wenn sie erst seine Frau sei, sie gewiss zur Einsicht des Besseren bringen und sie seinem Wunsche sich fügen werde. Hatte Philipp Ludwig geschwankt, ob er in die gefährliche Heirat willigen sollte, so wurde er durch die Aussicht auf diese Möglichkeit zu ihren Gunsten bewegt, und eine väterliche Neigung für das Mädchen, das er und sein treuer Heilbrunner mit der reinen Religion bekannt machen würden, ergriff sein Herz; nun erst fing er auch an den irdischen Vorteilen der Verbindung Geschmack zu gewinnen an. Vor der Hochzeit freilich, sagte Wolfgang Wilhelm, müssten die Bekehrungsversuche anständigerweise zurückgehalten werden, und es wurde festgesetzt, dass die Vermählung sowohl nach katholischem wie nach evangelischem Gebrauch vollzogen werde, damit der Glaube beider Teile zur Geltung komme und keinem von beiden ein Präjudiz geschehe.
Vorher unternahm Magdalena mit ihrem Vater eine Wallfahrt nach Altötting, um Gott zu danken, dessen weise Führung sie nun erst recht bewundern lernte; denn es zeigte sich ja, was er damit bezweckt hatte, dass er das Opfer ihrer Liebe zu Leopold von ihr forderte, weil er ihr ein weit schöneres Glück und dazu eine erhabene Aufgabe vorbereitet hatte. Auch der alte Herzog von Neuburg wiegte sich in Hoffnungen, die nur zuweilen durch aufsteigende Sorgen getrübt wurden. Eine Sicherheit hatte ihm Wolfgang Wilhelm für die künftige Bekehrung seiner Braut nicht gegeben; konnte der junge Mann nicht durch weibliche Künste und die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur sich haben verblenden lassen, dass er eine der Abgötterei verschworene Jesabel für ein frommes, verständiges Mädchen ansah? Wenn sie sich ihm widersetzte, welche Unzuträglichkeiten würden daraus entstehen, namentlich in Bezug auf die Kinder, die aus der Ehe erzielt werden würden; es war ja leider nicht anders, als dass die Frauen, und namentlich solche, die mit jesuitischen Kniffen umzugehen gewohnt waren, oft den Mann umgarnten, und er würde nicht immer da sein, um Wolfgang Wilhelm durch sein väterliches Ansehen zu stärken. Indessen suchte er solche Gedanken durch sein Vertrauen auf Gott zu bekämpfen, der die Wahrheit nicht zuschanden werden lassen würde.
Nachdem die Hochzeit in München mit großer Pracht begangen war, richtete Philipp Ludwig eine Nachfeier in Neuburg zu, die Kosten nicht scheuend, um dem bayrischen Gepränge nicht nachzustehen, wie denn weder ein Turnier noch ein Feuerwerk, noch auch eine Sauhatz fehlte. In der ersten Nacht brach aber nicht weit vom Schlosse eine große Feuersbrunst aus, die sich so gefährlich anließ, dass der alte Herzog seinen Sohn, der sich eben mit seiner jungen Frau zu Bette begeben wollte, herausklopfte, damit er sich auch wie die anderen Herren am Lösch- und Rettungswerk beteilige. Hier tat sich namentlich Prinz August, Wolfgang Wilhelms jüngerer Bruder, rühmlich hervor, und man sah mit großer Bewunderung seinen hochgewachsenen Körper und sein blondes Haupt unerschrocken zwischen Rauch und Flammen auf- und untertauchen. Philipp Ludwig und seine zur Schwermut neigende Frau standen unterdessen im Schlosse am Fenster, wo sie durch die kahlen Gebüsche, denn es war November, die schwarzen Donauwellen im düsteren Glutschein aufblinken sehen konnten, und beteten nicht ohne trübe Vorahnungen.
Von Neuburg führte Wolfgang Wilhelm seine Frau nach Düsseldorf und hätte sich der neuen Würde uneingeschränkt freuen können, wenn sein Beichtvater ihn nicht gedrängt hätte, nunmehr seine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche offen zu bekennen, weil dies zum Heil seiner Untertanen, die sich ihm anschließen würden und müssten, notwendig sei. Wolfgang Wilhelm wagte keinen Gegengrund zu äußern und ordnete, da es einmal sein musste, die Zeremonie festlich an, damit das vorauszusehende Murren des Volkes durch einen bedeutenden Eindruck überwältigt werde.
An den Hof von Neuburg waren zuweilen Gerüchte von einer großen Veränderung gedrungen, die in Düsseldorf im Schwange sei; aber Philipp Ludwig hatte es nicht laut werden lassen und sich einzureden gesucht, dass ein solcher Verrat seines Sohnes unmöglich sei. Endlich ließ er den Heilbrunner zu sich rufen und fragte ihn, indem er ihn scharf ansah, ob er glaube, dass Wolfgang Wilhelm seinen Gott und seinen Vater zugleich verraten habe? Heilbrunner schwieg eine Weile mit niedergeschlagenen Augen; dann sagte er: »Weil Euer Gnaden es mir befehlen, so will ich antworten. Ich habe mich lange gesträubt, es zu glauben, und mit Gott deswegen gestritten. Abraham hat Isaak unschuldig geopfert und David Absalom schuldig, und beide waren treue Knechte Gottes. Wir müssen kämpfen und ausharren bis ans Ende: das von Euer Gnaden und meines sind nicht mehr fern.« Hierauf setzte sich Philipp Ludwig an seinen Schreibtisch und forderte von seinem Sohne eine runde, offene Erklärung, die denn auch erfolgte. Wolfgang Wilhelm und Magdalena schrieben zusammen in höflichen, entschiedenen Worten, dass es so sei und nicht anders sein könne und dass sie hofften, der Vater werde es ihm, Wolfgang Wilhelm, nicht verargen, dass er nach seiner Überzeugung gehandelt habe.
Das Blatt zitterte in den Händen des alten Mannes, während er las, und die Tränen begannen ihm langsam über das Gesicht zu laufen. Sein Herz war so hart geschlagen, dass er nicht einmal in der Bibel Trost finden konnte. Nicht nur der Abfall seines Sohnes war es, der ihn bekümmerte, sondern der Gedanke an die bitteren Folgen, die für seine armen Untertanen daraus erwachsen mussten, wenn der Abtrünnige ihnen seinen Irrglauben aufzwingen würde. Viele Stunden verbrachte er in leisem Gespräch mit seiner Frau, lange saß er aber auch allein, von einem drohenden Schwall teuflischer Zweifel geängstigt. Warum ließ Gott es zu, dass die Arbeit seines Lebens zunichte gemacht werde, sein Gärtlein, in dem er das Unkraut des Unglaubens und des Lasters ausgejätet, wo er Frömmigkeit, Ordnung und Tugend gesät und aufgehen gesehen hatte, von seinem eigenen Sohne verwüstet wurde? Er hatte geglaubt, der Segen Gottes ruhe auf seinem Tagewerk, und nun sollte sein brechendes Auge es scheitern sehen. War es eine ihm auferlegte Prüfung, wie konnte Gott den Verlust so vieler Seelen damit verbinden?