Dieser Unfall wurde zwar nach Möglichkeit verschwiegen, erregte aber bei denen, die davon hörten, großes Bedenken, wie auch mehrere andere Unzuträglichkeiten, die anlässlich der Kaiserwahl vorfielen, als üble Vorzeichen gedeutet wurden. So verfuhren die Quartiermeister, welche den Kurfürsten und ihrem Gefolge Herberge anzuweisen hatten, so grob und unbedacht, dass sie eine Wöchnerin, die erst vor wenigen Stunden geboren hatte, aus ihrem Zimmer schafften, worauf sie unaufhaltsam von ihrer wehklagenden Familie hinwegstarb. Dadurch wurde der Frankfurter Pöbel noch mehr aufgereizt, der sowieso kein Herz für die Kaisersache hatte, weil bei der letzten Rebellion des Volkes gegen das Patriziat der Kaiser für dieses Partei genommen und die Empörer grausam bestraft hatte. Ferner sollte Moritz von Hessen, der sich vorgenommen hatte, die Wahl des Erzherzogs Ferdinand auf irgendeine Art zu hintertreiben, als er zur Stadt hinaus musste (denn es war Gesetz, dass alle Fremden, mit Ausnahme der Kurfürsten und ihres Gefolges, an den Tagen der Kaiserwahl das Gebiet der Stadt Frankfurt verlassen mussten), bitterböse Drohworte ausgestoßen haben; dieses Fürsten notgedrungener Abzug erregte aber nicht Teilnahme, sondern Schadenfreude des Volkes, weil er sich damals gleichfalls der Rebellion nicht angenommen hatte.
Das größte Aufsehen gab es, als am Tage nach erfolgter Wahl der Erzbischof von Trier, Lothar von Metternich, indem er aus seiner Kutsche aussteigen wollte, von einem Hunde ins Bein gebissen wurde und als ein Schwerverletzter in sein Bett getragen werden musste. Er nahm es sich umso mehr zu Herzen, als er hauptsächlich die Wahl Ferdinands betrieben und zum Effekt gebracht hatte und ihm nun dieser unverhoffte Hundebiss wie ein strafendes Gotteszeichen vorkommen wollte, weil er etwa um persönlichen Vorteils willen das Wohl des geliebten Vaterlandes zurückgestellt hätte. Dass es mit dem Hunde eine besondere Bewandtnis hatte, darauf deutete die Natur der Wunde, die nicht zuheilen wollte, wie auch, dass man den Hund mit eingezogenem Schwanze davonlaufen und nachher gar nicht mehr gesehen hatte. Einige Ärzte äußerten die Befürchtung, der Hund möchte toll gewesen sein, was die Angst und Ratlosigkeit noch vermehrte. Nach allgemeiner Aussage befand sich ein gelehrter Jude in Frankfurt, der gegen den Biss toller Hunde ein geheimes Mittel kenne, aber der Kurfürst zweifelte, ob er sich von einem solchen dürfe behandeln lassen, und bot ihm viel Geld, falls er vorher zum Christentum übertreten wollte. Der Jude antwortete höhnisch, er sei dazu bereit, wenn der Kurfürst hernach aus Dankbarkeit den jüdischen Glauben annehmen wollte, so sei auf beiden Seiten nichts gewonnen und nichts verloren; Geld habe er genug, verlange auch keine Bezahlung für die Kur, die er nur vornehmen würde wegen des Vergnügens, einen so treuen Vasallen des Kaisers gesund zu machen. Hingegen gelang es, die Frau des Juden zu bestechen, dass sie ihrem Manne an dem betreffenden Tage ein geweihtes, mit allerlei Sprüchen und Amuletten hergerichtetes Hemd anpraktizierte, in welchem er den Erzbischof ohne Schaden untersuchte, einsalbte, mit heilsamen Tropfen versah und so weit wieder herstellte, dass er nach Hause reisen konnte. Doch wurde der einst so schöne, majestätische und heitere Fürst die schwermütigen Gedanken nicht wieder los, befürchtete auch immer den Ausbruch der Hundswut und strafte sich selbst, dass er aus Sorge um sein gemeines irdisches Leben sich von einem Juden hatte kurieren lassen, der den Heiland gekreuzigt hatte.
Großes Ärgernis gab ein Mann, der in Tracht und Gebärden eines Quacksalbers während der Wahltage allerlei Gegenstände an die Meistbietenden verkaufte, worunter eine aus Blech verfertigte und mit buntem Glas verzierte Krone war; dieselbe war so nett und künstlich gemacht, auch würzte der Mann den Handel mit so gefälligen Späßen, dass er eine große Summe Geld damit erzielte. Der, welchem sie zugeschlagen wurde, band die Krone einem schäbigen Pudel auf den Kopf, der damit durch die Straßen lief, bis der Rat dem Unfug ein Ende machte, ohne aber der Schuldigen habhaft werden zu können. Der Verdacht fiel auf die in Frankfurt ansässigen Niederländer, die auch die letzte Rebellion angezettelt haben sollten, weil die reichen Bürger und Handelsleute sie wegen des Wettbewerbs und anderer Missstände nicht leiden wollten.
Der nunmehrige Kaiser Ferdinand ließ sich alles dies nicht anfechten, sondern nahm die unter so großen Schwierigkeiten erfolgte Wahl als ein Zeichen Gottes, dass er wegen anererbter und angeborener Tugenden zum Weltregiment und namentlich zur Wiederherstellung der katholischen Religion auserlesen sei und ebenso wunderbar zum Siege über die Böhmen werde geführt werden. Zunächst reiste er zu besserer Befestigung der Freundschaft und Abmachung gegenseitiger Vertragsleistung nach München, wo der Herzog den hohen Gast ehrenvoll empfing, ihm seine Residenz und Kunstschätze zeigte, sich aber in Bezug auf die Geschäfte kaltherzig zurückhielt. Als Ferdinand ihm vertraulich sagte, wenn er nur wolle, so könnten sie miteinander das Unkraut der Ketzerei ausrotten, sie beide und sein Schwager in Spanien würden gleichsam eine irdische Dreieinigkeit bilden, der sich alles unterwerfen müsse, antwortete Maximilian, die Trinität sei ein himmlisches Mysterium, auf Erden habe jeder seinen eigenen Kopf und wolle seinen eigenen Futternapf. Auch Ferdinands weitere Erinnerungen, sie zwei hätten doch von jeher nur ein Herz und Haupt gehabt, auch hätten seine Mutter und Maximilians Vater sie oft ermahnt, wie Brüder zusammenzuhalten, veranlassten ihn nur zu einer gemessenen Erklärung, er werde sich allezeit freundvetterlich und nachbarlich erweisen. Die Verpfändung von Oberösterreich betreffend, ließ er sich endlich näher heraus, sei ihm wenig mit einem aufständischen Lande gedient, das er erst mit vielen Kosten zum Gehorsam bringen und wieder abtreten müsse, wenn es ihm gerade einen Profit abwerfen würde. Wenigstens müsse er für seinen Aufwand einen gewissen Ersatz bekommen, und den könne ihm Ferdinand ja in der Weise leisten, wenn Pfalz wirklich die böhmische Krone annähme und dadurch die Acht auf sich zöge, dass er ihm den Vollzug derselben auftrüge und außerdem die pfälzische Kurwürde von der Heidelberger Linie auf ihn und seine Nachkommen übertrüge.
So hoch hatte sich Ferdinand den Preis, den Maximilian fordern würde, doch nicht vorgestellt und hielt seinen Schrecken nicht zurück; nicht nur sämtliche evangelische Reichsfürsten würden sich dawidersetzen, meinte er, sondern auch alle Kurfürsten und vielleicht sogar der Papst und Spanien, denn ein solcher Besitzwechsel würde gemeinhin von niemandem gerne gesehen.
Dagegen sagte Maximilian, wenn der Kaiser es darauf ankommen lassen wollte, Böhmen zu verlieren, so sei das seine Sache, er könne seinem Lande die Lasten eines Feldzuges nicht aufbürden, wenn er nicht einer reichlichen Entschädigung sicher sei. Wollten die Reichsfürsten sich seines Vetters von der Pfalz wirklich annehmen, so sei ja er da, um sie zur Räson zu bringen, er befürchte es aber nicht, Worte wären heutzutage billig wie Sand, Taten aber selten und kostbar wie harte Edelsteine.
Von einer Jagd zurückkehrend, saßen die beiden Vettern in einer Nische des Schlosses zu Grünwald über der Isar, die ihre milchigen Wellen stürmisch zwischen den die steilen Ufer lockig krönenden, sanft hineinrauschenden Eichenwäldern hinführte. Ferdinand lobte die ausgedehnten Forste, die reiche Jagdgelegenheit und, zu einem gegenüberliegenden Fenster tretend, die weißen Gehöfte eines Kirchdorfs, die wie Inseln aus einem Meer golden wogender Äcker ragten; das Himmelsgewölbe stand rund wie eine tönende, kristallene Glocke über dem ebenen Hochland. »Der Boden ist steinig«, sagte Maximilian, »Obst und Wein trägt er nicht, aber Brot genug in Friedenszeiten.« Das könnte ihn die Pfalz leicht kosten, bemerkte Ferdinand, ohne Krieg würde es dabei nicht abgehen. »Der Krieg soll viele Länder der anderen fressen, ehe er an meines kommt«, sagte Maximilian stolz; »daraufhin wag ich es.« Recht habe er, sagte Ferdinand lachend, während sie sich zu einem Trunk Bier wieder in die Nische setzten; den Allzubedenklichen gerate nichts. Es möge immerhin ringsum ein wenig krachen, in diesen Fluren würden Rebhühner und Hasen nicht ausgehen noch ihnen die Lust, sie zu jagen. Sie hätten ein gutes Gewissen und wollten sich den frohen Tag nicht durch Sorgen um die Zukunft vergällen.
Nachdem die beiden Fürsten in der Hauptsache einig geworden waren, setzten die Räte einen Vertrag auf, in welchem der Handel mit Oberösterreich, der Pfalz und der Kurwürde einzeln festgesetzt wurde, nicht ohne gegenseitige Verpflichtung, die äußerste Heimlichkeit darüber zu bewahren.
Als der Kurfürst von der Pfalz zum König von Böhmen erwählt war und trotz des Abratens seiner Mutter, seiner Räte und der Verwandtschaft die Krone angenommen hatte, trat er mit seiner Gemahlin die Reise nach Prag an und wurde an der böhmischen Grenze von dem kalvinischen Grafen Wenzel von Budowa und einigen anderen Herren empfangen, die ihm von da bis zur Hauptstadt das Geleite gaben. Eines Tages kam die vergoldete Kutsche, in der Elisabeth mit ihrem Söhnlein und einer Kammerfrau saß, aus einem Walde auf eine weite Lichtung, die im festlichen Sonnenfeuer der ersten Oktobertage brannte. Die Kurfürstin, die es in dem feuchten Walde ein wenig gefröstelt hatte, lehnte sich fröhlich aus dem Wagenfenster und rief aus, dass sie an dieser einladenden Wiesentafel eine Mahlzeit einnehmen möchte, worauf Budowa, der neben dem Wagen herritt, sie einlud, sein Gast sein zu wollen, in einer Stunde werde ein ländliches Mahl gerüstet sein. Auf seinen Befehl hielten die Wagen, die seine Küche führten, und bald drehte sich fettes Geflügel am Spieße über knisterndem Reisigfeuer, während anderswo blitzendes Silberzeug auf schwerem Damast gedeckt wurde und die kurfürstliche Familie mit ihrem Gefolge sich auf mitgebrachten Teppichen lagerte. Budowa wies dem fürstlichen Paare einen spitzen Kirchturm, der ein paar Meilen entfernt aus einer Mulde aufragte, erzählte, dass der Krieg dort gehaust habe, dass das Dorf ausgebrannt und zurzeit noch verödet sei, und zeigte die vertretenen Felder, aus denen geschwärzte Strünke von Rüben und wüste Halme starrten. Zwischen diesem Gestrüpp bemerkte man plötzlich ein paar kriechende Geschöpfe, die in der Erde wühlten und in denen bei schärferem Hinsehen menschliche Wesen zu erkennen waren; gerade in diesem Augenblick wollte der Mann eine Wurzel oder einen Knollen zum Munde führen, als das Kind danach griff, worauf er es auf die Hand schlug und es kreischend zurückwich. Elisabeth fragte erstaunt, was für Wilde das wären, sie hätte sie zuerst für Hunde oder Schweine gehalten. Budowa sagte, es würden Bauern sein, die der Krieg von Haus und Hof vertrieben hätte, dergleichen Gesindel triebe sich jetzt viel umher, und er rief ihnen in böhmischer Sprache zu, näherzukommen. Die Leute erschraken und wollten davonlaufen, wurden aber von Budowas Dienern eingefangen und herbeigeschleppt. Auf Budowas Befehl erzählte der Mann zitternd, ihre Hütten wären von Soldaten geplündert und verbrannt, sie wären in die Wälder geflohen und nun schon meilenweit von zu Hause entfernt. In der Nähe befänden sich Zigeuner, denen zögen sie nach, weil sie ihnen erlaubten, nachts an ihrem Feuer zu liegen, und ihnen auch hie und da etwas zu essen gäben; doch müssten sie auch für sie betteln oder ihnen sonst etwas mitbringen. Friedrich und Elisabeth ließen den Leuten Geld reichen, und Budowa schrie ihnen zu, sie sollten niederknien und ihrem König und ihrer Königin danken.
Graf Solms, der misstrauischen und düsteren Blicks dabeigestanden hatte, sagte: »Gott verhüte, dass unsere Pfälzer Bauern einmal so den Pflug verließen, um Zigeunern nachzustreunen«, und wendete sich dann gegen Budowa mit der Frage, warum man den Leuten nicht Vieh und Werkzeug gebe, dass sie das Feld wieder bestellen könnten. Er wisse nicht, wem diese gehörten, antwortete Budowa; es gebe Herren, die sich nicht um ihre Untertanen kümmerten, außer dass sie ihnen das Blut auspressten, und die Bauern wären auch so geartet, dass sie verwilderten wie das Vieh, wenn man sie nicht streng in Zucht und Ordnung hielte.
Das werde sich nun alles bessern, sagte Elisabeth; sie möchte aber gar zu gern eine Zigeunerin sehen und sich die Zukunft von ihr auslegen lassen. Sie hätte viel Wunderliches davon gehört und wolle wissen, was daran sei. Ein paar jüngere Hoffräuleins kicherten und unterstützten mit geflüsterten Bitten den Wunsch der Kurfürstin; eine ältere Frau dagegen sagte, man solle Gott nicht versuchen, solcher Vorwitz könne verhängnisvoll werden, wie ihre Mutter selbst erfahren habe. Diese sei in ihrer Jugend am Hofe des Herzogs von Brieg gewesen, der etwas rasch und dem Trunke ergeben, sonst aber ein guter Herr gewesen sei, und sie habe einmal an einer Jagd teilgenommen, als man im Gehölz ein altes Weib angetroffen habe, das im allgemeinen Geschrei gestanden habe, als könne es das Zukünftige weissagen. Der Herzog habe sie angehalten und ihr befohlen, ihm etwas zu prophezeien, und wie er denn grobe Späße geliebt habe, habe er hinzugesetzt, wenn sie ihm nichts Gutes sage, werde er die Hunde auf sie hetzen und ihr bei lebendigem Leibe den Kopf vom Rumpfe sägen lassen. Da habe ihn die Alte fest ins Auge gefasst, mit einem weißen Stäblein sein Bein berührt – denn er habe zu Pferde gesessen – und langsam mit dünner, deutlicher Stimme gesagt: »Bruder, das nächste Glas Wein, das du leerst, wird dein letztes sein.« Der Herzog sei darauf aschenbleich geworden, als ob ihm ohnmächtig würde, sodass das Gefolge ihm beigesprungen wäre, und als man sich dann wieder nach der alten Hexe umgeblickt hätte, sei sie verschwunden gewesen. Von dem Tage an habe der Fürst mehrere Wochen still und eingezogen wie ein Einsiedler gelebt, sodass seine Gemahlin schon Hoffnung gefasst hätte, er werde das Trinken ablegen; aber eines Morgens sei ein froher Mut über ihn gekommen, er habe sich festlich angekleidet und gerufen: »Möge kommen, was da wolle, es muss einmal wieder gesoffen sein!« habe Gesellschaft zu Tische bestellt und sich einen großen Humpen voll Wein bringen lassen. Kaum aber habe er ihn ausgetrunken und niedergesetzt, so sei zum Entsetzen aller Gäste die Farbe in seinem Gesicht erloschen und er tot umgefallen, ohne noch ein Wort zu sagen. Ob dies nun dem Laufe der Natur gemäß oder Zauberei gewesen sei, habe ihre Mutter dahingestellt sein lassen; das alte Weib aber hätte man endlich aufgegriffen und verbrannt.
Die Kurfürstin sagte lachend, um den Fürsten sei es immerhin nicht schade gewesen, und des Grafen Solms Tochter Amalie, ein kleines Fräulein mit klugem, blassem Gesicht, meinte, Leichtgläubigen und Abergläubigen sei leicht prophezeien. Budowa hatte schon Leute ausgeschickt, um eine Zigeunerin auszuspüren, und sie kamen mit einer an, als Elisabeth eben ihr jüngstes Kind an der Brust hielt und Friedrich den Erstgeborenen mit übriggebliebenem Konfekt fütterte; denn inzwischen hatten die Herrschaften das Essen eingenommen. Die Zigeunerin, ein altes, gelbes, schmutziges Weib, kroch, die Augen verdrehend, an die Kurfürstin heran, ließ sich ihre gepuderte und mit vielen großen Ringen besteckte Hand reichen, drehte sie hin und her und betastete sie und rief plötzlich unter verzückten Gebärden aus: »Heil dir, Mutter von Königen! Mutter von großen, mächtigen Königen!« was die Umgebung mit Heilrufen und Händeklatschen erwiderte. Elisabeth errötete vor Vergnügen und ließ ihre Hand der Alten, indem sie ihr bedeutete, noch mehr zu sagen. Diese, die nun kecker geworden war, hielt die weiße Hand dicht unter ihre Augen und sagte schmunzelnd und sich krümmend, sie sehe den Venusgürtel in dieser Hand, den Venusgürtel, in dem sich die Mannsleute fingen. Friedrich und Elisabeth lachten darüber, Graf Solms hingegen runzelte die Brauen, und Budowa suchte dem Auftritt ein Ende zu machen, indem er der Zigeunerin ein Goldstück zuwarf und sie mit sichtlichem Widerwillen hieß, die Hand der Königin fahren zu lassen und sich zu trollen. Das Weib raffte das Geld auf und machte Miene, sich zu entfernen, wobei sie aber einen suchenden Blick in die Runde warf, ob etwa noch jemand ihre Dienste wollte. Dabei blieb ihr Auge auf Budowa haften, und sie sagte, sich aufrichtend, mit der Miene des Schreckens auf ihn deutend: »Wer bist du? Ich sehe einen blutroten Streifen rund um deinen Hals herum!« Der Graf erblasste und griff unwillkürlich nach seinem Halse, während die übrigen ihn erschrocken anstarrten; nur das kurfürstliche Paar lachte, und Elisabeth meinte, er habe wohl eine Liebste, die ihn mit einem roten Schnürlein angebunden habe, um es zuzuziehen, wenn er ihr untreu werden wolle. Ja, er sei der Vettel wahrhaftig ins Garn gegangen, sagte Budowa ärgerlich, er hätte Lust, ihr nachzugehen und ihr das freche Maul zu schließen. Ei was, sagte Friedrich, eine wahrsagende Zigeunerin hätte so viel Redefreiheit wie ein Narr, es müsse ein jeder sehen, mit ihrem Spruch fertig zu werden. Unterdessen hatte Elisabeth einen Zweig von einer wilden Rebe mit rubinroten Blättern abgebrochen, zusammengeflochten und ihn dem kleinen Prinzen Heinrich aufgesetzt, um den künftigen König zu krönen; der Kleine jedoch schien dies aus irgendeinem Grunde für einen Eingriff und eine Ehrenkränkung zu halten, riss den Schmuck aus den Locken, streifte die Blätter ab und schwang den Zweig wie eine Gerte, indem er seine Mutter herausfordernd mit flammenden Augen ansah. »Das ist ein rechter König von Böhmen!« rief Budowa aus, »er will das Schwert führen, bevor er sich krönen lässt«, und hob das leichte Kind auf seine breite Schulter, von wo es, seine Ängstlichkeit bezwingend, stolz lächelnd herabsah.
Nachdem die Krönungsfeierlichkeiten in Prag vorüber waren, trafen die rührigsten unter den kalvinischen Herren, an ihrer Spitze Wenzel von Budowa, allerlei Veränderungen und neue Einrichtungen; nämlich sie schafften die Frauenhäuser ab, deren im Schatten der Stadtmauern viele wucherten, gründeten Schulen und beredeten die Stiftung von Armenhäusern, insbesondere aber säuberten sie den Dom vom katholischen Gepränge, um eine ordentliche Gelegenheit für die kalvinische Predigt zu gewinnen. Es war ein frischer Dezembertag kurz vor Weihnachten, als Friedrich, von seinem Hofprediger Skultetus und Wenzel von Budowa begleitet, in das Münster eintrat, um zu sehen, wie weit sie schon gekommen wären, und um die Arbeiter durch sein persönliches Erscheinen anzufeuern. Das Gebäude sei schön, sagte er, indem er sich vergnügt umsah, aber es sei ausstaffiert wie eine Jahrmarktsbude, da müsse noch gehörig aufgeräumt werden. Ja, sagte Budowa, bis jetzt hätten die Arbeiter wohl gebetet; denn geschafft wäre noch nichts, und winkte einem Werkmeister, der die Aufsicht zu führen hatte. Derselbe kam sorgenvoll gelaufen und entschuldigte sich, die Leute trügen Bedenken, die heiligen Gegenstände anzurühren. Und wohin sie damit sollten? Ob sie in eine andere Kirche oder ob sie in die Sakristei gebracht werden sollten? Es sei eine schwere Sache und ginge um die Seele. Einer der Arbeiter, ein kecker, stämmiger Mann, habe das Bild des heiligen Joseph aus der Taufkapelle herunternehmen wollen, da habe es angefangen die Augen zu verdrehen und so zornig ausgesehen, als ob es Flammen spie, worüber dem Manne vor Schrecken schwach geworden sei und er den Arm nicht mehr habe rühren können wie ein Gelähmter. Friedrich lachte; Budowa ließ den Betreffenden vor sich führen, betrachtete den breitschulterigen, stiernackigen Menschen mit strengem Blick und befahl ihm, das Bild vor seinen Augen herabzunehmen. Der Mann schüttelte eigensinnig den Kopf und sagte, das tue er nicht zum zweiten Male, er habe Weib und Kind; er wolle wohl seine Schuldigkeit tun, aber nichts gegen den heiligen Glauben, denn dazu sei er nicht verbunden. »Du bist zu dem verbunden, was der König dir befiehlt«, herrschte ihn Budowa an, »und solange ich bei dir stehe, soll dich weder ein Teufel noch ein Götze behexen; wohl aber werde ich dich lahm schlagen, dass du deiner Lebtage kein Glied mehr rühren kannst, wenn du Widerworte machst!« Nun hob der Mann unter Budowas Augen das Bild herunter, vermied aber, es anzusehen, und lehnte es, so schnell er konnte, verkehrt gegen die Mauer. Unterdessen hatte Friedrich seine Geldbörse hervorgezogen und gab dem Manne, dem der Schweiß auf der Stirne stand, ein paar Münzen; das sei für die ausgestandene Angst und gegen die Einbildungen. Budowa sagte, er wolle nun dem Volke Vernunft beibringen, stellte sich auf die Stufen des hohen Chores, winkte die Arbeiter herbei und hielt mit dröhnender Stimme eine Ansprache: »Ihr bildet euch ein, Glauben zu haben, aber ihr habt nur Aberglauben. Gott ist in der Tugend, in der Bescheidenheit und im Gehorsam, nicht aber in Holz und Leinwand. Eine Holztafel, die mit Farbe bemalt ist, hat so wenig mit Gott zu tun wie eure Nase mit der Kirchturmspitze. Würdet ihr weniger trinken und mehr nachdenken, so würdet ihr Gott besser erkennen. Macht jetzt ein Feuer an und werft alle Bilder, Flitter, Kränze, kurz, allen überflüssigen Kram, der hier herumhängt, hinein, denn es ist weiter nichts als Unrat. Ihr könnt euch zugleich daran wärmen und euren Brei darüber kochen. Führt ihr die aufgetragene Arbeit im Dienste der Obrigkeit gut aus, so dient ihr Gott mehr als mit Kreuzschlagen, Knien und Widerspenstigkeit.«
»Das prasselt wie ein Feuerwerk«, sagte Friedrich im Weitergehen. »Ihr könnt mit meinem Skultetus um die Wette predigen.« Dieser sagte, ein wenig säuerlich lächelnd, es sei ja bekannt, dass der Graf es an Gelehrsamkeit mit jedem Theologen aufnehmen könne; worauf Budowa lachte und entgegnete, seine Gelehrsamkeit würde ihm hier nichts geholfen haben, mit dem niederen Volke müsse man nach seinem Verstande reden. Er kenne sich darin aus, denn er pflege seinen Bauern oft zu predigen und sie im Glauben zu unterrichten.
Jetzt meldete ein Junker Friedrich, dass die Schlitten bereit seien; denn es sollte an diesem Tage eine Schlittenfahrt unternommen werden. Budowa und Skultetus blieben zurück und versprachen, ein Auge auf den Fortgang der Arbeit zu haben, damit am folgenden Tage, als an einem Sonntage, das reine Gotteswort vor dem Könige laut werden könne.
In der Dunkelheit kamen die Schlitten in langem Zuge klingelnd zurück; an einem jeden waren Fackeln befestigt, von denen fliegendes Licht auf den Weg tropfte, das den Schnee in rosigen Sternen erblinken ließ. Der König war von der kalten Luft müde geworden und schlief, an seine Gemahlin gelehnt, die mit einem Kammerherrn in französischer Sprache plauderte; er wachte erst auf, als der Schlitten mit einem Ruck vor dem Schlosse anhielt. Nachdem er sich erfrischt und ausgeruht hatte, ging er noch in den Dom, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung sei. Dort war Geschrei und Bewegung; unter dem steinernen Himmel schwankten an langen Stangen befestigte Lichter um ein ungeheures hölzernes Kruzifix, das von der Mitte des Triumphbogens niederhing, und die dröhnende Stimme Budowas schalt widerhallend durch die Finsternis. Den Hauptgötzen hätten sie ihm zum Trotze hängen lassen, rief er, die faulen, trotzigen und feigen Baalsknechte. Ob das Gottesdienst sei, diesen geschnitzelten Kadaver anzubeten? Dabei entriss er, der auf einer Leiter stand, einem der unten stehenden Männer den Hammer und hieb damit gegen das grauenvolle Antlitz des im Todeskrampf erstarrten Schmerzensmannes. »Das ist hässlich«, sagte Friedrich, der hinzugetreten war und hinaufblickte, »wir wollen den Gräuel an dieser Stätte nicht mehr leiden.« Während Budowa mit Äxten und Stricken eifrig hantierte, drängten sich viele Arbeiter aus der Kirche, andere lagen, sich bekreuzend, auf den Knien. Die Damen und Herren, die sich Friedrich angeschlossen hatten, sahen neugierig zu, und die Damen schrien zuweilen hell auf und deckten die Hände über die Augen. Plötzlich ächzte das Holz und schlug auf den Steinboden mit furchtbarem Krachen, dem ein vielstimmiges Geschrei im Inneren und wie ein Echo außerhalb des Domes folgte. In dem betäubenden Gepolter hatte man einen durchdringenden Jammerlaut unterschieden, und es zeigte sich, dass das stürzende Kreuz einen Mann getroffen hatte, der nun bewegungslos unter dem einen der gewaltigen Holzarme lag, aber noch atmete. Man solle ihn heimtragen, sagte Budowa kurz, warum hätte er auch so vorwitzig sein müssen. Man solle aber die Sache nicht ausschreien, es werde schon übergenug davon geschwätzt, er werde sich nach dem Manne umsehen.
Als alle den Dom verlassen hatten, schloss Skultetus selbst das Portal ab. Von den Arbeitern und dem angesammelten Volke gingen viele in das nächste Wirtshaus, wo der Mann schon saß, der das Bild des heiligen Joseph hatte abnehmen müssen. Er war bereits vollständig betrunken und kam nur zuweilen zum Bewusstsein, um den Wirt zu rufen, weil sein Humpen geleert sei. Er solle nun aufhören und heimgehen, sagte der Wirt und erklärte auch den Neuankommenden, der Mann habe genug, er sei voll wie ein Schwein. Solange er zahle, lallte der Mann, müsse der Wirt ihm zu trinken bringen, andere mischten sich hinein und rieten teils wie der Wirt zum Heimgehen, teils unterstützten sie ihren Kameraden und munterten ihn zum Weitertrinken auf. Das Sündengeld müsse vertrunken sein, heulte der Mann, er habe die Hölle im Leibe und müsse löschen. Die Leute sahen sich bedeutsam an, sprachen von allem, was sich im Dome begeben hatte, dass Blut am Kruzifix heruntergeflossen sei, weil Budowa den Heiland ins Gesicht geschlagen habe, und dass es unter Türken und Tataren nicht schlimmer zugehen könne. Die Kalviner seien keine rechten Christen, und man hätte sich nie mit den Deutschen einlassen sollen. Der Betrunkene, der wieder eingeschlafen war, fuhr plötzlich schnarchend in die Höhe, griff in die Tasche und sagte, das Sündengeld sei dahin, er fühle sich nun wohler und wolle heimgehn. »Wie willst du heimgehn, du Schwein«, sagte der Wirt, »da du kaum auf allen vieren kriechen kannst!« Ein paar Männer standen auf und sagten, sie wollten ihm auf die Beine helfen, und griffen ihm unter die Arme. Unter Gelächter brachten sie ihn in die Höhe und ermunterten ihn, zu gehen; er hielt sich am nächsten fest und sagte, das Zimmer drehe sich um ihn herum, er müsse ein Glas Wein haben, sonst getraue er sich nicht weiter. Während ein Schenkmädchen lief und das Verlangte holte, gab ihm einer einen Stoß, um ihn in Gang zu bringen; das Gelächter verdoppelte sich, als der ungeschlachte Körper ins Wackeln kam, mit den Armen um sich griff, taumelte und, bevor man ihm beispringen konnte, vornüber auf den Boden fiel. Da es sich zeigte, dass der Mann tot war, hieß es, das sei der Finger Gottes und die Strafe dafür, dass er sich für Geld an einem Heiligen vergriffen habe, sie hätten ihn gewarnt und vorausgesehen, dass es nicht gut enden würde. Das Wirtshaus füllte sich nach und nach mit den Angehörigen des Mannes und vielen Neugierigen. Er sei von Gottes Hand erschlagen, erzählten diejenigen, die es mit angesehen hatten; es sei nicht anders gewesen, als wenn ein Blitz vom Himmel in einen Baum einschlüge und ihn fälle. So sei es gewiss auch Gottes Wille gewesen, sagte der Wirt, dass er so viel hätte trinken müssen, es reue ihn, dass er mit dem armen Sünder harte Worte geredet hätte. Er hätte ihm nicht getraut, weil er lutherisch gewesen sei, nun sehe er aber, dass man alles Gott anheimstellen solle. Nein, der Mann sei ganz recht gewesen, bemerkte ein anderer; im lutherischen Glauben sei er nun einmal aufgezogen gewesen, aber er habe vor den Heiligtümern die Knie gebeugt und ein Kreuz geschlagen, wenn die anderen es getan hätten; und er würde sich nicht an den Bildern vergriffen haben, wenn der Budowa ihn nicht gezwungen hätte.